Kitabı oku: «Amtsmanns Magd», sayfa 2

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3.

„Der neue Herr“ lehnte es ab, sich drunten in der „guten Stube“, wo „meine Luise“ immer noch wacker in den „tönenden Hämmern“ wühlte, den Kaffee serviren zu lassen. Er bestand darauf, so sehr auch Frau Griebel im Hinblick auf Staub, Mäuse und Spinnweben protestirte, sich sofort in seinen eigenen vier Pfählen einzuquartieren, und stieg die Treppe hinauf.

Er hatte bestimmt, daß die Siegel an der Wohnung der Verstorbenen nicht gelöst werden sollten, bis er selbst einmal komme; nun riß er die Papierstreifen an der Hauptthür ab, und Herr Peter Griebel schloß auf. Genau so traut und anheimelnd wie die äußere Physiognomie des Gutshauses war auch die innere Einrichtung der Zimmerreihe im oberen Stock.

Frau Griebel zog behutsam die Rouleaux in die Höhe. Sie triumphirte; die Scheiben waren weißbestäubt, und auf der nächsten Tischplatte schrieb sie mit sardonischem Lächeln und ungeschicktem Finger ein paar groteske Buchstaben in die Staublage. Aber die Dielen waren schneeweiß und steckenlos, und ein starker Duft von Steinklee und anderem Kräuterwerk füllte die Räume, in welche auch ein Hauch frischer Luft durch Zuglöcher an der Decke fortgesetzt Zutritt hatte.

„Offene Fenster und ein wenig Fegen machen allen Schaden gut,“ sagte der „neue Herr“ heiter und entriegelte einen Flügel des mittleren Erkerfensters.

„Und mit den verstopften Schlüssellöchern war’s nichts, Jettchen!“ schmunzelte Herr Peter Griebel. „Wo sitzen denn nun die Spinnen, über die Du den ganzen Winter gebrummt hast? Unsere alte Dame war gar ein propres Weibchen – sie litt solches Geziefer nicht – wo sollte denn da die Brut herkommen, Jettchen?“

„Guck nur erst in die Bücherstube, Peter, eh’ Du so dick thust mit Deiner Weisheit! An den himmelhohen Regalen und hinter dem Bücherwerk wirst Du schon Dein blaues Wunder sehen. – Da drüben giebt’s was zu lesen, Herr Markus – Bücher ohne Ende! Und alles, was drin steht, das hatte die alte Frau in ihrem Kopfe. Sie war Doctor und Apotheker in einer Person und tausendmal gescheidter, als der elende Bartkratzer drüben in Tillroda, der sich von den Leuten Doctor schimpfen läßt. Der hatte deswegen aber auch eine ganz gehörige Pike auf die resolute Frau, gerade wie der Pfarrer, der an ihrem Grabe gepredigt hat, sie sei zeitlebens eine Gottlose gewesen, weil sie nichts vom Teufel und dergleichen wissen wollte und den Augenverdrehern spinnefeind war. Na, im Himmel ist sie doch – der in Tillroda wird’s doch dem lieben Gott nicht vorschreiben dürfen, wer hinaufkommen soll und wer nicht.“

„Ja, eine tüchtige Frau ist sie gewesen, die Frau Oberforstmeisterin,“ sagte Peter Griebel. „In der Oekonomie war sie zu Hause wie ein Mann. Ich war nur die letzten zwei Jahre Gutsverwalter bei ihr, aber da hab’ ich alter Kerl mehr gelernt, als in zehn bei meinem vorigen Herrn. Sehen Sie doch hin!“ – er streckte den Arm nach dem üppigen Gelände aus, das sich draußen hinbreitete – „das Alles ist hauptsächlich ihr Werk; denn der Herr Oberforstmeister soll so gut wie gar nichts davon verstanden haben. Freilich, die paar Acker dort hinter dem Fichtenhölzchen, die sind ziemlich ’runtergewirthschaftet; sie gehören zum Vorwerk, und da wird nicht gut gehaust – der Herr Rechtsanwalt wird Ihnen ja wohl davon geschrieben haben.“

„Ja wohl. Seit vier Jahren hat der Amtmann Franz das Vorwerk in Pacht, und in den musterhaft geführten Büchern der Verstorbenen ist nicht ein einziges Mal die ausbedungene Pachtsumme als eingegangen notirt zu finden –“

