Kitabı oku: «Die Pharma-Falle», sayfa 3
Staubsaugervertreter mit Medikamentenkoffern
Den Hauptteil dieser Überzeugungsarbeit leisten die Pharmarefernten, wenn sie Ärzte in Krankenhäusern und Praxen aufsuchen. Dabei kommen sie so gut wie täglich und zu allen Tageszeiten. Das Gesprächsklima ist dabei meist betont amikal. »Wie geht es Ihnen heute?«, fragen sie. »Kennen Sie schon unsere neuesten Daten? Schauen Sie, was ich hier für Sie habe. Einen USB-Stick mit all unseren Daten vom letzten großen Kongress.«
Dann versuchen sie, »gut« zu sein, und manche versuchen sogar, mit fragwürdigen Mitteln besonders »gut« zu sein. Ich erinnere mich an einen hektischen Tag in der neurologischen Ambulanz. Wie am Fließband musste ich Patienten untersuchen. Natürlich musste ich für jeden einzelnen die volle Konzentration aufbringen, die jeder von ihnen auch verdiente. Ausgerechnet in dieser Situation sprach mich im Ambulanzbereich eine Pharmareferentin an. Sie bat, mit mir sprechen zu dürfen, nur ein paar Minuten. Ich sagte ihr, dass jetzt gerade viel zu tun sei, wie sie übrigens selbst gut erkennen könnte, und dass sie gerne warten könne, ich ihr aber nicht versprechen könnte, dass ich später Zeit haben würde.
Die Pharmareferenten warten aber immer. Auch diese Pharmareferentin wartete. Zwei oder drei Stunden lang. Es tat mir, ähnlich wie bei den vielen Patienten, die oft stundenlang warten müssen, leid. Ich lasse niemanden gerne warten.
Schließlich ergab sich eine ruhige Minute. Ich bat sie in den Untersuchungsraum, bot ihr einen Platz an und setzte mich ihr gegenüber. Ihr Blick schweifte kurz zur Tür. »Könnten Sie die Tür schließen?«, sagte sie.
Ich kam ihrem Wunsch nach, schloss die Tür und fragte auch ein wenig neugierig, welche Daten, welche Neuigkeiten sie mir denn präsentieren wollte.
Erst jetzt nahm ich ihre langen Beine wahr. Sie trug einen sehr kurzen Rock, saß mit übereinandergeschlagenen Beinen und auffällig weit geöffneter Bluse vor mir. Sie druckste herum. »Ich weiß nicht, wie ich die richtigen Worte finden soll«, sagte sie und fing mit ihrer Halskette über ihrem Dekolleté zu spielen an. Sie wirkte ein wenig nervös, spielte aber gekonnt mit ihren Reizen, ihrer Weiblichkeit.
Ich war irritiert und fragte: »Die richtigen Worte? Was meinen Sie?« Es verstrichen einige Sekunden. Ihre Stimme klang belegt.
»Ich bekomme langsam Probleme in der Firma. Es ist uns bekannt, dass hier unser Medikament … wie soll ich es ausdrücken? Es ist uns bekannt, dass Sie und Ihre Kollegen unser Medikament nicht sehr häufig verschreiben.«
Sie räusperte sich kurz: »Was kann ich für Sie ganz persönlich tun, damit Sie mehr von unserem Medikament verschreiben?«
Ich hoffte, dass ich sie missverstanden hatte. »Wie bitte?«, fragte ich.
»Naja, Sie werden wohl nicht leugnen, dass Sie wenig von unserem Medikament verschreiben«, sagte sie.
»Woher haben Sie diese Information?«, fragte ich sie.
Sie beugte sich über den Tisch vor und dabei baumelte ihre goldene Kette hin und her. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber seien Sie doch bitte ehrlich: Es stimmt doch, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. »Selbst wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht sagen. Ich kläre meine Patienten jeweils umfassend über Vor- und Nachteile aller zur Verfügung stehenden Medikamente auf und dann lasse ich meine Patienten zwischen an sich gleichwertigen Medikamenten selbst entscheiden.
»Im Ernst?«, fragte sie. »Sie lassen Ihre Patienten entscheiden, welches Medikament Sie bekommen?« Ihre Frage hatte einen gewissen vorwurfsvollen Unterton.
