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Kitabı oku: «Jenny», sayfa 3

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Auf Jenny hatte der neue Lehrer einen eigenthümlichen Eindruck gemacht. Weil Eduard ihn so hoch hielt, hatte sie im Voraus die günstigste Meinung für ihn gehegt, und als nun Reinhard in ihrem elterlichen Hause vorgestellt worden, hatten ihr sein Aeußeres und sein ganzes Wesen auf ungewohnte Weise Beachtung geboten. Weit über die gewöhnliche Größe, schlank und doch sehr kräftig gebaut, hatte er eine jener Gestalten, unter denen man sich die Ritter der deutschen Vorzeit zu denken pflegte. Hellbraunes, weiches Haar, und große blaue Augen, bei graden regelmäßigen Zügen, machten das Bild des Deutschen vollkommen, und ein Ausdruck von melancholischem Nachdenken gab ihm in Jenny’s Augen noch höhere Schönheit. Er bewegte sich ungezwungen, sprach mit einer ruhigen Würde, für die er fast zu jung schien, doch ließen sich seine große Abgeschlossenheit, seine sichtbare Zurückhaltung nicht verkennen, die er selbst der Freundlichkeit entgegensetzte, mit der man ihn im Meierschen Hause empfing. Therese und Jenny, welche man ihm als seine künftigen Schülerinnen vorstellte, behandelte er mit einer Art Herablassung, die Therese nicht bemerkte, von der aber Jenny, durch die Huldigungen Steinheim’s und Erlau’s bereits verwöhnt, sich so betroffen fühlte, daß sie ganz gegen ihre sonstige Weise sich scheu zurückzog und weder durch Reinhard’s Fragen, noch durch Eduard’s und der Eltern Zureden in das Gespräch und aus ihrer Befangenheit gebracht werden konnte.

Nach einigen Tagen hatte der Unterricht begonnen, und beide Theile waren sehr mit einander zufrieden gewesen. Reinhard fühlte sich durch die ursprüngliche Frische in Jenny’s Geist angenehm überrascht, und die ruhige, stille Aufmerksamkeit Theresens machte ihm Freude. Was Jene plötzlich und schnell erfaßte, mußte diese sich erst sorgsam zurechtlegen und klar machen, dann aber blieb es ihr ein liebes, mühsam erworbenes Gut, dessen sie sich innig freute, während Jenny des neuen Besitzes nicht mehr achtete, wenn er ihr Eigenthum geworden war, und immer eifriger nach neuen Kenntnissen strebte. Diese unruhige Eile machte, daß sie sich ihres geistigen Reichthums kaum bewußt ward und sich und Andere damit in Verwunderung setzte, wenn sie gelegentlich veranlaßt wurde, ihn geltend zu machen.

Für Reinhard war der Unterricht doppelt anziehend. Er hatte wenig in Gesellschaften gelebt, wenig mit Frauen verkehrt, und ihr eigenthümliches Gemüthsleben, die ganze innere Welt desselben, war ihm fremd. Mit erhöhter Begeisterung las er die deutschen Klassiker mit den Mädchen, wenn er Jenny, hingerissen durch die Schönheit der Dichtung, roth werden und ihr Auge in Thränen schwimmen sah. So hatte er ihnen einst das erhabene Gespräch zwischen Faust und Gretchen vorgetragen, das mit den Worten beginnt: »Versprich mir, Heinrich!« und das schönste Glaubensbekenntniß eines hohen Geistes enthält. Reinhard selbst fühlte sich wie immer lebhaft davon ergriffen, und als Jenny bei den Versen: »Ich habe keinen Namen dafür! Gefühl ist Alles. Name ist Schall und Rauch, umnebelnd Himmelsglut!« weinend vor Wonne dem Lehrer beide Hände reichte, ihm zu danken, hatte er dieselben schnell und warm in die seinen geschlossen, obgleich er es einen Augenblick später schon bereute.