„Unsere alte Dame hat eben immer ein Auge zugedrückt, weil die Frau Amtmann von der Jugendzeit her ihre gute Freundin gewesen ist,“ fiel die Leine Frau erklärend ein. „Amtmanns haben Schulden gehabt wie Sand am Meere, und ist ihnen von den Gläubigern Alles, Schiff und Geschirr, weggenommen worden. Da hat sich die Frau Oberforstmeisterin erbarmt und hat ihnen das Vorwerk gegeben, freilich nicht umsonst – dazu war sie viel zu streng und ordentlich in Geldsachen aber doch für einen wahren Pappenstiel, und auch den hat der alte Schwindler nicht einmal bezahlt.“

Sie unterbrach sich und fuhr mit der Hand in die Tasche. „Da guck her, Peter. – was ich Dir immer sage!“ wandte sie sich an ihren Mann und zerdrückte vor seinen Augen eine kleine gebratene Kartoffel, sodaß das köstliche Eidottergelb des Inneren appetitlich duftend hervorquoll. „Drüben im Grafenholz sammeln die Tillröder Jungen Erdbeeren, und da liegt diese Gottesgabe halbmetzenweise in der heißen Asche –“

„Na und, Jettchen?“

„Na und, Mann?“ ahmte sie ihm ärgerlich nach. „Wie kömmst Du mir denn vor? Mußten denn die Bengels gerade vom Allerbesten haben? … Und wie ich frage: ,woher?’ da sagt die Rotte ganz frech: ,Nicht von der Frau Griebel, aber von Amtmanns Magd,’ … Herr Markus, ich will ja den Leuten drüben nicht in’s Gehege kommen – meinetwegen mögen sie bis in alle Ewigkeit auf dem Vorwerk sitzen und keinen Pacht zahlen, aber sie haben den allerbesten Kartoffelboden vom ganzen Gute –“

„Jettchen, denk’ an Dein Gewissen!“ fiel ihr Mann warnend ein. „Wir haben keine Ursache zu klagen; es geht uns gut – und von meiner Familie soll mir ja Keines mitschieben und drängen, daß Herr Markus kurzen Proceß macht mit den Leuten. Der Amtmann ist alt, und seine Frau liegt seit einem Jahre krank im Bette, und wenn die Magd nicht hauszuhalten versteht –“

„Ja, die Magd – das ist mir die Allerschönste,“ sagte Frau Griebel mit verächtlichem Achselzucken. „Na, Sie haben sie ja gesehen, Herr Markus, das Mädchen in dem verhunzten Stadtkleide. Jetzt trägt sie freilich ihr Grasbündel auf dem Kopfe, als wenn sie damit auf die Welt gekommen wäre, aber im Anfang – daß sich Gott erbarm’!“

„Ist sie nicht aus der Umgegend?“ fragte Herr Markus mit Interesse.

„Bewahre! Der Sprache nach muß sie weit her sein. … Sehen Sie, das war so. Gleich nachdem unsere alte Dame gestorben war, da legte sich auch die Frau Amtmann, und die Magd lief davon, weil sie nie einen Heller Lohn zu sehen gekriegt hatte – das war schlimm; denn eine andere fand sich partout nicht. Ich sprach schon davon, daß ich ’nübergehen und nach der Ordnung sehen wollte – wenn auch die Leute sich niemals um Unsereinen gekümmert hatten – aber da kam auf einmal eine Nichte vom Amtmann; sie war Gouvernante in einer großen Stadt, wie mir die Frau Oberforstmeisterin einmal gesagt hat, und die hat das Mädchen zur Hülfe mitgebracht. … Auf der Magd liegt nun freilich die ganze Wirthschaft; denn das Gouvernantenfräulein wird wohl weder Kochtopf noch Kehrbesen anrühren –“

„Brr!“ machte Herr Markus und schüttelte sich.

„Na, was denn?“ fuhr Frau Griebel zurück und riß ihre kleinen Augen unter den verwundert emporgezogenen blonden Brauen weit auf.

„Ja, sehen Sie, meine liebe Frau Griebel, ich bin ein nervenschwacher Mensch; ich leide an einer unbesieglichen Gouvernanten-Antipathie“ – durch seine interessanten Züge ging ein humoristisches Zucken wie Wetterleuchten.

