Kitabı oku: «Amtsmanns Magd», sayfa 3

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4.

Herr Markus hatte seinen Aufenthalt im Hirschwinkel ursprünglich auf höchstens drei Tage festgesetzt. Er wollte nach der unerläßlich gewordenen Inspicirung des neuen Besitzes eine Tour durch den Thüringer Wald bis nach Franken hinein machen. … Nun waren aber drei Tage nach seiner Ankunft verstrichen, und es fiel ihm nicht ein, seine beabsichtigte Reise anzutreten, so wenig wie er jetzt noch daran dachte, das ferngelegene, ihm unbequeme Gut zu verkaufen, wozu er daheim fest entschlossen gewesen war. Um keinen Preis wäre ihm jetzt der reizende Erdenwinkel feil gewesen der ihn so heimisch umfing, als sei er in dem alten, trauten Gutshause geboren.

Er bewohnte das Erkerzimmer und ein rechts daranstoßendes Schlafcabinet. Die Zimmerflucht linker Hand dagegen, die mit dem Arbeitszimmer des verstorbener Oberforstmeisters begann und in das Laboratorinm auslief, wurde nach sorgfältiger Lüftung wie ein Reliquienschrein wieder unter Verschluß gelegt, und sollte nie benutzt werden, wie der Gutsherr zu Frau Griebel’s großem Aerger anordnete.

Er kam sich vor wie ein Einsiedler, der sich auf einsamen Berggipfel zurückgezogen hat, und kaum noch weiß, daß zu seinen Füßen die Brandung des Menschenverkehrs weiter tost, weil er sie nicht mehr hört. So still war es auch im Gutshause. Alles, was zur Oekonomie gehörte, concentrirte sich in dem zweiten großen Hof, hinter dem saubergehaltenen, kiesbestreuten Platz, aus welchen die Stufen der Hausthür führten. Da vorn durften nur die verwöhnten Truthühner umherstolziren; das buntgemalte Taubenhaus und ein vollästiger Birnbaumwipfel stiegen in die Lüfte, und Sultan’s Hundehütte stand an dem Thorweg wie ein Schilderhäuschen. … so rührig auch Frau Griebel auf ihrem Wirthschaftsposten war, im Vorderhause duldete sie kein geräuschvolles Hantiren, kein Thürenschlagen von seiten der Leute, und draußen vor den Fenstern war es noch stiller. Wunderselten einmal geschah es, daß Weiber mit einem Reisigbündel auf dem Rücken, oder ein Trupp beerensuchender Kinder aus dem Wege dahinschritten, der den Rasenfleck vor dem Gutshause durchschnitt.

Allerdings war es nicht das Wohlbehagen ausschließlich, was Herrn Markus auf dem Gute festhielt – es traten auch zu erledigende Geschäftsfragen an ihn heran. Eine längst projectirte Eisenbahnlinie, die auch den Hirschwinkel berührte, sollte nunmehr in Angriff genommen und abgesteckt werden. Diese Angelegenheit machte verschiedene Schreibereien nöthig. Der Schienenweg bedrohte das beste Stück Ackerland, während er doch nach Pachter Griebel’s Ansicht ebenso gut durch den minder werthvollen Wiesengrund laufen konnte.

Herr Markus hatte sein neues Gebiet bereits nach allen Seiten hin beschritten. Wohin er auch kam, überall fand er die musterhafteste Bewirtschaftung und das sichtliche Bemühen, die Güte des Bodens wie ein Kleinod zu behüten. Als Ausläufer dieses fruchtbaren Geländes lag freilich das Vorwerk da, wie ein angesetzter ärmlicher Flicken.

„So lange die Frau Oberforstmeisterin noch lebte, sahen die Grundstücke immer ganz passabel aus, sagte Peter Griebel „der Amtmann hatte einen heillosen Respect vor unserer alten Dame und ging deswegen gar oft selbst hinter dem Pfluge her. Dazumal hatte er noch einen Knecht, der ist nun aber auch gleich nach der Magd fortgelaufen, und beim Amtmann hat sich das Alter eingestellt – er geht am Stocke. Von Feldarbeit wäre keine Rede mehr, wenn sich nicht der Forstwart drüben im Grafenholz erbarmte. Der stammt aus dem Orte, wo der Amtmann früher die fürstliche Domäne in Pacht gehabt hat da ist er Tagelöhnerjunge gewesen und scheint an seiner alten Herrschaft zu hängen; denn das Bischen freie Zeit, das ihm sein schwerer Dienst übrig läßt, bringt er auf den Vorwerksäckern zu, und – da mag nun meine Frau sagen was sie will – die fremde Magd hilft tüchtig mit.

