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Mehrere Beinahe-Zusammenbrüche – mit immer schlimmeren Folgen
Das blieb nicht ohne Folgen. 1998 geriet das globale Finanzsystem zum ersten Mal an den Rand des Zusammenbruchs, weil sich ein amerikanischer Hedgefonds im internationalen Währungsgeschäft verspekuliert hatte. Damals tat sich eine Gruppe von Großbanken zusammen und rettete das System und damit sich selbst durch einen Feuerwehreinsatz, der etwa vier Milliarden Dollar kostete.
2007/08 kam es zum zweiten Beinahe-Zusammenbruch. Diesmal waren die Folgen erheblich schlimmer. Die Summen, um die es ging, waren so hoch, dass die Banken überfordert waren und die Regierungen eingreifen mussten. Da deren Haushalte aber auch nicht ausreichten, um das System dauerhaft zu stabilisieren, sprangen anschließend die Zentralbanken ein und hielten es künstlich am Leben, indem sie immer mehr Geld schufen und es zu immer niedrigeren Zinsen vergaben.
In der Eurokrise verschärften sich die Probleme noch einmal, denn nun mussten nicht nur Finanzinstitute, sondern ganze Staaten vor dem Zusammenbruch gerettet werden. Den vorläufigen Höhepunkt bildete 2020 die Corona-Krise, in deren Verlauf die Weltwirtschaft zum ersten Mal in ihrer Geschichte zum Stillstand gebracht wurde – mit der Folge, dass der globale Schuldenstand astronomisch in die Höhe schoss und das System nur noch mittels einer nie dagewesenen Geldschwemme am Leben erhalten werden konnte.
Jede dieser Krisen hat den Prozess der Vermögens- und damit der Machtkonzentration weiter vorangetrieben und gleichzeitig ein neues, unüberwindbares Problem geschaffen: Die Mittel, die zur Rettung des Systems eingesetzt werden können, sind weitgehend ausgeschöpft. Da die Verantwortlichen in der nächsten Krise dennoch gezwungen sein werden zu reagieren, wird ihnen nichts anderes übrig bleiben als die Zinsen in den Negativbereich zu senken, noch mehr Geld zu mobilisieren, die Inflation anzuheizen und das System so noch stärker zu destabilisieren.
Damit aber ist die Welt an einem Wendepunkt angekommen, denn das System lässt sich auf Dauer nur noch durch solche Maßnahmen am Leben erhalten, die seine Grundlagen zerstören. Der Finanzsektor, der einmal aus der Realwirtschaft hervorgegangen ist, gleicht mittlerweile einem Tumor, der seinem Wirt nach und nach alle Lebenskraft entzieht und inzwischen ein Stadium erreicht hat, in dem nur noch seine radikale Entfernung helfen kann, den Wirt am Leben zu erhalten.
Diese Rettung aber erfordert die Bereitschaft des Wirtes, sich retten zu lassen und die wiederum setzt voraus, dass der Wirt erkennt, dass sein schlechter Zustand auf den Tumor zurückzuführen ist. Auf unsere Gesellschaft bezogen, bedeutet das: Die Mehrheit der Menschen muss erkennen, dass die soziale Misere, vor allem die seit Jahren anhaltende kontinuierliche Senkung ihres Lebensstandards, aber auch der kulturelle Verfall und die zunehmende Unterwerfung der Gesellschaft unter autoritäre politische Strukturen ihre Ursachen im gegenwärtigen Finanzsystem hat.
Wir stehen also vor einer historischen Herausforderung, denn diejenigen, die das gegenwärtige System beherrschen, haben in der Vergangenheit deutlich gezeigt, dass sie nicht bereit sind, ihren Machtanspruch freiwillig aufzugeben. Natürlich werden sie bei der Verteidigung ihrer Privilegien auch bereit sein, Gewalt anzuwenden. Der größte Trumpf aber, den sie in der Hand halten, ist nicht materieller, sondern ideeller Natur: Es handelt sich um die Unwissenheit der breiten Masse, wenn es um die Funktionsweise des Systems geht.
So lange diese Unwissenheit bestehen bleibt, wird die Menschheit sich aus der Sackgasse, in der sie sich gegenwärtig befindet, nicht befreien können. Die wichtigste Voraussetzung für die Errichtung eines wirklich demokratischen und von der Allgemeinheit getragenen Finanzsystems besteht deshalb darin, diese Unwissenheit zu beseitigen.
