Kitabı oku: «Geld und Leben», sayfa 6
Anreizwirkungen – moral hazard
In der Ökonomie geht es letztlich immer um Formen und Wirkungen von menschlichem Verhalten. Meist wird dabei von der Verhaltensstruktur eines Homo oeconomicus ausgegangen. Ein neuer und wichtiger Zweig der ökonomischen Forschung, die „Verhaltensökonomie“ zeigt aber, dass eine entsprechende „rationale Nutzenmaximierung“ in der Realität nicht durchwegs zutrifft. Damit ist auch die Frage der Anreiz- und Lenkungswirkungen wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Maßnahmen nicht immer eindeutig bestimmbar. In der wirtschaftspolitischen Praxis spielt die „traditionelle“ Einschätzung solcher Wirkungen aber dennoch eine große Rolle.
Dies ist auch ein Gebiet, wo soziales und ökonomisches Denken oft in Widerspruch geraten. Ein Beispiel ist etwa der Kündigungsschutz für ältere oder behinderte Arbeitskräfte. Sozial spricht viel dafür, diesen schwächeren Mitgliedern des Arbeitsmarktes einen spezielleren Schutz zu geben. Dies kann aber für Unternehmer die Anreizwirkung haben, solche Personengruppen vor Eintreten der Schutzwürdigkeit zu kündigen oder überhaupt nicht zu beschäftigen. Eine Alternative ist dagegen etwa die gesetzliche Festlegung einer Anstellungsverpflichtung in Form einer Quote der Gesamtbelegschaft mit entsprechenden Strafzahlungen bei Nicht-Erfüllen dieser Quote.
Zentral ist aber immer die Frage, wieweit der öffentliche Sektor bereit ist, aus übergeordneten Gründen – sei es der Sozialpolitik, der Umweltpolitik oder anderen Bereichen – in die Anreizwirkungen der „reinen Marktmechanismen“ einzugreifen. Der klassische, „harte“ Liberalismus im England des 19. Jahrhunderts hat hier das reine ungefilterte Wirken von Märkten gepredigt, was der Wirtschaftswissenschaft den Ruf der „dismal science“, der „düsteren“ Wissenschaft eingebracht hat. Charles Dickens hat in seinem Roman „Oliver Twist“ eindrucksvoll eine Welt gezeigt, in der etwa Arbeitslose möglichst wenig Unterstützung finden sollten, um ihren „Leistungsanreiz für Arbeit“ zu stärken, und Gewinne, auf welcher Grundlage immer, möglichst hoch sein sollten, um die Investitionstätigkeit zu fördern. Jeder Eingriff in diese „Anreizstrukturen“ führe zu gesamtwirtschaftlicher Fehllenkung. Marxistische Ökonomen haben die entsprechenden, entsetzlichen sozialen Zustände dargestellt und analysiert, Verbesserung aber nur von einem Umsturz des „Gesamtsystems“ erwartet. Dem gegenüber hat der „reformistische“ Zweig der Sozialdemokratie im Gleichklang mit der Gewerkschaftsbewegung für schrittweise Verbesserungen gearbeitet. Im wissenschaftlichen Bereich waren es speziell die sogenannten „Kathedersozialisten“ der „historischen Schule in der Nationalökonomie“ im deutschen Sprachraum, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einer rein marktmechanistischen Sicht eine umfassende gesellschaftliche Analyse entgegenstellten. Eine umfassende gesellschaftspolitische Analyse ökonomischer Fragestellungen ist aus meiner Sicht auch heute relevant. Geht es doch hier vielfach darum, sensibel abzuwägen, wie weit ökonomische Anreize gesamtwirtschaftlich sinnvoll und erforderlich sind und wie weit sie gesellschaftspolitischen Aspekten, etwa der sozialen Chancengleichheit oder der ökologischen Stabilität, widersprechen – wobei das Ergebnis dieser Abwägungen von weltanschaulichen Strukturen bestimmt im historischen Zeitverlauf verschieden ausfallen kann.