Bis in die Nähe der Vorwerksgebäude war Herr Markus noch nicht gekommen. Es war seine Absicht, den letzten Willensausdruck der verstorbenen Gutsherrin zur Geltung zu bringen, wenn das Schriftstück auch im Strickbeutel statt bei der gesetzlichen Behörde gelegen hatte und durch keinerlei Zeugenschaft beglaubigt war. Aber er wollte das erst nach seiner Rückkehr in die Heimath schriftlich abmachen – es widerstrebte ihm absolut, mit dem Amtmann und „dem Gouvernautenfräulein“ in persönlichen Verkehr zu treten.

Er sehnte sich überhaupt nach keinem Umgang in der Einsamkeit, die er zum ersten Mal kennen lernte und auszukosten wünschte. Er war durchaus kein Blasirter – das rauschende Leben der Großstadt hatte tausendfachen Reiz für ihn; er gab sich ihren schönen Genüssen mit voller Seele hin; denn er war ja ein noch junger Mann, dem die Lebenslust mit dem gesunden Blute durch die Adern strömte, aber nach all dem aufregenden Treiben der verflossenen Saison und dem geräuschvollen Arbeitsgetöse in seiner Fabrik fand er es köstlich, in der einlullenden Waldstille gleichsam zu versinken.

Er hatte einen ganz besonderen Lieblingsaufenthalt im Hirschwinkel für sich entdeckt; das war der kleine Pavillon, der sich auf der nordwestlichen Ecke der Gartenmauer erhob. Von achteckiger Form, gestattete er durch zwei Fenster und ebenso viel Glasthüren einen Ausblick nach allen Himmelsrichtungen. Die Innenwände waren mit verblichenen Frucht- und Blumenstücken auf grauem Grunde bemalt; ein kleiner weicher Eckdivan hinter einem runden Tischchen, einige Rohrstühle und ein Bücherbret über dem Divan bildeten das Meublement, und hinter den oberen Scheiben der Fenster und Glasthüren hingen Bogengardinen von Purpurkattun, welche das Stübchen mit einem magischen Schein füllten. Vor der einen Glasthür, nach der Westseite zu, zog sich ein schmaler Balcon mit hölzernem Geländer hin und – das war es hauptsächlich, was dem neuen Besitzer diesen Aufenthalt so reizvoll machte – von da führte eine kleine Treppe direct in das freie Feld, außerhalb des Gartens hinab. Nur ein schmaler Rasenstreifen lief hier draußen die Mauer entlang; darüber her wehten schon die nickenden Halme des nächsten Kornfeldes.

Herr Markus saß am Morgen des vierten Tages nach seiner Ankunft in dem Gartenhäuschen auf der Mauer und schrieb. Er hatte mit einer Anzahl auserlesener Werke aus der „Bücherstube“, allerhand Schreibgeräth und einigen Regaliakistchen die kleine Stube noch behaglicher aussstaffirt. … Nun hatte er sich eine Cigarre angebrannt, und die blauen Wölkchen vertrieben die Camillen- und Lavendeldüfte, welche die Morgenluft aus dem Kräutergarten der Frau Oberforstmeisterin hereinwehte. – Er saß im Eckdivan, der Balconthür gegenüber. Sobald er aufblickte, übersah er durch die Glasscheiben den Weg, der, vor dem Gutshause hinlaufend, in fast schnurgerader Linie die Felder durchschnitt und erst weit drüben von dem beginnenden Waldschatten aufgenommen wurde. Nur einmal zweigte sich eine schmale Pfadlinie rechts ab, um hinter einem kleinen Fichtengehölz weg nach dem Vorwerk zu laufen.

Auf diesem Fußweg daherkommend, trat plötzlich ein weibliches Wesen in seinen Gesichtskreis – es war die Magd vom Vorwerk. Sofort erkannte er sie an Gang und Haltung, wenn auch heute, außer dem ominösen Weißen Tuch – von Frau Griebel zornmüthig „Scheuleder“ genannt – noch ein breitrandiger Strohhut ihr Gesicht beschattete.

Sie ging langsam mit gesenktem Kopfe; in der Linken trug sie einen Rechen und ließ im Vorüberwandeln die grünen Kornähren durch die Finger der rechten Hand laufen. Wie auf Goldgrund hob sich das Mädchen aus der sonnenhellen, einsamen Landschaft. Sie war offenbar im Begriff, auf der entferntgelegenen Wiese, wo sie vor einigen Tagen gemäht hatte, das Heu zu wenden.

