Sterben und leben lernen

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Elisabeth Kübler-Ross

Sterben
und leben
lernen

Antworten über den

Tod und das Leben

Herausgegeben von Ingo Hermann


Alle Rechte vorbehalten.

Außer zum Zwecke kurzer Zitate für Buchrezensionen darf kein Teil dieses Buches ohne schriftliche Genehmigung durch den Verlag nachproduziert, als Daten gespeichert oder in irgendeiner Form oder durch irgendein anderes Medium verwendet bzw. in einer anderen Form der Bindung oder mit einem anderen Titelblatt als dem der Erstveröffentlichung in Umlauf gebracht werden. Auch Wiederverkäufern darf es nicht zu anderen Bedingungen als diesen weitergegeben werden.

Copyright © Verlag »Die Silberschnur« GmbH

Erstauflage 1993 unter dem Titel »Sterben lernen – leben lernen«, ISBN 978-3-923781-80-5

ISBN: 978-3-89845-487-2

eISBN: 978-3-89845-697-5

1. Auflage 2020

Gestaltung & Satz: XPresentation, Güllesheim; unter Verwendung verschiedener Motive von © malwa, www.fotolia.com

Umschlaggestaltung: XPresentation, Güllesheim; unter Verwendung eines Motivs von © Balazs Kovacs, www.istockphoto.com

Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstr. 1 · 56593 Güllesheim www.silberschnur.de · E-Mail: info@silberschnur.de

Die in diesem Buch vorgelegten Fragen und Antworten sind die Wiedergabe eines Gesprächs, das Ingo Hermann im Auftrag des Zweiten Deutschen Fernsehens mit Elisabeth Kübler-Ross 1985 in St. Gerold/Österreich führte. Dieses Gespräch wurde vom ZDF in drei Folgen wiederholt gesendet.

Inhalt

Der Tod eines Mitmenschen

Der eigene Tod

Wenn Kinder sterben

Elisabeth Kübler-Ross

Der Tod eines Mitmenschen

Frau Kübler-Ross, ›Sterben und leben lernen‹, was ist eigentlich schwerer? ›Leben lernen‹ oder ›Sterben lernen‹?

Ich glaube, das ist beides dasselbe. Menschen, die leben konnten und wirklich gelebt haben, haben keine Angst vor dem Sterben. Und Menschen, die nie gelebt haben, haben furchtbare Angst vor dem Sterben.

Was heißt denn dann ›Leben lernen‹?

Das heißt, dass man nicht zu 90 Prozent in der Zukunft lebt und sich Sorgen macht, was morgen kommt. Und dass man lernt, eben hier zu sein und heute zu leben. Dann hat man auch Zeit, eine Blume zu säen oder einem Menschen zuzuhören, und man springt nicht an Dingen und Menschen vorbei, wie das heute geschieht. Es gibt Väter, die sich ständig Sorgen machen, ob sie die Kinder eines Tages in gute Schulen bringen können, ob sie genug verdienen und ob sie im Alter genug zum Leben haben. Sie nehmen sich nie Zeit, ihre Kinder kennenzulernen. Und plötzlich sind sie sterbenskrank, bevor ihre Pensionierung kommt, und die Kinder haben dann keine Zeit für ihren Vater, weil er auch nie Zeit für sie hatte. Dann überlegt man sich, warum habe ich mir nicht einen halben Tag Zeit genommen, um mit meinen Kindern zum Beispiel fischen zu gehen und sie wirklich kennenzulernen. Und jene sterben dann mit so viel Traurigkeit, weil sie eigentlich nie wirklich gelebt haben.

Nun denkt man doch normalerweise: Je schöner das Leben war, das man hatte, desto schwerer gibt man es auf.

Es kommt darauf an, was man unter ›schön‹ versteht. Wer es nur ›schön‹ findet, im Winter nach Florida zu gehen und sich materielle Dinge anzueignen, der hat es sehr schwer zu sterben, weil er das Gefühl hat, alles aufzugeben. Wer Menschen wirklich geliebt und auch Menschen geholfen hat, der verspürt ein Gefühl inneren Reichtums. Ihm fällt es gar nicht schwer zu sterben.

