Kitabı oku: «Dual Use», sayfa 4

Yazı tipi:

25

Der Zeitpunkt der Entstehung der Exportkontrolle für Dual-Use Güter nach heutigem Verständnis wird unterschiedlich definiert. Gemäss der Botschaft zum GKG waren es die Ereignisse im Persischen Golf im Jahre 1990 (die Besetzung Kuwaits durch den Irak unter Saddam Hussein), welche den Bundesrat veranlassten, am 12. Februar 1992 die ABC-Verordnung zu erlassen.[32] Diese Verordnung galt allerdings nur als Provisorium bis zum Inkrafttreten des GKG vom 13. Dezember 1996, welches am 1. Oktober 1997 in Kraft trat. Für Deutschland darf der 1. April 1992 als Stichtag angegeben werden, da an diesem Tag das BAFA als zentrale Genehmigungsbehörde gegründet wurde.[33] Auslöser war u.a., dass der Irak mit Hilfe von westlichen Zulieferern in Samarra eine Giftgasfabrik errichtet hatte, was 1984 aufgedeckt wurde. Der berühmte Tropfen jedoch, der das Fass schliesslich zum Überlaufen brachte und in Deutschland zur heutigen Form der Exportkontrolle führte, war der Fall Rabta. Zu Beginn des Jahres 1989 erschien in verschiedenen Medien die Meldung, deutsche Unternehmen hätten die damalige libysche Regierung von Muammar Gaddafi beim Bau einer Chemiewaffenfabrik in der etwa 85 km südlich der Hauptstadt Tripolis gelegenen Stadt Ain er Rabta unterstützt. Die New York Times bezeichnete die Anlage am 2. Januar 1989 gar als «Auschwitz-in-the-sand».[34] Obwohl offensichtlich polemisch[35] und mit dem Ziel, Deutschland mit seiner Vergangenheit aus der NS-Zeit zu diffamieren und moralisch unter Druck zu setzen, zeigte diese Massnahme Wirkung, denn die Regierung der BRD geriet unter starken internationalen Druck, ihre Exportkontrolle neu zu regeln.[36] Die Gründung des BAFA wird deshalb selbst von seinem ehemaligen Direktor, WOLFGANG DANNER, als Befreiungsschlag der Deutschen Bundesregierung bezeichnet.[37]

2.2 Zum Begriff der Exportkontrolle

26

Der Begriff der Exportkontrolle wird in der juristischen Literatur (und bisweilen in den Medien) zwar häufig verwendet, aber nie wirklich definiert. Wikipedia liefert diesbzgl. jedoch bereits einen brauchbaren Definitionsansatz. Unter «Exportkontrolle» wird dort u.a. ausgeführt:

27

«Die Exportkontrolle ist ein international gehandhabtes Rechtsinstrument, das sich auf den sicherheitspolitisch relevanten grenzüberschreitenden Austausch von Waren und Dienstleistungen konzentriert. Durch die Exportkontrolle können dem Außenwirtschaftsverkehr eines Landes oder eines Wirtschaftsraumes rechtliche Beschränkungen auferlegt werden, um u.a. die Berücksichtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen des jeweiligen Landes/Wirtschaftsraumes zu gewährleisten oder eine Störung des friedlichen Zusammenlebens der Völker zu verhüten.»[38]

28

In der Schweiz ist das Staatssekretariat für Wirtschaft und Arbeit (SECO) die mit der Exportkontrolle beauftragte Behörde. Sie beschreibt den Begriff auf ihrer Webseite wie folgt:[39]

29

«Die Exporte sind für die Schweizer Wirtschaft von grösster Bedeutung. Die Schweiz setzt sich daher traditionell für offene Märkte und den Freihandel ein. Allerdings gibt es bestimmte Güterkategorien, bei denen eine Kontrolle der Aus-, Ein- oder Durchfuhr angezeigt ist. Es handelt sich dabei um Güter, die für die Herstellung oder Verbreitung von Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden können, sowie um Rüstungsgüter. Da eine solche Kontrolle aber nur dann wirkungsvoll sein kann, wenn sie auf internationaler Ebene koordiniert wird, haben verschiedene Gruppen von Staaten verschiedene Exportkontrollregime ins Leben gerufen (vgl. unter Exportkontrollpolitik).»[40]

