Kitabı oku: «Der Junge mit dem Feueramulett: Der heilige Vulkan», sayfa 4
Die Alte Stadt
Nachdem sie sich einige Tage über die Ebene gekämpft hatten, sahen sie schließlich am Horizont die Silhouette der Alten Stadt. Kard war enttäuscht. Er hatte sich, nach all den Geschichten und Sagen eine riesige Stadt mit gewaltiger Stadtmauer und beeindruckender Burg vorgestellt. Aber vor ihnen lag mehr oder weniger nur eine ungeordnete Ansammlung von Häusern und Ruinen. Obwohl Kard gewusst hatte, dass Flanakan nach dem Großen Krieg die Stadtmauern der Alten Stadt bis auf den Grund geschliffen und die Drachenburg der einstigen Herrscher vollkommen zerstört hatte, war das innere Bild in seinem Kopf ein anderes gewesen. Wenn man sich Conchar von weitem näherte, bot sie mit ihren hohen Stadtmauern und der über den Häusern thronenden Schwarzen Burg ein beeindruckendes Bild. Kard hatte, nachdem er die Pflüge und Harken an die Bauern der Umgebung ausgeliefert hatte, diesen Anblick dutzende Male auf sich wirken lassen. Die Alte Stadt hatte er sich stets als ein mächtiges Spiegelbild Conchars ausgemalt. Riesige Stadtmauern mit einer darüber majestätisch sich erhebenden strahlen weißen Burg! Vielleicht hatte die Alte Stadt ja früher tatsächlich so ausgesehen? Aber Flanakan hatte dafür gesorgt, dass sich die ehemalige Reichshauptstadt nie mehr zu ihrer alten Größe erheben würde. Allerdings hatte er es nicht geschafft, die Bewohner aus dieser Stadt zu treiben. Auch wenn die Alte Stadt längst nicht mehr das war, was sie einmal gewesen sein musste, auf Kard übte sie trotzdem eine unerklärliche Faszination aus.
Bald durchhüpften sie die ersten Haine mit kleinen, verkrüppelten Nadelbäumen, die sich anscheinend nie vom Großen Krieg erholt hatten. Ruinen von Häusern oder gar ganzen Dörfern, die nie mehr aufgebaut worden waren und deren bemoosten Überreste sich wie Mahnmale auftürmten, säumten ihren Weg.
Inzwischen waren sie auch nicht mehr alleine auf dem Weg. Andere Reisende, Toraks und Menschen, gesellten sich zu ihnen. Die Klatsch war wieder in ihrem Sichtfeld und die Boote luden die ersten Passagiere ab, die hier in den Randbezirken ihren Geschäften nachgingen. Zwischen den ersten Häusern, die sich zwischen den Ruinen, am Rande der Alten Stadt erhoben, brannten Feuer, an denen sich dunkle Gestalten mit heruntergezogenen Kapuzen wärmten. Und die Wachen waren auch wieder da, schritten misstrauisch zwischen Toraks, Tok-Rindern, Bos-Ochsen und Menschen herum. Im Gegensatz zu den etwas gelangweilten Soldaten in Conchar, vermittelten die Schwarzgekleideten hier einen Eindruck steter Wachsamkeit. Die Hand stets am Schwertgriff beäugten sie das Volk und schauten angespannt in dunkle Ecken und Nischen.
Die Respektlosen verhielten sich einigermaßen respektvoll. Hinter dem Rücken der Wachen streckten sie ihnen schon einmal die Zunge heraus, aber sie vermieden die offene Konfrontation, was Kard nur recht war. Endlich in der Alten Stadt. Hier begann die Karte, die Wallas damals in die Asche gemalt hatte. Geht in die Alte Stadt und sucht den Alten Minenweg, hatte er ihnen gesagt. Wenn sie den Alten Minenweg gefunden hatten, mussten sie erst einmal zu den drei Eichen. Von dort quer durch den Wald, in Richtung von Branubrabat, dem Heiligen Vulkan, bis zu den Heißen Quellen. Im Zentrum der Heißen Quellen befand sich der Lagerplatz des Onchus. Mitten im Wald, mitten im Nirgendwo.
