Kitabı oku: «Ein Kampf um Rom», sayfa 7
FÜNFTES KAPITEL
Begreiflicherweise bedurfte es, um solchen Einfluß zu gewinnen und zu pflegen, häufigeren Aufenthalts am Hof, längerer Abwesenheit von Rom, als seine dortigen Interessen vertrugen. Deshalb strebte er danach, in die Nähe der Königin Persönlichkeiten zu bringen, die ihm diese Mühe zum Teil ersparen könnten, die ihn immer gut unterrichten und warm vertreten sollten. Die Frauen von mehreren gotischen Edeln, welche grollend Ravenna verließen, mußten in der Umgebung Amalaswinthens ersetzt werden, und Cethegus trug sich mit dem Gedanken, bei dieser Gelegenheit Rusticiana, die Tochter des Symmachus, die Witwe des Boëthius, an den Hof zu bringen. Die Aufgabe war nicht leicht. Denn die Familie dieser als Hochverräter hingerichteten Männer war in Ungnade aus der Königsstadt verbannt. Vor allem mußte daher die Königin umgestimmt werden für sie.
Dies freilich gelang alsbald, indem die Großmut der edlen Frau gegen das so tief gefallene Haus wachgerufen wurde. Dazu kam, daß sie an die niemals vollbewiesene Schuld von zwei edlen Römern nie von Herzen hatte glauben mögen, deren einen, den Gatten Rusticianas, sie als großen Gelehrten und in manchen Gebieten als ihren Lehrer verehrte. Endlich wußte Cethegus zu betonen, wie gerade diese Tat, sei es der Gerechtigkeit, sei es der Gnade, die Herzen all’ ihrer römischen Untertanen rühren müsse. So war die Regentin leicht gewonnen, Gnade zu erteilen. Viel schwerer ward die stolze und leidenschaftliche Witwe des Verurteilten bewogen, diese Gnade anzunehmen. Denn Wut und Rachedurst gegen das Königshaus erfüllten ihre ganze Seele, und Cethegus mußte sogar fürchten, ihr unbeherrschbarer Haß könnte sich in der steten Nähe der »Tyrannen« leicht verraten. Wiederholt hatte Rusticiana trotz all seiner sonst so großen Gewalt über sie dieses Ansinnen zurückgewiesen.
Da machten sie eines Tages eine sehr überraschende Entdeckung, die zur Erfüllung der Wünsche des Präfekten führen sollte.
Rusticiana hatte eine kaum sechzehnjährige Tochter, Kamilla. Aus ihrem echt römischen Gesicht mit den edeln Schläfen und den schöngeschnittenen Lippen leuchteten dunkle, schwärmerische Augen: der eben erst vollendete Wuchs zeigte feine, fast allzu zarte Formen, rasch und leicht und fein wie einer Gazelle waren alle Bewegungen dieser schlanken Glieder. Eine reiche Seele mit schwungvoller Phantasie lebte in dem lieblichen Mädchen. Mit aller Inbrunst kindlicher Verehrung hatte sie ihren unglücklichen Vater geliebt: der Streich, der sein teures Haupt getroffen, hatte tief in das Leben des heranblühenden Mädchens geschlagen; ungestillte Trauer, heilige Wehmut, mit der sich die leidenschaftliche Vergötterung seines Martyriums für Italien mischte, erfüllten alle Träume ihres jungfräulichen Entfaltens.
Vor dem Sturz ihres Hauses ein gern gesehener Gast am Königshof, war sie nach dem Schicksalsschlag mit ihrer Mutter über die Alpen nach Gallien geflohen, wo ein alter Gastfreund den betrübten Frauen monatelang eine Zufluchtsstätte bot, während Anicius und Severinus, Kamillas Brüder, anfänglich ebenfalls verhaftet und zum Tode verurteilt, dann zur Verbannung aus dem Reich begnadigt, aus dem Kerker sofort nach Byzanz an den Hof des Kaisers eilten, wo sie Himmel und Hölle gegen die Goten in Bewegung setzten. Die Frauen waren, als sich der Sturm der Verfolgung verzogen, nach Italien zurückgekehrt und lebten ihrem stillen Gram im Häuschen eines treuen Freigelassenen zu Perusia, von wo aus freilich Rusticiana, wie wir sehen, den Weg zu den Verschworenen in Rom wohl zu finden wußte.
