Kitabı oku: «Esta Sola. Sind Sie allein?», sayfa 5

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El Calafate

Mit dem Bus bin ich in drei Stunden von El Chalten in El Calafate. Der Ort liegt auch noch im Nationalpark Los Glaciares und ist Ausgangspunkt für Touren zum weltberühmten großen Gletscher Perito Moreno, sicher einem der Höhepunkte Patagoniens. Und deswegen gibt es auch hier viele Touristen. Der Ort lebt heute praktisch nur vom Tourismus.

Calafate ist der Name eines in Patagonien häufig anzutreffenden Strauchgewächses mit gelben Blüten und dunkelblauen Beeren, gut für Marmelade und Likör.

Mein Hostel ist schön, gemütlich und nachdem ich meine Hose ausgewaschen habe, mache ich eine erste Wanderung zur Laguna Nimez.

Der Weg führt einen Kilometer am Ufer des Lago Argentino direkt in dieses Landschaftsschutzgebiet für einheimische Vögel. Es ist eingegrenzt und wird bewacht. Auf einem fünf Kilometer langen Rundweg kann ich neben der einheimischen Flora die Vögel ganz nah beobachten: Enten, Schwarzhalsschwäne, Flamingos, Singvögel, Falken und viele andere. Eine wunderbare Ruhe hier. Die ist für mich vorbei, als ich beobachte, wie sich ein großer Hund vom Strand her durch den Zaun gräbt und in den Lagunen die Flamingos jagt. Ich bin empört. Als ich das später dem Ranger melde, erzählt er, dass das ein großes Problem ist. Da gibt es so viele frei lebende Hunde, die haben Hunger und jagen dann die Vögel. Man versucht, die Hunde zu verjagen, aber das gelingt nicht immer.

Abends treffe ich im Hostel eine Kanadierin, 32 Jahre alt, und wir erzählen. Sie ist seit zweieinhalb Jahren allein in der Welt unterwegs, überall. Vor Südamerika war sie in Afrika. An Aufhören denkt sie nicht. Ich kann das gut verstehen. Ich glaube, es muss fantastisch sein. Mal sehen, wie lange ich das noch so sehe. Vielleicht für immer?

Sie hat nirgends Probleme gehabt, ist nirgends überfallen oder ausgeraubt worden. Ich glaube inzwischen, die einzige Gefahr ist, dass man krank wird. Dann sieht es schlecht aus mit dem Reisen. Aber das macht nur älteren Leuten Sorge.

Wir reden über Fremdheit. Was ist das, wer ist fremd. Warum zieht das Fremde manche Menschen so an und anderen macht es Angst. Einige sind immer wieder neugierig auf neues Fremdes, andere macht es aggressiv. Es kann sogar, wie bei uns beiden, eine Sehnsucht danach geben.

Fremd ist doch, wenn etwas noch nicht vertraut ist, anders, als wir es kennen und natürlich damit auch unberechenbar. Wir haben dann keine Erfahrung damit und wissen nicht, ob es vielleicht auch eine Gefahr ist.

Aber Fremdes fordert uns, neue Erfahrungen zu machen. Und das bietet uns die Chance, uns zu entwickeln.

Wir kommen zu dem Ergebnis, dass ein progressiver Umgang mit dem Fremden etwas Wunderbares ist. Das heißt zunächst einmal, dass wir klar sehen, akzeptieren und es auch aussprechen, dass das Fremde wirklich fremd ist. So können wir staunen über dieses Andersartige. Und die Akzeptanz schützt uns doch davor, es zu erobern, es zu integrieren, es zu rauben. Das ist das Gegenteil von dem, was die Kolonialisten getan haben.

Mit einem progressiven Umgang haben wir beide auf unseren Reisen gute Erfahrungen gemacht und das hat uns die Welt eröffnet. Ich meine damit, dass ich in Begegnungen mit den Menschen oft sehr bald klar gestellt habe, dass mir ihr Leben, ihre Sitten, alles einfach fremd ist. Ich glaube, damit haben sie sich akzeptiert gefühlt, waren oft stolz und haben mir alles erklärt und gezeigt. Niemals bin ich eine von ihnen, ich bin ganz anders und wenn ich das sage, öffnet es Herzen und lässt jeden so sein, wie er ist. Das fördert Neugier, Interesse und nicht Neid oder Vergleiche.