Eine spezielle Form der Auswirkungen von Anreizwirkungen ist das Auftreten von „moral hazard“, das heißt einer Konstellation, in der sich durch Bereitstellen zusätzlicher Sicherheiten das Verhalten der Wirtschaftssubjekte im Sinn höherer Risikobereitschaft ändert. Beispiele wären riskanteres Autofahren oder Ausüben riskanterer Sportarten bei Bestehen eines entsprechenden Versicherungsschutzes. Auf individueller Basis versuchen etwa Versicherungen diesem Problem durch Einführung von Selbstbehalten zu begegnen. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene kann eine Kumulierung „schlechter Risiken“ durch Formen der Pflichtversicherung verhindert werden.
Für die Geld- und Finanzpolitik wurden Fragen von Anreizwirkungen und moral hazard lange unterschätzt, sind heute aber von zentraler Bedeutung. Ein mikroökonomisches Problem von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung betrifft etwa Höhe und Struktur der Bezahlung von Managern, insbesondere auch Bankmanagern. Besonders intensiv zeigt sich dies etwa bei der Diskussion um die Bezüge von Investment-Bankern. Hier ist es einer selbstreferentiellen Gruppe gelungen, ein von der „normalen Wirtschaft“ weit abgehobenes Gehaltsniveau durchzusetzen („if you pay peanuts, you get monkeys“). Es wird damit ein „Kampf um Talente“ inszeniert, der nach meiner – in diesem Fall langjährigen – eigenen Beobachtung sachlich nicht zu rechtfertigen ist.
Sehr gute Investmentbanker sind zweifellos eine rare Spezies, wie auch sehr gute Neurochirurgen, Motorenentwickler etc. Sie verdienen daher eine gute Bezahlung – nicht aber die Exzesse, die sich hier eingebürgert haben und die dann als „branchenübliche“ Standards verlangt werden. Hier entsteht im Gegenteil die Gefahr, dass diese extreme Bezahlung Personen anlockt, die von exzessiver Gier und Statusdenken bestimmt sind, gleichzeitig aber das Risiko einer Tätigkeit als selbstständiger Unternehmer scheuen.
Eine besondere Rolle spielte und spielt das Konzept von Anreizwirkungen und moral hazard im Verhältnis zwischen Geldpolitik und staatlichem Handeln. So wurde und wird der EZB speziell von deutschen Politikern und auch Wirtschaftswissenschaftlern vorgeworfen, ihre expansive Geldpolitik ermögliche es einzelnen Mitgliedstaaten, gesamtwirtschaftlich notwendige Strukturreformen zu unterlassen. Die Grundvorstellung ist dabei offenbar, dass die EZB durch ihre Geldpolitik niedrigere Zinsen, damit geringere Kosten der Staatsverschuldung, höheres Wachstum und geringere Arbeitslosigkeit ermögliche. Dadurch fehle der „Leidensdruck“ von nationalen Finanzkrisen und Massenarbeitslosigkeit, der für den politischen Willen zu tiefgreifenden, auch schmerzhaften Reformen nötig sei. Als zentrale Bereiche für schmerzhafte, aber nötige Reformen werden dabei vor allem der Arbeitsmarkt und das Pensionssystem gesehen.
Gerade in dieser Strategie einer „Erziehung durch Härte“ („tough love“) unterscheiden sich die Positionen (vieler, nicht aber aller) deutscher Ökonomen und speziell US-amerikanischer Ökonomen typischerweise voneinander. Zentral sind dabei unterschiedliche Einschätzungen der „politischen Reaktionsfunktion“, das heißt der Frage, ob und wie politische Prozesse auf ökonomische Anreizwirkungen reagieren. US-Ökonomen weisen der Frage nach moral hazard in der Regel geringere Bedeutung zu und befürchten eher ein Szenario, wo ökonomische Krisen nicht zu „wirtschaftspolitischem Wohlverhalten“, sondern zum Aufstieg radikaler politischer Kräfte führen und damit zu einem explosiven Gemisch von politischer und wirtschaftlicher Krise. Dies insbesondere, wenn eine zu harte „Austeritätspolitik“ über längere Zeiträume hinweg zu einer Verschlechterung und nicht zu einer fühlbaren Verbesserung für breite Teile der Bevölkerung führt.