1. Finanzmärkte
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Es vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht etwas von „den Finanzmärkten“ hört. Eine der meistgestellten Fragen im Nachrichtenbereich lautet: „Was sagen die Finanzmärkte dazu?“ Aber worum genau handelt es sich bei diesen Finanzmärkten? Wie sind sie entstanden? Und vor allem: Warum wird ständig von ihnen gesprochen?
Fangen wir mit einer Begriffsklärung an: Märkte sind Handelsplätze, auf denen Waren den Besitzer wechseln. Finanzmärkte sind also Handelsplätze, auf denen Finanzprodukte den Besitzer wechseln. Unter Finanzprodukten verstehen wir alles, was man kaufen kann, wenn man sein Geld anlegen und es vermehren möchte, ohne selbst dafür zu arbeiten.
Aktien und Anleihen zum Beispiel sind klassische Finanzprodukte. Wer eine Aktie kauft, wird zum Gesellschafter eines Unternehmens und ist an seinem Gewinn oder Verlust beteiligt. Wer eine Anleihe kauft, leiht einem Unternehmen Geld und erhält dafür Zinsen. Aktien und Anleihen dienen also dazu, Unternehmen mit Geld zu versorgen, damit sie erfolgreich arbeiten können. Solche klassischen Finanzprodukte fördern die Realwirtschaft.
In den vergangenen drei Jahrzehnten allerdings hat eine bestimmte Art von Finanzprodukten einen kometenhaften Aufstieg erlebt, die diesen Effekt nicht haben: die Derivate. Derivate sind Termin-Kontrakte, mit denen man auf steigende oder fallende Preise, Kurse oder Zinsen setzt – im Grunde also nichts anderes als Wetten. Mit ihnen kann man innerhalb von kurzer Zeit sehr hohe Gewinne erzielen oder auch sehr hohe Verluste erleiden. Nur eines kann man nicht: die Realwirtschaft fördern. Obwohl Derivate historisch zur Eingrenzung von Risiken entstanden sind, dienen sie in ihrer heutigen Form fast ausschließlich der Bereicherung von Spekulanten. Und nicht nur das: Sie schaden der Realwirtschaft, indem sie ihr Geld entziehen und einzelne Marktteilnehmer – zum Beispiel durch Wetten auf fallende Kurse – vom Unglück anderer profitieren lassen. Außerdem begünstigen Derivate Profizocker und Ultrareiche. Wer über Insider-Informationen verfügt, kann natürlich besser auf kommende Entwicklungen wetten als der, der sie nicht hat. Und wer sehr viel Geld hat, kann seine Marktmacht gezielt einsetzen und so dafür sorgen, dass die eigene Wette aufgeht. Der Derivate-Markt ist in den vergangenen drei Jahrzehnten geradezu explodiert und nimmt heute innerhalb der Finanzmärkte den mit Abstand größten Raum ein.
Das heißt: Die Finanzmärkte von heute dienen in der Hauptsache nicht mehr der Förderung der Realwirtschaft, sondern führen ein Eigenleben, das einem riesigen Spielcasino gleicht – mit dem Nebeneffekt, dass es der Realwirtschaft auch noch schadet. Weil die riesigen Summen, die in diesem Casino verdient werden, zum größten Teil erneut in die Spekulation fließen, haben sie auch dazu beigetragen, die anderen Sektoren – also die Aktien-, Anleihen- und Devisenmärkte – weiter aufzublähen. Das Ergebnis: Wir haben es heute an den Finanzmärkten mit der größten Blase aller Zeiten zu tun. Das ist natürlich auch denen nicht entgangen, die das globale Finanzsystem steuern – nämlich den Zentralbanken. Um das Platzen dieser Mega-Blase zu verhindern, versuchen sie seit einiger Zeit, ihre Geldpolitik zu straffen, das heißt, weniger Geld ins System zu pumpen und die Zinsen anzuheben. Dabei stoßen sie aber auf ein gewaltiges Problem: Die niedrigen Zinsen der Vergangenheit haben Staaten, Unternehmen und Privathaushalte dazu verführt, sich immer mehr Geld zu leihen und den höchsten Schuldenberg aller Zeiten anzuhäufen. Schulden müssen aber bedient werden, und das wird durch eine Verringerung der Geldmenge bei gleichzeitiger Erhöhung des Zinssatzes erschwert.
