Kitabı oku: «Berufsabschluss für Erwachsene in der Schweiz», sayfa 3

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2.4 Formelle Anerkennung erworbener Kompetenzen

Anspruch jedes Bildungsangebotes muss es sein, bereits erworbene Kompetenzen angemessen zu berücksichtigen. Das gilt in besonderem Masse in der Berufsbildung für Erwachsene. Sie sollten nicht Angebote besuchen müssen, in denen es um Kompetenzen geht, über die sie bereits verfügen. Das ist demotivierend und unwirtschaftlich. Um dies zu vermeiden, müssen vorhandene Kompetenzen formell anerkannt werden.

Die Begriffe «Anerkennung von Kompetenzen», «Validierung» und «Validierungsverfahren» werden unterschiedlich verwendet. In der Schweiz ist in diesem Zusammenhang meist vom «Validierungsverfahren» die Rede. Wir gehen darauf ausführlich in Abschnitt 5.2 ein. Aber nicht nur beim «Validierungsverfahren» werden Kompetenzen anerkannt, sondern auch in verschiedenen anderen Verfahren – deshalb dieser etwas längere Abschnitt zur formellen Anerkennung erworbener Kompetenzen.

Dabei geht es um Verfahren, bei denen eine dazu ermächtigte Behörde oder Stelle bestätigt, dass eine Person über bestimmte Kompetenzen verfügt, die üblicherweise im Rahmen eines bestimmten formalen oder nichtformalen Bildungsgangs erworben werden und die in den zugrunde liegenden Lehrplandokumenten festgelegt sind. Es spielt dabei keine Rolle, wie diese Kompetenzen erworben worden sind, ob formal, nichtformal oder informell. So kann auch beruflicher Erfahrung ein Wert verliehen werden (Valida, 2003).

2.4.1 Funktionen der Anerkennung von Kompetenzen

Die Anerkennung von Kompetenzen kann unterschiedliche Funktionen erfüllen. Es geht dabei immer um die Frage, was mit der Anerkennung im Hinblick auf den Erwerb eines Berufsabschlusses bezweckt wird.

Abbildung 2-1 zeigt zunächst eine Ausbildung mit Aufnahme- und Abschlussverfahren, bei der bereits erworbene Kompetenzen nicht anerkannt werden.

Will jemand in eine Fachhochschule eintreten, benötigt er oder sie eine Berufsmaturität, in einer höheren Fachschule wird ein EFZ vorausgesetzt, an einer Universität eine gymnasiale Maturität. In bestimmten Fällen wird jedoch auch langjährige Erfahrung anerkannt. Auf Hochschulebene spricht man von einer Aufnahme sur dossier. Die Anerkennung bereits erworbener Kompetenzen ersetzt in diesem Fall das übliche Aufnahmeverfahren. Die im Lebensverlauf erworbenen Kompetenzen gelten als Äquivalent zu einer Maturität. In der höheren Berufsbildung gibt es verschiedene Lehrgänge, in denen die im Arbeitsalltag erworbenen Kompetenzen den üblicherweise vorgeschriebenen Abschluss der beruflichen Grundbildung ersetzen (→ Abbildung 2-2).

Eine sehr verbreitete Form der Anerkennung erworbener Kompetenzen besteht darin, dass Kandidatinnen und Kandidaten von Teilen einer zertifizierenden Ausbildung dispensiert werden (→ Abbildung 2-3). Diese Form der Anerkennung existiert in vielen Ländern auf den meisten Bildungsstufen. In der Berufsbildung für Erwachsene wird dieser Ansatz in der Schweiz vor allem bei der Verkürzung der beruflichen Grundbildung verwendet.

In der Schweiz ebenso wie in zahlreichen anderen Ländern (z. B. Deutschland, Österreich oder Norwegen) können Personen mit einschlägiger Berufserfahrung direkt zu Abschlussprüfungen zugelassen werden, nach deren Bestehen ein Zertifikat verliehen wird. Vorhandene berufliche Kompetenzen werden insofern anerkannt, als kein formeller Kompetenzerwerb verlangt wird (→ Abbildung 2-4).

