Kitabı oku: «Das Paradies der Damen: mehrbuch-Weltliteratur», sayfa 2
»Wie Sie wollen«, erwiderte Vinçard und suchte seinen Verdruß zu verbergen. »Es liegt ja nicht in meinem Interesse, das Geschäft zu verkaufen. Hätte ich nicht solche Schmerzen ...«
Dann wandte er sich an Baudu und fragte:
»Womit kann ich Ihnen dienen?«
Der Tuchhändler, der mit einem Ohr gelauscht hatte, stellte Denise vor; sie habe zwei Jahre in der Provinz gearbeitet, und da Vinçard eben eine Verkäuferin suche ...
Vinçard tat ganz verzweifelt.
»Ach, jetzt ist's zu spät! Acht Tage lang habe ich mich umgesehen, und vor zwei Stunden habe ich eine eingestellt!«
Alles schwieg. Denise schien so bestürzt, daß Robineau sie teilnahmsvoll betrachtete und sich eine Bemerkung erlaubte.
»Ich weiß, daß bei uns in der Konfektionsabteilung jemand gesucht wird.«
Baudu konnte einen Ausruf nicht unterdrücken.
»Bei Ihnen? Nein, danke bestens!«
Dann stand er ganz verlegen da. Denise war tief errötet. Sie würde es niemals wagen, dachte sie, in dieses große Warenhaus einzutreten, aber der Gedanke erfüllte sie doch mit Stolz.
»Warum denn nicht?« fragte Robineau überrascht. »Das wäre doch für das junge Fräulein recht günstig? Ich rate ihr, sich morgen bei der Direktrice, Frau Aurélie, vorzustellen. Es kann ihr ja nichts Schlimmeres passieren, als daß sie nicht angenommen wird.«
Um seinen Ärger zu vertuschen, verlor sich der Tuchhändler in allerlei verworrenes Gerede. Er kenne Frau Aurélie, meinte er, oder vielmehr ihren Mann, den Kassierer Lhomme, dem doch ein Omnibus den rechten Arm abgefahren habe. Dann kam er ganz unvermittelt wieder auf Denise zu sprechen.
»Es ist übrigens ihre Sache«, sagte er; »sie kann tun, was sie will.«
Mit einem Gruß verließ er den Laden. Vinçard begleitete ihn bis zur Tür und drückte ihm nochmals sein Bedauern aus. Denise war schüchtern mitten im Laden stehengeblieben und wartete begierig auf nähere Auskünfte von Robineau. Allein sie wagte kein Wort hervorzubringen, grüßte endlich und sagte:
»Vielen Dank, mein Herr.«
Auf der Straße eilte Baudu, wie von seinen Gedanken getrieben, rasch fort und zwang seine Nichte, fast zu laufen. In der Rue de la Michodière wollte er eben in seinen Laden treten, als ein benachbarter Kaufmann, der auf der Schwelle seines Geschäftes stand, ihn durch einen Wink herbeirief. Denise blieb stehen, um auf ihn zu warten.
»Was gibt's, Vater Bourras?« fragte der Tuchhändler.
Bourras war ein hochgewachsener Greis mit einem Prophetenkopf, langem Haar und Bart und durchdringenden Augen unter den dichten, buschigen Brauen. Er betrieb einen Handel in Spazierstöcken und Regenschirmen, übernahm auch Ausbesserungen und drechselte sogar Regenschirmgriffe, was ihm im Stadtviertel den Ruf eines Künstlers eingetragen hatte. Denise betrachtete erstaunt sein Haus. Es war ein altes Gebäude, eingekeilt zwischen dem »Paradies der Damen« und einem großen Haus im Stil Ludwigs XIV. Man konnte sich gar nicht erklären, wie es in diesen schmalen Spalt hineingeraten war, in dem seine beiden niedrigen Stockwerke schier erdrückt wurden.
»Denken Sie sich: er hat dem Besitzer meines Hauses geschrieben und ihm angeboten, es zu kaufen!« sagte Bourras empört zu dem Tuchhändler.
Baudu erbleichte noch mehr und zuckte zusammen. Da ließ Bourras seinem Zorn freien Lauf.
»Solange ich lebe, soll er keinen Stein davon besitzen! Mein Vertrag läuft noch zwölf Jahre ... Wir werden schon sehen!«
Das war eine offene Kriegserklärung. Keiner von beiden hatte das »Paradies der Damen« beim Namen genannt. Baudu schüttelte den Kopf, dann ging er mit hängenden Schultern nach Hause und murmelte still vor sich hin:
»Mein Gott! Mein Gott!...«
Denise, die dieses Gespräch mit angehört hatte, folgte ihrem Onkel. Auch Frau Baudu kehrte eben mit Pépé heim. Sie erzählte, Frau Gras sei jederzeit bereit, den Kleinen zu übernehmen.
