Kitabı oku: «BERLIN», sayfa 3
Männlein und Weiblein sucht sich in dem Gewühl. Junge Leute, Studenten, Künstler, Volk aus dem Romanischen Café sieht man und aufgetakelte Berlin W-Damen, die durch goldene Lorgnettes die Schaufenster beäugen. Hunde werden spazieren geführt. Ecke Joachimstaler Straße warten drei Dutzend halbe Pärchen auf die zu spät kommende andere Hälfte. Zeitungsverkäufer verkünden die Titel ihrer Blätter – nur die Titel, denn das Ausrufen des Zeitungsinhalts ist in der Weltstadt Berlin polizeilich verboten, genauso wie in Kötzschenbroda. Alte Herren beraten während ihres abendlichen Spaziergangs die politische Lage, und Finanzfeldherrn in spe studieren, an die Litfasssäule gelehnt, das Kursblatt »Börsen-Courier«. Dazwischen klingelt die Straßenbahn, die Autohupen tuten, die schlecht geschmierten Bremsen quietschen, die gleißende Flut der Lichtreklame blendet das Auge, immer voller und stärker, schwärzer und hastiger quillt der Menschenstrom durch die Straßen, knäuelt sich zusammen und sondert sich ab – bis die Uhr der Gedächtniskirche acht geschlagen hat.
ZWISCHEN WILHELMSTRASSE UND PLATZ DER REPUBLIK
Regierungsviertel und Parlament –
Parlamentarische Stilblüten.
Am Wilhelmplatz, dort wo die Voßstraße von der Wilhelmstraße abzweigt, steht ein baumlanger, hagerer Schutzmann und regelt den Verkehr. Seine besondere Aufmerksamkeit widmet er den Lastkraftwagen, die er unbarmherzig nach der Voßstraße verweist. Zudem steht auch eine Tafel da, mit einem schwarzen Punktzeichen: Für Lastkraftwagen verboten. Lastkraftwagen sind also in diesem Teil der Wilhelmstraße nicht zugelassen. Und das ist richtig so. Denn die Männer, die Deutschlands Geschicke leiten, müssen in Ruhe arbeiten können, und schon die unvermeidlichen Autos machen Lärm genug.
Die Ministerien
Die Wilhelmstraße ist das »Regierungsviertel« Berlins. Die deutsche Downing Street, der deutsche Quai d’Orsay, der Berliner Ballhausplatz. Hier sind die wichtigsten Ministerien untergebracht, hier wohnen Reichspräsident und Reichskanzler, hier werden die Gesetzesentwürfe ausgearbeitet, hier wird der Etat geboren. Das Reichsfinanzministerium befindet sich allerdings an der anderen Ecke des Wilhelmplatzes, die noch nicht vor Lastkraftwagen geschützt ist. Offenbar glaubt die Verkehrspolizei, dass das Finanzministerium eben mehr vertragen kann als die anderen Ministerien. Dem Fremden soll es aber gesagt werden – es ist das Haus Wilhelmstraße 61, wo der Herr Reichsfinanzminister als oberster Kriegsherr aller Steuererklärungen thront, während an der gegenüberliegenden Ecke sich das Haus der Reichsbahngesellschaft erhebt. Das Hotel Kaiserhof ist nun doch Hotel geblieben, obwohl die Geheimräte im Reichsfinanzministerium mit ihren geistigen Augen schon die Seufzerbrücke gesehen haben, die sie aus dem alten Haus des Ministeriums zum Hotel umbauen wollten. Sonst steht von Nichtregierungsgebäuden nur noch eine Bank und das Palais der amerikanischen Botschaft auf diesem Platz. Das Übrige gehört dem Reich und Preußen.