Die Finanzmärkte befinden sich deshalb in einer historischen Sackgasse: Setzen die Zentralbanken die Straffung der Geldpolitik fort, treiben sie immer mehr Schuldner in die Zahlungsunfähigkeit, reißen sie das Ruder herum und pumpen noch mehr Geld zu noch niedrigeren Zinsen ins System – wächst die Mega-Blase weiter. Also: Wer auch immer über „die Finanzmärkte“ spricht, der spricht von einem System, das sich von einem Förderer der Realwirtschaft zu einem riesigen Parasiten entwickelt hat und das sich inzwischen auf Grund seiner schieren Größe mit herkömmlichen Methoden nicht mehr beherrschen lässt.
2. Zentralbanken
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Wenn wir an Banken denken, dann an Einrichtungen, bei denen wir ein Konto eröffnen, wo wir uns einen Kredit holen oder auch ein Schließfach zur Aufbewahrung von Wertsachen einrichten können. Es gibt allerdings eine Art von Bank, bei der das alles nicht möglich ist: Die Zentralbank, auch Notenbank genannt. Eine Zentralbank unterhält keine Filialen, in denen Kundenverkehr herrscht, und sie steht Privatpersonen auch online nicht zur Verfügung. Es gibt aber jemanden, für den die Zentralbank jederzeit da ist: die Geschäftsbanken. Sie dürfen bei der Zentralbank Konten einrichten, sich Kredite holen und auch dort ihr Geld aufbewahren lassen. Das heißt: Die Zentralbank ist eine Bank nur für Banken. Und sie hat einen besonderen Status. Sie genießt nämlich zwei Rechte, die den Geschäftsbanken vorenthalten sind: Sie darf unbegrenzt aus dem Nichts heraus neues Geld schöpfen und ins System einspeisen und sie darf den Leitzins – also den Zinssatz, zu dem sie dieses Geld an die Geschäftsbanken verleiht – festlegen.
Die Zentralbank steht also über den Banken und hat auf Grund ihrer Privilegien eine Art Steuerungsfunktion für die Geldwirtschaft. Da es sich heute bei den meisten Zentralbanken um staatliche Einrichtungen handelt, glauben viele Menschen, dass es sich bei ihnen um eine Art Kontrollinstanz handelt, mit der das Bankgewerbe vom Staat reguliert und beaufsichtigt wird. Das aber stimmt nicht – und das lässt sich am besten anhand der Geschichte belegen.
Die ersten Zentralbanken sind nämlich nicht vom Staat geschaffen worden, sondern von Bankern und Kaufleuten, und zwar ausschließlich zum Zweck der persönlichen Bereicherung. Dabei wurde allerdings in allen Fällen eine Art Abkommen zwischen ihnen und der Politik geschlossen. Die Bank of England zum Beispiel wurde 1694 von vermögenden Kaufleuten gegründet, die dem König einen Kredit zur Kriegsführung gewährt haben. Auch die schwedische und die französische Zentralbank sind auf ähnliche Weise – durch Kreditvergabe zur Kriegsführung – entstanden. Die amerikanische Zentralbank Federal Reserve wurde 1913 von den damals reichsten Bankern der Wall Street in geheimer Zusammenarbeit mit einigen wenigen hochrangigen Politikern gegründet.
Die Zentralbanken gehen also in ihren historischen Anfängen auf ein Zusammenspiel von Bankern und Regierungen zurück. Profitiert haben davon beide: Die Banker haben das Recht zur Geldschöpfung erhalten, die Regierungen haben sich im Gegenzug eine Geldquelle geschaffen, aus der sie sich jederzeit bedienen können. Das klingt jetzt so, als hätten wir es hier mit zwei gleichberechtigten Partnern zu tun. Aber das stimmt nicht ganz: Wenn der eine Partner – die Politik – sich vom anderen Geld besorgen kann, der andere – die Zentralbank – es aber schöpfen darf – wer ist dann wohl der mächtigere? Genau: Mit den Zentralbanken haben sich die Banker Organisationen geschaffen, die sie über die Politik, über Regierungen und damit über den Rest der Gesellschaft erheben. In einer Welt, in der das Geld regiert, ist selbstverständlich derjenige der Mächtigste, der dieses Geld schaffen kann.
