Kitabı oku: «Mein Bruder, Muhammad Ali», sayfa 5
MUHAMMAD & MALCOLM
Lange nachdem Malcolm X das irdische Dasein verlassen hatte, hielt Muhammad eine Rede, bei einem Treffen in Los Angeles, als
ein farbiger Mann, der etwas älter schien als die anderen Anwesenden, aus den hinteren Reihen rief: „Wenn du nicht an das glaubst und das predigst, was Elijah sagt, dann wirst du sterben.“
Der Mann bezog sich dabei auf Malcolms Ermordung.
Muhammad, der nie einen Hehl aus seiner Enttäuschung über seinen verstorbenen Freund gemacht hatte, antwortete: „Nein. Du stirbst nicht, wenn du nicht an das glaubst, was Elijah sagt. Doch ich kenne einige Leute, die dich umbringen würden, wenn du schlecht über mich redest! Und ich muss ihnen das gar nicht erst befehlen.“
Das sorgte für lautes Lachen im Publikum, doch mein Bruder blieb todernst.
„Ich kenne einige Leute, die dich umbringen würden!“, fuhr er fort. „Hört mich an. Lasst es euch von mir sagen, kein mächtiger Mann, der von Hunderttausenden verehrt wird, braucht zu sagen: ‚Holt ihn euch.‘ Du bist nicht sicher, wenn du über ihn sprichst. Ich kenne einige Brüder, die dich töten würden, wenn du schlecht über ihre Mutter redest. Sie würden dich umbringen! Heiße seine Mutter eine Hure und sieh, ob du das überlebst. Ich kenne Leute, die bringen dich für ihre Mutter um! Einer von den Brüdern würde dich so schnell umlegen, da muss gar kein Muhammad dabei sein.“
Der Mann im Publikum wollte es aber nicht dabei belassen und versuchte, Muhammad weiter dazu zu bringen, Malcolms Tod zu rechtfertigen.
Schließlich wurde es Muhammad zu bunt, und er sagte: „Ich habe niemanden umgebracht, was willst du von mir?“
Egal ob er nun aggressiv war oder sich verteidigte, die Fragen zu Malcolms Tod verfolgten ihn für einige Zeit. Es war teilweise auch seine eigene Schuld. Etwa acht Monate nachdem Malcolm einem Attentat zum Opfer gefallen war, war Muhammad zu Gast in der Radiosendung Hotline des Chicagoer Radiosenders WVON, die von Wesley South moderiert wurde, wo er sich kein Blatt vor den Mund nahm und öffentlich sagte, dass sich die Nation of Islam um Malcolm „gekümmert“ hätte. Einige Leute meinten später, dass mein Bruder wegen Mittäterschaft bei der Ermordung des ehemaligen Mitglieds der Nation of Islam verhaftet werden sollte. Mein Bruder sagte vieles in der Öffentlichkeit. Er war einfach so. Und was er damals sagte, wurde wahrscheinlich falsch ausgelegt.
Muhammads Verhältnis zu Elijah Muhammad wurde enger, als Malcolm begann, sich vom Führer der Nation of Islam abzuwenden – die beiden hatten sich heftig zerstritten. Die Nation hatte natürlich ihre Vorteile. Malcolm war allein, wohingegen sich die Nation of Islam zu einem institutionellen Kult entwickelt hatte, der sowohl einen gemeinschaftlichen als auch einen spirituellen Einfluss auf meinen Bruder hatte. Muhammad stand zu dieser Zeit fest hinter Elijah Muhammad und gegen seinen ehemaligen Freund Malcolm. Malcolm, so sagte mein Bruder, hätte behauptet, dass Elijah Muhammad zwölf Frauen geschwängert haben soll und dass er herausgefunden hätte, dass der so hochverehrte spirituelle Führer bei Weitem nicht so heilig war, wie er vorgab zu sein, und ein Dutzend Kinder hätte. Wenn man einigen prominenten Gefolgsleuten glauben darf, dann versuchte Malcolm, Anhänger auf seine Seite zu ziehen und Elijah Muhammad vom Thron zu stoßen – deswegen ließ er sich auch immer wieder zu diesen Hasstiraden gegen den Führer der Nation of Islam hinreißen. Doch mein Bruder hatte noch viel praktischere Gründe, sich auf die Seite von Elijah zu stellen. Wir sprechen hier über die Wahl zwischen einem Individuum, das die Nation of Islam in der Hoffnung verließ, eine neue Organisation für eine afroamerikanische Vereinigung zu gründen, und der Nation of Islam, in der die Söhne von Elijah Muhammad die Geschäfte meines Bruders leiteten, als seine Box- und Marketingmanager fungierten und so weiter, sowie den ganzen geistigen und finanziellen Verpflichtungen nachkamen, denen man nur schwer den Rücken zudrehen konnte. Hätte Muhammad sich dazu entschlossen, zu Malcolm zu stehen, so hätte er einerseits seine religiöse Heimat und gleichzeitig auf Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen von Dollar verzichtet. Das wäre wohl jedem schwer gefallen. Es war ein Gedanke, den einige teilten. Persönlich hatte ich das Gefühl, dass Muhammad die Nation of Islam letztlich nie in Stich gelassen hätte.