Also mussten sie zuerst den alten Minenweg finden. Die Respektlosen hatten sie schon gefragt, aber die hatten davon noch nie gehört. Wenn die Wahter es nicht wußten, wie sollten es dann die Respektlosen wissen, hatten sie verwundert gefragt. Kards und Madads Aufgabe war es also nun, einen Hinweis auf diesen Minenweg zu finden. Vielleicht wurde er ja noch heute so genannt? Aber Flanakan hatte den Erzabbau einschränken und die damit zusammenhängende Produktion von Waffen einstellen lassen. Die wenigen Minen, die noch im Betrieb waren, unterstanden direkt dem Herrscher. Einige nichtstaatliche Erzhändler hatten Lizenzen, entweder das wertvolle Gestein direkt oder die daraus gewonnen Metalle in Haragor zu vertreiben. Und den Schmieden war es natürlich nur erlaubt, Mistgabeln, Küchenmesser und anderes nützliches Gerät herzustellen. Jegliche Waffenproduktion war untersagt. Daher waren ja auch die Amazonen als privater Wachschutz so gefragt. An ihnen vergriffen sich die Wachen nicht, auch wenn sie mit Schwert und Bogen direkt vor ihnen standen. Einem Torak oder normalen Menschen würde man in einer ähnlich waffenstrotzenden Aufmachung dagegen sofort die Lichter ausblasen.
Oiklihd machte Kard auf eine aus Toraks und Menschen bestehende Gruppe aufmerksam, die einbeinig durch die Menge hüpfte. Vielsagend flüstert er ihm zu, dass es sich auch hier um Respektlose handeln würde. Sie verweigerten den zweibeinigen Gang. Genauso respektlos waren die Rückwärtsgeher, die ihnen an der nächsten Ecke entgegenkamen. Hauptsache anders sein! Sich um keine Regeln kümmern. Jawohl. Freiheit, Unsinn, Respektlosigkeit. Kard nickte nachdenklich und innerlich aufgeregt. Keiner wurde hier von den Wachen festgenommen, nur weil er unübliches Verhalten an den Tag legte. In Conchar wurde man schon überprüft, wenn man zum falschen Zeitpunkt hustete. Aber in der Alten Stadt war es nicht so einfach, unübliches Verhalten festzustellen, weil irgendwie alle etwas Unübliches taten. Es gab die Schreihälse, die den ganzen Tag schrien und da ihnen irgendwann die Worte ausgegangen waren, schrien sie nur noch sinnlose Silben. Die Schweigenden hätte Kard wahrscheinlich erst gar nicht wahrgenommen, wenn Arschimaedes ihn nicht auf sie aufmerksam gemacht hätte. Sie schwiegen und schwiegen und das über Jahre, bestätigte der Torak. Ob sie allerdings alle zum Kongress der Respektlosen gekommen waren oder einfach zum normalen Straßenbild der Alten Stadt gehörten, konnte Kard keiner sagen. Der Vorteil daran war, dass auch die Wachen weder die Riesenkaninchen noch die beiden wandelnden Wischmopps beachteten.
Schließlich war die Zeit gekommen, sich von Oiklihd, Arschimaedes und Puetontagoras zu verabschieden, die nun weiter zu Ludmilla Kamilla Marionella eilen wollten, während sich Kard und Madad entschlossen hatten, sich zum Zentralen Platz durchzuschlagen, da sie hier hofften, jemanden zu finden, der etwas über den Alten Minenweg wusste. Statt großer Worte oder gar brüderlicher Umarmungen, da man sich ja im Verlauf der Reise doch näher gekommen war, stießen die anderen sie an einer Straßenkreuzung von ihren Reittieren und hoppelten davon. Oiklihd drehte sich noch einmal um und zwinkerte ihnen zu. Ein wirklich respektloser Abschied.
Einst war der Zentrale Platz das Zentrum göttlicher Magie von ganz Haragor gewesen. Altäre der drei Götter und der drei Göttinnen hatten sich dort befunden und wurden dort gleichermaßen gehuldigt. Vielleicht wurde Branu zur Zeit der Drachenkönige etwas mehr verehrt. Vielleicht ein ganz kleines bisschen mehr. So im Verhältnis achtzig zu zwanzig. Achtzig Opfergaben für Branu und seine Brüder, zwanzig für die Göttinnen. Goiba, Credna und Luchta hatten im Schatten ihres großen Bruders Branu früher nicht ganz so viel Bedeutung gehabt wie heute. Aber immerhin standen sie Seite an Seite mit ihren Brüdern. Im Reich Flanakans war es nun genau umgekehrt. Nur dass die göttlichen Brüder einen noch schwereren Stand hatten als ihre drei Schwestern zur Zeit der Drachenkönige. So hatte es Kard auf jeden Fall bisher wahrgenommen. Denn so war es in Conchar gewesen. Aber hier in der Alten Stadt war auch das anders. Und so musste Kard verwundert feststellen, dass man auf dem Zentralen Platz zwar große, reich geschmückte Altäre der Göttinnen fand, aber daneben, etwas schlichter, standen weiterhin die Altäre der drei göttlichen Brüder. Und vor diesen Altären hatten sich alte, bärtige Männer versammelt, die vor sich hin schimpften. Govans! Die Priester von Branu, Charu und Charabnu. Und unweit von ihnen in ernster Andacht Govas, umringt von Wachen. Ab und zu wurde faules Gemüse zwischen den beiden Priestergruppen hin und her geworfen. Aber im Grunde schien hier alles recht friedlich abzulaufen.
