Kitabı oku: «10 Dinge, die autistische Kinder ihren Eltern sagen möchten», sayfa 2
Vorwort der Autorin
Als im Jahre 2004 mein Artikel Ten Things Every Child with Autism Wishes You Knew in der Zeitschrift Children’s Voice erschien, war ich völlig überrascht über die Reaktion der Leser*innen. Ich bekam viele Zuschriften, in denen sie mir mitteilten, dass der Artikel ein Muss sei für alle im sozialen Sektor Tätigen, für Lehrkräfte, Therapeut*innen und Angehörige autistischer Kinder. Eine Mutter schrieb: „Genau das würde meine Tochter sagen, wenn sie könnte.“ „Jedes Wort und jeder Satz ist voller Weisheiten“, schrieb eine andere. Der Artikel verbreitete sich im Internet, rund um die Welt, über die Kontinente hinweg (mit Ausnahme der Antarktis).
Angesichts des riesigen Interesses und der Verschiedenheit der Gruppen, die ihn bedeutsam fanden, fühlte ich mich richtig klein. Es waren hunderte Autismus- und Asperger-Gruppen darunter, aber auch Selbsthilfegruppen für Homeschooling, chronisch Schmerzkranke, Übergewichtige oder Innenohrgeschädigte. Auch Religionslehrer*innen, Strickkreise, Lebensmittelhändler*innen, Assistenzhundeschulen waren dabei. „Ich habe das starke Gefühl, dass Ihre Botschaft sehr viele Menschen mit Behinderungen anspricht“, schrieb mir eine Sozialarbeiterin aus dem amerikanischen mittleren Westen.
Ten Things entwickelte schnell eine Eigendynamik. Warum war die Resonanz so groß? Ich kam zu dem Schluss, dass es daran lag, dass der Artikel aus der Sicht eines Kindes geschrieben war, eine Sichtweise, die bei dem zunehmenden medialen Interesse an Autismus weitgehend unterging. Ich begrüße den lebendigen und anregenden Dialog und finde ihn produktiv. Aber liegt nicht auch eine Ironie darin, dass denjenigen, über die diskutiert wird, oftmals die Fähigkeit, für sich selbst zu sprechen und einzutreten, fehlt? Ich hatte verschiedene Artikel mit ähnlichen Ansätzen gesehen: 10 Dinge, die Lehrer Eltern mitteilen möchten, was Lehrkräfte aus Sicht der Mütter wissen müssen, oder was Väter von autistischen Kindern wissen sollten. Als meine Lektorin, Veronica Zysk, mir einen dieser Artikel, in dem es um die Kommunikation zwischen Erwachsenen ging, vorlegte, habe ich sie gefragt, wer denn für das Kind spreche?
„Schreib den Artikel“, ermunterte mich Veronica.
Mein Sohn Bryce war vier Jahre alt, als die Diagnose bestätigt wurde. Ich schätzte mich glücklich, dass dank der engagierten Zusammenarbeit von Familienmitgliedern, Mitarbeiter*innen der Schule und Sozialarbeiter*innen seine Stimme Gehör fand. Ich wünschte mir sehr, dass dieser Erfolg die Regel und keine Ausnahme wäre. Dieser Wunsch inspirierte mich, den oben genannten Artikel und später die Originalausgabe dieses Buches zu schreiben.
