Kitabı oku: «Spielen! Was sonst?», sayfa 2

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Eine andere Welt

Letztens in der Straßenbahn hörte ich zufällig ein Gespräch zweier Jugendlicher mit. Sie tauschten sich voller Begeisterung über die neusten Internetspiele aus. Je mehr sie darüber sprachen, desto weniger verstand ich etwas. Es war eine total fremde Welt, die sich da vor mir auftat. Ausdrücke wie World-of-Warcraft, Second-Life, Lebensenergie, Katakis, Takatis …“

Ich bat die Jugendlichen, mir zu erklären, wie das mit den Onlinespielen sei. Sie schauten mich entgeistert an und hatten schon eine abweisende Antwort auf den Lippen. Also setzte ich noch einmal nach und erklärte: „Ich würde wirklich gern etwas darüber erfahren. Meine Enkel finden das so cool, aber ich verstehe absolut nichts davon.“

Vielleicht hat meine Unwissenheit sie gerührt oder mein weißes Haar sie so besänftigt, dass sie begannen, mir die Welt der Online Spiele zu eröffnen. Der Lange mit der Undercut-Frisur holte weit aus: „Zum einen gibt es Browser-basierte Onlinespiele, die entweder auf reinem HTML-Code basieren oder zusätzliche Browser-Plug-Ins, zum Beispiel Flash oder Java, benötigen.“ Der Kurze fiel ihm ins Wort: „Und dann gibt es die Clientbasierten Multiplayer-Onlinespiele. Diese setzen die Installation einer Client-Software voraus. Die Client-Software verbindet sich dann entweder mit anderen Clients oder sie stellt eine Verbindung zu einem Spielserver her.“ Sie schauten mich erwartungsvoll und um Verständnis heischend an. Ich schüttelte den Kopf, um den Wortschwall der mir fremden Begriffe abzuschütteln. „Tut mir leid, ich habe nichts verstanden!“ Sie schauten sich an. Der Lange zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. Der Kurze blickte mir ins Gesicht und da er meinen echten Wunsch darin las, die Sache zu verstehen, raffte er sich noch einmal zu einem Erklärungsansatz auf. „Wissen Sie, es gibt z. B. Ego-Shooter Spiele, bei denen man früher zumeist allein gegen Feinde kämpfte und sie möglichst alle vernichten musste. Man hatte die unterschiedlichsten Waffen zur Verfügung: Pistolen, Pumpguns, Raketenwerfer mit unterschiedlicher Munition, Feuerrate und Streuung.“ Ich spürte, wie Erinnerungen an den Krieg in mir aufsteigen, doch der Junge holte tief Luft und fuhr begeistert fort: „Heutzutage gibt es aber den Mehrspieler-Modus, bei dem sich mehrere Spieler über das Internet oder über ein Netzwerk zusammenfinden, um sich in Gruppenkämpfen oder Mannschaftsspielen miteinander zu messen. Manchmal sind weltweit über 3,5 Millionen gleichzeitig angemeldete Spieler im Netz, nicht nur im Ego-Shooter, sondern auch mit Kriegsspielen, Counter-Strikes und MMOGs und in den social network games.“ Ich winkte verzweifelt ab und stoppte die Informationsflut. „Ich glaube, das ist mir doch zu fremd, um es zu verstehen!“ Nach einer kurzen Pause stellte ich fast verschämt die Frage: „Trefft ihr euch denn noch mit Freunden? Fahrt ihr noch Fahrrad? Spielt ihr noch Schach oder Malefiz?“ „Ja, gelegentlich, wenn wir noch Zeit dazu haben“, war seine Antwort. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Jede Zeit gebiert die ihr eigenen Spiele.

Suzanne Augenstein

Dr. Suzanne Augenstein, 1957 geboren in Sao Paulo. Studium in München und Berlin, Promotion in Essen. Wissenschaftliche Arbeit und wissenschaftliche Veröffentlichungen, Tätigkeiten im Bereich Marketing und PR, Bildung und Ausbildung sowie als Yogalehrerin. Seit 2015 Gesellschafterin und Poolsprecherin im Familienunternehmen.