Wenn wir vom Tod und vom Sterben des anderen sprechen, wollen wir auch über diejenigen sprechen, die zurückbleiben, die hier im Leben bleiben. Wo sind da die Probleme? Denn die Erfahrung zeigt ja, dass der Tod in erster Linie das Problem der Hinterbliebenen ist.

Es ist sehr oft das Problem der Hinterbliebenen. Aber es hat auch damit zu tun, wie sie mit ihren Mitmenschen gelebt haben, solange sie zusammen waren. Ich kenne Mütter, die ständig nörgeln und reklamieren, wenn ein Junge zum Beispiel Trommeln liebt und viel trommelt, und die dann immer sagen: »Was meinen denn die Nachbarn?« und »Hör doch auf mit diesem furchtbaren Lärm.« Sie sehen nie etwas Gutes darin. Und dann verunglückt so ein Kind plötzlich tödlich und ist weg. Diese Mutter würde Tausende von Euro zahlen, um noch einmal diese Trommel zu hören. Und dann merkt man zu spät, was für komische Prioritäten man im Leben gehabt hat, dass die Angst, was die Nachbarn denken, das ganze Verhältnis zwischen Mutter und Sohn zerstört hat. Und dann hat man diese große Trauerarbeit zu leisten: Warum habe ich ihm nie gesagt, wie schön das eigentlich war und wie sehr mich das hätte freuen sollen, dass mein Sohn sich dafür interessierte?

Man hat zwei Probleme, wenn ein Angehöriger oder ein Freund stirbt. Das eine ist die Frage: »Wie kann ich dem anderen helfen? Was muss ich von ihm verstehen? Was kann ich von ihm verstehen in diesen letzten Tagen oder Stunden?« Und das andere ist: »Wie komme ich damit zurecht?« Ich würde gern zuerst mit Ihnen darüber sprechen: Wie kann ich als einzelner einem Menschen helfen oder zur Verfügung stehen, wenn er diesen Weg geht?

Also Sie sprechen jetzt nicht von dem plötzlichen Tod, sondern vom Kranksein bis zum Tod?

Ja.

Das ist nämlich ein riesen Unterschied. Sehr viel Trauerarbeit ist zu tun, wenn jemand plötzlich stirbt und man nicht mehr die Gelegenheit hat, ihm etwas Gutes zu sagen oder ihm zu vergeben oder noch mal zu sagen: »Weißt du, jetzt vermisse ich doch dein Trommeln«, zum Beispiel. Aber wenn jemand krank ist, hat man die Gelegenheit, noch vieles gutzumachen. Ich glaube, man kann anderen nur helfen, wenn man sich selbst hilft. Wenn Sie voller Angst sind und voller Mühe, überhaupt über Sterben oder Krebs zu sprechen, können Sie nicht in ein Krankenzimmer gehen und erwarten, dass Sie diesem Menschen helfen können. Dann endet es meistens so, dass die Kranken merken, dass Sie mehr Angst haben als sie selbst, und der Sterbende wird dann zum Tröster.