In Folge dieser Stunde und eines dadurch entspringenden Gesprächs war Reinhard zu der Erkenntniß gekommen, daß Jenny, obgleich tief durchdrungen von dem Gefühl für Schönheit und Recht und von dem zartesten Gewissen, dennoch in seinem Sinne aller religiösen Begriffe entbehrte. Ihre Familie hatte sich von den jüdischen Ritualgesetzen losgesagt; Jenny hatte daher von frühester Kindheit an sich gewöhnt, ebenso die Dogmen des Judenthums als die des Christenthums bezweifeln und verwerfen zu hören, und es war ihr nie eingefallen, daß es Naturen geben könne, denen der Glaube an eine positive geoffenbarte Religion Stütze und Bedürfniß sei. Ja, sie hatte ihn, wo ihr derselbe erschienen war, mitleidig wie eine geistige Schwäche betrachtet. Um so mehr mußte es sie befremden, daß Reinhard, vor dessen Geist und Charakter ihr Bruder so viel Verehrung hatte, daß ihr Lehrer, der ihr so werth geworden war, einen Glauben für den Mittelpunkt der Bildung hielt, den sie wie ein leeres Märchen, wie eine den wahren Kern verhüllende Allegorie zu betrachten gelernt hatte. Reinhard behauptete geradezu, daß ein weibliches Gemüth ohne festes Halten an Religion weder glücklich zu sein, noch glücklich zu machen vermöge. Absichtlich führte er deshalb die Unterhaltung mit seinen Schülerinnen häufig auf christlich-religiöse Gegenstände, so daß in seinem Unterricht Religion und Poesie Hand in Hand gingen, wodurch den Lehren des Christenthums ein leichter und gewinnender Einzug in Jenny’s Seele bereitet wurde.

Ihr und Reinhard unbewußt war aber mit dem neuen Glauben nur zu bald eine leidenschaftliche Liebe für den Lehrer desselben in des Mädchens Herzen entstanden, für den begeisterten jungen Mann, der ihr wie ein Apostel des Wahren und des Schönen gegenüberstand. Aus Liebe zu ihm zwang sie sich, die Zweifel zu unterdrücken, die immer wieder in ihrem Geiste gegen positive Religionen aufstiegen, und sich nur an die Morallehren zu halten, die dem Gläubigen in dem Christenthume geboten werden. Reinhard seinerseits hatte nicht eigentlich daran gedacht, seinem Glauben eine Proselytin zu gewinnen, diese Schwäche lag ihm fern, denn er ließ jeden Glauben gelten, weil er Geltung für den seinen forderte; nur einem dringenden Mangel in dem Herzen seiner Schülerin hatte er abhelfen wollen. Er war überzeugt, daß der Glaube in Jenny den geistigen Hochmuth zerstören, ihr Wesen milder machen müsse, und war sehr erfreut, wirklich diese Resultate zu erblicken, ohne zu ahnen, daß ihre weichere Stimmung, die er für das Werk der Religion gehalten, nur eine Folge ihrer Liebe zu ihm war. Jenny fühlte das Bedürfniß, an einen Gott zu glauben, der das Gute jenseits lohne, weil ihr kein Erdenglück für Reinhard ausreichend schien; sie wurde demüthiger, aber nicht im Hinblick auf Gott, sondern vor dem Geliebten; und der Gedanke, ihre Liebe könne jemals ein Ende finden, oder durch den Tod aufhören, machte sie so unglücklich, daß ihr die Hoffnung auf Unsterblichkeit und ein ewiges Leben wie der einzige Trost dagegen erscheinen mußte.

Den Eltern und Eduard blieb die vortheilhafte Veränderung in Jenny’s Wesen nicht verborgen, und wenn Eduard, was häufig geschah, mit Reinhard über die Schwester sprach, so verfehlte er nicht, es dankend anzuerkennen, wie wohlthuend des Freundes Unterricht auf Jenny wirke. Nur Joseph schien die Meinung nicht zu theilen.

Er wird eine schlechte Christin aus ihr machen, äußerte er gelegentlich, verweigerte es aber, sich näher darüber zu erklären, weil er ein Geheimniß nicht verrathen wollte, das ihn nur seine eifersüchtig wachende Liebe so früh hatte erkennen lassen.