«Ja, wenn es mehrere Medikamente gibt, die aus meiner Sicht gleichwertig sind, tue ich das.«
Sie lehnte sich wieder zurück und strich über ihre langen Haare. »Sie wissen sicher, dass auch ich meine Vorgaben habe«, sagte sie. »Deshalb möchte ich Ihnen bei der Entscheidung helfen, mehr von unserem Medikament zu verschreiben.«
Ihre Kette lag auf ihrem Dekolleté. Der Ausschnitt war tief. Sie wartete offensichtlich auf meine Reaktion. Stille.
Ich stand wortlos auf, ging zur Tür, bat eine Krankenschwester in den Raum und ersuchte die Pharmareferentin, alles, was sie gesagt hatte, zu wiederholen. Prompt verließ sie mit ihren Stöckelschuhen den Raum.
Das Deckmäntelchen Fortbildung
Ein beliebtes Mittel der Pharmareferenten bei der Manipulation von Ärzten sind Einladungen zu Fortbildungsveranstaltungen.
Ärzte unterliegen in fast jedem Land der Welt einer Fort- und Weiterbildungspflicht. Sie müssen nachweisen können, dass sie diese Pflicht erfüllen. Zu diesem Zweck dient üblicherweise eine Bestätigung über die erfolgte Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung. Hierfür erhalten die Teilnehmer Punkte, sogenannte CMEs (Anm. Continuing Medical Education). Von diesen CMEs müssen sie eine festgelegte Anzahl während einer bestimmten Evaluierungsperiode erwerben. Wer seiner Fortbildungsund Weiterbildungspflicht nicht nachkommt, riskiert viel. Wer sich nicht regelmäßig zertifiziert, kann unter anderem auch ein Berufsverbot riskieren.
Diese Pflicht zur ständigen Fortbildung nutzt die Pharmaindustrie für sich. Denn einen Großteil dieser CMEs können Ärzte nur durch Kongressbesuche erwerben. Diese Besuche kosten eine Menge Geld. Die Reisekosten und Teilnahmegebühren eines solchen Kongresses verschlingen gut und gern ein halbes bis ein ganzes Monatsgehalt eines durchschnittlich verdienenden Arztes. Die Pharmakonzerne haben diesen Teufelskreis, oder besser noch, diese »Kostenspirale« wahrscheinlich selbst angekurbelt, indem sie sehr großzügig die Kosten für die Reise- und Teilnahmegebühren für viele Kongressteilnehmer übernahmen. Nachdem sich nur mehr wenige die Kosten selbst zahlten, explodierten die Kosten. Mittlerweile sind diese unverschämt hoch und stehen in keinerlei Relation zum mageren Kongressprogramm, das zunehmend auch durch die Geldgeber und Sponsoren, das heißt die Pharmakonzerne, diktiert scheint. Schließlich sorgen die Pharmakonzerne ja für volle Kongresshallen und karren aus aller Herren Länder und Kontinente Ärzte herbei, damit der jeweilige Kongress auch ein voller Erfolg für die Kongressveranstalter wird. Die Kongressveranstalter sind in der Regel medizinische Fachgesellschaften, die aber auf das Geld von ihren Sponsoren, das heißt der Pharmakonzerne, angewiesen sind. Sowohl die Kongressbesucher als auch die Kongressveranstalter profitieren scheinbar von diesem Dreiecksverhältnis: einladende Ärzte – geladene Ärzte – Pharmakonzerne.
Es handelt sich um ein wirtschaftliches Abhängigkeitsverhältnis der kongressveranstaltenden Ärzte beziehungsweise medizinischen Fachgesellschaften auf der einen Seite und der eingeladenen Ärzte, das heißt Kongressbesucher, auf der anderen Seite. Die Pharmakonzerne scheinen nahezu alles zu finanzieren.
Manche Ärzte beugen sich dem dabei entstehenden Druck und belügen sich selbst, dass die Wirkung des einen Medikaments doch ohnedies gleich wie die des anderen Medikaments ist. Schließlich wäre man ja nicht der einzige Arzt, der es verschreibt, und außerdem gäbe es ja genügend klinische Studien, die die Wirkung des Medikaments eindrucksvoll belegen. Zumindest hat einem das der Pharmareferent bereits mehrmals mit den bunten Hochglanzbroschüren und Powerpoint-Präsentationen erklärt. Aber der Selbstbetrug kann noch viel weiter gehen.