Individuelle und kollektive Einstellungen zu Autismus formieren sich durch den Einfluss der Sprache, in der wir ihn definieren. Streitbare und provokante Bemerkungen und Ansichten, bewusst oder gedankenlos ausgesprochen, ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Wir können darauf reagieren, wir können daran verzweifeln, oder wir beschließen, sie zu ignorieren. Doch es ist das Geschwader der unter dem Radar fliegenden sprachlichen Feinheiten und Nuancen, das die Entwicklung einer gesunden Perspektive für ein autistisches Kind beeinträchtigt. In diesem Buch werde ich Sie wiederholt darum bitten, sich zu fragen, wie die Sprache über Autismus Ihre Einstellung beeinflusst. Das wird Ihnen helfen, Autismus aus einem neuen, Ihnen bisher unbekannten Blickwinkel zu betrachten. Einiges wird Ihnen nicht begegnen:
Sie werden das Wort ‚autism‘ nur kleingeschrieben vorfinden.5 Man verwendet auch keine großen Anfangsbuchstaben bei ‚breast cancer‘ (Brustkrebs), ‚diabetes‘ (Diabetes), ‚glaucoma‘ (Glaukom), ‚anorexia‘ (Anorexie), ‚depression‘ (Depression) oder anderen Erkrankungen, die nicht auf einen Eigennamen zurückgehen, wie z. B. ‚Asperger’s‘ (Asperger-Syndrom). Wenn man ‚autism‘ mit großem Anfangsbuchstaben schreibt, suggeriert das eine Autorität und Macht, die fehl am Platze ist.
Sie werden auch folgende Wörter nicht lesen, wenn es um die Beschreibung eines autistischen Kindes geht: ‚leiden‘, ‚verfolgen‘, ‚perfekt‘, ‚pingelig‘, ‚Wutanfall‘, ‚schrullig‘, oder andere abwertende Wörter oder solche, die unrealistische, unbegründete oder unhaltbar hohe Erwartungen erzeugen.
Und auch das Wort ‚normal‘ verwende ich nur in Anführungszeichen. In der ersten Zeit nach der Diagnose unseres Sohnes bekamen wir ständig Fragen zu hören wie: „Glauben Sie, er wird irgendwann lernen, sich normal zu verhalten?“ Anfangs war ich von diesen Fragen wie vor den Kopf geschlagen, später fand ich sie nur noch anmaßend und hatte fast Mitleid mit denjenigen, die gefragt hatten. Ich lernte, die Frage mit einem Lächeln und Augenzwinkern zu beantworten und sagte: „Wenn es irgendwann mal so etwas gibt“, oder: „Nun, wir werden wohl nie wie beim Wäschetrockner auf einen Knopf drücken können, um ein Programm zu starten.“ Hin und wieder zitierte ich den kanadischen Songwriter Bruce Cockburn, der meinte, das Problem mit dem Normalen sei, dass es immer schlimmer wird.
„Was heißt eigentlich ‚normal‘?” ist mein Lieblingskapitel in dem Buch, das Veronica und ich später geschrieben haben.6 Darin antwortet eine Logopädin in der Mittelschule7 auf die besorgte Äußerung einer Mutter, dass ihr Sohn nur wenige Freundschaften geschlossen habe und ‚vielleicht nicht all die normalen Dinge machen kann, die Teenager wie wir gemacht haben‘:
„Als Ihr Sohn letztes Jahr zu mir gekommen ist“, sagt die Logopädin zu der Mutter, „waren seine sozialen Denkfähigkeiten so gut wie nicht vorhanden. Er verstand nicht, warum er den Leuten auf dem Flur ‚Hallo‘ sagen soll, er wusste nicht, wie man eine Frage stellt, um ein Gespräch am Laufen zu halten, oder wie man während der Mittagspause mit einem Gleichaltrigen ein Gespräch beginnt. Jetzt arbeitet er an diesen Dingen. Das ist ein großer Fortschritt.“
„Aber er hat nur zwei Freunde gefunden“
„Ich würde das anders formulieren: Er hat zwei Freunde gefunden! Der eine teilt sein Interesse an Modelleisenbahnen, der andere das am Laufen. Er weiß aber, wie Sie sich fühlen. Also werde ich Ihnen erzählen, was er mir neulich gesagt hat. Er sagte: ‚Ich will nicht viele Freunde. Ich kann nicht mit vielen Freunden umgehen. Mehr als einer zur gleichen Zeit überfordert mich. Aber mit diesen beiden Freunden kann ich über Dinge reden, die mich interessieren. Ich bin froh, dass ich sie habe.“
„Wenn Sie durch diese oder eine andere Schule laufen“, fährt die Logopädin fort, „werden Sie eine große Bandbreite an ‚normalem‘ Verhalten in der Mittelschule sehen. ‚Streberhaft‘ normal, sportlich normal, musikalisch normal, künstlerisch normal, technikaffin normal.