30

Vereinfacht lässt sich sagen: Die Exportkontrolle stellt einen Teil der Exportregelungen dar. Die Exportkontrolle i.e.S. enthält Vorschriften, die aus aussen- und sicherheitspolitischen Überlegungen den Export von Gütern[41] einschränken.[42], [43], [44]

2.3 Zur terminologischen Unterscheidung Exportkontrollrecht/Güterkontrollrecht

31

Angelehnt an die eben gegebene Definition ist also unter Exportkontrolle die Vorschriften zu verstehen, die aus aussen- und sicherheitspolitischen Überlegungen den Export von Gütern einschränken. Damit sind sämtliche Güter gemeint. Die vorliegende Arbeit befasst sich jedoch in erster Linie mit der Exportkontrolle von Dual-Use Gütern. Die exportkontrollrechtlichen Bestimmungen bzgl. des Exports von Dual-Use Gütern sind, wie noch eingehend dargelegt wird, im Bundesgesetz über die Kontrolle zivil und militärisch verwendbarer Güter sowie besonderer militärischer Güter (Güterkontrollgesetz, GKG) vom 13. Dezember 1996[45], in der Verordnung über die Aus-, Ein- und Durchfuhr zivil und militärisch verwendbarer Güter sowie besonderer militärischer Güter (Güterkontrollverordnung, GKV) vom 25. Juni 1997[46] sowie in den Anhängen, insb. im Anhang II, zu dieser Verordnung festgelegt.

32

Im Folgenden gilt nun in Bezug auf die Terminologie für das vorliegende Werk: Wenn es um andere Güter als Dual-Use Güter geht, resp. unklar ist, wo die genannten Güter einzuordnen und welches die massgeblichen Gesetzesbestimmungen sind, so wird der Terminus Exportkontrollrecht resp. eine Abwandlung davon benutzt. Als gesetzliche Grundlage können sämtliche Regulatorien der Exportkontrollgesetzgebung in Frage kommen. Wann immer es hingegen um Dual-Use Güter geht, wird der Begriff Güterkontrollrecht resp. eine Abwandlung davon benutzt.

2.4 Sinn und Zweck von Exportkontrollregelungen

2.4.1 Deklarierte Ziele

33

Für die Exportkontrolle werden im Allgemeinen drei grundsätzliche Zielrichtungen angegeben:[47]

1.Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (die sog. Non-Proliferation);

2.Verhinderung der unkontrollierten Verbreitung konventioneller Rüstungsgüter; und

3.seit dem 11. September 2001 Terrorismusprävention (wirtschaftliche Isolierung).[48]

34

Diese Zielsetzungen mögen verhältnismässig abstrakt klingen. Die Nationen haben i.a.R. auch unmittelbare und eigene Interessen, Exportkontrollregelungen zu treffen.[49] So führte der Bundesrat in seiner Botschaft an die Räte zum Entwurf des GKG u.a. Folgendes aus:

«Die Beschaffung von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen für solche Waffen stellt unbestrittenermassen eine grosse Gefahr für die internationale Sicherheit dar. Auch die Sicherheit der Schweiz ist von solchen Waffen sowohl direkt als auch indirekt betroffen, da damit zu rechnen ist, dass Trägersysteme, die in kritischen Staaten in Entwicklung sind, in absehbarer Zukunft über derartige Reichweiten verfügen werden, dass mit ihnen auch die Schweiz bedroht werden kann.»[50]

