Kitabı oku: «Deutsch in Luxemburg», sayfa 9
3.2 Eine Alphabetisierung auf Deutsch
Am Ende des Grundschulzyklus 1 sollte die luxemburgische Sprache so weit gefestigt sein, dass nach den Sommerferien auf Deutsch alphabetisiert werden kann.
Für Kinder mit Familiensprache Luxemburgisch stellt eine Alphabetisierung in deutscher Sprache bis auf wenige klassische Interferenzfehler kein Problem dar. In den Experteninterviews gingen die Grundschullehrer von keinem bedeutsamen Leistungsgefälle zwischen den Textproduktionen luxemburgischer und bundesdeutscher Schüler aus – anders die Sekundarschullehrer, die den luxemburgischen Schülern circa ein Jahr Rückstand auf deutsche Muttersprachler attestierten (s. a. Unterkapitel 4.1). Das ist zum einen auf die sprachgenealogische Verwandtschaft beider Sprachen zurückzuführen. Zum anderen verfügen die Sechsjährigen für gewöhnlich bereits über einen Grundwortschatz und ein passives Verständnis der deutschen Sprache, wenn sie in der ersten Klasse mit ihr konfrontiert werden. In gewisser Weise findet ein ungesteuerter, wenn auch künstlicher, Erwerb der deutschen Sprache über das Fernsehen statt. Kinder, die mit deutschen Trick- und Realserien aufwachsen, erwerben auf diese Weise den Wortschatz und eine intuitive Grammatik des Deutschen, die in der ersten Klasse auch vorausgesetzt wird. Die luxemburgischen ‚Fernsehanfänger’ (und nicht selten ebenfalls jene mit serbokroatischem Migrationshintergrund) haben in der Regel dieselbe Mediensozialisation wie ihre bundesdeutschen Altersgenossen.1 Die Sympathie für die Kultur der Zielsprache und eine integrative Motivation die Sprache weiter ausbilden zu wollen, werden hier direkt mitgeliefert (vgl. Huneke/Steinig 2010: 19). Kinder, deren Familiensprache Portugiesisch ist, schauen zuhause häufig portugiesische Sender. 2 Die deutsche Sprache ist für jene Kinder zu Beginn des Grundschulzyklus 2 eine fremde Sprache.
Grundschullehrerin 2: „Ech hat der vill och [Cycle 2], déi dat Däitscht guer net verstanen hunn, dat ass jo fir déi, wéi wann s de géifs Chinesesch schwätzen dann, déi verstinn dat jo da guer net, wann déi dat nach ni hate virdrun!“3
Als ich die Vorschullehrerin fragte, wie gut ihre Schüler erfahrungsgemäß gegen Ende des Grundschulzyklus 1 auf eine anstehende Alphabetisierung in deutscher Sprache vorbereitet seien, entgegnete sie:
Vorschullehrerin: „Es ist mühsam. Ich habe jedes Jahr um die 20 Schüler, bis da jeder bei einer Sprachübung einmal dran kommt, vergeht unheimlich viel Zeit. Es ist schwierig kleine Kinder in so großen Gruppen angemessen in der Sprache zu fördern. Wir fangen an mit dem Schulvokabular, nehmen nach und nach die alltagsrelevanten und saisonbedingten Themen durch (Mensch, Natur, Weihnachten usw.). Einmal in der Woche bieten wir zusätzlich in der Mittagspause Nachhilfe an. Da mache ich dann oft Sprachübungen mit ihnen. Wenn du aber mit 4-jährigen in der Mittagsstunde eine halbe Stunde länger arbeitest, darfst du dich auch nicht wundern, wenn sie um 15.00 Uhr todmüde sind und der Kopf einfach nicht mehr will. Ich sage es mal so: Am Ende des Grundschulzyklus 1 verstehen sie Luxemburgisch. Jedes Kind hat einen Grundwortschatz in der Sprache, das bedeutet, dass es die gängigen Vokabeln kennt. Vokabeln sind aber noch keine Sätze. Die Sätze, die sie im Luxemburgischen machen können, sind sehr sehr einfach strukturiert.“
