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Von den beiden 1976 in Argentinien entführten Jesuitenpatres ist bei der Wahl Bergoglios zum Papst nur mehr Franz Jalics am Leben. Orlando Yorio war am 9. August 2000 in Montevideo verstorben. Pater Jalics verfasst zwei Tage nach der Wahl einen Brief und entlastet den Papst.

„Seit 1957 lebte ich in Buenos Aires. Im Jahre 1974, vom inneren Wunsch bewegt das Evangelium zu leben und auf die schreckliche Armut aufmerksam zu machen, und mit der Erlaubnis von Erzbischof Aramburu und dem damaligen Provinzial P. Jorge Mario Bergoglio bin ich gemeinsam mit einen Mitbruder in eine ‚Favela‘, ein Elendsviertel der Stadt, gezogen. Von dort aus haben wir unsere Lehrtätigkeit an der Universität fortgesetzt.

In der damaligen bürgerkriegsähnlichen Situation wurden von der Militärjunta binnen ein bis zwei Jahren ungefähr 30.000 Menschen, linksgerichtete Guerillas wie auch unschuldige Zivilisten umgebracht. Wir zwei im Elendsviertel hatten weder mit der Junta noch mit den Guerilla Kontakt. Durch den damaligen Informationsmangel bedingt und durch gezielte Fehlinformationen war jedoch unsere Lage auch innerkirchlich missverständlich. In dieser Zeit haben wir die Verbindung zu einem unserer Laienmitarbeiter verloren, als die Person sich den Guerillas angeschlossen hatte. Nachdem er neun Monate später von den Soldaten der Junta gefangengenommen und verhört wurde, haben diese erfahren, dass er mit uns in Verbindung stand. In der Annahme, dass auch wir mit den Guerilla zu tun haben, wurden wir verhaftet. Nach einem fünftägigen Verhör hat uns der Offizier, der die Befragung geleitet hat, mit diesen Worten entlassen: ‚Patres, Sie hatten keine Schuld. Ich werde dafür sorgen, dass Sie ins Armenviertel zurückkehren können.‘ Dieser Zusage zum Trotz wurden wir dann, auf eine für uns unerklärliche Weise, fünf Monate lang mit verbundenen Augen und gefesselt in Haft gehalten. Ich kann keine Stellung zur Rolle von P. Bergoglio in diesen Vorgängen nehmen.

Nach unserer Befreiung habe ich Argentinien verlassen. Erst Jahre später hatten wir die Gelegenheit mit P. Bergoglio, der inzwischen zum Erzbischof von Buenos Aires ernannt worden war, die Geschehnisse zu besprechen. Danach haben wir gemeinsam öffentlich Messe gefeiert und wir haben uns feierlich umarmt. Ich bin mit den Geschehnissen versöhnt und betrachte sie meinerseits als abgeschlossen.

Ich wünsche Papst Franziskus Gottes reichen Segen für sein Amt.

P. Franz Jalics

15. März 2013“

(www.jesuiten.org)

Am 19. März 2013, dem Tag der Amtseinführung Franziskus’, sind die Schatten der Vergangenheit wieder weit weg. Seinen Landsleuten hat Franziskus empfohlen, nicht nach Rom zu kommen, sondern das Geld lieber karitativen Zwecken zukommen zu lassen. Gekommen sind trotzdem viele. Argentinische Fahnen sind überall in der Menge zu sehen.

Auch an diesem Tag, dem Hochfest des hl. Joseph, des Patrons der Weltkirche, trägt Franziskus seine einfache weiße Soutane. 132 Delegationen aus aller Welt sind angereist. An die versammelten Staatsoberhäupter und Regenten richtet er in Erinnerung an „Joseph, dem Gott anvertraut hat, Hüter von Maria und Jesus zu sein“, seine „herzliche Bitte“:

„Lasst uns, Hüter‘ der Schöpfung, des in die Natur hineingelegten Planes Gottes sein, Hüter des anderen, der Umwelt; lassen wir nicht zu, dass Zeichen der Zerstörung und des Todes den Weg dieser unserer Welt begleiten! Doch um zu , behüten‘, müssen wir auch auf uns selber Acht geben!