»Nun, wie war's bei Vinçard?« fragte sie.
Der Tuchhändler berichtete von seinem erfolglosen Weg, dann fügte er hinzu, jemand anderer habe seiner Nichte eine Stelle angeboten. Den Arm nach dem »Paradies der Damen« ausgestreckt, sagte er verächtlich:
»Die da drüben!«
Die ganze Familie fühlte sich dadurch verletzt. Beim Abendessen endlich brach der seit dem Morgen zurückgedrängte Strom der Empörung unaufhaltsam los.
»Es ist natürlich deine Sache, du bist ja frei in deiner Entscheidung«, wiederholte zunächst Baudu. »Wir wollen dich nicht beeinflussen ... Aber wenn du wüßtest, was das für ein Haus ist!« In abgebrochenen Sätzen erzählte er die Geschichte dieses Octave Mouret. Ein Glückspilz sondergleichen! Da kam dieser Bursche aus dem Süden nach Paris mit der liebenswürdigen Keckheit eines Abenteurers, und schon am nächsten Tag hatte er Weibergeschichten. Schließlich war er auf frischer Tat ertappt worden. Es hatte einen Skandal gegeben, von dem noch heute im ganzen Stadtviertel gesprochen wurde. Und dann hatte er plötzlich und auf unerklärliche Weise Frau Hedouin erobert, die ihm das »Paradies der Damen« in die Ehe einbrachte.
»Die arme Caroline!« unterbrach ihn Frau Baudu. »Sie war eine entfernte Verwandte von mir. Wenn sie noch am Leben wäre, hätten sich die Dinge anders entwickelt. Sie würde nie zugeben, daß wir zugrunde gerichtet werden... Er hat auch sie umgebracht! Ja, mit seiner Bauerei! Als sie eines Morgens die Arbeiten besichtigte, stürzte sie in ein Loch, und drei Tage später war sie tot. Sie, die niemals krank gewesen war, die immer so gesund und schön war! Das Haus da ist mit Blut gebaut – man möchte fast meinen, daß es ihm Glück gebracht hat«, schloß sie, ohne Mourets Namen zu nennen.
Doch der Tuchhändler zuckte verächtlich die Schultern über solche Ammenmärchen.
»Ich glaube, Caroline, die selbst ein wenig romantisch veranlagt war, hat sich von den abenteuerlichen Plänen dieses Menschen gefangennehmen lassen. Kurz, er hat sie überredet, das Haus zur Linken und dann auch das zur Rechten anzukaufen, und hat selbst als Witwer noch zwei Gebäude dazuerworben. So ist dieses Warenhaus größer und immer größer geworden und droht uns heute alle zu verschlingen. Aber nur Geduld! Die Großtuer werden sich noch den Hals brechen. Mouret macht jetzt eine gefährliche Zeit durch; ich weiß es. Er hat sein ganzes Vermögen in diese tollen Erweiterungen und in die Reklame hineingesteckt. Um sich Geld zu verschaffen, hat er alle seine Angestellten überredet, ihre Ersparnisse bei ihm anzulegen. Er steht also jetzt ohne einen Sou da, und wenn nicht ein Wunder geschieht und es ihm nicht gelingt, seinen Umsatz zu verdreifachen, wie er hofft, so wird man einen Krach erleben, einen Krach! ... Ha, ich bin nicht schadenfroh, aber an diesem Tag werde ich illuminieren, mein Wort darauf!«
So wetterte er fort. Hatte man je so etwas gesehen? Ein Modewarengeschäft, wo alles zu haben war, ein Basar also! Auch das Personal paßte dazu, ein Haufen Stutzer, die herumhantierten wie in einem Bahnhof; sie behandelten die Waren und die Käufer wie Pakete, verließen ihren Chef und wurden entlassen für nichts, mit einem einzigen Wort; diese Menschen hatten keine Anhänglichkeit, keine Sitten, kein Verständnis für das Geschäft! Die Kunst bestand schließlich nicht darin, viel zu verkaufen, sondern teuer zu verkaufen! Er nahm Colomban zum Zeugen: der war noch in der guten alten Schule erzogen, der wußte Bescheid!