Pressekonferenzen
Im ehemaligen PALAIS LEOPOLD an der Ecke der Wilhelmstraße haust die Presseabteilung der Reichsregierung. Hier versammeln sich jeden Mittag die politischen Redakteure der deutschen Presse, um die Ereignisse der Tagespolitik mit den Vertretern der Reichsregierung zu besprechen. Diese Versammlung ist eine Art Vizeparlament. Auch hier kann man erregte Debatten erleben, auch hier werden manchmal unangenehme Fragen gestellt, und auch hier kann man Ministerreden hören, denn es gibt Minister, die es sich nicht nehmen lassen, die Presse selbst zu informieren. Der wesentlichste Unterschied zwischen der Pressekonferenz und dem Reichstag soll darin bestehen, dass es in der Pressekonferenz kein Restaurant gibt und auch keine Diäten. Aber das kann ja noch einmal nachgeholt werden.
Hier wohnt der Reichskanzler
Gegenüber diesem Palais Nr. 77 wohnt der Reichskanzler in einem schönen Hause, dessen Garten sich bis zur Friedrich-Ebert-Straße erstreckt. Hier hat schon Bismarck gewohnt, die Räume sind groß, geräumig, luftig, die weißen Türen mit Gold verziert, und die Diener tragen stets weiße Handschuhe.
Hier wohnt der Außenminister
Daneben wird in drei Häusern die auswärtige Politik des Reichs gemacht und hier wohnt auch der Außenminister Dr. Stresemann, aber nicht in einem der Palais, sondern in einer Villa, die sich mitten im großen Garten des Ministeriums befindet. Findet bei ihm ein Empfang statt, so fahren die Gäste in der Friedrich-Ebert-Straße vor, wo eine hohe rote Mauer darüber wacht, dass gewöhnliche Sterbliche keinen Einblick in diesen Garten Eden der diplomatischen Genüsse bekommen.
Hier wohnt der Reichspräsident
Im Hause Nr. 73 wohnt der Reichspräsident. Vor dem Gartentor stehen zwei Schupoleute, während am inneren Eingang des Palais zwei Soldaten Wache halten. Hier sind auch die Büros des Reichspräsidenten, die sein treuer Adlatus, Staatssekretär Meißner, verwaltet.
In den gegenüberliegenden Häusern sind verschiedene Reichsbehörden untergebracht, an der Ecke Unter den Linden steht das Haus des Preußischen Ministeriums für Kultur und Unterricht, während einige Schritte weiter, in einem Palais von gelber Farbe, der Botschafter Seiner britischen Majestät zu Hause ist. Der Reichsminister des Innern haust mit seinem Beamtenstab in dem großen roten Gebäudekomplex des ehemaligen Großen Generalstabs am Platze der Republik, das Reichswehrministerium in der Bendlerstraße, das Postministerium in der Leipziger Straße, die preußische Landwirtschaft und Handel werden ebenfalls aus der Leipziger Straße regiert, während sich das Reichsjustizministerium in der Voßstraße befindet. Trotzdem die meisten Ministerien nicht in der Wilhelmstraße liegen, schlägt aber das politische Herz Deutschlands doch hier. Hier werden die Entscheidungen getroffen.
Besprochen – und zwar ausgiebig – werden sie allerdings am Platz der Republik, in dem großen Bau mit der goldenen Kuppel, der die stolze Aufschrift »Dem deutschen Volke« trägt: im Reichstag. Wer ein Interesse an dem politischen Leben Deutschlands hat, wird gewiss neugierig sein, wie es in diesem Hause aussieht.
Im Reichstag
Hat man Glück, so flattern die schwarz-rot-goldenen Fahnen auf den Masten des Parlaments – die Sitzung ist im Gange. Hat man noch mehr Glück, so gibt es auch eine kleine Regierungskrise, was ja nicht allzu selten ist. Und hat man sehr viel Glück und einen Bekannten, der in diesem Palast als M. d. R. oder als Journalist zu Hause ist, so kann man auch eine Tribünenkarte bekommen, ja sogar einen Blick in die Wandelgänge werfen.
Vor dem Portal in der Simsonstraße, wo sich der Eingang für die Abgeordneten und für die Presse befindet (gewöhnliche Sterbliche können das Haus nur vom Reichstagsufer aus betreten), halten eine Menge Autos, Schupoleute patrouillieren herum und auch ein paar Dutzend Neugierige stehen da, die im Mittagsblatt gelesen haben, dass der Reichstag einen großen Tag habe. Das Thermometer des Reichstags ist aber die Kleiderablage. Sind alle Kleiderhaken besetzt, so muss etwas Wichtiges vorgehen. Denn sonst sieht die Garderobe des Reichstags ungefähr so aus wie die eines Sommertheaters bei gutem Wetter.