Erinnern wir uns daran, dass Hass, Neid und Hochmut das Leben verunreinigen! Hüten bedeutet also, über unsere Gefühle, über unser Herz zu wachen, denn gerade von dort gehen unsere guten und bösen Absichten aus: die, welche aufbauen, und die, welche zerstören! Wir dürfen keine Angst vor der Güte haben. Ja, nicht einmal vor der Zärtlichkeit!“

Und Franziskus spricht vor hunderttausenden Mitfeiernden seine zentrale Botschaft an: „Vergessen wir nie, dass die wahre Macht der Dienst ist.“ Es gehe um „die Hungernden, die Durstigen, die Fremden, die Nackten, die Kranken, die Gefangenen. Nur wer mit Liebe dient, weiß zu behüten!“

Bei der Amtseinführung des Bischofs von Rom sind auch Vertreter vieler Kirchen und Religionsgemeinschaften anwesend. Erstmals in der Geschichte – seit dem Schisma von 1054 – nimmt auch der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel daran teil. Bartholomaios I., der dieses Amt seit 1991 innehat, unterstreicht die verbesserten Beziehungen zwischen Katholiken und Orthodoxen. Seine Entscheidung, zur Feier nach Rom zu reisen, bezeichnet er selbst als „historische Entwicklung“. Die herzliche Umarmung der beiden gilt als wichtiges Zeichen für die Einheit der Kirchen.

Mit der Messe beginnt das Pontifikat offiziell. Der erste Papst aus Lateinamerika, der erste Jesuit in der Geschichte, ist zu diesem Zeitpunkt im Vatikan so gut wie unbekannt. Papstsprecher Federico Lombardi, Jesuit wie Franziskus, sagt im Gespräch, dass er Jorge Mario Bergoglio vor dem Konklave nur einmal gesehen habe.

Fremd im Vatikan – das ist für Franziskus Chance und Risiko zugleich.


Bei der Amtseinführung am 19. März 2013


Jorge Mario Bergoglio (stehend, 2. von links) mit seinen Eltern und Geschwistern

Kindheit und Jugend.
Ein erfülltes und bescheidenes Leben

„Von meiner Großmutter lernte ich das Beten.“

Papst Franziskus

Die Tickets für die Überfahrt nach Argentinien mit dem Luxusdampfer Principessa Mafalda waren gekauft. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Rosa Margarita Vasallo und seinem Sohn Mario Giuseppe Francisco sollte für Giovanni Angelo Bergoglio im Oktober 1927 die Reise nach Südamerika beginnen. Seine drei Brüder hatten Italien bereits verlassen und in Argentinien, wohin damals viele Italiener auswanderten, eine neue Existenz aufgebaut. Giovanni Angelo vermisste seine Brüder so sehr, dass er beschloss, die Heimat der norditalienischen Region Piemont zu verlassen, um gemeinsam mit der Familie an einem Tisch in Argentinien zu sitzen. Die Bürokratie wollte es jedoch, dass er und seine Familie nicht an Bord der Principessa Mafalda gehen konnten – einige Ausreisepapiere waren verspätet ausgestellt worden. So verließ das Passagierschiff am 11. Oktober 1927 den Hafen von Genua ohne sie. Zum Glück, denn am 25. Oktober 1927 sank der italienische Luxusdampfer auf dem Weg von Genua nach Buenos Aires vor der brasilianischen Küste. Über tausend Menschen befanden sich an Bord, 312 kamen ums Leben.

Im Januar 1929 war es dann endlich soweit, an Bord der Giulio Cesare begann für Giovanni Angelo Bergoglio und seine Familie die langersehnte Überfahrt nach Südamerika. Die Großmutter des heutigen Papstes, Rosa Margarita Vasallo, hatte ihre gesamten Ersparnisse in einen Pelzmantel eingenäht und weigerte sich – trotz der hochsommerlichen Temperaturen –, diesen bei der Ankunft im Hafen von Buenos Aires auszuziehen. Eine Anekdote, die Papst Franziskus bei einem der wenigen Interviews erzählte, die er als Erzbischof von Buenos Aires gab.