Der Sommer war gekommen, die Jahreszeit, in der vornehme Römer noch immer, wie zur Zeit des Horatius und Tibullus, die dumpfe Luft der Städte zu fliehen und in ihren kühlen Villen im Sabinergebirge oder an der Meeresküste sich zu verstecken pflegten. Mit Beschwerde trugen die verwöhnten Edelfrauen den Qualm und Staub in den heißen Straßen des engen Perusia, mit Seufzen der herrlichen Landhäuser bei Florentia und Neapolis gedenkend, die sie, wie all ihr Vermögen, an den gotischen Fiskus verloren.
Da trat eines Tages der treue Corbulo mit seltsam verlegenem Gesicht vor Rusticiana. Er hatte längst bemerkt, wie die »Patrona« unter seinem unwürdigen Dach zu leiden und mancherlei Ungemach schon durch seine Hantierung — er war seines Zeichens Steinmetz — zu erdulden gehabt, und so habe er denn an den letzten Kalenden ein kleines, freilich nur ein ganz kleines Gütchen mit einem noch kleineren Häuschen gekauft, droben im Gebirge bei Tifernum. Freilich, an die Villa bei Florentia dürften sie dabei nicht denken: aber es riesele doch auch dort ein selbst unter dem Sirius nicht versiegender Waldquell, Eichen und Kornellen gäben breiten Schatten, um den verfallnen Faunustempel wuchre üppig der Efeu, und im Garten habe er Rosen, Veilchen und Lilien pflanzen lassen, wie sie Donna Kamilla liebe, und so möchten sie denn Maultier und Sänfte besteigen und wie andre Edelfrauen ihre Villa beziehen.
Die Frauen, von dieser Treue des Alten gerührt, nahmen dankbar seine Güte an, und Kamilla, die sich in kindlicher Genügsamkeit auf die kleine Veränderung freute, war heiterer, belebter als je seit dem Tod ihres Vaters.
Ungeduldig drängte sie zum Aufbruch und eilte noch am selben Tage mit Corbulo und Daphnidion, dessen Tochter, voraus, Rusticiana sollte mit den Sklaven und dem Gepäck so bald als möglich folgen.
Die Sonne sank schon hinter die Hügel von Tifernum, als Corbulo, Kamillens Maultier am Zügel führend, aus den Waldhöhen auf die Lichtung gelangte, von wo aus man das Gütchen zuerst wahrnehmen konnte. Längst hatte er sich auf die Überraschung des Kindes gefreut, wenn er ihr von hier aus das anmutig gelegene Haus zeigen würde.
Aber erstaunt blieb er stehen: er hielt die Hand vor die Augen, ob ihn die Abendsonne blende, er sah umher, ob er denn nicht an der rechten Stelle: aber kein Zweifel! Da stand ja an dem Rain, wo Wald und Wiese sich berührten, der graue Markstein in Gestalt des alten Grenzgottes Terminus mit seinem spitz zulaufenden Kopf: der rechte Ort war es, aber das Häuschen nicht zu sehen: vielmehr an seiner Stelle eine dichte Gruppe von Pinien und Platanen: und auch sonst war die ganze Umgebung verändert: da standen grüne Hecken und Blumenbeete, wo sonst Kohl und Rüben, und ein zierlicher Pavillon prangte, wo bisher Sandgruben und die Landstraße sein bescheidenes Gebiet begrenzt hatten.
»Die Mutter Gottes steh mir bei und alle obern Götter!« rief der Steinmetz, »bin ich verzaubert oder die Gegend? Aber Zauber ist los!« Seine Tochter reichte ihm eifrig das Amulett, das sie am Gürtel trug: aber Aufschluß konnte sie nicht geben, da sie zum erstenmal das neue Besitztum betrat, und so blieb nichts übrig, als das Maultier zur größten Eile zu treiben, und springend und rufend begleiteten Vater und Tochter den Trab des Grauchens die Wiesenhänge hinunter.
Als sie nun näher kamen, fand Corbulo allerdings hinter der Baumgruppe das Haus, das er gekauft: aber so verjüngt, erneuert, verschönt, daß er es kaum erkannte.