So war Jenny in das sechszehnte Jahr getreten. Ihr Aeußeres hatte sich schön entwickelt, ihre Liebe zu Reinhard war von Tag zu Tag gewachsen, und es konnte nicht fehlen, daß sie mit der Hingebung, die sie dem jungen Lehrer in den Stunden bewies, einen Eindruck auf ihn machen mußte, den er vergebens mit allen Waffen der Vernunft bekämpfte. Denn welche Hoffnungen konnte er für die Neigung hegen, die er für Jenny zu fühlen begann? Selbst wenn die Eltern darin willigten, sie Christin werden zu lassen und sie ihm zur Frau zu geben, konnte er es wagen, das reiche, verwöhnte Mädchen in sein armes Haus zu führen? — So eigensüchtig durfte er nicht sein; und von den Unterstützungen ihres Vaters zu leben, zu wissen, daß seine Frau ihre behaglichen Verhältnisse nicht ihm allein verdanke, der Gedanke schien ihm, nach den Erfahrungen seiner Jugend, fast unerträglich. — Nach jeder Stunde nahm er sich vor, den Unterricht unter irgend einem Vorwande zu beendigen, um eine Liebe nicht tiefer in sich Wurzel fassen zu lassen, die kein Erfolg krönen konnte, die einmal aufgegangen, blitzesschnell und mächtig aufschoß, obwohl er sie mit festem Willen still in sich verschloß. Auch Jenny hielt sich scheu zurück. Aus Furcht, sich zu verrathen, ging sie, sobald der Unterricht vorüber, und ihre Familie oder Fremde zugegen waren, plötzlich aus ihrer Hingebung in eine fremdthuende Kälte über. Sie zeigte anscheinend für jeden Andern mehr Theilnahme als für Reinhard, und dieser blieb dann meistens an Theresens Seite, um im Gespräch mit ihr seine qualvolle Aufregung so gut als möglich zu verbergen.

Besonders war es Erlau, welcher Reinhard’s Eifersucht erregte. Mit ächtem Künstlerenthusiasmus bewunderte er Jenny’s erblühende Schönheit, und seine frohe, kecke Laune half dem jungen Mädchen oft über ihre Befangenheit und über all ihre Verwirrung fort. Es that ihr wohl, wenn Erlau sie ganz begeistert lobte; sie freute sich, wenn Reinhard es hörte, dessen scheinbare Gleichgültigkeit sie schmerzte, und während sie eifersüchtig auf Therese sich von dieser und von Reinhard fern hielt, suchte sie Erlau geflissentlich auf, der sich ohnehin gern in ihrer Nähe befand.

In solchen Stimmungen ließ sie sich von Steinheim bisweilen zu lebhaften Unterhaltungen hinreißen, in denen der Witz die Hauptrolle spielte, und die oft in eine Art von Neckereien und Scherzen übergingen, an denen Reinhard, seiner ganzen Natur nach, keinen Antheil zu nehmen vermochte. Jenny wußte das wohl, aber sie vermochte nicht, dem Geliebten die unangenehme Empfindung zu ersparen. Je theilnahmsloser und ferner er sich davon hielt, jemehr überzeugte sich Jenny, daß sie ihm ganz gleichgültig sei, und um so weniger sollte er eine Ahnung von ihrer Liebe erhalten. Nur vor Reinhard’s Mutter löste sich die Stimmung des jungen Mädchens zu seltener Weichheit auf.

So oft die Pfarrerin das Meiersche Haus besuchte, verließ Jenny augenblicklich die ganze übrige Gesellschaft, um sich ausschließlich der Pfarrerin zu weihen. Jedes Wort, das diese sprach, war ihr werth; stundenlang konnte sie ihr zuhören, wenn sie von der Kindheit ihres Sohnes erzählte, von den unzähligen Opfern, denen der Jüngling sich für sie unterzogen, von der immer gleichen Liebe, die der Mann ihr darbringe, und wie sie nichts sehnlicher wünsche, als den geliebten Sohn bald in Verhältnissen zu sehen, die es ihm möglich machten, an der Seite einer guten Frau das Glück zu finden, das Gott ihm gewiß gewähren müsse.

Jede solche Erzählung diente nur dazu, Jenny’s Liebe lebhafter anzufachen; und je deutlicher das Bewußtsein derselben in ihr wurde, je bestimmter der Wunsch in ihr hervortrat, Reinhard anzugehören, um so unerträglicher mußten ihr die Bewerbungen Joseph’s scheinen, die von den Wünschen ihrer Eltern unterstützt wurden.

* * *

An einem der Abende, welche Jenny’s Unterredung mit ihrer Mutter folgten, saßen Madame Meier, die Pfarrerin und Jenny in der Loge, welche ihr Vater für immer gemiethet hatte, um die berühmte Giovanolla zum ersten Male als Susanne im Figaro auftreten zu sehen. Der erste Act war vorüber, als Eduard mit Joseph und Hughes in der Loge erschien, den Letztern seiner Familie vorzustellen. Nach den ersten Worten flüchtiger Begrüßung fing man von der Oper, von der heutigen Aufführung, von der Sängerin, von dem Texte des Figaro, und endlich von Musik im Allgemeinen zu sprechen an. Eduard tadelte das abwechselnde Sprechen, und Singen in den Opern. Es muß Alles gesungen werden, sagte er, wenn es nicht einen sonderbaren Effect machen soll, daß Jemand im Momente höchster Aufregung sich plötzlich in der Rede unterbricht, ruhig ein paar Minuten wartet, bis die Einleitungstacte vorüber sind, und dann in demselben Affecte zu singen anfängt.