1931 litt Argentinien unter einer schweren Wirtschaftskrise. Die neue Existenz, die sich die Brüder Bergoglio in der Stadt Paraná, nördlich von Buenos Aires, aufgebaut hatten, zerfiel. Von dem palastähnlichen Gebäude, in dem die drei Brüder mit ihren Familien gewohnt und das sie Palacio Bergoglio getauft hatten, bis hin zur Familiengruft mussten sie alles verkaufen, um überleben zu können. Als der älteste Bruder von Giovanni Angelo Bergoglio nach einem Krebsleiden verstarb und der jüngste von ihnen nach Brasilien umsiedelte, beschloss Giovanni, in die Hauptstadt Buenos Aires zu ziehen. Mithilfe eines Kredits konnte er einen kleinen Lebensmittelladen erwerben. Sein Sohn Mario Giuseppe Bergoglio, Vater des heutigen Papstes, war damals 23 Jahre alt und suchte als gelernter Buchhalter eine Anstellung.

Während eines Gottesdienstes in einer Kirche im Viertel Almagro von Buenos Aires begegneten sich 1934 zum ersten Mal die Eltern von Papst Franziskus. Ein Jahr später heirateten sie. Am 17. Dezember 1936 brachte Regina María Sívori ihren ersten Sohn zur Welt. Jorge Mario Bergoglio war das älteste von fünf Kindern. Von den vier Geschwistern Oscar, Marta, Alberto und María Elena lebt heute nur noch seine jüngste Schwester.

María Elena Bergoglio lebt in Ituzaingó, einer kleinen, malerischen Stadt rund sechzig Kilometer außerhalb von Buenos Aires. In den ersten Tagen und Wochen nach der Papstwahl am 13. März 2013 hatte sich die kleine Straße Darragueyra in eine Art Treffpunkt für zahlreiche nationale und internationale Journalisten verwandelt. Seither steht ein Polizeiauto an der Straßenkreuzung – ein mögliches Indiz, dass hier die Schwester des Papstes leben könnte. Hausnummer 785, kein Namensschild an der Haustür, zugezogene Gardinen an den Fenstern. Die Türklingel wird von energischem Hundegebell übertönt. Ein junger Mann öffnet die Tür – es ist der Neffe von Jorge Mario Bergoglio.

Es ist kühl und nebelig an diesem Tag, die hohe Luftfeuchtigkeit hat bereits im Wohnzimmer von María Elena Bergoglio Einzug gehalten. In einen warmen Poncho gehüllt bemerkt diese: „Heute ist es ungewöhnlich kalt, nicht wahr?“ Der große Holztisch bildet das Zentrum des Raumes, der als Ess- und Wohnzimmer dient. Ein paar einfache Sitzgelegenheiten, eine kleine Kommode, auf der einige eingerahmte Familienfotos stehen, und ein kleiner Ecktisch mit einem alten Fernseher füllen den Raum. An der kalt und klamm wirkenden Wand hängt ein auffallend großes Bild, auf dem Papst Franziskus mit einem strahlenden Lächeln vor einem hellblauen Hintergrund abgebildet ist. „Das haben mir Freunde aus Rom mitgebracht“, erklärt María Elena stolz, jedoch mit einem beinahe rechtfertigenden Unterton.

Als sie ihrem Bruder mitteilte, dass sie zu seiner Amtseinführung nach Rom fliegen wollte, habe er ihr gesagt: „Du wirst mehr von mir sehen und von mir haben, wenn du die Zeremonie am Fernsehbildschirm verfolgst. Wir werden in diesen Tagen keine Zeit miteinander verbringen können.“ María Elena Bergoglio flog nicht nach Rom. Jeden Samstag telefoniert sie mit ihrem ältesten Bruder. Momente, in denen sie über alles Mögliche miteinander sprechen können. Momente, in denen zwei Geschwister sich über ihr Leben austauschen.

Das letzte Mal sahen die beiden sich am Heiligen Abend 2012. Vor seiner Abreise nach Rom Ende Februar 2013 rief er sie noch einmal an, um sich zu verabschieden. „Bis in zwei Wochen“, sagte er ihr. Es sollte anders kommen, denn wann sie sich nun wiedersehen werden, wissen sie nicht. María Elena erklärt: „Ich vermisse ihn sehr. Bis heute haben mir die Journalisten kaum Zeit gelassen, alles, was geschehen ist, zu verarbeiten.“ Und dann kann sie ihre Emotionen nicht mehr zurückhalten und beginnt zu weinen.