Es geht also etwas vor. Die große Wandelhalle, die mit einem purpurroten Teppich bedeckt ist, wimmelt von Menschen. Ob das alles Abgeordnete sind? Nein, nein – es sind auch welche darunter, die erst Abgeordnete werden wollen, es sind ferner Journalisten darunter, die für die Abgeordneten unentbehrlich sind, da sie zumeist von ihnen erfahren, was eigentlich los ist, es sind Amateurpolitiker darunter, die alle einen fertigen Kompromissplan oder ein Koalitionsprogramm in der Tasche tragen, und es sind schließlich auch politikbegeisterte Damen darunter, die gerade an solchen schicksalsschweren Tagen mit Vorliebe auftauchen. Überall stehen kleine Gruppen beisammen. Man debattiert, man fängt einzelne Worte auf, Namen, Fetzen einer Unterhaltung. Die Stimmung wechselt alle fünf Minuten. Bald ist alles zerschlagen, bald ist wieder alles »in Butter«. Hat man den Topf zerschlagen, so eilt man mit dem Leim, um ihn wieder zusammenzuleimen. Was machen die Sozis? Sie sitzen beisammen. So viel wie im Reichstag wird vielleicht nirgends beisammengesessen.
Was geschieht? Wird man ablehnen, oder gibt man nach?
Man kann es nicht wissen. Hier kann man es nie wissen.
Ein Journalist flitzt durch die Wandelhalle und verkündet eine Neuigkeit: In dem Fraktionszimmer der Demokraten hat soeben ein Kompromissvorschlag das Licht des parlamentarischen Tages erblickt. Bis er aber zum Telefon stürzt, um die Sensation zu melden, ist die Sache nicht mehr wahr. Der Vorschlag ist nämlich schon abgelehnt.
Lord Breitscheid
Dr. Breitscheid – neuerdings kurzweg »Lord Breitscheid« genannt – promeniert in der Wandelhalle mit einer jungen Journalistin. Es ist ein sehr ungleiches Paar, denn Breitscheid ist unangefochtenerweise der »größte« Abgeordnete, wogegen besagte Dame ebenso unangefochtenerweise das »kleinste« Mitglied der Reportergarde ist. In einer anderen Ecke sieht man die salbungsvolle Gestalt des Domkapitulars Dr. Leicht von der Bayerischen Volkspartei inmitten einer großen Gruppe. Dr. Dernburg, massig und kraftvoll, versucht einige Volksparteiler umzustimmen. Baron von Lersners schlanke schwarze Gestalt eilt durch die Halle, und Erich Koch, der Chef der Demokraten, zieht sich mit einigen seiner Parteifreunde in eine Ecke zurück. Was mag dort nur vorgehen?
Nicht weniger reges Leben herrscht in den inneren Wandelgängen, zu denen eigentlich nur die Abgeordneten Zutritt haben sollen. Aber in Krisentagen nimmt man es nicht so ernst mit den Vorschriften, und so schwirren im linken Wandelgang, wo die Sozialisten auf den Plüschsofas beraten, ausländische Korrespondenten herum, die wissen wollen, was sie nach Paris und London, nach Rom und New York melden sollen. Scheidemanns Spitzbart taucht auf und verschwindet wieder im Restaurant …
Im Restaurant
Dieses Restaurant! Es ist das Hauptquartier aller Gerüchte und Vermutungen, aller Kombinationen, die niemals wahr sind, aller Aufregungen und Beschwichtigungen. Da sitzt man in aller Ruhe – hübsch nach Parteien getrennt, lässt sich von seinem Stammkellner bedienen, trinkt seinen Kaffee, raucht seine Zigarre und schmiedet Pläne. Da lanciert man alle erdenklichen Namen als Kanzlerkandidaten, vorausgesetzt, dass ein Journalist am Tisch sitzt, denn sonst hat die Sache doch keinen Wert, da setzt man Möglichkeiten und Unmöglichkeiten auseinander und wartet auf die nächste Fraktionssitzung, damit man weiß, wie man sich eigentlich verhalten soll. Denn der einzelne Abgeordnete hat nur in den allerseltensten Fällen eine politische Meinung. Die Meinung hat die Partei …
Da sieht man plötzlich die hohe Gestalt Hermann Müllers sich erheben und verschwinden.