Er sah sie näher und näher kommen; sie hatte sichtlich keine Ahnung, daß in dem Gartenhäuschen ein Beobachter jeder ihrer Bewegungen unverwandten Blickes folgte. Herr Markus hatte nicht mehr an das Mädchen gedacht, das ihm die verlangte Hülfe auf der Brücke nur mit Widerwillen geleistet, jetzt aber fiel ihm die knappe und schroffe Art und Weise, mit welcher sie ihn abgefertigt hatte, wieder ein; er mußte lachen, und es reizte ihn, mit der Spröden noch einmal anzubinden.

Er erhob sich und trat an die Thür, während sie, der Mauerecke nahe, plötzlich Halt machte und einen Brief aus der Tasche zog. Es schien, als spähe sie nach irgend einem dienstbaren Geist des Gutes aus, aber vor dem Hause und an den Fenstern desselben rührte und regte sich nichts. Sie betrat deshalb, kurz entschlossen, den Rasenstreifen an der westlichen Gartenmauer, jedenfalls um zu den Hintergebäuden zu gelangen, wo die Mägde in den Ställen zu finden waren.

In diesem Augenblick kam Herr Markus auf den Balcon heraus; er stieg rasch das Treppchen hinab und vertrat ihr so den Weg. Sie schrak zusammen, als habe sich die Erde vor ihr aufgethan, und ließ vor Bestürzung den Rechen fallen.

„Der Brief ist doch wohl für Jemand auf dem Gute bestimmt – gieb ihn mir! Ich will ihn bestellen,“ sagte er lächelnd, indem er die Hand nach dem schmalen Couvert ausstreckte.

Stumm reichte sie ihm den Brief hin.

„Was der Tausend – er ist ja für mich,“ rief er mit einem Blick auf die Adresse. „Von wem?“

Sie bückte sich und nahm den Rechen auf.

„Von Deinem Herrn doch nicht?“ inquirirte er weiter, da die Antwort nicht sofort erfolgte.

„Ja, vom Amtmann,“ bestätigte sie jetzt in der fast ängstlich knappen Redeweise, die er bereits an ihr kannte.

Er wiegte lächelnd den Kopf.

„Sieh, sieh, was der alte Herr für eine, zierliche Damenhand schreibt!“

„Das ist nicht seine Schrift – er leidet an Augenschwäche –“

„Ach so, da hat er dictirt, und eine seiner Damen, wie ich vermuthe, das Fräulein Gouvernante, hat nachgeschrieben.“ Er hielt die Adresse prüfend von sich ab. „Schöne, schlanke Züge, auf schneeweißem Papier, wie es sich für eine Dame gehört, die mit Küchengeräth und Staubtuch absolut nichts zu schaffen hat.“

Sie warf den Kopf auf, und er hoffte schon auf eine schneidige Replik, aber umsonst; sie senkte das Kinn wieder auf die Brust und schwieg.

„Du bist wohl für Deine junge Dame sehr eingenommen?“ fragte er; seine brennende Cigarre wieder zum Munde führend.

„Ich glaube nicht,“ versetzte sie und trat ein wenig zurück, als wolle sie den blauen Duftringeln ausweichen, die ihren Kopf plötzlich umschleierten. Lächerlich! Das Mädchen da, das in öffentlichen Vergnügungslocalen unter ihresgleichen den dicken Dampf unfeinen Canasters athmen mußte, that verwöhnt und belästigt, als habe sie die feinsten Damennerven – sie copirte höchstwahrscheinlich das Fräulein Gouvernante. Das ärgerte und reizte ihn – er that nun erst recht ein paar kräftige Züge.

„Du glaubst es nicht?“ wiederholte er darauf. „Aber ihr vornehmes Wesen gefällt Dir trotz alledem, wie ich vermuthe – Du möchtest wohl gar zu gern sein wie sie, nicht?“

„Das wäre ein sonderbarer Wunsch –“

„Ei warum denn? Die schönen Hände pflegen und sich im kühlen Zimmer bedienen lassen ist doch tausendmal wünschenswerther, als in’s Heu zu gehen und bei harter Arbeit von der Sonnenhitze ausgedörrt zu werden?“

„Meinen Sie, das – das Fräulein arbeite nicht?“

„Mein Gott, ja!“ versetzte er in persiflirendem Tone. „Ich bin sogar überzeugt, daß sie mit behandschuhten Händen sehr fleißig Feldblumen pflückt und sie als geschmackvolle Sträußchen für Albumblätter trocknet oder in Wasserfarben malt; sie wird Kanten sticken, schreiben und lesen und ihre Fingerübungen auf dem Clavier mit grausamer Pünktlichkeit zum Genuß aller nervengereizten Menschen herunterspielen. Nun, stimmt es?“

„Zum Theil, ja!“ bestätigte sie, wobei sie den Strohhut noch tiefer in die Stirn zog. Es waren hübsche, schlanke, aber tiefgebräunte Finger, die nach dem Hutrand griffen.