2.4.2 Nichtdeklarierte Ziele

35

Exportkontrollregelungen haben jedoch heute noch einen weiteren Sinn, der zwar nicht offen kommuniziert, jedoch sehr oft zwischen den Zeilen ersichtlich wird: Die Exportkontrolle wird insb. von Regierungen sehr gerne als ethisches Feigenblatt – und damit als modernes Kommunikationsinstrument – eingesetzt. Insbesondere westeuropäische Staaten, und die Schweiz ist hier bedauerlicherweise keine Ausnahme, betonen gerne, wie sehr sie sich nicht nur der Non-Proliferation, sondern auch der Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet fühlen. Das hindert diese Staaten aber nicht daran, autokratisch regierte Länder, welche zwar eine grundsätzlich pro-westliche Haltung an den Tag legen, gleichzeitig aber die Menschenrechte ihrer Bürger und insb. Fremder im eigenen Lande fortwährend und systematisch missachten, nicht nur mit Dual-Use und besonderen militärischen Gütern zu beliefern, sondern bisweilen auch mit Kriegsmaterial.

36

Es fällt schwer, solche Widersprüche mit der propagierten Werthaltung dieser Staaten in Einklang zu bringen. Solche Widersprüche werfen die Frage auf, ob die Exportkontrolle dieser Staaten nicht vielmehr dazu dient, sich selbst und allenfalls befreundete Nationen vor der Bedrohung durch nukleare und konventionelle Waffen zu schützen. Eine solche Haltung mag egoistisch sein, verwerflich ist sie dadurch jedoch nicht. Verwerflich wird sie durch die Unehrlichkeit; BÖTTCHER spricht gar von Heuchelei.[51] Eine solche Haltung erodiert Glaubwürdigkeit und Autorität einer Regierung – und macht es den Rechtsunterworfenen unnötig schwer, sich an grundsätzlich sinnvolle Regelungen zu halten, weil sie immer damit rechnen müssen, dass andere als die deklarierten Zielsetzungen damit verfolgt werden.

37

Exportkontrollregelungen im Bereich Dual-Use Güter betreffen sodann viele, wenn nicht gar einen Grossteil der heutigen Güter für industrielle Produktion. Staaten, denen der Zugang zu diesen industriellen Investitionsgütern verwehrt bleibt, haben faktisch keine Chance, selbst jemals eine industrielle Fertigung aufzubauen und sich so zu einer Industrienation zu entwickeln.

38

Man muss daher die Frage zumindest aufwerfen, ob die scharfen Exportkontrollregelungen im Bereich der Industriegüter neben den deklarierten Zielen nicht auch das Ziel verfolgen, zu verhindern, dass sich die von den Kontrollen erfassten Länder wirtschaftlich zu einer Konkurrenz für die eigene Industrie aufbauen können, also eine «Ersatzkolonialisierung» darstellen. Mit dieser in den Raum gestellten Frage soll keineswegs in Abrede gestellt werden, dass eine moderne industrielle Fertigung auch zur Fertigung von Waffen, Waffenbestandteilen und Munition verwendet werden kann. Auf der anderen Seite muss aber auch gesehen werden, dass man in der westlichen Welt überwiegend die Meinung vertritt, der beste Garant des Friedens sei materieller Wohlstand für die breite Bevölkerung. Indem bestimmte Länder von diesem materiellen Wohlstand für die breite Bevölkerung durch Verhinderung der Industrialisierung abgeschnitten werden, werden die Regionen, in welchen sich diese Länder befinden, auch dauerhaft von Befriedung und Stabilität abgeschnitten. Auch dies erscheint als Widerspruch zur nach aussen deklarierten Werthaltung vieler Staaten.

2.4.3 Grundrechtliche Fragezeichen von Exportkontrollregelungen

39

Das vorliegende Werk soll in erster Linie praktisches Wissen zur Güterkontrollgesetzgebung vermitteln. Dennoch soll an dieser Stelle die grundrechtliche Problematik zumindest kurz skizziert werden. Diese Skizzierung soll dem Anwender lediglich als gedanklicher Anstoss dienen, die grundrechtliche Thematik nicht vollständig aus dem Blick zu verlieren. Für die allermeisten Fälle wird der grundrechtliche Gesichtspunkt wohl nicht zum Tragen kommen. Wenn doch, dann lohnt es sich, sowohl die hier aufgeworfenen wie nicht aufgeworfenen Fragen mit grosser Sorgfalt und Akribie zu behandeln.