Wohin geht er?
Ein Dutzend Leute fragen sich dasselbe. Einige Beherzte gehen ihm nach, aber Herr Müller ist sehr verschwiegen, und es ist mehr als schwer, aus ihm etwas herauszuholen. Man sieht nur, dass sich ihm der massige Otto Wels angeschlossen hat, man muss sich also wieder setzen, und man kann sich in die schönen Wappen der deutschen Dynastien vertiefen, die ein offenbar sehr begabter Künstler in allen Farben des Herrgotts an die Wand gemalt hat, bis ein aufgeregter Mensch kommt und verkündet: »Hermann Müller ist zum Reichspräsidenten gefahren!«
Reichsminister Dr. Stresemann
Der Einzige, der kühlen Kopf bewahrt
Man stürzt hinaus und begegnet Außenminister Stresemann, der mit seinem Sekretär, dem jungen Henry Bernhard, und seinem Leibjournalisten, Herrn Josef Reiner, in einer Ecke steht und die politischen Informationen diktiert, die in anderthalb Stunden – mit einer entsprechend fetten Überschrift – die erste Seite des »8-Uhr-Abendblattes« zieren werden. Stresemann ist voller Gemütsruhe, wie meistens, er ist kaum aus der Fassung zu bringen. Früher hat man ihn auch anders gesehen … aber diese Zeiten sind vorbei. Seitdem er den Friedenspreis erhalten hat und seinen Namen für die Weltgeschichte gesichert weiß, ist er der Einzige unter den deutschen Staatsmännern, der wirklich immer einen kühlen Kopf bewahrt.
Auch Witze werden gemacht. So fragt man einen hohen Beamten des Reichsfinanzministeriums, wer wohl der neue Minister sein wird. Er winkt resigniert mit der Hand. »Gott weiß es allein«, meint er. »Ich weiß nur, dass man sich bei uns bald nicht mehr die Namen der Chefs merken kann … so schnell wechseln sie …«
Die Macht des Konfekts
In einer Ecke sitzt Frau Katinka von Oheimb, die jetzt nur noch als Gast hier erscheint. Sie hat stets Konfekt bei sich. Jetzt auch. Sie unterhält sich mit einem bekannten Journalisten. Die Konfektschachtel steht auf dem Tisch und der Mann von der Presse greift öfters danach, denn er muss sich stärken. Als sie sich verabschieden, ist die Schachtel leer. Dafür weiß aber Frau von Oheimb jetzt ganz genau, was sich nicht ereignen wird …
Plötzlich, ein ohrenbetäubender Lärm. Klingeln rasseln und die Megaphone tuten. Abstimmung. Man eilt in den Saal.
Reichstagspräsident Loebe
Dort thront Herr Löbe auf der Präsidentenestrade mit jener unbeschreiblichen Würde, die nur eine ganze Persönlichkeit zu verleihen vermag. Der kleine dunkle Mann mit der großen Brille, der in Zivil ganz unbedeutend aussieht, wächst in dem Augenblick, wo er oben auf der Estrade sitzt, zu einer Personifizierung des parlamentarischen Geistes. Noch niemals hat der deutsche Reichstag einen solchen Präsidenten gehabt, einen, der in jeder Lage, auch in der schwierigsten, die Würde des Parlaments zu wahren versteht und immer, selbst bei der allerheikelsten Gelegenheit, die richtigen Worte findet.