Abbildung 2-1 Die Lernenden durchlaufen ein Aufnahmeverfahren, dann die (gesamte) Ausbildung und legen am Ende eine Abschlussprüfung ab


Abbildung 2-2 Vorhandene Qualifikationen werden anerkannt, die Lernenden können so ohne Aufnahmeverfahren in die Ausbildung aufgenommen werden


Abbildung 2-3 Vorhandene Qualifikationen werden anerkannt, die Lernenden können von einem Teil der Ausbildung dispensiert werden


Abbildung 2-4 Vorhandene Qualifikationen werden anerkannt, die Kandidatin oder der Kandidat wird direkt zum Zertifizierungsverfahren zugelassen


Abbildung 2-5 Bei dieser Variante wird zusätzlich ein Teil der Abschlussprüfung erlassen


Abbildung 2-6 Bei dieser Variante wird die gesamte Abschlussprüfung erlassen


In der Schweiz besteht die Möglichkeit der direkten Zulassung zur Abschlussprüfung seit 1930. Heute werden für die «direkte Zulassung zur Abschlussprüfung» fünf Jahre berufliche Erfahrung verlangt (BBV 2003, Art. 32), davon – so legen es die jeweiligen Bildungsverordnungen[5] fest – in der Regel drei Jahre im Beruf, für den zertifiziert werden soll. Bei einigen Berufsprüfungen (z. B. für jene des Hauswarts/der Hauswartin) wird sowohl auf ein EFZ als Aufnahmekriterium als auch auf den Besuch von Ausbildungselementen verzichtet, wobei Letzteres in der Praxis selten zum Erfolg führt. Berufserfahrung von einer bestimmten Dauer wird immer verlangt.

Da Zertifikate nur ausgestellt werden können, wenn sich jemand alle zu bestätigenden Kompetenzen bereits angeeignet hat, viele Personen jedoch nur über einen Teil der erforderlichen Kompetenzen verfügen, führt die Anerkennung von Kompetenzen in manchen Fällen nur zu Teilzertifikaten (→ Abbildung 2-5). Es handelt sich dabei um eine von einer zuständigen Stelle ausgestellte Bestätigung, dass einzelne Kompetenzen einer berufsqualifizierenden Ausbildung vorhanden sind, andere aber noch erworben werden müssen. Das Abschlusszertifikat wird verliehen, wenn sämtliche Teilzertifikate vorliegen. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist eine Modularisierung der entsprechenden Ausbildung (→ Abschnitt 5.2).

In der Berufsbildung für Erwachsene ist dieser Ansatz die Grundlage des Validierungsverfahrens (BBT, 2010a), das wir in Abschnitt 5.3 darstellen.

Grundsätzlich sind auch Anerkennungsverfahren denkbar, bei denen auf die Anerkennung von Kompetenzen direkt die Zertifizierung folgt (→ Abbildung 2-6). Dieses Verständnis liegt etwa der Empfehlung des EU-Rates zur Validierung (Rat der Europäischen Union, 2012a, S. C 398/395) zugrunde. Sie legen fest, dass die Zertifizierung an die formale Bewertung von Erfahrungen anschliesst. Ähnlich vorgegangen wurde in der Schweiz unter anderem bei der Anerkennung der Kompetenzen von Angestellten der Schweizerischen Post als Logistikassistentinnen und -assistenten (Voit et al., 2007; vgl. auch Abschnitt 5.2.1). In der Regel führt die Anerkennung von Kompetenzen in der Schweiz aber nicht direkt zum Zertifikat.

In einigen Ländern verbreitet ist der direkte Zugang zum Zertifikat nach der Anerkennung vor allem bei kürzeren Ausbildungen. Ein Beispiel dafür ist die Validierung im Bereich der arbeitsmarktlichen Massnahmen in Schweden (→ Abschnitt 8.4.3).

Anerkennung eines früher erworbenen Abschlusses

An die Stelle der Anerkennung von informell erworbenen Kompetenzen («Erfahrungen») kann auch die Anerkennung von früher oder in einem anderen Bildungssystem erworbenen Abschlüssen treten. Üblich ist dies bei einer Reform eines Bildungssystems, so geschehen unter anderem bei der Aufwertung von höheren Fachschulen zu Fachhochschulen und bei der Ablösung der Regelung der Pflegeausbildung durch das SRK.