María Elena ist 65 Jahre alt, sie war das Nesthäkchen in der Familie Bergoglio. An das gemeinsame Zusammenleben mit ihrem älteren Bruder hat sie wenige Erinnerungen. „Er zog ins Priesterseminar von Villa Devoto in Buenos Aires, als ich neun Jahre alt war“, erklärt sie. In einer minutenlangen Stille scheint sie ihren Kindheitserinnerungen nachzugehen. Dann sagt sie plötzlich: „Jorge war immer fröhlich und gut gelaunt“, und fast stolz fügt sie hinzu: „Er hatte stets einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt.“

Trotz der geografischen Distanz, die beide Geschwister ihr Leben lang trennte, pflegte Jorge Mario Bergoglio stets einen engen Briefkontakt zu seiner kleinen Schwester. In einem der Briefe, so erinnert sich María Elena, bat er sie um Unterstützung bei seiner Arbeit als Priester. Sie solle lernen, dankbar dafür zu sein, dass sie – im Gegensatz zu vielen anderen – keinen Hunger oder Kälte erleiden müsse. Er bat sie auch, jeden Tag den Rosenkranz zu beten, und sie befolgte seine Bitte. Bis heute, so erzählt María Elena, bewahre sie die Briefe ihres Bruders auf.

Der Familienzusammenhalt der Bergoglios war sehr stark. Sowohl für ihren ältesten Bruder als auch für María Elena selbst spielte vor allem die Großmutter Rosa María Vasallo eine bedeutende Rolle. Sie verbrachten viel Zeit bei den Großeltern, erklärt María Elena und beschreibt ihre abuela – Großmutter – mit folgenden Worten: „Sie war eine zierliche Person mit einem starken Temperament und viel Energie, die stets gepaart war mit großer Sanftmut.“

Rosa María Vasallo spielte eine entscheidende Rolle in der religiösen Entwicklung ihres Enkels. Sie sei es gewesen, die ihm das Beten beigebracht habe, gibt Jorge Mario Bergoglio seinem Freund Abraham Skorka gegenüber preis. Er erzählt ihm, wie seine Großmutter für ihn als kleinen Jungen oft Verse rezitierte, die er bis heute nicht vergessen habe, wie zum Beispiel den folgenden:

„Mensch, der du voranschreitest, halte inne und denke über deine letzten Schritte nach, denke vor allem an deinen letzten Schritt.“

Seine Großmutter erinnerte ihn auch daran, dass alles ein Ende habe und dass es wichtig sei, Dinge im Guten abzuschließen. „Im Christentum sollte der Tod ein steter Begleiter auf dem Weg sein. Ich denke zum Beispiel jeden Tag daran, dass ich sterben werde, ohne Angst davor zu haben, denn Gott und das Leben haben mich auf diesen Augenblick vorbereitet.“

Rosa María Vasallo hatte ihren Enkeln nicht nur das Beten beigebracht, sondern sie erzählte auch häufig Geschichten von katholischen Heiligen. Und dann verrät María Elena eine der kulinarischen Spezialitäten ihrer Großmutter: gefüllter Tintenfisch. Es sei noch immer ihr Lieblingsgericht, welches ihr Bruder am besten zubereite: „Jorge kocht die gefüllten Tintenfische wie kein anderer!“

Den Wert der Dinge zu schätzen hatte stets Priorität in der Erziehung der Kinder. „Es fehlte uns nie an etwas“, versichert María Elena, „aber wir haben von den Eltern gelernt, sparsam mit den Dingen umzugehen und nichts wegzuwerfen, was noch verwertet werden konnte. Mutter verwandelte die Essensreste des Vortages am darauffolgenden Tag stets in ein neues Gericht, denn Vater aß nicht gerne zwei Tage hintereinander dasselbe Gericht.“

Die Eltern des Papstes, Mario Giuseppe Bergoglio und Regina María Sívori, lehrten ihre fünf Kindern nicht nur sparsam zu sein, sondern auch die Wichtigkeit der Bildung und die Liebe zur Arbeit. Bergoglio erinnert sich im Buch El Jesuita (Der Jesuit), wie ihm sein Vater in dem Augenblick, als er mit der Oberstufen-Ausbildung begann, mitteilte: „Jetzt, da du Oberstufenschüler sein wirst, solltest du auch mit dem Arbeiten beginnen. Ich werde dir in den Ferien einen Job finden.“ So arbeitete der 13-jährige Jorge Mario Bergoglio in einer Strumpffabrik zunächst als Reinigungskraft und später gemeinsam mit seinem Vater in der Verwaltung.