Du hast Recht, fiel Joseph ein, erst lehre aber unsere Sänger so deutlich singen, daß man sie verstehen kann! denn in hundert Fällen sind es die eingeschalteten Reden allein, aus denen man einigermaßen entnimmt, weßhalb die Leute auf der Bühne sich eigentlich ereifern.

Dabei werden diese Zwischengespräche auch so unverzeihlich leicht behandelt, daß man sie nur mit Widerwillen hört, fügte Hughes hinzu. Ich muß dabei an einen der ersten Tenoristen Deutschlands denken, den ich einst in einer Residenz Ihres Vaterlandes hörte, und der, als er den Fra Diavolo in ganz erträglichem Deutsch gesungen hatte, beim Sprechen in ein so reines Schwäbisch verfiel, daß es den possenhaftesten Eindruck machte.

Mich dünkt, wandte die Pfarrerin ein, als sei in der That bei der Musik das Wort die Nebensache, da Instrumentalmusik und namentlich die Töne der Orgel denselben Eindruck auf das Gefühl zu machen vermögen, als der Gesang.

Das möchte ich nicht behaupten, meinte Joseph, mich langweilt jedes Instrumentalconcert, und zu einer Kirchenmusik zu gehen, würde mich keine Macht der Welt bewegen.

Weil Du ein Verstandesmensch bist, rief Jenny aus, immer bereit, die Ansicht der Pfarrerin zu theilen und Joseph zu widersprechen, weil Du die Empfindung Anderer nicht kennst.

Oh! Deine Empfindungen und Gefühle z. B. kenne ich am Ende doch, warf Joseph neckend hin, aber mit einem Blick und einem Tone, der ihr das Blut zu Kopfe trieb.

Einen Augenblick schwieg sie bestürzt, dann nahm sie sich zusammen, und sagte zu Hughes: Glauben Sie nicht auch, daß die Musik der Worte entbehren könne?

Insofern bestimmt, als man gewiß sang, ehe man daran dachte, den Gesang mit der Sprache zu verbinden. Mir scheint es aber, als ob Musik und Dichtung so nahe zu einander gehören, daß man kaum sagen darf, die Dichtung könne der Musik, oder diese der Dichtung entbehren. So vollkommen jede Kunst für sich allein zu bestehen und zu entzücken vermag, so gibt es doch gar viele Fälle, in denen erst beide zusammen, sich ergänzend, zu dem vollendeten Ganzen werden, das uns begeistert.

Ich will doch lieber den Tasso ohne Musik hören, als den Figaro ohne Worte, lachte Joseph.

Was das nur wieder für ein Streit ist, sagte Eduard, der bis dahin mit seiner Mutter gesprochen und an der Unterhaltung nicht Theil genommen hatte. Wie oft hast Du, Joseph, mit großem Vergnügen der Aufführung der Ouverture gerade des Figaro zweimal hintereinander zugehört. Merken Sie es sich aber, lieber Hughes, daß meine Schwester und mein Vetter es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheinen, einander zu widersprechen, wenn es irgend angeht.

Jenny fürchtet, wir könnten sonst Mangel an Unterhaltung haben, und der Stoff würde ihr fehlen, unterbrach ihn Joseph, übrigens bin ich in der That nicht sehr empfänglich für Musik, obgleich ich sie recht gern habe.

Du brauchst Dich dessen nicht zu rühmen, flüsterte Jenny dem Cousin ins Ohr, als in dem Augenblick die Introduction zum zweiten Acte begann: Who is not moved with rapture on sweet sounds, is fit for treason, stratagem and spoil, let him not be trusted. —

Joseph war verletzt. Er verließ die Loge, die Uebrigen rückten leise die Stühle zurecht, um von dem Gesange der Sängerin nichts zu verlieren, und mit reinem, schönem Tone stimmte sie das »heilige Quelle meiner Triebe« an. Jenny bog sich einen Moment über die Brüstung der Loge hinaus, um sich nach ihren Bekannten umzusehen, und ihr erster Blick fiel auf Reinhard, dessen Augen sehnsüchtig an ihr hingen.