Spezielle Regelungen wurden zudem für die Anerkennung von Abschlüssen geschaffen, die im Ausland erworben wurden. In der Schweiz wird nicht ein Schweizer Abschluss abgegeben, sondern eine Gleichwertigkeitsbestätigung ausgestellt. Für Abschlüsse der Berufsbildung und von Fachhochschulen ist dafür das SBFI zuständig (SBFI, 2015a).

Auch im Rahmen eines Validierungsverfahrens können bereits erworbene Abschlüsse berücksichtigt werden, indem abgeklärt wird, welche Kompetenzen durch die bereits besuchte Ausbildung abgedeckt sind (Teilzertifizierung) (→ Abschnitt 5.2).

2.4.2 Methoden der Anerkennung von Kompetenzen bei Erwachsenen

Kompetenzen sind nicht direkt messbar. Damit erworbene Kompetenzen anerkannt werden können, müssen sie sichtbar gemacht werden. Im Bildungswesen geschieht dies üblicherweise durch schriftliche und mündliche Prüfungen oder Arbeiten (z. B. eine individuelle praktische Arbeit, IPA) während oder am Schluss einer Ausbildung. Damit lässt sich evaluieren, ob die angestrebten Kompetenzen wirklich vorhanden sind.

Vor allem für Erwachsene gibt es seit einiger Zeit auch alternative Methoden der Kompetenzevaluation, die in der Schweiz zum Teil im Rahmen des Validierungsverfahrens zur Anwendung kommen (vgl. als Überblick: Annen, 2012). Diese Methoden können unterschiedlich stark strukturiert sein, je nachdem, ob eine formelle Anerkennung der Kompetenzen angestrebt wird oder nicht.

Ein Teil der fraglichen Methoden fokussiert auf Selbsteinschätzung. Dies ist etwa bei der Portfoliomethode der Fall. Dabei geht es um die Darstellung der Kompetenzen in einem Dossier, das biografische Informationen, Abschluss- und Arbeitszeugnisse, aber auch Reflexionen zu beruflichen Handlungsabläufen enthalten kann. Ein Beispiel eines solchen Portfolios ist der Europass der EU, in dem der Lebenslauf und berufliche Kompetenzen online standardisiert dargestellt werden (Cedefop & Europäische Kommission, 2015). Bei dieser Form des Portfolios geht es lediglich darum, vorhandene Erfahrung und Kompetenzen sichtbar zu machen, nicht um deren formelle Anerkennung im Hinblick auf den Erwerb eines Berufsabschlusses. Das Portfolio wird jedoch auch eingesetzt, wenn genau dies das Ziel ist, zum Beispiel in der Bilanzierungsphase des Validierungsverfahrens in der Schweiz (BBT, 2010a, S. 11). Wie gerade dieses Verfahren zeigt, können im Rahmen von Portfolios weitere Methoden der Selbsteinschätzung verwendet werden. So fordern einige Kantone sogenannte Lupen ein (→ Abschnitt 5.2).

Wird durch die Kompetenzevaluation eine Anerkennung von Kompetenzen angestrebt, ist selbstverständlich auch Fremdeinschätzung wichtig, zum Beispiel durch die Beobachtung von Arbeitsproben, auch als Augenschein bezeichnet. Im Rahmen solcher Proben überprüfen Expertinnen und Experten berufliche Handlungskompetenzen möglichst realitätsnah. Dies kann direkt in der Arbeitswelt geschehen, zum Beispiel in Form einer Probezeit, durch einen kürzeren Praxisbesuch oder durch die Einforderung eines Werkstücks innerhalb einer bestimmten Zeitspanne. Wenn die Überprüfung im realen Arbeitsleben nicht möglich oder wenn sie zu aufwendig ist, können Assessments durchgeführt werden. Sie können auch Simulationen von Berufssituationen beinhalten, zum Beispiel in Form nachgestellter Kundengespräche oder – wie etwa für die Automobildiagnostik – computergestützt (Gschwendtner, Abele & Nickolaus, 2009).

Zu den Methoden der Fremdeinschätzung gehören ferner Beurteilungsgespräche. Dabei lassen sich theoretische Inhalte prüfen, aber auch Reflexionen von Selbsteinschätzungen (z. B. eines Portfolios) oder das Verhalten in gestellten Situationen.