Damit erreicht sie bei den meisten die vorgeschriebenen Kompetenzen für den Übergang in den Grundschulzyklus 2. Die Mindestanforderungen sind, dass ein Kind Luxemburgisch versteht, über einen elementaren Wortschatz in der Sprache verfügt, sich einigermaßen verständlich über bekannte Themen und das eigene Wohlbefinden ausdrücken kann sowie mit einfachen Satzkonstruktionen auf Fragen antworten kann. Am Ende der Vorschulzeit beherrschen viele Kinder nur ein elementares Luxemburgisch und machen noch viele Fehler im syntaktischen Aufbau, den sie fortan auf die deutsche Sprache übertragen müssen. In der Vorschule kommen die Sprachlerner nicht mit der deutschen Sprache in Berührung. Das Bewusstsein für Mehrsprachigkeit soll dem Lehrplan zufolge früh gefördert werden, in der Praxis bleibt hierfür allerdings wenig Zeit. Was überwiegt, ist die Notwendigkeit den Kindern zuerst einmal die Kommunikationssprache Luxemburgisch beizubringen:
Vorschullehrerin: „Ich rate den betroffenen Eltern immer, wenn sie mit ihren Kindern vor dem Fernseher sitzen, nicht nur portugiesische und französische Sender einzuschalten, sondern zwischendurch auch mal ein deutschsprachiges Programm. Es gibt ja auch mittlerweile unzählige DVDs und Hörspiele für Kinder auf Deutsch und auf Luxemburgisch. Durch Zuhören verinnerlichen Kinder eine Sprache, entwickeln ein Gefühl für ihre Melodik und bilden ein Sprachbewusstsein aus. So kommen sie mit der Sprache in Kontakt. In der Schule machen wir nur luxemburgische Spracharbeit. Es ist mir wichtig, dass sie hier einen Wortschatz aufbauen. Ich habe selbst im Grundschulzyklus 2 unterrichtet und weiß, was sie dort erwartet. Manchmal frage ich die Mütter, ob sie uns nicht eine Geschichte in ihrer Sprache vorlesen wollen. Dann lesen wir die Geschichte einmal auf Luxemburgisch und einmal auf Portugiesisch oder Serbokroatisch zum Beispiel, aber das ist eher die Ausnahme.“
Artikel 4 des ‘Règlement grand-ducal du 11 août 2011 fixant le plan d’études pour les quatre cycles de l’enseignement fondamental’ legt fest, dass die deutsche Sprache in der Grundschule die Alphabetisierungssprache ist (vgl. Mémorial 2011b: 2990). Sie ist zudem die Unterrichtssprache im Fach Deutsch, im Rechenunterricht, Naturkundeunterricht, Geographie- und Geschichtsunterricht und im Ethik- und Sozialunterricht. Französisch wird nur im Französischunterricht verwendet, der im zweiten Trimester des Zyklus 2.2 einsetzt. Deutsch und Französisch werden, was die Modalität der Äußerungen innerhalb des Klassenalltags anbelangt, in einer konzeptionell-schriftlichen Weise erlernt und verwendet.
Die luxemburgische Sprache darf ab dem Grundschulzyklus 2.1 nur noch im Fach Luxemburgisch, das eine Schulstunde in der Woche einnimmt, gebraucht werden. Das Schulgesetz erlaubt ferner die Wahl zwischen Luxemburgisch, Deutsch und Französisch in allen paraschulischen Aktivitäten sowie im Sport-, Kunst- und Musikunterricht. Mitschriften in diesen Kursen müssen allerdings auf Deutsch erfolgen. Faktisch wird in diesen Nebenfächern und in der Lehrer-Schüler-Interaktion am Rande der Schulstunden, überall dort, wo das Gesetz der Lehrkraft die Wahl der Unterrichtssprache überlässt, Luxemburgisch geredet. Es bleibt und dies gilt überdies für die gesamte Schulzeit die ‚Sprache der Nähe’. In Kontexten, in denen Vertrautheit, Privatheit, Emotionalität, sprich Nähe, suggeriert werden soll, finden Codewechsel ins Luxemburgische statt. Auf die luxemburgische Sprache wird außerdem zurückgegriffen, wenn fachliche Inhalte, die eigentlich auf Deutsch oder Französisch vermittelt werden müssten, nicht verstanden wurden (vgl. Weth 2015: 23).