Das passiert sehr, sehr oft. Also, wenn Sie in ein Krankenzimmer gehen, sagen Sie: »Ja schauen Sie mal die schönen Blumen an und das schöne Wetter draußen.« Damit geben Sie dem Sterbenden schon das Zeichen, dass Sie nur hier sind, um über schöne Dinge zu sprechen. Vielleicht wurden Sie ja so erzogen, dass man zum Kranken kommt, um ihn zu trösten. Die Sterbenden brauchen keinen Trost über schöne Blumen, schönes Wetter. Vielleicht haben sie irgendwelche unerledigten Geschäfte, die sie jemandem mitteilen wollen. Wenn jeder reinkommt und über das Wetter spricht, dann helfen Sie keinem Menschen. Bevor Sie also zu einem Sterbenden gehen und Trauerarbeit überhaupt machen wollen, sollten Sie in den Spiegel schauen und sehen, wo Ihre eigenen unerledigten Geschäfte sind. Und wenn Sie Angst haben, dann sollten Sie an Ihren eigenen Ängsten arbeiten, und wenn Sie Schuldgefühle haben, dann sollten Sie an Ihren eigenen Schuldgefühlen arbeiten. Und je weniger unerledigte Geschäfte Sie selbst haben, desto mehr sind Sie offen, die des anderen zu hören. Wenn Sie gar keine unerledigten Geschäfte hätten – was sehr schön wäre, aber sehr selten passiert –, dann wird Ihr eigener geistiger Quadrant so offen, dass Sie nicht nur die Sprache der Sterbenden verstehen, die Ihnen zum Beispiel sagen: »Ich werde zu Weihnachten nicht mehr hier sein«, sondern Sie werden auch jene Sterbenden hören, die nur eine symbolische Sprache sprechen können. Ob Sie diese verstehen, hängt von Ihnen ab.


Die symbolische Sprache ist ähnlich den Gleichnissen der Bibel. Da sagt man etwas »durch die Blume«. Und die, die bereit sind zu hören, hören das. Und die, die nicht bereit sind, werden es nicht hören. Das ist wie ein Prüfen seitens eines Sterbenden, der diese Sprache gebraucht, um zu schauen, ob Sie ehrlich sind oder ob Ihre eigenen Ängste Sie blockieren. Das ist fast ausschließlich die Sprache von sterbenden Kindern. Sie wissen, dass Erwachsene sich nicht wohlfühlen, wenn sie über das Sterben sprechen. Die Kinder sind aber alt und weise, wenn sie viele Jahre gelitten haben, etwa an Leukämie oder einem Hirntumor. Diese sprechen dann eine symbolische Sprache. Und ich glaube, das ist etwas, was man Seelsorgern, Ärzten und Krankenschwestern richtig lehren sollte. Aber sie können das nie richtig lernen, solange sie selbst durch ihre eigenen Ängste blockiert sind. Und deshalb benötigt man irgendeinen Ort, wo helfende Menschen selbst Hilfe bekommen können.

Ich würde hier gern noch etwas genauer ins Detail einsteigen. Sie haben eben den Ausdruck »geistiger Quadrant« gebraucht. Und wenn man vom Quadranten spricht, dann denkt man, es müssen noch drei andere dazukommen. Können Sie das ein wenig erklären?

Wir sagen immer, die Menschen bestehen eigentlich aus vier Quadranten. Es ist wie ein Kreis mit vier großen Kuchenstücken. Das erste Kuchenstück ist der körperliche Quadrant, das zweite der emotionale, also die Gefühle, der Trieb; das dritte ist der Intellekt, und das vierte ist der geistige, der intuitive Quadrant. Wenn man bei der Sterbehilfe wirklich helfen will und die eigenen Quadranten sind in Harmonie – das heißt, dass man selbst sehr wenige unerledigte Geschäfte hat –, wird man immer den schwerkranken Sterbenden zuerst im körperlichen Quadranten helfen, das heißt, sie von ihren Schmerzen befreien, bei Bewusstsein halten, wenn menschenmöglich, und ihnen die Möglichkeit geben, sich auszudrücken. Das gilt auch für Leute mit neurologischen Krankheiten, die zum Beispiel gelähmt sind und nicht mehr sprechen können. Denen fertigt man dann eine Sprachtafel an, sodass sie sich verständigen können.

 

Es ist immer Priorität Nummer 1, den körperlichen Quadranten gut zu pflegen, das heißt auch, dass man die Sterbenden mit oralen Medikamenten schmerzfrei hält, nicht mit Spritzen, weil sie sonst zwar schmerzfrei sind, aber nicht mehr klar denken können. Wenn sie also klar denken können und schmerzfrei sind und es einfach körperlich so bequem haben, wie es menschenmöglich ist, dann erst arbeitet man am emotionellen Quadranten. Und dann hören Sie, was die Kranken Ihnen sagen. Dann hören Sie, wenn jemand sich mal ausweinen muss. Und wenn Sie selbst viele Tränen hinuntergeschluckt haben und mit Ihren eigenen Tränen nicht fertig werden, können Sie es eben nicht ertragen. Aber Sie können auch dem Menschen helfen, einfach mal seine Tränen rauszulassen. Dann haben Sie nicht das Bedürfnis zu sagen: »Du musst nicht weinen. Es wird schon alles gut.« Es wird eben nicht alles gut.