Ich wäre dann mal der Majoratsherr

Jeder spielt eine Rolle in seiner Familie. Meine verändert sich gerade gewaltig. Ich stamme aus einer Unternehmerfamilie. Bei uns spielen die einzelnen Mitglieder festgelegte Rollen nach einem unsichtbaren Drehbuch. Die Rollen erlernt man nicht dadurch, dass man auf sie vorbereitet wird. Man erlernt sie eher durch Aussagen wie: „Das spielt doch keine Rolle!“ oder „Spiel dich nicht so auf!“. Der Spielaufbau an sich ähnelt dem in den mittlerweile bedeutungslos gewordenen und verarmten Adelsfamilien: Es gibt einen Familienbesitz, der über Generationen und möglichst bis in alle Ewigkeit zusammengehalten wird, wobei die alles entscheidende Frage lautet, wer diesen Besitz letztlich bekommt und zu welchen Bedingungen.

Seit ich denken kann, ist meine Familie besessen von der Bedeutsamkeit der männlichen Erbfolge, die bei uns in Form des „Majoratsherrn“ seit mindestens 150 Jahren Gestalt angenommen hat. Denn so lange zurück reicht die mündliche Erzählung. Als mir zum ersten Mal die alles entscheidende Rolle des Majoratsherrn ganz und gar bewusst wurde, versagte mein Schließmuskel bei einem plötzlichen Durchfall. Ich hatte entdeckt, dass man unter Majorat das Ältestenrecht versteht. Demnach ist zur Erbfolge allein der nächste männliche Verwandte und bei gleichem Verwandtschaftsgrad der Älteste zur Erbschaft berufen. Der Erbe zahlt den jüngeren Söhnen und den Töchtern des Erblassers allenfalls einen geringen Unterhalt.

Nun wusste ich Bescheid. Das erklärte viel. Zum Beispiel, warum ich als erstgeborenes Kind nie der Majoratsherr sein konnte, denn ich bin eine Frau und im Grunde nebensächlich. Mein Großvater machte das allen Beteiligten von Anfang an unmissverständlich klar. Völlig außer sich zertrümmerte er das Geschirr meiner Großmutter an der Küchenwand, als ihn aus Brasilien die Nachricht von meiner Geburt erreichte. Dort lebten zu dieser Zeit meine Eltern. Im Ausland. Um das Geld zu verdienen, das sie damals nicht hatten. Das nach der Idee meines Großvaters den Grundstein legen sollte für ein Unternehmen, das zukünftige Erbe, für das ein Stammhalter gebraucht wurde. Und nun das. Der Erstgeborene – ein Mädchen. Ich. Womöglich das erste und letzte Kind. Nicht nur ich war eine Enttäuschung, sondern auch dass mein Vater als der zweitgeborene und nicht sein älterer Bruder zuerst für Nachwuchs gesorgt hatte. Denn mein Onkel, der eigentliche Majoratsherr, entzog sich dieser Aufgabe dauerhaft und verbrachte ein kinderloses Leben, so weit wie möglich weg von den Erwartungen seiner Vorfahren.

„Muss ich meine Enkel selber machen?“ wütete mein Großvater und entwertete damit alle Mitglieder unserer kleinen Familie. In der Folge stand meine Mutter unter enormem Druck zu beweisen, dass sie zu mehr imstande war. In rascher Folge wurde sie wieder schwanger, erfüllte ihre Aufgabe und brachte nach einer Fehlgeburt meine beiden Brüder und damit die Grundlage für die zukünftige Dynastie zur Welt.