Die Schüler werden also spätestens ab dem sechsten Lebensjahr einen bedeutenden Teil ihrer Bildungssozialisation in deutscher Sprache durchleben. Die Tatsache, dass das Allgemeinwissen auf Deutsch angeeignet wird, in den Sachfächern auf Deutsch kommuniziert wird und diese Sprache vom ersten Schuljahr an dazu benutzt werden muss, um sich mitzuteilen, tragen dazu bei, dass Schüler gegenüber der deutschen Sprache ein anderes Verhältnis aufbauen. Es ist eine Nähe, von der die französische Sprache, die als Fremdsprache langsamer erlernt wird und in der Grundschule außerhalb des Sprachenunterrichts nicht eingesetzt wird, nicht profitiert. Der Bezug zwischen der französischen Umgangssprache, die in Luxemburg gesprochen wird, und dem Schulfranzösisch, das als Kultur- und Elitesprache erlernt wird, wird je weiter die schulische Sozialisation voranschreitet, immer mehr gekappt.4
3.2.1 Welche Methode für den Deutscherwerb in der Grundschule?
Wie wird in Luxemburg Deutsch gelernt? – auf diese Frage erfolgt im Bildungsdiskurs meist nur die vage Antwort ‚ähnlich wie eine Muttersprache’. Auf der medialen Diskursebene wird nur anhand von musterhaften Äußerungen angedeutet, inwieweit sich der Deutschunterricht in Luxemburg tatsächlich von einem Muttersprachunterricht, Zweitspracheunterricht oder einem Fremdsprachenunterricht unterscheidet:
Allgemein geht man hier davon aus, dass die Schüler mehr oder weniger automatisch vom Luxemburgischen ins Deutsche „gleiten“ – eine Annahme, die mit der Verwandtschaft der beiden Sprachen begründet wird und mit dem ständigen Kontakt, allerdings passiver Art, durch das Fernsehen; daher der Schluss, das Deutsche sei keine Fremdsprache und Alphabetisierung in dieser Sprache unproblematisch (LL1: 21.01.1983).
Im Luxemburger Alltag wird kaum Deutsch gesprochen, und während luxemburgische Schulkinder ihre Deutschkenntnisse durch Bücher und Fernsehen aufbessern, lebt ein kleiner Portugiese in einer Welt, in der die portugiesische und die französische Sprache dominieren. […] (Telecr: 09.12.2000).
Dessen ungeachtet preist der bildungspolitische Mainstream von ADR bis Déi Gréng die „Brückenfunktion“ der „Integrationssprache Luxemburgisch“, obwohl niemand genau weiß, welche luxemburgischen Wörter portugiesische, kapverdische und andere Einwandererkids kennen müssen, um bei der Alphabetisierung in Deutsch nicht ins Hintertreffen zu geraten (LL: 18.09.2008).
Im Juni 2013 veröffentlichte das Magazin DER SPIEGEL einen kritischen Beitrag zu den Folgen des Schriftspracherwerbs mit der Anlauttabelle. Diese Methode sei, so der Grundton des Artikels, Schuld an der „neuen Schlechtschreibung” in Deutschland (vgl. Bredow von/Hackenbroch 2013). Die (An-)Lautmethode funktioniert nach dem lautgetreuen, phonografischen Prinzip. Ein ausgeprägtes phonologisches Bewusstsein für den Wortlaut der deutschen Sprache, sprachanalytische Fähigkeiten und die Anlaut- oder Lauttabelle bilden die Basis für den Schriftspracherwerb.
Abbildung 3:
Mila-Lauttabelle
(Quelle: Biltgen et al. 2008)
Auf der abgebildeten Lauttabelle steht jedes Bild für einen entsprechenden Laut oder Buchstaben. So steht das Bild einer ‚Ameise’ für den Laut /a:/ und das Bild eines Apfels für den Laut /ɑ/ und beides für das Graphem <A>. In der Schreibarbeit mit der Anlauttabelle soll jedes Wort in seine lautlichen Bestandteile zerlegt werden.