Das heißt, eine solche Hilfe schließt den Schmerz auf beiden Seiten nicht aus.

Nein, im Gegenteil. Sie haben ganz viel Verständnis für den Schmerz des Mitmenschen. Aber der Schmerz der Mitmenschen tut Ihnen nicht weh, weil Sie keine unerledigten Geschäfte mehr haben. Sie können ja nur Ihre eigenen Tränen weinen. Die Leute sagen zwar: »Ich weine für ihn«. Aber das stimmt nicht. Man weint nicht für andere. Man weint seine eigenen Tränen. Junge Krankenschwestern weinen ja sehr, sehr viel. Denen muss man helfen, ihre unerledigten Tränen herauszulassen, und dann werden wundervolle Schwestern aus ihnen, die nicht mitweinen müssen, wenn ein Kranker mal weint.

Wenn Sie sagen, es sind immer die eigenen Tränen, die man weint, heißt das, dass man sich selber in einen Zustand bringen kann, in dem man da sein kann, helfen kann, ohne vom Schmerz des Vorgangs überwältigt zu werden?

Ja, das ist der ganze Zweck dieser Ausbildung: dass man seine eigenen Tränen weint und seine eigene Wut rauslässt, dass man wirklich ohne unerledigte Geschäfte ist. Erst dann sind Sie bereit für solche Sterbehilfe.

Sie haben jetzt oft das Wort ›unerledigtes Geschäft‹, gebraucht. Können Sie erläutern, was damit gemeint ist, wenn man es projiziert auf ein bestimmtes Leben?

Wenn man Kinder so erziehen würde, dass sie alle ihre natürlichen Emotionen rauslassen könnten, ohne dass es zu einem Riesenvulkan oder Riesenberg käme, dann hätten sie keine Probleme im Leben. Sie hätten auch keine Angst vor dem Leben und vor dem Sterben. Aber wir erziehen Kinder so, dass man nicht weinen darf. Wenn ein Kind großgezogen wird mit den Worten: »Wenn du nicht aufhörst zu heulen, geb’ ich dir was zu weinen«, schreckt das die Kinder ab, und sie werden zu einem Topf ungeweinter Tränen. Dann gehen sie ins Kino und weinen, gehen ins Krankenzimmer und weinen. Und dann kommt auch die Scham dazu, dass ein erwachsener Mensch, speziell ein Mann, nicht weinen sollte. Die Jungen haben es in dieser Beziehung viel schwieriger als die Mädchen. Oder wenn ein Kind mal »nein« sagt, weil es einfach seine eigene innere Autorität gebrauchen will, jedoch die Mutter entgegnet: »Du bist ein böser Bub.« Immer, wenn er »nein« sagen will, sagt man, er sei bös. Dann identifiziert man Neinsagen mit böse sein. Und das gibt dann so Weichlinge, die immer »ja« sagen, aber mit innerem Hass groß werden.

Das sind die Leute, von denen ich sage, die haben einen Hitler in sich. Die müssen es einfach rauslassen, zu ihrer eigenen inneren Autorität Zutrauen haben. Dann kommen auch die Selbstliebe und das Selbstvertrauen. Aber wenn man nie »nein« sagen darf als Kind und eine Ohrfeige bekommt oder einen Klaps auf den Hintern oder sogar mit der Peitsche oder dem Gürtel – das gibt es ja noch oft in Europa, dass Kinder derart geschlagen werden –, dann können sich solche Kinder nicht natürlich entfalten. Und später im Leben können sie auch nie »nein« sagen.

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