40

Die Regelungen der Exportkontrolle vermögen nicht in allen Bereichen zu überzeugen.[52] Zunächst einmal stellen sich Fragen nach der Effektivität der getroffenen Massnahmen, d.h., ob diese überhaupt in der Lage und geeignet sind, die genannten Ziele der Exportkontrolle (Non-Proliferation, Verhinderung der unkontrollierten Verbreitung konventioneller Rüstungsgüter und neu auch Terrorismusprävention) zu gewährleisten.[53] Diese Fragen ziehen quasi automatisch die Frage nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip nach sich. Auch wenn davon auszugehen ist, dass die Frage nach der Verhältnismässigkeit auf einer generell-abstrakten Ebene in Bezug auf die Güterkontrollgesetzgebung wohl bejaht werden dürfte, heisst das noch lange nicht, dass deren Prüfung auf einer individuell-konkreten Ebene, sprich auf eine Verfügung oder ein Urteil hin, zum gleichen Resultat kommen muss.

41

Als besonderer Mangel, welcher zwar grundrechtlich betrachtet eher von marginaler Bedeutung ist, dafür aber gesetzgebungstechnisch betrachtet umso schwerer wiegt, erscheint die Tatsache, dass aus den Materialien des Gesetzes nicht ersichtlich ist, ob vor deren Ausarbeitung überhaupt irgendeine Form von Rechtstatsachenforschung betrieben wurde. Damit weist das Gesetz per se bereits eine grosse Unzulänglichkeit auf, weshalb es allenfalls lohnenswert wäre, dieses Manko (zusammen mit anderen Punkten) einem Gericht zur Prüfung zu unterbreiten.[54]

42

Eine weitere Unzulänglichkeit aus der grundrechtlichen Betrachtungsweise ist, dass die Nennung der vier genannten Kontrollregime, die faktisch für die Schweiz mitbestimmen, welche Güter als Dual-Use Güter anzusehen sind, erst auf Verordnungsstufe erfolgt (Art. 1 Abs. 2 GKV). Es muss daher an dieser Stelle die Frage aufgeworfen werden, ob dies mit dem Erfordernis der Gesetzesform (Gesetzesvorbehalt i.e.S.) in Einklang zu bringen ist. Zwar verlangt Art. 5 Abs. 1 BV nicht grundsätzlich, dass sich eine rechtliche Grundlage immer in einem Gesetz im formellen Sinn zu finden habe. Wenn aber Grundrechte schwerwiegend eingeschränkt werden, und dies ist hier gleich in mehrerer Hinsicht der Fall (Wirtschaftsfreiheit gem. Art. 27 BV und Schutz der Privatsphäre gem. Art. 13 BV), so besteht nach Art. 36 Abs. 1 BV das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage im formellen Sinn.[55]

43

Des Weiteren muss auch die Frage der Rechtsgleichheit zumindest aufgeworfen werden. Im schweizerischen Verfassungsrecht ist diese in Art. 8 BV geregelt, und der Schutz vor Willkür und die Wahrung von Treu und Glauben in Art. 9 BV.[56] Man spricht von «absoluter Gleichbehandlung», wenn das Recht an zwei miteinander vergleichbare Sachverhalte die genau gleichen Rechtsfolgen anknüpft. Durch eine solche absolute Gleichbehandlung entsteht mitunter aber das Paradoxon einer rechtsungleichen Behandlung. Müssen z.B. Spitzenverdiener und Schlechtverdienende den genau gleichen Betrag an Steuern entrichten, so sind zwar die Rechtsfolgen gleich, aber der Schlechtverdiener muss einen viel grösseren Teil seiner finanziellen Mittel aufwenden, um die Steuern zu bezahlen. Früh wurde bereits erkannt, dass in solchen Fällen der Gleichheitsgedanke besser durch eine «relative Gleichbehandlung» verwirklicht wird. Um beim genannten Beispiel zu bleiben, indem unter Berücksichtigung der unterschiedlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeiten der Steuerpflichtigen verschieden hohe Steuern erhoben werden, z.B. durch Festsetzung einer entsprechenden Steuerprogression.[57]