Eine grundsätzlichere Form der zwischenstaatlichen Anreizdiskussion ist die Frage, ob und wieweit eine Wirtschafts- und Währungsunion von Staaten mit unterschiedlicher historischer und wirtschaftlicher Entwicklung ein „Trittbrettfahrer-Verhältnis“ („free-rider“) einzelner Staaten ermögliche. Dies speziell etwa in der Form, dass ein einzelner Staat eine Strategie verfolgen könne, von der Stabilität der Gesamtunion (in Bezug auf Preise, Zinsen etc.) zu profitieren, ohne selbst durch eine entsprechende stabilitätsorientierte Politik beizutragen. Die Vermeidung solcher free-rider-Strategien war eine zentrale Frage bei der Diskussion um die Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. Die klarste und „einfachste Lösung“ war die der „Krönungstheorie“, das heißt es müsse zunächst zu einem so engen politischen Zusammenschluss kommen, dass free-rider-Strategien eines Einzelstaates mangels einzelstaatlicher Kompetenz gar nicht mehr möglich wären. Diese Ansicht, die etwa lange Zeit von der Deutschen Bundesbank vertreten wurde, ist zweifellos logisch schlüssig – politisch und historisch aber unrealistisch.
Um den politisch erwünschten – und aus meiner Sicht als Entsprechung der Wirtschaftsunion auch notwendigen – Schritt zur Währungsunion zu gehen, wurde der für das Europa der Nachkriegszeit von Jean Monnet und Robert Schuman entwickelte – und erfolgreiche – Weg der schrittweisen Integration gewählt. So wie sich etwa aus dem ökonomischen Integrationsschritt der „Montan-Union“21 schrittweise eine stärkere politische Zusammenarbeit ergab, und diese Strategie mit dem Europäischen Binnenmarkt fortgeführt wurde, so soll mit der Schaffung einer einheitlichen Währung ein Prozess in Richtung weiterer politischer Integration eingeleitet werden.
Hier liegt der zentrale Angelpunkt der europäischen Integration. Zunächst war schon zum Zeitpunkt der Einführung des Euro in einzelnen EU-Staaten der Widerstand gegen den erforderlichen Souveränitätsverzicht so groß, dass sie – trotz Erfüllen der ökonomischen Kriterien – den Beitritt zur Wirtschafts- und Währungsunion ablehnten (UK, Dänemark) beziehungsweise nicht betrieben (wie etwa Schweden, Tschechien). Aber auch in den Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion zeigen sich deutliche Unterschiede in der Bereitschaft, die den ökonomischen Anforderungen entsprechenden Schritte auch politisch-rechtlich zu gehen. In Deutschland hat sich dies zu einer Grundsatzfrage entwickelt. Ich persönlich teile den starken Bezug zu Fragen der Bundesverfassung, nicht aber die oft integrations-restriktive Interpretation, die in der entsprechenden rechtlichen und auch politischen Diskussion von manchen eingenommen wird. Vor allem beunruhigt mich die Gefahr, dass – wie im Mai 2020 geschehen – nationale Verfassungsgerichte sich über Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes hinwegsetzen könnten, was de facto einen Zusammenbruch eines wesentlichen Pfeilers der europäischen Integration bedeuten könnte.
Um ein free-rider-Verhalten einzelner Staaten zu vermeiden, wurde als integrierter Teil des Maastricht-Vertrages der Europäische Wirtschafts- und Stabilitätspakt geschaffen. Über die Sinnhaftigkeit einzelner konkreter Regelungen zur Defizit- und Schuldenbegrenzung gibt es eine differenzierte wirtschaftswissenschaftliche Diskussion. Vom prinzipiellen Aspekt der Anreiz-Koordinierung in einer Währungsunion von Staaten mit unabhängiger Fiskalpolitik ist der Ansatz des Wirtschafts- und Stabilitätspaktes aus meiner Sicht aber sinnvoll und zielführend. Wie bei jedem Vertrag ist auch hier ein entscheidender Aspekt die Frage der Sanktionen bei Vertragsverletzung – hier auch in Bezug auf die Gleichbehandlung aller Vertragspartner. In einem ungewissen makroökonomischen Umfeld ist für die Anwendung eines in großen Bereichen makroökonomisch bestimmten Vertrages zweifellos eine erhebliche Flexibilität nötig – letztlich bleibt aber die Frage nach politischer Möglichkeit und Wirksamkeit von Sanktionen.