Kard und Madad versuchten unauffällig über den Platz zu schlendern. Was nicht so einfach war. Denn so praktisch es war, dass man sie unter ihrer Haarpracht nicht identifizieren konnte, so unpraktisch war es nun hier, dass die ganze Welt sie für Wahter hielt. Die Waldmenschen bekam man selbst in der Alten Stadt selten zu sehen. Schon von daher wurde ihnen eine gewisse Beachtung geschenkt. Schon gleich als sie am Straßenvolk nicht einfach auf Riesenkaninchen vorbeihoppelten, sondern ihnen auf Augenhöhe entgegenkam, hatten die Freunde diese erhöhte Aufmerksamkeit registriert. Da sich aber in der Alten Stadt die seltsamsten Gestalten herumdrückten, hatten sich die Bewohner angewöhnt, sich ihr Interesse nicht anmerken zu lassen. Aber nicht wenige konnten einen zurückhaltenden Blick auf die wandernden Wischmopps nicht vermeiden. Kard fühlte sich zusehends unwohler unter seiner Perücke. Er drückte sich mit Madad am Rande des Platzes in eine dunkle Nische und beobachtete das Treiben.
Unweit von ihnen unterhielten sich zwei Govans. Beide in gelbe Umhänge gehüllt, die aber derart lange nicht mehr gewaschen worden waren, dass die Farbe nur noch unmerklich unter der grauen Patina hindurchschimmerte. Beide hatten lange graue Bärte und stützten sich auf knorrige Stöcke.
»Wenn diese Wachen nicht da wären, würde ich denen da schon zeigen, was Sache ist.« Der Govan zeigte mit seiner dicken Knollennase in Richtung der Govas, die andächtig in den Himmel starrten. Dort oben schimmerte an diesem Tag blass ein Vollmond.
»Hättest sie erst bei dieser Sonnenfinsternis sehen sollen. Nicht zum Aushalten!«, antwortete der andere Govan und verzog missmutig sein faltiges Gesicht.
»Früher hätte es das nicht gegeben.«
»Stimmt«, pflichtete der zweite Govan bei und schaute nun ebenfalls missmutig zu den Govas.
Verglichen mit den alten Priestern waren die Priesterinnen wesentlich eleganter gekleidet. Ihre nachtschwarzen Umhänge glänzten im Sonnenlicht als seien sie eben frisch gewaschen worden. Und nicht nur die Kleider der Govans machten anscheinend recht selten die Bekanntschaft mit dem Waschzuber, auch die Herren selbst schienen nicht auf gutem Fuß damit zu stehen. Ihre Haare waren zerzaust und verfilzt, und in ihren Falten hatte sich der Staub der Straße niedergelassen. Im Gegensatz dazu dufteten die Damen nach Essenzen, die einem die Sinne raubten. Die Govas, in ihrem Ritual vertieft, beachteten weder das faule Gemüse, was ihnen über die Köpfe flog, noch das Gezeter der Govans. Zwischen ihren Händen konnte Kard etwas Gelbes erkennen.
»Sie opfern wieder Sonnenblumen«, murrte die Knollennase und stampfte wütend mit seinem Stab auf den Boden.
»Branus Feuer soll sie verbrennen.«
Kard, der den Worten der beiden Govans mit Interesse gefolgt war, hielt kurz den Atem an. Ein Gova, eine Priesterin von Goiba oder einer ihrer Schwestern, zu verfluchen, wurde in Conchar mit dem Tod geahndet. Tsarr selbst würde den Lästerern die Gedärme herausschneiden. Aber niemand beachtete die beiden Alten. Ihr Glück, dachte Kard, aber insgeheim bewunderte er sie, diese jammernden Greise.