Natürlich gab es eine Zeit, in der Muhammad seinen Führer verehrte und an seinen Lippen hing, als wäre alles, was Elijah Muhammad sagte, die absolute Wahrheit. Als Malcolm mit der Nation brach, wusste Muhammad zumindest kurzfristig nicht, auf welcher Seite er stand, auch wenn er es nach außen nicht zeigte. Malcolm war für Elijah Muhammad unheimlich wichtig gewesen. Er verrichtete großartige Arbeit, und vielleicht hätte man ihn dafür besser belohnen sollen. Doch einige waren der Meinung, dass er sich gegen seinen Gönner gewendet hatte, vor allem jene, die zur Nation of Islam gehörten. Er reiste durch die Welt und versuchte, einige der Dinge, die er getan hatte, wieder zu zerstören, was als eine große Gefahr wahrgenommen wurde. In den Augen mancher schien Malcolm aber kaum eine Gefahr für die Nation of Islam darzustellen, doch der Punkt ist: Er war eine Gefahr.
Malcolm selbst behauptete immer, dass er den wahren Islam kennengelernt hätte, als er sich auf seine Pilgerreise zu den heiligen Stätten in Mekka begab, ein paar Monate nachdem mein Bruder den Weltmeistertitel gewonnen hatte. Was er dort laut eigener Aussage gelernt hatte, stand im Gegensatz zu den Lehren von Elijah Muhammad. Also begann er, seine Ansichten lautstark zu äußern, was zur Wurzel des Problems werden sollte. Die Nation of Islam hat eine allgemeine Regel – die Regel Nummer neun, die besagt, dass niemand für Ärger sorgen darf. Malcolm wurde im Wesentlichen zu einem Ärgernis. Er meinte, dass, wenn ihn die Muslime in Ruhe gelassen hätten, er sie auch in Ruhe gelassen hätte, doch laut Berichten einiger prominenter Mitglieder entsprach dies nicht der Wahrheit. Er rief permanent bei den Leuten an und bat sie, sich auf seine Seite zu schlagen. Er wurde zu einem Störenfried und – in den Augen vieler – zu einer Gefahr. Muhammad war dies bewusst. Schließlich dachte Malcolm, dass er sich in einer Sackgasse befand. Er sagte sogar, er wäre von diesen Spaßvögeln umgeben, diesen Schauspielern und er wolle wieder der Nation beitreten. Und er war wütend und verbittert, so wie alle es sein würden, wenn man sie gefeuert hätte. Und manchmal verflucht man auch seinen Boss. Vielleicht wollte er ja wirklich zurückkommen, doch sein Stolz ließ es nicht zu.
Möglicherweise hatte Malcolm das Gefühl, die falsche Entscheidung getroffen zu haben, als er sich von Elijah Muhammad abwendete. Mein Bruder und andere aus dem engeren Kreis dachten jedenfalls so. Sie müssen sich vorstellen, dass die Nation schon 20 Jahre existierte, bevor Malcolm dazustieß, und noch länger, bevor mein Bruder und ich Mitglieder wurden. Malcolm war ein Helfer, kein Anführer. Elijah Muhammad benutzte ihn genauso, wie er meinen Bruder benutzte, um seine Botschaft unter die Menschen zu bringen. Malcolm war auf der Straße aufgewachsen und war großartig in dem, was er tat. Elijah Muhammad beförderte ihn, holte ihn auf die große Bühne, und Malcolm machte seine Arbeit und tat, was er tun sollte.
