Kitabı oku: «Franziskus», sayfa 3
Jesuit, Lehrer, aber kein Professor
„Bildung setzt stets ein Missverhältnis voraus. Man beginnt dann zu laufen, wenn man feststellt, dass einem etwas fehlt, denn wenn einem nichts fehlt, läuft man nicht.“
(„Siempre la educación supone un desequilibrio. Uno empieza a caminar cuando nota lo que le falta, porque si no le falta algo no camina.“)
Jorge Mario Bergoglio El Jesuita
Der Ort San Miguel liegt eine Zugreise von Buenos Aires entfernt. Es ist eine kleine Weltreise hin zum Jesuitenkolleg. Die Bahnlinie San Martín – benannt nach dem argentinischen Befreiungskämpfer General José de San Martín – zählt zu den moderneren in Argentinien. Es ist 9 Uhr morgens. Der Zug hat Buenos Aires verlassen. Ein Verkäufer schiebt sich an den eng aneinandergedrängten Passagieren vorbei und preist lauthals seine Ware an: „Zweilagige Papiertaschentücher, extra weich für die empfindliche Nase, zwei Pakete für nur fünf Pesos.“ Einer der Reisenden will sich das Angebot nicht entgehen lassen und zeigt Interesse. Er bekommt auch einen Sonderpreis, wenn er gleich drei Pakete kauft. Plötzlich bremst der Zug auf offener Strecke. Mütter greifen nach ihren Kindern, der Zeitungsleser verliert das Gleichgewicht und entgeht einem Sturz, indem er von den Körpern anderer Passagiere abgefedert wird. Langsam und holprig setzt der Zug sich wieder in Bewegung. Nach einer dreiviertel Stunde fährt er dann endlich in eine kleine Bahnstation ein. Der Name San Miguel fliegt an den Fenstern vorbei. Die Odyssee ist zu Ende. Der Bahnsteig füllt sich mit den erschöpft wirkenden Reisenden. Neben ihnen reihen sich schnellen Schrittes lokale Verkäufer ein, immer auf der Jagd nach dem nächsten potenziellen Kunden.
Jorge Mario Bergoglio ist diese Strecke oft gefahren, wenn er von Buenos Aires aus das Jesuitenkolleg in San Miguel aufsuchte. Ein Bus brachte ihn schließlich die letzten fünf Kilometer von der Bahnstation bis vor die Tore des 1930 erbauten, imposanten Gebäudes.
Ein strahlend blauer Himmel begrüßt den Reisenden und ein milder Wind lädt ein, die Lungen mit frischer Luft zu füllen, fernab der Großstadtabgase. Aus hohen Palmen sind schrille Schreie zu vernehmen. Kleine grüne Papageien starten unermüdlich aus dichten Palmenblättern heraus, um wenig später wieder darin zu landen. Mario Rausch lebt seit 1977 hier. Er kommt aus der argentinischen Provinz Entre Ríos. Von dort wurde er damals als Novize zum Jesuitenkolleg geschickt, um sein Theologie- und Philosophiestudium zu absolvieren. „Du wirst hier aber leiden“, waren die Worte des Provinzials, die den 23-Jährigen auf die Probe stellen und ihm noch einmal die Möglichkeit geben sollten, seine Entscheidung für das Priesteramt zu überdenken. Doch Mario Rausch antwortete ruhig: „Das macht mir nichts aus.“ Der Provinzial und zukünftige Rektor des Jesuitenkollegs war überzeugt. „Mit großer Freude nehmen wir dich in unseren Orden auf“, waren die Worte von Jorge Mario Bergoglio.