2.5 Modularisierung in der Berufsbildung

Das Konzept der Modularisierung hat sich in verschiedenen Teilen des Bildungssystems durchgesetzt: Zentral ist dabei die Idee, Ausbildungen in voneinander verhältnismässig unabhängige Teile (Module) zu zerlegen. In der Schweiz sind modularisierte Ausbildungen vor allem in der Hochschulbildung verbreitet, aber auch in der höheren Berufsbildung kommen sie vor.

Es gibt jedoch verschiedene Spielarten modularisierter Ausbildungen. Unterschiede bestehen im Hinblick auf die zeitliche Flexibilität: In manchen Systemen sind alle Module innerhalb einer bestimmten Zeit und in einer bestimmten Reihenfolge zu absolvieren (Beispiel: Informatiker/in EFZ). In anderen Systemen – etwa in vielen Bologna-konformen Studiengängen – bestimmen die Kandidatinnen und Kandidaten selbst, wann sie die einzelnen Module belegen möchten.

Modulsysteme (oft spricht man von «Baukästen» oder «Bausätzen») unterscheiden sich auch mit Blick auf den Abschluss der einzelnen Module: Jedes Modul vermittelt eine oder mehrere Kompetenzen – die möglichst arbeitsmarktrelevant sein sollten (modules of employable skills) – und wird mit einem Leistungsnachweis (z. B. einer Prüfung) abgeschlossen.

Weiter unterscheiden sich modularisierte Ausbildungen in Bezug auf den Abschluss. Bei manchen Systemen gilt der Lehrgang als erfolgreich abgeschlossen, wenn die Leistungsnachweise aller Module bestanden sind. Häufiger sind die erfolgreichen Abschlüsse der Module jedoch nur ein Zulassungskriterium (→ Abschnitt 8.1.2) zu einem den ganzen Lehrgang umfassenden Qualifikationsverfahren (QV), das man bestehen muss, damit der Lehrgang erfolgreich abgeschlossen ist. Das QV konzentriert sich oft auf modulübergreifende Kompetenzen; dabei muss beispielsweise eine Fallstudie erstellt werden. Typisches Beispiel für diese Variante sind viele Berufs- und höhere Fachprüfungen.

Der entscheidende Unterschied zwischen den verschiedenen Modularisierungskonzepten dürfte sich auf die Frage beziehen, ob damit auf ein definiertes Berufsbild vorbereitet wird und das abschliessende Zertifikat die Kompetenz bescheinigt, einen Beruf auszuüben, oder ob es sich um ein offenes, nicht auf einen bestimmten Beruf bezogenes System handelt.

Letzteres ist zum Beispiel in England oder Australien der Fall (Deissinger, 2009), wo die traditionelle Berufsausbildung durch die National Vocational Qualifications (NVQs) abgelöst wurde. Im deutschsprachigen Raum – auch in der Schweiz – wird dieser Unterschied häufig übersehen, weshalb die Modularisierung auf einige Skepsis stösst (Kloas, 1997). Oft wird argumentiert, dass Ausbildungen und Berufe durch eine konsequente Modularisierung fragmentiert würden. Arbeitnehmerverbände befürchten weitreichende Folgen für die wirtschaftliche Arbeitsteilung und somit auch für Gesamtarbeitsverträge, die sich zurzeit stark an Berufen orientieren.

Wie die Beispiele zeigen, lassen sich gewisse Elemente der Modularisierung durchaus mit der schweizerischen Berufsbildung vereinbaren. Wie wir in Abschnitt 5.2 ausführen, ist sie für das Validierungsverfahren bereits sehr zentral – und in unserer Vision nimmt sie eine Schlüsselrolle ein (→ Abschnitt 10.3). Was uns vorschwebt, ist aber eine Modularisierung, die auf Berufsabschlüsse vorbereitet, nicht deren Ersatz wie in vielen angelsächsischen Systemen üblich.