Malcolm ist offensichtlich ein Held für viele Menschen. Er tat einige gute Dinge, und das kann ihm auch niemand mehr nehmen, doch einige meinten, dass er sich seinem Gönner gegenüber, der ihn bei sich aufgenommen und ihm ein Heim gegeben hatte, dumm verhielt. Malcolm war der einzige Mann, dem die Ehre zuteilgeworden war, Elijah Muhammads Wagen zu benutzen – dieses Privileg hatte kein anderer Prediger. Er bekam ein Gehalt von 1000 Dollar im Monat. Kein anderer Prediger bekam so viel Geld. Und er erhielt noch weitere spezielle Privilegien.
Egal welche Feindschaft zwischen ihnen bestand, Muhammad war am Boden zerstört, als Malcolm verstarb. Ich denke, dass Muhammad sich nie ganz von seinem Freund abgewendet hatte. Tief in seinem Inneren hatte er noch immer etwas für ihn übrig, und das spiegelte sich auch in seinem Ton nach dem Tod von Elijah Muhammad im Jahr 1975 wider. Als Malcolm aus der Nation of Islam geworfen wurde, war es Muhammad und dem Rest von uns nicht mehr erlaubt, mit ihm zu sprechen. Wenn Malcolm anrief, dann war es sehr hart für Muhammad, nicht mit ihm zu reden. Immerhin verband sie eine lange Freundschaft, die auf Vertrauen aufgebaut war. Wir hatten Malcolm früher regelmäßig in seinem Haus besucht und viel Zeit mit ihm verbracht. Doch nachdem er der Nation of Islam den Rücken gekehrt hatte, sagte Muhammad zu Malcolm: „Du weißt, dass wir nicht mit dir sprechen dürfen. Wir müssen warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Halte durch und verlier nicht den Glauben.“
Das war anfangs seine Einstellung. Gut, ich weiß schon, dass es im Film Ali so aussieht, als hätten sich mein Bruder und Malcolm im Hass getrennt, doch tief drinnen war er noch hin und her gerissen, so wie auch Sie es für einen guten Freund empfinden würden, der vom Weg abgekommen ist. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch diesen inneren Konflikt der Ungewissheit in ihrer Freundschaft, und ich denke, dass dies im Film nicht zum Ausdruck kommt, denn Muhammad hasste Malcolm nicht wirklich. Wir mussten damals einfach den Wunsch Elijah Muhammads respektieren. Muhammad hatte nichts Schlechtes über Malcolm zu sagen, und ich glaube wirklich, dass er inständig hoffte, dass sie eines Tages wieder Freunde sein könnten.
Allerdings wussten wir aber auch, dass Malcolm irgendwann etwas zustoßen würde, da er sich sehr viele Feinde machte. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, als er erschossen wurde, waren wir überrascht. Es war extrem, aber irgendwie machte es Sinn, dass es dazu gekommen war. Ich persönlich glaube nicht, dass ein Mitglied der Nation of Islam dafür verantwortlich war: Malcolm hatte sich viele Feinde gemacht – sowohl bei den Bundesbehörden als auch anderswo. Muhammad und einige andere von uns waren uns zum Beispiel darüber einig, dass es keine gute Idee von Malcolm gewesen war, John F. Kennedys Tod gutzuheißen. Das ist etwas, was Muslime nicht tun – dafür zu beten, dass jemand stirbt –, vor allem wenn es dabei um jemanden geht, dem die schwarze Bevölkerung am Herzen liegt.
In manchen Kreisen geht das Gerücht um, dass Malcolm seinen eigenen Tod inszeniert hätte. Er soll gewusst haben, dass etwas passieren würde, und er hatte immer einen Fotografen an seiner Seite, der alles festhielt. Es ist die Ansicht einiger, dass er genau auf diese Weise aus dem Leben scheiden wollte. Wie viel Wahrheit hinter all dem steckt, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Malcolm wurde empfohlen, das Land zu verlassen, bis Gras über die Sache gewachsen wäre, und das Ruder anderen, kühleren Köpfen zu überlassen, doch das wollte er nicht. Andererseits bekam er auch wieder Warnungen, nicht zu gehen. Sieben Tage vor seinem Tod wurde ein Brandbombenanschlag auf sein Haus verübt. Am nächsten Tag saß Malcolm bereits wieder im Flugzeug auf dem Weg nach Michigan. Tags darauf hielt er dann eine Rede an einem anderen Ort. Danach war er zu Gast bei einem Radiosender in New York. Er arbeitete die ganze Zeit, selbst als sein Haus einer Brandbombe zum Opfer fiel, und er sagte: „Ich werde die Namen der Schuldigen am Sonntag nennen.“
Manche waren der Meinung, dass er es damit mit der Dramatik übertrieb. Seine damalige Frau sagte, dass sie täglich sieben oder acht Drohanrufe erhielten. Doch als das FBI das Haus durchsuchte, konnten sie keine einzige Aufzeichnung finden, anhand deren Stimme sie den Anrufer identifizieren hätten können.