Schon im ersten Kontakt mit einem Menschen hier habe ich die gegenseitige Fremdheit oft thematisiert.

Ich bin anders, ich bin Tourist und ich spreche nicht gut spanisch. Das kann der Boden für wunderbare Freundschaften sein. Wenn man dann noch ein Lächeln hinzufügt, kommt man immer weiter, findet man immer Kontakt (fast immer).

Wenn ich abends durch El Calafate gehe, muss ich über die Hunde schmunzeln. Es gibt hier sehr viele und vor allem auch so viele große Hunde. Sie liegen oft mitten im Eingang zu den Grillrestaurants. Von drinnen kommen gute Fleischgerüche. Und was machen die Touristen, die rein wollen? Wie selbstverständlich klettern sie über die Hunde, die nicht mal ein Ohr heben. Oder sie liegen auch quer über dem Bürgersteig und alle Touristen steigen drüber, als wäre es das Normalste der Welt. Wo viele Touristen sind, fällt oft auch für freie Hunde einiges ab.

Bevor ich den großen Perito Moreno besuche, gehe ich erst einmal ins Museum Glaciarium, ins Gletschermuseum, um mich zu informieren. Die Idee ist gut, da es den ganzen Tag stark regnet und außerdem tut mir das Knie weh. Ich lerne, was ein Gletscher ist: eine aus Schnee hervorgegangene Eismasse mit einem klar definierten Einzugsgebiet, die sich aufgrund von Hangneigung, Struktur des Eises, Temperatur und der aus der Masse des Eises und den anderen Faktoren hervorgehenden Schubspannung eigenständig bewegt. In diesem Museum kann man alles über Gletscher erfahren und auch über Gletscherschmelze und Klimawandel.

Zum Perito Moreno fahre ich mit dem Bus. Dieser Gletscher ist etwa 18.000 Jahre alt und einer der wenigen auf der Welt, die noch wachsen. Er gehört zum UNESCO-Weltnaturerbe und erstreckt sich über 250 Quadratkilometer, ist 30 Kilometer lang und drei Kilometer breit. Er ist eines der spektakulärsten Naturwunder in Südamerika. Die Eismassen schieben sich in den Lago Argentino.

Zunächst steige ich in ein Schiff und wir fahren zu der gewaltigen Eiswand, bleiben aber in gebührendem Abstand. Von hier aus kann man unglaubliche Fotos machen.

In unregelmäßigen Abständen brechen gewaltige Eisstücke von der Kante ab und krachen mit lautem Getöse ins Wasser. Kalben nennt man das. Die Farben des Eises schimmern in so vielen Blautönen und Weiß und Türkis, wie ich es kaum glauben kann, dass es das überhaupt gibt.

Nach der Bootsfahrt laufe ich auf einer Aussichtsplattform die ganze Breite des Gletschers ab. Man sieht hier ein Reisevolk in Funktionskleidung, wie in ganz Patagonien. Alle tragen – freiwillig – die gleichen Hosen, Hemden, Jacken, Schuhe, Marken, keine Individualität. Die Uniform der Reichen, eine teure Ausrüstung.

Ich kann keine Funktionsklamotten mehr sehen, obwohl sie sicherlich hoch funktional sind.

Backpacker treffe ich kaum. Wo sind sie? Ist es zu teuer hier?

Der Perito Moreno ist nicht der einzige Gletscher.

Am Folgetag habe ich mich für eine fünfstündige Schifffahrt auf dem Lago Argentino angemeldet, um einmal die abgebrochenen, zum Teil riesigen Eisstücke, Eisberge, im Wasser schwimmend, zu bewundern und an die anderen Gletscher heranzufahren.

Der Glaciar Spegazzini ist mit 130 Meter über dem See höher als der Perito Moreno.

Der Upsala-Gletscher ist der größte Gletscher von Südamerika und bedeckt ein Gebiet von 870 Quadratkilometern. Er ist 60 Kilometer lang und 70 Meter hoch. Große Eisberge treiben vor einer Gletscherzunge und verhindern ein nahes Herankommen. Diese Eisberge sind für Schiffe nicht ungefährlich.

Die Bilder dieser Eisriesen werde ich nicht mehr vergessen.

Wir sind ein Nichts gegenüber diesen Naturphänomenen. Wenn wir das doch endlich begreifen und unsere Welt mit dem gehörigen Respekt behandeln würden.