Sein Staunen über die Umwandlung der ganzen Gegend stieg aufs neue zu abergläubischer Furcht: offnen Mundes blieb er zuletzt stehen, ließ die Zügel fallen und begann eine wieder seltsam gemischte Rede von christlichen und heidnischen Ausrufen, als plötzlich Kamilla ebenso überrascht ausrief: »Aber das ist ja der Garten, wo wir gewohnt, das Viridarium des Honorius zu Ravenna, dieselben Bäume, dieselben Blumenbeete, und auch an jenem Teich, wie zu Ravenna am Meeresufer, der Tempel der Venus! O wie schön, welche Erinnerung! Corbulo, wie hast du das angefangen?« Und Tränen freudiger Rührung traten in ihre Augen. — »So sollen mich alle Teufel peinigen und Lemuren, wenn ich das angefangen habe. Doch da kommt Cappadox mit seinem Klumpfuß, der ist also nicht mit verhext. Rede, du Zyklope, was ist hier geschehen?«
Der riesige Cappadox, ein breitschultriger Sklave, humpelte mit ungeschlachtem Lächeln heran und erzählte nach vielen Fragen und Unterbrechungen des Staunens eine rätselhafte Geschichte. Vor drei Wochen etwa, wenige Tage, nachdem Cappadox auf das Gut geschickt war, es für seinen Herrn, der auf längere Zeit in die Marmorbrüche von Luna verreist war, zu verwalten, kam von Tifernum her ein vornehmer Römer mit einem Troß von Sklaven und Arbeitern und mit hochbepackten Lastwagen an. Er fragte, ob dies die Besitzung sei, welche der Steinmetz Corbulo von Perusia für die Witwe des Boëthius gekauft. Und als dies bejaht wurde, gab er sich als den Hortulanus Prinzeps, d. h. als Oberintendanten der Gärten zu Ravenna zu erkennen. Ein alter Freund des Boëthius, der aus Furcht vor den gotischen Tyrannen seinen Namen nicht zu nennen wage, wünsche, sich insgeheim der Verfolgten anzunehmen und habe ihm den Auftrag gegeben, den Aufenthalt derselben mit allen Mitteln seiner Kunst zu schmücken und zu verschönern. Der Sklave dürfe die beabsichtigte Überraschung nicht verderben, und halb mit Güte, halb mit Gewalt hielt man den staunenden Cappadox auf der Villa fest. Der Intendant aber entwarf sofort seinen Plan, und seine Arbeiter gingen unverzüglich ans Werk.
Viele benachbarte Grundstücke wurden zu hohen Preisen hinzugekauft, und nun hob an ein Niederreißen und Bauen, ein Pflanzen und Graben, ein Hämmern und Klopfen, ein Putzen und Malen, daß dem guten Cappadox Hören und Sehen verging. Wollte er fragen und dreinreden, so lachten ihm die Arbeiter ins Gesicht. Wollte er sich davonmachen, so winkte der Intendant, und ein halbes Dutzend Fäuste hielten ihn fest. »Und« — schloß der Erzähler— »so ging’s bis vorgestern morgen. Da waren sie fertig und zogen davon.