Die Zeit verging, und nach dem Tod von Elijah Muhammad entfernte sich Muhammad immer weiter von der Auslegung der islamischen Philosophie, die er anfangs kennengelernt hatte – Elijah Muhammads Version –, und näherte sich immer mehr der orthodoxen Version an, mit der sich Malcolm vor seinem Tod auseinandergesetzt hatte. An diesem Punkt begann er auch damit, viele Widersprüche und innere Konflikte, mit denen er kämpfte, zu lösen. Als Muhammad viele Jahre später von uns ging, sprach Malcolms Tochter bei seinem Begräbnis darüber, dass mein Bruder am Ende ein besseres Verständnis dafür hatte, was in Malcolm vorgegangen war, als er diese Transformation von der spirituellen Auslegung der Nation of Islam zu einer mehr orthodoxen islamischen Auslegung durchmachte. Damals hatte sich Muhammad bereits wieder mit Malcolms Familie versöhnt, speziell angesichts der inneren Konflikte, die seine Freundschaft zu Malcolm und Elijah Muhammad ausgelöst hatte. Rückblickend erkannte mein Bruder immerhin, dass es ein Fehler gewesen war, seinem Freund den Rücken zu kehren.
Warum mein Bruder die Nation of Islam nicht schon früher verließ? Angeblich soll Muhammad dem Sportjournalisten Dave Kindred einmal gesagt haben, dass, wenn er die Nation of Islam verlassen hätte, sie ihn umgebracht hätten. Oft sagte er über die NOI: „Ein Narr kann sich für einen weisen Mann ausgeben, doch ein weiser Mann kann sich nicht für einen Narren ausgeben.“
Es war typisch für ihn, Dinge einfach so in den Raum zu stellen und einen daran kauen zu lassen, ohne seine eigenen Gedanken dazu preiszugeben. Laut Aussagen von Mitgliedern der Nation of Islam hätten sie Muhammad nicht angerührt, wenn er die Organisation verlassen hätte. Wäre er gegangen, so hätte dies keine Nachwirkungen gehabt, meinten sie. Hätte Muhammad allerdings damit begonnen, sie ihn Verruf zu bringen, wie es Malcolm getan hatte, dann wären die Dinge wohl anders gelagert gewesen. Es stimmt aber, dass es einige Mitglieder gab, die sich der Nation anschlossen und sie später wieder ohne böses Blut verließen, auch wenn sie nicht so berühmt wie mein Bruder waren. Persönlich denke ich, dass die Nation of Islam meinem Bruder kein Haar gekrümmt und schon gar nicht versucht hätte, ihn zu töten. Ich bin mir auch sicher, dass unsere Familie genauso darüber denkt wie ich. Abgesehen davon waren Muhammad und Herbert – trotz des finanziellen Interesses von Herbert an meinem Bruder – wie Brüder und waren auf das Wohlergehen des jeweils anderen bedacht.
KRIEG & VERDAMMUNG
Zu Beginn des Vietnamkriegs war mein Bruder weder dafür noch dagegen. So gesehen spiegelte er damit auch die Einstellung der restlichen
Bevölkerung der Vereinigten Staaten wider. Viele Menschen hatten eine vage Idee davon, dass der Kommunismus aufgehalten werden müsse, bevor er sich in diesem südostasiatischen Land festsetzen konnte, doch noch viel mehr meinten, dass Amerika nicht eingreifen sollte. Andererseits muss man auch den vorherrschenden Patriotismus berücksichtigen. Wie den meisten anderen Kindern wurde Muhammad und mir in der Schule beigebracht, dass jeder Krieg, in dem Amerika kämpfte, dazu diente, den Frieden zu erhalten und die Demokratie beziehungsweise die Freiheit auf der Welt zu verteidigen. Mein Bruder hätte keine Probleme damit gehabt, zum Militär zu gehen, hätte man ihn als Teenager eingezogen, das sagte er sogar selbst. Doch dieser Denkprozess änderte sich komplett, als er erwachsen war und selbst begann, über Dinge nachzudenken.