Seit der letzten Stunde, seit einigen Tagen hatte sie ihn nicht gesehen, der es schwer genug über sich gewonnen hatte, sie zu meiden. Sie mußte wenigstens von ihm hören, von ihm sprechen, darum hatte seine Mutter die Einladung zum Theater erhalten. Als Madame Meier und Jenny vor der Thüre der Pfarrerin vorfuhren, hatte Jenny das Herz vor Freude bei dem Gedanken gebebt, nun werde Reinhard, wie er pflegte, die Mutter hinunter geleiten — aber er kam nicht. — Nur das Dienstmädchen leuchtete vor, und der Meiersche Diener half der Matrone in den Wagen. Auf die Frage von Madame Meier, ob Herr Reinhard heute das Theater nicht auch besuche, hatte seine Mutter erwidert, ihr Sohn sei von dringenden Arbeiten so sehr in Anspruch genommen, daß er durchaus zu Hause bleiben müsse, und ihre Bitte, sich heute einmal Ruhe zu gönnen und den Figaro zu hören, habe er entschieden abgelehnt.

Damit war Jenny jede Hoffnung für den heutigen Abend genommen worden; sie hatte sich aber schwer genug in den Gedanken gefunden, und konnte nun kaum einen Schrei freudiger Ueberraschung zurückhalten, als sie den Geliebten plötzlich vor sich sah, als das Bewußtsein in ihr auftauchte, er, der so unverwandt zu ihr emporblickte, könne nur ihretwegen gekommen sein.

Und so war es in der That. Er hatte zu arbeiten versucht, aber das Bild der Geliebten war zwischen ihn und die Arbeit getreten. Er sah sie in glänzender Toilette, die sie liebte und in der sie so schön war. Er sah, wie das bleiche, feine Köpfchen, von langen dunkeln Locken beschattet, alle Blicke auf sich zog. — Es litt ihn nicht am Schreibtische. Unruhig schritt er im Zimmer umher; er überlegte, daß Erlau, der Bewunderer der Giovanolla, daß Steinheim gewiß im Theater sein, daß Erlau vermuthlich jetzt in der Loge neben Jenny sitzen würde. Was die Liebe allein nicht vermocht hatte, das errang die Eifersucht: er griff rasch nach Hut und Mantel, und war eine Viertelstunde später im Theater.

Erleichtert athmete er auf, als er die Männer nicht in ihrer Nähe bemerkte. Heute, nachdem er sie zwei Tage nicht gesehen, in denen er unaufhörlich an sie gedacht und die heißeste Sehnsucht empfunden hatte, heute schien sie ihm schöner und begehrenswerther, als je! Aber Alles lag trennend zwischen ihm und ihr: Religion und Verhältnisse, und vor Allem ihre Kälte. Ja! wenn er ihr mehr als nur ein Lehrer wäre, den sie hochhielt, wenn sie ein anderes Interesse für ihn hätte, wenn sie ihn liebte! Mit diesen Gedanken hingen seine Augen an ihr, als ihr Blick ihn traf, und das selige Entzücken in ihren Zügen, die glühende Röthe, die ihr Gesicht urplötzlich überflogen, gaben ihm eine Antwort, die ihm das Herz aufwallen machte. Hunderte von Menschen waren jetzt zwischen ihm und der Geliebten, und das Geständniß, das er im Alleinsein ihr nie zu machen gewagt hatte, jetzt war es seinem Herzen entschlüpft; die Zuversicht zu Jenny’s Liebe, auf die er bisher nie gehofft, jetzt vor hundert Zeugen war sie ihm geworden.

Das ist das Geheimniß der Liebe, daß sie zwei Herzen verbindet zu Einem, und diese absondert unter Tausenden; daß das Gefühl der erwiderten Liebe nicht der Worte, kaum des Blickes bedarf, um sich deutlich zu machen. Es ist, als ob die Liebe wie ein flüchtiger Aether dem einen Herzen entströme, um das andere zu erfüllen und zu beleben. Aber nur das geliebte, geöffnete Herz empfindet das Lebenswehen, das für es ausgeströmt wird. Die Uebrigen berührt der Strom von Jenseits nicht, und sie athmen ruhig die kalte Erdenluft, ohne zu ahnen, wie schnell und leicht und freudig zwei Herzen in ihrer Nähe klopfen.