44

Absolute Gleichbehandlung wird durch die Bundesverfassung nur in sehr wenigen Fällen verlangt, bspw. bei der Menschenwürde, beim Stimmrecht etc. Grundsätzlich aber wird die Rechtsgleichheit durch eine differenzierende Regelung realisiert. Es gilt diesbzgl. der Gleichheitssatz: Gleiches ist nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln.[58]

45

Dem Gesetzgeber kommt dabei zwar eine erhebliche Gestaltungsfreiheit zu, es ist ihm jedoch verboten, Differenzierungen zu treffen, für die keine sachlichen und vernünftigen Gründe vorliegen. Auf der anderen Seite darf er sich aber auch nicht über erhebliche tatsächliche Unterschiede hinwegsetzen. Danach verletzt ein Erlass das Rechtsgleichheitsgebot, «wenn hinsichtlich einer entscheidwesentlichen Tatsache rechtliche Unterscheidungen getroffen werden, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder wenn Unterscheidungen unterlassen werden, die aufgrund der Verhältnisse hätten getroffen werden müssen».[59]

46

In Bezug auf die Güterkontrollgesetzgebung resp. deren Umsetzung wird, wie noch aufgezeigt wird, die Compliance eine wichtige Rolle spielen. Die Compliance delegiert u.a. komplexe Kontrollaufgaben an die Rechtsunterworfenen. Zwar muss die Tatsache, dass in einer immer komplexer werdenden Welt auch das Recht komplexer wird, als eine unvermeidbare Realität angesehen werden. Im Bereich der Exportkontrolle von Dual-Use Gütern hat diese Komplexität nun aber Formen erreicht, welche einerseits über das Ziel hinausschiessen und andererseits insb. für kleinere Exporteure, welche nicht über eigene spezialisierte Fachpersonen im Hause verfügen, eine Benachteiligung darstellen.[60]

47

Es darf in diesem Zusammenhang auch nicht übersehen werden, dass die von einem Rechtsunterworfenen kaum in vollem Umfang vorhersehbaren Risiken, die ihm aus dem Export von Dual-Use Gütern erwachsen, durchaus zu Konflikten mit Art. 8 Abs. 1 EMRK führen können. Art. 8 Abs. 1 EMRK ist die Grundrechtsnorm, welche anlässlich der Revision der Bundesverfassung ihr Pendant in Art. 13 BV gefunden hat. Art. 8 Abs. 1 EMRK resp. Art. 13 Abs. 1 BV verlangen von den Vertragsstaaten u.a. die Achtung des «Privatlebens». Dazu zählt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte auch die berufliche Tätigkeit eines Menschen. Obwohl aus dem Namen der Konvention nicht direkt ersichtlich, schützt die EMRK nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen. Daher erstreckt sich ihr Schutz ohne Weiteres auch auf die gesamte private wirtschaftliche Tätigkeit.

48

Zwar sind staatliche Eingriffe in dieses Privatleben und damit in die wirtschaftliche Tätigkeit nach Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässig, sofern sie «in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig» sind, sie bedürfen jedoch einer gesetzlichen Grundlage. Nach der Strassburger Praxis muss diese zwar nicht zwingend in einem formellen Gesetz stehen; ein «materielles Gesetz», also eine auf einem Gesetz beruhende Verordnung, ja sogar «ungeschriebenes Recht», also bspw. richterliche Rechtsprechung oder gar behördliche Verfügungspraxis,[61] kann bereits ausreichend sein. Allerdings darf dabei nicht übersehen werden, dass nach der Strassburger Praxis einerseits die gesetzliche Grundlage nicht nur hinreichend zugänglich sein muss, so dass sich die Rechtsunterworfenen angemessen über das anwendbare Recht informieren können, sondern es ist auch von zentraler Bedeutung, ob eine ausreichende Vorhersehbarkeit des betreffenden Gesetzes bejaht werden kann. Gerade an dieses Erfordernis der Vorhersehbarkeit stellt die Strassburger Praxis bei schweren Eingriffen höhere Anforderungen.[62]