Das Misstrauen gegen die politische Möglichkeit, „korrekte“ Sanktionen zu ergreifen, veranlasst Ökonomen vielfach dazu, auf einen Anreiz- beziehungsweise Sanktionsmechanismus zu setzen, bei dem nicht die Wähler, sondern die Märkte die Politik kontrollieren. Konkret bedeutet dies, dass die Einschätzung der Fiskalpolitik durch das „Urteil“ der Kapitalmärkte erfolgt, indem diese entscheiden, ob und zu welchen Konditionen private Kreditgeber einem Staat Kredit gewähren. Dies entspricht im Prinzip dem bestehenden System der internationalen Kapitalmärkte. Für die Praxis der Wirtschaftspolitik entscheidend ist aber die Frage, wie weit dieses Prinzip durch Sonderregelungen aufgehoben beziehungsweise entschärft wird. So gilt für Bankdarlehen an OECD-Staaten, dass diese Kredite für die Risikobemessung der jeweiligen Bank und damit letztlich für den Eigenkapital-Bedarf mit einem Risikogewicht von Null versehen sind, ebenso gibt es für die Einzelbank keine Obergrenze für die Kreditvergabe an öffentliche Haushalte.
Als persönliche Anmerkung: Ich werde niemals einen Besuch vergessen, den ich vor vielen Jahren in meiner damaligen Funktion als Vize-Präsident der Europäischen Investitionsbank beim damaligen schwedischen Ministerpräsidenten (und früheren Finanzminister) Göran Persson hatte. Persson, den ich schon von früher kannte, war noch in voller Wut über ein vorangegangenes, unfreundliches Gespräch mit einer Gruppe arroganter junger Vertreter von Ratingagenturen und internationalen Banken. Dieser Besuch hatte ihm sehr deutlich gemacht, dass ein Staat, der in hohem Maß auf Finanzierung von außen angewiesen ist, niemals ein wirklich souveräner Staat ist. Dies war für Persson die politische Motivation, auch als sozialdemokratischer Finanzpolitiker eine dramatische Politik der Defizitreduzierung einzuleiten – die letztlich wirtschaftlich erfolgreich war, politisch freilich zur Abwahl seiner Regierung führte.
Letztlich geht es bei dieser Problematik um die Frage einer – nach einer Wortprägung von Angela Merkel – „marktkompatiblen Demokratie“. Wie für Marktgeschehen insgesamt, läuft dies auf die Frage hinaus, welche Sanktionsmechanismen bei Verletzung von „Marktkompatibilität“ bestehen. Speziell deutsche Ökonomen (und in unterschiedlicher Intensität auch die deutsche Regierung) plädieren entsprechend dafür, den „klassischen Sanktionsmechanismus“ des Marktes – den Konkurs – auch für Staaten anzuwenden. In der Tat gibt es ja in der internationalen Finanzwirtschaft in der Form des „Pariser Clubs“ eine Verhandlungsplattform für den Fall der Zahlungsunfähigkeit eines souveränen Schuldners, die etwa in Fällen wie Argentinien etc. genutzt wurde. Ein formelles internationales Konkursverfahren für Staaten wurde zwar vom IWF angestrebt, scheiterte aber am Widerstand der Staaten, deren Finanzindustrien erwarteten, bei direkten Verhandlungen in stärkerer Position zu sein.
Für die europäische Währungsunion ist das Konzept des „Staats-Konkurses“ als wirtschaftlicher Ausnahmezustand von besonderer Bedeutung, da in dieser Beziehung ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Euro-Raum und anderen großen Wirtschaftsräumen wie den USA, Japan und China besteht. Zahlungsunfähig kann ein Staat ja nur werden, wenn er Zahlungen in einer Währung zu leisten hat, die er nicht selbst schaffen kann und über keinen entsprechenden Zugang zu seiner Notenbank verfügt. In den USA und Japan etwa besteht die öffentliche Verschuldung fast ausschließlich in eigener Währung und de facto kann im „Ernstfall“ auf Liquiditätshilfe durch die jeweilige Notenbank zugegriffen werden. Es besteht daher für Gläubiger kein Konkursrisiko, sondern allenfalls ein Entwertungsrisiko durch Inflation, das aber entsprechend historischen Erfahrungen von den Märkten als gering eingeschätzt wird, ebenso wie auch das Risiko langfristiger Zahlungsunwilligkeit durch innenpolitische Manöver.