Im Rahmen des Projekts «Baukastensystem» des BBT wurde für das schweizerische Berufsbildungssystem eine Form von Modularisierung entwickelt, die für unsere weiteren Überlegungen wegleitend ist (Widmer et al., 1999). Jedes Modul bereitet auf eine Handlungskompetenz vor, die mit einem Kompetenznachweis überprüft wird. Jedes Modul wird ferner in einer Modulidentifikation beschrieben, die auch Voraussetzungen, Anerkennung fremder Lernleistungen und Gültigkeitsdauer des Nachweises festlegt (BBT, 2000a, S. 43–52).

3 Historische Entwicklung und aktuelle Bedeutung

In diesem Kapitel geht es zunächst um die Entwicklung der beruflichen Grundbildung für Erwachsene in der Schweiz. Wir zeigen, welche Intentionen in den verschiedenen Entwicklungsperioden massgebend waren. Dies liefert die Basis für den zweiten Abschnitt, in dem wir begründen, welche Ziele ein auf Erwachsene ausgerichtetes Angebot verfolgt.

3.1 Entwicklung

Berufliche Grundbildung für Erwachsene ist keine neue Errungenschaft, wie der folgende Abriss zeigt.[6]

3.1.1 Direkte Zulassung zur Abschlussprüfung

Der direkte Zulassung zur Abschlussprüfung (QV, → Abschnitt 5.1) war anfänglich als Übergangslösung gedacht: Ab 1933 konnten Jugendliche über eine Berufslehre eidgenössisch anerkannte Berufsabschlüsse erlangen. Wer schon früher, mit oder ohne Lehrvertrag, einen Beruf erlernt hatte, sollte aber ebenfalls einen anerkannten Abschluss erwerben können. Deshalb sah das erste, 1930 erlassene Bundesgesetz zur Berufsbildung (Berufsbildungsgesetz, 1930) für Erwachsene mit mehrjähriger Berufspraxis (aber nur für sie) die Zulassung zur Lehrabschlussprüfung ohne vorgängige Lehre vor. Das Prozedere war indessen auch damals nicht neu, sondern fusste auf ähnlichen Bestimmungen in kantonalen Gesetzen aus dem 19. Jahrhundert (Suter, 2013, S. 8).

Die direkte Prüfungszulassung für Erwachsene mit mehrjähriger Berufspraxis wurde in jede neue Fassung des Berufsbildungsgesetzes übernommen, denn immer wieder gab es Personen, die berufliche Kompetenzen auf informellem Weg erworben hatten und im Erwachsenenalter vor der Notwendigkeit standen, einen anerkannten Abschluss nachzuholen.

Zudem entwickelten sich ständig neue Technologien, für die es noch keine regulären Ausbildungen gab, zum Beispiel Automobiltechnik, Elektrotechnik, Kunststoffverarbeitung oder Informatik. Andere Bereiche verselbstständigten sich, zum Beispiel Kosmetik oder Logistik. So entstanden fortwährend neue Berufe und – mit einigen Jahren Verzögerung – auch neue Abschlüsse und damit das Bedürfnis der Pioniere, nachträglich das eidgenössisch anerkannte Zertifikat zu erwerben.

Allerdings beschritten meist Personen, die bereits über eine berufliche Grundbildung verfügten, diesen Weg. Indizien dafür lieferte eine Untersuchung, nach der im Jahr 1991 die Hälfte der Personen, die über die direkte Zulassung zur Abschlussprüfung einen Abschluss erwarben, bereits über eine abgeschlossene Erstausbildung verfügten (Häfeli & Bolli, 1991). In einer andern Studie (Schräder-Naef & Jörg-Fromm, 2005) wurde dieser Anteil 2001 sogar auf 90 Prozent geschätzt.

3.1.2 Verkürzte Grundbildung

Ein anderer Weg, der vor allem bei einem Berufswechsel infrage kommt, ist die verkürzte zweite Grundausbildung. Auch diese Möglichkeit ist schon seit 1930 gesetzlich vorgesehen: Wer bereits über gewisse Kenntnisse verfügt – zum Beispiel aus seinem früheren Beruf –, kann eine Verkürzung seiner zweiten Berufslehre beantragen (→ Abschnitt 5.4).

Wichtig waren immer schon kürzere Ausbildungen, die zu einem zwar nicht staatlich anerkannten, aber doch arbeitsmarktrelevanten Abschluss führen; diese Art von Ausbildung wird in Abschnitt 5.5 beschrieben.