Anfangs war mir angst und bang, da ich die kostspieligen Herrlichkeiten aus dem Boden wachsen sah. Ich dachte: am Ende, wenn Meister Corbulo das alles bezahlen soll, dann weh über meinen Rücken! Und ich wollte dir’s melden. Aber sie ließen mich nicht, und obendrein wußt’ ich dich fern von Haus. Und wie ich nachgerade das unsinnig viele Geld des Intendanten verspürte, und wie der mit den Goldstücken um sich warf wie die Kinder mit Kieseln, da beruhigte sich allmählich mein Gemüt, und ich ließ alles gehen, wie es ging. Nun, o Herr, weiß ich wohl: du kannst mich dennoch in den Block setzen und prügeln lassen. Mit der Rebe oder sogar mit dem Skorpion. Du kannst es. Denn warum? Du bist der Herr und Cappadox der Knecht. Aber gerecht, Herr, wäre es kaum! Bei allen Heiligen und allen Göttern! Denn du hast mich gesetzt über ein paar Kohlfelder, und siehe, sie sind geworden ein Kaisergarten unter meiner Hand.«
Kamilla war längst abgestiegen und davongeschlüpft, ehe der Sklave zu Ende. Mit vor Freude hochklopfendem Herzen durcheilte sie den Garten, die Lauben, das Haus, sie schwebte wie auf Flügeln, kaum konnte ihr die flinke Daphnidion folgen. Ein Ausruf der Überraschung, des freudigen Schreckens jagte den andern: sooft sie um eine Ecke des Weges, um eine Baumgruppe bog, wieder und wieder stand ein Bild aus jenem Garten von Ravenna vor ihrem entzückten Auge. Als sie aber ins Haus gelangte und ein kleines Gemach desselben genau so bemalt, ausgerüstet, geschmückt fand, wie jener Raum im Kaiserschloß gewesen war, in dem sie sie letzten Tage der Kindheit verspielt und die ersten Träume des Mädchens geträumt, dieselben Bilder auf den bastgeflochtnen Vorhängen, die gleichen Vasen und zierlichen Zitruskästchen und auf dem gleichen Schildpatt-Tischchen ihre kleine zierliche Lieblingsharfe mit den Schwanenflügeln, da, überwältigt von so vielen Erinnerungen, und noch mehr von dem Gefühl des Dankes gegen so zarte Freundschaft, sank sie schluchzend in freudiger Wehmut auf den weichen Teppichen des Lectus zusammen. Kaum konnte sie Dauphnidion beruhigen. »Es gibt noch edle Herzen, noch Freunde für das Haus Boëthius«, rief sie wieder und wieder. Und sie sandte das innigste Gebet des Dankes gen Himmel.
Als am Tage darauf die Mutter eintraf, war sie kaum weniger ergriffen von der seltsamen Überraschung.
Sogleich schrieb sie nach Rom an Cethegus und fragte, welcher Freund ihres Gatten wohl in diesem Geheimnisvollen Wohltäter zu suchen sei? Es war ihr eine stille Hoffnung, an ihn selbst dabei zu denken. Aber der Präfekt schüttelte nachdenklich den Kopf über ihren Brief und schrieb ihr zurück: er kenne niemand, an den ihn diese zartfühlende Weise mahnen könne. Sie möge scharf jede Spur beachten, die zur Lösung des Rätsels führen könne.
Es sollte sich bald genug enthüllen. —
Kamilla wurde nicht müde, den Garten zu durchstreifen und immer neue Ähnlichkeiten mit seinem trauten Vorbild zu entdecken. Oft führten sie diese Gänge über den Park hinaus und in den anstoßenden Bergwald. Dabei pflegte sie die muntere Daphnidion zu begleiten, die ihre gleiche Jugend und treue Anhänglichkeit rasch zur Vertrauten gemacht. Wiederholt hatte diese der Patrona bemerkt, ein Waldgeist müsse ihnen nachschleichen. Denn vielfach knacke es hörbar in den Büschen und rausche im Grase hinter oder neben ihnen. Und doch sei nirgends Mensch oder Tier zu sehen. Aber Kamilla lachte ihres Aberglaubens und nötigte sie immer wieder in die grünen Schatten der Ulmen und Platanen hinaus.
Eines Tages entdeckten die Mädchen, vor der Hitze tiefer und tiefer in die Kühle des Waldes flüchtend, eine lebhafte Quelle, die reichlich und klar von dunklen Porphyrfelsen traufte. Doch sie rieselte ohne bestimmtes Rinnsal, und mühsam mußten die Durstenden die einzelnen Silbertropfen erhaschen. »Wie schade«, rief Kamilla, »um das köstliche Naß! Da hättest du die Tritonenquelle sehen sollen im Pinetum zu Ravenna. Wie anmutig sprudelte der Strahl aus den aufgeblasenen Backen des bronzenen Meergotts und fiel gesammelt in eine breite Muschel von braunem Marmor, wie schade!« Und sie gingen weiter.
Nach einigen Tagen kamen beide wieder an die Stelle.