Ushuaia

Ushuaia ist der südlichste Ort in Patagonien, windgepeitscht, Hauptstadt des argentinischen Teils von Feuerland. Die Stadt wirkt auf den ersten Blick vergammelt. Es ist stürmisch, neblig, regnerisch. Der Müll wird vom Wind verteilt. Im Ant­arc­tica Hostel habe ich ein großes Zimmer ohne Bad. Das Beste ist die Katze. Wenn unten im relativ gemütlichen gro­ßen Gemeinschaftsraum die Traveller auf den Sofas räkeln und chillen, dann kann es die Katze am besten und immer in der gemütlichsten Ecke.

Abends trinke ich ein Kap Hoorn-Bier im Hostel, sehr teuer. Man zahlt wohl den Namen. Ich glaube, es schmeckt wie Kap Hoorn, wie auch immer das schmecken mag. Dafür löse ich mir das schöne Etikett ab und nehme es als Erinnerung mit.

Das Frühstück im Hostel isst man aus Plastikgeschirr, wie im Kindergarten. Ich denke, wenn sich die jungen Leute entsprechend benehmen, muss es eben Plastik sein. Sogar den Kaffee gibt es in Plastikbechern. Schmeckt schrecklich.

Ich habe eine kleine Stadttour gemacht und bin dann zum Glaciar Martial gewandert, einem 1.300 Meter hohen schneebedeckten Gletscher mit einer spektakulären Aussicht auf die Stadt und den Beagle-Kanal. Der Aufstieg und zurück dauert etwa sechs Stunden von Ushuaia aus. Es ist sehr kalt dort. Ich habe vorsichtshalber mal alles angezogen, was ich so mithabe, und das war eine gute Idee.

Eine 9-stündige Schiffstour den Beagle-Kanal entlang führt mich zum Ursprung meiner Sehnsucht. Kap Hoorn ist der Ort meines Fernwehs nach Südamerika. Der Beagle-Kanal liegt südlicher als die Magellan-Straße. Ich habe das immer verwechselt. Beide verbinden den Atlantik mit dem Pazifik. 1831 hat der britische Marineoffizier Robert FitzRoy diese Wasserstraße mit seinem Forschungsschiff HMS Beagle entdeckt. Der Kanal trennt Feuerland von den südlich gelegenen Inseln Navarino, Hoste und Gordon. Am Nordufer liegt in Argentinien die Stadt Ushuaia. Östlich davon wurde am Südufer des Kanals auf der Insel Navarino die chilenische Militärsiedlung Puerto Williams errichtet. Die Magellan-Straße hingegen, weiter nördlich, ist eine Meerenge mit zahlreichen Seitenarmen zwischen dem Festland und südlichen Inseln, vornehmlich der Insel Feuerland. 1520 hatte Fernando Magellan diese Durchfahrt nach Westen gefunden. Früher eine bedeutende Handelsroute, ist sie jetzt ein Naturparadies. Sie machte als Verbindung beider Ozeane die gefährliche Fahrt um das häufig von Stürmen umtoste Kap Hoorn überflüssig. Mit der Eröffnung des Panamakanals im Jahr 1914 verlor der Seeweg seine Bedeutung für die Schifffahrt.

Der holländische Kapitän Wilhelm Cornelisz Schouten umsegelte 1616 das erste Mal Kap Hoorn. Nach seinem Heimatort Hoorn wurde es benannt. Man sagt auch Kap des Schreckens und dass es der größte Schiffsfriedhof der Welt sei. Bestimmt achthundert Schiffswracks liegen am Grunde des Meeres. Die Gefahr entsteht durch das Aufeinandertreffen von Pazifik und Atlantik mit den dadurch ausgelösten Strömungen und Wirbeln und den Stürmen. Eine Wettervorhersage ist nicht möglich, weil sich das innerhalb weniger Minuten radikal verändern kann. Auch das macht es so gefährlich.

Mein Großvater war ein alter Kap Hoornier. Das ist ein Seemann, der auf einem Frachtsegler das Kap Hoorn umrundete.