Die Eltern von Jorge Mario Bergoglio am Tag ihrer Hochzeit
Jorge Mario Bergoglio (rechts) mit zwei Klassenkollegen
María Elena Bergoglio, die Schwester des Papstes
Das Haus, in dem Jorge Mario Bergoglio seine Kindheit verbrachte
Papst Johannes Paul II., Kardinal Jorge Mario Bergoglio und sein Schüler Mario Rausch
Im Gespräch mit einem Mitreisenden
Fußwaschung im Elendsviertel 1 - 11-14 in Buenos Aires mit Pater Gustavo Carrara
Jorge Mario Bergoglio in Buenos Aires
Feier einer Messe auf der Plaza Constitución
Der „Rock-Priester“ Cesar Scicchitano mit einem Aktivisten von La Alameda bei einer Messe auf der Plaza Constitución
Der neu gewählte Papst Franziskus blickt auf den Petersplatz
In der Kirche Santa Maria Maggiore am Tag nach der Papstwahl
Diese Begebenheit ist nun 36 Jahre her. Damals hätte Mario Rausch nicht erwartet, dass die Freundschaft, die sich im Laufe der Jahre zwischen ihm und seinem Provinzial und späteren Rektor entwickeln sollte, heute das Interesse zahlreicher Journalisten wecken würde. Seit dem 13. März 2013 führt er immer wieder internationale Reporter mit ihren Kamerateams durch die schlichten, hohen Gänge und Räume des Jesuitenkollegs. Mit neugierigen Augen versuchen sie jedes Bild festzuhalten, das ihnen ein weiteres Detail über die Vergangenheit von Papst Franziskus verraten könnte.
Zehn Tage nachdem Bergoglio als der erste argentinische Papst vor die Weltöffentlichkeit getreten war, erhielt Mario Rausch einen Anruf. Es war der 23. März, sein Geburtstag. Die Sekretärin nahm das Gespräch entgegen. Am anderen Ende stellte sich ein „Jorge“ vor, der mit Bruder Mario sprechen wollte. Es sollte ein persönlicher Anruf sein. Die Sekretärin erkannte jedoch die Stimme sofort und kündigte nicht „Jorge“, sondern den Papst an, erzählt sie heute stolz. „Er hat nie einen Geburtstag vergessen“, erklärt Mario Rausch. Und wie jedes Jahr dauerte auch dieses Mal das Gespräch keine zwei Minuten. Zur Verabschiedung bat der Papst seinen Freund, für ihn zu beten. „Jetzt, da er Papst ist und noch mehr Verantwortung tragen muss, ist es für mich noch wichtiger geworden, ihn mit meinen Gebeten zu unterstützen“, versichert der Jesuit.
Am 11. März 1958 trat der junge Jorge Mario Bergoglio in das Noviziat der Jesuiten ein. 1960, nachdem er die ersten Gelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam abgelegt hatte, wurde er nach Chile entsandt, wo er Geisteswissenschaften studierte und Schüler der dritten und vierten Klasse unterrichtete. Schon bald fiel seinen Vorgesetzten sein Talent für die Lehre auf. Und es stellte sich heraus, dass sich hinter dem schüchtern wirkenden Bergoglio ein aufgeweckter, hoch intelligenter junger Mann verbarg, der stets um das Wohl seiner Mitmenschen bemüht war. „Wenn du dich auf den Weg machst, etwas zu erledigen, kommt er bereits verrichteter Dinge zurück“, war damals ein häufiger Kommentar über Bergoglio, erklärt Mario Rausch.