Daphnidion, die voranschritt, blieb plötzlich laut aufschreiend stehen und wies sprachlos mit dem Finger auf die Quelle. Der Waldquell war gefaßt. Aus einem bronzenen Tritonenkopf sprudelte der Strahl in eine zierliche Muschel von braunem Marmor. Daphnidion, jetzt fest an Geisterspuk glaubend, wandte sich ohne weiteres zur Flucht: sie floh mit den Händen vor den Augen, die Waldgeister nicht zu sehen, was für höchst gefährlich galt, nach dem Hause zu, der Herrin laut rufend, ihr zu folgen. Aber Kamilla durchzuckte der Gedanke: der Lauscher, der uns neulich hierher gefolgt, ist gewiß auch jetzt in der Nähe, sich an unsrem Staunen zu weiden. Scharf sah sie umher: an einem wilden Rosenbusch fielen die Blüten von schwankenden Zweigen zur Erde. Rasch schritt sie auf das Dickicht zu. Und sieh, aus dem Gebüsch trat ihr mit Jagdtasche und Wurfspeer ein junger Jäger entgegen.
»Ich bin entdeckt«, sagte er mit leiser, schüchterner Stimme, anmutig in seiner Beschämung.
Aber mit einem Schreckensruf fuhr Kamilla zurück. »Athalarich« stammelte sie — »der König!«
Eine ganze Meerflut von Gedanken und Gefühlen wogte ihr durch Haupt und Herz und halb ohnmächtig sank sie auf den Rasenhang neben der Quelle. Der junge König stand in Schrecken und Entzücken sprachlos einige Sekunden vor der hingegossenen zarten Gestalt: durstig zog sein brennendes Auge die schönen Züge, die edeln Formen ein: flüchtiges Rot schoß zuckend wie Blitze über sein bleiches Gesicht. »O sie — sie ist mein heißer Tod«, hauchte er endlich, beide Hände an das pochende Herz drückend, »jetzt sterben, sterben mit ihr.«
Da regte sie den Arm. Das brachte ihn zur Besinnung zurück. Er kniete neben ihr nieder und sprengte das kühle Naß des Brunnens auf ihre Schläfe. Sie schlug die Augen auf: »Barbar — Mörder!« schrie sie gellend, stieß seine Hand zurück, sprang auf und floh wie ein gescheuchtes Reh hinweg.
Athalarich folgte ihr nicht. »Barbar — Mörder«, hauchte er in tiefstem Schmerz vor sich hin. Und er verbarg die glühende Stirn in den Händen.
SECHSTES KAPITEL
Kamilla kam in so hoher Aufregung nach Hause, daß Daphnidion sich’s nicht nehmen ließ, die Domina müsse die Nymphen oder gar den altehrwürdigen Waldgott Picus selbst gesehen haben.
Aber das Mädchen warf sich in wilder Bewegung in die Arme der erschrockenen Mutter. Der Kampf verworrener Gefühle löste sich in einem Strom von heißen Tränen, und erst spät vermochte sie, den besorgten Fragen Rusticianas Antworten und Aufschluß zu geben.
In der tiefen Seele des Kindes wogte ein schweres Ringen.
Es war dem am Hofe zu Ravenna heranreifenden Mädchen nicht ganz entgangen, daß der schöne, bleiche Knabe oft mit seltsamem, träumendem Blick die dunklen Augen auf ihr ruhen ließ, daß er wie mit Andacht dem Tonfall ihrer Stimme lauschte. Aber niemals war diese Ahnung inneren Wohlgefallens ihr bestimmt ins Bewußtsein getreten; der Prinz, scheu und verschlossen, hatte die Augen niedergeschlagen, wenn sie ihn über einem solchen Blick ertappte und ihn unbefangen fragend ansah: waren sie doch beide damals beinahe noch Kinder. Sie wußte nicht zu nennen, was in Athalarich vorging kaum wußte er es selbst , und nie war es ihr eingefallen, nachzudenken, warum auch sie gern in seiner Nähe lebte, gern dem kühnen, von der Art aller andrer Gespielen abweichenden Flug seiner Gedanken oder Phantasien folgte, gern auch schweigend neben dem Schweigenden im Abendlicht durch die stillen Gärten wandelte, wo er oft mitten aus seinen Träumereien abgerissene, aber immer sinnige Worte zu ihr sprach, deren Poesie, die Poesie schwärmerischer Jugend, sie so völlig verstand und würdigte.