3.1.3 Wiedereinstieg

Berufsbildung für Erwachsene wird immer dann zum Thema, wenn ein konjunkturelles Hoch oder eine Begrenzung der Einwanderung einen Fachkräftemangel zur Folge hat – und in solchen Phasen erinnert man sich stets auch an die Frauen, die im Zusammenhang mit einer Familienphase ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben haben. Um sie dem Arbeitsmarkt wieder zuzuführen, entstanden im dritten Drittel des letzten Jahrhunderts die Wiedereinstiegkurse. Anfänglich ging es dabei vor allem um das Auffrischen beruflicher Fertigkeiten, zum Beispiel im Umgang mit Schreibsystemen, später mit Computern für Kauffrauen, um neue Pflegekonzepte und Gerätschaften bei Pflegerinnen. Bei anderen Programmen geht es eher um die Vertiefung von sozialen Kompetenzen und oft gleichzeitig auch um einen Berufswechsel, beispielsweise von einer kaufmännischen Tätigkeit in die Betreuung (→ Abschnitt 5.8).

3.1.4 Förderung von «Gastarbeitern»

Arbeitskräftemangel führte nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Zustrom wenig qualifizierter Arbeitnehmer aus Südeuropa und später aus den Balkanstaaten und der Türkei. Gewerkschaften aus Italien, später in Zusammenarbeit mit Schweizer Arbeitnehmerorganisationen, nahmen sich ab 1970 der beruflichen Förderung dieser Personen an und boten Kurse in Allgemeinbildung (terza media) und Deutsch an, lange auch berufsspezifische Ausbildungskurse als Vorbereitung auf Abschlüsse des italienischen, in geringerem Ausmass auch des schweizerischen Berufsbildungssystems (vgl. Bozzolini, 2015).

3.1.5 Kompetenzbilanzen und Validierungsverfahren

Das Validierungsverfahren (→ Abschnitt 5.2), erstmals geregelt im Bundesgesetz aus dem Jahr 2002, geht zum einen auf die Initiative von Frauenverbänden zurück und hatte ursprünglich die Förderung der Gleichberechtigung durch Anerkennung von informell, insbesondere in der Familienphase erworbenen Kompetenzen zum Ziel (Költzsch Ruch, 1997). 1994 verlangte die Luzerner Nationalrätin Judith Stamm, Präsidentin des Bundes Schweizerischer Frauenorganisationen, in einer Motion die «Schaffung eines Berufsbildungsbuchs, das laufend erbrachte, gezielte Bildungsleistungen […] bestätigt und anerkennt» (Calonder Gerster, 2000).

Anderseits entstanden in Genf zur gleichen Zeit – in Anlehnung an französische Modelle – centres de bilan, die bilans de compétences ausarbeiteten (Kadishi et al., 1998, S. 25–28; Morand-Aymon, 2004). Im Kanton Wallis wurden ab 1995 erste (kantonal) anerkannte Ausweise abgegeben, basierend auf Kompetenzbilanzen und Arbeitsproben, aber ohne Abschlussprüfung (Kadishi et al., 1998, S. 29–33).

Angeregt unter anderem durch die bereits erwähnte Motion Stamm, die auch «ein durchlässiges Aus- und Weiterbildungssystem» verlangt hatte, schrieb das Biga ein Programm zur Entwicklung und Erprobung von «Baukastensystemen» aus, in dessen Rahmen von 1995 bis 1999 zahlreiche Pilotprojekte durchgeführt und die Systeme weiterentwickelt wurden (Widmer et al., 1999). Auch die Anerkennung nichtformal erworbener Kompetenzen war Thema des Programms. Ab 1995 fanden in verschiedenen Kantonen Pilotversuche mit dem Validierungsverfahren statt, deren Resultate (Wolf, Wilhelm & Zuberbühler, 2009b) Grundlage eines 2010 erlassenen Leitfadens des Bundes waren (BBT, 2010a). Die Stellen für Berufs- und Laufbahnplanung engagierten sich im Bereich der Kompetenzbilanzen und schufen in fast allen Kantonen spezielle «Eingangsportale» für interessierte Erwachsene.