Kinder fühlen sich zu Gruppen hingezogen, in denen sie sich sicher fühlen. Fürs Erste hat Ihr Sohn seine Gruppe gefunden. Wir (Sie und ich) bewegen uns auf einem schmalen Grat: Wir müssen seine Entscheidungen respektieren und ihm gleichzeitig die Fähigkeiten beibringen, die er braucht, um sich wohlzufühlen und seine Grenzen zu erweitern.“
Ihr Kind hat viele verschiedene soziale Identitäten. Indem Sie alle und Ihr Kind somit auch als Ganzheit akzeptieren, definieren Sie Ihre Sicht auf das ‚Normale‘ neu und individuell.
Die zehn Aspekte, die ich in diesem Buch behandle, beschreiben mein Kind. Nicht alle lassen sich auf andere autistische Kinder übertragen. Einige der typischen Merkmale oder speziellen Bedürfnisse variieren. Sie sind bei jedem Kind anders und ändern sich im Tagesverlauf, von einem Tag auf den nächsten, im Laufe der Jahre. Zuweilen treten sie gleichzeitig auf oder sie manifestieren sich auf andere Art und Weise, wenn sich das soziale Umfeld oder die Örtlichkeiten ändern, sowohl was körperliche Reaktionen als auch die Interaktion mit anderen Menschen betrifft. Sie werden vielleicht bemerken, dass ich in diesem Buch manchmal bestimmte Punkte mehrfach beleuchte. Das liegt nicht daran, dass ich unbedacht etwas wiederhole oder meine Worte aufbauschen will, sondern ich habe erkannt, dass man oft etwas mehrfach hören muss oder dass man mehrere Erklärungen braucht, um etwas vollständig zu begreifen und zu verarbeiten. Wir müssen uns das selbst zugestehen, damit wir es genauso bei unseren Kindern handhaben können. Das ist ein wesentlicher Aspekt, wenn man den Bedürfnissen autistischer Kinder beim Lernen gerecht werden will. Es ist die Schwelle zu einer Welt der Wahlmöglichkeiten, für Sie und für Ihr Kind. Diese Welt ist viel größer, als Sie sich anfangs vielleicht vorstellen können.
Erziehung und Bildung, Therapie, Wachstum und Entwicklung (auch Ihre eigene), können die Begrenzungen, die durch die typischen Verhaltensweisen bedingt sind, aufheben. Und einige dieser Grenzen und typischen Verhaltensweisen können so modifiziert werden, dass sie letztlich als Stärken hervortreten. Später, wenn Sie das Buch ausgelesen haben, hat sich Ihre Sicht auf das Autismus-Spektrum und Ihr Kind möglicherweise verändert, Sie fühlen sich besser informiert und weniger machtlos als zuvor. Das hoffe ich jedenfalls.
Aber wozu überhaupt diese dritte, überarbeitete Auflage von Ten Things Every Child with Autism Wishes You Knew, wenn die erste und zweite Auflage Millionen von Leser*innen erreicht haben und die Resonanz so positiv war? Warum an etwas rühren, wenn es funktioniert? In seinem Buch und Film Journey of the Universe beschreibt der Evolutionsphilosoph Brian Thomas Swimme die Milchstraße. Sie sei nicht greifbar, nicht fassbar, sie fluktuiere. Und das trifft auch auf das Autismus-Spektrum zu. Man kann es mit einer in ständigem Wandel befindlichen Galaxie innerhalb des Weltalls vergleichen. Wir befinden uns in einem Kontinuum, zuweilen sausen wir herum, zuweilen bleiben wir stehen, aber jedes Teilchen – Kind, Elternteil, Lehrkraft, Geschwister, Großeltern, Freund*innen oder Fremde – hat seinen eigenen Platz in dieser (manchmal flüchtigen und schwer fassbaren) Ordnung. Mit der Zeit wechselt man den Platz.