„Siehst Du?“ sagte er mit muthwilligem Lächeln. „Ich glaube auch, daß sie sehr gut zu beurtheilen versteht, ob Du in ihrem Zimmer gründlich abgestäubt und die Ordnung wieder hergestellt hast; sie wird es ebenso wohl zu würdigen wissen, wenn Dir die süße Mehlspeise gerathen und der Braten nicht angebrannt ist.“

Ein leises Auflachen kam unter dem weißen Tuch hervor. „Ich weiß nur, daß sie sehr selten zufrieden mit mir ist,“ sagte das Mädchen gleich darauf mit Bestimmtheit.

„Du wirst es an der gebührenden Unterwürfigkeit fehlen lassen, meine Kleine. Quält Dich das Fräulein Blaustrumpf dafür?“

„Dafür nicht, aber sie macht mir oft die bittersten Vorwürfe, wenn meine Kraft mit dem Willen durchaus nicht Schritt halten will.“

Er ließ die Hand mit der Cigarre sinken, und seine Augen suchten mit dem Ausdruck von Befremdung unter Tuch und Hutschirm zu dringen. „Du sprichst ja merkwürdig gewählt für ein Mädchen Deines Standes,“ sagte er aufhorchend.

Sie fuhr erschreckt zusammen und streckte ihm die Hand wie zur Abwehr entgegen.

„Ach ja, ich vergaß – Du bist ja kein Dorfkind,“ setzte er hinzu und strich sich über die Stirn und sein reiches Haar. „Hast in der Stadt, in gutem Haus gedient, und da ist etwas von den herrschaftlichen Manieren hängen gebliehen. Deine junge Dame hat Dich ja mitgebracht, wie ich höre – warst wohl in einem Hause mit ihr?“

Das Mädchen zögerte einen Augenblick mit der Antwort. „Nun ja, wir waren in einem Hause – im Hause des Generals von Guseck in Frankfurt,“ sagte sie und griff mit weggewandtem Gesicht mechanisch in das Halmengewoge des Kornfeldes, neben welchem sie stand. „Ich war stets mit ihr zusammen; ich leiste ihr alle Kammerjungferdienste, wie sie solch ein verwöhntes ,Fräulein Gouvernante’ braucht, und weil ich unzertrennlich von ihr bin –“

„So bist Du auch mit hierher gegangen, direct in die Armseligkeit hinein,“ fiel er vervollständigend ein. „Du bist ein wunderliches Mädchen, behauptest, Du seiest nicht für Deine junge Dame eingenommen, und gehst doch mit ihr, auf gut Deutsch gesagt, durch ,Dick und Dünn’. Es muß ein Zauber, so etwas von der dämonischen Macht des Rattenfängers von Hameln, in ihr stecken. Ist sie hübsch?“

Sie bückte sich über einen Aehrenbüschel, den sie in der Hand zusammensaßte, und zuckte die Achseln. „Was Einem zu nahe steht, beurtheilt man selten richtig –“

„Sphinx!“ rief er, indem er ihr näher trat. „Du möchtest sie mir interessant machen mit Deinen sibyllenhaften Antworten.“ Er lachte frisch, aber sehr spöttisch auf. „Verlorene Liebesmühe, meine Kleine! Ihr Gouvernanten-Nimbus reizt mich nicht; ich werde ihr aus dem Wege gehen, wo ich kann. Aber ich habe ein anderes Verlangen – ihrem ,unzertrennlichen’ Schatten möchte ich in die Augen sehen.“

Ehe sie sich dessen versah, hatte er mit kühner Hand Hutschirm und Tuch erfaßt und bog ihr beides aus dem Gesicht, aber in demselben Moment auch trat er in einer Art verlegenen Erschreckens von ihr weg – er hatte in ein Antlitz von überraschender Schönheit gesehen.

