Kitabı oku: «Danke Lena»

Yazı tipi:

Florian Kinast

Patrick Reichelt


Die Traumkarriere der Magdalena Neuner


Impressum

Um die Farbbildtafeln verkürzte eBook-Ausgabe der im Copress-Verlag erschienenen Printausgabe

Abbildung Cover: Sven Simon

Bild Innenteil: privat

Umschlaggestaltung: Copress Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2012 Copress Verlag in der Stiebner Verlag GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten.

Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlags.

www.copress.de

ISBN 978-3-7679-1142-0

Inhalt

Der Rücktritt, das Vorwort

Die letzte große Bühne – Danke Lena!

Neuner-Festspiele unter dem Zirmberg »… oder Du bist der Depp« Die große Rivalin schlägt zurück Der große Traum platzt am Schießstand Eine Nähmaschine zum Abschied

Zwischen Bergen und Buben, Glauben und Musik – Eine Kindheit im Idyll

Tränen beim ersten Foto-Termin Auf Distanz zur »Prinzessinnen-Clique« Kasperl, Bibi Blocksberg, Meister Eder Das Leben mit dem behinderten Onkel Keine halben Sachen – auch nicht beim Schuhplattler Leistungssport statt Abitur Zielstrebig, humorvoll, verschmitzt

»Langlaufen und Schießen irgendwie« – Lenas Anfänge im Biathlon

Der Urknall in Ruhpolding »Als hätte sie nie was anderes gemacht« Mit AC/DC nach Oberhof Fernseh-Premiere mit Zahnspange Elterliches Veto gegen das Weltcup- Debüt Crossfire – schon damals auf die falschen Scheiben

Interview mit Uschi Disl »Irgendwann verlierst du die Nerven«

Das Ausnahmetalent testet das Rampenlicht

Die Last der Aaaahs und Oooohs Schnelles Wiedersehen im Antholzer Tal Mit Rückenwind zurück zu den Juniorinnen Oslo statt Gurnigl! Abschied aus der zweiten Reihe Die Kräfte gehen zur Neige Die Vision vom Olympia-Gold

Interview mit Kati Wilhelm »Lena war einfach anders«

Aufstieg aus der Güllegrube

Magda schwärmt von Lena 17.000 Euro für die neue Wohnung Ein Franz, viele Fans: Stürmische Zeiten im Chiemgau Eine Nähmaschine im Oberschenkel

Naiv, harmonisch triumphal: Die WM-Festspiele von Antholz

Mitschnabeln statt hinterhertraben Wintermärchenhaft: 17 Handballer und eine Neuner Das Team-Quartier als Aquarium Die lange Suche nach dem Vater »Muss der Trubel denn sein?«

Strick-Liesl und Wäsche-Model – Neuners PR-Strategie

Selbst Wallgau muss weichen Auf dem Weg in eine neue Dimension Mischung aus Erfolg und Persönlichkeit Das Lächeln passt zu jedem Produkt Der DSV nutzt die Gunst der Stunde

Interview mit Peter Ehm »Lenas Credo: Ehrlichkeit, Bescheidenheit«

Liebesgrüße aus Russland

»Geht aus dem Weg, wenn sie ihre Waffe hebt« Eine Autorität wie Björndalen Die obskuren Verschwörungstheorien Spekulationen ums Comeback

Die Krönung an der Königsloge

Viele Trophäen, viele Rückschläge »Dickkopf«: Der erste Rüffel vom Trainer Dunkle Wolken über der Glückseligkeit Tränen, Wut – und erste Rücktrittsgedanken

Interview mit Anders Besseberg »Hätte sie gerne fünf Jahre länger gesehen«

Landei Lena: Zurück ins kleine Nest – Wallgau als Zufluchtsort und Kraftquelle

Unvergessen: Liz Taylor mit Maßkrug Entspannung bei Tee auf der Couch Koller in der finnischen Dunkelheit Mit dem Hamster zum Tierarzt Das öffentliche Privatleben Edelsteine schürfen an der Isar

Am Rande des Burn-Out: Neuners düstere Krisenzeit

»Plötzlich wildfremde Menschen im Flur« Panikattacken beim Telefonklingeln Sie zupfte die Harfe nur noch daheim Als nicht einmal mehr der Mentaltrainer helfen konnte Die Sehnsucht nach den Emotionen