Jorge Mario Bergoglio beendete 1963 sein Philosophiestudium im Kollegium von San Miguel – zu einer Zeit, in der die Prüfungen noch auf Latein stattfanden und die Seminarteilnehmer angehalten wurden, in den Pausen untereinander auf Latein zu kommunizieren. Keine zwanzig Jahre später, 1980, wurde er zum Rektor ernannt. Bis 1986 war er verantwortlich für die Ausbildung der Jesuiten. Sein ehemaliger Schüler Mario Rausch erinnert sich: „Er ist ein sehr positiver Mensch und betonte immer wieder, dass es in erster Linie darum ginge, das Positive im anderen zu sehen. Er ermahnte uns, wenn wir dies vergaßen.“
Der Schlüssel lässt sich nur schwer im Schloss drehen. Nach etlichen Versuchen gelingt es Mario Rausch, die Tür zu öffnen. Ein kleines Schild verrät, dies sei das Rektorenzimmer. Ein großer Schreibtisch aus massivem Holz füllt den Raum, darauf stehen ein Telefon mit Wählscheibe und eine kleine Lampe, daneben liegt eine Ledermappe. Mario Rausch erklärt: „Dieses Zimmer ist zur Zeit nicht bewohnt. Seitdem Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt wurde, ist es, als sei er wieder in diesen Räumen eingezogen – zumindest für die zahlreichen Journalisten.“ In seinem Gesicht spiegelt sich so etwas wie Verständnis wider.
Ein gepolsterter Lehnstuhl, ebenfalls aus dunklem Massivholz, ein Heizkörper und ein Bücherschrank – das ist die gesamte Ausstattung dieses imposant wirkenden Raumes. Ein Sonnenstrahl dringt durch die halbgeöffneten Fensterläden und fällt auf ein einfaches Kreuz an der Wand. Dann öffnet Mario Rausch eine weitere Holztür und erklärt: „Das war das Schlafzimmer des Papstes.“ Ein fensterloser Raum von knapp zehn Quadratmetern erschließt sich dem Blick, darin ein einfaches Bett, ein Nachttisch, auf dem eine kleine Lampe ohne Glühbirne ihre Funktion zurzeit nicht erfüllt. An der kargen Wand gegenüber stehen ein Kleiderschrank und ein Stuhl.
Keine zehn Schritte trennen die Ruhestätte vom Arbeitsplatz. Arbeit und Studium beherrschen die Atmosphäre in diesen Räumen. Eine zweite Tür führt in ein kleines Badezimmer. Die Kacheln entsprechen der Moderne vergangener Zeiten. Beim Verlassen der Räumlichkeiten sucht ein letzter intensiver Blick ein persönliches Detail, das den eindeutigen Hinweis liefern könnte, hier weilte einst der Papst. Die Suche bleibt erfolglos. Doch der Schein trügt, denn der Beweis liegt in jedem einzeln beschriebenen Detail. Mario Rausch schließt die Tür, und dann erklärt er: „Bruder Jorge ist eine Person, die stets das einfache, arbeitsreiche Leben in der Enthaltsamkeit begrüßte und vorlebte.“ Und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Bergoglio war mein Provinzial, mein Lehrer, mein Rektor, doch in erster Linie war er der Ausbilder meines Herzens.“ Die Erklärung für diesen Satz liefert Bergoglio selbst in einem Interview mit der argentinischen Journalistin Francesca Ambroghetti. Auf die Frage nach den Prioritäten der Ausbildung antwortet er:
„Der Ausgangspunkt in der Bildung muss die Liebe sein. Wenn man nur die theoretischen Prinzipien als Grundlage nimmt, ohne sich darüber klar zu sein, dass es in erster Linie darum geht, wen wir ausbilden, verfallen wir in einen Fundamentalismus. Dieser bringt die Kinder in keiner Weise weiter, denn sie übernehmen von uns nur das, was wir ihnen mit emotionaler Nähe beibringen und vorleben.“
Diese emotionale Nähe haben seine Schüler stets gespürt, wie Mario Rausch bezeugt: „Er war jederzeit für uns ansprechbar. Teil unserer Ausbildung war es, regelmäßig Gespräche mit ihm zu führen, in denen wir eine Art Berichterstattung über unser Gewissen machen mussten. Dabei gelang es ihm immer, das Gefühl zu vermitteln, bei ihm emotional gut aufgehoben und verstanden zu sein. Er war respektvoll dem Menschen gegenüber und strikt in seinen Überzeugungen, die er erklärte und vermittelte. Dabei fehlte nie die notwendige Prise Humor. Er ist jemand, der gerne lacht und andere zum Lachen bringt.“ Und dann schweift Mario Rausch sichtlich gerührt in Erinnerungen ab, die noch einmal bezeugen, wie Bergoglio, als er Rektor des Kollegiums war, wenn nötig stets Hand anzulegen wusste: „An Sonntagen ist er nach der Messe einfach in die Küche gegangen, um mitzuhelfen, das Mittagessen vorzubereiten.“
In dem Buch Sobre el cielo y la tierra, in dem sich Jorge Mario Bergoglio mit seinem Freund, dem Rabbiner Abraham Skorka, unter anderem über das Thema Bildung unterhält, erklärt der ehemalige Lehrmeister den Unterschied zwischen einem Lehrer und einem Professor:
„Der Professor lehrt trocken sein Fach, während der Lehrer sich persönlich einbringt und sein Fach vorlebt. Es besteht ein sichtlicher Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und seinem Leben. Er gibt nicht einfach trocken seine Wissenschaft weiter wie der Professor. Wir müssen den Männern und Frauen dabei behilflich sein, Lehrer, sprich Zeugen zu sein, das ist der Schlüssel zur Bildung.“
1963 wurde Jorge Mario Bergoglio in die Provinz Santa Fé entsandt, wo er im Rahmen seiner Priesterausbildung am ältesten Jesuitenkolleg Argentiniens, dem Colegio Inmaculada Concepción de Santa Fé, unterrichten sollte. 1610 hatten die Jesuiten hier eine Grundschule errichtet, fünf Jahre später die Oberstufen-Ausbildung eingeführt und seit 1873 konnten hier auch höhere Ausbildungen und Studien absolviert werden.
Den Jesuitenorden hatte der Spanier Ignatius von Loyola im Jahr 1540 gegründet. Schon bald spielte der Orden eine dominierende Rolle im Bildungssystem in Europa. Die Missionsarbeit der Jesuiten führte sie in die Neue Welt. 1585 kamen sie von Peru aus nach Argentinien. Im Norden des Landes, wo sich der Großteil der Bevölkerung aus den sogenannten Guaraní, einem indigenen Volk, zusammensetzte, gründeten sie zahlreiche Ausbildungsstätten und sogenannte Reduktionen. Das sind Siedlungen, in denen die Ureinwohner zum Schutz vor Sklavenjägern und den spanischen Einwanderern angesiedelt wurden und wo sie lernten, von ihrer eigenen Landwirtschaft zu leben. Diese bestand vor allem aus dem Anbau des Mate-Strauchs, aus dem der Mate-Tee gewonnen wird. Ein Getränk, das die Guaraní vor allem wegen seiner stimulierenden und hungerstillenden Wirkung konsumierten. Es waren die Jesuiten, die ganze Plantagen der Mate-Pflanze in Paraguay und im Norden Argentiniens kultivierten. Durch den Handel mit dem Mate-Tee, der bis nach Uruguay und Brasilien gelangte, erlebte die gesamte Region eine wirtschaftliche Blütezeit. Schon bald erhielt der Mate-Tee auch den Beinamen „Jesuiten-Tee“.
In weniger als zwei Jahrhunderten verzeichnete die Region eine beachtliche Entwicklung. Die Guaraní hatten nicht nur zahlreiche Berufe erlernt und somit zum wirtschaftlichen Aufschwung der Gegend beigetragen, sondern brachten auch bedeutende Maler, Musiker und Künstler hervor. Die Beziehung zwischen den Guaraníes und den Nachfahren der spanischen Einwanderer, den Criollos, war konstruktiv und beide Kulturen glichen sich immer mehr einander an. Eine Entwicklung, die der spanischen Krone jedoch missfiel. 1767 wurden die Jesuiten auf Befehl des spanischen Königs Karl III. aus Argentinien vertrieben. Unter dem Druck der europäischen Königshäuser sprach Papst Clemens XIV. im Jahr 1773 ein Verbot des Jesuitenordens aus. Erst 1814, nach dem Fall Napoleons, wurde der Jesuitenorden von Papst Pius VII. wieder zugelassen.