Es gab damals zwar noch gar nichts zu vererben, aber es gab die Idee für ein Erbe in Form des Unternehmens, das gegründet worden war, als meine Eltern mit mir wieder zurück in Deutschland waren. Ich war damals zwei Jahre alt. Und alle in der Familie schafften für das Geschäft, so nannten wir das Unternehmen, das in den Anfängen steckte. Mein Vater, meine Mutter, meine Oma, meine Tanten, mein Großvater – alle schafften im Geschäft. Mein Vater außer Haus, meine Mutter in der Küche, wo sie abends Ketten fertigte in Handarbeit, wenn wir Kinder früh im Bett waren. Weitgehend allein gelassen mit mir und eingebunden in ein Gespinst aus Verhältnissen, die ich nicht durchschaute, verbrachte ich meine Kindheit in dieser Atmosphäre, die vom ständigen Schaffen für etwas geprägt war.


Die Goldene Hochzeit meines Ururgroßvaters

Die Energie meines Großvaters als Gründervater des Unternehmens war allgegenwärtig. Seine körperliche Kraft war ebenso legendär wie seine Trinkfestigkeit. Im Kampf um den ersten Platz als stärkster Mann im Dorf hatte er dem Schmied ein Ohrläppchen abgebissen. Und immer wieder ging er siegreich aus Auseinandersetzungen hervor, wenn ihm etwa mal wieder wegen Trunkenheit sein Führerschein abgenommen werden sollte. In solchen Fällen behauptete er sich gegenüber der Polizei mit Aussagen wie: „Euer Gehalt wird von mir bezahlt!“. Geschichten darüber begleiteten meine Kindheit, in deren Kern es darum ging, dass mein Großvater das Gesetz war.


Mein Ururgroßvater

Seine zukünftige Größe hatten ihm die Eltern bereits in die Wiege gelegt, als sie ihn „Wilhelm“ nannten, nach dem damals mächtigsten Mann, dem Kaiser. Als Kind hatte mein Großvater beim Anblick eines Zeppelins gerufen „Zippel Zappel Zeppelin, mit der großen Luftmaschin“. Darum wurde er später, nach der Abdankung des Kaisers, nicht Willhelm, sondern von allen nur noch „Zippel“ gerufen. Ein abgedankter Herrscher zu sein hätte auch nicht zu Zippel gepasst. Denn er war der erstgeborene männliche Enkel des mächtigsten Mannes am Ort. Wie Kaiser Wilhelm über Deutschland, so herrschte Wilhelms Großvater, mein Ururgroßvater, als Bürgermeister über das Dorf. Und Zippel war als Stammhalter der Majoratsherr.

Aber die Spielregeln änderten sich, als Wilhelms Vater im ersten Weltkrieg fiel. Dessen Tod machte Wilhelm mit acht Jahren zum Oberhaupt über Mutter und zwei kleine Schwestern. Nach seinem Empfinden hätte ihm auch der erste Platz in der Großfamilie zugestanden. Aber dieser Platz blieb ihm verwehrt. Der Stammsitz der Familie, das Haus des Ururgroßvaters, ging an die weibliche Linie, was mein Großvater Zeit seines Lebens als blutende Wunde mit sich trug. Um sein Erbe gebracht, verkannt und hintergangen, wurden für Wilhelm Verwandtschaft generell und erbberechtigte Frauen im Besonderen zum roten Tuch. Das Zerwürfnis führte dazu, dass Wilhelm später alles daransetzte, es dem gesamten Dorf zu zeigen, was ihn zusammen mit einer genialen Begabung fürs Kerngeschäft zu einem hervorragenden Geschäftsmann machte, der den Grundstock für ein äußerst erfolgreiches Unternehmen legte.