»Du bist der letzte, mein Lieber!« erklärte er gerührt. »Nach dir kommt keiner mehr von deinem Schlag. Du bist mein einziger Trost, denn wenn ein solcher Trödelmarkt heute Handel genannt wird, dann verstehe ich nichts mehr von der Sache, dann will ich lieber abtreten.«
Geneviève betrachtete von der Seite den lächelnden Colomban, und in ihren Blicken lag etwas wie ein Argwohn, das Verlangen zu sehen, ob er, von Gewissensbissen getrieben, bei diesen Lobsprüchen nicht erröten werde. Allein er blieb ruhig wie immer, mit gutmütigem Gesichtsausdruck, nur um seinen Mund lag eine schlaue Falte.
Baudu fuhr indessen fort mit seinen Anklagen gegen diese Leute da drüben, die sich in ihrem Kampf ums Dasein benahmen wie die Wilden und es schließlich so weit brachten, daß sie ihr Familienleben gänzlich zerstörten. Man brauchte sich doch nur die Lhommes anzusehen. Sie hatten draußen auf dem Land ihren Besitz neben dem seinen, daher kannte er sie. Alle drei, Vater, Mutter und Sohn, waren im »Paradies der Damen« angestellt, aber man traf sie kaum jemals zusammen; ständig waren sie außer Haus, nur am Sonntag aßen sie daheim, im übrigen schienen sie im Restaurant zu leben. Nein, nein, meinte er, sein Speisezimmer sei zwar nicht übermäßig groß und könnte auch etwas mehr Licht und Luft vertragen, aber hier sei er zu Hause, bei den Seinen. Und er blickte in dem kleinen Raum umher, insgeheim zitternd bei dem Gedanken, die Tollhäusler da drüben könnten, wenn sie seine Firma vollends ruiniert hätten, ihn eines Tages aus diesem Loch vertreiben, wo er sich zwischen Frau und Tochter so behaglich fühlte.
»Ich sage das alles nicht, um dir die Lust zu vergällen«, meinte er schließlich, zu Denise gewandt. »Wenn es dir etwas nützt, in dieses Haus einzutreten, dann tu es nur. Ich will dich nicht zurückhalten. Aber ich frage dich, die du doch auch etwas vom Geschäft verstehst, ob es einen Sinn hat, daß ein einfaches Modewarenhaus alles mögliche feilbietet? Früher, als es noch einen rechtschaffenen Handel gab, verstand man unter Modewaren einfach Stoffe und weiter nichts. Heute denken diese Leute nur daran, auf Kosten anderer alles an sich zu reißen. Das ganze Stadtviertel jammert schon darüber. Dieser Mouret richtet sie alle zugrunde. Ich selbst habe bisher nicht allzu sehr zu klagen. Er schadet mir, das ist sicher; aber er führt vorläufig nur Damenstoffe, leichtere für Kleider und schwere für Mäntel. Herrenartikel dagegen kauft man immer noch bei mir, Samt für Jagdanzüge, Livreestoffe und dergleichen; ganz zu schweigen von Flanellen und Wolltuchen, in denen er wohl schwerlich so gut sortiert ist wie ich. Aber er fordert mich heraus; gerade vor unserer Tür, mitten in seiner Tuchauslage prahlt er mit seinen buntesten Konfektionsartikeln wie ein Jahrmarktschreier, um die jungen Mädchen damit zu ködern. Auf Ehre, ich würde mich schämen, zu solchen Mitteln zu greifen. Seit nahezu hundert Jahren ist mein Geschäft bekannt, und ich habe es nicht nötig, an meiner Tür solchen Köder für Maulaffen auszuhängen. Solange ich lebe, bleibt der ›Vieil Elbeuf‹ so, wie ich ihn übernommen habe, mit seinen vier Auslagen rechts und links und sonst nichts!«
Seine Erregung griff allmählich auf die ganze Familie über. Nach kurzem Stillschweigen erlaubte sich Geneviève die Bemerkung:
»Unsere Kunden bleiben uns treu, Papa. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben ... Heute waren Frau Desforges und Frau von Boves wieder da. Ich erwarte auch Frau Marty, die sich Flanellstoffe ansehen wollte.«
»Und ich«, erklärte Colomban, »habe gestern von Frau Bourdelais einen Auftrag bekommen. Allerdings hat sie dabei einen englischen Cheviot erwähnt, der da drüben um zehn Sous billiger zu haben ist als bei uns.«
»Wenn man bedenkt«, sagte Frau Baudu mit ihrer kraftlosen Stimme vor sich hin, »daß wir dieses Haus gekannt haben, als es noch nicht größer war als eine Hutschachtel ... Ja, meine liebe Denise, als die Brüder Deleuze es gründeten, bestand es aus einem Wandschrank, in dem kaum fünf Ballen Stoff Platz hatten, und einer einzigen Auslage nach der Rue Neuve-Saint-Augustin. Der Laden war so klein, daß man sich darin gerade umdrehen konnte. Und damals war der ›Vieil Elbeuf‹ schon sechzig Jahre alt und sah genauso aus wie heute ... Ja, das hat sich alles geändert, sehr geändert!«
Sie schüttelte den Kopf, außerstande, dieses Drama zu begreifen. Sie war im »Vieil Elbeuf« geboren, sie liebte dieses Haus bis in seine feuchten Wände, lebte nur für es und durch es. Einst war es ihr Ruhm gewesen, das mächtigste im ganzen Stadtviertel; dann hatte sie zusehen müssen, wie die Konkurrenz gegenüber allmählich emporwuchs, anfangs mißachtet, später an Bedeutung dem eigenen Unternehmen gleich und nun eine immer gefährlichere Bedrohung. Sie ging am Abstieg ihres Hauses selber langsam zugrunde, sie fühlte, an dem Tag, an dem das Geschäft schließen mußte, würde es auch mit ihr zu Ende sein.