Erfahrungen und Reifeprozesse verändern unsere Sichtweise. In den Jahren zwischen der ersten und zweiten Auflage von Ten Things hatte mein Sohn die Schule abgeschlossen und wurde erwachsen, was damit einherging, dass er den Führerschein machte, an Wahlen teilnehmen durfte, die oft irrationale Welt des Datings kennenlernte, das College besuchte und einen Arbeitsplatz fand. Nicht verwunderlich, dass sich damit auch meine Haltung zu Autismus veränderte. In diesen Jahren stieg die Zahl der Menschen, bei denen eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert wurde, weltweit kontinuierlich an. Wohl jede*r auf der Welt (abgesehen von denjenigen, die aus Zynismus einen Kult machen) war darüber verblüfft und beunruhigt. Durch meine eigenen Erfahrungen, aber auch angesichts derer anderer Menschen, die durch Ten Things in mein Leben getreten waren, änderte sich meine Position.
Autismus ist und bleibt ein komplexes Thema. Die zahlreichen autistischen Kinder, die, außer im Fall einer Katastrophe, zu autistischen Erwachsenen werden, die einen berechtigten und bedeutsamen Platz in der Gesellschaft beanspruchen, erfordern unsere Aufmerksamkeit, auch von denjenigen, die lieber ihr Gewissen und öffentliche Mittel nicht belasten möchten. Mit im Laufe der Jahre geschärftem Blick verteidigen wir unsere Kinder und treten für sie ein. Aber wir wurden einberufen, sie nicht nur zu verteidigen, sondern auch weiterzugeben, was sie zu sagen haben. Heutzutage müssen Eltern autistischer Kinder nicht nur Durchhaltevermögen, Neugier, Kreativität, Geduld, Zähigkeit und Diplomatie aufbringen, sondern auch den Mut, über den Horizont hinauszuschauen und Zukunftsträume zuzulassen.
Eltern eines autistischen Kindes zu zu sein erfordert den Mut, über den Horizont hinauszuschauen und Zukunftsträume zuzulassen.
In den Jahren, die auf die zweite Auflage von Ten Things folgten, explodierte das Thema Autismus regelrecht in den sozialen Medien. Das kann man kaum ignorieren. Diese Flut von Informationen und Thesen ist für die Eltern autistischer Kinder wie ein nicht endender Tsunami, ständig ändert sich etwas oder wird neu interpretiert. Es hat immer Scharlatane, gerissene Verkäufer und Hysteriker gegeben, aber heutzutage ist es viel schwieriger, sinnvolle Informationen von Clickbaiting8, Wahrheiten von Halbwahrheiten oder Lügengespinsten zu unterscheiden.
Nach wie vor haben wir aber nur 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Und mehr denn je wünschen und benötigen Eltern Informationen, die kurz und bündig und einfach zu verstehen und umzusetzen sind, insbesondere, wenn sie ihre (Autismus-)Reise erst beginnen. Deshalb habe ich beschlossen, Ten Things zu aktualisieren und zu optimieren. Ich habe mich auf das Grundlegende und das Wesentliche konzentriert und den Schwerpunkt auf den Aspekt gelegt, der für Sie eine Ihrer wichtigsten Kräfte darstellt: Sie haben eine Wahl! Und wie Sie diese Wahlmöglichkeit nutzen können, um die für ihr Kind besten Entscheidungen aus einem Spektrum von Alternativen und Möglichkeiten herauszufiltern, das von ‚keine Wahl‘ bis zu ‚eine überwältigende Anzahl an Wahlmöglichkeiten‘ reicht.