Sie zog mit einem Laut der Entrüstung die Verhüllung wieder über die Stirn und floh an ihm vorüber. In einiger Entfernung blieb sie indessen noch einmal stehen und sagte mit bebender Stimme über die Schulter nach ihm zurück: „Sie verspotten die Dame auf dem Vorwerk um ihrer geistigen Beschäftigung willen, und mir haben Sie eben durch Ihr Benehmen gezeigt, wie tief die Frau in Ihren Augen erniedrigt wird durch die Arbeit, der ich mich unterziehe – ist das Männerurtheil?“

Damit wandte sie ihm wieder den Rücken und eilte so rasch weiter, daß sie binnen wenigen Augenblicken seinen Augen entschwunden war.

Er biß sich zornig auf die Unterlippe und schleuderte die Cigarre weithin auf den Wiesenrasen. Er begriff jetzt sich und sein Thun selbst nicht mehr, und seine Stiefmutter, die so oft schalt und böse wurde, wenn er sich über alle jungen Damen ihrer Kreise lustig machte und es mit boshaftem Spotte betonte, daß es ihm stets Ueberwindung koste, die „geschnürten Mamsellchen“ auch nur beim Tanzen zu berühren, sie würde wohl große Augen gemacht haben angesichts der beschämenden Situation, in die er sich selbst gebracht hatte. Aber es war vorhin wie ein Rausch über ihn gekommen, und das Berückende hatte in der Stimme gelegen, die aus dem mystischen Dunkel der Umhüllung heraus geklungen hatte, wie ein interessantes Räthsel.

Ebenso rasch wie er herunter gekommen war, sprang er das Balcontreppchen wieder hinauf, warf die Glasthür heftig hinter sich zu und trat grollend an eines der Fenster. Ach was, weshalb alterirte er sich denn eigentlich so in tiefster Seele? Von all seinen Freunden verschmähte es Keiner, ein hübsches Stubenmädchen oder Kammerkätzchen unter das Kinn zu fassen, gelegentlich auch einen Kuß auf eine runde, rosige Wange zu drücken, und wem wäre es je eingefallen, darin etwas Deprimirendes für den Attentäter zu finden, selbst wenn die Betroffenen protestirten und sich sträubten? War es ein Verbrechen, daß er den scheußlichen groben Strohhut und das „Scheuleder“ berührt hatte? – Einzig und allein sein Blick war es gewesen, um deswillen er zurechtgewiesen worden war, wie ein Profaner, der unerlaubter Weise in das Allerheiligste dringt. Das Mädchen arbeitete auf dem Felde – mußte sie sich nicht auch dreiste Blicke gefallen lassen von jedem Handwerksburschen, der zu ihr trat, um nach dem rechten Weg zu fragen? … Aber freilich, sie war ja auch „Kammerjungfer“ auf dem Vorwerke; „die Cultur hatte sie beleckt“; sie besaß unleugbar scharfen Verstand und von Natur aus Schlagfertigkeit des Geistes; sie gerirte sich deshalb nahezu als Familienangehörige des Amtmanns, obgleich sie das Grünfutter auf dem Kopfe heimschleppen und mit Hacke und Rechen auf den Aeckern und Wiesen hantiren mußte.

So sehr er sich auch bemühte, die Sache von der humoristischen Seite zu nehmen und schließlich darüber zu lachen, er wurde doch nicht Herr über das widerwärtige Gefühl, eine Lection erhalten zu haben, die ihn zeitlebens ärgern mußte. Für heute wenigstens war ihm die Laune total verdorben.

5.

Herr Peter Griebel unterbrach dieses unerquickliche Nachsinnen. Er kam vom Felde heim und erzählte dem Gutsherrn unter vergnüglichem Händereiben, daß die Absteckpfähle der Eisenbahn-Ingenieure drüben im Wiesengrunde eingerammt würden – der Ackerboden bleibe unberührt seitwärts liegen. Dagegen habe der Amtmann Franz einen „Mordspectakel“ erhoben – Peter Griebel hatte in ziemlicher Entfernung seinen Protest voll Gift und Galle, sein Poltern und Raisonniren mit angehört. Der Schienenweg sollte aber auch direct durch den Vorwerkshof und so nahe an der südlichen Ecke des Wohnhauses hinlaufen, daß der alte, morsche Bau in wenigen Jahren nothwendig als Schutthaufen in sich zusammenstürzen mußte.