Erneut herrschte Stillschweigen. Baudu trommelte mit den Fingern auf dem Wachstuch des Tisches einen Marsch. Er fühlte sich müde, bedauerte fast, in dieser Weise wieder einmal sein Herz erleichtert zu haben.
»Unnützes Gerede!« rief er endlich. »Um zu einem Ende zu kommen: tu, was du für richtig hältst. Wir haben dir die Verhältnisse erklärt, das ist alles. Schließlich ist es deine Sache.«
Er drängte sie mit seinem Blick zu einer entschiedenen Antwort. Aber Denise, die durch diese Einzelheiten keineswegs abgeschreckt war, sondern sich nur noch mehr für das »Paradies der Damen« interessierte, begnügte sich damit, zu sagen:
»Kommt Zeit, kommt Rat, Onkel.«
Sie sprachen davon, bald zu Bett zu gehen, weil die Kinder müde seien. Da es aber erst sechs Uhr war, wollte sie selbst noch ein Weilchen im Laden bleiben. Die Nacht war hereingebrochen; draußen fiel seit einiger Zeit ein feiner, dichter Regen.
Denise gab der Versuchung nach und trat in die Tür. Der Anblick, den das »Paradies der Damen« in dieser späten Abendstunde bot, nahm das Mädchen vollends gefangen. In dieser großen Stadt, die im strömenden Regen schwarz und stumm dalag, in diesem ihr unbekannten Paris erstrahlte das Warenhaus wie ein Leuchtfeuer, es schien alles Licht und alles Leben der Stadt in sich zu vereinigen.
Als Denise sich umwandte, sah sie, daß die Baudus erneut hinter ihr standen. Es zog sie unwillkürlich immer wieder vor dieses Schauspiel, das ihnen doch das Herz brach. Geneviève war sehr blaß; sie hatte beobachtet, daß Colomban abermals die vor den Fenstern vorbeihuschenden Schatten der Verkäuferinnen im Zwischenstock betrachtete; und während Baudu vor verhaltener Wut fast erstickte, hatten sich die Augen Frau Baudus still mit Tränen gefüllt.
»Nicht wahr, du stellst dich morgen drüben vor?« fragte der Tuchhändler endlich seine Nichte, von der Ungewißheit verzehrt und doch zugleich in dem sicheren Gefühl, daß sie dem ›Paradies der Damen‹ bereits verfallen sei wie alle anderen.
Sie zögerte etwas, dann sagte sie sanft:
»Ja, Onkel, wenn es Sie nicht zu hart ankommt.«
Zweites Kapitel
Am folgenden Tag um halb acht Uhr morgens fand sich Denise vor dem »Paradies der Damen« ein. Sie wollte sich dort vorstellen und anschließend Jean zu seinem Lehrherrn bringen, der weit weg im Faubourg du Temple wohnte. Da sie gewohnt war, zeitig aufzustehen, war sie zu früh dran; die Angestellten kamen selber erst spärlich an, und da sie sich lächerlich zu machen fürchtete, ging sie noch eine kleine Weile auf und ab.
Es wehte ein kalter Wind, der das Pflaster bereits getrocknet hatte. Aus allen Straßen kamen jetzt eiligen Schrittes die Angestellten, den Kragen hochgeschlagen, die Hände in den Taschen, gleichsam überrascht von diesem ersten Winterschauer. Die meisten gingen allein und verschwanden im Hintergrund des Warenhauses, ohne mit ihren Kollegen ein Wort zu wechseln oder sie auch nur anzublicken. Andere kamen zu zweien oder dreien; in lebhaftes Gespräch vertieft, nahmen sie die ganze Breite des Bürgersteigs ein. Und alle warfen, bevor sie eintraten, mit der gleichen Handbewegung den Rest ihrer Zigarre oder Zigarette in den Rinnstein.