Ein Leben lang hat er von seinen vielen Reisen erzählt. Außer mir hat sich keines der sechs Enkelkinder so richtig für seine Erzählungen erwärmen können, auch der Rest der Familie nicht. Meine Oma hat immer gelästert, er würde Seemannsgarn spinnen. Das hat sie besonders dann behauptet, wenn er geschwärmt hat von den vielen exotischen Frauen, die er zum Beispiel in Asien getroffen hat. Allerdings hat er auch mit zunehmendem Alter immer wieder die gleichen Geschichten erzählt. Die anderen konnten es nicht mehr hören und haben nur noch gestöhnt. Ich aber saß zu seinen Füßen und wollte diese Abenteuer immer wieder hören. Und im Laufe der Zeit ist in mir der Wunsch gewachsen, einmal nach Kap Hoorn zu reisen. Es waren seine Schilderungen von Abenteuer, Sturm, riesigen Wellen, von den Walen, die er gesehen hat, und von der Landschaft Argentiniens und Chiles, von den Bergen vor allem.

Mit meiner Tour auf dem Beagle-Kanal komme ich bis 100 Kilometer an Kap Hoorn heran. Eigentlich habe ich eine Umrundung geplant, aber das wäre nur im Rahmen einer teuren Kreuzfahrt möglich gewesen. Ich hasse Kreuzfahrten. Und dann kann man dort nur an Land gehen, wenn es das Wetter zulässt, was eher selten der Fall ist. Auch ist es wohl so, dass die Bedeutung von Kap Hoorn eher eine historische ist und der Ort selbst völlig unattraktiv und unwirtlich. Es reicht mir auch, 100 Kilometer an diesen für mich so besonders bedeutungsvollen Ort heranzukommen.

Das ist ein großartiger Moment, auf den ich seit meiner Kindheit gewartet habe und den ich herbeigesehnt habe, ein Traum von mir. Und es ist so faszinierend hier. Diese Fahrt übertrifft alle meine Vorstellungen. Das Wetter spielt mit. Es ist warm, die Sonne scheint und der Beagle-Kanal ist voller Überraschungen. Nicht nur die Berge, das Wasser und diese grandiosen Wolkenformationen sind es, nein, auch so viele Tiere: Kormorane, Königspinguine, Seelöwen, Robben.

Wir besuchen eine Pinguinkolonie und sehen den Leuchtturm am Ende der Welt.

Eine längere Pause gibt es auf dieser Fahrt für die Besichtigung der Estancia Harberton, der südlichsten Farm der Welt, die man gut mit dem Schiff erreichen kann. Bei einer Führung über das Farmgelände erfahre ich viel über die Farm und das Leben der frühen Siedler hier. Dies ist die älteste Farm in Patagonien. Sie wurde 1886 von dem englischen Missionar Thomas Bridges gegründet und nach Harberton benannt, dem Haus seiner Frau Mary Ann Varder in Devon, England. Bridges schrieb ein Wörterbuch der Yahgan-Sprache, der Ureinwohner Feuerlands.

Die entlegene Gegend rund um Ushuaia war bis weit in das 19. Jahrhundert hinein indianisches Territorium. Die auf dem Wasser lebenden Yahgan (oder Yámana) und das zu den Patagoniern gehörende Jägervolk Selk’nam (oder Ona) kämpften lange Zeit um die Vorherrschaft in diesem Gebiet. Später hatten Kirchenmissionen zunächst die Absicht, die indianische Urbevölkerung zu christianisieren und vor den Übergriffen der weißen Siedler zu schützen, jedoch führten von europäischen Immigranten eingeschleppte Krankheiten und eine rigorose Verdrängungspolitik schließlich dazu, dass 1910 die indianische Urbevölkerung fast ausgerottet war.

Die Farm wird heute noch von den Nachfahren Bridges geführt. Sie leben hauptsächlich vom Tourismus. Auf dem wunderschönen großen Gelände unmittelbar am Beagle-Kanal besichtigen wir das Gehöft mit Wohnhaus, Park und Schuppen, wo früher die Schafe geschoren wurden. Schafzucht wird heute nicht mehr betrieben. Es gibt ein Bootshaus, einen eigenen Friedhof und das Museum: Museo Acatushún de Aves und Mamíferos Marinos Australes. Hier werden die Meeressäuger und Vögel der Region gezeigt.

Dieser Tag ist ein unvergessliches Erlebnis.

Ich habe mir meinen Kindheitstraum erfüllt und eine gute Vorstellung davon, welche Landschaft, welches Klima und vor allem was für ein Meer meinen Großvater damals so fasziniert haben. Dies ist ein schöner Ort zum Auswandern, denke ich auf der Rückfahrt.