„Vor allem Risikokinder, die in einer spracharmen Umgebung mit Deutsch als zweiter Sprache aufwachsen, lernen [sofern sie mit der Anlautmethode alphabetisiert wurden] so möglicherweise niemals richtig schreiben“, zitieren die SPIEGEL-Autoren Befürchtungen von Linguisten, Didaktikern, Pädagogen und Hirnforschern (ebd.: 96). Die DaZ-Forschung steht der Methode in der Tat mit Bedenken gegenüber. Die deutschen Bedenken gelten auch für Luxemburg. Die hier abgebildete Lauttabelle ist die Mila-Lauttabelle, wie sie seit dem Schuljahr 2004/2005 in einem Großteil der Grundschulen in Luxemburg eingesetzt wird. Luxemburgs Grundschulen dürfen in Absprache mit ihrer Schulleitung, den inspecteurs de l’enseignement fondamental, selbst entscheiden, welches Material sie im Lese- und Rechtschreibunterricht einsetzen wollen. Es muss mit dem geltenden Lehrplan (plan d’études) übereinstimmen. Auf die Frage, ob die meisten Schulen in Luxemburg mit der Mila-(An-)Lautmethode arbeiten würden, sagte Robi Brachmond vom Bildungsministerium, im April 2014 er hoffe nicht. Weder das Ministerium noch die Lehrkräfte scheinen von der Methode wirklich überzeugt zu sein und doch ist eine Lautmethode in den meisten Schulen zumindest teilweise im Einsatz. So berichtet eine Lehrkraft im gleichen Jahr:
Grundschullehrerin 4: „[M]ir […] schaffen schonn nach mam Mila. […] Mir sinn zwar net esou begeeschtert dovunner, mee mir hunn eis och nach net op d'Sich gemaach no enger Alternativ! [Aner Kollegen] schaffe[] […] mat Flex & Flora! Mir am 1. Schouljoer hunn zwar lo net mat der Lauttabell […] geschafft, d’Kanner sinn einfach ze schwaach an hu kee Vokabulär fir ze schreiwen.“1
In Luxemburg gibt es durchaus Schüler, die dank der Mila-Lauttabelle relativ schnell Geschichten schreiben können, aber es gibt eben auch jene, die nach sechs Jahren Grundschule keine Geschichte und keinen fehlerfreien Satz auf Deutsch verfassen können. Die deutsche Sprache ist in Luxemburgs Klassenzimmern selten Muttersprache, sie ist momentan für die Hälfte der Schüler eine bekannte Sprache, weil sie über das Fernsehen und über Geschichten mit ihr aufgewachsen sind und für die andere eine Fremdsprache oder eine gänzlich fremde Sprache. All diesen Schülern wird, sofern der Klassenlehrer sich dazu entschließt mit der Lauttabelle zu arbeiten, diese in der ersten Schulwoche ausgeteilt.
Grundschullehrerin 2: „Am Ufank gesi si d’Biller, well d’Bild gëtt jo mam Laut verbonnen.“
Grundschullehrerin 1: „Si […] [musse mol wëssen], dat do ass [op Däitsch] een ‚Ofen’. An dann geet et nëmmen em deen éischte Buschtaf.“
Grundschullehrerin 2: „Et geet dann dorëm de Laut mam Bild ze verbannen, d.h. si denken eigentlech net un dee Laut, mee un dat Bild. Wann si herno zum Beispill ‚Maus’ schreiwe [wëllen], da wëssen si ‚m’ … [m] wéi [maus], ‚au’ … [au] wéi Auto, ‚s:’ wéi, jo da gëtt et scho schwierig, well do ginn et der méi.“
Grundschullehrerin 1: „Jo. Also t’ass [s] wéi Skelett oder [z] wéi Salat oder [ts] wéi Zug. […] Jo […] och fir déi Wierder ëmmer schonn ze léieren … Ech hunn ëmmer fonnt, dass de als Lëtzebuerger oder jo Däitschsproochegen oder wéi och ëmmer, […] einfach well Virdeeler [hues], well s de déi Wierder kenns. Wann s du Portugis bass, muss de fir d’éischt mol wëssen, dass dat do [zeigt auf das Bild] een ‚Ordner’ ass, […] […] [sou], dass de [vu September] bis […] Enn November bal nëmme [mat der] Anlauttabell geschafft hues an duerno hues de réischt ugefongen …“
Grundschullehrerin 2: „Jo bis datt jiddfereen se wousst, ne.“
Grundschullehrerin 1: „Jo.“2
F.S.: „Ugeholl du häss dann een, dee bësse méi intelligent wier, wéi all déi aner, dee géif déi Biller dann do direkt all wëssen, kinnt deen dann direkt ufänke mat schreiwen?“
Grundschullehrerin 1: „Also wann s du wierklech ee gudde Schüler bass, da kanns du, géing ech mengen, mat der Anlauttabell relativ féx, relativ vill schreiwen. Mee wann s du schwaach bass, dann verléiers du do sechs Wochen, wou s de absolut guer näischt léiers – menger Meenung no – oder bal näischt léiers.“3
Erst wenn die Bilder mit dem dazu passenden Laut, ähnlich wie Vokabeln, verinnerlicht wurden, beginnt langsam der Lese- und Rechtschreiberwerb – zuerst mit den Buchstaben M, I, L, und A (= Mila-Methode) dann folgen T, S, E und die restlichen Buchstaben.