Das Aufheben von Drucksachen ist verboten
Der Plenarsaal ist halbvoll. Was dem Laien zuerst auffallen wird, ist wohl die Tatsache, dass an verschiedenen Plätzen ein großer Stapel von Drucksachen auf dem Tisch liegt, während an den anderen Plätzen dieselben Drucksachen auf dem Boden liegen. Diese Lage der Drucksachen ist aber für den erfahrenen Parlamentsbesucher sehr wichtig, denn daraus kann man ersehen, ob der Volksvertreter, dem der fragliche Platz gehört, schon im Saale war oder nicht. Liegen die Drucksachen noch hübsch ordentlich auf dem Tisch, so war der Herr Volksvertreter noch nicht da. Liegen sie aber auf dem Fußboden, so war er bereits anwesend. Ein ungeschriebenes Gesetz des Reichstags gebietet nämlich allen Abgeordneten, die Drucksachen nach erfolgter Lektüre auf den Fußboden zu werfen.
Die Regierung
Rechts vom Präsidenten, etwas tiefer, breiten sich die Bänke der Regierung aus. Dort sitzen die Minister und Staatssekretäre, während die Seite links von der Präsidentenestrade für die Vertreter der anderen Reichsbehörden sowie für die Reichsratsmitglieder vorbehalten ist. Bei großen Sitzungen sind alle Bänke voll, aber nur wenn der Kanzler oder einer der favorisierten Minister spricht. Sonst kann man dort lediglich die diensthabenden Regierungsvertreter sehen, die aufpassen müssen, ob nicht irgendwelche Fragen gestellt werden, die man beantworten muss. Dicht unterhalb der Rednertribüne in einem kleinen Raum mit vier Schreibmaschinen sitzen die Leute, die jedes Wort, das hier ausgesprochen wird, festhalten – die Stenographen des Parlaments.
Es ist kein leichter Dienst, Parlamentsstenograph zu sein. Während der zehn Minuten, die jeder Stenograph aufzunehmen hat – dann überträgt er das Aufgenommene in Schreibmaschinenschrift –, ist er das Ohr von 60 Millionen Deutschen und der ganzen Welt. Er darf kein Wort dessen verlieren, was dort oben gesprochen wird (obwohl es manchmal wirklich nicht wichtig ist), und zehn Minuten lang führt seine Hand den Bleistift im wahrsten Sinne des Wortes für die Weltgeschichte. Der Stenograph ist aber nicht nur ein Beamter, der jedes gesprochene Wort treu aufnimmt, er ist für jene Abgeordnete, die ihres Stiles nicht ganz sicher sind, eine ganz besonders wichtige Persönlichkeit, denn er hat in vielen Fällen auch die schwere Aufgabe, die sogenannten »Stilblüten« zu beseitigen.
Heiterkeit rechts
Wenn da jemand sagt: »Dieser Grund ist grundlos«, was schon öfters vorgekommen ist, so fragt der Stenograph nicht viel, sondern er schreibt: »Dieser Grund ist nicht stichhaltig …« und er hat sich um einen Volksvertreter verdient gemacht. Oft wissen natürlich die Abgeordneten, dass sie eine Stilblüte von sich gegeben haben – sie merken es an der Heiterkeit, die einer Stilblüte folgt – und kommen dann nach der Sitzung in das stenographische Büro hinunter, um ihre Rede zu korrigieren, was auch sehr nötig ist, denn die Wähler würden sich manchmal sehr wundern, wenn sie unkorrigiert lesen würden, was ihr Vertreter gesagt hat. Sagte doch einmal der Abgeordnete Stökker: »Als die Wellen der Revolution emporloderten …«, worauf allgemeine Heiterkeit entstand. Herr Stöcker ließ sich aber nicht beirren und ripostierte: »Sie lachen … Ja, das Lachen ist ja das Amen und Omen Ihrer ganzen Politik …«
Parlamentarische Stilblüten
Es gibt leider noch immer keine Sammlung der parlamentarischen Stilblüten. Nur ein paar alte Parlamentsjournalisten und der witzige Abgeordnete Dr. Moses haben einige gesammelt. So sagte einmal ein Kultusminister im preußischen Landtag: »Die Universitäten sind wie ein rohes Ei. Wenn man sie anfasst, stellen sie sich gleich auf die Hinterbeine …«
Dagegen meinte ein Sozialist: »Meine Herren! Die Lokomotivführer stehen mit einem Fuß im Zuchthaus und mit dem anderen nagen sie am Hungertuch …«
Und ein Deutschnationaler äußerte: »Der Völkerbund ist nur dazu da, die Giftzähne von Sowjetrussland auf die Beine zu stellen …«
Während ein Demokrat Folgendes von sich gab: »Der Geist Helfferichs ist der nackte Pferdefuß, welcher am Mark des deutschen Volkes nagt …«
Und ein Zentrumsmann sagte einmal: »Die Vermehrung der Bevölkerung auf dem flachen Lande vollzieht sich auf eine ganz natürliche Weise. Ich werde Ihnen gleich zeigen, wie …«
Glücklicherweise hat er es nicht gezeigt.