»Kard! Schau mal da drüben.«
»Wo?« Unter Madads Haarpracht konnte man ja leider nicht sehen, wo er mit der Schnauze hinzeigte. Aber jetzt sah Kard es auch. Ein kleines Wesen mit langen Armen und kurzen Beinen hatte den Platz betreten. Es war derart behaart, dass über der glänzenden schwarzen Nase kaum die braunen Augen zu erkennen waren. Es trug keine Kleider über dem Fell und nur ein Lederrucksack über den Schultern. Das Wesen ging schnurstracks zum Branu-Altar, legte eine große gelbe Knolle darauf, verharrte kurz in stillem Gebet und war genauso schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war.
»Oh, eine Branuschimmelpilz«, äußerte sich einer der Govans.
»Sehr selten, sehr selten. Gibt es nur am Fuß des Branubrabats. Eine seltene Gabe. Das wird unseren Gott aber freuen.«
»Das muss ein Wahter gewesen sein«, flüsterte Madad, »ein echter!«
Kard nickte unter seiner Perücke. Der echte Wahter war zwar wie sie recht behaart gewesen, aber da endete auch schon die Ähnlichkeit.
Inzwischen war das Branu-Opfer auch von den Govas entdeckt worden. Ein hässliches Krächzen erhob sich aus der Gruppe und giftsprühende Blicke wurden in Richtung des Altars geworfen. Die beiden altes Govans kicherten.
»Das mögen sie nicht. Nein, nein, das mögen sie nicht, diese Nachtschwestern. Früher, früher, ja früher, da wurde so etwas jeden Tag geopfert. Jeden Tag ein Branuschimmelpilz. Das waren noch Zeiten. Wann hast du deinen letzten Branuschimmelpilz gesehen?«
Die beiden Govans überlegten. Und überlegten. Und fingen wieder an zu kichern. »Ist eine ganze Weile her. Das waren noch Zeiten.«
Kard war nun klar, dass niemand, der jemals einen echten Wahter gesehen hatte, ihnen ihre Verkleidung abkaufen würde. Und da es in der Alten Stadt anscheinend doch einige dieser seltenen Gesellen gab, mussten sie sich etwas überlegen. Er gab Madad ein Zeichen.
Sie entfernten sich vom Zentralen Platz und liefen in eine dunkle Seitengasse. Kard setzte sein Bündel ab und nahm das in Tücher eingeschlagene Schwert heraus.
»Die Haare müssen ab, Madad. Keiner wird uns hier glauben, dass wir Wahter sind.«
»Echt?«
»Und dir schon gar nicht. Du kleiner, buckliger Wahter, du.« Kard musste lachen.
»Yo, stimmt. Hat bis heute gut geklappt. Aber hast du eine Ahnung, wie schwer es war, auf diesem verdammten Kaninchen zu reiten?«
Kard nahm das Schwert, zögerte aber noch.
»Wenn du die Haare schulterlang lässt, siehst du aus wie in Mädchen.«
»Danke, Madad. Und du siehst aus wie ein Teppich auf vier Pfoten.«
»Nein. Kard. Das meine ich ernst. Falls die uns hier tatsächlich suchen, dann doch als Junge mit Hund. Oder?«
»Na gut. Da hast du recht. Wenn die Haare etwas länger bleiben, könnte das immer noch eine gute Tarnung sein. Aber was machen wir aus dir? Ein Schaf?«
»Also Mama hat mal von diesen schicken Hunden erzählt.«
»Ja?«
»Die haben komische Puschel am Kopf, an den Füßen und am Schwanz.«
»Puschel?«
»Ja, ja. Ich glaube, die heißen auch so. Puschel. Genau, ich werde ein Puschel.«
Kard seufzte. Dann lachte er. Ein Mädchen und ein Puschel. Warum nicht? Er setzte das Schwert an und schnitt zuerst sich selbst die Haare ab. Das ging relativ schnell, auch wenn sein Kopf danach wie ein Pilz aussah. Madad dagegen brauchte eine richtige Frisur. Und das sollte dann ja auch wirklich schick aussehen. Kard gab sich große Mühe und führte die Schneide vorsichtig über Madads Kopf. Zuletzt, nachdem Madads Kopf ebenfalls an einen Pilz erinnerte und seine Beine ganz passabel aussahen, machte Kard sich daran, die Haare vom Schwanz zu schneiden.
»Halt still, Madad.«
»Das kitzelt aber.«
Madad wedelte zuckend und Kard bekam einen Schlag ins Gesicht.
»Halt endlich still, sonst schneide ich dir den noch ganz ab.«
»Kann ich behilflich sein?«
Kard und Madad drehten sich blitzartig um. Hinter ihnen stand ein Govan, genauso in eine dreckiggelbe Robe gehüllt wie seine Kollegen auf dem Zentralen Platz und auch mit einem dicken Stock ausgerüstet. Mit blitzenden blauen Augen, in denen ein jugendlicher Schalk blitzte, sah er die Freunde an.