Am nächsten Tag regnet es. Da sieht die Stadt noch gammeliger aus. Scheinbar gibt es keine Müllabfuhr. Wenn aber ein Kreuzfahrtschiff kommt, dann ist alles anders. Der Müll wird weggeräumt, die Straßen werden geputzt und alles, aber auch alles wird doppelt so teuer. Kaum hat das Kreuzfahrtschiff wieder abgelegt, kann man den Kaffee an der Ecke wieder für den halben Preis trinken.

Von Ushuaia starten die Kreuzfahrten in die Antarktis. Ein Argentinier sagt mir, dies ist die einzige Stadt der Welt, für die keine Wettervorhersage möglich ist, weil das Wetter immer rasch wechselt und extreme Veränderungen innerhalb eines Tages aufweist. Wie ich später lerne, gilt dies für fast ganz Südamerika. Nach relativ kurzer Zeit habe ich es aufgegeben, in irgendeinen Wetterbericht zu schauen oder immer wieder die Antwort der Einheimischen zu hören: Es gibt kein Wetter.

Also gehe ich ins Museum der Stadt. Hier wird die Geschichte der Strafkolonie Ushuaia dargestellt. Das Museum ist im früheren Gefängnis, der südlichsten Strafanstalt der Welt untergebracht, die1904 eingerichtet wurde und in dem auch politische Gefangene inhaftiert waren. Es ist so interessant, dass ich nach einer Mittagspause noch einmal wiederkomme. Es ist nicht nur das Gefängnis, das beeindruckt, auch die umfangreiche Ausstellung gibt einen guten Überblick und detaillierte Informationen über Patagonien. Zwei Gebäudeflügel zeigen die Geschichte der Inhaftierungen. Ein Flügel wurde so belassen, wie er war, und zeigt den Besuchern die unmenschlichen Lebensbedingungen und beengten Räume, in denen 800 Gefangene in 360 Zellen lebten. Das ist gruselig. Der zweite Flügel des Gefängnismuseums beherbergt unter anderem dann die Geschichten über die Vergangenheit der Insassen.

Ich habe mich mit einem italienischen Radler unterhalten, der sich hier einen Lebenstraum erfüllt, nämlich mit dem Fahrrad Argentinien und Chile zu durchqueren. Patagonien bei Wind und Kälte. Man muss es mögen. Aber das tun offensichtlich viele Fahrradfahrer, denn man sieht sie immer wieder vom Bus aus die weiten einsamen Straßen entlang radeln.

Abends kochen wir zusammen Spaghetti mit Avocado, Knoblauch, Olivenöl und Parmesankäse. Schmeckt köstlich. Die Italiener können es eben.

Für den letzten Tag habe ich eine Tour in den Nationalpark Terra del Fuego (Feuerland) gebucht. Als Magellan die Magellan-Straße entdeckte, sah er an Land die vielen Feuer der Indianer. So gab er diesem Land den Namen Feuerland.

Es ist der südlichste Nationalpark Argentiniens. Das 630 km² große Schutzgebiet befindet sich im Südosten, 18 km von der Stadt Ushuaia entfernt. Der Park wurde 1960 mit dem Hauptziel gegründet, die südlichsten subantarktischen Wälder zu schützen. Es ist kalt. Der Park ist schön, wie in den Reiseführern beschrieben, aber der Nieselregen verdirbt es etwas.

Am nächsten Tag verlasse ich erst einmal Argentinien und fahre mit dem Bus elf Stunden nach Punta Arenas in Chile.

Chile

Punta Arenas,

Puerto Natales

Die Busfahrt von Argentinien nach Chile, von Ushuaia nach Punta Arenas führt durch scheinbar unendliche Weiten. Schafe, Guanakos und Nandus (Straußenvögel) kann ich vom Busfenster aus beobachten. Ein kleines Stück, die Enge der Magellan-Straße bei Punta Delgada, muss der Bus mit der Fähre übersetzen. Eine willkommene Abwechslung auf der langen Fahrt.

Der Grenzübertritt ist problemlos. Drei Monate Touristenvisum werden in den Pass gestempelt.

Chile ist anders.

Die besten Meeresfrüchte, die besten frischen Fischspezialitäten und die besten Fischsuppen gibt es in Chile.

