Kitabı oku: «Nur Flausen im Kopf? - Jugendliche verstehen», sayfa 2

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Qualität vor Quantität

Es sind der funktionale Aufbau und die Architektur der Verschaltungen, die neben einer hohen Plastizität für die Leistung des Gehirns verantwortlich sind. Je weniger Aufwand für die Rechenleistung des Gehirns gebraucht wird, desto besser wird das gesamte geistige Leistungsvermögen. Dies zeigen zum Beispiel Experimente mit Ratten. Der Abbau nicht notwendiger oder fehlerhafter Nervenverbindungen ist genetisch gesteuert. Dabei sind zwei Gene beteiligt. Wenn man bei Ratten das Gen »ausschaltet«, das den Abbau von Nervenzellen im embryonalen Zustand fördert, sterben bei diesen Tieren im Verlauf der Hirnentwicklung weniger Nervenzellen und Schaltstellen ab. Diese Ratten haben größere Gehirne, mehr Nervenzellen und mehr Synapsen (Schaltstellen). Aber anders als erwartet ist der Effekt nicht der, dass »mehr« auch »besser« wäre – das Gegenteil ist der Fall. Experimente haben gezeigt, dass diese Ratten langsamer lernen und weniger Angst und Vorsicht zeigen. Wenn Ratten mit zu vielen Neuronen und Synapsen in trübem Wasser eine Plattform finden müssen, erzielen sie auch nach einigen Versuchen deutlich schlechtere Ergebnisse als nicht genmanipulierte »kleinhirnige Ratten« (vgl. Abbildungen 1-6 und 1-7).

Es ist zwar immer etwas spekulativ, wenn man Ergebnisse aus Tierexperimenten auf menschliches Verhalten überträgt, wenn man sich aber ver­gegenwärtigt, dass in der frühen bis mittleren Adoleszenz (mit ca. 12 bis 17 Jahren) die frontalen Hirnregionen noch mit dem Abbau des Neuronen- und Synapsenüberschusses und einem massiven Umbau zu kämpfen haben, sind Phänomene wie Lernschwierigkeiten, Konzentrationsmängel, erhöhte Risikobereitschaft (Gefahren werden nicht gesehen) und ähnliche Erscheinungen in dieser Phase durchaus nachvollziehbar. Wissenschaftler vermuten, dass Störungen im Auslese- und Abbauprozess der Neuronen auch beim Menschen mit emotionalen und sozialen Verhaltensproblemen im Zusammenhang stehen.

Das Zusammenspiel macht’s aus

Persönlichkeitsentwicklung und soziales Verhalten sind also wesentlich an die Entwicklung frontaler Hirnregionen gebunden. Man könnte deshalb auch von einem »frontalen Phänomen« sprechen, das sich vor allem während der Phase von der Pubertät bis ins junge Erwachsenenalter bemerkbar macht. Nun sollten aber Hirnregionen in ihrer Funktion nicht isoliert betrachtet werden, weil sie immer nur im Zusammenspiel mit anderen Hirnbereichen verstanden werden können. In besonderem Maße trifft dies auf die frontalen Hirnregionen zu.

Der wichtigste Mitspieler der frontalen Regionen ist das limbische System. Dabei gilt, vereinfacht ausgedrückt, dass die frontalen Hirnregionen die Impulse aus den tiefer im Gehirn liegenden limbischen Bereichen hemmen, steuern und modulieren. Die Persönlichkeitsentwicklung spiegelt in diesem Sinne den Entwicklungsgrad des Zusammenspiels zwischen tieferen limbischen Strukturen und frontalen Anteilen des limbischen Systems (orbitofrontaler Cortex) wider. Interessanterweise spielen die höheren kognitiven Funktionen des präfrontalen Cortex (oberes Stirnhirn) keine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Handlungsentscheidungen zu treffen. Letzteres ist Sache des limbischen Systems, besonders des unteren Stirnhirns.