Es war eine lehrreiche Zeit, wie der heutige Papst bekräftigt. Arbeit und Bildung sollten auch in Zukunft das Leben des jungen Bergoglio begleiten. Als er mit siebzehn Jahren seine Ausbildung zum Chemietechniker begann, arbeitete er vormittags in einem Labor und am Nachmittag besuchte er den Unterricht, der bis abends um 8 Uhr ging. Bergoglio bekräftigt im Buch El Jesuita: „Ich danke meinem Vater dafür sehr, dass er mich zum Arbeiten geschickt hat. Die Arbeit ist eines der Dinge gewesen, die mir in meinem Leben stets gut getan haben. Denn letztlich ist es die Arbeit, die einem Menschen Würde verleiht.“ Und dann erläutert Bergoglio, wie der europäische Einwanderer, der damals nach Lateinamerika gekommen sei und oftmals nichts mehr besaß, durch harte Arbeit das heutige Amerika erschaffen habe. Er warnt weiter vor der möglichen Dekadenz, die mit den Kindern oder Enkeln zu kommen drohe, wenn diese nicht den Wert der Arbeit vermittelt bekämen. „In meiner Jugend“, erklärt Bergoglio, „hat der Einwanderer es nicht toleriert, wenn seine Kinder oder Enkel arbeitsscheu waren.“

Bescheidenheit war eine weitere Eigenschaft, die der Familienvater Mario Giuseppe Bergoglio seinen Kindern, neben der Liebe zu Arbeit und Bildung, vermittelte. „Grüße die Leute, wenn du aufsteigst, denn du wirst ihnen wieder begegnen, wenn du absteigst. Bilde dir nie etwas darauf ein, was du machst oder geleistet hast.“ Diese Worte seines Vaters begleiten Jorge Mario Bergoglio noch heute.

Néstor Carabajo ist ein ehemaliger Schulfreund von Bergoglio. Gemeinsam absolvierten sie die Ausbildung zum Chemietechniker. „Wir waren vierzehn, fünfzehn Jahre alt, und schon damals stand Jorge dem Glauben sehr nahe. Keiner von uns hat verstanden, weshalb er Chemie studierte, denn seine Lieblingsfächer waren Literatur, Psychologie und Religion“, erzählt Carabajo den argentinischen Medien. Gemeinsam spielten und diskutierten die Freunde über Fußball. Es war häufig der junge Bergoglio, der die Mannschaften zusammenstellte und den strategischen Verlauf der Spiele bestimmte. Auch wenn er kein guter Fußballer war, wie sein Freund Carabajo behauptet, stach er dennoch als Teamführer hervor. Nicht selten sei in der Nachbarschaft die eine oder andere Fensterscheibe zu Bruch gegangen, gesteht Carabajo lachend und dann erklärt er: „Jorge war ein Anführer, immer bescheiden aber bestimmt, wie ihn die gesamte Welt heute erlebt.“

Nach der Papstwahl im März 2013 scheint es in Buenos Aires kaum eine Person zu geben, die nicht eine persönliche Begebenheit mit Bergoglio zu erzählen weiß – so auch Amalia. Vor Journalisten, die äußerst bemüht sind, auch noch das letzte Geheimnis aus dem Leben von Jorge Mario Bergoglio aufzudecken, und vor zahlreichen laufenden Kameras erklärt die 76-jährige Amalia vor ihrer Haustür, Papst Franziskus sei ihre erste Jugendliebe gewesen. Sie stammten aus derselben Nachbarschaft und waren beide zwölf Jahre alt. Der junge Jorge Mario Bergoglio habe ihr in einem Brief geschrieben: „Wenn ich Dich nicht heiraten kann, werde ich Priester.“ Angeblich hatte er neben der Zeichnung eines Hauses mit einem roten Dach die Worte geschrieben: „Dieses Haus werde ich Dir kaufen, wenn wir heiraten werden.“ Besagten Brief konnten die Übereifrigen der journalistischen Branche aber nie in Augenschein nehmen. Die Jugendliebe, erklärt Amalia, wurde damals von ihrem Vater untersagt.