Interview mit Martin Schmitt »Keine Motivation – das geht nicht gut«

Aufs Siegertreppchen, zur Schlachtbank: Triumph und Tränen bei Olympia

Goldtaler und Schokotorte machten Appetit Fragerunde zwischen den Schränken Rundumsorglospaket aus dem Bavarian Village Ziehen und Zerren hinterm Zielstrich Die Spekulationen um den Staffelverzicht Die Nerven lagen immer blanker Via Rathausbalkon in die Heimat

Gold schürfen in der Ölstadt – die Jagd nach dem Rekord

Das Sammeln geht weiter Bestätigung für den Frauenversteher Auf den Schultern eines Engländers Tränen vor dem Fernseher

Die letzte Kugel – Das Schaulaufen bis Sibirien

Mit Autobatterie und Dixi-Klo Die Vorahnung der Teamkollegen Souverän im Liebes-Sturm Verfolgungsrennen mit Paparazzi Die Rücktrittserklärung, eine Erlösung Auf die falsche Bahn geraten Freudiger Familienbesuch und ein trauriger König Der letzte Auftritt als finaler Genuss

Anhang

Magdalena Neuner – eine Blitzkarriere in Zahlen, Daten und Fakten

Der Rücktritt, das Vorwort
Nach dieser Saison ist Schluss!

Ich habe mich entschieden: Nach dieser Saison werde ich meine Biathlonkarriere beenden.

Liebe Fans, liebe Besucher meiner Homepage, nun ist es wieder so weit: Das erste Weltcupwochenende liegt hinter mir und jetzt geht es weiter nach Hochfilzen.

Bevor die nächsten Wettkämpfe anstehen, habe ich jedoch noch etwas Wichtiges, das ich Euch gerne mitteilen möchte. Eigentlich hatte ich geplant, Euch das schon vor zwei Wochen zu sagen, aber leider war mir das aus organisatorischen Gründen nicht möglich und ich musste einen späteren Termin wählen. Das war mir sehr unangenehm, weil ich eigentlich von Anfang an, ehrlich und offen mit dem Thema umgehen wollte.

Immer wieder wurde ich in den letzten Interviews gefragt, wie lange ich denn noch Biathlon machen werde. Es wurde sehr viel spekuliert und ich musste mich immer herauswinden und um den heißen Brei herumreden. Ich habe gesagt, sobald ich mehr weiß, werde ich dies bekanntgeben. Ich habe eine Entscheidung getroffen, die für mich persönlich richtig und auch sehr gut überlegt ist, und ich bin froh, dass ich endlich ehrlich das aussprechen kann, was ich denke.

Ich werde meine Karriere als Biathletin nach dem Winter beenden. Für einige von Euch ist das jetzt sicherlich sehr überraschend und unangenehm. Das kann ich gut nachempfinden und verstehe, dass diese Entscheidung nicht leicht nachvollziehbar ist und jeder von Euch anders darüber denkt. Lange Zeit habe ich mit mir gehadert, mir Gedanken gemacht, die Situation aus mehreren Blickwinkeln betrachtet und habe dabei natürlich auch an Euch gedacht. Ich habe es mir mit Sicherheit nicht leicht gemacht. Doch mittlerweile habe ich eine Entscheidung getroffen und habe einfach das Gefühl, dass die Zeit reif ist für eine Veränderung und mich nach dem Sport etwas Neues, ganz Tolles erwartet!

Zum einen sehne ich mich nach Normalität, nach ein wenig mehr Ruhe und danach, einfach mal die Dinge machen zu können, die ich in meinem Sportlerleben nie machen konnte; zum anderen bin ich sehr motiviert neue Dinge auszuprobieren, habe schon viel getestet und mit Sicherheit auch Fähigkeiten in anderen Bereichen. Vielleicht könnt Ihr mir ja dabei helfen, neue Ideen zu entwickeln. Dafür wäre ich Euch sogar sehr dankbar und bin offen für Anregungen, wenn sie zu mir passen.

Irgendwann spielt auch das Thema Familienplanung für mich eine Rolle, das können bestimmt gerade die Frauen unter Euch gut nachvollziehen. Doch vorher möchte ich einfach erst mal noch ein paar Dinge ausprobieren. Zur Zeit bin ich noch dabei, den C-Lizenz Trainerschein zu machen und freue mich darauf, Kindern und Jugendlichen meine Erfahrungen, die ich als Sportlerin gemacht habe, als Trainerin weiterzugeben.

