Kitabı oku: «Franz spricht», sayfa 2
Dass ihr Exmann tot war, hatte sie aus der Zeitung erfahren. Sie wusste, das Erbe würde ziemlich umfangreich sein. Fabrik, Immobilien, Geldwerte. Ich hätte damals anders handeln sollen, dachte sie.
Etwas hatte der Tod ihres Exmannes in ihr bewegt. Etwas, von dem sie noch nicht wusste, was es war. Vielleicht war es auch die Stimme dieser Frau am Telefon gewesen. Eine Stimme, kalt und überheblich.
Franz
spricht
Verstehen Sie, ich lebe gesund. Das ist nicht schwer für mich, denn schon in meiner Kindheit war es so. Gemüse aus dem Garten, selbst gebackenes Brot, viel Erdäpfel, wenig Fett, manchmal Obst, Fallobst, das ich selbst aufklaubte. Fleisch selten. Manchmal Wurst. Kennen Sie diese billige Wurst, stark geräuchert, allerdings mit viel Speck drin, die man mit einem Taschenmesser schneiden kann. Mein Vater hat sie manchmal zur Arbeit mitgenommen. Den letzten Zipf, wo kaum noch was drinnen war, haben wir Kinder gekriegt. Das war schon gut. Heute bekommt man diese Art Wurst kaum mehr. Aber ich weiß einen Marktstand, wo sie manchmal noch verkauft wird. Dort schau ich öfter vorbei. Aber sonst. Wie Sie sehen. Gesunde Nahrung. Also ich bin ja noch ziemlich tätig. Habe meine kleine Werkstatt unten im Kellerabteil. Wollen Sie die einmal besichtigen. Nichts Besonderes, aber vielleicht originell. Ich habe nämlich die verschiedensten Metallsägen, auch elektrische und einen Schweißapparat. Damit mache ich meine Arbeiten. Kleine Kunstwerke, wenn ich so sagen darf, alles aus Metall. Eine Burg habe ich bereits gebaut. Das Modell eines Autos. Mercedes. Und sonst Kleinigkeiten, Häuser, Ställe, Zäune, alles aus Metall. Man kann das, was man gelernt hat, eben nicht vergessen und macht es im Kleinen weiter. Was man später lernt, alles nichts. Auch wenn man dazu gezwungen wird, wie ich. Haben Sie den Peter wieder einmal gesehen. Ja, stimmt, Sie kennen ihn nicht, ich vergesse es immer wieder.
Die Abende sind lang, sehr lang. Dann kommen immer so dumme Gedanken. Krankwerden, niemanden haben, der einem hilft. Ja, so ist es halt. Kommen Sie doch einmal am Abend herauf. Wir könnten dann Kartenspielen. Schnapsen vielleicht.
»
Sie hatte ein kleines Auto, schon seit Jahren. Es war schlecht gepflegt, dafür nahm sie sich nie Zeit. Nun aber wusch Dagmar den Wagen, putzte ihn innen und außen. Es ging ihr um die Arbeit, nicht um das Ergebnis. Seit sie vom Tod des Heinz K. wusste, war sie voller Unruhe. Sie dachte unentwegt daran, wie sie mehr darüber erfahren könnte. In jenen Zeitschriften, die über die Society berichteten, war nichts über Heinz K. zu finden. Was seine Person betraf, hatte er sich stets bedeckt gehalten. Die Polizei gab keine Auskunft über die näheren Umstände seines Todes. Es sei ein Unfall gewesen, darüber habe man berichtet.
An das Modegeschäft, an die Arbeit, die sie dort zu machen hatte, dachte Dagmar kaum noch. Beides gehörte nicht mehr zu ihrem Leben. Heinz K. hatte ihr einmal gesagt, dass er geschieden sei. Als sie mehr darüber hatte wissen wollen, hatte er gemeint, das gehe sie nichts an. Sie hatte nicht gewagt, weiter danach zu fragen. Er konnte sehr abweisend werden, er sprach dann fast nichts mit ihr. Das wollte sie nicht. Vor allem das Gespräch mit ihm, das sich nicht nur um banale Dinge drehte, war ihr wichtig geworden.