Für die einzelnen Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe ist dagegen jede Staatsverschuldung, auch Verschuldung in Euro, als externe Verschuldung zu sehen, da „monetäre Staatsfinanzierung“, das heißt direkte Budgetfinanzierung durch die Notenbank gemäß Art. 123 EU-Vertrag explizit verboten ist und auch indirekte Hilfen zur Konkursvermeidung gemäß „bail-out-Verbot“ (Art. 125 AEUV) nicht zulässig sind. Potenziell kann daher jeder Mitgliedstaat des Euro-Raumes in Konkurs gehen. Dies entspricht dem „incentive-Ansatz“, durch „harte Regelungen“ gegenüber potenziellen Schuldnern und Gläubigern, „Marktdisziplin“ in einer Währungsordnung zu erzwingen.
„Konkurs“ bedeutet im Falle eines Staates Zahlungsunfähigkeit und ist in seinen dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen nicht mit dem Konkurs selbst großer Unternehmen zu vergleichen. Insbesondere können mit der Zahlungsunfähigkeit eines Staates massive „Ansteckungswirkungen“ (negative externe Effekte) bezüglich der Finanzierungsmöglichkeiten für die Finanzen und die Banken anderer Staaten entstehen. Nicht zuletzt aus den Lehren der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre wurde mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eine Einrichtung geschaffen, die durch „Notkredite“ die internationale Zahlungsfähigkeit eines Staates sichern kann und gleichzeitig durch makroökonomische Reformprogramme die langfristige finanzielle Stabilität („sustainability“) wiederherstellt beziehungsweise sichert. Teil solcher Programme kann auch eine Streichung bestehender Schulden sein, um zu verhindern, dass neue Kredite primär zur Tilgung alter Kredite verwendet werden müssen und nicht zur wirtschaftlichen Stärkung nach einer – vielfach durchaus selbst verschuldeten – Krise verwendet werden können.
Als eine Lehre aus der europäischen Finanzkrise 2012 wurde der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) geschaffen, der Kredite an Euro-Staaten mit Finanzierungsproblemen vergeben kann. Um moral hazard zu vermeiden, allerdings mit oft tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Auflagen. Im Falle Griechenlands haben IWF, EZB und EU-Kommission etwa gemeinsam Reformprogramme entwickelt und kontrolliert („Troika“). Dabei ergaben sich im Einzelnen durchaus Unterschiede in der Strategie der verschiedenen Akteure – speziell in Bezug auf die Frage nach Form und Höhe nötiger Schuldennachlässe.
Ein historisch instruktives Beispiel des Umganges mit staatlicher Zahlungsunfähigkeit ist der Vergleich der Gläubigerstrategie mit Deutschland nach dem Ersten und nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Deutschland eine riesige Last an Reparationszahlungen aufgebürdet, die auch durch Aufnahme von Auslandskrediten nicht zu bewältigen war. Im Sinne der Vermeidung von moral hazard in Form „ungenügender Anstrengungen“ Deutschlands wurde von einer formellen Streichung der Verpflichtungen abgesehen und stattdessen die Frist ihrer Rückzahlung immer wieder verlängert. Dies hat die wirtschaftspolitische Grundstimmung der Weimarer Republik bis zuletzt massiv beeinträchtigt.
In Österreich wurde übrigens in der Ersten Republik ein anderer, freilich nicht besserer Weg gewählt. Hier gab es eine Vereinbarung der Regierung mit den Siegermächten zur Gewährung einer langfristigen Völkerbund-Anleihe. Diese Vereinbarung war aber mit massiver externer Aufsicht verbunden, die eine extrem restriktive Wirtschaftspolitik erzwang, was wesentlich zur wirtschaftlichen und letztlich politischen Katastrophe der Ersten Republik beigetragen hat.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde von den Siegermächten dagegen ein weitgehender Schuldenerlass akzeptiert. Hiezu kam mit dem ERP-Programm eine intelligente Kombination aus Geschenk und Darlehen, verbunden mit gesamteuropäischer wirtschaftspolitischer Koordinierung und Öffnung im Rahmen der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD), der in Paris errichteten Koordinierungsstelle, aus der sich später die OECD als „wirtschaftspolitischer Braintrust der reichen Länder“ entwickelte.