Auf jeden Fall werde ich Euch erhalten bleiben, eben einfach nur an einer anderen Stelle und ich würde mich freuen, wenn Ihr mich auf meinem neuen Lebensabschnitt begleitet. Über diese zukünftigen Entwicklungen halte ich Euch regelmäßig auf dem Laufenden. Die letzten Jahre waren eine ganz besondere und aufregende Zeit für mich – und ich genieße meine Zeit im Sport immer noch sehr!

Jetzt freue ich mich erst einmal sehr auf den bevorstehenden Winter, vor allem natürlich auf die WM in Ruhpolding. Auf Euch Fans, die tolle Stimmung in den Stadien und die schönen Dinge, die ich im Sport noch erleben darf. Es wird für uns alle bestimmt eine ganz schöne Saison und ich würde sagen – lasst sie uns einfach so richtig genießen und zusammen feiern!

Eure Magdalena

Mit diesen Worten machte Magdalena Neuner am 6. Dezember 2011 auf ihrer Webseite offiziell, worüber zuvor in der Medienwelt schon kräftig spekuliert worden war. Der Winter 2011/12 würde für die dann gerade 25-Jährige der letzte als aktive Biathletin sein. Nach der Weltmeisterschaft in Ruhpolding würde die Skijagd ihr vielleicht schönstes Lächeln und der deutsche Wintersport einen echten Superstar verlieren. Überraschen konnte das nicht, Neuner hatte schon länger angedeutet, dass ihre sportlichen Ziele wohl nur noch kurzfristiger Natur sein würden. Und doch verfehlte der Vollzug, an dem die Wallgauerin bereits seit Sommer gefeilt hatte, seine Wirkung nicht. Der angekündigte Ausstieg der wohl weltbesten Biathletin brachte es in allen Nachrichtenmedien unter die Topmeldungen. Die Pressekonferenz im österreichischen Hochfilzen, in der Neuner ihren Entschluss erklärte, wurde für Biathlon-Verhältnisse zu einem Medienspektakel.

Dieses Buch soll dem Leser nicht nur eine hochbegabte Sportlerin näherbringen, sondern auch einen außergewöhnlichen Menschen. Und es soll sie noch einmal in Erinnerung rufen, die größten und schönsten Erfolge dieser einzigartigen Karriere, aber auch einige dunklere Momente einer ganz besonderen Laufbahn.

Florian Kinast und Patrick Reichelt im März 2012


Magdalena Neuner und Autor Florian Kinast beim Weltcup in Antholz 2007.

Die letzte große Bühne – Danke Lena!

Immerhin hatte auch jemand an Blumen gedacht. Als die tollen Tage von Ruhpolding ein Ende gefunden hatten, da trug Magdalena Neuner neben ihren Skiern auch einen dicken Strauß roter Rosen auf dem Arm. Und dann war in der trüb verregneten Chiemgau Arena die Zeit gekommen, Danke zu sagen. Ein Sponsor hatte dafür weithin sichtbar ein gewaltiges Transparent über den Aufsprunghügel der Schanze der mondänen Anlage im Miesenbacher Tal spannen lassen. »Danke Magdalena« stand darauf über Magdalena Neuners lächelndes Konterfei geschrieben. Claus Pichler, Ruhpoldings Bürgermeister und Chef des Organisationskomitees der Biathlon-Weltmeisterschaft drückte Neuner eine Akkreditierung auf Lebenszeit für die kommenden Wettbewerbe in seiner Gemeinde in die Hand. Verbunden mit dem Dank für all die schönen Stunden, die die wohl beste Biathletin aller Zeiten den vielen Fans im Chiemgau beschert hatte. Die Türen im erklärten Mekka der Skizweikämpfer würden ihr und »den hoffentlich vielen Neuners« immer offen stehen. Da wollte sich auch Magdalena Neuner selbst nicht lumpen lassen. Natürlich griff auch die Wallgauerin zum Mikrophon. Um den Unentwegten zu danken, die trotz der unwirtlichen Bedingungen auf der Tribüne geblieben waren. Stellvertretend für die vielen Menschen, die ihr bei dieser Weltmeisterschaft, wie in all den Weltcupjahren in Ruhpolding so viel Zuneigung gegeben hatten. »Ich kann mich nur bedanken, dass ihr mich immer so unterstützt habt«, sagte Neuner mit merklich feuchten Augen, »auch wenn ich euch nicht immer jeden Wunsch erfüllen konnte.«