Sie war es nicht gewohnt, dass man mit ihr über wichtige Vorfälle des täglichen Lebens sprach, dass man vergangene Ereignisse erwähnte und von Theateraufführungen berichtete. Nicht alles war für sie verständlich. Aber alles interessierte sie. Nun interessierte sie die Ursache seines Todes. Ihr Gefühl sagte ihr, sie würde dann mehr von ihm wissen. Sie glaubte nicht an einen Unfall.
An einem Abend in Dagmars Wohnung hatte er erwähnt, dass er das nächste Mal nicht kommen könne, da er das Konzert eines bekannten Pianisten besuchen wollte. Kann ich da mit, hatte sie schüchtern gefragt. Später, hatte er gesagt. Vielleicht später.
Er wollte ja nie mit ihr gesehen werden. Vielleicht hätte es sich einmal geändert, dachte sie. Später.
Nach einer Nacht ohne Schlaf brach sie auf. Sie wollte zuerst ihre Schwester besuchen, die in einer ländlichen Kleinstadt wohnte.
Am Tag nach jener Einladung begann es zu regnen. Eva hatte es vorausgesehen und für die kommende Woche einige Termine in der Stadt ausgemacht. Sie liebte das Leben auf dem Land, aber nicht bei schlechtem Wetter. Dann fühlte sie sich allein, dann wusste sie wenig mit sich anzufangen. Wenn sie an der Bibliothek vorbeiging, streiften ihre Blicke gelangweilt die Bücher. Nach Pauls Tod hatte sie das Lesen fast aufgegeben. Tageszeitungen, Zeitschriften nahm sie gern zur Hand, abends im Bett, nach dem Mittagessen. Für sich selbst kochte sie kaum. Sie lebte von Toast, fettarmer Suppe und magerem Fleisch. Diese Speisen herzurichten machte ihr keine Mühe. Trotzdem fühlte sie sich nachher müde, und sie verbrachte ein bis zwei Stunden auf ihrer Liege. Manchmal schlief sie ein, nachher bedauerte sie es, sie glaubte etwas versäumt zu haben, wusste aber, dass es nicht so war. Ihr Handy war immer griffbereit. Im Frühling, im Sommer bekam sie viele Anrufe. Im Herbst, im Winter, wurde es still bei ihr. Dann halfen nur mehr ausgedehnte Besuche in der Stadt.
Die Bemerkung des Anwalts, der am Vortag berichtet hatte, dass Heinz K., den er persönlich gekannt hatte, so seltsam ums Leben gekommen war, hatte sie tief getroffen.
Es war lang her, dass er sich von ihr getrennt hatte. Noch vor dem Schlafengehen holte sie ihren Kalender und sah nach, wann genau diese Trennung stattgefunden hatte. Wichtige Ereignisse, die ihre Person betrafen, zeichnete sie immer auf. Sie hatte sich richtig erinnert. Vor zwei Jahren, an einem einundzwanzigsten Februar, einem Freitag, war es gewesen. Da war er nach einem langen Arbeitstag in der Firma noch zu ihr gekommen. Eine weite Fahrt. Sie hatte ihn nicht erwartet. Sie trug einen Hausanzug, ein teures Modell, sie hatte sich vor dem Abendessen noch einmal zurechtgemacht. Das tat sie immer, auch wenn sie allein an ihrem Couchtisch saß. Ein Sandwich, ein Glas Wein, eine CD mit sanfter Musik. Den Fernseher hatte sie noch nicht eingeschaltet.
Sie hörte, dass die Tür geöffnet wurde. Sofort dachte sie an Heinz K., der einen Schlüssel hatte. Sie erkannte seinen Schritt, hörte, wie er seinen Mantel aufhängte, die Schuhe an der Matte abstreifte. Sie wartete. Als er hereinkam, erschrak sie. Er sah blass aus, er hatte sich irgendwie verändert, sie hatte ihn seit mehreren Wochen nicht gesehen. Ab und zu hatten sie telefoniert, kurze Gespräche, wie geht es dir, was gibt es Neues. Dabei hatte er ganz normal geklungen, wie immer. Jetzt aber war es anders. Der Besuch, den er nicht, wie sonst, angekündigt hatte. Wie er sich dann langsam auf sie zu bewegte. Wie er sie mit heiserer Stimme fragte, ob er nicht störe. Wie er sich dann in einen der Fauteuils warf und stumm sitzen blieb, als hätte er ihre Gegenwart vergessen. Sie versuchte, ihn wie immer freundlich zu begrüßen.