Somit bleibt sich die dritte Auflage von Ten Things im Kern treu, geht aber auch mit der Zeit. Die Kernaussage ist die zeitlose, Grenzen überschreitende und interkulturelle Natur der zehn Aussagen. Ich beschreibe an vielen Stellen, wie sich meine Sicht seit den ersten beiden Auflagen geändert hat. Fassen Sie das nicht so auf, dass ich mich damit brüsten will, dass Eltern in früheren Jahren im Vergleich zu heute es so viel schwerer hatten und Ihnen durch die Blume sagen will, dass Sie es heute ja so viel einfacher haben. Meine persönliche Meinung zählt nicht so viel, aber die Verschiebungen in der Sichtweise illustrieren lebhaft, wie sehr sich Dinge mit der Zeit verändern, wie sehr wir beeinflusst werden können – zum Guten wie zum Schlechten – wenn in der Technologie, Erziehung und Bildung und in der Medizin Fortschritt, Stagnation oder Versagen zu verzeichnen sind. Auch Ihre eigene Entwicklung und ‚Reise‘ durch das Spektrum und das Universum prägt Ihr inneres Sein und Ihre Sicht auf die Welt. In Anbetracht meiner Erfahrungen und Erkenntnisse hinsichtlich Autismus in den letzten 15 Jahren sehe ich keine einschneidenden Veränderungen in meiner Haltung. Aber zuweilen wird jemand meinen, einen plötzlichen Gesinnungswandel bei mir festzustellen.
Lassen Sie sich nicht einreden, dass eine veränderte Haltung, die sich auf neue Erfahrungen und Informationen gründet, einem ‚plötzlichen Gesinnungswandel‘ entspricht. Ganz im Gegenteil, es ist die Unfähigkeit oder der Unwille, flexibel zu denken – und das auch von anderen zu erwarten – eine Starrheit, die unsere Kinder verletzt und für unsere Gesellschaft nicht gut ist. (Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass es gerade diese Starrheit und eine nicht vorhandene gedankliche Flexibilität ist, die viele Menschen bei autistischen Kindern kritisieren und woran sie verzweifeln.) Wir können unseren grundlegenden Werten treu bleiben und dennoch einen Blick über den Horizont werfen und uns ein Wachstum der Seele erlauben. Und dazu sollten wir auch unsere Kinder ermutigen. Man nennt das Anpassung. Man nennt es Lernen, und wir werden hoffentlich weiser und integrer in unserer Sichtweise auf Autismus und die Herausforderungen, denen unsere Kinder begegnen. Bedenken Sie, dass mit dem Ausdruck ‚Survival of the Fittest‘, der auf Darwin zurückgeht, nicht die Stärksten oder die Klügsten oder die Glückspilze gemeint sind, sondern diejenigen, die sich am besten an eine neue Situation anpassen können.
Wer ergreift das Wort für das Kind? Es ist ziemlich vermessen, davon auszugehen, dass jeder von uns in den Kopf eines anderen Menschen sehen und das Wort für ihn ergreifen kann. Ich nehme dieses Risiko auf mich, weil ich es für unbedingt notwendig halte, zu verstehen, wie das autistische Kind die Welt erlebt. Es obliegt uns, die dem autistischen Kind eigenen Varianten im Denken, in der Kommunikation und in dem Umgang mit der Welt zu akzeptieren und sie wertzuschätzen. Dazu müssen wir seinen Gedanken und Gefühlen eine Stimme geben, auch wenn wir uns bewusst sind, dass diese Stimme nicht sprechen oder sich sonst wie artikulieren kann. Wenn wir das nicht tun, dann verkümmern die Potenziale des autistischen Kindes, bleiben für immer unentdeckt. Es liegt an uns, zu reagieren und zu handeln.
5Im Englischen werden Substantive anders als im Deutschen in der Regel nicht mit großen Anfangsbuchstaben geschrieben (Anm. d. Übers.).
61001 Great Ideas for Teaching and Raising Children with Autism and Asperger’s, deutsche Ausgabe: 1001 Ideen für den Alltag mit autistischen Kindern und Jugendlichen.