„Das soll heißen, Sie können die Gouvernanten nicht leiden? … Da kommen Sie mir aber schön an, Herr Markus. Meine Luise will ja auch eine werden – freilich nicht so wie die auf dem Vorwerk. Das leide ich schon nicht. In den Ferien muß sie mir tüchtig mit an die Arbeit – da wird nicht gefackelt. Sie kann perfect backen, einmachen und Geflügel stopfen, und in der Milchwirthschaft ist sie zu Hause wie ich selber, und dabei hat sie rothe Backen wie ein Stettiner Apfel und ist frisch und gesund – Gott behüt’s – wie eine Ecker. … Sie soll mir auch nie in eine große Stadt; denn da bringen sie immer blasse Farbe und abgeschmackte Manieren mit, wie eben Fräulein Franz auf dem Vorwerk. Ich hab’ sie nur ein einziges Mal in der Kirche in Tillroda gesehen, und da hatte ich schon genug. Sie ist eine ebenso lange Hopfenstange wie ihre Magd, thut schrecklich apart und ist blaß und schmal im Gesicht, so weit ich’s von meinem Kirchenstuhl aus erkennen konnte –“

Sie machte, sich selbst unterbrechend, eine plötzliche Schwenkung nach der Thür. „Ja, da stehe ich nun, ich alte Plappertasche, und verthue die Zeit und weiß doch kaum, wo nur der Kopf steht vor Arbeit! – Peterchen, Du mußt mir gleich junge Tauben vom Schlag holen und nach frischen Eiern suchen, und ich gieße derweil den Kaffee aus. Nachher wird hier oben gefegt. – Bis dahin vertreiben Sie sich ja wohl die Zeit, Herr Markus, und gucken sich ein Bischen um in den Raritäten hier oben?“

Damit ging sie hinaus; ihr „Peterchen“ folgte ihr auf dem Fuße und „der neue Herr“ trat vom Fenster weg, während seine Augen musternd durch das Zimmer glitten.

Der Erker durchschnitt die Vorderwand dieses großen Raumes genau in der Mitte, sodaß seine Glasthür von je einem Stubenfenster flankirt wurde. Auf diese Weise strömte viel Licht herein, leicht gefärbt durch grünblumige Kattunvorhänge, und beleuchtete voll zwei Gestalten, die von der tiefen Wand herabsahen.

In die Wangen des jungen Mannes stieg die Röthe innerer Erregung, und seine Stirn furchte sich im Unwillen angesichts der schönen, männlichen Erscheinung im grünen Jägerrock, die eine dürre, zerstäubende Eichenlaubguirlande umschloß. … Ja, so mußte er ausgesehen haben, der stolze Herr Oberforstmeister, der Mann, der sich von seiner einzigen Schwester losgesagt hatte, weil sie Einem aus dem Handwerkerstande ihr Herz geschenkt und ihn auch, trotz Zorn und Widerspruch ihres Bruders, geheirathet hatte. Diese Schwester aber war die Mutter des jungen Markus gewesen. … Ja, das war der personificirte Beamtenhochmuth, der zeitlebens die Verwandtschaft mit „dem Schlosser, dem Rußbengel“ von sich gewiesen, ob auch die Schlosserwerkstätte des jungen Arbeiters sich im Lauf der Zeit zu dem Riesenetablissement einer großartigen Fabrik umgewandelt hatte und einen hochgeachteten Namen an der Stirn trug. … Der Herr Oberforstmeister hatte von jeher hoch hinaus gewollt; es hatte auch Eine von altem Adel sein müssen, die er als Frau in sein Haus geführt; arm war sie gewesen und die Letzte ihres alten Namens; daß aber die vornehme Herkunft allein maßgebend gewesen, daran glaubte der junge Mann, den beiden Bildern gegenüber, von nun an nicht mehr. Durch das Gesicht des stolzen Jägers ging ein Zug tiefer Leidenschaft; er hatte einen dunkelglühenden Blick, und die junge Braut an seiner Seite, mit dem Myrthensträußchen am Busen, war engelschön gewesen, von so unbeschreiblichem Liebreiz im Ausdruck, daß man unmöglich denken konnte, auch diese Seelenmacht der Züge sei vergänglich gewesen und modere nun in der Erde.