Schön, dass du kommst, sagte sie. Wenn ich dich auch nicht erwartet habe, ich freue mich.
Du freust dich also, fragte er. Es klang, als würde er ihr nicht glauben.
Sie schwieg und wartete, dass er weiter sprach. Manchmal gab es solche Momente bei ihm, wo sie nicht wusste, was ihn bewegte. Meistens riss er sich zusammen und begann mit ihr zu plaudern, sprach über Dinge, die sie gern hörte, gesellschaftliche Ereignisse, Geschäftsreisen in ferne Länder, Pläne, wieder einmal ein neues Auto zu kaufen, noch größer, noch stärker. Nun blieb er still. Sie ließ ihn, wartete, dachte kurz daran, dass es wichtig sei, immer so auszusehen, als käme ein angemeldeter Besuch. Sie wippte mit dem Pantoffel, der an ihren Zehenspitzen hing und versuchte die Angst, die langsam in ihr aufstieg, zu unterdrücken.
Mit Heinz K. war irgendwas geschehen. Nichts Gutes, dachte sie, nein, nichts Gutes. Sie spürte das Klopfen ihres Herzens und gleichzeitig einen seltsamen Druck auf ihrer Brust.
Mir gefällt mein Leben nicht mehr, sagte er nach Minuten der Stille. So ist das. Es gefällt mir nicht mehr.
Evas Leben war sehr bewegt gewesen. Die Höhen hatte sie genossen, die Tiefen nicht ernst genommen. Aus kurzer Trauer war nie Schmerz geworden.
Sie schaute ihn an und wusste nicht, was sie sagen sollte. Er stand auf und ging auf sie zu.
Hast du mich verstanden? Mein Leben gefällt mir nicht mehr. Sie schluckte und war ratlos. Irgendwie spürte sie, dass sie die richtige Antwort nicht finden würde.
Setz dich bitte, sagte sie. Ich bring dir was zu essen.
Er setzte sich und verbarg den Kopf in seinen Händen. Die CD, die sie vor seinem Kommen eingelegt hatte, spielte noch immer. Sie spielte nun ein melancholisches Lied, und Eva hatte das Gefühl, sie müsste abdrehen, diesem Lied ein Ende machen, aber sie ging in die Küche und richtete ein Sandwich mit Salami und Schinken, dem sie besondere Aufmerksamkeit schenkte. Als sie damit in den Wohnraum zurückkam, war er aufgestanden und dabei, seinen Mantel anzuziehen.
Was machst du, was willst du, fragte sie überrascht.
Heimfahren, sagte er.
Ich verstehe nicht, sagte sie.
Er ging auf sie zu und strich über ihre Wange, dabei sah er sie nicht an. Du hörst von mir, meinte er noch.
Seither hatte sie ihn nicht mehr gesehen. In der Woche nach diesem Abend hatte sie einen Brief erhalten, in dem er erklärte, er fände keine Liebe, kein Verständnis bei ihr, hätte es nie gefunden. Trotzdem. Die Zeit mir ihr sei schön gewesen.
Die Erinnerung an Heinz K. war Eva nicht angenehm. Es geschah selten, dass sie einen Fehler bei sich suchte. Nachdem er sie verlassen hatte, hatte sie es kurz getan, war aber zu keinem Ergebnis gekommen.
Die Nachricht von seinem plötzlichen Tod verwirrte sie, und sie begann wieder, sich Gedanken über Heinz K. zu machen.