In das zarte Weben dieser knospenden Neigung schlug nun die Katastrophe ihres über alles geliebten Vaters.
Und nicht nur sanfte Trauer um den Gemordeten, glühender Haß gegen den Mörder ergriff die Seele der leidenschaftlichen Römerin. Von jeher hatte Boëthius, selbst in der Zeit seiner höchsten Gunst am Hofe, ein hochmütiges Herabsehen auf das Barbarentum der Goten zur Schau getragen, und seit seinem Untergang atmete natürlich die ganze Umgebung Kamillas, die Mutter, die beiden rachedürstenden Brüder, die Freunde des Hauses, nur Haß und Verachtung: nicht nur gegen den blutigen Mörder und Tyrannen Theoderich, nein, gegen alle Goten und vorab gegen Tochter und Enkel des Königs, die seine Schuld zu teilen schienen, weil sie dieselbe nicht verhindert. So hatte das Mädchen Athalarichs fast gar nicht mehr gedacht. Und wann er genannt wurde, oder wann, was ihr manchmal begegnete, sein Bild im Traume vor ihre Seele trat, so gipfelte all ihr Haß gegen die Barbaren in höchstem Abscheu gegen ihn. Vielleicht gerade deshalb, weil im geheimsten Grund ihres Herzens jetzt eine widerstrebende Ahnung von jener Neigung zitterte, die sie zu dem schönen Königssohn gezogen. —
Und nun — nun hatte es der Frevler gewagt, ihr argloses Herz mit tückischem Streich zu treffen!
Sie hatte, sowie sie ihn aus dem Dickicht schreiten sah, sowie sie ihn erkannte, blitzschnell erfaßt, daß er es war, der, wie die Fassung der Quelle, so die Umgestaltung der ganzen Villa geschaffen. Er, der verhaßte Feind, der Sproß des verfluchten Geschlechts, an welchem das Blut ihres Vaters klebte, der König der Barbaren! All die Freuden, mit welchen sie in diesen Tagen Haus und Garten durchmustert, brannten jetzt wie glühend Erz auf ihrer Seele. Der Todfeind ihres Volkes, ihres Geschlechts, hatte gewagt, sie zu beschenken, zu erfreuen, zu beglücken. Für ihn hatte sie Dankgebete zum Himmel gesandt. Er hatte sich erkühnt, ihren Schritten zu folgen, ihre Worte zu belauschen, ihre leisesten Wünsche zu erfüllen :— und im Hintergrund ihrer Seele stand, schrecklicher als all dies, der Gedanke, warum er das getan. Er liebte sie. Der Tyrann Italiens, er wagte wohl gar zu hoffen, daß des Boëthius Tochter —
Oh, es war zu viel! Und schmerzlich schluchzend barg sie das Haupt in die Kissen ihres Lagers, bis dumpfer Schlaf der Erschöpfung auf sie niedersank. Alsbald erschien der eilig herbeigerufene Cethegus bei den ratlosen Frauen. Rusticiana hatte ihrem wie Kamillens erstem Gefühle folgend, sofort die Villa und die verhaßte Nähe des Königs fliehen und ihr Kind jenseits der Alpen bergen wollen. Aber der Zustand Kamillas hatte bisher den Aufbruch verhindert, und sowie der Präfekt das Haus betrat, schien sich die Flamme der Aufregung vor seinem kalten Blick zu legen. Er nahm Rusticiana allein mit sich in den Garten: ruhig und aufmerksam hörte er daselbst, den Rücken an einen Lorbeerstamm gelehnt, das Kinn in die linke Hand gestützt, ihrer leidenschaftlichen Erzählung zu.
»Und nun rede«, schloß sie, »was soll ich tun? Wie soll ich mein armes Kind retten? Wohin sie bringen?«
Cethegus schlug die Augen auf, die er, wie er bei angestrengtem Nachsinnen pflegte, halb geschlossen hatte.
»Wohin Kamilla bringen?« sagte er. »An den Hof, nach Ravenna.«
Rusticiana fuhr empor: »Wozu jetzt der giftige Scherz!«
Aber Cethegus richtete sich rasch auf.