Immer wieder versuchen sie Touristen übers Ohr zu hauen, zum Beispiel mit dem Trinkgeld. Sie ziehen es einfach ein. Sie müssten fragen. Das Gleiche mit Steuern in Hotels – Touristen müssen diese nämlich nicht immer bezahlen oder mit Provisionen für booking.com, die die Gäste niemals bezahlen, sondern immer der Vermieter. Aber sie versuchen es immer wieder. Das nervt mich.

Auch die Korruption. Nun ja, die gibt es bei uns auch, aber nicht in dem Ausmaß und hier scheint sie manchem in die Wiege gelegt zu sein. Sie ist hier eigentlich ein Teil der Kultur und wer meint, da müsse nur der richtige Machthaber kommen, der sagt, dass schaffen wir ab, der hat eigentlich nichts von diesen Ländern verstanden.

Punta Arenas ist schön und liegt auch an der Magellan-Straße. Auf dem Friedhof gibt es viele deutsche Gräber aus dem 1. Weltkrieg. Anhand der Gräber kann man erkennen, von woher die Einwanderer gekommen sind. Neben den Deutschen gibt es Kroaten, Russen, Juden und Schweizer. All diese Menschen haben das Stadtbild mitgeprägt. Gegründet wurde die Stadt als Strafgefangenenkolonie und Militärstützpunkt. Vor Eröffnung des Panamakanals fungierte der Hafen als wichtiger Umschlagplatz für Güter aus und nach Europa und die Ostküste Südamerikas.

Die Schafzucht brachte einen ökologischen Aufschwung, dessen Auswirkungen zum Beispiel in Form von alten Prunkbauten heute noch sichtbar sind. Die Schere zwischen arm und reich klafft aber weit auseinander. In den Sommermonaten kommen Touristen aus Europa und den USA und bringen Geld in die Stadt. Auch Punta Arenas ist, wie ganz Patagonien, ein Schmelztiegel der Nationen.

Ich bin nur zwei Nächte hier, weil ich in ein paar Tagen eine Schiffsfahrt von Puerto Natales nach Puerto Montt gebucht habe. Darauf freue ich mich wahnsinnig. Man musste das im Voraus buchen, weil es sehr beliebt ist und auch schnell ausverkauft.

Von Punta Arenas geht es weiter, dreieinhalb Stunden mit dem Bus nach Puerto Natales, eine Hafenstadt, von der man mit der Fähre Navimag fünf Tage lang durch die Fjorde und Inselketten bis nach Puerto Montt schippern kann. Das soll eine Traumreise sein und dafür habe ich ein Ticket.

Puerto Natales ist ein Ausgangspunkt für Touren in den Nationalpark Torres del Paine – mit seiner faszinierenden Landschaft: Seen, Wasserfälle, Bergmassive, Gletscher, Täler und Naturschauspiele wie blutrote Sonnenaufgänge vor den Torres del Paine. Das sind drei zwischen 2.600 und 2.850 Metern hohe mit Schneekuppen bedeckte Granitberge. Außerdem findet sich hier eine einmalige Tier- und Pflanzenwelt. Alles spektakulärer, als jeder Film es zeigen könnte. Dies ist eines der attraktivsten Touristenziele in Patagonien. Viele Backpacker unternehmen Trekkingtouren mit Zelten.

Ich wohne unbeabsichtigt wieder bei den Zeugen Jehovas, wie ich erfahre, und habe ein großes, selbstverständlich super sauberes Zimmer.

Sie betreiben kleine Hostels, aber auch Hotels in ganz Südamerika. Sie sind immer sehr freundlich, fürsorglich, auch vielleicht ein bisschen kontrollierend, aber die Zimmer sind die saubersten, die ich je gesehen habe.

Mir ist das angenehm, zumal ich mich sehr sicher bei ihnen fühle. Es hat etwas Familiäres. Nun gut, es gibt immer eine Bibel und evtl. auch Bibelsprüche zum Frühstück, mehr aber nicht. In den Gesprächen ist ihre Religion niemals Thema. Ich kann diese Unterkünfte wirklich empfehlen.

Den Rest des Tages verbringe ich mit einem Stadtbummel.

In den Buchläden wird „Mein Kampf“ verkauft. Viele haben mich schon auf Hitler angesprochen, wenn sie hören, dass ich aus Deutschland komme. Das finde ich sehr unangenehm. Da ist so viel Bewunderung und wenn man sich auf einen Dialog einlässt, dringt man nicht wirklich durch mit Gegenargumenten.