Seine Traumatisierung aber blieb allgegenwärtig in der Familie. Bei den kleinsten Anzeichen abweichender Meinung explodierte Wilhelm: „Ich enterbe euch“. Als Kind lebte ich in einem Dorf mit mehr oder weniger weitläufigen Familienmitgliedern in beinahe jedem Haus. Aber außer den beiden Schwestern meines Großvaters kannte ich niemanden aus der Verwandtschaft. Es gab keinerlei Kontakt. Mich wiederum kannte jeder. Ich weiß noch genau, wie ich eines Tages im Kaufladen stand und mich eine Kundin – wie damals üblich – fragte, wer ich denn sei, und wie die Krämerin sagte: „Ja kennst du die nicht? Das ist doch dem Zippel Dieter seine Tochter!“ Woraufhin ich neugierig von oben bis unten gemustert wurde. Meine Mutter hatte mich angewiesen, jeden, der mir begegnete, zu grüßen. Was, wenn ich es unterließ, zu Beschwerden führte, ob ich mich denn für etwas Besseres halten würde. Das Grundgefühl, im Dorf nicht zu Hause und verwurzelt, aber unter ständiger Beobachtung zu sein, führte dazu, dass ich es dauerhaft verließ, sobald sich mir die Gelegenheit dazu bot, und dass ich heute überzeugte Städterin bin.

Nach meinem Urgroßvater fiel auch noch sein Neffe im Krieg, der einzige männliche Nachkomme außer meinem Großvater. Aus Trauer über diesen Verlust spendete mein Urgroßonkel dem Dorf eine zweite Kirchenglocke, die nun heute und geplant bis in alle Ewigkeit bei jedem vollen Schlag der Stunde mit einem tiefen Klang an den verlorenen Stammhalter erinnert.

Nach diesem weiteren Drama wurde Wilhelm endgültig zum Majoratsherrn – allerdings zunächst ohne eigenes Reich. Denn trotz der vielen Nachkommen meines Ururgroßvaters, der bei seinem Tod 88 Enkel und Urenkel hinterlassen hatte, war Wilhelm nun der einzige Namensträger der Familie. Auch diese Geschichte habe ich immer wieder gehört.

Ich habe noch den dumpfen Geruch im Kellergewölbe meiner Großeltern in der Nase, wenn ich wieder mal einen Krug Wein holen sollte. Von dort, wo nach der Erzählung meiner Cousine irgendwo Gold- und Silberbarren verborgen lagen. Oft ging es in unseren Gesprächen als Kinder um diesen Schatz. Es war uns beiden klar, dass wir mit niemandem darüber reden durften. Wir wussten es einfach. Es muss der Ton der Stimmen gewesen sein, verschwörerisch und anders als sonst im Gespräch, den meine Cousine bei ihren Eltern gehört hatte, und der dieses Geheimnis schuf.

Mit der Gewissheit des Schatzes stieg ich als frühe Geheimnisträgerin in den Keller und fragte mich, wo genau er wohl verborgen war? Vielleicht hinter den Einmachgläsern mit Birnen und Reineclauden, die auf den Holzregalen lagerten, für den Fall, dass der Russe kommen und die Versorgungslage wieder knapp werden sollte.

Was ein Erbe ist, wusste ich als Kind nicht. Wohl aber, dass es ein Erbe gibt. Ich hörte so oft davon reden, dass es zu einem ständigen Begleiter für mich wurde. Später, als junge Erwachsene, erlaubte mir die vermeintliche Aussicht auf ein Erbe ein sehr freies Leben, wenn ich mich auf immer neuen Gebieten bemühte, mir und anderen die Bedeutsamkeit meiner Existenz zu bestätigen. In meiner Familie interessierte sich niemand groß dafür. Nicht dafür, dass ich als erstes Mitglied und als Mädchen vom Dorf erfolgreich ein Politikstudium abschloss, trotz des Dialekts, der zum Dorf gehört und seine Bewohner in der Welt des Dorfes festhält, oder dass ich an Universitäten unterrichtete, dass ich in der Softwareindustrie sehr viel Geld verdiente, dass ich einen Doktor machte, dass ich bei der Exzellenzinitiative mitwirkte, dass ich quer durch Deutschland Impulsreferate vor Hunderten von Zuhörern hielt, dass ich ein eigenes Trainingsprogramm entwickelte, das ich von Krankenkassen finanziert mit meinen Mitarbeitern an Schulen einführte, und auch nicht dafür, dass es mir als erster berufstätiger Frau in der Familie gelungen ist, meinen Lebensunterhalt unter allen Lebensumständen immer selbst zu bestreiten. Das alles wurde nur als Hintergrundgeräusch wahrgenommen, wenn ich davon erzählte, aber nicht als eigentlich von Interesse, denn man war doch immer sehr mit eigenen Angelegenheiten beschäftigt, vor allem mit der alles entscheidenden zukünftigen Majoratsherrschaft. Und das ganze akademische Gedöns hatte in anderen Firmen nur dazu geführt, dass die Doktoren alles ruiniert haben.