In einer kleinen Diskussionsrunde zu dritt besprachen wir ein bestimmtes Medikament für Multiple Sklerose-Patienten, das von einem Pharmakonzern sehr stark beworben wird. Die Therapiekosten betragen mehr als 2000 Euro pro Patient und pro Monat, das heißt knapp 30.000 Euro pro Patient und Jahr. Der Preis ist hoch, ja für mein Dafürhalten sogar unverschämt hoch und aufgrund der bescheidenen Wirkung und dem hohen möglichen Nebenwirkungspotential auch nicht gerechtfertigt. Aber das Medikament sichert seinem Pharmakonzern jährliche Milliardenumsätze. Es wird durch geschicktes Marketing weltweit sehr viel verschrieben.
Einige meiner Kollegen und ich hatten Vorbehalte. »Ich würde meinen Patienten kein Medikament verschreiben, das ich nicht selbst bereit wäre, einzunehmen. Außerdem bringt es keine merklichen Verbesserungen, im Gegenteil. Ich habe sogar den Eindruck, dass sich manche Patienten langsam aber sicher sogar etwas verschlechtern. Außerdem hat das Präparat erhebliche Nebenwirkungen und die Langzeitfolgen sind noch unbekannt. Wir wissen in Wirklichkeit noch gar nicht, was wir unseren Patienten antun«, meinte ich.
»Das sehe ich auch so«, sagte eine Kollegin. »Ich habe auch keine guten Erfahrungen damit gemacht.«
»Naja«, sagte der Dritte in der Runde schließlich. »Vielleicht tun wir dem Medikament unrecht. So schlecht ist das Medikament gar nicht, und die Studien zeigen hervorragende Zahlen. Es ist nur eine Frage des Standpunktes. Vielleicht solltet ihr eure Ansicht nachschärfen?«
Verwundert sah ich ihn an. »Was meinst du mit ›nachschärfen‹?«, fragte ich ihn.
Ich war wirklich irritiert. Denn was verschrieben wir im Endeffekt? Wohl die Medikamente, die wir nach Abschätzen von Nutzen und Risiko am ehesten nach bestem Wissen und Gewissen empfehlen konnten.
Er druckste herum. »Ich meine nur, dass ich sehr wohl noch Patienten mit dem Medikament einstellen werde. Da es ja an sich kein so schlechtes Medikament ist«, sagte er.
Den nächsten großen Kongress in Übersee besuchte er auf Kosten des Pharmakonzerns, der das Medikament vertreibt.
Die Pharmareferenten können bei ihren Einladungen nicht nur auf den Bedarf der Ärzte an CMEs setzen, sondern auch auf tolle Reiseziele. Wer wollte denn nicht schon einmal fremde Städte und Länder sehen?
Als Beispiel ein Gespräch, das ich mit einer Pharmareferentin eines der Global Players der Branche führte. Sie hatte sich für ein ganz normales Informationsgespräch angemeldet. Ich dachte, dass sie mich abermals, wie so oft zuvor, über die »neuesten Daten und Informationen« über das Produkt ihres Pharmakonzerns informieren wollte.
Kurzum, ich kannte sie als altgediente Mitarbeiterin dieses Global Players schon lange. Ihr Auftrag bestand schon viele Jahre darin, mich über ein Medikament, das zur Behandlung von Multiple Sklerose-Patienten zugelassen ist, zu informieren und davon zu überzeugen, das Medikament »großzügig« einzusetzen. Obwohl ich bei diesen Besuchen so gut wie nie etwas für mich Neues erfuhr, empfing ich sie trotzdem immer wieder, weil es irgendwie zum gelebten Alltag und zum guten Ton gehörte und insbesondere weil ich nicht unhöflich sein wollte.
Sie selbst trat immer professionell auf und versuchte trotz des korrekt höflichen Umgangs, meine »beste Freundin« zu verkörpern, Nähe und Vertraulichkeit auszustrahlen. Ihre kommunikativen Fähigkeiten waren Resultat langjähriger Schulungen, Seminare und Sprachtrainings, wie sie mir selbst einmal erzählte. Zudem war mir diese Pharmareferentin auch sympathisch und wir hatten nach vielen Produktinformationsgesprächen bereits eine gute zwischenmenschliche Gesprächsbasis.
Gerade als ich eine Minute durchatmen konnte, klopfte sie an der offenen Türe und trat in mein Arbeitszimmer. »Guten Tag, Herr Dr. Aboulenein«, sagte sie. »Etwas hektisch heute, oder?«
»Wie immer, wenn Sie kommen«, sagte ich und schüttelte ihre Hand.