49

Die Güterkontrollgesetzgebung auferlegt nun aber in einem viel zu hohen Ausmass genau diese Aufgabe in Bezug auf die Abschätzung des Missbrauchs von zu zivilem Gebrauch bestimmten und notwendigen Industriegütern für militärische oder terroristische Zwecke, welche eigentlich dem Gesetzgeber obläge, dem Rechtsunterworfenen. Insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen, welche traditionellerweise mit ihren Investitionen in Weiterentwicklungen und Erfindungen das Rückgrat der technischen und industriellen Innovation in der Schweiz bilden, stellt dies eine Problematik dar, welche von diesen bisweilen nur noch mit unverhältnismässig hohem Aufwand gemeistert werden kann.

3. Völkerrechtliche Grundlagen der Exportkontrolle

50

Betrachtet man die völkerrechtlichen Grundlagen, auf denen die schweizerischen Exportkontrollmassnahmen beruhen, so gilt es zunächst zwischen den in diesem Zusammenhang völkerrechtlich verbindlichen Abkommen, den sog. Konventionen, und völkerrechtlich nicht verbindlichen Abkommen, den sog. Regimen, zu unterscheiden.

3.1 Völkerrechtlich verbindliche Abkommen:
Die Konventionen

51

Im Bereich der Exportkontrolle gibt es drei Konventionen, welche die Materie regeln. Es handelt sich dabei um den Atomsperrvertrag, das Biowaffen- und das Chemiewaffenübereinkommen. Bei all diesen Konventionen handelt es sich um ratifizierte Staatsverträge.

3.1.1 Der Atomsperrvertrag (NVV)

52

Am 1. Juli 1968 schlossen die damaligen fünf Atommächte USA, Sowjetunion, Grossbritannien, Frankreich und China den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen, gemeinhin als «Atomsperrvertrag» bezeichnet.[63] Dieser Abrüstungsvertrag unterscheidet zwischen den fünf anerkannten Kernwaffenstaaten und den Nichtkernwaffenstaaten. Erstere verpflichten sich, Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper resp. die Verfügungsgewalt darüber niemandem weiterzugeben[64]. Sie verpflichten sich des Weiteren, keinen Nichtkernwaffenstaat zu unterstützen, zu ermutigen und zu veranlassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder wie auch immer zu erwerben oder die Verfügungsgewalt darüber zu erlangen. Schliesslich verpflichten sie sich, Verhandlungen über wirksame Massnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens und zur nuklearen Abrüstung zu führen sowie einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle zu erfüllen.[65]

53

Dem gegenüber verpflichten sich die Nichtkernwaffenstaaten, von niemandem Kernwaffen und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonst wie zu erwerben und keine Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern zu suchen oder anzunehmen. Sie verpflichten sich des Weiteren, mit der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) ein Abkommen über die Kontrolle von Ausgangs- und besonderem spaltbarem Material abzuschliessen. Diese Kontrollen sollen dafür sorgen, dass eine allfällige Abzweigung dieser Materialien zur Herstellung von Kernwaffen oder Kernsprengkörpern rechtzeitig entdeckt werden kann.[66]

54

Von grosser Bedeutung ist, dass das grundsätzliche Recht auf Erforschung, Erzeugung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke von diesem Vertrag ausdrücklich bestätigt wird. Sämtliche Vertragsparteien verpflichten sich, den weitestgehenden Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern.[67]