Das erste Mal, dass Muhammad sich weigerte, den US-Streitkräften beizutreten, war im März 1966. Das war nicht lange, nachdem er in Kanada gewesen war, wo er einen Kampf gegen George Chuvalo bestritt. Chuvalo war ein harter, aggressiver Boxer, jemand, der sich nicht scheute, selbst den einen oder anderen Schlag einzustecken, damit er einen Wirkungstreffer landen konnte, und es gab mehr als nur eine Handvoll Leute, die sehen wollten, wie er meinen Bruder auf die Bretter schickt. Chuvalo sprach darüber, dass er nicht wie Liston unter Druck aufgeben würde, und unterstrich seine Bilanz von 47 Kämpfen, in denen er nie k. o. gegangen war. Der Kampf musste in Kanada stattfinden, da mehrere amerikanische Veranstaltungsorte uns abgewiesen hatten, was meinen Bruder dazu trieb, der Welt zu sagen, dass er dafür, dass er eine gute Sache verfolge, bestraft würde. Zusätzlich zur normalen Entourage waren in Kanada noch Jim Brown, Howard Cosell und Bob Arum dabei. Einige Monate zuvor hatte Muhammad zusammen mit Jim, Bob, Herbert und John Ali die Boxpromotion-Firma Main Bout Inc. gegründet, die Muhammads Kämpfe vermarkten sollte. Also musste Jim mit an Bord kommen. Bob Arum, ein Anwalt aus einer jüdischen Familie, der eigentlich keine Ahnung vom Boxen hatte, hatte meinen Bruder bereits in einigen juristischen Dingen vertreten.
Auch wenn die meisten Sportkommentatoren Chuvalo keine Chance gaben, so war es eine exzellente Gelegenheit für Kanada, den Champ zu sehen. Fans und Medien stürmten Sully’s Gym in Toronto, um einen Blick auf den Boxchampion zu erhaschen, der gekommen war, um den Lieblingsboxer der Nation in die Schranken zu weisen. Das Boxstudio lag im ersten Stock und war recht groß. Ich erinnere mich, dass es dort einen Ring, sechs schwere Sandsäcke und einige Speedballs gab. Die Wände waren mit Postern von Boxgrößen wie Sugar Ray Robinson, Rocky Marciano und anderen Champions von anno dazumal vollgepflastert. Im Erdgeschoß befand sich eine Autowerkstatt, die mit gebrauchten Wagenteilen handelte. Das Studio gehörte dem Boxpromoter Earl „Sully“ Sullivan, der Muhammad nach Toronto eingeladen hatte, da der Kampf woanders nicht stattfinden konnte, selbst nirgendwo anders in Kanada. Ursprünglich hätte der Kampf in Montreal stattfinden sollen, doch die Veranstalter dort lehnten ab. Schließlich ließen sich die Besitzer des Maple Leaf Gardens in Toronto mit Sullys Hilfe überreden, und Muhammad bekam die Erlaubnis, in Ontario zu boxen.
Die Atmosphäre war immer voller Euphorie, wenn Muhammad das Publikum während seiner täglichen Sparringeinheiten im Ring verzauberte. Die Fans zahlten zwischen einem und fünf Dollar, um den Weltmeister im Schwergewicht beim Sparring zusehen zu dürfen, und dieses Geld kam einem wohltätigen Projekt zur Unterstützung von Kindern aus armen Familien zugute. Muhammad sparrte mit mehreren seine Trainingspartner, inklusive meiner Wenigkeit. Er hatte gerade seine Runden mit Jimmy Ellis beendet, als Angelo einen jungen Boxer namens Spider Jones aus der näheren Umgebung fragte, ob er nicht ein paar Runden mit Muhammad drehen wolle. So eine Gelegenheit konnte sich der junge Mann natürlich nicht entgehen lassen. Jones war anfangs recht nervös, denn das gesamte Studio war zum Bersten voll mit Zusehern und Journalisten aus der ganzen Welt. Es war ein besonderes Erlebnis für diesen damals 22-jährigen Boxer, einfach so ins kalte Wasser geworfen zu werden und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen. Inzwischen war Muhammad auch wieder fit genug, um mehrere harte Runden zu gehen, nachdem er nicht gerade in Bestform ins Training gestartet war. Als sie also ihre Sparringrunde drehten, begann Muhammad, seinen Gegner in die Seile zu stoßen, und drängte ihn dazu, auf ihn einzuprügeln. Der verdutzte Jones nahm die Einladung bereitwillig an. Muhammad duckte ab, blockte und wich dem Schlaghagel gekonnt aus, um dann mit ein oder zwei Jabs und blitzschnellen Schlägen zu kontern. Allerdings versuchte er nicht, seinen Sparringspartner mit Schlägen einzudecken oder ihn anderweitig zu sehr in Bedrängnis zu bringen.
Es war typisch für Muhammad, seine Sparringspartner recht schonend zu behandeln. Anders als George Chuvalo, Joe Frazier und Sonny Liston, die im Sparring voll aufdrehten, als wäre es ein echter Kampf, war mein Bruder immer entspannt, experimentierte, probierte Neues und ließ seinen Partnern eine Chance. Angelo pflegte zu sagen, dass er glaube, Muhammad hätte nie eine Sparringeinheit gewonnen, da er sie nicht ernst nahm – trotzdem arbeitete er aber hart. Andererseits war der Muhammad Ali, den ich im Studio beim Sparring sah, nicht der gleiche Ali, der im Ring vor Tausenden von Zusehern kämpfte. Damit meine ich, dass, wenn man ihn beim Sparring beobachtete, es so aussah, als würde er „verlieren“. Doch in dem Moment, wenn er im Ring in der Arena stand, machte er ernst. Boxen war seine Leidenschaft, doch ich kann Ihnen auch versichern, dass er keinen Spaß daran hatte, anderen wehzutun. Das war etwas seltsam, denn obwohl er diesen brutalen Sport ausübte und dabei einigen der härtesten und brutalsten Boxern in der Geschichte des Sports gegenüberstand, fand er nie daran Gefallen, anderen Leuten Schmerzen zuzufügen. Muhammad war kein Finisher wie Sugar Ray Robinson oder Sonny Liston oder später auch Mike Tyson. Er war der Typ, der dir einfach boxerisch überlegen war und dich mental besiegte. Wenn er einmal in deinem Kopf war, dann gewann er aufgrund deiner Fehler und dem unglaublichen Druck, den du spürtest.
Doch da war noch mehr. Muhammad war mehr als nur ein gewitzter Kämpfer. Er hatte auch Mut. Er war ein Krieger. Und kein echter Krieger will seinen Sparringspartner verletzen, den Mann, der ihm beim Training für die echten Kämpfe hilft. Ich bin mir sicher, dass Spider Jones, als er in den Ring stieg, erwartete, vor den fast 700 Leuten im Studio gedemütigt zu werden. Mein Bruder war ja immerhin eine Sensation in Toronto. Er war gekommen, um gegen ihren Champion zu kämpfen. Auch wenn er keiner von ihnen war, so hießen ihn die Kanadier herzlich willkommen, als wäre er einer der ihren. Das Studio war vollgepackt mit Leuten, also würde man denken, dass Muhammad ein bisschen angeben würde und diesem Boxer, der sein Bestes versuchte, auf ihn einzuschlagen, einige richtige hammerharte Schläge verpassen würde. Natürlich hatte Jones die Herausforderung angenommen, als er in den Ring stieg, und später gab er zu, dass er wirklich geglaubt habe, von Muhammad gedemütigt und zusammengeschlagen zu werden – doch dem war überhaupt nicht so. Die beiden gingen über drei anstrengende Runden, in denen sich Jones beim Versuch, Treffer zu landen, genauso verausgabte, wie er es durch das Einstecken von Schlägen tat. Mein Bruder andererseits hatte nach der Einheit noch genügend Kraft, um dem Publikum zuzuwinken.
Was danach passierte, war noch überraschender. Muhammad saß zusammen mit Spider Jones im Umkleideraum, den alle Boxer miteinander teilten. Jones, ein begeisterter Sänger, stimmte Stand by Me an, was Muhammads Interesse erweckte.
„Ein großartiges Lied“, sagte Muhammad zu ihm. „Von wem ist das?“
„Ben E. King!“, antwortete Jones und begann, über Kings Leben zu referieren – wie seine Karriere begonnen hatte und wie er zum Leadsänger in einer Gruppe namens The Drifters wurde.