Das Patientenaufommen war an diesem Tag tatsächlich besonders hoch. Ich wollte, dass sie mir möglichst schnell ihre Neuigkeiten erzählte, damit ich mich wieder dem nächsten Patienten widmen konnte, den ich bereits aufrufen ließ. Die Neuigkeiten waren immer »brandaktuell«, »druckfrisch« oder noch »fast geheim«.
»Bei so viel Hektik müssen Sie doch auch einmal ausspannen, Herr Doktor«, sagte sie. »Wollen Sie nicht heuer zur AAN fahren?«
Die AAN ist das größte jährliche Treffen der amerikanischen Gesellschaft für Neurologie und steht für American Academy of Neurology. Nachdem die meisten großen klinisch-wissenschaftlichen Studien, die bei diesem Kongress präsentiert werden, ohnehin zumeist immer schon alle publiziert und über die öffentlichen Wissenschaftsdatenbanken gut zugänglich sind, ist eine persönliche Anreise auch für sehr fortbildungsbewusste Ärzte nicht zwingend notwendig und auch strapaziös.
»Nein, danke«, sagte ich.
Doch eben weil sie mich kannte, hatte die Pharmareferentin offenbar schon mit dieser Antwort gerechnet. »Ich habe da etwas ganz Besonderes für Sie«, sagte sie. »Wissen Sie, wo der Kongress heuer stattfindet?«
Das wusste ich. Die AAN hielt ihr jährliches Treffen in diesem Jahr in Hawaii ab. »Ich surfe nicht«, sagte ich, »und sollte ich es doch einmal lernen wollen, fliege ich privat hin.« Das sagte ich, um darauf anzuspielen, dass ich sehr wohl wusste, wo heuer der Tagungsort der 63. Jahrestagung der amerikanischen Gesellschaft für Neurologie sein würde: im Convention Center in Honolulu, am anderen Ende der Welt, mitten im Pazifischen Ozean.
»Sie brauchen sich aber wirklich nicht zurückzuhalten«, sagte die Pharmareferentin. »Sie betreuen sehr viele Patienten hier und Sie bringen die Zahlen. Mit Ihren Verschreibungszahlen bekomme ich das bei der Firma jederzeit durch. Nein, vielmehr habe ich es bereits für Sie durchgebracht. Normalerweise kriegen solche Einladungen nur die ganz Großen.«
Meine Sympathie für sie schwand. Ich erschauderte innerlich bei dem Gedanken, dass sie nur einen Arzt sah, der für sie und ihre Firma die Zahlen brachte, um mir einen Flug nach Hawaii hin und retour plus Aufenthalt in einem sehr schönen Hotel zu bezahlen. Allein die Teilnahmegebühr für den Kongress sollte rund 500 Euro betragen. »Das kommt für mich wirklich nicht in Frage«, sagte ich.
»Überlegen Sie doch einmal anders. Sie können ja annehmen, sich die AAN ansehen, Ihre Partnerin mitnehmen und dann noch die eine oder andere Woche anhängen. Hiermit ist ein Großteil der Kosten ja schon gedeckt. So billig kommen Sie nie wieder nach Hawaii! Viele machen es so. Das hört sich doch gut an, oder?«
Sie ließ nicht locker. Woher wusste sie, dass ich liiert war? Ich hatte noch nie über Privates mit Pharmareferenten gesprochen, außerdem trug ich keinen Ring. Aber vielleicht hatte sie einfach nur aufs Geratewohl geraten und ins Schwarze getroffen. Sei es, wie es sei, für eine Grundsatzdiskussion hatte ich weder Lust noch Laune und vor allem keine Zeit. Wie gesagt, auch an diesem Tag platzte die Ambulanz förmlich aus allen Nähten. Ein kurzes, höfliches, aber sehr bestimmtes »Nein, danke« trennte uns schließlich.
In diesem Jahr, es war 2011, waren rund 10.000 Ärzte aus aller Welt auf der AAN. Wie viele davon ihre Reise, Aufenthalt und Kongressgebühr wirklich aus eigener Tasche selbst bezahlten, ist unklar. Man darf aber aus guten Gründen vermuten, dass es weniger als eine Handvoll waren. Wie viele noch einen kleinen Urlaub angehängt haben, mit Partnerin oder Partner, weiß ich nicht.