Bei dieser Meldung erinnerte sich Herr Markus des Briefes, den er in die Tasche gesteckt und über dem Recontre dem Mädchen vergessen hatte. Er erbrach ihn und überflog halb belustigt, halb geärgert den Inhalt – die Leute auf dem Vorwerke waren doch sammt und sonders, vom Herrn an bis auf die Magd herab, unverbesserlich vom Hochmuthsteufel besessen, eine merkwürdige Gesellschaft, ein lächerliches Gemisch von Schwindelei, Anmaßung und Prüderie! –

Der Amtmann ignorirte vollständig die Thatsache, daß ihm durch den Rechtsanwalt des Erben der Pachthof seit Jahresfrist gekündigt worden war. Er protestirte in kategorischer Weise gegen das laxe Verhalten des Gutsherrn, der Eisenbahnfrage gegenüber, durch welches er, sein Pächter, in seiner Existenz geschädigt würde. Nie und nimmer würde er darauf eingehen, den Oekonomiehof hinter das Haus zu verlegen, so wenig wie er sich gefallen lasse, daß ihm seine Wohnung eines schönen Tages über dem Kopfe zusammengerumpelt werde. – Schließlich berührte er sehr von oben herab mit wenigen flüchtigen Worten den Umstand, daß er mit dem „Bischen Pachtgeld“ allerdings noch restire, aber er erwarte täglich eine bedeutende Geldsendung, die sein Sohn, ein grundreicher Mann in Californien, unbegreiflicher Weise verzögere – sofort nach Eintreffen des Geldes werde „die Bagatelle“ berichtigt werden.

„Ja, ja, so macht’s der Amtmann!“ lachte Peter Griebel gutmüthig, nachdem ihm Herr Markus den Briefinhalt mitgetheilt hätte. Er ist eben ein närrischer Kauz –“

„Ein närrischer Kauz? – was Du doch immer für gemüthliche Ausdrücke hast, Peter – ein Erz-Aufschneider ist er,“ unterbrach ihn seine Frau. Sie hatte Petersilie vom Beet geschnitten, war auf die oberste Stufe des Pavillontreppchens von der Gartenseite her gestiegen und streckte die Faust mit dem dicken Petersilienbündel warnend durch die offene Thür. „Lassen Sie sich um Gotteswillen mit dem nicht ein, Herr Markus! Sie werden über’s Ohr gehauen, daß Ihnen Hören und Sehen vergeht. Der denkt auch, wie der Vogel Strauß, wenn er die Augen zumacht, da sieht’s kein Mensch, in was für ein Hungerloch er sich durch seine eigene Schuld gesetzt hat. … Mit dem Sohne in Californien will er Ihnen auch nur Sand in die Augen streuen, wie allen den dummen Leuten, die ihm geborgt haben. … Mag schon ein schönes Früchtchen sein, der Herr Sohn von so ’nem alten Schwindler!“

„Mach’s doch nicht gar zu schlimm, Jettchen! Bist doch sonst nicht so!“ sagte ihr Mann. „Von der Frau Oberforstmeisterin weiß ich, daß der junge Franz ein guter Mensch gewesen ist – nur der Zorn und Jammer über die miserable Wirtschaft auf der Domäne hat ihn in die weite Welt getrieben. Er soll auch einmal ein großes Stück Geld heimgeschickt haben. Freilich, nachher ist er verschollen, und seine alte Mutter soll sich deshalb fast zu Tode grämen.“

„Na, da hören Sie’s ja, Herr Markus!“ bemerkte Frau Griebel anzüglich, mit dem Daumen nach dem Sprechenden zurückweisend. – „Und da verlangt der Mann auch noch, man soll solch einen unnützen Burschen, der nicht einmal Papier und Tinte für seine Mutter hat, womöglich für eine Respektsperson ansehen. – Da kannst Du warten, Peter.“ – Damit kletterte sie brummend und schwerfällig die Treppe hinab, um ihre Petersilie in die Küche zu tragen.

Herr Markus durchmaß unausgesetzt das Pavillonstübchen, nachdem auch Peter Griebel in die nahe Laube gegangen war, wo ihm sein Töchterchen Butterbrot und Servelatwurst und ein Gläschen goldhellen Nordhäuser zum Frühstück auf den Steintisch gestellt hatte.