In einem Gespräch mit Abraham Skorka, das in dem Buch Sobre el cielo y la tierra (Über Himmel und Erde) nachzulesen ist, schildert Jorge Mario Bergoglio, dass er nie in seinem Leben an Heirat gedacht habe. Es soll jedoch eine junge Dame gegeben haben, die er als Novize bei der Hochzeit eines Onkels kennengelernt habe, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Und so offenbart Bergoglio seinem Freund: „Ihre Schönheit und ihr intellektuelles Licht haben mich überrascht, und sie ging mir eine ganze Weile nicht mehr aus dem Kopf. Wenn ich beten wollte, sah ich immer wieder ihr Antlitz. Ich musste meine Entscheidung, Priester zu werden, noch einmal überdenken. Und ein weiteres Mal entschied ich mich, dem religiösen Weg zu folgen. Es wäre nicht normal gewesen, wäre meine Entscheidung damals nicht auf diese Weise auf die Probe gestellt worden.“

Es war am 21. September 1954, Frühling in Buenos Aires, ein Datum, das der Papst bis heute nicht vergessen hat. Er war Schüler auf der Industrie-Schule, auf der er später sein Fachabitur zum Chemietechniker absolvierte. An diesem Tag wollte er mit seinen Freunden zu einem Frühjahrsfest gehen, als sie an der Kirche San José im Stadtviertel Flores vorbeikamen. Plötzlich verspürte er einen starken Wunsch, hineinzugehen und zu beichten. In einem Radiointerview vor seiner Reise nach Rom erzählt Bergoglio Ende Februar 2013 über diesen Tag:

„Ich bin nie beim Frühlingsfest angekommen. Gott war an diesem Tag schneller. Ich weiß nicht wieso, aber ich musste in dem Augenblick, als ich vor der Kirche stand, hineingehen. Als ich drinnen war, schaute ich mich um und sah, wie ein Priester auf mich zukam. Ich kannte ihn nicht, er war nicht von dieser Kirche. Er ging zum letzten Beichtstuhl und nahm dort Platz. Ich spürte, wie mich jemand innerlich packte und mich zum Beichtstuhl führte. Was wirklich in diesem Augenblick geschah, kann ich nicht mit Worten erklären. Ich legte die Beichte ab. Zum Schluss fragte ich den Priester, woher er kam. Er antwortete, dass er von der Provinz Corrientes wäre und ab und zu die Messe hier zelebrieren würde. Er hatte Krebs, Leukämie. Ein Jahr später starb er. Von diesem Augenblick in der Kirche an wusste ich, ich muss Priester werden, und hatte nicht den geringsten Zweifel daran.“

Heute stehen vor der Kirche von Flores immer wieder große weiße Touristenbusse. Von hier aus bietet die Stadt Buenos Aires sogenannte „Papst-Touren“ für alle an, die sich auf die Spuren von Papst Franziskus begeben wollen. Unweit von der Kirche San José, in der Straße Membrillar, weist eine Messingtafel auf dem Haus mit der Nummer 531 darauf hin, dass hier einmal die Familie Bergoglio lebte. In dieses Haus zog sich der damals 17-jährige Jorge Mario Bergoglio zurück, nachdem er den Ruf Gottes an jenem 21. September 1954 verspürt hatte. Zunächst sprach er mit niemandem darüber, was ihm an jenem Frühlingstag widerfahren war. Später erzählt Bergoglio in einem Interview, dass er in den darauffolgenden Jahren in einer Art „passiver Einsamkeit“ lebte. Eine Einsamkeit, in der er für sich allein eine Entscheidung von großer Bedeutung treffen musste.