Die legale Korruption
Worum es Pharmakonzernen bei solchen Einladungen geht, ist meines Erachtens klar: Sie wollen die Ärzte auf ihre Seite ziehen. Sie wollen sie informieren, das heißt so beeinflussen, dass sie ihre Entscheidungen bei der Verschreibung von Medikamenten zu Gunsten ihrer Produkte treffen. Das klingt wie ein legitimes Anliegen eines von seiner Natur her zu Recht an Umsatz und Gewinn orientierten Unternehmens, ist es aber nicht. Denn Medikamente sind eben kein Produkt wie jedes andere. Bei Medikamenten ist jegliche Manipulation, die eine Abwendung vom Prinzip der bestmöglichen Behandlung der Patienten hin zu einem kommerziell motivierten Prinzip hat, ein Verstoß gegen eherne ethische Grundsätze. Das gilt für Ärzte, die sich überzeugen lassen, und im Prinzip genauso für Pharmareferenten, die Ärzte zu überzeugen versuchen, das von ihnen vorgestellte Medikament besonders häufig zu verschreiben. Auch wenn dies von ihrem Arbeitgeber verlangt wird und für ihre Karriereplanung förderlich ist und natürlich noch innerhalb des rechtlichen Rahmens stattfindet.
Jeder Mensch lotet die gegebenen Grenzen aus. Dies beginnt bereits in unserer frühesten Kindheit und endet eben irgendwann einmal auch bei den großen Konzernen, die selbstverständlich ihre Möglichkeiten in den vorgegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen ausschöpfen. Damit scheint sehr wohl das sogenannte Unrechtsbewusstsein zu schwinden.
Um fair zu bleiben, möchte ich auch klar und deutlich sagen, dass Pharmareferenten die von ihnen vertriebenen Produkte und von ihnen präsentierten Studien gar nicht selbst beurteilen können. Sie können sich sehr oft gar kein eigenes Bild von dem Produkt, das sie verkaufen sollen, machen. Sie sind auf die Informationen ihres Auftraggebers, das heißt ihres Konzerns, voll und ganz angewiesen. Dies erklärt auch, neben den guten Verdienstmöglichkeiten, die Loyalität, die sie ihren Pharmakonzernen gegenüber an den Tag legen.
Allerdings sehe ich bei den allermeisten Pharmareferenten, die klare Auflagen und Vorgaben ihres Arbeitgebers haben und erfüllen müssen, kein Unrechtsbewusstsein. Sie wissen es nicht besser und sie sehen das Unrecht nicht, weil sie die Fakten nicht beurteilen können. Sie machen einfach ihren Job – im Rahmen ihrer Fähigkeiten und ihres Urteilsvermögens.
Dies gilt aber sicher nicht für alle Pharmareferenten, wie folgendes Gespräch zwischen mir und einer Pharmareferentin zeigt.
Auch sie kam unangemeldet. Trotzdem war es mir möglich, mit ihr kurz zu sprechen, da keine weiteren Patienten warteten. Auch sie bot mir eine kostenlose Reise zu einer Fortbildungsveranstaltung an. In diesem Fall ging es um einen Kongress in Australien, den World Congress of Neurologists in Sydney. »Ich fliege ohnedies nach Australien, allerdings eine Woche später«, sagte ich zu ihr. »Ich besuche meine Großtante, die dort lebt. Zweimal fliegen geht sich zeitlich nicht aus.«
Auch sie wies auf meine Möglichkeiten hin, das Berufliche zu meinem Vorteil mit dem Privaten zu verbinden. »Dann fliegen Sie doch einfach früher zu Ihrer Großtante. Sidney wäre doch etwas!«, sagte sie. »Dann haben Sie schon die Reisekosten herinnen und wenn Sie beim Kongress einmal nicht da sind, sollte dies ja auch kein Problem sein. Sie kennen sich in der Materie ja ohnedies aus.« Abermals pinselte eine Pharmareferentin meinen Bauch.
»Sie wissen doch, wie ich über diese Dinge denke«, sagte ich.
Sie winkte ab. »Ach was, Sie sind da immer so strikt, obwohl doch längst alles in Ordnung ist. Es ist alles legal. Niemand würde mehr gegen Gesetze verstoßen. Das kann sich niemand mehr leisten. Die Verhältnisse, die früher geherrscht haben, gibt es schon längst nicht mehr. Speziell meine Firma hat sehr viel für die Compliance gemacht und aufgeräumt. Jetzt geht gar nichts mehr.«
»Aufgeräumt?«, fragte ich.