»Es ist mein Ernst. Still — hör mich. Kein gnädigeres Geschenk hat das Schicksal, das die Barbaren verderben will, in unsren Weg legen können. Du weißt , wie völlig ich die Regentin beherrsche.
Aber nicht weißt du, wie völlig machtlos ich bin über jenen eigensinnigen Schwärmer. Es ist rätselhaft. Der kranke Jüngling ist im ganzen Gotenvolk der einzige, der mich, wenn nicht durchschaut, doch ahnt. Und ich weiß nicht, ob er mich mehr fürchtet oder mehr haßt. Das wäre mir ziemlich gleichgültig, wenn der Verwegene mir nicht sehr entschieden und sehr erfolgreich entgegenarbeitete. Sein Wort wiegt natürlich schwer bei seiner Mutter. Oft schwerer als das meine. Und er wird immer älter, reifer, gefährlicher. Sein Geist überflügelt mächtig seine Jahre. Er nimmt ernstlichen Teil an den Beratungen der Regentschaft. Jedesmal spricht er gegen mich. Oft siegt er. Erst neulich hat er es gegen mich durchgesetzt, daß der schwarzgallige Teja den Befehl der gotischen Truppen in Rom erhielt, in meinem Rom! Kurz, der junge König wird höchst gefährlich. Und ich hatte bisher nicht einen Schatten von Gewalt über ihn. Zu seinem Verderben liebt er Kamilla. Durch sie wollen wir den Unbeherrschbaren beherrschen.«
»Nimmermehr!« rief Rusticiana. »Nie, solang ich atme. Ich an den Hof des Tyrannen! Mein Kind die Geliebte Athalarichs! Des Boëthius Tochter! Sein blutiger Schatten würde...«
»Willst du diesen Schatten rächen? Ja, willst du die Goten verderben? Ja! Also mußt du wollen, was dahin führt.« — »Nie, bei meinem Eide!« — »Weib, reize mich nicht. Trotze mir nicht. Du kennst mich! Bei meinem Eide! Wie? Hast du mir nicht Gehorsam geschworen, blinden, unbedingten, wie ich dir Rache verheißen? Hast du’s nicht geschworen auf die Gebeine der Heiligen, dich und deine Kinder verflucht für den Eidbruch? Man sieht sich vor bei euch Weibern. Gehorche oder zittere für deine Seele.«
»Entsetzlicher! Soll ich all meinen Haß dir, deinen Plänen opfern?«
»Mir? Wer spricht von mir? Deine Sache führ’ ich. Deine Rache vollend’ ich. Mir haben die Goten nichts zuleid getan. Du hast mich aufgestört von meinen Büchern. Du hast mich aufgerufen, diese Amaler zu vernichten. Willst du nicht mehr? Auch gut! Ich kehre zurück zu Horatius und der Stoa! Leb’ wohl.«
»Bleib, bleibe. Aber soll denn Kamilla das Opfer werden?«
»Wahnsinn! Athalarich soll es werden. Sie soll ihn ja nicht lieben, sie soll ihn nur beherrschen. Oder«, fügte er, sie scharf ansehend, hinzu, »fürchtest du für ihr Herz?« — »Deine Zunge erlahme! Meine Tochter ihn lieben? Eher erwürg’ ich sie mit diesen Händen.«
Aber Cethegus war nachdenklich geworden.
Es ist nicht um das Mädchen, sagte er zu sich selbst. Was liegt an ihr! Aber wenn sie ihn liebt — und der Gote ist schön, geistvoll, schwärmerisch... »Wo ist deine Tochter?« fragte er laut.
»Im Frauengemach. Auch wenn ich wollte, sie würde nie einwilligen, nie.«
»Wir wollen’s versuchen. Ich gehe zu ihr.«
Und sie traten ins Haus. Rusticiana wollte mit ihm in das Gemach. Aber Cethegus wies sie zurück.
»Allein muß ich sie haben!« sprach er und schritt durch den Vorhang. Bei seinem Anblick erhob sich das schöne Mädchen von den Teppichen, auf denen sie in ratlosem Sinnen geruht. Gewöhnt, in dem klugen, beherrschenden Mann, dem Freund ihres Vaters, stets einen Berater und Helfer zu finden, begrüßte sie ihn vertrauend wie die Kranke den Arzt.