55

Art. III Ziff. 2 des Vertrages verpflichtet alle Parteien, Ausgangs- und besonderes spaltbares Material sowie Ausrüstungen und Materialien, die eigens für die Verarbeitung, Verwendung oder Herstellung von besonderem spaltbarem Material vorgesehen oder hergerichtet sind, nur unter bestimmten Voraussetzungen an einen Nichtkernwaffenstaat weiterzugeben. Dieser muss die friedliche Verwendung des Ausgangs- und des besonderen spaltbaren Materials im Empfängerstaat von der IAEA regelmässig überprüfen lassen.[68]

56

Eine Besonderheit bzgl. des Atomsperrvertrags stellt das sog. Zangger-Komitee[69] dar, das auf schweizerischen Wunsch im Jahre 1971 unter dem Vorsitz des Schweizers Claude Zangger gebildet wurde. Diesem gehören seither die wichtigsten Nuklearlieferstaaten[70] an; es definiert die in Art. III Ziff. 2 erwähnten Ausrüstungen und Materialien.[71] Im Frühjahr 2014 haben 190 Staaten den Atomsperrvertrag unterzeichnet bzw. ratifiziert. Vier Nationen haben dies nicht getan, nämlich Indien, Israel, Nordkorea und Pakistan; von ihnen wird angenommen, dass sie über Kernwaffen verfügen.[72]

57

In seiner Botschaft an die Räte bzgl. des GKG führte der Bundesrat zum Atomsperrvertrag aus: «Die Schweiz hat das Abkommen 1969 unterzeichnet und 1977 ratifiziert. Sie hat ein sicherheitspolitisches Interesse am Fortbestand sowie an der Verbesserung dieses Non-Proliferationsinstrumentes.»[73] Allerdings hat er dieses Interesse an dieser Stelle nicht weiter begründet, was insb. deswegen bedauerlich ist, weil die Schweiz im Juli 1958 ein eigenes Atomwaffenprogramm ins Auge gefasst hatte. Auch wenn dieses bereits ab Mitte der Sechzigerjahre nicht mehr sehr ernsthaft verfolgt wurde, dauerte es doch bis zum 1. November 1988, als der damalige Vorsteher des Eidgenössischen Militärdepartements, Bundesrat Arnold Koller, den «Arbeitsausschuss für Atomfragen» offiziell auflöste.[74]

58

Für die hier interessierenden Fragen der Exportkontrolle von Dual-Use Gütern spielt der Atomwaffensperrvertrag eine untergeordnete Rolle, weshalb er nicht näher besprochen wird. Es soll an dieser Stelle aber nicht verschwiegen werden, dass dieser Vertrag sowohl bzgl. seines Inhalts als auch seiner Umsetzung z.T. heftige Kritik erfahren hat. So wurde – unter anderem – kritisiert, der Atomsperrvertrag schreibe eine Ungleichheit zwischen den offiziellen Atommächten und den kernwaffenfreien Staaten fest, und dass die Kernwaffenstaaten eher Bestrebungen machten, anderen den Besitz dieser zu verbieten, als ihre Abrüstungsverpflichtung umzusetzen. Da die fünf Kernwaffenstaaten zudem die ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates sind, können sie mit ihrem Vetorecht sämtliche Vorstösse innerhalb der UN, sie zur Abrüstung zu bewegen, blockieren.

59

Ferner wird u.a. auch die Frage aufgeworfen, ob die Atommächte, welche alle schon Angriffskriege gegen andere Staaten geführt haben, überhaupt die moralische Berechtigung besitzen, anderen Staaten Vorschriften über ihre Bewaffnung zu machen.[75] Gerade bei dieser Frage wäre es dann interessant zu ergründen, woher sich eine solche moralische Berechtigung ableiten liesse; und, ob diese an das Faktum des offiziellen Kernwaffenbesitzes quasi gekoppelt sei. Es müsste also auch die Frage aufgeworfen werden, wann resp. unter welchen Voraussetzungen ein Kernwaffenstaat seine moralische und juristische Berechtigung verliert, anderen Staaten Vorschriften zu machen.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺4.288,41

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
322 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783037516713
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок