Kitabı oku: «Geld und Leben», sayfa 5
5.Gedanken zu Theorie und Praxis
Wirtschaftspolitik – und ganz speziell Geld- und Währungspolitik – ist wesentlich bestimmt von den theoretischen Vorstellungen, die dem Handeln der Akteure (und leider seltener: Akteurinnen) zugrunde liegen. Wobei diesen Akteuren vielfach nicht bewusst ist, auf welchen, ihnen selbst „verborgenen“ Vorstellungen ihr konkretes Handeln beruht. John Maynard Keynes, ein bis heute unerreichtes Beispiel einer produktiven Verbindung von Theorie und Praxis, hat dies zu Ende seiner bahnbrechenden „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ plastisch formuliert: „Die Gedanken der Ökonomen und Staatsphilosophen, sind sowohl wenn sie im Recht, als wenn sie im Unrecht sind, einflussreicher, als gemeinhin angenommen wird. Die Welt wird in der Tat durch nicht viel anderes beherrscht. Praktiker, die sich ganz frei von intellektuellen Einflüssen glauben, sind gewöhnlich die Sklaven irgendeines verblichenen Ökonomen. Wahnsinnige in hoher Stellung, die Stimmen in der Luft hören, zapfen ihren wilden Irrsinn aus dem, was irgendein akademischer Schreiber ein paar Jahre vorher verfasste. Ich bin überzeugt, dass die Macht erworbener Rechte im Vergleich zum allmählichen Durchringen von Ideen stark übertrieben wird. Diese wirken zwar nicht immer sofort, sondern nach einem gewissen Zeitraum; denn im Bereich der Wirtschaftslehre und der Staatsphilosophie gibt es nicht viele, die nach ihrem fünfundzwanzigsten oder dreißigsten Jahr durch neue Theorien beeinflusst werden, sodass die Ideen, die Staatsbeamte und Politiker und selbst Agitatoren auf die laufenden Ereignisse anwenden, wahrscheinlich nicht die neuesten sind. Aber früher oder später sind es Ideen, und nicht erworbene Rechte, von denen die Gefahr kommt, sei es zum Guten oder zum Bösen.“18
Auch heute gilt, dass wirtschaftspolitisches Handeln oft auf – den Handelnden wohl unbewussten – ökonomischen Theorien beruht, die manchmal vor Hunderten Jahren entwickelt wurden, wie etwa das Verhalten eines amerikanischen Präsidenten zeigt, dessen Betonung des wirtschaftlichen Protektionismus den Ansätzen des im 17. Jahrhundert entwickelten „Merkantilismus“ entspricht. Der Bereich der Geld- und Wirtschaftspolitik ist wohl am engsten und aktuellsten mit der Entwicklung wirtschaftswissenschaftlicher Theorien verbunden. Dies zeigt sich auch daran, dass sämtliche Notenbanken über umfangreiche volkswirtschaftliche Abteilungen verfügen und vielfach auch entsprechende Publikationen herausgeben.
Generell sind die Wirtschaftswissenschaften heute ein inhaltlich und methodisch breit ausgebautes und spezialisiertes Feld der Forschung, Lehre und Anwendung, mit entsprechend großen Differenzierungen. Diese Differenzierungen beruhen im Wesentlichen auf Unterschieden in theoretischen und gesellschaftspolitischen Ausgangslagen. Beispiele sind etwa die Unterschiede zwischen makroökonomisch, das heißt gesamtwirtschaftlich orientierten Vertretern einer „keynesianischen Position“ im Gegensatz zu Vertretern einer stärker mikroökonomisch, das heißt auf Einzelverhalten basierten „Angebots-orientierten“ Ökonomie. Es gibt aber gemeinsame „Denkmodelle“, die in vielen Aspekten gar nicht „spezifisch ökonomisch“ sind, sondern etwa dem „gesunden Hausverstand“, dem „Common Sense“ entsprechen. Gleichzeitig gibt es Beispiele, wo etwa die Sicht der „schwäbischen Hausfrau“ wichtige gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge außer Acht lässt. In vielen Fällen können sich jedenfalls massive Unterschiede im „typischen Herangehen“ von Ökonomen und Nicht-Ökonomen ergeben. Ich habe das in meiner Lebenspraxis, speziell als Wirtschaftspolitiker, vielfach bemerkt und mich bemüht, als Lehrender meine Studentinnen und Studenten auf diese Herausforderungen vorzubereiten. Im Folgenden einige wichtige Beispiele eines „spezifisch ökonomischen Denkens“ und entsprechender wirtschaftspolitischer Perspektiven.
Denken in Nutzen und Kosten
Oskar Wilde spottete, „ein Ökonom ist jemand, der von allem den Preis, aber von nichts den Wert kennt“. Nun gibt es eine – generell in der „Österreichischen Schule der Nationalökonomie“ zwar lange, wenn auch nicht sehr fruchtbare – Diskussion über die Zusammenhänge von Werten und Preisen. In der Praxis ist es freilich richtig, dass bei Nutzen/ Kosten-Überlegungen überwiegend auf Preise (zum Teil auch auf konstruierte „Schattenpreise“) abgestellt wird. Zentral ist aber jedenfalls für Ökonomen, bei Vorschlägen stets beide Seiten – Nutzen und (!) Kosten – zu betrachten. Meine politischen Erfahrungen zeigen dagegen, dass die gesellschaftspolitische Dynamik dann am größten ist, wenn sie sich in der öffentlichen Diskussion nur auf die Nutzenseite einer Maßnahme bezieht und die Kostenseite außer Acht lässt oder bagatellisiert. Dies führt dann zur Positionierung „es gibt keine Alternative“ beziehungsweise „das muss wohl noch drin sein“. Nun ist es speziell über lange Zeiträume hinweg zweifellos oft schwierig, umfassend „Nutzen“ beziehungsweise „Kosten“ zu quantifizieren – aber es hilft zweifellos für eine rationale Diskussion, sich um eine umfassende Analyse der entsprechenden Zusammenhänge zu bemühen. Dies reicht von „großen Fragen“, wie etwa der Umweltpolitik, bis zu „kleinen Fragen“, wie etwa der Schaffung einer neuen Stelle in der öffentlichen Verwaltung.
Für Notenbanken stellen sich „Kosten/Nutzen-Überlegungen“ sowohl bei den „großen Fragen“ der Geld- und Währungspolitik, wie auch bei den vielfältigen Aspekten der Regulierung und Bankenaufsicht. Es gab und gibt in der Tat eine intensive Diskussion etwa von Nutzen und Kosten einer Politik niedriger Zinssätze. Dabei gibt es Übereinstimmung, dass eine solche Politik zur unmittelbaren Krisenbekämpfung notwendig und sinnvoll war und ist. Nicht so eindeutig sind freilich die Nutzen/Kosten-Bewertungen bei langfristiger Fortführung einer solchen Politik. Dabei gibt es innerhalb einer Institution meist eine – überwiegend „Modell-bestimmte“ – „herrschende Lehre“, sodass die entsprechenden Diskussionen weniger innerhalb einer Institution, als eher zwischen einzelnen Institutionen stattfinden. Konkret in den vergangenen Jahren etwa zwischen der EZB, als Vertreterin einer expansiven Geldpolitik, und der BIZ, der „Bank der Zentralbanken“ in Basel, deren Ökonomen vor zunehmenden „Nebenwirkungen“, das heißt volkswirtschaftlichen Kosten einer expansiven Geldpolitik warnen. Hier ist es für Entscheidungsträger, konkret Gouverneurinnen und Gouverneure, m. E. wichtig, sich selbständig zu informieren und eine eigene Meinung zu bilden – was freilich entsprechende wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse erfordert. Problematisch erscheint es mir aber, wenn solche Überlegungen Gegenstand von Gerichtsverfahren werden, wie dies beim deutschen Bundesverfassungsgericht der Fall war, worauf in Kapitel 15 noch eingegangen wird.
Ein weiteres – aus meiner Sicht aber oft unterschätztes – Feld von Nutzen/Kosten Fragen ergibt sich im massiv ausgeweiteten Bereich der Regulierung des Banken- und Finanzbereiches. Es ist heute unbestritten, dass eine zu weitgehende „Deregulierung“ des Finanzsektors eine wichtige (wenn auch nicht die alleinige) Ursache der 2007/2008 ausgebrochenen Finanzkrise war. Es war daher auch richtig und erwartbar, dass es dann als eine der „Lehren aus der Krise“ zu einer massiven Welle der „Re-Regulierung“ kam. Weltweit wurde diese neue Regulierung, ausgehend von den „G20“ – der Gruppe der führenden Industriestaaten –, getragen, wo als wichtigster Umsetzungsbereich der „Basler Ausschuss“ wirkte. In jedem der großen Wirtschaftsräume kam es zu weitgehenden neuen Banken-Regulierungen, in den USA etwa im „Dodd-Frank Act“, in der EU in der Umsetzung des „Basel III-Rahmenwerkes in Form der Capital Requirements Regulation“ (CRR) und des „Capital Requirements Directive“ (CRD).
In den Grundzügen sind diese Regulierungen zweifellos wichtig und richtig. Es gibt meines Erachtens allerdings die Gefahr, dass es durch immer weitere und detailliertere Regelungen im Zeitablauf zu einem „sinkenden Grenznutzen der Regulierung“ kommt und damit die direkten und indirekten Kosten der Regulierung von größerer Bedeutung werden. In der regulierungspolitischen Praxis wird dem meist insofern entsprochen, als für Regulierungsvorschläge „impact assessments“, das heißt gesamtwirtschaftliche Nutzen/Kostenschätzungen erstellt werden. In der Praxis haben nach meiner Beobachtung diese impact assessments aber fast nie dazu geführt, dass es zu großen Änderungen bei den Vorschlägen gekommen ist, die vorher von Komitees der Aufseher erarbeitet worden waren.
Und in der Tat sind diese Expertenkomitees ja in einer schwierigen Lage: Es geht darum, bestehende oder erwartbare Risiken im Bankensystem zu reduzieren, wobei man massivem Gegenwind vonseiten mächtiger Banken-Lobbys ausgesetzt ist, die vor allem dann erheblichen Einfluss haben, wenn – wie es in der Regel der Fall ist – die entsprechenden Vorschläge einer parlamentarischen Beschlussfassung bedürfen. Was nach meiner Erfahrung in diesen „großen Kämpfen“ oft untergeht, sind die praktischen Kostenwirkungen der Umsetzung einzelner Maßnahmen. Sowohl Regulierungsbehörden, Parlamentarier wie auch Lobbyisten, haben in der Regel keine praktische Bankenerfahrung und damit wenig Einblick in die Kosten der praktischen Umsetzung.
Meine eigene praktische Bankenerfahrung als Krisenmanager einer Bank war nur relativ kurz – sie hat mich aber jedenfalls gelehrt, dass neue Regulierungen oder die Änderung bestehender Regulierungen oft mit erheblichen technischen Kosten für die betroffenen Kreditinstitute und ihre Kunden verbunden sein können, sodass hier eine Nutzen/Kosten-Analyse sehr wohl legitim ist. Ob man etwa für einen Immobilienkredit jedes Jahr oder alle zwei Jahre ein externes Schätzgutachten verlangt oder wie oft Computerprogramme umzustellen sind, sind in Regulierungsausschüssen oft wenig behandelte Details, bei denen aber jeweils zu fragen wäre, ob die Nutzen tatsächlich die Kosten übersteigen. Ich habe hier als Gouverneur und auch als Stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates der österreichischen Finanzmarkt-Aufsicht oft entsprechende Fragen gestellt – in der Regel ging es aber um bereits international akkordierte Regelungen aus den Tiefen eines der zahlreichen Regulierungsgremien, die de facto nicht mehr zu ändern waren. Bei so komplexen Gebilden und so vielen Akteuren, wie wir sie etwa im Bereich der Bankenaufsicht finden, liegt die entscheidende Gestaltungsmacht oft bei der kleinen Gruppe, die den ersten Entwurf verfasst, wobei diese „technische Gruppe“ oft aus jungen, klugen, aber eben auch unerfahrenen internationalen Bürokraten bestehen kann. Ich habe mich vielfach darum bemüht, dass auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter meiner Notenbank Zugang zu solchen Arbeitsgruppen finden, was aber für ein kleines Land oft nicht leicht ist.
Externe Effekte
Externe Effekte liegen vor, wenn die ökonomische Lage eines Wirtschaftssubjektes durch Aktionen eines anderen Wirtschaftssubjektes positiv oder negativ beeinflusst wird, ohne dass Gegenleistungen (Bezahlungen, Entschädigungen) erfolgen.19 Entsprechende externe Effekte treten in einer Unzahl von Konstellationen im Wirtschaftsleben auf und bedeuten jeweils, dass Marktpreise, die diese externen Effekte nicht berücksichtigen, als gesamtwirtschaftlich ineffizient und verzerrend zu sehen sind. Auch für die Geld- und Bankenpolitik stellen externe Effekte, analog zu Kosten-Nutzen-Überlegungen, eine zentrale Herausforderung dar. Dies gilt sowohl für die Makro- wie für die Mikroebene.
Auf der Makroebene kann etwa die im vorigen Abschnitt erwähnte Diskussion um „Nebenwirkungen“ der Geldpolitik analytisch als Erfassung der externen Effekte einer ausschließlich an Preisstabilität orientierten Geldpolitik gesehen werden. Führt ein langfristig niedriges Zinsniveau etwa neben dem angestrebten Ziel einer Erhöhung der Inflationsrate auf einen angestrebten Preisstabilitätswert zu externen Effekten im Bereich der Finanzmarktstabilität, die dann wieder in entsprechende Kosten-Nutzen-Überlegungen eingehen müssten? Ein zentrales Thema der geldpolitischen Diskussion ist etwa, wie weit ein niedriges Zinsniveau nicht nur den erwünschten Effekt hat, zu höheren Investitions- und Konsumausgaben zu führen, sondern infolge der Suche nach höheren Erträgen („search for yield“) auch zu einer gesamtwirtschaftlich problematischen Erhöhung der Risikobereitschaft führt. Dies kann auch etwa zur Bildung von „Blasen“ (bubbles) auf Aktien- oder Immobilienmärkten führen.
Die Geldpolitik steht damit vor zwei Fragen: Gibt es empirisch die Gefahr solcher Blasenbildungen und falls ja, gibt es Instrumente, solche externe Effekte aufzuheben (zu „internalisieren“)? Beides waren und sind zentrale Diskussionspunkte in geldpolitischen Entscheidungsgremien. Empirisch ist es nicht einfach zu unterscheiden, ob bestimmte Marktbewegungen als Elemente eines „normalen Aufschwungs“ oder als „Blasenbildung“ zu interpretieren sind, wobei Notenbanken ja vorausblickend agieren müssen, das heißt, es geht um die Frage des rechtzeitigen Erfassens potenziell gefährlicher Entwicklungen.
Extreme Marktliberale wie etwa der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan vertraten die Ansicht, eine Notenbank könne niemals klüger sein als die Märkte, es sei ihr daher nicht möglich, „Blasen-Bildungen“ rechtzeitig zu erkennen oder zu beeinflussen. Sie sollte sich deshalb darauf beschränken, nach Platzen der Blase „die Scherben zusammenzukehren“, das heißt die gesamtwirtschaftlichen Schäden abzufangen. Das war etwa genau das, was die amerikanische Notenbank nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2000 in Form einer aggressiv expansiven Zinspolitik machte – was aber in der großen Finanzkrise 2007/2008 nicht mehr ausreichend funktionierte. Nicht zuletzt, weil hier von den ursprünglichen Problemen in den USA rasch massive negative Effekte auf die Weltwirtschaft ausgingen.
Ein alternativer Ansatz besteht darin, Geldpolitik in ihrer vollen Dynamik wirken zu lassen, in Bereichen, wo negative Nebeneffekte (negative externe Effekte) wirtschaftlich oder gesellschaftspolitisch besonders problematisch sein können, diese Nebeneffekte aber durch zusätzliche regulatorische Instrumente zu neutralisieren oder zumindest abzuschwächen. Diese Strategie der „makroprudenziellen Maßnahmen“ wird heute von den meisten Notenbanken und Regulatoren verfolgt – von der Öffentlichkeit und zum Teil auch von Gerichten aber nicht immer voll verstanden.
Beispiele makroprudenzieller Maßnahmen in Bezug auf Immobilienmärkte sind etwa Obergrenzen der Kreditfinanzierung (loan-to-value ratios), Obergrenzen der Schuldendienstbelastung eines Haushaltes (debt service to-income-ratio) oder, ansetzend auf der Bankenseite, höhere Eigenkapital-Unterlegspflichten für Immobilien-Kreditvergaben. Für einen europaweiten Überblick wurde der „European Systemic Risk Board“ (ESRB) geschaffen, der auch allfällige Risikowarnungen ausgeben kann. Es ist wohl noch zu früh, ein endgültiges Urteil über die Wirksamkeit der makroprudenziellen Instrumente abzugeben. Gerade wo es etwa um private Wohnraumbeschaffung geht, ist mit dem Einsatz restriktiver makroprudenzieller Instrumente vielfach, wie ich auch aus eigener Erfahrung weiß, eine politische Diskussion verbunden, da restriktive Maßnahmen es speziell wirtschaftlich schwachen Familien erschweren können, zu erschwinglichem Wohnraum zu gelangen. Allerdings hat gerade die „sub-prime Krise“ in den USA, das heißt die Vergabe von Wohnbaukrediten an Menschen mit sehr niedrigem Einkommen, gezeigt, dass es extrem problematisch ist, Kreditvergaben als Ersatz für Sozialpolitik einzusetzen (was in den USA deutlich ideologischen Hintergrund hatte).
Eine zentrale Bedeutung hat das Phänomen „externer Effekte“ auf der Ebene der Bankenentwicklung bekommen. Eine der wichtigsten Lehren der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre und auch des Zusammenbruches des Bankhauses Lehman Brothers im Jahr 2008 ist die Erkenntnis, dass vom Zusammenbruch einer einzelnen Bank massive negative Effekte auf das ganze Bankensystem und letztlich auf die Gesamtwirtschaft ausgehen können. Die negativen externen Effekte können durch finanzielle Verbindungen („Mitreißen in den Konkurs“) oder durch psychologische Effekte („Verlust des Vertrauens in andere Banken“) verursacht werden. Im Fall Lehman war es vor allem der gegenseitige Vertrauensverlust der Banken untereinander, der zeitweise zu einem weitgehenden Zusammenbruch der internationalen Geldmärkte und damit zu einem „Austrocknen“ der Bankenliquidität führte. Um Entwicklungen wie in den 1930er-Jahren zu vermeiden, haben die Notenbanken in weltweiter Koordinierung in dieser extrem gefährlichen Situation die Geldmärkte durch unbegrenzte Liquiditätszufuhr funktionsfähig gehalten – ein (leider seltenes) Beispiel, dass Entscheidungsträger in der Lage sind, aus der Geschichte zu lernen.
Die nächsten Schritte in der Stabilisierung des Finanzsystems waren zunächst die Stabilisierung von Einzelbanken und dann Maßnahmen, um Bankensysteme insgesamt dauerhaft krisenfester zu machen. Die Stabilisierung von Einzelbanken bedeutete, dass wichtige, „systemrelevante“ Banken auch bei Schieflage nicht in Konkurs geschickt wurden, um negative externe Effekte („Ansteckungseffekte“) zu vermeiden. Als etwa in den USA, um nicht „Geld der Steuerzahler“ einzusetzen, Lehman in Konkurs geschickt wurde, zwangen die horrenden gesamtwirtschaftlichen Kosten dieser kurzsichtigen Maßnahme dann die politischen Entscheidungsträger, die durch die Folgen der Lehman-Pleite gefährdeten Institute (zum Beispiel AIG, den damals weltgrößten Versicherungskonzern) mit ungleich größeren Kosten zu retten. In praktisch allen Staaten Europas kam es in der Folge zu massiven Rettungsaktionen für Banken, sei es durch direkte Verstaatlichung, staatliche Haftungen und/oder staatlich gestützte Sonderinstitute („bad banks“). Dabei zeigte sich rasch, dass in einer Phase der allgemeinen, extremen Unsicherheit auch die Pleite einer relativ kleinen Bank massive negative externe Effekte auslösen kann, sodass in den schwierigen Jahren der Krise praktisch jede Bank in Europa als systemrelevant einzustufen war.