Da trat plötzlich auch in den Hintergrund, dass diese letzte große Bühne ihrer kurzen aber umso heftigeren Karriere sportlich nicht ganz den rauschenden Ausklang mit sich gebracht hatte, den viele – natürlich auch Neuner selbst – gerne erlebt hätten. Im abschließenden Massenstart schlitterte die 25-Jährige irgendwo mit dem Feld über die Ziellinie. Als Zehnte des Tages, fernab von der norwegischen Weltmeisterin Tora Berger, die sich auf der Schlussrunde gegen ihre hartnäckigsten Verfolgerinnen Marie-Laure Brunet (Frankreich) und Kaisa Mäkäräinen (Finnland) durchgesetzt hatte. Es blieb verhaltener Applaus statt der Ovationen, die die Rekordweltmeisterin so oft hatte genießen dürfen. Und am Ende war Neuner einfach nur erleichtert, dass diese Tage auch für sie Vergangenheit waren. »Es war eine tolle WM«, betonte sie, »aber ich bin froh, dass es jetzt vorbei ist«. Die knapp zwei Wochen in Ruhpolding hatten auch an ihren Nerven kräftig gezehrt. Und das lag weniger an dem Mammutprogramm von sechs Rennen, das der Liebling der deutschen Wintersportfans unter dem Zirmberg zu absolvieren hatte. Der gewaltige WM-Trubel hatte Neuner schwer zugesetzt. Natürlich hatte der Deutsche Skiverband (DSV) einiges dafür getan, um seine Athleten vor dem schlimmsten Wirbel zu schützen. Ganz für sich im abgelegenen Landhotel Maiergschwendt durften sich Neuner und Co. auf ihre Einsätze vorbereiten. Sponsortermine, auch Fotoshootings wie das für ein großes Sportmagazin und auch die Pflichtbesuche nach Medaillengewinnen im deutschen Haus wurden auf ein erträgliches Minimum beschränkt. Und doch war Neuner letztlich am Ende ihrer Kräfte. »Bei mir ist die Luft raus«, sagte sie, »das kann sich keiner vorstellen, wie brutal der Druck ist – vor allem wenn man Magdalena Neuner heißt.«

Neuner-Festspiele unter dem Zirmberg

In der Tat waren diese größten Welttitelkämpfe der Biathlon-Geschichte vor allem Neuner-Festspiele gewesen. Kaum ein Fan, der nicht mit Neuner-Fähnchen oder -Schal ausgerüstet gewesen wäre. Kaum ein Transparent, das nicht von einer Grußbotschaft an die scheidende Ausnahme-Athletin geziert gewesen wäre. So wie bei jenem jungen Mädchen, das sich ein Plakat mit der, von Herzen verzierten Aufschrift »Magdalena grüßt Magdalena – danke für alles« auf den Rücken gepinnt hatte. Und auf der Anlage selbst brachen jedes Mal Jubelstürme los, wenn die blonde Bayerin in Erscheinung trat. Zu Beginn der großen Tage in Ruhpolding hatte sie die große Last der öffentlichen Liebe noch schlicht weggelächelt. Während sich die Konkurrenz vor den Erwartungen wegduckte, bekräftigte Neuner noch einmal die hohen Ziele, die sie über die Saison hinweg immer wieder formuliert hatte. Optimale sechs Medaillen, da hatte sie sich festgelegt, wolle sie in den sechs Wettbewerben vor eigenem Publikum holen. Selbst Chefcoach Uwe Müssiggang wollte da nur den Hut ziehen: »Ich war schon immer fasziniert, wie klar Magdalena ihre Ziele formuliert hat. Andere würden sich das vielleicht nicht trauen, weil sie denken, dann würde der Druck zu groß und der Rucksack, den sie mitschleppen, zu schwer. Für Lena war das nie ein Rucksack, der sie belastet hat, sie ist da ganz unkompliziert.«