»Branu ist mir gnädig, dass er mich zu euch geführt hat. Soll ich dem Puschel den Schweif halten?«
Aha, dachte Kard zufrieden, anscheinend funktioniert unsere Verkleidung.
»Vielen Dank, das schaffen wir schon.« Kard warf einen verstohlenen Blick zum Boden. Das Schwert, das im vor Schreck eben heruntergefallen war, war in einem Meer von Haaren versunken und nicht zu sehen.
»Nun gut, lieber Freund, ich will mich nicht aufdrängen. Aber ihr habt eure ganze Ernte verloren!«
Der Govan deutete mit seinem Stab auf die Haare.
»Ernte?«, fragte Kard erstaunt.
»Sicherlich«, antwortete der Alte, »bestimmt seid ihr eine fahrende Hundefriseurin, die offensichtlich heute einen ausgezeichneten Tag hatte. Habt ihre eure Tasche verloren? Das ganze Haar da auf dem Boden zu sehen, macht mich ganz unglücklich.«
»Äh, ja, genau.«
»Hier, ich kann euch meine Tasche leihen. Wenn ihr fertig seid, kommt einfach in mein Labor. Murkslin ist mein Name. Zwei Gassen weiter, dann dreimal links und schon seid ihr da.«
»Gut, danke.« Kard fing die Tasche auf, die der Alte ihm zugeworfen hatte, und als er den Blick wieder zu dem Govan wenden wollte, war der bereits verschwunden.
»Murkslin, was?« Madad kicherte. »Hundefriseurin! Wir sollten ihm dankbar sein. Wir haben jetzt nicht nur eine neue Identität, wir haben auch gleich eine neue Arbeit.«
Kard seufzte, nahm das Schwert aus dem herumliegenden Haar und verpasste Madad den letzten Schliff.
»Puschel Madad, du bist fertig.«
»Hundefriseurin Kardania, Mama wäre stolz auf dich.«
»Dann lass uns mal das Haar aufsammeln. Er hat was von einem Labor erzählt. Bin gespannt, was er damit gemeint hat.«
Murkslins Behausung erinnerte ein wenig an die Hütte des Kräutermeisters, nur dass es im vorderen Teil des kleinen, baufälligen Häuschen einen halbwegs aufgeräumten Verkaufsraum gab. Im hinteren Bereich befand sich ein Labor, in dem Flüssigkeiten jeder Farbe und jedweder Konsistenz in unterschiedlichsten Glasbehältern und Töpfen vor sich hin blubberten. Eine Glocke hatte geläutet, als Kardania mit ihrem Puschel die Tür geöffnet hatte. Jetzt drang aus dem hinteren Raum ein unverständlicher Ruf. Unentschlossen standen die beiden erst einmal in dem Verkaufsraum und sahen sich um. Durch die offene Tür konnten sie in den hinteren Bereich sehen. Dort stand Murkslin an einer gläsernen Apparatur und klopfte vorsichtig auf die Kolben. Im Schaufenster hatten sie schon die kleinen Krüge gesehen, die mit »Geschwürverschwindesalbe« oder »Kotzgefühlvergehpulver« beschriftet waren. Offensichtlich war Murkslin, ähnlich wie die Gova in Klatschmünde, die ihnen das Haarwuchsmittel verkauft hatte, in der Heilmittelbranche tätig. Im Raum selbst standen größere Krüge mit der gleichen Aufschrift, deren Inhalt der Govan wohl zum Verkauf dann in die kleineren Behälter umfüllte. Außerdem die Verkaufstheke, geschmückt mit Totenkopf und mehreren Gläsern, in denen tote Tiere wie Spinnen und Käfer konserviert in einer durchsichtigen Flüssigkeit schwammen. Kard erschrak ziemlich, als eine der Spinnen, als er neugierig an eines der Gläser klopfte, eines ihrer acht Augen öffnete und ihn böse anstarrte. Kard sprang zurück, fiel dabei über Madad und landete unsanft auf dem Rücken. Der dumpfe Schlag hatte den Govan anscheinend von der Betrachtung seiner Apparaturen abgelenkt, denn er schlurfte nun in den Verkaufsraum.
»Ach, ihr seid es. Schön, schön. Habt ihr die Haare dabei?«
Kard nickte und reichte ihm den Beutel. Murkslin öffnete ihn und schaute interessiert hinein.