Mit dem Briefe des Amtmanns war die Erbschaftsangelegenheil, die der Zufall in die Hand des neuen Gutsherrn gespielt hatte, in eine neue Phase getreten. Heute Morgen noch hatte er gemeint, durch eine Besprechung mit seinem Rechtsanwalt, kurz vor seiner Abreise, und ein paar Briefe von Berlin aus werde sich der letzte Wünsch seiner Tante leicht in Ausführung bringen lassen, ohne daß der ihm so antipathische persönliche Verkehr mit den Betheiligten nothwendig geworden wäre. Nun erschien aber eine ganz neue Person auf der Bildfläche – es war ja auch noch ein Sohn da, von welchem die Verstorbene eine sehr gute Meinung gehabt haben sollte, wie Peter Griebel wiederholt versicherte, und dennoch erwähnte ihn die letzte Verfügung mit keiner Silbe. War er vielleicht auch so nachgiebig und weichherzig wie seine Mutter und der gewaltthätigen, rücksichtslosen Art und Weise des Amtmanns ebenso wenig gewachsen, so daß die Testatorin gefürchtet, auch in seiner Hand sei der letzte Nothanker nicht gesichert? –

Demnach mußte die alte Dame eine große Achtung vor der Charakterstärke des Mädchens gehabt haben, unter dessen Hut sie die Zukunft der unglücklichen Jugendfreundin zu stellen gewünscht hatte. Herr Markus begriff diese Verblendung nicht. – Die Verstorbene war der unermüdliche Fleiß, die Thatkraft selbst gewesen; auf dem Felde und im Milchkeller, in der Küche und im Laboratorium, am Krankenbette der Armen, wie am Schreib- und Arbeitstische hatte sie sich stets zur rechten Zeit finden lassen, und nie war es ihr in den Sinn gekommen, sich auch nur ein Band ihres Anzugs oder das Haar von fremder Hand ordnen zu lassen. … Wie in aller Welt nun kam diese praktische, thätige Frau dazu, ein Mädchen mit einer solchen Aufgabe zu betrauen, von welchem er eben noch gehört hatte, daß es sich selbst in seiner jetzigen derangirten Umgebung fortgesetzt auf die verwöhnte Weltdame spiele, nicht Hand und Fuß rege, um der verkommenen Wirthschaft aufzuhelfen, und auch noch Kammerjungferdienste von der Dienerin beanspruche, die sich von früh bis spät im Hauswesen, wie auf dem Felde plagen mußte?

Er verwünschte den „dummen Einfall“, in Folge dessen er den alten Strickbeutel durchstöbert hatte – wäre er doch so weise gewesen, das urvorweltliche Möbel mit seinem Inhalte unbesehen in der Kommodenecke vermodern zu lassen. Nun war er auch noch so bodenlos albern, sich das Geschick der alten Frau aus dem Vorwerk zu Herzen zu nehmen und die gewissenhafteste Erwägung für seine Pflicht zu halten. … So viel stand fest: die Frau Oberforstmeisterin hatte sich bei aller geistigen Klarheit und Schärfe in Charakter und Wesen ihrer erwählten Erbin gründlich getäuscht – möglicher Weise war ihr eine Komödie vorgespielt worden. War es nicht geboten, ihren Mißgriff zu corrigiren und doch lieber dem jungen Franz das kleine Erbe in die Hand zu geben? Wer bürgte denn dafür, daß sich für die „Weltdame“ nicht sofort ein Freier fand, wenn die Erbschaft ruchbar wurde? Dann zögerte Fräulein Gouvernante sicher keinen Augenblick mitzugehen; Fremde säckelten den Nachlaß ein und die arme Kranke auf dem Vorwerk hatte das Nachsehen.

Voll Aerger fuhr er sich mit beiden Händen durch das Haar; nun blieb ihm doch nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen und die Verhältnisse bei „Amtmanns“ sammt dem „Gouvernanten-Fräulein“ mit eigenen Augen zu prüfen.

Er blieb tagsüber verstimmt und griff gegen Abend nach seinem Hut, um den Wald zu durchstreifen. Das dunkle Laubdach über dem Kopf und verworrenes Rankengestrüpp zu Füßen, arbeitete er sich am liebsten durch das wilde Dickicht, und wenn der schwach modrige, aber kräftige Walderdengeruch aus den frischen Fußstapfen zu ihm emporhauchte und das aufgestörte, unabsehbare Blättergewoge unter seinen pfadbahnenden Armen wie empört aufrauschte, da mußte er ironisch lächelnd der Anlagen gedenken, die sein Vater dem kümmerlichsten Fleckchen der märkischen Sandbüchse abgerungen. Wie erlogen breitete sich dort das Rasengrün mit seinen Teppichbeeten vor der Villa hin, und die glatten Wege der wie heuchlerische Coulissen aufgestellten Bosquets endeten mit all ihren künstlerischen Windungen schließlich doch zur schreckenhaften Enttäuschung in der Sandöde.