Und das Unternehmen sechs Mal Edelmetall begann ja dann auch ganz verheißungsvoll. In der Mixed-Staffel leistete sich Magdalena Neuner zwar mit insgesamt drei Fehlern wie Startläuferin Andrea Henkel leichte Wackler am Schießstand. Doch in der tiefen, von der Märzsonne aufgeweichten Spur zeigte sie schon einmal ihre Klasse und lief als Dritte bis auf gut 18 Sekunden an das führende Quartett aus Norwegen heran. Keine überragende, aber doch eine gute Ausgangsposition für Andreas Birnbacher. Und der Lokalmatador legte einen entfesselten Auftritt auf seiner Heimanlage hin. Schockte die Konkurrenz mit makellosen Schießeinlagen und war auch auf der Strecke die Nummer eins seiner Runde. Als der Schlechinger ins Ziel zurückkam, da stand für Schlussläufer Arnd Peiffer ein unfassbares Polster von rund einer Minute auf der Uhr. Das sich allerdings als ein wenig trügerisch erweisen sollte. Denn die obligatorischen Kontrollen der Trefferbilder an der Schießanlage zeigten, dass Norwegens Altmeister Ole Einar Björndalen irrtümlich ein Fehler angelastet worden war – der erfolgreichste Biathlet der Geschichte hatte sogar eine Strafrunde absolvieren müssen. Die Jury entschied schnell, dass das Missgeschick mit einer Zeitgutschrift von knapp 30 Sekunden für die Extrameter und einen überflüssigen Nachlader auszugleichen war. Doch diese Erkenntnis war es nicht, die Peiffer und damit das deutsche Quartett aus der scheinbar sicheren Goldspur riss. Der junge Hoffnungsträger aus Clausthal-Zellerfeld hatte schlicht nicht mit der grellen Sonne gerechnet, die auf seiner Runde aus denkbar ungünstigem Winkel auf den Schießstand fiel. Im Gegensatz zu den schärfsten Rivalen hatte sich der 24-Jährige nicht mit einer Sichtblende ausgerüstet. Vor allem das Stehendschießen wurde für ihn zum kapitalen Blindflug. »Es war eigentlich reines Glück, dass ich überhaupt etwas getroffen habe«, befand er später schwer frustriert. Peiffer kam mit einer Strafrunde davon. Doch auch die war zu viel, um Norwegens Ausnahmekönner Emil Hegle Svendsen und den überraschend starken Slowenen Jakov Fak in die Schranken zu weisen.

Immerhin: Es blieb die Bronzemedaille. Was unter anderen Umständen wohl als großer Erfolg bewertet worden wäre in einem Wettbewerb, in dem mindestens zehn bis zwölf Nationen als heiße Medaillenanwärter eingestuft worden waren. Beim Pechvogel selbst wollte ausgelassene Freude über das erste Edelmetall in Ruhpolding allerdings nicht aufkommen. Dass die BILD-Zeitung dann auch noch spottete »Panne-Mann verballert Lenas erstes Gold« dürfte Peiffers Laune nicht eben besser gemacht haben. Neuner selbst sprang dem unglücklichen Teamkollegen zur Seite und nutzte die erste Pressekonferenz zu einer Breitseite gegen den Berichterstatter. »Die Leute sollen sich wirklich überlegen, was sie schreiben«, wetterte sie, »der Arnd hat einen tollen Job gemacht und Bronze gerettet. Und außerdem ist es nicht mein Gold, sondern es geht einzig und alleine um die Mannschaft.« Die scheidende Biathlon-Königin trauerte dem entgangenen Gold keineswegs nach – im Gegenteil, sie hatte mit der ersten Plakette von Ruhpolding sogar eine Lücke in ihrer Trophäensammlung geschlossen. »Es ist meine erste Bronzemedaille bei einer WM, das ist doch toll.« Sprach’s und schickte eine Mahnung an die so erwartungsvolle deutsche Öffentlichkeit hinterher. »Bei der Siegerehrung habe ich gesehen, wie ausgelassen sich die Slowenen über Silber gefreut haben«, sagte Neuner, »daran sollte sich vielleicht manch einer mal ein Beispiel nehmen.«