Ein Großteil der Bevölkerung sind Einwanderer aus Deutschland, Irland, Jugoslawien, Italien und anderen Ländern. Man kann das oftmals an dem Bau der Häuser erkennen.

Abends trinke ich ein Bier in einer gemütlichen Kneipe. Alkohol ist teurer als bei uns. Alkoholiker sieht man gar nicht auf der Straße. Wahrscheinlich können es sich die Leute nicht leisten – auch gut so.

In der Kneipe spielen sie Youtube-Videos auf einer großen Leinwand ab. Plötzlich tauchen Hitler-Videos auf. Sie dienen wohl der Unterhaltung oder Bewunderung, als ob es das Normalste der Welt ist. Das kann ich zunächst mal schwer einordnen und es macht mir dieses Land spontan gefühlsmäßig unsympathisch.

Für den nächsten Tag habe ich eine Ganztagestour in den Nationalpark Torres del Paine gebucht. Es sind 30 Grad und man hat immer die schneebedeckten Berggipfel vor Augen.

Im Bus sitzt ein junger Chinese, er ist sehr nett und spricht fließend englisch. Er erzählt eine Menge. Er hat eine kritische Einstellung gegenüber seinem eigenen Land und reist seit vier Jahren durch die Welt. Geld spielt bei ihm keine Rolle. Trotzdem reist er sehr einfach mit Rucksack. Sein Problem ist allerdings, dass er nicht aufhören kann, wie er sagt, und darunter leidet er tatsächlich. Er mag sein Land nicht und weiß nicht wohin. Er fühlt sich richtig heimatlos.

Torres del Paine ist einer der bekanntesten Nationalparks in Chile und wurde 1978 zum Biosphärenreservat der UNESCO erklärt. Seine Ausdehnung beträgt 2.420 km², bis zu 3.000 Meter hohe Berge, Gletscher, Fjorde und große Seen prägen das Landschaftsbild.

Die „Torres del Paine“ sind das Wahrzeichen des Parks. Viele andere Berge sind Gletscher. Der bekannteste ist der Grey-Gletscher. Auf einer Bootsfahrt erfahre ich, wie viel und wie schnell dieser Gletscher durch den Klimawandel, die Erderwärmung verschwindet. Ein Verlust riesiger Eismengen jedes Jahr. Die Folgen des Klimawandels lassen sich überhaupt in Patagonien gut erkennen und messen.

Im Park leben Guanakos, Nandus (Straußenvögel) und Anden-Kondore.

Auch dieser Tagesausflug bleibt ein unvergessliches Erlebnis.

Als ich abends zurückkomme, merke ich, dass sich ein Stich eines unbekannten Insektes an meinem rechten Zeigefinger schwer entzündet hat. Es war mir gestern schon eine Rötung aufgefallen, aber jetzt ist der Finger dick angeschwollen, heiß, rot, blutunterlaufen und sehr schmerzhaft. Was tun? Wenn ich morgen Abend für fünf Tage auf das Schiff gehe, werde ich keinerlei ärztliche Versorgung haben. Das macht mir Angst und ich beschließe kurzerhand, am nächsten Morgen in das Krankenhaus, in die Ambulanz von Puerto Natales zu gehen. Ich habe keinerlei Idee, was für ein Tier mich gestochen haben könnte. Die bekannten Genossen wie Moskito, Floh oder Wanze kenne ich inzwischen. Einer von ihnen war es nicht.

Ich bin total erstaunt über dieses kleine Krankenhaus: neu, sauber, ein super freundlicher Arzt und eine gute Beratung. Ich muss auch gar nicht warten und zahle 25 Dollar und das Antibiotikum, das ich mir dann in der Apotheke kaufe. Das hätte ich nicht gedacht, das ist mindestens so gut wie bei uns und sicher billiger. Das Antibiotikum hilft rasch und ich bin zufrieden.

Aus den Nachrichten erfahre ich, dass die ganze Region der Atacama-Wüste und auch San Pedro de Atacama wegen massiver Überschwemmungen gesperrt sind, ebenso Arica ganz im Norden Chiles. Dort hat es noch nie so viel geregnet. Die Straßen sind nicht befahrbar. Ich möchte ja vom Süden ganz in den Norden nach Chile. Mal sehen, ob das klappt.

Türler ve etiketler

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9783963081545
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