Was bedeutet das für uns? Vor allem eines: Der Satz: „In einer Demokratie geht alle Macht vom Volke aus“, den wir alle in der Schule gelernt haben, ist einfach nicht richtig. Die wahre Macht in unserer Zeit haben nicht wir, sondern die Banken und ihre oberste Interessensvertretung – die Zentralbank. Das hat sich übrigens sehr deutlich in der Krise von 2007/2008 gezeigt. Das globale Finanzsystem war damals am Ende, musste reanimiert und anschließend am Leben erhalten werden. Diese Aufgabe haben Regierungen und Zentralbanken Hand in Hand übernommen. Die Regierungen haben diverse Großbanken mit Steuergeldern vor dem Bankrott gerettet, und die Zentralbanken haben anschließend das Geld geschöpft, mit dem die in den Haushalten entstandenen Löcher gestopft wurden.
Da das aber nicht ausgereicht hat, sind die Zentralbanken noch weiter gegangen und haben Dinge getan, die sie früher niemals getan hätten: Um bankrotte Staaten am Leben zu erhalten, haben sie deren Staatsanleihen gekauft, um maroden Unternehmen unter die Arme zu greifen, haben sie deren faule Kredite und toxische Papiere übernommen. Außerdem haben sie ihnen Anleihen, Aktien und sogar Verbriefungen abgekauft – also genau die Finanzinstrumente, die das System 2008 an den Rand des Zusammenbruchs gebracht haben. Auf diese Weise sind die Zentralbanken nicht nur zur wichtigsten Stütze des Systems geworden, sondern vor allem zu seinen größten Manipulatoren. Nicht etwa, dass sie die Finanzindustrie im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung in die Schranken weisen, nein, sie tun alles, um das bestehende System so lange wie möglich am Leben zu erhalten – mit der Folge, dass eine winzige Minderheit den eigenen Reichtum auch weiterhin fast ungehemmt vermehren kann.
3. Derivate
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Die Weltwirtschaft wird seit einigen Jahrzehnten vom Finanzsektor beherrscht. Dieser Finanzsektor ist inzwischen um ein Vielfaches größer als die Realwirtschaft. Und den größten Raum innerhalb dieses Finanzsektors nehmen die Derivate ein. Es waren solche Derivate, die das globale Finanzsystem 1998 und 2008 beinahe zum Einsturz gebracht haben und die es auch heute wieder bedrohen. Derivate betreffen also nicht nur das Finanzsystem, sondern uns alle.
Das Wort Derivat kommt von dem lateinischen Verb „derivare“ und bedeutet „ableiten“. Derivate bezeichnen daher Finanzprodukte, deren Preis sich vom Preis eines anderen Produktes ableitet. Bei diesem anderen Produkt, das man als Basiswert bezeichnet, kann es sich um alles Mögliche handeln – z.B. einen Rohstoff, einen Aktienkurs oder auch einen Zinssatz. Zu den Derivaten zählen u.a. Swaps, Futures, Forwards und Options – alles Begriffe, die dem Laien herzlich wenig sagen, die aber eines gemeinsam haben: Es handelt sich um sogenannte Termin-Kontrakte. Bei einem Termin-Kontrakt setzt man darauf, dass ein Basiswert entweder steigt oder fällt. Das heißt, ein Derivat ist im Grunde nichts anderes als eine Wette.
Um zu verstehen, wie diese Derivate entstanden sind, und wie sie so wichtig werden konnten, muss man sich die Weltwirtschaft einfach einmal als einen Großmarkt vorstellen, auf dem Bauern ihre Waren anbieten, Zwischenhändler diese Waren aufkaufen und sie anschließend an Einzelhändler weiterverkaufen. Neben diesem Großmarkt befindet sich eine Bank, die das klassische Bankgeschäft betreibt, also Kredite vergibt. Das Geschäft dieser Bank läuft so lange gut, bis eines Tages die Bauern genügend Felder haben, die Zwischenhändler ausreichend Autos besitzen und die Einzelhändler ihre Läden abbezahlt haben.