Zu dieser Zeit wurde Argentinien von dem Befehlshaber und Diktator General Juan Manuel Rosas regiert, der die Jesuiten wieder ins Land zurückholte. Sie sollten für die Ausbildung der nachkommenden Generationen Sorge tragen. Als die Jesuiten jedoch merkten, dass General Rosas immer mehr politischen Einfluss auf die Inhalte des Lehrstoffs nehmen wollte, wehrten sie sich dagegen, was eine erneute Vertreibung zur Folge hatte. Erst nach seinem Sturz im Jahr 1852 kehrten die Jesuiten wieder ins Land zurück. In Lateinamerika sind heute 2.447 Jesuiten tätig, davon 197 in der Region Argentinien und Uruguay.
Die Ausbildung zum Jesuiten kann bis zu dreizehn Jahre dauern und zeichnet sich durch den Wechsel zwischen Theorie und Praxis aus. Als der 27-jährige Jorge Mario Bergoglio 1963 nach Santa Fé geschickt wurde, stand ihm eine zweijährige praktische Tätigkeit bevor – das sogenannte Magisterium. An der Hochschule des Kollegiums der Immaculata in Santa Fé lehrte er Literatur und Psychologie.
Einer der damaligen Schüler von Bergoglio ist der argentinische Journalist und Schriftsteller Jorge Milia. Bis heute pflegen beide einen engen Kontakt. Milia erinnert sich, wie es seinem damaligen Literaturlehrer gelang, die Schüler für eine Materie zu begeistern, die 17-Jährigen zunächst langweilig erscheinen mochte. Milia gehörte jedoch zu denen, die sich von Bergoglio für dieses Fach begeistern ließen und nahm an zusätzlichen Literaturstunden teil, die dieser für interessierte Schüler anbot.
Der heutige Anwalt José María Candioti ist ein weiterer ehemaliger Schüler Bergoglios, der das kreative Engagement seines damaligen Literaturprofessors in lebhafter Erinnerung hat. Er sei ein anspruchsvoller Lehrer gewesen und habe keine Mühe gescheut, um die künstlerische, literarische Ader, die in jedem schlummern konnte, zu fördern, erklärt er in einem Interview.
Dem jungen Lehrer Bergoglio gelang es, angesehene argentinische Schriftsteller, wie etwa María Esther de Miguel oder María Esther Vázquez, zu seinem Literaturunterricht einzuladen. 1965 überraschte Bergoglio seine Schüler im Unterricht mit einem besonderen Gast: dem international renommierten argentinischen Schriftsteller Jorge Luis Borges (1899 – 1986). Fünf Tage lang konnten die Schüler mit einem der angesehensten lateinamerikanischen Schriftsteller Einblicke in die Literatur gewinnen. Am Anfang der Woche hielt Borges einen Vortrag über die Gaucho-Literatur, ein Kurzgeschichten-Wettbewerb war dann der Höhepunkt dieser Begegnung. Die besten Texte der jungen Schüler wurden ausgewählt und es entstand das Buch Cuentos originales, für das Borges das Vorwort schrieb. Bergoglio ist bis heute ein großer Bewunderer von Borges, der sich mit der 1931 in Buenos Aires gegründeten Zeitschrift Sur vor allem dem kulturellen Austausch zwischen Lateinamerika und Europa widmete. Jorge Luis Borges verstarb 1986 in Genf, wo er auch begraben ist.
Doch das Engagement des Lehrers Bergoglio für den Kurzgeschichten-Wettbewerb seiner Schüler war mit der Veröffentlichung des Buches noch nicht zu Ende. Er schrieb dem damaligen Direktor der größten Tageszeitung der Region in der benachbarten Stadt Paraná einen Brief mit der Bitte, einen Artikel über das erschienene Buch seiner Schüler zu veröffentlichen.