»Menschen- und Hundehaar gemischt. Macht eigentlich nix. Ich verkoche die sowieso zu einer schönen Suppe.«
Kard verzog das Gesicht. Will dieser Murkslin diese Haare etwa essen? Der Govan bemerkte Kards Grimasse und lächelte.
»Nein, nein. Nicht das, was du jetzt denkst. Haare sind eine wunderbare Grundlage für meine Salben. Schön gekocht ergeben die eine wirklich tolle Suppe.« Der Govan überlegt kurz. »Ich gebe euch 10 Argits.«
Da ihr Reisgeld inzwischen so gut wie aufgebraucht war, nickte Kard. »Gut. Und vielleicht wissen sie auch, wo man hier günstig übernachten kann?«
»Ihr habt noch keine Bleibe? Gerade angekommen heute, was?«
Kard nickte.
»Wo kommt ihr her? Wartet, nichts sagen. Eine Hundefriseurin und ein Puschel. Ich weiß es. Ich weiß es.« Freudig hüpfte Murkslin von einem Bein auf das andere. »Ihr kommt aus Amazonien!« Kard sah den alten Mann misstrauisch an, nickte dann aber. Sieht nicht wie ein Spitzel der Wachen aus, dieser alte Mann.
»Ich wusste es. Wo könnte eine fahrende Hundefriseurin besser ihr Geld verdienen als bei diesen hundeverrückten Frauenzimmern?« Murkslin schaute triumphierend auf seine Gäste, doch plötzlich verdunkelte sich sein Blick.
»Diese Goiba-Dienerinnen. Diese, diese, diese…« Murkslin suchte wohl noch nach passenden Schimpfwörtern, hielt dann aber inne.
»Aber du? Du bist hoffentlich keine Amazone? Oder?«
Das Oder hatte wirklich böse und scharf geklungen. Kard schüttelte heftig den Kopf. Aber der Zorn war schon wieder aus Murkslin gewichen und der Govan schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn.
»Du bist bestimmt keine Amazone. Viel zu schmächtig. Keine Tätowierungen. Und keine Waffen. Du hast doch keine Waffen, oder? Das sehen die Wachen hier gar nicht gerne. Leute mit Waffen.«
Kard beeilte sich, Murkslins Sorgen zu zerstreuen. »Nein, nein, nur mein Schermesser, das ich für die Arbeit brauche.«
»Na ja, gegen Messer können die Wachen nichts sagen. Obwohl dieser Flanakan das wohl am liebsten auch verbieten würde. Dieser Vampyrbastard mit dieser Goibahexe. Keine Messer. Und natürlich keine Schwerter.«
Kard hatte gerade einen kurzen Herzstillstand bekommen, die Atmung versagte ihm noch immer. Was hat er da gerade gesagt? Vampyrbastard und Goibahexe? Allein diese Ausdrücke zu denken, fiel Kard schwer. War dieser Govan von allen guten Geistern verlassen?
»Alles klar, Kleine? Du bist so blass.« Murkslin schaute Kard besorgt an. Und auch dieser Hund winselte so komisch.
»Du hast gerade, du hast gerade…« Kard traute sich gar nicht, es auszusprechen. Seine Stimme würde zum Flüstern. »Du hast gerade, äh, Bastard, und, äh, Hexe gesagt.«
Murkslin schaute die Friseurin belustigt an. Dann wiederholte er die Schimpfwörter in ziemlicher Lautstärke. »Vampyrbastard. Goibahexe.« In normalen Tonfall fuhr er fort. »Siehst du irgendeine Wache hier? Oder noch schlimmer, eine von den Goiba-Priesterinnen, die sich wagen, Govas zu nennen? Ich nicht. Du solltest mal darüber nachdenken, wo du bist. Du bist in der Alten Stadt. Früher herrschten hier die Drachenkönige! Und Branu war ihr Gott! Da hat sich keiner groß um Goiba und ihre Schwestern gekümmert. Und wir Govans, wir waren noch wer. Jawohl. Ein Govan damals war nicht irgendein kleiner Zauberer, der ein paar Salben zusammen mischte, um den Leuten bei ihren Geschwüren zu helfen. Nein. Nein. Damals haben wir die Elemente beschworen. Branus Energie floss durch unsere Hände und wir riefen das Feuer, den Wind und alle Wesen, die der Macht des Schöpfers unterstanden. Drachen zum Beispiel. Obwohl…« Murkslin kratzte sich verlegen am Bart. »Drachen haben nur die Drachenkönige beschworen. Ich glaube, auch die Govans damals mussten sich mit etwas weniger zufriedengeben.«
Murkslin hatte während seiner Rede einen leicht verträumten Blick angenommen, der nun jäh in sich zusammenbrach. »Und schaut euch heute die Govans an. Gehen wir stolz in unseren gelben Mänteln über den Zentralen Platz und werden vom Volk mit Hochachtung geehrt? Nein, wir kriechen wie kleine, graue Ratten durch das Gewühl unserer Mitmenschen und kuschen vor diesen hochnäsigen Goiba-Priesterinnen, die es nicht verdient haben, Gova genannt zu werden.«
»Dann wascht doch eure Mäntel, dann sind die schonmal gelb.« Madad handelte sich mit diesen Worten einen Tritt von Kard ein, aber der Cu konnte es nicht leiden, wenn Menschen herumjammerten. Zum Glück hatte der Govan nicht gemerkt, von wem diese Worte kamen.