Die EZB hat diese Gefahr kumulierender negativer externer Effekte klar gesehen. Ihr damaliger Präsident, Jean-Claude Trichet, hat sich – meines Erachtens zu Recht – massiv dafür eingesetzt, in der damaligen kritischen Situation Banken auch durch Einsatz von Steuergeld zu retten. In allen wirtschaftspolitischen Entscheidungsgremien Europas hat er leidenschaftlich – und letztlich mit Erfolg – gegen die in der Politik 2010 entstandene Tendenz gekämpft, „Problembanken“ in Konkurs gehen zu lassen.20 Diese klare Linie hat – neben einer zunächst stark expansiven Geld- und Fiskalpolitik – zweifellos ein Abgleiten in eine europäische Wirtschaftskrise, die die Dramatik der 1930er-Jahre hätte erreichen können, verhindert.
Diese Strategie war freilich auch mit massiven fiskalischen Kosten verbunden. Obwohl es ja hier um eine Stabilisierung der Gesamtwirtschaft ging, wurden entsprechende Maßnahmen in der Öffentlichkeit vielfach nur als „Rettung der Banken“ gesehen und damit zu einer schweren politischen Belastung. Wie bei vielen wirtschaftspolitischen Maßnahmen waren die Kosten der Rettungsmaßnahme klar sichtbar, die Nutzen der Vermeidung einer Katastrophe waren aber für Politik und Öffentlichkeit nicht vergleichsweise exakt bezifferbar und daher schwieriger zu vermitteln.
Nach der Phase der unmittelbaren Krisenbewältigung verlagerte sich das Schwergewicht der bankenpolitischen Diskussion auf eine bessere Krisenfestigkeit der Einzelbanken und des Bankensystems insgesamt. Hier sind seither auf europäischer und weltweiter Ebene große Fortschritte erzielt worden, sowohl in Bezug auf Stärkung von Eigenkapital, wie auf Sicherung von Liquidität. Für den Euro-Raum ist der große Schritt der Übergang zur Bankenunion, die man als Strategie der Internationalisierung zur Vermeidung negativer externer Effekte interpretieren kann.
Um für die Zukunft einen Einsatz von Steuermitteln zur Bankenrettung („bail-out“) zu vermeiden, wurde ein komplexes System der Einbeziehung der Eigentümer und bestimmter Gläubigergruppen („bail-in“) entwickelt. Auch dies ist zu interpretieren als das Bemühen, negative externe Effekte zwischen Bankensektor und Steuerzahlern zu vermeiden. Die Heranziehung der Gläubiger hat aber zusätzlich auch den Lenkungseffekt der höheren Sichtbarkeit eingegangener Risiken (anstelle der bisher bestehenden, implizierten und kostenlosen Staatsgarantie). Die Grundüberlegungen für diese „Abwicklungsverfahren“ als zweite Säule der Bankenunion sind zweifellos berechtigt. Ob dieses komplizierte Verfahren auch bei größeren Bankenstrukturen unter dem enormen Zeitdruck einer Krisensituation die gewünschten Ergebnisse bringen wird, wird die Praxis zeigen.
Meines Erachtens wird bei sehr großen und komplexen Bankenstrukturen im Krisenfall letztlich ein Einsatz des Staats in seiner Funktion als „Versicherer der letzten Instanz“ nicht zu vermeiden sein. Der wesentliche bankenpolitische Effekt ist freilich in den vorbeugenden Maßnahmen zur stärkeren Stabilität und Krisenfestigkeit des Bankensystems zu sehen. Darüber hinaus kommt den Notenbanken in Bezug auf Liquiditätsversorgung weiterhin die traditionelle Aufgabe des „lenders of last resort“ zu, das heißt der Vergabe von „Notkrediten“ an „an sich gesunde“ („solvente“) Banken bei speziellen Gefährdungen, zum Beispiel einem „bank-run“. Für die EZB geschieht dies in Form der „Emergency Liquidity Assistance“, das heißt einer Notfalls-Liquiditätsbereitstellung durch und auf Risiko der jeweiligen nationalen Notenbank. Trotz mancher Kritik halte ich dieses einfache und schnell verfügbare Instrument in seiner heutigen Ausgestaltung für sinnvoll und nützlich.