Denise bemerkte, daß mehrere der Männer sie im Vorübergehen anblickten. Da nahm ihre Schüchternheit noch zu. Sie fühlte nicht mehr die Kraft, ihnen zu folgen, und beschloß zu warten, bis der Strom der Angestellten versiegte. Sie errötete bei dem Gedanken, unter der Tür zwischen all diesen Männern hin- und hergestoßen zu werden. Um den Blicken zu entgehen, machte sie langsam die Runde um die Place Gaillon.
Als sie zurückkam, fand sie vor dem »Paradies der Damen« einen langen, blassen, schlaksigen Jüngling, der gleich ihr seit einer Viertelstunde hier zu warten schien.
»Fräulein«, fragte er sie endlich mit stotternder Stimme, »sind Sie vielleicht Verkäuferin hier in diesem Haus?«
Sie war so verblüfft darüber, von einem ihr unbekannten jungen Mann angesprochen zu werden, daß sie nicht sogleich antwortete.
»Ich möchte nämlich gern hier unterkommen«, fuhr er noch verlegener fort, »und ich dachte, daß Sie mir vielleicht Auskunft geben könnten.«
»Ich würde Ihnen gern helfen«, antwortete sie endlich; »aber es geht mir wie Ihnen; ich will mich auch vorstellen.«
»Ach so! Ganz recht!« sagte er, völlig außer Fassung.
Nun erröteten sie alle beide; schweigend und schüchtern standen sie einander gegenüber, gerührt durch die Ähnlichkeit ihrer Lage und doch zu zaghaft, um sich gegenseitig laut einen guten Erfolg zu wünschen. Als schließlich keiner von beiden mehr etwas zu sagen wußte und ihre Verwirrung nur größer wurde, gingen sie linkisch auseinander und warteten einige Schritte entfernt, jeder für sich.
Immer noch kamen Angestellte. Denise hörte sie ihre Spaße machen, wenn sie an ihr vorüberkamen und ihr einen Seitenblick zuwarfen. Sie wurde immer verlegener, das Ziel so vieler Blicke zu sein, und entschloß sich gerade, einen Spaziergang von einer halben Stunde durch das Stadtviertel zu machen, als der Anblick eines jungen Mannes, der raschen Schritts aus der Rue Port Mahon kam, sie einen Augenblick zurückhielt. Es mußte ein Abteilungsleiter sein, denn alle Angestellten grüßten ihn. Er war groß, die Haut zart und hell, der Bart sorgfältig gepflegt; seine Augen, die er im Vorbeigehen einen Moment auf ihr ruhen ließ, waren goldbraun und samtweich. Er war längst mit gleichgültiger Miene im Warenhaus verschwunden, als sie noch immer unbeweglich, wie gebannt von diesem Blick dastand, von einer seltsamen Erregung ergriffen, in der ein Gefühl des Unbehagens überwog. Wieder kam die Angst über sie; sie ging langsam die Rue Gaillon, dann die Rue Saint-Roch hinab in der Hoffnung, ihren Mut wiederzufinden.
Der junge Mann war mehr als ein Abteilungsleiter; es war Octave Mouret selbst. Er hatte die verflossene Nacht nicht geschlafen; nach einer Abendgesellschaft bei einem Wechselagenten war er mit einem Freund und zwei Frauen, die sie hinter den Kulissen eines kleinen Theaters aufgelesen hatten, noch essen gegangen. Sein zugeknöpfter Mantel verbarg den Frack und die weiße Krawatte. Er stieg rasch in seine Wohnung hinauf, um sich zu waschen und die Kleidung zu wechseln. Als er in sein Arbeitszimmer, das im Zwischenstock lag, zurückkehrte und an seinem Schreibtisch Platz nahm, war er wieder frisch, sein Blick war klar, er war völlig beim Geschäft, als habe er zehn Stunden in seinem Bett zugebracht. Das geräumige Arbeitszimmer hatte eichene, mit grünem Rips überzogene Möbel. Die einzige Zierde des Raumes war ein Bild: das Porträt jener Frau Hédouin, von der man im Stadtviertel noch immer sprach. Octave bewahrte ihr ein zärtliches Andenken und zeigte sich im Gedächtnis sehr dankbar dafür, daß sie ihm durch die Heirat ein Vermögen zugebracht hatte. Bevor er daran ging, die Wechsel zu unterschreiben, die auf seinem Tisch lagen, warf er auch jetzt ein Lächeln zu dem Bild empor, das Lächeln eines Glücklichen. Hier vor ihren Augen fand er sich immer wieder ein, um zu arbeiten, wenn er sich die Zerstreuungen eines jungen Witwers gegönnt hatte, wenn er aus den Schlafzimmern heraus war, in die er sich in seinem Bedürfnis nach Vergnügen verirrt hatte.