Und nun ist es doch noch so weit gekommen. Weihnachten 2014, im Alter von 57 Jahren, wurde mir die Weihe erteilt, als mein Vater aus einer plötzlichen Erkenntnis heraus verkündete: „Eigentlich bist du ja der Majoratsherr!“ Was im Grunde vor allem eines besagt, nämlich dass es schon immer ein Akt der Willkür war, wem in der Familie diese Rolle zugesprochen wurde. Hilfreich war aber sicher, dass sich zwischen meiner Geburt und meiner Ernennung zum Majoratsherrn nicht nur in meiner Familie die Spielregeln völlig verändert haben. Frauen dürfen ihren Namen auch in der Ehe behalten, können diesen an ihre Kinder vererben und damit Stammhalter werden. Sie können heute sogar Bundeskanzler werden. Oder Verteidigungsminister. Und hin und wieder in sehr besonderen Fällen auch Wirtschaftskapitän. So wie nun ich. Ich habe die Absicht, die Rolle des Majoratsherrn auf eine noch nie dagewesene Weise zu spielen. Möglichst so, dass dieses Gespenst unserer Familie, selbst nicht aus Fleisch und Blut und ohne menschliches Zutun nicht lebensfähig, in mir keine Resonanz findet, um weiter sein Unwesen zu treiben.

Ingrid Basile

1934 in Düsseldorf geboren und aufgewachsen. Ausgebildete Herrenschneiderin, später Büroarbeit im eigenen Handwerksbetrieb und Hausarbeit. Zwei Ehen, 35 bzw. sieben Jahre lang. Drei Kinder, sieben Enkelkinder und ein Urenkel. Ich fahre leidenschaftlich gerne Fahrrad.

Abgeliebte Spielzeuge

1

Als ich vier Jahre alt war, besaß ich einen Teddy und eine kleine Puppe. Den Teddy vergaß ich einmal bei einer Familie in der Stadt. Nach einiger Zeit bekam ich ihn wieder. Er war misshandelt worden. Die Haare abgeschnitten, ein Auge abgerissen, das Ohr eingerissen. Ich liebte ihn trotzdem. Auch meine Puppe war ramponiert. Aber ich nahm beide immer gerne mit ins Bett. Mein Kinderbett stand direkt am Fenster zur Straße, so dass man von außen hinein sehen konnte, was der Milchmann jeden Morgen tat. Wenn er meine beiden Lieblinge sah, rief er: „Hast du die Lumpepupp und den Lumpebär im Bett?“ Wenn ich rechtzeitig an den Mann dachte, versteckte ich die beiden unter dem Bettzeug, um der Beleidigung zu entgehen.

2

Zum siebten Geburtstag bekam ich eine schöne große Puppe mit Schlafaugen und echtem Haar. Auf diese Puppe war ich sehr stolz und hütete sie ganz besonders. Einmal legte ich sie in ein nicht mehr benutztes Kinderbett und deckte ein Tuch darüber. Meine Mutter hatte das nicht bemerkt und viel Bettwäsche darauf gepackt. Als eine Nachbarin zu Besuch kam, sagte meine Mutter zu mir: „Ingrid, zeig der Frau Weich doch mal deine neue Puppe.“ Ich wollte sie holen, bekam sie aber nicht so ohne weiteres unter dem Wust Wäsche heraus. „Zieh mal kräftig daran“, rief meine Mutter. Das machte ich – und der Rumpf löste sich vom Porzellankopf, der zudem lauter Risse am Hals davongetragen hatte. Die Puppe wurde beim Puppendoktor repariert, ich bekam sie mit einem kürzeren Hals zurück. Kurze Zeit später fiel der Kopf beim Spielen herunter und zerbrach in viele Teile. Meine Mutter besorgte einen neuen Kopf, der allerdings zu groß war. Sie konnte im Krieg nichts Passenderes finden. Ich selbst empfand es bald nicht mehr schlimm, dass mein liebes Kind einen Wasserkopf hatte. Aber die Erwachsenen machten mich immer wieder darauf aufmerksam.