Reinhard und Jenny waren allein mit einander, mitten in dem menschenvollen Raume. Nur für sie allein sang die Gräfin, nur um ihren stillen Gefühlen Worte zu geben, und wie zum Schwure blickten sie sich ernst und heilig in die Augen, und wiederholten innerlich: »Laß mich sterben, Gott der Liebe, oder lindre meinen Schmerz.«

Jenny, dem Kindesalter noch sehr nahe, wurde froh wie ein Kind, nachdem die Gewalt des ersten Eindruckes sich etwas vermindert hatte. Sie war glücklich in dem Bewußtsein, geliebt zu werden; sie hätte es dem ganzen Publicum zurufen mögen: meinetwegen ist er in das Theater gekommen, und er liebt mich! und doch hatte sie nicht den Muth, seiner Mutter zu sagen, daß er da sei, und daß sie ihn sähe. Ihr ganzes Gesicht lächelte schelmisch, als Cherubin kläglich fragte: »Sprecht, ist das Liebe, was hier so brennt?« Reinhardt wandte kein Auge von der Geliebten, und ein ganzer Frühling von Glück und Wonne blühte in seinem Herzen auf, als Jenny bei der wiederholten Frage: »Sprecht, ist das Liebe, was hier so brennt?« ihn muthwillig ansah, und ganz unmerklich für jeden Andern, ihm ein freundliches »Ja« mit den schönen Augen zunickte.

Bald war das Finale des zweiten Actes mit seinem rauschenden Prestissimo vorüber. Reinhard verließ seinen Platz, und eilte, in die Nähe der Geliebten zu kommen. Es war ihm, als müsse er nun in Einem Worte alles Leiden und Hoffen der letzten Monate vor ihr enthüllen, als müsse er sie an seine Brust schließen und ihr danken für das Glück, das sie ihm in dieser Stunde gegeben. Er hätte das zarte Mädchen auf seinem Arm forttragen mögen, sich durchkämpfend durch eine Welt von Hindernissen, um das süße Kleinod ganz allein zu besitzen, um es an einen Ort zu bringen, wo kein begehrender Blick Diejenige träfe, die sein Ein und Alles war.

Und als er die Thür der Loge geöffnet hatte, als Jenny sich umwendete, und er das Rauschen ihres seidenen Kleides hörte, da wußte er kein Wort zu sagen. Er sprach einige gleichgültige Dinge mit ihrer Mutter, hörte, wie seine Mutter sich freute, daß er noch so spät gekommen sei, und setzte sich schweigend neben Jenny nieder.

Sie fühlte das Peinliche seiner Lage und auch sie war befangener, als jemals. Endlich brachte sie stockend die Worte hervor: Ich habe Herrn Reinhard schon beim Beginn des zweiten Actes gesehen.

Und warum sagtest Du das nicht gleich? fragte ihre Mutter.

Ich dachte, ich wußte nicht, stotterte Jenny ganz verwirrt, bog sich zur Pfarrerin nieder, küßte ihr die Hand und bat, als ob sie ein Unrecht gut zu machen hätte: ach, sein Sie nicht böse!

Beide Frauen nahmen das lächelnd für eine von Jenny’s Launen, und gaben nicht weiter auf sie Acht, als abermals der Vorhang emporrollte und das Duett zwischen Susanna und dem Grafen ertönte.

Für Reinhard sang der Graf nicht vergebens: »So lang’ hab’ ich geschmachtet, ohn’ Hoffnung Dich geliebt«; er fühlte dabei die Trostlosigkeit der verflossenen Tage auf’s Neue, und Jenny konnte sie in dem beredten Ausdruck seines Auges lesen, ohne daß sie ein Wort mit einander zu sprechen brauchten. Sie fühlte mit Reinhard, als die Musik aufjubelte, bei der Stelle: »So athm’ ich denn in vollen Zügen der Liebe, der Liebe süßes Glück«, und Beide versanken mit dem Gefühle seliger Gewißheit in jene Träumereien, die wohl Jeder von uns gefühlt hat, wenn ein großes, heißersehntes Glück endlich von uns erreicht worden ist.