Betrachten wir die Textproduktion eines Schülers aus einer luxemburgischen Grundschule, (Grundschulzyklus 2.2). Das Thema war ‚Meine Ferien’:
*Ich war auf Grand kanariea. Ich war in den Pul ge sprunen. Ich war in den Palmitus -Park und in den CrocodiloZoo. Ich war in die Dünen da hatte ich rischtik spas. Im Palmitos Park war eine Delfinscho.
(Thema ‚Meine Ferien’, Grundschulzyklus 2.2., 16.09.2013)
Die Textproduktion deutet auf einen Schreiberwerb mit der (An-)Lauttabelle hin. Der Schüler verwendet bereits eingeprägte orthografische Muster und Lernwörter, vor allem bei Fremdwörtern greift er auf die lautgetreue Methode zurück. Das Beispiel weist eine hohe Anzahl an Rechtschreibfehlern auf. Mit Blick auf die Lauttabelle wäre aber vieles hier phonologisch richtig abgerufen und nach dem Lautprinzip graphisch folgerichtig umgesetzt. Streng genommen sollen Rechtschreibfehler, die bei freien Textproduktionen mit der Lauttabelle entstehen, erst dann als solche angestrichen und verbessert werden, wenn die dazu passende Regel, das orthografische Wissen, erworben wurde. Dies geschieht vor allem im Grundschulzyklus 2.2. Dann ist es aber erfahrungsgemäß oft zu spät. Die falsche Schreibweise hat sich bereits in den Köpfen festgesetzt und wenn dann im zweiten Grundschuljahr die nächste Fremdsprache ‚Französisch’ hinzukommt, versuchen die Kinder automatisch die Lautmethode hierauf zu übertragen, was natürlich nicht mehr funktioniert. Sie schreiben dann *blö anstatt bleu.
Grundschullehrerin 1: „Wann s du während engem Jor laang konsequent Stuhl ‚*‚S c h t u l’ schreifs, dann dann vergees et …“4
Grundschullehrerin 2: „De Problem ass einfach, dass déi Kanner harno net richteg kënne schreiwen, well d’Doppellauter an d/t, b/p, Kanner, déi domat Problemer hunn, déi si verluer do! Well ech hat tatsächlech d’letzt Joer een, deen hat mir ‚Weihnachtsplätzchen’ geschriwwen: *‚feinartzpletzie’. Passt jo.“5
F.S.: „Jo an da kënnt jo och nach derbäi, dass et net hir Mammesprooch ass?“
Grundschullehrerin 2: „Jo et ass net hir Mammesprooch, mee t’war engt lëtzebuergescht Kand! Mee hien hutt no der Anlauttabell geschriwwen an theoretesch wier et no der Anlauttabell net falsch! Well wann s du et gelies hues, do däerf een dann tatsächlech net iwwerleeë, wann een dat liest. Dat muss ee sech einfach sou séier eng Kéier soen an dann hunn ech, jo, dann du rausfonnt, dass hie mir ‚Weihnachtsplätzchen’ schreiwe wollt.“6
F.S.: „Jo an da stellt sech d’Fro, wéi s de dat [déi Fehlschreibung] nach rauskriss duerno?”
Grundschullehrerin 2: „Dat kriss du net méi do raus, well dee war dunn am fäerten an dat kriss du net méi raus!”7
Grundschullehrerin 3: „Mee de Problem ass och bei deene Kanner, déi sech et [d’ Wierder] falsch soen: Ee Kand, dat ee Problem hutt mam Schwätzen, [z.B. Schwieregkeeten hutt mat de Lauter [z] an [ʃ], dat seet sech: [zif]. Do héiert et dann den [z] an net den [ʃ] [wéi an Schiff].“8
Das Kind schreibt dann *Sif anstelle von Schiff. Auch leistungsstarke Schüler verschriftlichen am Ende des Grundschulzyklus 2.2 das Adjektiv froh noch immer als *fro, die Präposition nach als *nar und ‚das Buch’ lautgetreu als *bur/*Bur.