Es klopfte an die Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, trat ein junger Mann ein, groß und hager, mit schmalen Lippen, spitzer Nase, elegant gekleidet, die langen Haare, in denen schon einige graue Strähnen zu sehen waren, glatt nach hinten gestrichen. Mouret schaute einen Moment auf, dann sagte er, ohne seine Arbeit zu unterbrechen:
»Gut geschlafen, Bourdoncle?«
»Danke, sehr gut«, erwiderte der junge Mann, der mit vertraulicher Ungezwungenheit im Raum umherging.
Bourdoncle, Sohn eines armen Pächters aus der Umgebung von Limoges, war gleichzeitig mit Mouret im »Paradies der Damen« eingetreten zu einer Zeit, als das Geschäft noch kaum mehr als die Ecke der Place Gaillon einnahm. Sehr klug, sehr tätig, schien er damals ganz dazu angetan, seinen Kameraden zu verdrängen, der, weniger ernsthaft veranlagt, ständig mit Weibergeschichten zu tun hatte. Allein Bourdoncle hatte nicht den genialen Zug dieses leidenschaftlichen Provenzalen, es fehlte ihm dessen kühner Schwung, seine überwältigende Liebenswürdigkeit. Übrigens hatte er sich mit sicherem Instinkt vom ersten Augenblick an widerstandslos dem andern gebeugt. Als Mouret seinen Angestellten den Rat erteilt hatte, ihr Geld in seinem Geschäft anzulegen, hatte Bourdoncle als einer der ersten nachgegeben und ihm sogar eine Erbschaft anvertraut, die ihm von einer Tante unerwarteterweise zugefallen war. Und nachdem er alle Stufen emporgeklettert war, erst Verkäufer, dann Zweiter, schließlich Leiter der Seidenabteilung, war er schließlich einer der Stellvertreter des Inhabers geworden, der geschätzteste und angesehenste, einer der sechs Teilhaber, die den Chef in der Leitung des Hauses unterstützen, eine Art Ministerrat unter einem absoluten Herrscher. Jeder von ihnen überwachte ein Teilgebiet; Bourdoncle hatte die Oberaufsicht.
»Und wie haben Sie die Nacht zugebracht?« fragte er vertraulich.
Als Mouret ihm erwiderte, daß er gar nicht zu Bett gegangen sei, schüttelte er den Kopf und brummte:
»Sehr unvernünftige Lebensweise!«
»Wieso denn?« meinte der andere vergnügt. »Ich bin weniger müde als Sie. Sie haben vom Schlaf verklebte Augen; Sie werden ganz schwerfällig, wenn Sie allzu solide sind. Amüsieren Sie sich: das muntert die Gedanken auf.«
Sie stritten oft freundschaftlich über diesen Gegenstand. Bourdoncle hatte anfangs seine Geliebten geprügelt, weil sie, wie er sagte, ihn nicht schlafen ließen. Jetzt gestand er offen, daß er die Frauen hasse. Indessen hatte er sicherlich auswärts Zusammenkünfte, von denen er nicht sprechen wollte, so wenig berührten sie sein Inneres; er begnügte sich damit, im Geschäft die weiblichen Kunden auszubeuten, wobei er sich voller Verachtung über die Leichtfertigkeit ausließ, mit der sie ihr Geld für so manchen unnützen Tand vergeudeten. Mouret dagegen tat sehr entzückt, war in Gegenwart der Frauen stets verführerisch, liebenswürdig und fortwährend in neue Liebschaften verwickelt. Und diese Liebschaften waren gleichsam eine Reklame für sein Geschäft; man war versucht zu sagen, daß er das ganze schöne Geschlecht in einer einzigen Umarmung umfange, um es desto sicherer zu betören und sich dienstbar zu machen.
»Ich habe gestern auf dem Ball Frau Desforges gesehen«, fuhr er fort. »Sie war reizend.«
»Aber Sie haben nicht etwa anschließend mit ihr gegessen?« fragte sein Teilhaber.