Im Elternhause des Herrn Markus waren diese zwei Menschen fast nie genannt worden. Als Knabe hatte er nicht gewußt, daß ihm in Thüringen Onkel und Tante lebten; er war sehr erstaunt gewesen, als eines Tages ein Brief der Frau Oberforstmeisterin an seine Mutter den jähen Tod des Bruders – er war bei einem Jagdschmause seines Fürsten vom Schlage getroffen worden – gemeldet hatte. Diese Todesanzeige war der Gegenstand einer mehrstündigen Berathung seiner Eltern gewesen; dann war ein sehr förmliches, kurzes Condolenzschreiben von der Hand des Vaters an „die Dame“, und später ein Verzicht der Mutter auf jeden Anspruch an den Nachlaß des kinderlos verstorbenen Bruders an dessen Sachwalter abgegangen. … Darnach war es gewesen, als sei ein Vorhang über dem Ereigniß zugefallen – es war nie mehr davon gesprochen worden. Hatte der hochmüthige Beamte einst Schwester und Schwager verleugnet, so war auch der Arbeiter stolz genug gewesen, den Verwandten bis in den Tod hinein zu ignoriren.

Wie wohl die schöne Frau über dieses unnatürliche Verhältniß gedacht hatte? – Hochmuth lag nicht in dem Gesicht, wohl aber etwas Zärtliches, Glückseliges. Sie mochte wohl den Mann ihres Herzens über Alles geliebt haben und blindlings mit ihm gegangen sein. Vielleicht hatte sie nach seinem Tode der verstoßenen Schwester versöhnend die Hand bieten wollen, indem sie eine schriftliche Beziehung anzubahnen gesucht – sie war streng zurückgewiesen worden. … Und nun war der einzige Sohn dieser Schwester doch noch der Erbe im Hirschwinkel geworden. Ob die Verstorbene wohl deshalb nie ein Testament gemacht hatte, um stillschweigend die Hinterlassenschaft ihres Mannes, doch noch in die Hand kommen zu lassen, der das einzige Recht darauf zustand? –

Er vermochte kaum den Blick wegzuwenden von dem jugendschönen Gesicht, das aus einer fast märchenhaften Fülle blonder seidener Locken hervorlächelte, aber es lockte ihn auch, die Räume zu durchwandern, in denen diese Vereinsamte viele Jahre der Abgeschiedenheit durchlebt hatte. … Die Thüren der in einander führenden Zimmer standen weit offen; er konnte die ganze Wohnung so ziemlich mit einem Blick übersehen. Welch ein Unterschied zwischen dieser altväterischen verbrauchten Einrichtung und dem modernen Luxus in der prächtigen Villa, die sein verstorbener Vater unweit der Fabrik erbaut hatte!

Das Erkerzimmer war das stolzeste mit seiner Glasthür und den Polstermöbeln in grünblumigen Kattunbezügen, die mit den Gardinen harmonirten. Es stand schönes Meißner Porcellan auf den Kommoden, und neben guten Oelbildern schmückte ein großer Spiegel die Wand. Das mochte wohl immer das Zimmer der Frau gewesen sein, und nebenan hatte der Gemahl residirt. Seine Wittwe hatte ihn fast um zwanzig Jahre überlebt, aber noch hing der Schlafrock am Nagel, als habe ihn der Hausherr eben ausgezogen, um in die Uniform zu schlüpfen. Die Tabakspfeifen standen wohlgeordnet auf dem Brett, und der Schreibtisch war sichtlich mit peinlicher Genauigkeit in dem ungeordneten Zustand erhalten worden, in welchem ihn der Oberforstmeister hinterlassen, als er zur Hofjagd gegangen war, von der er nicht zurückkehren sollte.

Ein seltsames Gefühl beschlich den jungen Mann – war es doch, als müsse er noch andere Tritte, als die seinen, in diesen wohnlichen Räumen hören. Die Verwaiste hatte es verstanden, eine Art von Lebensodem verstorbener Lieben um sich festzuhalten. Da nebenan war das Schlafzimmer. Dicht an dem einen Bette stand ein Kinderbettchen, mit bunter Decke belegt, als sei es eben, nachdem ihm der süße Schläfer entnommen, frisch aufgebettet worden. Aus dem Berichte des Sachwalters wußte Herr Markus, daß ein Erbe im Hirschwinkel geboren worden sei, ein Knabe, der aber in zartem Alter gestorben war. Eine Fülle von Zärtlichkeit und tiefer Sehnsucht mußte das Herz der Einsamen bis zum letzten Schlag bewegt haben, aber sie war auch ein starker, gesunder Geist gewesen, der den Lebensrest nicht in der Hingabe an den Schmerz verträumt hatte. Das bewies die „Bücherstube“, deren ganzen geistigen Inhalt die alte Frau in ihrem Kopfe gehabt haben sollte; davon zeugte die anstoßende Kräuterkammer, an deren Wänden sich große Bündel heilbringender Pflanzen hinreihten, welche die Verstorbene unermüdlich im Walde zusammengesucht hatte, um sie in dem kleinen Laboratorium nebenan in Arzneien und Specereien umzuwandeln.