Grundschullehrerin 1: „Mir haten op der Anlauttabell och Biller fir den Laut sp an st, mee dat gesäis de dann réischt méi spéit. Bis du déi geléiert hues a verhalen hues … héiers de den den ʃ an du héiers den t an schreifs dann scht.“9
Erst im Grundschulzyklus 2.2 werden die Schüler mit den Rechtschreib- und Grammatikregeln konfrontiert, Wortlisten mit st-/sp- werden ausgeteilt, Doppellaute eingeführt, Doppel-m, Doppel-s und die Groß-/Kleinschreibung werden gefestigt. So mancher Schüler ist ab hier überfordert. Schülerinnen und Schüler, die zuhause in einer spracharmen Umgebung aufwachsen, die Probleme mit der akustischen Verarbeitung von Lauten haben, die wenig Motivation beim Erlernen der, oftmals als Fremdsprache aufgefassten, deutschen Sprache zeigen und dementsprechend wenig lesen, tendieren dazu, weiterhin lautgetreu zu schreiben. In den Folgejahren haben sie erhebliche Probleme, das ihnen vermittelte Regelwissen zu speichern, ein orthografisches Wissen und ein automatisiertes Worterkennen aufzubauen. Ergebnisse, wie das nachstehende Diktat eines Schülers, entstehen dann im Grundschulzyklus 4.2.:
*Diktat: Ein Bär im Hotel
Ein risiger Bär war seit langem im Nationalpark als fritlicher und Harmloser ein-
woner berkant. Nach einmal, und zwach im letzten Sommer wach sein benehmen
aufelig schlecht, er hatte ganz fergesen, wass er seinem guten Namen schüldig war.
Von einer unbendigen Neutribigen getriebe, Wannderte er eines tages zum Gasthaus hinüber. One anzu klopfen, trat er durch die große forder Tür. In der Hale richterte er sich in seiner Ganzen größe auf und Bramte frointlich. An geschtelte un Geste sahen das anders un flüchteten Haltz über kopf zur hintertür heraus.
Ganz alein und ferlasen schtant das ferduzte Tier in diesem weitroimigen Sahl. Weill sich Niemand um ihm kümerte, tapste er weiter, gerade aus auf die gestezimmer zu.
„wenn du dieses zimmer Nütiger braurst als ich, so Kannst du es haben, Bitte schönn!“, schoterte der überaschte Gast. Dann nahm er seine Beine in die Hand schprang zum ofenen Fenster hinaus, überkwerte Terrase, ohne nahr rechtz und lings zu schauen, und Raste zur necksten Telefon zehle.
Ganz aufgereckt rief er den direcktor an: „Ein Bär ist im Haus un wiell, so scheintes, das Kommando übernehmen. Dürfen wir schiesen?“
„Schiesen ist im Parck nicht erlaubt“, lautete die antwort. „Nemt denn wasserschlauf!“
So foischt und Kalt hatte der Bär sich seinem aufenthalt im otel nich vor geschtelt; Büsse cknurent wachelte er von dannen. Ein Andenken nahm er alerdings mit. Als er in der Küche vorbei komm, schnapte er sich in ein saftigen Rinderfirtel un ferschwand damit im Wald.
Die zuständige Lehrkraft zählte 89 Fehler. Automatismen, wie das Prinzip der Schemakonstanz, wurden nicht ausgeführt (unbendig – Band, Geste – Gast, weitroimig – Raum), die Groß-Kleinschreibung wurde teilweise übergangen, genauso wie die graphische Rücknahme der Auslautverhärtung. Wörter wurden im Lernwortschatz nicht visuell gespeichert, sondern bei Unsicherheiten wieder falsch nach dem Lautprinzip verschriftlicht.10 Würde sich die luxemburgische Grundschule größtenteils aus Schülern zusammensetzen, deren Familiensprache das Luxemburgische wäre und solchen, die ‚nur’ mit den drei Grundschulsprachen (Deutsch, Französisch und Luxemburgisch) zurechtkommen müssten, dann wäre Zeit vorhanden, um die Rechtschreibfehler zu beheben. Dies ist jedoch nicht der Fall.