»Wo denken Sie hin!« rief Mouret. »Sie ist viel zu anständig für so etwas, mein Lieber ... Nein, soupiert habe ich mit Héloise, der kleinen Schauspielerin aus den Folies. Sie ist dumm wie eine Gans, aber sehr drollig!«
Er nahm ein neues Bündel Wechsel zur Hand und fuhr fort zu unterschreiben. Unterdessen ging Bourdoncle im Zimmer auf und ab. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick durch die hohen Fensterscheiben auf die Rue Neuve-Saint-Augustin; dann kam er zum Schreibtisch zurück und sagte:
»Sie werden sich rächen.«
»Wer denn?« fragte Mouret zerstreut.
»Nun, die Frauen.«
Diese Bemerkung versetzte Mouret erst recht in heitere Stimmung; er kehrte die Brutalität hervor, die sich unter all der Anbetung der Frauen verbarg. Verächtlich zuckte er die Achseln, um gleichsam damit auszudrücken, daß er sie wie leere Säcke abschütteln werde, sobald sie ihm zum Aufbau seines Vermögens verholfen hätten. Bourdoncle aber wiederholte eigensinnig:
»Sie werden sich rächen ... Es wird sich eine finden, die alle übrigen rächt; es ist ein Verhängnis mit den Frauen.«
»Da habe ich keine Angst!« rief Mouret. »Diese eine ist noch nicht geboren. Wenn sie kommt, wird sie an mir ihren Gegner finden.«
Sie schwiegen; man hörte nichts als das Gekritzel der Feder Mourets. Auf seine kurzen Fragen gab Bourdoncle dann Auskunft über den großen Sonderverkauf von Winterartikeln, der am nächsten Montag stattfinden sollte. Es war ein gewagtes Unterfangen, die ganze Existenz des Hauses stand dabei auf dem Spiel; die im Stadtviertel umlaufenden Gerüchte waren nicht unbegründet.
Mouret hatte sich mit dem Elan eines Künstlers in dieses Unternehmen gestürzt, mit einem solchen Aufwand, mit einer solchen Leidenschaft für das Kolossale, daß er auch heute noch, trotz seiner ersten Erfolge, seine Teilhaber zuweilen in Bestürzung versetzte. Man tadelte ihn im stillen, daß er allzu rasch vorgehe; man beschuldigte ihn, daß er in gefährlichem Maße das Lager erweitert habe, ohne noch zu wissen, woher er die zusätzliche Kundschaft nehmen sollte; insbesondere zitterte man, als man sah, daß er alles Geld auf eine Karte setzte, ganze Berge von Waren anhäufte, ohne Rücklagen zu behalten.
Doch als Bourdoncle sich jetzt erlaubte, seine Besorgnisse über die allzu schnelle Erweiterung einiger Abteilungen des Hauses zu äußern, deren Rentabilität noch ungewiß war, lachte Mouret zuversichtlich und rief:
»Lassen Sie's gut sein, mein Lieber, das Haus ist noch immer zu klein.«
Der andere war völlig verblüfft, von einer Angst erfaßt, die er gar nicht zu verbergen suchte. Das Haus zu klein! Ein Modewarenhaus, in dem es neunzehn Abteilungen gab und das vierhundertdrei Angestellte beschäftigte!
»Trotzdem«, sagte Mouret. »Ehe anderthalb Jahre vergehen, werden wir uns vergrößern müssen. Ich denke ernstlich daran. Gestern abend hat Frau Desforges mir versprochen, mich mit einem Herrn bekannt zu machen ... Kurz, wir werden später noch darüber reden, wenn die Sache spruchreif ist.«
Bevor sie nun aber zu ihrem üblichen Rundgang ins Geschäft hinuntergingen, besprachen sie noch einige Einzelheiten miteinander. Sie sahen sich das Muster eines Abreißblocks an, den sich Mouret für die Verkaufsabrechnungen ausgedacht hatte. Er hatte nämlich festgestellt, daß die sogenannten Ladenhüter um so rascher abgesetzt wurden, je größer die Provision war, die er seinen Angestellten gab. Daraufhin hatte er etwas völlig Neues eingeführt. Er beteiligte seither seine Angestellten an allem, was sie umsetzten, und gab ihnen Prozente für den kleinsten Stoffrest, für den geringsten Artikel, den sie verkauften. Diese Einrichtung hatte einen wahren Kampf ums Dasein unter den Angestellten entfacht, einen Kampf, der den Geschäftsinhabern zugute kam.
Das Muster wurde für gut befunden. Auf dem oberen Teil des Blocks wie auf dem Abriß waren Abteilung und Nummer des Verkäufers angegeben; dann befanden sich auf beiden Teilen gleiche Rubriken für die Meter- oder Stückzahl, die Art des Artikels und den Preis; der Verkäufer hatte das Blatt nur zu unterzeichnen, bevor er es an der Kasse abgab. Auf diese Weise war die Überprüfung sehr einfach, es genügte, die abgegebenen Kassenzettel mit den in den Händen der Angestellten gebliebenen Kontrollabschnitten zu vergleichen. Jede Woche konnten so die Verkäufer ihre Provisionen abheben, ohne daß ein Irrtum möglich war.