Die Persönlichkeitsstruktur des Menschen wird nach Gerhard Roth hauptsächlich durch das limbische System bestimmt. Dazu gehören Mandelkern (Amygdala), Nucleus accumbens, basales Vorderhirn, Hypothalamus, Hippocampus, vorderer cingulärer Cortex, orbitofrontaler Cortex als wichtigste Regionen. In diesen Regionen sind (emotionale) Erfahrungen gespeichert, hier werden neue Erlebnisse bewertet und mit früheren Ereignissen verglichen, hier werden auch Handlungsentwürfe entwickelt, die friedfertig oder aggressiv sein können.

Das limbische System ist also maßgeblich an emotionalen, affektiven und motivationalen Prozessen beteiligt. In dieser Hinsicht ist es diejenige Hirnregion, die hauptsächlich bestimmt, ob Lernen positiv erlebt wird. Bei einer positiven Bewertung ist somit Lernerfolg weit wahrscheinlicher.

In Abbildung 1-9 (Seite 23) sind die wichtigsten Regionen des limbischen Systems abgebildet (Nr. 1 bis 3). Dieses schickt seine Belohnungserwartungen, Bewertungen, Ängste, Antriebe und Impulse an die frontalen Regionen des Gehirns. Diese neuronalen Erregungen enthalten bereits eine Art Vorbewertung der auszuführenden Handlungen, weil sie mit Erinnerungen an in ähnlichen Situationen erlebte Gefühle verknüpft sind. Das Phänomen ist uns aus dem Alltag bekannt – wenn wir zum Beispiel etwas tun, dessen Ausgang wir nicht abschätzen können, und trotzdem »ein gutes Gefühl« haben, eine innere Gewissheit, dass es gelingen wird.

Die Regionen des orbitofrontalen Gehirns sind ihrerseits zuständig für die Risikoeinschätzung und die Regionen des präfrontalen Cortex für die Fehlerkontrolle, also letztlich allgemein für die »soziale Verträglichkeit« der Handlungen.


Sie sind eine Art second opinion der bereits vorbewerteten Impulse; sie übernehmen die Impuls- und Handlungskontrolle. Dazu braucht es aber stabile und robuste Hirnstrukturen, und die werden während der Jugendphase erst richtig ausgebildet. Den Impulsen (vgl. Pfeile) kann in der Pubertätsphase zu wenig Steuerungsenergie und innere Struktur entgegengesetzt werden. Das ist es, was das Gehirn im Laufe der Adoleszenz zu lernen hat. Aus diesem Grunde benötigen jüngere Jugendliche äußere Leitplanken und Beziehungsstrukturen, die eine Art Handlungsreferenz darstellen. Jüngere Jugendliche brauchen möglichst viel Vorbildhandlungen und flankierende Maßnahmen, damit sie sich erfolgreich durch den sozialen Alltag manövrieren, oder hirnphysiologisch ausgedrückt, damit sich langsam tragfähige frontale Hirnstrukturen herausbilden können. Aus diesem Grund spricht man in diesem Zusammenhang vom »frontalen Phänomen«. Hier wird deutlich, wie wichtig die frontalen, vor allen die orbitofrontalen Regionen im Zusammenspiel mit den tieferen limbischen Strukturen sind.


Das limbische System und seine Neuromodulatoren

Nach Gerhard Roth (2003) ist das limbische System das zentrale Bewertungssystem im Gehirn. Es bewertet alles, was wir tun, nach gut, erfolgreich, lustvoll bzw. schlecht, erfolglos, schmerzlich und speichert die Resultate dieser Bewertung ab. Diese Regionen mit ihren unbewussten Bewertungsprozessen nehmen bereits im Mutterleib ihre Arbeit auf und führen sie in den ersten Lebensjahren fort, also früher, als die bewussten Hirnprozesse einsetzen – wie die Ich-Prozesse und das bewusste Planen, die erst ab dem vierten Lebensjahr funktionstüchtig werden. Das Verhältnis eines Individuums zu sich, zur Welt und zu anderen Menschen und die grundlegenden Verhaltensprinzipien, also Charakter und Persönlichkeit, formen sich weitgehend unbewusst und bilden den Rahmen, in dem spätere Erfahrungen gemacht werden. Dieser Prozess ist im Erwachsenenalter weitgehend selbststabilisierend. Es werden in aller Regel diejenigen Erfahrungen angeeignet, die bereits bestehende Erfahrungen bestärken. Je weiter die psychische Entwicklung fortgeschritten ist, desto schwieriger wird es, diese Grundeinstellungen noch zu ändern. Dies bedeutet für die Erziehungsaufgabe, möglichst früh, also bereits bei Kleinkindern, altersgemäße Situationen zu schaffen, die das Kind in seiner Entwicklung unterstützen und fördern.