Nun gerät aber die Kreditvergabe der Bank ins Stocken. Die Bauern brauchen zwar ab und zu neue Landmaschinen, die Zwischenhändler hin und wieder neue Autos und die Einzelhändler bauen ihre Läden ab und zu um, aber das große Geschäft ist für die Bank nicht mehr zu machen. In dieser Situation kommt der Banker auf eine Idee: Er eröffnet auf dem Großmarkt einen eigenen Stand und bietet Wetten an. Zuerst lässt er die Leute darauf setzen, ob an einem Tag mehr Äpfel oder mehr Kartoffeln verkauft werden. Dann lässt er sie wetten, welche Apfelsorte wohl am besten verkauft wird. Das Geschäft entwickelt sich so gut, dass der Banker immer neue, immer weiter verfeinerte Wetten auflegt: Werden rote oder grüne Äpfel, inländische oder ausländische, solche mit großem oder mit kleinem Kerngehäuse besser verkauft? Tatsächlich geht der Plan des Bankers auf: Immer mehr Bauern und Händler, aber auch Kunden des Marktes nehmen am Wettgeschäft teil. Kein Wunder, denn Wetten ist einfach, erfordert keine Arbeit, sondern nur den Wetteinsatz. Außerdem lassen sich schnell hohe Gewinne machen.
Das Ganze hat aber auch eine Kehrseite: Mit der Zeit vernachlässigen immer mehr Bauern und Händler ihre eigentliche Tätigkeit, die Qualität der Waren auf dem Großmarkt lässt nach und schließlich beginnen einige Bauernhöfe, Fuhrparks und Einzelhandelsgeschäfte zu verfallen. Außerdem hat die entstandene Wettsucht noch eine weitere Folge: Diverse Bauern und Händler verzocken sich und gehen pleite. Einige wenige dagegen – die sich aufs Wetten konzentrieren – machen Riesengewinne und verabschieden sich aus ihren Berufen, um Profi-Zocker zu werden. Der größte Gewinner aber – und das ist das alles Entscheidende – ist die Bank, die ja von Anfang an an jeder einzelnen Wette verdient hat und auf Grund ihres Informationsvorsprungs am Ende alle Beteiligten beherrscht, und das Spiel grenzenlos zum eigenen Vorteil manipulieren kann.
Genau das ist die Situation, in der wir uns heute weltweit befinden: Die Ausuferung von Derivaten hat dazu geführt, dass die Realwirtschaft verkümmert und das Wettcasino sich dreht wie nie zuvor. Mit dem Ergebnis, dass eine winzige Anzahl von Menschen – Banker & Profi-Zocker – immer reicher werden und das Geschehen bestimmen, während die große Masse hilflos zusehen muss, wie ihr Lebensstandard nach und nach immer weiter sinkt.
4. Kreditausfall-Versicherung
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Viele werden jetzt fragen: Warum sollte man sich mit so etwas Speziellem beschäftigen? Ist das nicht nur etwas für Insider und Finanzfachleute? Nein, das ist es nicht, und zwar aus folgendem Grund: Kreditausfallversicherungen haben bereits zweimal entscheidend dazu beigetragen, dass das globale Finanzsystem fast in sich zusammengebrochen wäre, und zwar 1998 und 2008. Und das sogar nach eindringlichen Warnungen: Der amerikanische Großinvestor Warren Buffett hat sie nämlich bereits vor mehr als 20 Jahren als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet; wie wir heute wissen zu Recht.