Ich habe jetzt nicht jeden Tag geschrieben, weil ich über meine Tochter nachdenken musste. Es ist so: Ich habe drei Tageszeitungen abonniert, komme aber oft nicht dazu, alle drei am Tag ihres Erscheinens zu lesen. Die gelesene Zeitung lege ich beiseite, die nicht gelesenen Zeitungen lege ich auf einen kleinen Tisch neben meinem Lehnstuhl. Am nächsten, am übernächsten Tag nehme ich sie mir vor. Stets lese ich sie alle, nie lasse ich eine aus. Wäre ja schade um das Geld. Aus diesem Grund habe ich nicht gleich von Heinz’ Unfalltod erfahren, die Zeitung, in der davon berichtet wurde, war bereits drei Tage alt. Abends rief ich Miriam zu Hause an, im Büro wollte sie keine Anrufe haben. Sie nahm nicht ab. Auch am Handy nicht. Das wunderte mich, sie hatte ja das Kind, wo sollte sie sein. Endlich, nach zwei Tagen, konnte ich sie erreichen. Ich weiß schon davon, sagte sie sofort, du brauchst es mir nicht zu sagen.
Hat es dich bewegt, fragte ich. Ja und nein, antwortete sie. Also hat es dich schon bewegt, sagte ich. Papa, warum glaubst du immer, du könntest in mich hineinschauen, sagte sie, und ich spürte ihre Abwehr. Ich brauche dich also nicht zu trösten, meinte ich. Nein, sagte sie, wirklich nicht. Und sonst, fragte ich weiter, geht es dir gut. Ja, wie immer, erwiderte sie.
Dieses Wie immer gefiel mir nicht. Hat mir noch nie gefallen. Deshalb begann ich über sie nachzudenken. Aber was hilft das schon. Beim eigenen Kind.
Noch immer bin ich nicht dazugekommen, ausführlich über Paul zu schreiben. Ich habe mir überlegt, dass eine allgemeine Beschreibung seines Charakters nicht viel bringt. Besser ist, ihn durch seine Entwicklung, durch seine Handlungen lebendig werden zu lassen. An so vieles, was ihn betrifft, kann ich mich erinnern, vieles, was zwischen uns vorgefallen ist, steht klar vor mir. Meistens war ich der vom Unrecht Betroffene. Das macht mich vielleicht parteiisch. Aber ich kann alles nur aus meiner Sicht begreiflich machen.
Ich erinnere mich zum Beispiel eines Herbsttages, als ich, ein momentaner Einfall, mit Paul in einen Wald lief, der nicht weit von unserem Ort entfernt war. Vielleicht zwölf und zehn Jahre waren wir damals alt. Paul trieb sich oft mit einer Gruppe von Arbeiterkindern herum, jener Wald gehörte zu ihrem Revier, Franz war immer dabei.
Wir liefen voraus, die Gruppe sollte nachkommen. Warum ich damals mitgelaufen bin.
Aus Neugierde vielleicht. Ich wollte wissen, was sie dort machten. Der Wald war mir immer unheimlich gewesen, hohe alte Bäume, viel Gestrüpp, keine Wege. Paul ging voraus. Du musst leiser sein, sagte er zu mir, du erschreckst sonst die Tiere. Welche Tiere es dort gab, wollte ich wissen. Rehe und Hasen, antwortete er. Und Füchse. Und viele kleine Tiere. Und Vögel. Siehst du dort den Vogel auf dem Ast. Das ist eine Tannenmeise. Sie rührt sich nicht. Sei ganz still. Sie ist schwarz und weiß und hat einen roten Bauch. Jetzt fliegt sie weg. Hast du sie gesehen. Ich hatte sie nicht gesehen, aber ich sagte Ja. Merk sie dir, sagte Paul. Manchmal bin ich auch allein hier. Dann sind meine Schritte kaum zu hören, und ich sehe viele verschiedene Vögel. Zu Hause schlage ich dann im Lexikon nach, um zu wissen, zu welcher Art die Vögel gehören.
Ich fand das komisch. Paul mit zehn Jahren. Ich hatte noch nie ein Lexikon zur Hand genommen. Das änderte sich später, ich muss es hier einfügen. Aber damals. Bald kamen die anderen Buben. Mit ihnen Franz. Auf einer Lichtung begann ein wildes Indianerspiel. Selbstverständlich gehörte ich zu den Weißen und Franz band mich an den Marterpfahl. Er hatte leichtes Spiel mit mir, ich wehrte mich nicht, alles war mir fremd und unheimlich. Paul, der eifrig mitgetan hatte, band mich bald los. Das ist, glaub ich, nichts für dich, sagte er. Es war nichts für mich. Ich ging allein nach Hause. Die anderen tobten weiter. Wieso ist Paul so, und dann wieder ganz anders, dachte ich. Das dachte ich später noch oft.