Nach dem Erkerzimmer zurückkehrend, zog Herr Markus im Vorübergehen einen oberen unverschlossenen Kommodenkasten auf. Ein sauber zusammengefaltetes Kantentuch lag darin, und daneben ein großer, grünatlassener Strickbeutel, aus dessen halbzugezogener Oeffnung dürre Pflanzenstengel hervorstärrten. Das waren wohl die letzten Kräuter gewesen, welche die Heimgegangene im todbringenden Zugwinde auf dem Berggipfel gepflückt hatte. Die zusammengerollten Blätter stoben knisternd zu Boden, als der junge Mann den Beutel ergriff und den Bandverschluß aufzog. Dicht neben dem Kräuterwerke machten ein chirurgisches Besteck, ein Essenzfläschchen und ein vielbenutztes Notizbuch den gesammten Inhalt aus.

Mit etwas zaghaftem Finger öffnete Herr Markus die Schließen des kleinen Buches. Hin und wieder lagen getrocknete Pflanzen zwischen den Blättern, und Notizen in vollkommen correctem Latein waren dahinter geschrieben Recepte, Anmerkungen bezüglich der Oekonomie und des Hauswesens, Reflexionen, auch verschiedene Briefanfänge wechselten auf den Blattseiten mit einander ab. Das Buch war offenbar der stete Begleiter der Frau Oberforstmeisterin auf einsamen Wegen gewesen, in welchen sie Alles niedergelegt hatte, was ihr augenblicklich durch den Kopf gegangen war – ein seltsames Merkbüchlein, aus welchem der abgeschiedene Geist in all seinen Spiegelungen, ungeschminkt und unverfälscht sprach, wie es vielleicht kaum Blick und Stimme im Leben gethan.

Der Strickbeutel wurde pietätvoll an seinen Platz zurückgelegt; mit dem Büchlein aber setzte sich Herr Markus in den Erker hinter das Arbeitstischchen der Verstorbenen, um gespannt weiter zu blättern. Was mochten wohl die letzten Gedanken der seltenen Frau gewesen sein, ehe sie sich auf das Sterbebett gelegt hatte? – Eine mit zierlich winzigen Buchstaben bedeckte Seite – und nach ihr kamen die letzten weißen, unberührten Blätter – Es stand da:

„Nach gewissenhaftem Erwägen habe ich mich doch noch entschlossen, zu testiren; nicht bezüglich der gesammten Hinterlassenschaft meines verstorbenen Mannes – Sie wissen ja, daß ich mir darüber das Recht der freien Verfügung nie selbst zugestanden habe, im Gegentheil mich nur als Verwalterin derselben bis zu meinem Tode ansehe. Anders verhält es sich mit dem Vorwerke. Es war das erste Geburtstagsgeschenk meines Verlobten für mich; ich bezog während meines Ehelebens aus dem Ertrage mein Nadelgeld und die Armenunterstützungen, die ich mir gestatten durfte, und habe auch eine kleine Sparsumme, eine Hypothek auf dem Tillröder Gasthofe erübrigt. Darüber kann und will ich mit gutem Gewissen verfügen. Möglich, daß ich früher sterbe, als meine unglückliche Freundin auf dem Vorwerke – in dem Falle würde sie, ohne eine letztwillige Verfügung meinerseits, der schrecklichsten Noth preisgegeben sein. Freilich mit dem Prasser, dem Amtmann, und seiner unbezwinglichen Neigung zum Vergeuden, will ich nichts zu schaffen haben, aber auch der Frau darf ich das Vorwerk nicht zuschreiben lassen, wenn ich nicht will, daß dieser letzte Nothanker sofort in unnütze Dinge und Schlemmereien umgesetzt werde; sie ist zu schwach ihrem Manne gegenüber – ein Blatt im Winde! – Was meinen Sie dazu, wenn ich Agnes Franz, die Nichte, als Erbin einsetze? – Kommen Sie doch in den nächsten Tagen in den Hirschwinkel, Notabene, nicht ohne die gesetzlichen zwei Zeugen!“

Dieser Briefentwurf war jedenfalls an den Rechtsbeistand der Verstorbenen gerichtet. Vielleicht war sie auf ihrem letzten botanischen Streifzug zuerst auf dem Vorwerk eingekehrt, und irgend ein Vorkommniß dort hatte sie veranlaßt, noch unterwegs die Zuschrift an den Advocaten zu entwerfen – die Abschrift hatte der Tod verhindert.