»Ach, Sie wissen doch, wie das früher war, als noch Kuverts über den Tisch gewandert sind.«
Ich stellte mich dumm. »Was war denn in den Kuverts?«, fragte ich.
Sie sah mich an, als wäre ich nicht ganz bei Trost. »Geld natürlich«, sagte sie, »was denn sonst?« Dann lachte sie. »Würden wir das heute noch so machen, würden wir alle vor dem Richter landen. Jetzt gibt es ja nicht einmal mehr die Geschenke.«
Tatsächlich haben auch bei den Pharmakonzernen wie in der gesamten Wirtschaft sogenannte Compliance-Regeln an Bedeutung gewonnen. Der britisch-schwedische Arzneimittelkonzern AstraZeneca etwa sorgte für Aufmerksamkeit, als er seine Lager ausmistete und Tassen, Kugelschreiber, Notizblöcke, all die kleinen Aufmerksamkeiten, die Pharmareferenten bei ihren Besuchen in Arztpraxen so gern hinterlassen, vernichtete.
Die Situation in Sachen Geschenke hat sich tatsächlich verbessert, doch wenn die Pharmareferenten wieder gehen, lassen sie noch immer gerne USB-Sticks, Kugelschreiber, Notizblöcke zurück, das heißt Utensilien für den alltäglichen Gebrauch. Früher gab es auch noch mit den Firmenlogos bedruckte Kühltaschen, Wasserbälle und Luftmatratzen. Wie auch immer, der Arbeitsplatz so manchen Arztes erinnert bisweilen an eine einzige Werbelandschaft verschiedener Pharmakonzerne.
Vor einigen Jahren fand ich nach den Weihnachtsfeiertagen eine hübsche Schatulle in meinem Postfach. Darin befand sich, edel verpackt wie eine teure Uhr, ein Laserpointer mit USB-Stick samt integrierter Fernbedienung für Powerpoint-Präsentationen. Die Schatulle war mit einer Weihnachtskarte eines Pharmareferenten versehen.
Bei seinem unvermeidlichen nächsten Besuch wollte ich ihm den Laserpointer zurückgeben. »Das geht nicht, Ihr Name ist ja eingraviert«, sagte er und lachte siegessicher.
Mir war die Gravur noch gar nicht aufgefallen. Ich schaute auf den Laserpointer und die zarte Gravur und musste feststellen, dass mein – zugegeben etwas komplizierter – Name falsch geschrieben war. Nun war ich felsenfest davon überzeugt, dass dem Pharmareferenten nichts anders übrig blieb, als den Laserpointer mitzunehmen und streckte ihm diesen entgegen. Für mich völlig unerwartet winkte er ab und lächelte süffisant: »Behalten Sie den Laserpointer ruhig. Mit Gravur hat die Firma keine Verwendung mehr dafür. Er gehört Ihnen. Sie geben den Laserpointer ohnehin nicht aus der Hand.« Er schnappte kurz nach Luft. »Außerdem ist es immer gut, einen Laserpointer in Reserve zu haben, vor allem, wenn man so viele Vorträge hält wie Sie.« Er grinste. »Ich bringe Ihnen gerne einen neuen Laserpointer mit korrekter Gravur mit. Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten.« Ich lehnte dankend ab. Nachdem ich ihn nicht bewegen konnte, den Laserpointer wieder mitzunehmen, landete das Ding in meiner Skurrilitätensammlung.
Doch um diese kleinen und manchmal etwas größeren so genannten »Give-aways« geht es gar nicht. Ein Pharmakonzern, der sich mit dem Verzicht darauf rühmt, pflegt nur die Fassade. Denn dass die gesamte Strategie der Pharmakonzerne und die einzige Aufgabe ihrer Referenten darauf hinausläuft, Ärzte mit wesentlich wertvolleren Zuwendungen zu überzeugen, ist nur allzu logisch. Anders würde es für sie ja keinerlei Sinn machen, hoch bezahlte Mitarbeiter in großer Zahl mit teuren Dienstwägen auf die Reise zu schicken und in Arztpraxen und Spitälern ein und aus zu gehen oder mit Ärzten auf Reisen rund um die Welt zu gehen.
Wenn heute keine Kuverts mehr über die Tische wandern und stattdessen um tausende Euros Kosten für Kongresse übernommen und Kongressreisen organisiert werden, macht dies für mein Dafürhalten wenig Unterschied. Vielleicht mag es für manche einfach besser aussehen, ändert aber nichts daran, dass es wie eine Provision wirkt.
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