In der Tabelle (Abbildung 1–10, Seite 25) sind die Teile des Gehirns mit ihren Funktionen aufgeführt. Es wird deutlich, welch mächtige Antriebe und »energiereiche Erinnerungen und Erwartungen« in den limbischen Strukturen erzeugt werden. Diese sind vor allem in den tieferen Regionen angesiedelt, unterhalb des Großhirns. Einzig die Anteile des Großhirns lassen steuernde Funktionen erkennen, die zusätzlich von weiteren, außerlimbischen frontalen Hirnregionen unterstützt werden und ihr Potenzial während der Pubertät bis ins junge Erwachsenenalter hinein entwickeln. Die limbischen Strukturen sind untereinander verbunden, und die Neuromodulatoren – Botenstoffe, die aktivierend oder hemmend auf die Hirnprozesse wirken können – wirken auf alle Ebenen ein.


Die langsame Reifung der frontalen Bereiche

Die orbitofrontalen, präfrontalen und cingulären Bereiche des Gehirns reifen langsamer als andere Areale, sodass die Exekutivfunktionen (vgl. Seite 14) aufgrund des verzögerten Reifungsprozesses während der Kindheit und Jugendphase nicht immer oder nur abgeschwächt zur Verfügung stehen.

Diese Tatsache ist aber nicht nur negativ zu werten, sie birgt auch Chancen. Für Eltern und Lehrpersonen bedeutet sie nämlich, dass die Reifungsprozesse über lange Jahre durch sinnvolle pädagogische Stimulation moduliert werden können. Es hängt entscheidend davon ab, welche sozialen Netzwerke während der Kindheit und Jugend bis ins junge Erwachsenenalter stimuliert und genutzt werden und welche nicht. Die wichtigste Grundlage des Modulierungsprozesses ist nach Jäncke (2009) die Nutzung der jeweiligen neuronalen Strukturen, da diese nur bei stetem Gebrauch etabliert und aufgebaut werden, während die nicht gebrauchten, wie wir schon sahen, eliminiert werden.

Weil sich die Erziehungsarbeit aus einer Kette unendlich vieler Lerngelegenheiten zusammensetzt, könnte Erziehung – etwas überzeichnet – als »dasselbe vom immer Gleichen« bezeichnet werden. Erziehungs- und Ausbildungsbeauftragte benötigen oftmals viel Geduld und Durchhaltevermögen, damit sie konsequent am Ball bleiben und sich nicht von der scheinbaren Wirkungslosigkeit ihrer Arbeit beirren lassen. Denn das Gehirn, besonders dasjenige des Jugendlichen, braucht viele Trainingschancen, um erwünschte und entwicklungsförderliche Funktionen aufbauen zu können.

Aus vielen Verhaltensuntersuchungen geht hervor, dass die Reifungsprozesse der Persönlichkeit mit denjenigen der frontalen Regionen parallel verlaufen. Aufmerksamkeit, Selbstkontrolle, Emotionskontrolle, das Arbeitsgedächtnis, Planen und Organisieren, Fehlerverarbeitung und komplexe motorische Kontrollprozesse können sich erst mit der Reifung dieser Hirnstrukturen entwickeln. Dabei lassen sich aber auch individuelle Unterschiede im Entwicklungsprozess feststellen. Wenn bestimmte Entwicklungsprozesse nicht vollständig durchlaufen werden, sind die nächstfolgenden Entwicklungsschritte unter Umständen auch hirnphysiologisch betroffen. So ist die Entwicklung stark suchtmittelabhängiger Jugendlicher, die sehr früh mit ihrem Drogenkonsum begonnen haben, bis ins Erwachsenenalter hinein verzögert, und Defizite in der Hirnreifung können kaum mehr kompensiert werden.