»Ach, Kindchen. Ich kann doch als Govan nicht selbst waschen. Wo kämen wir denn da hin? Ein waschender Govan? Da könnte ich mir ja gleich die Haare kämmen.«
Missmutig trat der Govan an einen seiner Krüge.
»Wie auch immer. Ich habe mir gerade überlegt, dass ihr auch hier wohnen könntet. Die zehn Argits, die ich euch für eure Haare geben wollte, habe ich sowieso gerade nicht hier. Ich könnte die euch sicherlich in ein paar Tagen geben, aber heute…« Murkslin lächelte Kardania und den Puschel freundlich an. »Oben habe ich noch eine Kammer. Abgemacht? Eure Haare gegen, sagen wir, drei Übernachtungen?«
Kard streckte die Hand aus und damit war es beschlossen. Er fand diesen Govan faszinierend. Die Respektlosen verleugneten Götter und Glauben, aber noch nie hatte er jemanden kennengelernt, der dermaßen abfällig über Flanakan und Tsarr gesprochen hatte. Schon fühlte er wieder den Drachenzahn auf der Brust pulsieren. Allerdings war es diesmal nicht nur ein beruhigendes Gefühl, sondern eine Mischung aus Aufregung und Gefahr, gepaart nicht nur mit Furcht, sondern auch mit der Hoffnung, dass alles gut gehen würde. Obwohl Kard weiterhin einen Rest von Unsicherheit und Verwirrung spürte, den er aber ärgerlich von sich wies. Jahrelang hatte er unter der Knute des Herrschers und den Gesetzen der göttlichen Schwestern gelebt, ohne das überhaupt zu bemerken. Alles war einfach normal gewesen. Und jetzt hatte er im Lauf der Reise schon mehrfach erlebt, wie die Selbstverständlichkeiten seines alten Lebens in sich zusammenfielen. Und nun dieser alte Govan, ein Diener Branus, der es wagte, in einem Tonfall über die Herrschenden zu reden, wie es Kard noch nie gehört hatte. Ob er das auch mal probieren sollte? Ich könnte Flanakan und Tsarr beschimpfen. Aber Kard wagte es nicht, diese Fantasie in die Tat umzusetzen.
*
Wallas hatte sich angewöhnt, sich nur nachts fortzubewegen. Er nahm den direkten Weg über die Hochebene von Asch-by-lan. Um etwaige Verfolger in die Irre zu führen, hatte er überlegt, über Klatschmünde zu reisen, diesen Gedanken aber letztendlich verworfen. Und auch der Weg über die Torak-Steppe im Westen, obwohl für ihn wahrscheinlich die sicherste Alternative, war ihm ein zu großer Umweg. Er wusste nicht genau wieso, aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihm die Zeit davonlief. Er wollte so schnell wie möglich in die Alte Stadt.
Nachts blieb er unerkannt, die wenigen Karawanen, denen er begegnete, konnte er ausweichen und sich im hohen Gras verstecken. Er hatte keine Angst. Dafür war er einfach zu alt.
Aber je näher er der Alten Stadt kam, in der er seine Jugend verbracht hatte, desto unruhiger wurde er. Was ist das für ein Gefühl, fragte er sich? Sind es die alten Erinnerungen, die in ihm auftauchten? Dem Vorbild seines Vaters nacheifernd war er damals auf dem Weg gewesen, königlicher Waffenschmied zu werden. Jene Schmiede, die das Geheimnis der Herstellung von Minas-Schwertern beherrschten, den Symbolen der Macht der Drachenkönige. Doch dann hatte er sich in diese Amazone verliebt. Penthulia. Sie hatte sich nicht um ihn gekümmert, aber das war ihm damals egal gewesen. Die Amazonen waren gern gesehene Kunden bei seinem Vater, denn sie verstanden wirklich etwas von den Klingen, die der alte Schmied zu fertigen wusste. Jeden Tag kamen sie in die Schmiede, nur um sich an dem glitzernden Metall zu erfreuen, über die scharfen Klingen zu streichen und über den errötenden Teenager-Torak ihre Witze zu machen. Wallas hatte sich damals eingebildet, dass Penthulia ihm zweideutige Blicke zuwarf. Sein Herz hatte zu rasen begonnen, seine Knie wurden weich, sein Mund trocken. Leider hatte er dies eines Abends seinem Vater erzählt.