Die Oper war zu Ende, ehe das junge Paar es vermuthete. Reinhard bot Madame Meier den Arm, während Jenny mit seiner Mutter ging. In der Vorhalle traf man Eduard mit Hughes und Erlau, und verabredete, daß er die beiden Herren zum Thee mitbringen solle, zu dem Madame Meier auch die Pfarrerin und Reinhard einlud. Der Letztere geleitete die Damen zu ihrem Wagen, stieg mit ihnen hinein, und als sie wenige Augenblicke darauf in das Portal des Meierschen Hauses einfuhren, als er Jenny die Hand zum Aussteigen bot, und diese kleine Hand in der seinen bebte, konnte er es sich nicht versagen, sie leise zu drücken und zu halten, während sie die ersten Stufen der Treppe hinaufstiegen. So hält man ein Vögelchen fest, das man eben gefangen hat, weil man sich des Besitzes bewußt werden will, weil man fürchtet, es könne uns entfliehen; aber scheu und leicht, wie ein kleiner Vogel, machte Jenny ihre Hand frei, ging eilig die Treppe hinauf und in das Theezimmer, wohin Reinhard ihr folgte.

Der Vater brachte den Abend außer dem Hause zu; die Damen setzten sich also gleich an den Theetisch, und wenig Augenblicke später erschienen die erwarteten Herren.

Nun, was sagen Sie heute zur Giovanolla? fragte Erlau, sobald er Platz genommen hatte. Sie müssen gestehen, reizender, anmuthiger kann man nicht sein. Ich hätte nie geglaubt, daß es möglich sei, bei so großartiger Schönheit diesen Eindruck soubrettenhafter Koketterie zu machen, und sie hat sich heute in der Susanna als eine große Künstlerin gezeigt.

Ich denke, erwiderte Madame Meier, so gar viel Kunst bedarf sie nicht, um sich so darzustellen, als sie ist.

Im Gegentheil! das ist ja die schwerste Aufgabe, sich selbst zu spielen; aber diese hat sie nicht zu lösen gehabt, denn kokett ist die Giovanolla nicht. Wahrhaftig nicht! rief er, als die Andern zu lachen anfingen. Sie weiß, daß sie ein Ideal von Schönheit ist, und besitzt Großmuth genug, sich den Augen der staunenden Mitwelt in all der Vollendung zeigen zu wollen, deren sie fähig ist. Ich mußte heute bei jeder ihrer Bewegungen meine Freude zurückhalten, um nicht fortwährend den Leuten zuzurufen, daß sie ein klassisches Modell vor Augen hätten. O! ich habe im Geiste die wundervollsten Studien gemacht, und die Nachwelt soll sich noch am Bilde dieses Weibes erfreuen, wenn mein Talent mit meinem Willen gleichen Schritt hält.

Während Du an die Nachwelt dachtest, sagte Eduard, überlegte ich, daß es wohl keine größere Thorheit gibt, als die Jugend an solchen Darstellungen Theil nehmen zu lassen, in denen die Sitten einer sittenlosen, verderbten Vorzeit so anmuthig und so einschmeichelnd dargestellt werden.

Der Meinung bin ich auch, bekräftigte Reinhard. Ich will nicht leugnen, daß dieser Abend zu den schönsten meines Lebens gehört, so viel Freude hat er mir gebracht, und doch peinigte es mich, die Logen voll von jungen Damen zu sehen.

Damit tadeln Sie mich, lieber Reinhard! unterbrach ihn Jenny’s Mutter. Sie wollen mir sagen, was Eduard schon mitunter äußerte, daß wir Mütter mit der Erziehung unserer Töchter nicht sorgfältig genug zu Werke gehen. Ich glaube aber, daß es dem reinen Sinn eines unverdorbenen Mädchens eigen ist, an einem schönen Bilde nur die Schönheit, und nicht gleich die Flecken und Fehler zu sehen, die es entstellen. Darum haben mein Mann und ich nie Bedenken getragen, unserer Tochter manches Buch in die Hände zu geben, sie an manchen Dingen Theil nehmen zu lassen, die man ihrem Alter sonst vorenthält.

Gewiß ist das häusliche Beispiel und die innere Seelenbildung die Hauptsache bei weiblicher Erziehung, sagte Hughes. Sonst müßten ja in Frankreich, wo man die Mädchen bis zu ihrer Verheirathung in klösterlicher Einsamkeit hält, die Sitten besser sein, als bei uns in England und hier in Deutschland, wo man der Jugend viel größere Freiheit verstattet; und gerade hier beweist doch die Erfahrung, daß die französische Zurückgezogenheit keine lobenswerthen Erfolge aufweist.