Miriam. Für sie war Paul ein Spielkamerad, ein Lehrer, ein Freund. Mir, als Vater, ist es nie geglückt, Miriam so zum Lachen zu bringen, sie so fröhlich zu machen. Manchmal war ich fast eifersüchtig. Dass Paul selbst keine Kinder hatte, war ein Unglück. Aber kein Wunder, bei der Frau. Auch meine Frau hatte Paul sehr gern. Einmal sagte sie zu mir: Paul hätte dir was geben können. Was, fragte ich erstaunt. Ein Stück von seinem Herzen, sagte sie. Damals verstand ich sie nicht, ich war gekränkt.
Heute will ich Miriam noch anrufen. Es könnte ihr vielleicht gut tun, mit mir zu reden, Dinge, die sie nicht allein schafft, mit mir zu besprechen. Sie könnte mich ja besuchen und Klara mitbringen. Klara könnte vielleicht bei mir schlafen, ich würde sie morgen in den Kindergarten bringen.
Ich kann es mir nicht abgewöhnen, Dinge, die mich persönlich betreffen, in diesen Bericht einfließen zu lassen, statt nur über meine Beziehung zu Paul zu schreiben. Aber ich denke, es gibt ein Bild von mir, ein anderes, das Miriam, oder wer immer es lesen mag, noch nicht kennt. Das ist kein Fehler.
Ein einziges Mal hatte Heinz K. vor Dagmar jene Frau erwähnt, mit der er einige Jahre lang verbunden gewesen war. Es war ein Abend in Dagmars Wohnung, beide hatten mehr als die üblichen zwei Gläser Rotwein getrunken. Heinz K. war, entgegen seiner Art, sehr gesprächig gewesen, er hatte rasch die Themen gewechselt, die Dagmar interessierten, und war schließlich auf Eva zu sprechen gekommen. Er nannte nicht ihren Namen, schilderte aber die Villa, in der sie nun allein wohnte und erklärte, warum er sie verlassen hatte. Er sagte zu Dagmar – es war das einzige Mal –, dass er sehr froh sei, sie gefunden zu haben, er wisse nicht, wie es sonst mit ihm weitergegangen wäre. Dagmar hatte überrascht und voller Staunen zugehört. Sie überlegte lang, ob sie ihn beim nächsten Treffen noch einmal nach dieser Frau fragen sollte. Ihre Neugierde war groß, und sie fragte. Ein anderer Heinz K. als jener des vergangenen Abends zeigte sich ungehalten und abweisend und verlangte von Dagmar, sie möge, was er gesagt habe, vergessen, es sei nicht mehr von Bedeutung.
Dagmar bewegte immer mehr die Frage, ob Heinz K.s Zustand damals, als er jene Frau verlassen hatte, ähnlich gewesen war wie jetzt, als er mit einem gestohlenen Auto verunglückte.
Ihre Schwester hatte sie freundlich begrüßt. Sie fragte nicht sofort nach dem Grund von Dagmars Kommen, bemerkte aber, dass sie verändert war. Am dritten Tag erzählte Dagmar von sich aus die Geschichte. Ihre Schwester meinte, es würde schwierig sein, diese Frau zu finden. Aber wie Dagmar glaube, sei Heinz K. einmal verheiratet gewesen. Vielleicht könne sich Dagmar mit seiner Exfrau in Verbindung setzen. Die sei leichter zu finden. Sie wisse auf jeden Fall mehr über Heinz K.s Charakter, vielleicht kenne sie auch jene Frau aus der Villa. Dagmar verwarf sofort diese Möglichkeit. Aber immer öfter musste sie daran denken.