»Du bist verliebt, Wallas«, hatte sein Vater lachend gesagt und ihm einen kräftigen Schlag auf die Schultern verpasst. Dann wurde seine Stimme wieder ernst.
»Aber sie ist nur eine Amazone, Wallas, vergiss das nicht.«
Nur eine Amazone? Nur? Wallas war außer sich. Als ob die Toraks etwas Besseres wären? Nur eine Amazone? Aber unter den Drachenkönigen herrschte strenge Trennung der Wesen. Und jede hielt sich für die erste Wahl Branus – oder Goibas. Die Toraks waren besser als die Amazonen, die besser als die Menschen, die besser als die Toraks waren. Von den Wahtern ganz zu schweigen. Diese behaarten Missgeburten waren gut für die Arbeit in den Wäldern, für mehr aber auch nicht. Wieso sie dem Drachenkönig trotzdem im Großen Krieg dann zur Seite standen, war für Wallas bis heute ein Rätsel. Denn dann kam er ja, Flanakan, der Bastard, der seinen arroganten Vater herausforderte. Für Wallas damals ein Held. Einer der Gleichheit und Gerechtigkeit bringen sollte. Brüderlichkeit zwischen Toraks, Menschen, Amazonen, Ichtos, Wahtern und den Fasachen der Großen Wüste. Niemals hätte er damals zugegeben, dass er sich aus Trotz gegen seinen Vater Flanakan angeschlossen hatte. Und nicht etwa aus edlen Idealen. Heute war er da nicht mehr ganz so sicher.
Der Sohn gegen den Vater, so hatte der Krieg begonnen. Doch dann wurden die Götter angerufen, denn nur mit der Macht ihrer Magie konnte der Kampf entschieden werden. Und Flanakan hatte es geschafft, Tsarr und damit Goiba auf seine Zeit zu ziehen. Von da an war es auch ein Krieg der Götter, ein Krieg der Brüder gegen ihre Schwestern.
Der Drachenkönig hatte einen geweihten Harnisch, den kein normales Schwert durchdringen konnte. Und solange der Drachenkönig lebte, konnten die Rebellen um Flanakan nicht siegen. Wie oft hatte Wallas, der wie selbstverständlich nun Flanakans Waffenschmied geworden war, seinen Anführer nach einem Minas-Schwert rufen gehört? Ein in Onchupisse getauchtes Minas-Schwert bräuchte er, um seinen elenden Vater zu töten, hatte Flanakan geschrien. Nur ein geweihtes Minas-Schwert konnte den Harnisch durchschlagen. Es war der Schlüssel zur Macht. Doch dann ersann Tsarr eine List und der Drachenkönig wurde durch Verrat getötet. Auch ohne geweihtes Minas-Schwert. Über hundert Jahre war das nun her. Aidan, der letzte Drachenkönig, ein arroganter, selbstherrlicher Herrscher, war in den Sagen inzwischen zu dem Gerechten mutiert. Was sich Flanakan selbst zuzuschreiben hatte. Denn je weiter die Zeit voranschritt, desto mehr ähnelte er seinem verhassten Vater. Der einstige Rebellenführer war inzwischen zu einem gefürchteten Tyrannen geworden. Und von dem Traum eines Bundes der Brüderlichkeit aller Wesen war nichts mehr übrig geblieben. Geschickter noch als sein Vater hatte es Flanakan verstanden, dass jedes Wesen sich als die überlegene Spezies ansah. Jahrzehntelang hatte sich das Volk so gegenseitig in Schach gehalten. Aber jetzt hatte die Waagschale zu kippen begonnen. Ein Menschenleben war nun mehr wert als das eines Toraks oder jedes anderen Wesens im Reich. Die Leibeigenschaft, in die jeder gezwungen werden konnte, war ein weiteres Anzeichen einer Krankheit, die das Reich von innen erfasst hatte und die es nun, so sah es Wallas, langsam von innen her auffraß.
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