In Abbildung 1-11 sind die hemmenden, kontrollierenden und steuernden Regionen des präfrontalen sowie des orbitofrontalen Cortex dargestellt.


Jugendlicher »Frontalegoismus«?

Sie haben sich vermutlich auch schon gefragt, warum Jugendliche manchmal eine so subjektive Haltung vertreten und kaum imstande sind, eine andere Perspektive einzunehmen. Wir neigen dann manchmal dazu, ihr Handeln als ausgeprägten Egoismus auszulegen. In diesem Zusammenhang wird von »jugendlichem Frontalegoismus« gesprochen.

Wissenschaftler von der Universität Zürich und der Harvard University sind der Frage nach egoistischem Verhalten nachgegangen. Man kann experimentell die frontalen Hirnregionen für kurze Zeit ausschalten und überprüfen, welche Effekte sich ergeben. Dank bildgebender Verfahren weiß man heute, dass die erhöhte Kontrolle des eigenen Verhaltens mit erhöhter Aktivität von frontalen Hirnregionen einhergeht. Mit der Technik der »repetitiven transkraniellen Magnetstimulation« lassen sich einzelne Hirnareale stark magnetisch stimulieren, sodass sie ihre volle Funktionsfähigkeit verlieren. Mit dieser Technik haben die Wissenschaftler den rechten präfrontalen Cortex der einzelnen Probanden stimuliert, also »abgeschaltet«.

Das Experiment wurde mit dem sogenannten Ultimatumsspiel durchgeführt. Dazu braucht es zwei Spieler. A bekommt einen Geldbetrag und kann bestimmen, welchen Anteil er B geben will. Akzeptiert B seinen Anteil nicht, weil er das Angebot als unfair erachtet, bekommen beide nichts. Personen, bei denen der rechte präfrontale Cortex künstlich ausgeschaltet wird, bewerten nun ein unfaires Angebot durchaus noch als unfair, sie sind also in ihrer Urteilsfähigkeit nicht eingeschränkt. Sie schlagen das Angebot dennoch nicht aus, sondern nehmen alles, was sie bekommen können, auch wenn der Betrag noch so klein ist und der Mitspieler den Löwenanteil behält. Sie sehen also nur noch den materiellen Gewinn, egal, wie klein er sein mag. Im Gegensatz dazu lehnen unbeeinflusste Teilnehmer als unfair erkannte Angebote ab.

Die Studie hat gezeigt, dass der präfrontale Cortex bei der Durchsetzung von Fairness maßgeblich beteiligt ist. Bei Jugendlichen ist dieser Effekt quasi im Unreifezustand zu beobachten. Denn der Frontalcortex reift als eine der letzten Hirnregionen erst im späten Jugendalter (zwischen 16 und 21 Jahren) vollständig aus. Seine bis dahin noch mangelhafte Funktions­fähigkeit könnte mit erklären, warum die Youngsters oft nur ihren eigenen Vorteil im Sinn haben.