Die Pressetribüne
Die Chefredakteure
Ganz links oben befindet sich die Pressetribüne. Auch ihr Bild wechselt, genauso wie das Bild des Sitzungssaals. Plätschert die Debatte unten wie gewöhnlich, so halten auf der Pressetribüne nur die Stenographen der Blätter Wacht, während die Redakteure in dem Restaurant debattieren. Spricht aber der Kanzler, so ist die Tribüne so voll, dass man sich nicht bewegen kann. Dann sind all die Leute hier, die das Verbindungsglied zwischen Volksvertretung und Volk darstellen – die Chefredakteure der großen Blätter, die Leitartikler, die Parlamentskorrespondenten, von denen in anderen Ländern jeder den Marschallstab des Abgeordneten in der Aktentasche tragen würde, was aber in Deutschland nicht der Fall ist, da es hier nur verhältnismäßig selten vorkommt, dass ein Journalist als Kandidat aufgestellt wird. Eigentlich ein Kardinalfehler der deutschen Parteipolitik. Denn Theodor Wolff oder Georg Bernhard hätten ihren Platz mit viel mehr Berechtigung im Parlament als mancher, der dort unten sitzt. So sitzen sie aber hier oben, mit ihren Stäben und folgen der Schlacht, die unten tobt. Hinten in den Arbeitsräumen rasseln die Schreibmaschinen; die Vervielfältigungsapparate der parlamentarischen Nachrichtenbüros verbreiten fünfzehn Minuten später, nachdem der Redner unten geendet hat, seine Worte, die Telefone klingeln – München, Wien, Erfurt, Budapest, Paris, Königsberg, Kopenhagen und Prag melden sich, die Atmosphäre ist mit Spannung geladen – mit einer Spannung, die nicht selten viel höher ist, als jene, die unten im Saale herrscht, und am Schalter des kleinen Telegraphenamts im Reichstag liefern amerikanische Korrespondenten Kabeldepeschen von zweitausend Worten auf …
Chefredakteur Theodor Wolff
Der Kuhhandel
Aber der Reichstag hat auch andere Einrichtungen, von denen nur der wirkliche Kenner weiß. Abgesehen von den verschwiegenen Fraktionszimmern im zweiten Stock, wo der berühmte »Kuhhandel« vor sich geht und wo alle intimen parlamentarischen Entscheidungen getroffen werden, abgesehen von den Arbeitszimmern der Abgeordneten, wo man so gemütlich schlafen kann – für die Herren Volksvertreter ist auch in anderer Hinsicht wohl gesorgt.
Der Reichstag hat seinen eigenen Friseur, er hat Badeanstalten, Turnsäle und Zanderapparate, wo man sich elastisch und schlank erhalten kann, und wenn jemand einen Blick ins Kellergeschoß wirft, kann er manchmal irgendeinen berühmten parlamentarischen Kämpen gerade dabei erwischen, wie er an der Rudermaschine arbeitet oder aber sich im Sattel eines Maschinenrosses bemüht, einige Pfunde abzugeben. Und wenn erst das Reichstagshotel gebaut werden wird, das ja ein alter Wunsch der Volksvertreter ist, dann wird es wirklich eine Lust, Abgeordneter zu sein …
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