„Unser Wunsch ist, die Werte dieses Buches hervorzuheben. Es ist bereits in der Region Santa Fé zu einem Bestseller geworden. Sie würden uns eine große Freude machen und wir wären Ihnen zu großem Dank verpflichtet, wenn Sie uns die Ehre geben, das erschienene Buch in Ihrer Zeitung zu erwähnen und somit Ihre Leser in Paraná über dieses Werk zu informieren.“
Nach seiner Zeit als Lehrer ging Jorge Mario Bergoglio 1967 wieder zurück nach San Miguel, wo er an der theologischen Fakultät des Jesuitenkollegs San José sein Theologiestudium beendete. Am 13. Dezember 1969 – vier Tage vor seinem 33. Geburtstag – wurde Bergoglio zum Priester geweiht. Seine Überraschung war groß, als er am Ende der Zeremonie seine Mutter Regina María Sívori sah, die ihn auf Knien um seinen Segen bat. Ein bewegender Moment für Mutter und Sohn, denn von allen Familienmitgliedern fiel es ihr schwersten zu akzeptieren, dass ihr ältester Sohn sich für das Priesteramt entschieden hatte.
Ebenfalls anwesend an diesem Tag war seine Großmutter Rosa. Sie war es, die ihm als kleinen Jungen beigebracht hatte, den Rosenkranz zu beten und ihm Geschichten von katholischen Heiligen erzählte. In einem der wenigen Radiointerviews, die Bergoglio während seiner Zeit als Kardinal in Buenos Aires gab, erzählt er, dass er als Kind sehr viel Zeit bei seinen Großeltern verbracht habe.
Die erste religiöse Prägung erhielt der junge Bergoglio durch seine Großmutter. Als er ihr seinen Wunsch offenbarte, Priester zu werden, waren ihre Worte: „Wenn Gott dich ruft, gesegnet sei deine Entscheidung. Aber vergiss nie, dass dir die Türen deines Zuhauses stets offen stehen. Und keiner wird dich dafür verurteilen, wenn du deinen Entschluss widerrufen solltest.“ Den Worten seiner Großmutter misst er bis heute große Bedeutung bei. So zitierte Papst Franziskus sie am 24. März 2013 in seiner Palmsonntag-Predigt:
„Schauen wir uns um: Wie viele Wunden schlägt das Böse der Menschheit! Kriege, Gewalttaten, Wirtschaftskonflikte, die die Schwächeren treffen; Gier nach Geld – und keiner kann es doch mitnehmen; man muss es zurücklassen! Meine Großmutter sagte zu uns Kindern:, Das Totenhemd hat keine Taschen.‘ Gewinnsucht, Machtstreben, Korruption, Spaltungen, das sind Verbrechen gegen das menschliche Leben und gegen die Schöpfung!“
Die ältere Generation, die in der heutigen Gesellschaft häufig hinter den Türen der Altenheime als Wissens- und Erfahrungsquelle missachtet wird, zählt für Jorge Mario Bergoglio zu einer der wichtigsten Lernquellen, die dem Menschen zur Verfügung stehen. In dem Buch Sobre el cielo y la tierra unterhalten sich Abraham Skorka und Bergoglio über das Alter. Bergoglio erklärt darin:
„Der ältere Mensch ist ein Überlieferer der Geschichte, er ist derjenige, der in uns Erinnerungen wach ruft, die mit unserem Volk, Heimatland, unserer Familie, Kultur und Religion zu tun haben. Ältere Menschen vermitteln uns ein Erbe, das ist eine der wichtigsten Aufgaben, die man mit dem Alter übernimmt. Der ältere Mensch hat Vieles erfahren, und auch, wenn er sein Leben töricht gelebt hat, verdient er unsere Achtung und unseren Respekt. Wenn wir denken, die Geschichte beginnt mit unserer eigenen, hören wir auf den älteren Menschen zu ehren.“