Frühe frontale Störung – dramatische Folgen

Der wohl berühmteste Fall, aus dem sich Hinweise auf die steuernden Funktionen der frontalen Regionen ergaben, ist der von Phineas Gage. Seine Hirnverletzung lieferte die ersten medizinisch dokumentierten Belege für einen Zusammenhang zwischen Gehirn und Persönlichkeitsmerkmalen. Am 13. September 1848 erlitt ein bis dahin als tugendhaft, pflichtbewusst, vorausschauend, bescheiden und liebenswürdig geschilderter Mensch einen Unfall – und verwandelte sich in der Folge zu einer völlig anderen Persönlichkeit. Bei einem Sprengunfall wurde Gage eine Eisenstange durch das Frontalhirn gerammt; erstaunlicherweise überlebte der Mann trotz seiner schweren Verletzung. Teile seines frontalen und präfrontalen Cortex und das linke Auge wurden zerstört. Danach wurde Gage zu einem launischen, reizbaren und orientierungslosen, unberechenbaren Trunkenbold, der keine Beziehung aufrechterhalten konnte, wegen seiner Persönlichkeit immer wieder die Arbeitsstelle verlor und sozial isoliert starb.


Entscheidend ist, in welchem Alter die frontalen Strukturen beeinträchtigt werden. Werden sie schon in früher Jugend durch einen Unfall oder eine Operation zerstört, so wirkt sich das auf das Verhalten viel dramatischer aus als im Erwachsenenalter. Eine Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung von Antonio Damasio (2009) hat die Folgen von Verletzungen des orbitofrontalen Cortex in der frühen Jugend und im Erwachsenenalter verglichen. Erwachsene zeigten nach solchen Verletzungen eine erhöhte Risikobereitschaft und konnten aus Fehlern weniger gut lernen als vor den Verletzungen. Sie waren sich selbst und anderen gegenüber nachlässiger, zeigten aber kein extrem negatives Sozialverhalten. Über Risiken und auch über manchmal auftretendes unangemessenes Sozialverhalten konnten sie berichten und reflektieren. Patienten, deren orbitofrontaler Cortex schon in frühester Jugend verletzt wurde, zeigten hingegen schwer asoziales Verhalten. Sie waren »unerziehbar und unbelehrbar«, obwohl sie in einer »normalen« sozialen Umgebung aufwuchsen. Bei Regelverletzungen und Gesetzesübertretungen kannten sie keine Gewissensbisse und zeigten auch keinerlei Einsicht in ihr Fehlverhalten. Die Wissenschaftler erklären sich dieses Phänomen so, dass die Erwachsenen bereits über ein großes Repertoire von sozialen Verhaltensweisen verfügen; allerdings können sie dieses Verhalten nach einer Hirnverletzung nicht mehr so gut aktivieren wie früher. Jugendliche hingegen hatten nie die Möglichkeit, solche Erfahrungen in ihrem »sozialen Gedächtnis« abzulegen, da die entsprechenden Hirnstrukturen noch nicht entwickelt sind. Sie verfügen über keine »unbewussten moralischen Funktionen«, die sie bei sozialen Entscheidungssituationen unterstützen könnten. Diese Jugendlichen haben aufgrund der fehlenden Hirnregionen keine Möglichkeit, soziale Verhaltensmuster aufzubauen. Man kann sich gut vorstellen, dass Jugendliche, die wegen ihrer negativen sozialen Umgebung keine Gelegenheit bekommen, durch soziales Verhalten solche neuronalen Verknüpfungen zu bilden, ein ähnliches Verhalten zeigen, woraus sich die Bedeutung einer sozialen Erziehung ergibt.

Damasio berichtet von einem anderen Fall, der auf einen ähnlichen Zusammenhang hinweist. Bei einem Unfall im Alter von 15 Monaten trug ein Mädchen massive Verletzungen im präfrontalen Cortex davon. In der Folge konnte es keine Gefühle wie Nächstenliebe, Empathie oder Verantwortungsbewusstsein entwickeln, es fehlte ihm auch die Fähigkeit, Regeln des sozialen Zusammenlebens überhaupt wahrzunehmen. »Es scheint gerade so, als ob ein anatomischer Defekt zu einer Art moralischer Blindheit führt, ähnlich, wie wenn ein Augenfehler die Wahrnehmung trübt« (Schnabel 2007, S. 124).