Rolle und Wirken von IWF, ESM und Troikas sind nicht vergleichbar mit der politisch vergifteten Wirtschaftspolitik nach dem Ersten Weltkrieg. Aber die historische Erfahrung ist doch ein wichtiger Hinweis auf die Notwendigkeit einer langfristigen und umfassenden Orientierung der Wirtschaftspolitik und auf die Gefahr einer einseitigen Orientierung an kurzfristigen moral hazard-Perspektiven und irreführender, weil nur mikroökonomisch basierter Wirtschaftstheorien.
Zur wirtschaftspolitischen Problematik der Konkurs-Drohung als marktwirtschaftlichem Regulativ für Staatsverhalten kommen die administrativ-rechtlichen Probleme einer solchen Drohung hinzu. Es gibt keine europarechtlichen Regelungen, wie ein allfälliger Staatskonkurs praktisch abzuwickeln wäre. Analogien mit privatem oder öffentlichem Recht (zum Beispiel Einsetzen eines Konkurskommissars oder einer Zwangsverwaltung im Fall von Gemeinden) sind schwer herzustellen. Eine konkrete Konkursabwicklung ist daher sehr unwahrscheinlich – und entsprechend ist auch der angestrebte Abschreckungseffekt deutlich abgeschwächt. Dies zeigte sich speziell zu Beginn der Währungsunion, als die Kapitalmärkte die Unterschiede zwischen den souveränen Risiken der einzelnen Mitgliedstaaten der Währungsunion – und damit die Unterschiede in der Konkurswahrscheinlichkeit – weitgehend ignorierten. Dies führte dazu, dass die Marktsignale unterschiedlicher Risikozuschläge für Kreditzinsen weitgehend ausgeschaltet wurden, was wieder zu übermäßiger Kreditvergabe und Kreditaufnahme in Bezug auf Staaten wie Griechenland oder Spanien führte.
Kapitalmärkte, die überwiegend von kurzfristigen Erwartungen getrieben werden, können aber nicht nur zu optimistisch, sondern auch zu pessimistisch sein. Dies war der Fall, als in den Jahren nach 2010 die „Märkte“ auf einen Zerfall der Euro-Zone spekulierten und dieses angenommene „redenomination risk“ zu gewaltigen Risikoaufschlägen (und auch zu Kapitalflucht) führte. Erst die berühmte „whatever-it-takes“22 Rede von Mario Draghi am 26. Juli 2012 und die anschließende Schaffung des OMT-Programmes mit der Möglichkeit zum Ankauf von Staatspapieren beendeten die Marktspekulationen gegen den Euro (siehe Kapitel 15).
All dies illustriert, wie wichtig und zentral für die Wirtschaftspolitik und generell für die Geld- und Währungspolitik die Rolle von Incentive- und Disincentive-Strukturen und der entsprechenden Erwartungen ist. Mikroökonomisch fundierte Anreizkonzepte („Strukturreformen“) sind zweifellos von Bedeutung. Gleichzeitig ist aber auch festzuhalten, dass diese wirtschaftlichen Grundüberlegungen wichtige, aber nicht die einzigen Konzepte sind, die für die Fragen einer umfassenden Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zu berücksichtigen sind. Dies habe ich in vielen Formen erlebt, in der Welt der Geld- und Kreditwirtschaft und in der Welt der Politik, auf die ich im Folgenden detaillierter eingehe.
18John Maynard Keynes: Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. Duncker und Humblot, München 1936 (Erstausgabe). S. 323-324.
19Ewald Nowotny, Martin Zagler: Der öffentliche Sektor: Einführung in die Finanzwissenschaft. 5. Aufl., Springer, Berlin 2009. S. 70.
20Wie später geschildert, war ich im Falle der österreichischen, im Besitz der Bayerischen Landesbank stehenden, „Hypo-Alpe-Adria-Bank“ selbst Empfänger und auch Übermittler solcher dringender Empfehlungen, die m. E. zu diesem Zeitpunkt auch voll berechtigt waren und in die – zeitweise – Verstaatlichung der Bank mündeten.
21Europäische Gemeinschaft durch Kohle und Stahl, gegründet 1951.
22Einsehbar auf der Webseite der EZB: „Verbatim of the remarks made by Mario Draghi“, EZB 2012.
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