»Du weißt, Cethegus?« — »Alles.« — »Und du bringst mir Hilfe.«
»Rache bring’ ich dir, Kamilla!«
Das war ein neuer, ein mächtig ergreifender Gedanke! Nur Flucht, Rettung aus dieser qualvollen Lage hatten ihr bisher vorgeschwebt. Höchstens eine zornige Abweisung der königlichen Geschenke. Aber jetzt Rache! Vergeltung für die Schmerzen dieser Stunden! Rache für die erlittene Schmach! Rache an den Mördern ihres Vaters! Ihre Wunden waren frisch. Und in ihren Adern kochte das heiße Blut des Südens. Ihr Herz frohlockte über Cethegus’ Wort!
»Rache? Wer wird mich rächen? Du?« — »Du dich selbst! Das ist süßer.«
Ihre Augen blitzten. »An wem?« — »An ihm. An seinem Haus. An allen unsern Feinden.« — »Wie kann ich das? Ein schwaches Mädchen?« — »Höre auf mich, Kamilla. Nur dir, nur des edeln Boëthius edler Tochter sag’ ich, was ich sonst keinem Weib der Erde vertrauen würde. Es besteht ein starker Bund von Patrioten, der die Herrschaft der Barbaren spurlos austilgen wird aus diesem Lande: das Schwert der Rache hängt über den Häuptern der Tyrannen. Das Vaterland, der Schatten deines Vaters beruft dich, es herabzustürzen.«
»Mich? Ich — meinen Vater rächen? Sprich!« rief hocherglühend das Mädchen, die schwarzen Haare aus den Schläfen streichend. »Es gilt ein Opfer. Rom fordert es.« — »Mein Blut, mein Leben! Wie Virginia will ich sterben.« — »Du sollst leben, den Sieg zu schauen. Der König liebt dich. Du mußt nach Ravenna. An den Hof. Du mußt ihn verderben. Durch diese Liebe. Wir alle haben keine Macht über ihn. Nur du hast Gewalt über seine Seele. Du sollst dich rächen und ihn vernichten.«
»Ihn vernichten?!« — Seltsam bewegt klang die leise Frage; ihr Busen wogte, ihre Stimme bebte in der Mischung ringender Gefühle, Tränen brachen aus ihren Augen, sie verbarg das Gesicht in den Händen. — Cethegus stand auf »Vergib«, sagte er. »Ich gehe. Ich wußte nicht, daß du den König liebst.«
Ein Weheschrei des Zornes wie bei physischem Schmerz drang aus des Mädchens Brust. Sie sprang auf und faßte ihn an der Schulter:
»Mann, wer sagt das? Ich hasse ihn! Hasse ihn, wie ich nie gewußt, daß ich hassen kann.« — »So beweis’ es. Denn ich glaub’ es dir nicht.« — »Ich will dir’s beweisen!« rief sie. »Sterben soll er! Er soll nicht leben!«
Sie warf das Haupt zurück, wild funkelten die blitzenden Augen, ihr schwarzes Haar flog um die weißen Schultern.
Sie liebt ihn, dachte Cethegus. Aber es schadet nicht. Denn sie weiß es noch nicht. Sie haßt ihn daneben. Und das allein weiß sie. Es wird gehn.
»Er soll nicht leben«, wiederholte sie. »Du sollst sehen«, lachte sie, »wie ich ihn liebe! Was soll ich tun?« — »Mir folgen in allem.« — »Und was versprichst du mir dafür? Was soll er erleiden?« — »Verzehrende Liebe bis zum Tod.« — »Liebe zu mir? Ja, ja, das soll er!« — »Er, sein Haus, sein Reich sollen fallen.«
»Und er wird wissen, daß durch mich —« — »Er soll es wissen. Wann reisen wir nach Ravenna?«
»Morgen! Nein, heute noch.« Sie hielt inne und faßte seine Hand: »Cethegus, sage, bin ich schön?«
»Der Schönsten eine.«
»Ha!« rief sie, die losgegangenen Locken schüttelnd. »Er soll mich lieben und verderben! Fort nach Ravenna! Ich will ihn sehen, ich muß ihn sehen!« Und sie stürmte aus dem Gemach. Sie sehnte sich mit ganzer Seele, bei Athalarich zu sein