7In den USA folgt die ‚middle school‘ (Mittelschule) auf die ‚elementary school‘ (Grundschule) und umfasst die Klassenstufen 6 bis 8, zuweilen auch die Klassenstufen 5 oder 9. Auf die ‚middle school‘ folgt dann die ‚high school‘. Im weiteren Text werden die Begriffe ‚Mittelschule‘ und ‚Highschool‘ verwendet (Anm. d. Übers.).
8Clickbaiting (von engl. bait, der Köder) bzw. Klickköder, z. B. reißerische Überschriften (Anm. d. Übers.).
Der Anfang …
Als Mutter eines autistischen Kleinkindes habe ich schnell begriffen, dass an manchen Tagen das einzig Vorhersehbare die Unvorhersehbarkeit war, das einzig Stabile die Instabilität. Obwohl viele Aspekte des Autismus inzwischen besser erforscht sind, gibt es noch einiges, das uns Rätsel aufgibt. Auch wenn wir uns sehr anstrengen, die Welt durch die Augen des autistischen Kindes zu betrachten, sind wir verwirrt durch neue oder wiederkehrende Verhaltensweisen, die sich von Tag zu Tag oder sogar von einem Moment auf den anderen verändern.
Vor nicht allzu langer Zeit gingen die Fachleute davon aus, Autismus sei eine ‚unheilbare Störung‘. Die Vorstellung, bei Autismus handle es sich um ein therapieresistentes Phänomen, bei dem Betroffene kein sinnerfülltes Leben führen und ihren Alltag nicht produktiv gestalten können, bröckelt angesichts immer neuer Erkenntnisse und eines kontinuierlich verbesserten Verständnisses. Tag für Tag erleben wir, dass autistische Menschen viele der schwierigen Probleme, die Autismus für sie mitbringt, überwinden, kompensieren oder sonst wie meistern und in ein erfülltes und dynamisches Leben integrieren. Viele unter ihnen sträuben sich gegen eine ‚Heilung‘ und distanzieren sich von der Sichtweise, es müsse ein Heilmittel geben.
In einem im Dezember 2004 in der New York Times erschienenen Artikel, der große Beachtung fand, zog Jack Thomas, ein mit dem Asperger-Syndrom diagnostizierter Zehntklässler, weltweite Aufmerksamkeit auf sich mit seiner Aussage: „Wir haben keine Krankheit, und deswegen können wir nicht geheilt werden. Wir sind einfach so.“ Heutzutage liest man immer wieder, sei es in sozialen Medien oder in den Leitmedien, dass autistische Erwachsene Jacks Standpunkt bestätigen und sich zu eigen gemacht haben.
Ich bin ganz bei ihnen. Wenn nicht-autistische Menschen die Herausforderungen durch den Filter ihrer eigenen Erfahrungen betrachten, dann verschließen sie unabsichtlich die Tür, die zu einer alternativen Denkweise führt. Das wiederum hat immense Auswirkungen darauf, ob Ihr Kind eine Zukunft hat oder nicht.
Es ist entscheidend, eine Perspektive zu haben. Wenn ich Elternabende veranstalte, bitte ich die Anwesenden, die auffälligsten Verhaltensweisen ihrer Kinder kurz zu skizzieren und dann in einem positiven Sinn neu zu formulieren. Verhält sich das Kind ‚reserviert‘ oder kann es ‚sich mit sich selbst beschäftigen und allein lernen‘? Ist es ‚leichtsinnig‘ oder ‚abenteuerlustig und bereit, neue Erfahrungen zu machen‘? Ist es ‚zwanghaft ordentlich‘ oder ‚ein hervorragendes Organisationstalent‘? ‚Quält es Sie mit ständiger Fragerei‘, oder ‚zeigt es Neugier für die Außenwelt und Durchhaltevermögen und Hartnäckigkeit‘? Warum versuchen wir, das ‚störrische‘ Kind zu disziplinieren und bewundern gleichzeitig das Kind, das ‚stur seine Ziele verfolgt‘? Die Begriffe ‚störrisch‘ und ‚stur‘ drücken beide eine Beharrlichkeit aus.