Zwei Jahre später hatte Bergoglio seine Fachhochschulreife in der Tasche und äußerte seinen Eltern gegenüber den Wunsch, Medizin zu studieren. Seine Mutter Regina war erfreut über seine Entscheidung und richtete ihm im Haus sogar ein eigenes Studierzimmer ein, erinnert sich seine Schwester María Elena. Sie erzählt: „Eines Tages ging Mutter in sein Zimmer, um aufzuräumen, und erlebte eine Überraschung. Statt auf seinem Schreibtisch Medizinbücher vorzufinden, entdeckte sie Theologie- und Philosophiebücher. Als sie Jorge fragte, weshalb er sie angelogen habe, indem er behauptete, Medizin studieren zu wollen, erwiderte er ihr:, Ich habe dich nicht angelogen, ich werde die Medizin der Seele studieren.‘ Mutter war an diesem Tag sehr traurig.“

1957 teilte Bergoglio seine Entscheidung, Priester zu werden, schließlich auch seinen damaligen Klassenkameraden und Freunden aus der Nachbarschaft mit. Viele freuten sich für ihn, andere bedauerten, dass sie in Zukunft nicht mehr denselben Umgang miteinander haben würden, einige Mädchen weinten sogar, erinnert sich Alba Colonna. Sie gehörte damals zur Freundesgruppe von Bergoglio. Dieser sei ein sehr höflicher, zurückhaltender junger Mann gewesen, der stets im Anzug gekleidet die Mädchen zum Tangotanzen aufforderte. Er habe gerne und sehr gut Tango getanzt, versichert Alba Colonna.

Doch bevor er am 11. März 1958 in das Noviziat der Jesuiten eintreten sollte, erkrankte der 21-jährige Bergoglio an einer schweren Lungenentzündung. Eine Erfahrung, die ihn im Nachhinein in seinem Glauben noch mehr bestärken sollte. Zu diesem Zeitpunkt besuchte er das Priesterseminar der Erzdiözese von Buenos Aires. Seine damaligen Seminarkollegen erinnern sich an diese Zeit: „Wir besuchten ihn in unserer Freizeit im Krankenhaus und verbrachten den Tag mit ihm, manchmal übernachteten wir sogar dort. Er hatte große Schmerzen“, erzählt der 82-jährige Bonet Alcón in einem Interview.

Der Gesundheitszustand Bergoglios verschlimmerte sich zunehmend. Die Ärzte entdeckten drei Zysten. Sie entschieden sich zu einem aus heutiger medizinischer Sicht überflüssigen Schritt und entfernen einen Teil des entzündeten rechten Lungenflügels. Ein lebensgefährlicher Eingriff, der durch eine Antibiotikagabe hätte vermieden werden können.

Seine starken Schmerzen beschreibt Bergoglio Jahre später wie einen Eisenstab, der seinen Brustkorb durchbohrte. Fiebernd fragte er seine Mutter, was mit ihm geschehe. Doch seine Mutter konnte ihm diese Frage nicht beantworten. Als ihn eines Tages an seinem Krankenbett Schwester Dolores besuchte, die ihn Jahre zuvor auf die erste Kommunion vorbereitet hatte, sagte sie ihm: „Mit deinem Schmerz imitierst Du das Leben von Jesus Christus.“ Dieser Satz, so erzählt Bergoglio später, habe ihm sehr viel Ruhe und Frieden gegeben und geholfen, die Bedeutung des Schmerzes zu verstehen. Später thematisiert er im Buch Sobre el cielo y la tierra den Schmerz:

„Der Schmerz ist in sich keine Tugend, doch die Art und Weise, wie man mit dem Schmerz umgeht, kann eine Tugend sein. Die Berufung des Menschen ist, nach Glück und Vollkommenheit zu streben. Der Schmerz weist uns dabei immer wieder Grenzen auf. Aus diesem Grunde kann man den Schmerz als Vollkommenheit empfinden, wenn man diesen als Schmerz Gottes sieht, der sich im Körper Jesus Christus widerspiegelt.“

Seit seiner Wahl zum Papst, erklärt María Elena Bergoglio, sei es, als würde ihr Bruder jeden Tag mehr Kraft, Energie und Lebensfreude gewinnen. Anfangs hatte sie Sorge, dass die Aufgaben und die Verantwortung, die auf ihren Bruder zukommen würden, seinen Gesundheitszustand schwächen könnten, doch genau das Gegenteil sei eingetroffen. Ein Beweis dafür, so María Elena Bergoglio, dass er in Rom am richtigen Ort sei – auch wenn er niemals daran gedacht habe, eines Tages der erste lateinamerikanische Papst zu werden.


Pater Mario Rausch mit einem Brief von seinem Freund und Lehrer Jorge Mario Bergoglio aus dem Jahr 1979

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23 aralık 2023
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