Im vorangehenden Kapitel wurde deutlich, wie unstabil das Gerüst ist, auf dem teilweise alphabetisiert wird und vor dessen Hintergrund die neue Sprache Deutsch erlernt werden soll. Erstklässler, die aufgrund elterlichen Engagements oder dank schulischer Unterstützung einen altersgerechten Wortschatz in ihrer Muttersprache und/oder im Luxemburgischen ausgebildet haben, sind oft motiviert und erfüllen auch die an sie gestellten Sprachanforderungen. Sie besuchen höhere Schullaufbahnen. De facto sind aber nicht alle durchschnittlich sprachbegabt und werden auch nicht alle zuhause entsprechend gefördert. Sie lernen die deutsche Sprache in Luxemburg nicht in einer natürlichen Erwerbssituation, sondern ausschließlich gesteuert. Deutsch ist in Luxemburg nicht die alltägliche Kommunikationssprache und wird von den Luxemburgern auch nicht mit der Selbstverständlichkeit einer Muttersprache gesprochen. Sie ist vor allem Medien- und Schulsprache und als Unterrichtssprache ist sie eher konzeptionell-schriftlich. Der Spracherwerb hat sich deshalb lange Zeit auf die Schulung der schriftsprachlichen Handlungsfähigkeiten konzentriert und die Förderung der Gesprächsfähigkeit vernachlässigt. Im Normalfall erreichen Lerner in einer Fremdsprache ein Interlanguage-Stadium, das mehr oder weniger weit vom Niveau eines Muttersprachlers entfernt liegt (vgl. Huneke/Steinig 2010: 13). Die Vorstellung das Niveau eines Muttersprachlers zu erreichen, sei in der Regel unrealistisch, so Huneke und Steinig (vgl. ebd.). Der Sprachenunterricht in Luxemburg setzt sich das muttersprachliche Niveau allerdings zum Ziel und produziert damit bei seinen Lernern nicht selten eine Scheu zu sprechen und als Nicht-Muttersprachler entlarvt zu werden.11
Viel deutlicher als ihre Schulkameraden mit Familiensprache Luxemburgisch, mischen Kinder mit Migrationshintergrund luxemburgische Lehnwörter und syntaktische Konstruktionen unter das Deutsche:
Grundschullehrerin 2: „Jo. Jo bei alle Kanner [kënnt dat] bal [fir], awer ech fanne bei de portugisesche Kanner am meeschten, well se dann, da kenne se d’Wuert jo dann op Portugisesch, se kennen et dann op Franséisch an op Lëtzebuergesch, jo an dann nach engt Wuert op Däitsch, jo wann dat Däitscht dann net fonnt gëtt, dann huele mer dann alt dat Lëtzebuergescht. Wéi d’lescht Jor hat ech wierklech […] [engt Kand], dat war eigentlech bal nëmme Lëtzebuergesch, wat en do am Däitsche geschwat hutt, well en et och einfach guer net wollt wëssen. Dee war awer lo net Portugisesch, dee war lo Fransous, d.h doheem nëmme Franséisch an dann dat Däitscht, dee wollt dat och guer net kënnen.“12
Grundschullehrerin 1: „Och vun der Syntax hir, fannen ech, dass se do dacks dann iergendwellech lëtzebuergesch Saachen iwwerhuelen an dat am Däitschen d’selwecht probéieren ze man.“13
Grundschullehrerin 2: [lacht] „Jo ech erënnere mech un [eng Schülerin, dat hutt geschriwwen]: „Ich geh in den Bisch trippeln, dann muss ich meine Strickeln stricken.““14
Grundschullehrerin 1: „Jo mee där hues de. Ech hat [de Schüler X], wann deen Däitsch geschwat hutt, da koum net just Däitsch a Lëtzebuergesch gemëscht, mee do koum och nach Franséisch a Portugisesch dertëscht. Do koum wierklech heiansdo alles. *“Kannst du, kannst du mech das mol explikieren?“, dat hutt e bestëmmt ee Mount laang gesot.“15
Nicht wenige Schüler greifen im Verlauf ihrer Grundschulzeit auf die luxemburgische Sprache zurück, um ihre Gedanken auf Deutsch in Worte fassen zu können. Sie können nur unzureichend zwischen den beiden Sprachen differenzieren. Sprachvergleichende Übungen, die auf Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den verwandten Sprachen aufmerksam machen müssten, sind im Unterricht nicht vorgesehen.16 Der Enthusiasmus für die neue Sprache verfliegt schnell und der Kosten-Nutzen-Abgleich eines Lerners kann ergeben, dass sich die Anstrengung nicht lohnen wird und er deshalb weiterhin eine luxemburgisch-deutsche Mischform schreiben wird. Wenn der Schüler mit Migrationshintergrund ein Stadium erreicht, in dem er sich einigermaßen ausdrücken kann, ist die Lehrkraft meistens erleichtert und zufrieden. So erklärten die befragten Lehrkräfte, dass sie bei ihren Schülern mit französischem und portugiesischem Sprachhintergrund im Deutschunterricht über vieles hinwegsehen:
Grundschullehrerin 1: „Du verzeis hinne villäicht éischter Feeler. Denken ech.“
Grundschullehrerin 2: „Jo.“
Grundschullehrerin 1: „Sou wéi Akkusativ, Dativ, Genitiv. Dat kanns du üben zum Vergasen, dat geet iergendwéi net do an dee Kapp eran. […] Jo an du sees dir villäicht éischter: Jo, ok, ech ënnersträichen dat an ech schreiwen et selwer richteg driwwer.“17
Das Mila-Programm und auch die Deutschbücher für die nachfolgenden Jahrgänge berücksichtigen die heterogene und mehrsprachige Zusammensetzung der Klassen nur bedingt: So wurden bei der Anpassung der Lauttabelle an die luxemburgischen Verhältnisse Bilder ausgetauscht, weil die entsprechenden deutschen Bezeichnungen luxemburgischen Kindern nicht geläufig waren. Wenn mit der Mila-Tabelle gearbeitet wird, werden in den ersten drei Monaten des Grundschulzyklus 2.1 zunächst die deutschen Bezeichnungen für die einzelnen Bilder auf der Lauttabelle gelernt. Auf den ersten Seiten des Mila-Buches geht es vordergründig darum, anhand von Bildern einen deutschen Wortschatz aufzubauen. Allerdings wird nicht davon ausgegangen, dass es sich um eine völlig unbekannte Sprache handelt. Den meisten Lehrkräften fehlen die entsprechende didaktische Ausbildung für ‚Deutsch als Fremdsprache’ ebenso wie die geeigneten Lehrwerke. So konstatiert eine Grundschullehrerin:
Grundschullehrerin 1: „Also ech menge schonn, dass sech do eppes ännere misst, well et net onbedéngt ugepasst ass un déi Populatioun, déi mer do an de Klasse sëtzen hunn. […] Also wann s de lo d’Texter kucks an engem éischten, zweete Schouljoer, méi einfach wéi ‚Tim malt’ oder ‚Mila ist … ech wees net wou’ […] kanns de et jo bal net maachen. T’ass villäicht herno an deene méi grousse Klassen, wou déi Texter einfach ze schwéier sënn. Mee wann s de do dat Ganzt vereinfache gees, hues de natierlech och déi negativ Konsequenz, dass de herno am Lycée och de Niveau muss no ënne schrauwen an sou sëtzt dat sech da fort bis … bis zur Uni!“18
Grundschullehrerin 3: „Jo an déi Gutt, déi ginn dann iergendwann och net méi gefërdert, déi maachen dann och just nëmme nach ee Minimum.“19
Grundschullehrerin 1: „Ech si perséinlech lo am Uewergrad [Grundschulzyklus 4] am onzefriddensten mat deenen Däitschbicher, déi mir do leien hunn. Well also si sinn eigentlech ganz flott, t’si super Texter, t’sinn immens Iddien dran, wann s du eng Klass do sëtzen hues mat zwee Portugisen an 12 Lëtzebuerger an 3 Jugoslawen, kanns de garantéiert genial Saache maachen, mee bei deem, wat mir hei sëtzen hunn net. Ech hat mer […] Bicher ausgeléint […], wou et da wierklech em Däitsch als Friemsprooch geet, fir do mol ze kucken, wat dass de kanns gebrauchen. An iergendwéi, also ech sinn awer nach ëmmer op der Sich, well du hues nach ëmmer, wann s de dann iergendwéi sou ee Buch hëls, hues de dann aus der Schwäiz ee Buch an do geet et dann, do steet dann sou Fränkli dran an sou, wat dann rëm net passt! Also ech hu bis lo op alle Fall nach näischt fonnt, wou s de lo sees, dat kinnt s de lo tel quel op Lëtzebuerg hei iwwerdroen.“20
Um den erheblich divergierenden Sprachentwicklungsstufen gerecht zu werden, wurde in den letzten Jahren zunehmend versucht, die Schüler zumindest zeitweise in Leistungsgruppen einzuteilen und sie ihrem Sprachentwicklungsstand entsprechend zu fördern. Unterforderung und Überforderung bleiben aber nach wie vor ein Thema im Deutschunterricht. Während die einen fantasievolle Aufsätze schreiben, baut sich bei den anderen die Kommunikationsbereitschaft schrittweise ab. Die Lernersprache Deutsch stagniert auf einer niedrigen Erwerbsstufe und droht, angesichts des beschleunigten Erwerbs im Regelunterricht, zu fossilieren. Erwerbsphasen folgen einer chronologischen Ordnung und lassen sich leider nicht überspringen (vgl. Huneke/Steinig 2010: 45). Es ist fraglich, wie betroffene Schüler es schaffen sollen, die Sprache zu Beginn des Erwerbs so weit auszubilden, dass sie zugleich die Funktion einer Bildungssprache übernehmen kann – eine Aufgabe, die in der Grundschule traditionell der deutschen Sprache zukommt. In ihr sollen Sprachhandlungskompetenzen ausgebaut und Fach- und Allgemeinwissen angeeignet werden.21
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