Ein nur von den Forstleuten und dem Holztransport frequentirter Fahrweg trennte das Gebiet des Hirschwinkels von dem sogenannten Grafenholz, dem fürstlichen Waldrevier, und nahezu mit dieser Verkehrslinie schloß die Thalsohle ab; der herrliche Buchenbestand fing an, steil bergauf zu klettern; nur noch ein kleines Stück Wiesengrund schmiegte sich zwischen ihn und den Weg, und auf diesem Rasenfleck stand das Haus des fürstlichen Forstwärters. Es war ein hübscher neuer Ziegelbau mit großen, blanken Fenstern und einem weißen Holzstaket zur Seite, das ein kaum zwei Beete breites Stückchen Gartenland umschloß.

Schon zweimal hatte Herr Markus auf seinen Streifereien hier Halt gemacht, und auch heute blieb er stehen, als die rothen Wände plötzlich aus dem Busch hervortraten. Der Waldhüter, der das Haus bewohnte, mußte ein wahres Klausnerleben führen; er war jedenfalls ein unverheiratheter Mann, der mit dem Hausschlüssel in der Tasche seinem Berufe nachging. Nie stand die Thür gastlich offen; nicht die Spur eines Rauchwölkchens kräuselte über dem Schornstein; an den Fenstern, die wohl ein paar Blumentöpfe auf den inneren Simsen, aber nirgends den Schmuck hübsch gefalteter Gardinen aufwiesen, zeigte sich kein Menschengesicht, so wenig wie man irgend ein Hantiren innerhalb der vier Wände hörte; nur droben am Giebelfenster hingen drei, vier hölzerne Vogelbauer, in denen Finken und Kreuzschnäbel lärmten, und an dem steilen Abhange hinter dem Hause kletterten zwei naschende Ziegen herum, die wohl in den Stall des Forstwärters gehörten.

Der neue Gutsherr im Hirschwinkel hatte oft genug die Lust verspürt, dem nachbarlichen Waldhüterhaus näher in die Fenster zu gucken, lediglich. um zu erfahren, an welcher Art Lectüre sich der ehemalige Taglöhnerjunge erquicke in seiner kärglichen Mußezeit, die ihm der strenge Dienst und seine Aushülfe auf dem Vorwerk übrig ließen. Wenn es Ritter- und Räubergeschichten waren, die dort zwischen den Blumentöpfen auf der niederen Brüstung über einander lagen, so steckten sie wenigstens nicht in der Livrée der Leihbibliotheken – er sah das über die Fahrstraße hinweg, die ihn um mindestens zehn Schritte von dem Hause trennte. – Vielleicht war er ein Mann von Intelligenz und Weltgewandtheit, dieser Waldhüter; er verkehrte ja viel auf dem Vorwerk, wo sich selbst die Magd, die mit Milcheimer und Heurechen hantirte, einer salonmäßigen Ausdrucksweise befleißigte.

Mit einem höhnischen Lächeln auf den Lippen bog er das letzte Gestrüpp aus einander, um auf den Fahrweg heraus zu treten, als ihn das Gebühren der einen Ziege stutzig machte. Es war ein junges schmächtiges Thier, das wie toll den Abhang herunter und über das schmale Wiesenland hin rannte; ihre Gefährtin trabte gemächlich hinterdrein, aber auch direct nach der Richtung, in welcher jetzt leichte Menschentritte hörbar wurden. … Herr Markus stampfte den Boden – immer wieder dieses Mädchen, das bereits anfing, ihm den Waldaufenthalt gründlich zu vergällen. War denn Amtmanns Magd das einzige weibliche Wesen, das in Wald und Feld lebte und athmete?

Da kam sie richtig wieder daher, das „Scheuleder“ auf dem Kopfe und einen großen Marktkorb am Arm. Die Ziegen liefen neben ihr und fraßen von dem Stück Brod in ihrer Hand, das sie für die Naschmäuler aus der Tasche gezogen hatte.

Herr Markus trat tiefer in das Gebüsch zurück, hinter die nächste dicke Buche – er wollte sich nicht noch einmal ärgern, wie heute in der Frühe. Das Mädchen war ihm förmlich verhaßt, und ebenso beflissen, wie er heute Morgen den Tabaksrauch unter das weiße Tuch geblasen, warf er jetzt die glimmende Cigarre auf den Boden und zertrat sie, auf daß ja nicht das leichteste hinüberziehende Duftwölkchen seine Anwesenheit verrathe.

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