»Wir werden weniger bestohlen werden«, bemerkte Bourdoncle zufrieden; »das war ein ausgezeichneter Gedanke von Ihnen.«
»Ich habe diese Nacht noch an andere Dinge gedacht«, sagte Mouret. »Ich hätte Lust, den Leuten unserer Abrechnungsstelle eine Prämie für jeden Fehler auszusetzen, den sie in den Kassenblocks entdecken. So sind wir sicher, daß sie die Prüfung sorgfältig vornehmen.«
Er begann zu lachen, während der andere ihn bewundernd anblickte.
»Also gehen wir hinunter«, meinte er dann. »Wir müssen uns um den Sonderverkauf nächste Woche kümmern. Die Seidenstoffe sind gestern angekommen? Bouthemont wird wohl in der Annahmestelle sein.«
Bourdoncle folgte ihm. Die Warenannahme lag im Keller nach der Rue Neuve-Saint-Augustin zu. Zu ebener Erde befand sich ein verglaster Vorraum, in dem die ankommenden Waren abgeladen wurden. Nachdem sie gewogen waren, glitten sie auf einer Rutschbahn in die Tiefe.
Einen Augenblick blieb Mouret hier stehen. Es herrschte reger Betrieb: lange Reihen von Kisten kamen die schräge Bahn herab, von unsichtbaren Händen auf den Weg geschickt. In dem fahlen Licht, das durch die breiten Kellerfenster hereinfiel, war eine Schar von Männern damit beschäftigt, die herabgleitenden Sendungen in Empfang zu nehmen, eine andere Gruppe hatte die Aufgabe, unter der Aufsicht des Abteilungsleiters die Kisten und Ballen zu öffnen. Die Betriebsamkeit einer Werkstatt erfüllte den ganzen Keller.
»Ist alles da, Bouthemont?« fragte Mouret einen kräftig gebauten jungen Mann, der eben dabei war, den Inhalt einer Kiste festzustellen.
»Es wird wohl jetzt alles angekommen sein«, erwiderte Bouthemont. »Aber ich werde den ganzen Vormittag mit der Abnahme vollauf zu tun haben.«
Der Abteilungsleiter stand an einem großen Tisch, und während einer seiner Verkäufer Stück für Stück die Seiden aus der Kiste nahm und vor ihm stapelte, verglich er jeden Posten mit den Angaben auf dem Begleitschein. Um sie herum reihte sich Tisch an Tisch, sämtlich vollgepackt mit Waren, die von einem Heer von Angestellten geprüft wurden. Es war ein allgemeines Auspacken, ein scheinbares Durcheinander von Stoffen, die unter lebhaftem Stimmengewirr hin- und hergewendet, geprüft und schließlich ausgezeichnet wurden.
Bouthemont, der in seinem Fach schon einen gewissen Ruf genoß, hatte ein rundes, gutmütiges Gesicht, einen pechschwarzen Bart und schöne, braune Augen. Er war etwas prahlerisch veranlagt, für den Verkauf nicht sonderlich geeignet, im Einkauf dagegen unbezahlbar. Sein Vater, der in Montpellier ein kleines Modewarengeschäft führte, hatte ihn nach Paris geschickt, damit er etwas Rechtes lerne. Als es ihm aber genug erschienen war und er den Sohn hatte zurückrufen wollen, damit er das väterliche Geschäft übernehme, hatte der junge Mann sich geweigert, Paris zu verlassen. Seither hatte sich die Kluft zwischen Vater und Sohn mehr und mehr vertieft. Der Alte hielt an seinem Kleinhandel fest und war ganz empört, als er sehen mußte, daß ein einfacher Angestellter das Dreifache von dem bekam, was er selbst verdiente. Der Sohn dagegen machte sich lustig über den Betrieb daheim, prahlte mit seinen Errungenschaften und stellte alles auf den Kopf, wenn er zuweilen nach Hause kam. Gleich den übrigen Abteilungsleitern bezog er außer seinen dreitausend Franken Jahresgehalt noch eine Umsatzprovision. Er hatte im Einkauf völlig freie Hand, reiste fast jeden Monat nach Lyon, um bei den Fabriken seine Bestellungen aufzugeben, und mußte nur von Jahr zu Jahr in einem bestimmten Verhältnis den Umsatz seiner Abteilung steigern.