Mein Bruder war neugierig geworden, denn er verabsäumte fast nie eine Gelegenheit, sein Wissen auf Gebieten, die ihn interessierten, zu erweitern. Es endete damit, dass beide dasaßen und lange über Musik sprachen, während sie sich von ihrem Schlagabtausch im Ring zuvor erholten. Sam Cooke, einer der damals bekanntesten Sänger, war ein guter Freund Muhammads. Er war auch sein Lieblingssänger, wie er Jones erzählte. Jones wusste selbst viel über Cooke und erzählte meinem Bruder einige Dinge über ihn, die auch Muhammad nicht kannte. Ich selbst habe Sam auch getroffen: Er war damals bei der Feier nach dem Sieg über Liston dabei gewesen, und obwohl er kein aktives Mitglied der Nation of Islam war, so kannte er jedenfalls ihre Lehren. Doch Spider Jones hatte noch viel mehr Hintergrundwissen zu Sam zu bieten: über seine musikalische Karriere, seine Zeit mit den Soul Stirrers. Leider wurde Sam 1964 erschossen. Laut Polizei war es angeblich Notwehr gewesen, doch Freunde behaupteten, dass das nicht stimmte. Muhammad hatte selbst Zweifel an diesem Urteil und sprach darüber mit Jones.
Erstaunt über das beeindruckende Wissen dieses jungen Mannes über Musik, sagte mein Bruder: „Junge, du solltest zum Radio gehen.“
Witzigerweise hatte Jones dies bereits seit Längerem in Erwägung gezogen, was er meinem Bruder auch sagte.
Muhammad meinte zu ihm: „Ich wurde geboren, um Weltmeister im Schwergewicht zu werden. Du bist dazu geboren, der Weltmeister des Radios zu werden! Du musst zum Radio, dort ist dein Platz!“
Und Jones sagte: „Ich weiß.“
Dieses Gespräch blieb Jones im Gedächtnis, und mein Bruder erinnerte sich an den Tag, an dem er wieder nach Hause flog – kurz bevor er nach einem 15-Runden Kampf gegen Chuvalo, den Muhammad nach Punkten gewonnen hatte, zum Flughafen fuhr –, und er Jones umarmte.
„Das nächste Mal, wenn ich wiederkomme, will ich Gast in deiner Radiosendung sein“, sagte Muhammad zu ihm. „Wenn du dann keine Radioshow hast, dann versohle ich dir den Hintern!“
Muhammad teilte also eine gemeinsame Leidenschaft mit seinem neuen kanadischen Freund. Von da an ging es immer um Musik, wenn er und Jones sich über den Weg liefen.
Er sagte dann: „Sing Stand by Me! Mann, Spider Jones, du weißt alles über Musik!“
20 Jahre später führte Jones ein Interview mit Muhammad. Mein Bruder, wie die meisten Leute wissen, war ein großartiger Interviewpartner, und jeder, der mit ihm sprach, erkannte schnell, dass sich hinter dem sportlichen Äußeren ein besonderer Intellekt versteckte. Muhammad hatte den Hang, Interviewer mitten im Satz zu unterbrechen. Er stand mitten im Gespräch auf und begann ein wenig mit ihnen zu sparren, es war unglaublich. Er kam immer als sehr intelligent rüber und sprach über seine Religion und soziale Anliegen, wenn ihm die Plattform in den Medien geboten wurde. Er sprach für ihn wichtige Themen an, fand jedoch immer wieder auch Zeit für das eine oder andere Späßchen. Etwas, was er nie machte, war, sich abfällig über seine Gegner zu äußern, außer er warb gerade für einen Kampf. Vor Kämpfen gab es kein Pardon. Wenn dann der Kampf vorüber war, dann behandelte er seine Kontrahenten allerdings wieder wie gute Freunde. Einmal während eines Gesprächs über seine Freundschaft mit Musikern hörte ich Muhammad sagen, dass er glaube, dass sein Freund Sam Cooke ermordet worden sei.
Nach Cookes Tod machte sich eine Verschwörungstheorie rund um die Schießerei breit, und sie klang sogar recht plausibel. Es gab damals gewisse einflussreiche Personen, die nicht wollten, dass Farbige ein eigenes Plattenlabel besaßen. Sam Cooke hatte sein eigenes Label gegründet und produzierte den Großteil seiner Songs selbst. Damit behielt er auch alle Rechte an seinen Liedern. Es dauerte nicht lange, und er wurde unter sehr mysteriösen Umständen erschossen, um es einmal diplomatisch auszudrücken. Bertha Franklin, die Managerin des zwielichtigen Hacienda Motels in Los Angeles, hatte ihn laut ihren Behauptungen in Notwehr erschossen, da er sie angeblich vergewaltigen wollte. Die meisten Menschen aber behaupteten, dass es eine Verschwörung war. Sam hätte jede Frau haben können, die er wollte, ohne Gewalt anzuwenden. Er war ein sehr gut aussehender Mann, gerade einmal 33 Jahre alt und am Höhepunkt seiner Musikkarriere. Er war einer der besten Sänger weit und breit.