Kreditausfallversicherungen, auf Englisch „credit default swaps“ (kurz CDS) genannt, zählen zu den Derivaten und wurden in den 1990er Jahren von einer JPMorgan-Bankerin namens Blythe Masters erfunden. Um zu verstehen, wie sie funktionieren, stellen wir uns einmal Folgendes vor:
Wir haben einiges Geld auf der Bank und wollen eine bestimmte Summe davon einem Unternehmen als Kredit zur Verfügung stellen. Dazu schließen wir mit dem Unternehmen einen Vertrag ab, in dem die Höhe des Kredites, seine Laufzeit und ein bestimmter Zinssatz, den das Unternehmen an uns zu zahlen hat, vereinbart werden. Dann aber beschleicht uns der Gedanke, dass wir ja in unruhigen Zeiten leben und niemand uns garantieren kann, dass das Unternehmen nach der vereinbarten Laufzeit tatsächlich in der Lage sein wird, uns unser Geld samt Zinsen auszuzahlen. Was tun wir also? Wir gehen zu einer Bank und lassen uns den Kredit versichern. Das heißt: Wir zahlen der Bank einen bestimmten Betrag, und die Bank garantiert uns im Gegenzug, dass wir das Geld selbst dann bekommen, wenn das Unternehmen während der Laufzeit des Kredits pleitegehen sollte. Das alles sind klare Abmachungen, die niemandem schaden, sondern allen Beteiligten nützen und sie ruhig schlafen lassen.
Nun aber kommen Blythe Masters und ihr Team von JPMorgan ins Spiel: Ihre Kreditausfallversicherung, die CDS, kann nämlich nicht nur vom Kreditgeber, sondern von jeder beliebigen Person oder Institution, die nicht an der Kreditvergabe beteiligt war, abgeschlossen werden – und das nicht nur bei einer Bank, sondern bei beliebig vielen Banken.
Was bedeutet das? Das bedeutet, dass Profis im Finanzgewerbe, die mehr Informationen besitzen als andere Marktteilnehmer, sich umgehend auf die Suche nach Unternehmen machen, von denen sie annehmen, dass sie ihre Kredite möglicherweise nicht zurückzahlen können. Das allein hat schon erhebliche Folgen: Es bewirkt nämlich, dass sich der Schaden im Fall des tatsächlichen Zusammenbruchs eines betroffenen Unternehmens vervielfacht, da die Ausfallversicherungen ja nicht nur an den Kreditgeber, sondern auch an all diejenigen, die Kreditausfallversicherungen abgeschlossen haben, ausgezahlt werden müssen.
Es geht aber noch weiter: Statt auf die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens zu warten oder darauf zu hoffen, können Großinvestoren auf Grund ihrer Marktmacht sogar nachhelfen: Sie können den Untergang eines Unternehmens nämlich beschleunigen oder im Extremfall sogar selbst herbeiführen. Wer also über sehr viel Geld verfügt, kann folgendermaßen vorgehen: Er sucht sich ein Unternehmen, das nicht auf festen Beinen steht, schließt massenweise Kreditausfallversicherungen darauf ab, kauft es anschließend auf, schlachtet es aus und treibt es in den Ruin. Die Folge: Das Unternehmen ist bankrott, Arbeitsplätze gehen unwiederbringlich verloren, aber der Verursacher der Misere streicht ein Vermögen ein.
Genau das ist 1998 im Fall des amerikanischen Hedgefonds LTCM passiert. Als er in Schwierigkeiten geriet, wurden so viele Kreditausfallversicherungen auf ihn abgeschlossen, dass ihre Auszahlung das Finanzsystem ins Wanken gebracht hätte. Um es am Leben zu erhalten, sprangen damals zahlreiche Wall-Street-Banken ein und retteten den Hedgefonds. 2008 geriet dann der amerikanische Versicherungsgigant AIG ins Trudeln, weil er die von ihm verkauften CDS nicht mehr bedienen konnte. In diesem Fall waren die erforderlichen Summen aber so hoch, dass die Banken überfordert waren und die Regierung und die Zentralbank einspringen mussten, um das entstandene Loch zu stopfen.
Die beiden Fälle zeigen: Kreditausfallversicherungen sind nicht nur volkswirtschaftlich schädlich und zerstörerisch, weil sie einzelnen Marktteilnehmern erlauben, sich zum Nachteil anderer zu bereichern, sie sind auch höchst gefährlich, da sie das Potenzial haben, das gesamte System zum Einsturz zu bringen. Trotzdem ist bis heute nichts gegen die Kreditausfallversicherungen unternommen worden. Im Gegenteil, ihr Umfang hat zugenommen und es gibt sogar sogenannte Geier-Hedgefonds, die sich auf ihren Einsatz spezialisiert haben.
Deshalb lautet die Frage, vor der wir heute stehen, nicht: Wird es einen weiteren Fall wie 1998 oder 2008 geben? Sondern: Wann wird dieser Fall eintreten?