Weil in Frankreich der ganze Zustand der Gesellschaft ein verderbter, ein aufgelöster ist; weil die Bande der Ehe dort locker geworden sind, und das Haus, die Familie aufgehört haben, der Mittelpunkt zu sein, von dem Alles ausgeht. Was kann es nützen, ein Mädchen in den strengsten Grundsätzen zu erziehen, wenn der erste Schritt ins Leben ihr zeigt, daß weder ihre Eltern, noch ihr Gatte an diese Grundsätze glauben; wenn sich das junge, liebebedürftige Herz verrathen sieht, vielleicht um einer Tänzerin willen, die nicht werth ist, der Schuldlosen die Schuhriemen zu lösen. Wenn dann das böse Beispiel dazu kommt, das die sogenannten modernen Romane und das Theater bieten, da braucht man sich freilich über die Erfolge in Frankreich nicht zu wundern, eiferte Eduard.

Aber bei uns, mein Sohn! wandte seine Mutter ein, ist doch der Zustand der Frauen und der Gesellschaft überhaupt ein ganz anderer. Deshalb scheint mir, Du übertreibest den Nachtheil, den Theater und dergleichen auf junge Gemüther ausübt, und wir Deutschen können unseren Töchtern ruhig diese Genüsse gewähren.

Im Gegentheil, liebe Mutter! weil bei uns der Mann sein Haus noch für den Tempel seines Glückes, die geliebte Frau für die Hohepriesterin desselben hält, weil er Ruhm, Ehre und Alles, was er ist und erwirbt, diesem Tempel und seiner Priesterin darbringt, weil sein Hoffen und Fürchten in diesen Kreis gebannt ist und er immer wieder dahin zurückkehrt, sobald das Leben mit seinen gebieterischen Forderungen ihn frei läßt; darum haben wir deutschen Männer ein Recht, zu verlangen, daß auch kein unreiner Hauch die Seele eines Mädchens berühre, dem so viel geopfert wird.

Und wie hoch, wie heilig ist uns das Mädchen, das wir lieben! rief plötzlich Reinhard, der bis dahin schweigend zugehört hatte, als ob er aus tiefen Gedanken zu sich käme. Wenn ein Mädchen wüßte, wie schwer und heftig der Kampf ist, den der Mann zu kämpfen hat, ehe er willig und für immer auf seine Ungebundenheit verzichtet, ehe er seine Freiheit opfert! Nur einem Wesen, das man mehr liebt als sich selbst, das man gleich einer Gottheit heilig hält, kann man so unterthan werden, als die Liebe es uns dem Weibe macht. Wer aber ertrüge den Gedanken, daß die Gottheit unsres Herzens unwürdigen Festen beiwohnt? Wer wollte es ruhig ansehen, daß ihr Auge von unreinem Anblick berührt würde? Ich könnte mein Leben daran setzen, der Geliebten eine solche Entweihung zu ersparen; und ein Mädchen, das wahrhaft liebt, das die Liebe, die hingebende, die anbetende Liebe eines Mannes zu begreifen vermag, das in sich auch den Geliebten achtet, muß nothwendig und freiwillig Allem entsagen, was diesen und sie zugleich verletzt. Wer es gefühlt hat, wie wahre Liebe das Männerherz reinigt und veredelt, dem muß es wehe thun, wenn die Mädchen selber sich um den Nimbus bringen, den Sittenreinheit um sie hervorzaubert, und der sie unserm Herzen gerade so theuer macht.

Er hatte noch nicht geendet, als sein Auge auf die neben ihm sitzende Jenny fiel, die sich hinter der dampfenden Samovare verbarg und vor Bewegung kaum den Thee zu bereiten vermochte. Er fühlte den bittern Tadel, den er unwillkürlich auch gegen die Geliebte ausgesprochen hatte; er wollte einlenken, aber er vermochte es nicht, denn es war seine innerste Ueberzeugung gewesen, die er ausgesprochen hatte. So viel Glück ihm der heutige Abend im Theater gewährt, so weh that es ihm doch, daß ein so schlüpferiges, sittenloses Stück, so leichtfertige Gesänge, zum Boten seiner Liebe bei Jenny geworden waren. Das war der Unterschied zwischen ihm und ihr, daß sie, aufgezogen in den Begriffen der sogenannten großen Welt, trotz ihrer sittlichen Seele, das Gefühl für die Sittenlosigkeit mancher Verhältnisse verloren hatte, oder daß es nicht zum Bewußtsein in ihr gekommen war. Der Figaro, Don Juan und vieles Andere, waren ihr Dinge, an denen sie sich von Kindheit auf erfreut hatte, ohne an das Gute und Böse daran zu denken, und das war ein Zustand, in den weder Eduard noch Reinhard sich zu versetzen vermochten.