Cookes Tod traf meinen Bruder schwer. Er liebte Sam. Sie waren wirklich gute Freunde geworden. Sam besuchte uns früher oft in Miami, und wir hingen zusammen ab und verbrachten eine tolle Zeit miteinander. In jenen Tagen gehörten viele Plattenfirmen der Mafia, speziell in Großstädten wie New York und Chicago. Otis Redding hatte ebenfalls sein eigenes Plattenlabel gegründet und war wenige Monate später, im Jahr 1967, zusammen mit vier seiner Bandmitglieder und dem Piloten bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Wer weiß, vielleicht war es ja nur Zufall, doch Muhammad sprach öfters über Sam und seinen Tod. Irgendwann nahm mein Bruder dann seine eigene Version von Ben E. Kings Stand by Me auf, die sich mehr schlecht als recht verkaufte. Ob Muhammad ein solider Sänger geworden wäre, wenn er ins Musikgeschäft eingestiegen wäre? Ich denke, mit etwas Übung hätte er Potenzial gehabt. Er hatte generell eine gewisse Begabung für Dinge, wenn er sich darauf konzentrierte.
Am 28. April 1967 sollte Muhammad vor der Einberufungskommission in Houston erscheinen. An jenem Morgen rief er Herbert an – wie immer, wenn er Rat brauchte. Ich hörte meinen Bruder oft morgens oder abends mit Herbert telefonieren. Unsicher, was seine Zukunft betraf, fragte Muhammad: „Was wird passieren?“
Er fragte Herbert nicht, was er bei der Anhörung sagen sollte. Ich hatte das Gefühl, dass er genau wusste, dass er der Kommission seine Prinzipien darlegen würde. Er war nicht bereit, sich der Regierung einfach zu ergeben. Auch das wusste ich. Muhammad beriet sich mit Herbert, um dessen Meinung zu erfahren. Ehrlich gesagt, hinterfragte er seinen Manager nur sehr selten, auch wenn andere Leute im Dunstkreis meines Bruders der Meinung waren, dass Herbert zu viel Kontrolle über die meisten Dinge hatte, wenn nicht sogar über alles. Herbert spielte eine entscheidende Rolle während seiner Karriere und bestimmte meist, was Muhammad tun sollte. Wie auch immer, wir waren uns sehr wohl der Konsequenzen bewusst, die eine Verweigerung auf Muhammads weiteren Weg haben könnte.
In der Zwischenzeit versuchte Arum sein Bestes, um meinen Bruder davon abzubringen und ihn zu überzeugen, den Deal, den er der Regierung vorgeschlagen hatte, anzunehmen. Dieser Deal besagte, dass Muhammad Schaukämpfe zur Unterhaltung der Truppen vorführen sollte. So würde seine weitere Karriere keinen Schaden nehmen, und Muhammad könnte weiter professionell boxen. Hinter verschlossenen Türen warnte Arum meinen Bruder, dass er beruflichen Selbstmord beginge, sollte er diesen lukrativen Deal ausschlagen. Außer mir dachte so ziemlich jeder im Umkreis von Muhammad, dass die Wahrscheinlichkeit für meinen Bruder, jemals wieder einen Boxring zu betreten, gleich null war. Und Arum – der wusste, dass die Karriere meines Bruders vorbei wäre, wenn er diesen Deal ausschlug – sagte ihm klipp und klar, dass er gerade dabei war, eine Dummheit zu begehen. Alle rund um meinen Bruder – einschließlich unseres Vaters und sogar Herberts, auch wenn der den Anweisungen seines Vaters Folge leistete – wollten, dass mein Bruder diesem Deal zustimmte. Immerhin hingen sie alle mehr oder weniger finanziell von ihm ab, und so war es keine große Überraschung, dass der Deal auch in ihrem Interesse war. Später einmal erklärte Arum öffentlich, dass der Grund, warum er Muhammad so unter Druck gesetzt hatte, das Angebot anzunehmen, war, weil er nicht wollte, dass mein Bruder ins Gefängnis gehen müsste. Er sei sehr besorgt um ihn, meinte er. Vor allem war der Promoter natürlich darüber besorgt, seine goldene Gans zu verlieren.