María Elena Bergoglio, die elf Jahre jüngere Schwester des Papstes, erinnert sich, wie ihr Bruder in den vergangenen Jahren, nachdem er am Heiligen Abend in der Kathedrale von Buenos Aires die Messe zelebriert hatte, ins Altenheim der Priester ging. Er zog es vor, seinen Glaubensbrüdern im Altenheim in dieser Nacht Gesellschaft zu leisten, statt im Kreis seiner eigenen Familie zu feiern. „So ist er“, meint María Elena und fügt mit Stolz hinzu: „Er wandte sich immer zuerst denen zu, die seinen seelischen Beistand brauchten. Er wäre nicht mein Bruder, hätte er in der Heiligen Nacht anders gehandelt.“
Als Bergoglio 1971 sein viertes und letztes Gelübde als Jesuit ablegte – den besonderen Gehorsam gegenüber dem Papst –, konnte er nicht ahnen, dass es dieses Gelübde sein sollte, das die Weichen für seinen Weg nach Rom stellen würde. Der Jesuit, der das Leben in Enthaltsamkeit im Dienste der Bedürftigen gewählt hatte und für den Lehre und Arbeit immer von höchster Bedeutung waren, hatte nie Ambitionen, Papst zu werden, erklärt María Elena Bergoglio. Und ihr Bruder folgte lediglich dem vierten Gelübde, das er als Jesuit abgelegt hatte, als er von Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof von Buenos Aires ernannt wurde.
Sowohl die Schwester als auch Mario Rausch vermissen die Anwesenheit und regelmäßigen Gespräche mit „Jorge“. Für sie wird Papst Franziskus in erster Linie Bruder und Freund bleiben. Mario Rausch bewahrt die Weihnachtskarten und einige Briefe von Bergoglio sorgsam auf und ab und zu liest er sie – sie würden ihm Kraft geben, erklärt er. Auch María Elena Bergoglio hebt die Briefe ihres Bruders auf. Einer aus dem Jahr 1960 ist ihr besonders wichtig. Ihr Bruder hat ihn ihr aus Chile geschickt, wo er als junger Novize erste Erfahrungen als Lehrer machte. Ein Brief, in dem er seiner damals 12-jährigen Schwester seine Gedanken über die Armut mitteilte und der ein Beweis dafür ist, dass schon der junge Bergoglio von der Wichtigkeit der Bildung und im Besonderen der religiösen Bildung überzeugt war.
„Ich werde Dir etwas erzählen: Ich unterrichte an einer kleinen Schule in Chile Schüler aus der dritten und vierten Klasse Religion. Die Jungen und Mädchen sind sehr arm; einige von ihnen kommen barfuß in die Schule. Oft haben sie nichts zu essen, und im Winter erfahren sie die Kälte in ihrer grausamsten Art und Weise. Du kannst Dir das vielleicht nicht vorstellen, denn Du hast immer etwas zu Essen gehabt. Und wenn Dir kalt ist, gehst Du in die Nähe einer Heizung. Ich erzähle Dir dies, damit Du darüber nachdenkst. … Wenn Du glücklich bist, gibt es viele Kinder, die weinen. Während Du ein Zuhause hast, leben viele in Wellblechhütten und haben zum Teil noch nicht einmal eine Decke. Vor ein paar Tagen sagte eine ältere Dame zu mir:, Vater, wenn ich eine Decke hätte, wie gut mir das täte, denn ich friere jede Nacht.‘ Das Traurigste ist, dass diese armen Leute Jesus nicht kennen. Sie kennen ihn nicht, da ihnen niemand von ihm erzählt hat. Verstehst Du nun, weshalb ich immer sage, dass wir viele kleine Heilige brauchen?“
Die Madres de la Plaza de Mayo zur Zeit der argentinischen Militärdiktatur
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