Jugendlicher Übermut

Während der Jugend sind schwankende Stimmungen häufiger zu beobachten als in den anderen Lebensphasen. Ebenso instabil sind emotionale Zustände in dieser Zeit. Ein erhöhtes Bedürfnis nach Fun und Action runden das Bild ab. Jugendliche können sich vor allem in Gruppen schnell in euphorische Zuständ.h.neinsteigern und dabei zu »hirnlosen« oder »Rausch«-bedingten und allgemein zu risikoreichen Handlungen neigen, zu denen sie im »normalen Alltag« kaum fähig wären (vgl. Kapitel 8, Seite 115 ff.). Dabei wirken sie auf Erwachsene oft unberechenbar, weil sich diese affektiven Zustände plötzlich und scheinbar völlig grundlos zeigen. Nicht die verbalen Verletzungen oder physischen Selbst- und Fremdgefährdungen sind aber das Ziel solcher Handlungen, sondern der rauschhafte und übersteigerte Zustand selbst. Es ist dann einfach »toll«, etwas ganz Verrücktes zu tun. Die Folgen der Handlungen werden nicht mehr kognitiv kontrolliert, weil der Zustand eines übersteigerten »Größenselbst« eine rauschartige Wirkung erzielt.

Wie lässt sich das hirnphysiologisch erklären? Kleinste Veränderungen der Botenstoffe, welche die Informationen über die Synapsen (Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen) weiterleiten, können genügen, um die Impuls- und Gefühlskontrolle aus dem Gleichgewicht zu bringen. Oft spielt dabei das Testosteron (männliches Geschlechtshormon) eine Rolle; es ist aber keinesfalls allein ausschlaggebend bei aggressivem oder rauschartigem Verhalten oder allgemein bei Kontrollverlusten. Dennoch sind junge Männer, statistisch gesehen, risikofreudiger und allgemein aggressiver als der Durchschnitt der Bevölkerung, da sie über einen besonders hohen Testosteronspiegel verfügen.

Mindestens ebenso bedeutsam im Zusammenhang mit risikoreichem Verhalten ist der Hirnbotenstoff Serotonin. Von den Raphe-Kernen ausgehend (vgl. Abbildung 13), versorgt er weite Teile des Großhirns, wo er die Reizweiterleitung an den Synapsen beeinflusst. Dabei kann es passieren, dass spontane emotionale Reaktionen des limbischen Systems nur noch unzureichend vom präfrontalen Cortex gehemmt werden, weil die Impulse aus dem limbischen System sehr stark sind und die lenkenden Strukturen des frontalen Cortex überfordern. Insbesondere der orbitofrontale Abschnitt des Cortex erfüllt wichtige Funktionen bei der Impulskontrolle. Während bei niederen Säugetieren die Neigung zu Aggressivität verstärkt ist, scheint das bei Primaten und Menschen nicht zwangsläufig der Fall zu sein. Lediglich nach sportlichem oder sozialem Erfolg steigt der Testosteronspiegel im Blut deutlich an – und zwar bei beiden Geschlechtern, wenn auch der Hormonspiegel bei Männern durchweg höher ist. Möglicherweise fördert die Erinnerung an das mit dem Sieg verbundene Erregungsgefühl dann das risikoreiche Verhalten: Man möchte den Rauschzustand noch einmal erleben (Hülshoff 2006, S. 34). Die unmittelbare Belohnung, die sich aus einer risikoreichen Fahrt durch den Tiefschnee ergibt, lockt also so stark, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung durch den präfrontalen Cortex gar nicht mehr ausgeführt wird. Und die Erinnerung an die Rauschgefühle und die Größenselbst-Erfahrungen scheinen jugendliche Raser oder auch Hooligans fast magisch zu ihrem Risikoverhalten zu treiben. Die Frage, inwieweit Einsicht bei Jugendlichen, die sich sehr risikoreich verhalten, überhaupt möglich ist, bleibt somit offen. Selbst wenn die Konsequenzen riskanten Verhaltens aus zeitlicher Distanz eingesehen werden, kann nichts und niemand garantieren, dass in einer zukünftigen Situation diese Einsicht weiterwirkt und risikoreiches Verhalten vermieden wird.


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