Es war die eigenartige Weise wie Heinz K. seine Hände hielt, die sie faszinierte. Wenn er saß, verschränkte er sie auf seinem Schoß – Miriam selbst tat es später auch –, dabei senkten und hoben sich immer wieder seine Finger. So saß er, noch nicht neunzehn Jahre alt, auf einer Bank im Park, im Garten eines einfachen Gasthauses, bei einem Rockkonzert. Saß ihm Miriam gegenüber, sah er sie unentwegt an, versenkte seine Blicke in ihrem Gesicht, redete kaum. Hast du was, fragte sie ihn oft, und er schüttelte den Kopf. Lass mich dich anschauen, sagte er dann, mehr brauch ich nicht. Sie freute sich über seine Worte, aber sie verstand ihn nicht ganz. Das geschah oft. Er konnte fröhlich sein, übertrieben fröhlich. Dann packte er sie, schwenkte sie wild herum, stellte sie auf den Boden, hob sie wieder auf, bis ihr schwindlig wurde. Gleich danach war er seltsam still, setzte sich irgendwo hin und blieb eine Weile stumm.
Eines Tages, es war Sommer und ziemlich heiß, gingen sie schwimmen. An einer ruhigen Stelle des Flusses, wo es keine gefährlichen Strömungen gab. Sie hatten sich vorgenommen, nachher am Ufer zu bleiben, im Gras zu liegen, die mitgebrachten Brote zu essen, Obstsaft zu trinken, die Zeit nicht wahrzunehmen. Nachdem sie aus dem Wasser gestiegen waren und der Ostwind über ihre feuchten Köper strich, nachdem sie soviel von ihrer Liebe genommen hatten, wie Miriam es erlaubte, sprang Heinz auf.
Ich geh noch einmal hinein, sagte er.
Warum jetzt, fragte Miriam. Wir wollten doch was essen.
Später, sagte er und war schon weg.
Sie ärgerte sich, suchte einen schattigen Platz für Brote und Getränke, setzte sich daneben hin, nahm einen kleinen Bissen und wieder einen, trank aus der Flasche mit kleinen Schlucken, und dachte dann, sie hätte auf ihn warten sollen. Die Zeit verging, er war nun schon viel länger weg, als sie angenommen hatte. Zorn gegen ihn stieg in ihr auf. Sie legte sich auf ihr Badetuch, schloss die Augen und schlief nach wenigen Minuten ein. Als sie erwachte, weil ihr kalt geworden war, war Heinz noch immer fort. Sie blickte um sich. Brote und Getränke waren unberührt. Heinz’ Kleider lagen noch da. In Panik sprang sie auf und lief zum Ufer. Kein Schwimmer war zu sehen, nur ein Ruderboot wurde langsam von der Strömung getragen. Miriam wollte mit lauten Rufen die Insassen auf sich aufmerksam machen, vielleicht hatten sie Heinz gesehen, aber ihre Rufe erreichten die Leute nicht. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Weinend packte sie alles, was ihr gehörte, in ihre Tasche, die Kleider von Heinz ließ sie liegen. Sie fuhr nach Hause, sie weinte noch in der Straßenbahn, alle Leute sahen sie an. Ihrer Mutter erzählte sie, was geschehen war. Du hättest sofort die Polizei rufen müssen, meinte sie.
Sie ging zum Telefon und rief an. Miriam stand zitternd neben ihr. Die Polizei versprach der Sache nachzugehen.
Fünf Minuten später kam der Anruf von Heinz. Er befinde sich in einer Telefonzelle in der Nähe des Flusses, er wolle wissen, warum Miriam nicht auf ihn gewartet habe. Die Mutter reichte Miriam den Hörer, aber sie konnte nicht sprechen. Nach einigen unfreundlichen Worten an Heinz bat die Mutter die Polizei, die Suche abzubrechen.
Später versuchte Heinz Miriam zu erklären, warum er sich verspätet hatte. Er habe, und er wisse nicht wieso, nach einigen wenigen Tempi das Gefühl gehabt, er müsse das Wasser sofort verlassen. Deshalb konnte er nicht zur Uferwiese, wo Miriam auf ihn wartete, zurückkehren. In seiner nassen Badehose sei er eine Weile sinnlos am Ufer entlanggelaufen, hin und her und hin und her, bis er sich erschöpft auf einen Baumstumpf niederließ. Er wisse nicht, was er sich dabei gedacht habe, es sei jene unerklärliche Angst in ihm gewesen, die er nicht abschütteln konnte, die nur ganz langsam nachließ, bis er sich endlich auf den Weg zurück machte, müde, erschöpft.
Miriam fragte, ob er ein solches Gefühl schon einmal gehabt hatte.
Er verneinte.
Damals war Miriam sechzehn Jahre alt.