Herr Markus klappte das Buch zu und steckte es sorglich in die Brusttasche. … Das war ja eine merkwürdige Entdeckung, eine ungeahnte Wandlung, die ihm eine Mission aufdrang. ….Sein Gesicht verfinsterte sich in ausgesprochenem Widerwillen. Die selige Frau Oberforßmeisterin hatte nichts mit „dem Prasser, dem Amtmann“, zu schaffen haben wolle – nun denn, ihr Erbe fühlte ebensowenig der Trieb, in irgend eine Beziehung zu der Amtmannsnichte, „dem Gouvernantenfräulein“, zu treten.

Er sah sie schon im Geiste, die wohlgepflegten weißen Hände, die so anmuthig vor Männeraugen zu spielen verstanden; er summirte das Bischen Französisch, einige gewagte Bleistiftcontouren, die Mondscheinsonate und ein Duldergesicht mit kokett niedergeschlagenen Augen – lauter Requisiten, aus welchen sich ein solch oberflächliches Gouvernantenpersönchen in seinen Augen zusammenzusetzen pflegte! … Lange nach dem Tode seiner Mutter hatte sich der Vater noch einmal verheirathet. Aus dieser Ehe war ein Töchterchen da, ein reizendes kleines Mädchen, das der „große“ Bruder vergötterte. Seine Stiefmutter, die seinem Hauswesen vorstand, glaubte ohne eine Stütze in der Erziehung des Wildfanges nicht auskommen zu können, und so war der enge Familienkreis seit vier Jahren durch eine Erzieherin erweitert. Aber schon dreimal in dieser Zeit war man gezwungen gewesen, mit den jungen Damen zu wechseln, weil schließlich stets das Bestreben, selbst Herrin in der Markus’schen Villa zu werden, alle anderen Leistungen weit überflügelt hatte.

Ein grimmer Spott zuckte um seine Lippen. Ei ja – das hätte ihm gefehlt, sich um seiner schönen Häuslichkeit willen heirathen zu lassen! – Unwillkürlich suchte sein Blick das Frauenbild an der Wand – das anziehende Wesen dort hatte mit jener Species nichts gemein. Also nur als die Verwalterin im Hirschwinkel hatte sie sich während ihrer Wittwenzeit angesehen? – Sie hatte das Erbe für den Sohn des mißachteten „Schlossers“ in unentwegtem Rechtsgefühl behütet und gemehrt, ob man auch ihre Hand tiefverletzten Stolzes zurückgestoßen? Ein charaktervolles Weib, eine starke Seele war die zarte, schlanke Lilie gewesen, die aus dem Goldrahmen der blonden Locken in bräutlicher Liebesdemuth zu ihm herübersah – das Herz schwoll ihm in einem wunderlichen Sehnsuchtsgefühl. – „Was – sentimental?“ – Er schüttelte die „närrische“ Anwandlung sofort wie einen Krankheitsstoff von sich.

„Sie haben mich wohl gar nicht gehört, Herr Markus?“ ’ fragte Frau Griebel, die eben eingetreten war und das Kaffeebret auf dem Sophatisch niedergesetzt hatte. „Und mein Porcellan hat doch mehr, als sich gehört, geklirrt und geklappert. … Sie guckten ja aber auch so verbissen da ’nüber an die Wand, als hätten De sich, meiner Treu, in die Selige verliebt.“

Er lachte und stand auf.„Bis über beide Ohren, Frau Griebel! Die wär’s gewesen, gleichviel, ob alt oder jung.“

„I machen Sie doch keine Streiche, Herr Markus!“ – Sie hielt im Abwischen der Tischplatte inne, wandte schwerfällig den Kopf nach ihm zurück und sah fast böse aus. – „Solch ein Spittelweibchen! Von der Ferne sah sie wohl manchmal noch roth und weiß aus wie eine Apfelblüthe, aber runzelig war sie doch wie Backobst – der Krauskopf da war schlohweiß geworden, und commandiren that das schmächtige Frauenzimmerchen zuletzt wie ein General.“

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