Die Reise meiner Familie durch das Autismus-Spektrum meines Sohnes nahm ihren Anfang mit einem Kind, das ein sanftes Gemüt hatte, aber nicht sprechen konnte, und das verstörende ‚Meltdowns‘ (Ausraster) erlebte. Vor vielen Aktivitäten schrak er zurück und hielt sich die Ohren zu. Er wollte nichts anziehen, ausgenommen, es war notwendig, wenn er sich anderen Menschen zeigen musste, und sein Schmerz- und Kältempfinden schien untypisch.
Bryce war drei Jahre alt, als ein Frühförderungsteam aus der allgemeinen Vorschuleinrichtung von Autismus sprach. Ich durchlief die klassischen fünf Phasen der Trauer schon während des ersten Treffens. Bei Connor, meinem älteren Sohn, war zwei Jahre zuvor eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (AHDS) festgestellt worden. Ich war vertraut mit Therapien, Problemen im sozialen Umfeld, der permanenten Wachsamkeit – und der Erschöpfung. Mich ergriff die blanke Angst. Und sie motivierte mich. Ich konnte die Vorstellung, dass dieses Schicksal Bryce‘ Zukunft bestimmen würde, nicht ertragen. Deswegen wollte ich alles in meiner Macht Stehende tun, um ihm etwas mitzugeben, mit dem er ein Leben ohne mich würde meistern können. Ich konnte mich gedanklich von Wörtern wie ‚Gefängnis‘ und ‚heimatlos‘ nicht befreien. Aber nicht den Bruchteil einer Sekunde lang dachte ich daran, seine Zukunft in die Hand von Fachleuten zu geben oder mich an den flüchtigen Gedanken zu klammern, dass sich Autismus auswächst. Diese Überlegungen zwangen mich, jeden Morgen aufzustehen und motivierten mich, etwas zu unternehmen.
Ich überspringe jetzt ein paar Jahre bis zur Jahrtausendwende. Bei der Schulfeier treten die entzückenden Erstklässler*innen nacheinander ans Mikrophon und beantworten die Frage: „Was möchtest du im neuen Jahrtausend werden?“ „Ein Fußballstar“, ist eine beliebte Antwort. „Ein Pop-Star! Ein Rennfahrer! Eine Comiczeichnerin, eine Tierärztin, ein Feuerwehrmann!“
Bryce hat eine Weile überlegt, bevor er geantwortet hat:
„Ich möchte einfach nur ein Erwachsener werden.“
Stürmischer Applaus folgt und der Direktor sagt mit wohlüberlegten Worten:
„Die Welt wäre eine bessere, wenn mehr Menschen dasselbe Ziel wie Bryce verfolgten.“
Meine Quintessenz: Die Diagnose Autismus ist nicht damit gleichzusetzen, dass Ihrem Kind, Ihnen als Eltern oder anderen Familienangehörigen ein erfülltes Leben voller Freude und Sinnhaftigkeit verwehrt bleibt. Sie mögen total verunsichert sein, aber springen Sie über Ihren Schatten und glauben Sie mir das. Mit einem Vorbehalt: Wie sehr wir das Potenzial unserer Kinder ausschöpfen können, hängt davon ab, welche Wahl wir treffen, wie wir für sie entscheiden und welche Haltung wir zu unseren Kindern bzw. Autismus einnehmen.
Mir ist eine Passage von Nora Ephrons Roman Heartburn in Erinnerung. Darin sagt die Protagonistin Rachel Samstat: „Wenn ein Traum in Millionen kleine Teilchen zerplatzt, dann hast du nur eine Wahl. Du kannst entweder an ihm festhalten, was unerträglich ist, oder du kannst dich lösen und einen anderen Traum träumen.“