Meine kleine Tochter fuhr mit zweieinhalb Jahren mit meiner Mutter in den Urlaub. Dort spazierten die beiden in das nächste Dorf. Als sie am Abend wieder zurück waren, fehlte – oh Schreck – die Puppe meiner Tochter.

3

Die Oma kaufte ihr eine neue. Nach einer Woche kamen die beiden wieder in das andere Dorf und in den gleichen Tante-Emma-Laden und meine Tochter bekam ihre alte einbeinige Puppe wieder. Die Freude des Kindes war riesig. Es herzte und küsste sein liebes Püppchen und sagte immer wieder: „Ich bin so froh, dass ich dich wiederhabe.“

Tödliche Skatrunde

Mein Mann traf sich sonntags Vormittag mit seinen zwei Brüdern bei seinen Eltern zum Skat spielen mit dem Vater. Sie fanden im Lauf der Jahre den Schluss immer später. Die Ehefrauen wurden immer wütender, weil sie jeden Sonntag mit dem Mittagessen warteten.

Schließlich richtete ich mich darauf ein und fuhr morgens mit meinen Kindern zu meiner Mutter, denn dort gab es einen Garten mit Sandkasten und Schaukel. Abends fuhr ich dann nach Hause und brachte die Kinder zu Bett. Wenn sie schliefen, machte ich mich noch einmal auf den Weg, um meinen Mann abzuholen, musste aber selbst dann noch manchmal die letzte Skatrunde abwarten.

Die letzte dieser Skatrunden fand am 1. Mai 1968 statt. Damals war auch ein Nachbar dabei. Nach reichlichem Alkoholgenuss stritten sich die beiden jüngeren Brüder wegen des Skatspiels so heftig, dass sie handgreiflich wurden. Mein Mann und der Nachbar waren kurz vor dem Tumult in die Altstadt abgehauen. Die Mutter, 68 Jahre alt, war Diabetikerin. Sie ging dazwischen, stürzte, fiel ins Koma und kam ins Krankenhaus. Sie wurde aber nicht ausreichend untersucht und starb wenige Stunden später an einem Herzinfarkt.

Mich riefen die Geschwister in der Nacht an. Mein Mann kam erst gegen Morgen nach Hause. Zwischen den Brüdern spielten sich noch Dramen ab. Der mittlere gab dem jüngeren die Schuld am Tod der Mutter, lauerte ihm in der Nacht noch auf und verprügelte ihn scharf. Er war viel kräftiger. Außer einer Schwester sind inzwischen alle gestorben.

Wenn’s ums Geld geht …

Uns ging es finanziell schlecht. Hohe Außenstände. Bauauftragsfirma pleite. Wir hatten noch nicht die Monatsmiete und keine Stallmiete für unsere beiden Pferde bezahlt. Mein Mann ging zu einem Freund der Familie und jammerte ihm vor, ich wäre total am Boden, was absolut nicht stimmte. Der Freund aber kratzte sein vorhandenes Bargeld zusammen, ging auch noch zu seiner Mutter, die in der Nähe wohnte und erbat auch dort für uns ihr Bares. Das alles geschah an einem Samstag 1977. Die Summe, die er zusammen bekam, belief sich auf 4.131,45 D-Mark. Die gab er meinem Mann. Der ging damit schnurstracks auf die Rennbahn und verwettete 3.600 Mark davon.

Übrigens hat mein Mann das Geld nie zurückgezahlt. Jahre später bekam ich den vom Nikolaus getilgten Darlehensschein geschenkt.


Ein wertvolles Erinnerungsstück

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