»… oder Du bist der Depp«

Und Magdalena Neuner wusste ja nur zu gut, dass ihre wohl größte Chance auf einen Titel bei dieser Heim-WM unmittelbar bevorstand. Von den acht Sprintrennen des Winters hatte die Wallgauerin bis dahin atemberaubende sechs gewonnen. Selten hatte eine Athletin eine einzelne Disziplin derart deutlich dominiert. In Ruhpolding allerdings schwebte nun ein kleiner Unsicherheitsfaktor über Neuners Spezialdisziplin: Das milde Wetter. Nicht wenige hatten den späten WMZeitpunkt kritisiert. Stephane Bouthiaux, Frankreichs Männertrainer und damit Coach des neuen Überfliegers Martin Fourcade, reihte sich in den Kreis der Kritiker ein. »Ich habe absolut kein Verständnis für die IBU«, wetterte der Franzose in Richtung Weltverband, »wie kann ich im März eine WM in Mitteleuropa machen. Faire Wettbewerbe sind so unmöglich.« Bouthiaux` Ahnung: Die angegriffene Spur werde sich im Verlauf eines Rennens derart verschlechtern, dass Athleten mit höherer Startnummer chancenlos sind. Wolfgang Pichler, der knorrige Ruhpoldinger, der seit Sommer die Geschicke von Russlands Frauen lenkte, hatte derweil eine ganz andere Befürchtung. Was wäre, wenn der Nachmittagsschatten unter dem Zirmberg die Temperaturen vielleicht doch wieder in den Bereich des Gefrierpunkts absinken lässt? Wären auf einer vereisenden Strecke nicht Läufer mit höherer Startnummer im Vorteil? »Du kannst hier die richtige Karte ziehen oder du bist der Depp«, befand er ziemlich lapidar.

Beim Sprint der Frauen schlossen sich die großen Verbände dann doch der französischen Ahnung an. Die Favoritinnen ließen sich allesamt im Vorderfeld eingruppieren. Am spätesten noch Magdalena Neuner, deren Nummer 29 sich allerdings als echter Vorteil erwies: Sie hatte auf der Schleife, die die Veranstalter sogar mit Brezensalz gepflegt hatten, im Blick, wie es ihren Konkurrentinnen erging. Und so wusste sie auch vom kleinen Missgeschick von Darja Domratschewa, ihrer großen Widersacherin dieser Weltcup-Saison. Die Weißrussin hatte sich am Schießstand zwar keinen Fehler erlaubt, aber sie hatte Probleme mit ihrer Waffe, die sie wertvolle Sekunden gekostet hatten. Der Schützling des deutschen Trainerfuchses Klaus Siebert war über die Saison hinweg die einzige Läuferin gewesen, die Neuner auch in der Spur in schwere Bedrängnis bringen konnte. Nach ihrem Patzer war klar: Mit zwei Mal »Null« wäre der Weg zum Weltmeistertitel frei. Und Magdalena Neuner tat, was von ihr gefordert war. Ohne Fehler brachte sie die beiden Schießeinlagen hinter sich und bescherte den 28.000 Biathlon-Fans in der restlos vollgepackten Arena ihren ersten Glücksrausch. Der Jubel, als die 25-Jährige dann auch tatsächlich mit gut 15 Sekunden Vorsprung auf Domratschewa und sogar 37 Sekunden auf die ukrainische Überraschungs-Dritte Vita Semerenko über die Ziellinie rauschte, dürfte noch im nahe gelegenen Salzburg zu hören gewesen sein. Und selbst Wolfgang Pichler, der im Vorfeld noch gestichelt hatte (»Hier werden Medaillen ganz schwer hergehen«) verbeugte sich tief vor der nun alleinigen Rekordweltmeisterin. »So a varreckts Luder«, entfuhr es dem 57-Jährigen mit breitem Grinsen. Ein höheres Lob ist aus bayerischem Mund kaum zu bekommen. Natürlich war auch der zum Champions Park umfunktionierte Kurpark im Herzen der 6800-Seelen-Gemeinde voll gepackt, als sich Neuner wenige Stunden später ihre elfte Goldmedaille um den Hals hängen lassen durfte. Rund 5000 Menschen verwandelten den sonst so beschaulichen Platz in ein beeindruckendes schwarz-rot-goldenes Fahnenmeer.

Und natürlich witterte die verzückte Fangemeinde die Chance auf mehr. Denn der Sprintsieg bescherte Magdalena Neuner ja auch eine glänzende Ausgangsposition für die bereits Tags darauf wartende Verfolgung. Wie es gehen könnte, machte dem deutschen Liebling der Massen schon einmal der Franzose Martin Fourcade vor, der als erster Sprint-Weltmeister überhaupt auch das folgende Jagdrennen für sich entscheiden konnte. Der Ausnahmeläufer leistete sich sogar satte vier Schießfehler. 600 Extra-Meter in der Strafrunde hatte er sich damit also eingehandelt, doch am Ende reichte die Kraft immer noch, um den schwedischen Routinier Carl-Johan Bergman locker nieder zu spurten.

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