Kitabı oku: «Das Mitteldeutsche Seenland. Vom Wandel einer Landschaft», sayfa 2
Die vierte Seengeneration in zeitlicher und geografischer Folge
Es gehört heute glücklicherweise in weiten Kreisen der Bevölkerung zum Allgemeinwissen, dass sich vor etwa 1,5 Millionen Jahren ein weltweiter Wandel im Klima vollzog, der den Beginn des bis heute reichenden quartären Eiszeitalters einläutete. Dieses war über einen Zeitraum von etwa einer Million Jahren in erster Linie gekennzeichnet durch den Wechsel von Zeiten eines gemäßigten Klimas – wie gegenwärtig – und von kalten Abschnitten mit ausgedehnten Steppen- und Taigawaldgebieten und darin lebenden, kälteangepassten Tierassoziationen, von denen uns vor allem die frühen Mammut- und Nashornarten, aber auch Rentiere und andere überliefert sind. Charakteristisch für die kalten Abschnitte dieses Zeitraumes war die Existenz eines dauergefrorenen Bodens. Vor etwa 500000 Jahren kam es zu einer neuen Qualität eines derartigen Wechselklimas, indem sich von Skandinavien aus mächtige Inlandeisdecken bis zum Ural und zu den Britischen Inseln vorschoben und während der maximalen Ausdehnung in Europa die Mittelgebirge von Schlesien, das Erzgebirge, den Harz sowie das Rheinische Schiefergebirge tangierten. Das Eis entwickelte dabei verschiedene Mechanismen, die wir in der modernen Technik des übertägigen Kohleabbaus wieder finden. Das Eis wirkte durch gespanntes, rasch fließendes Wasser, dabei den Untergrund ausspülend, unterirdisch linear wie ein Hydromonitor zur Gewinnung von Lockergestein. Des Weiteren wirkte es wie ein Schaufelradbagger, dabei den Untergrund ausspanend, oder aber auch schiebend, wie ein Schneepflug bzw. wie eine Planierraupe, wobei das lockere Material zu Bergen zusammen geschoben wurde oder sich flächenhaft vor ihm ausbreitete. Die dabei entstandenen Vertiefungen füllten sich beim Zerfall des Eises rasch mit Grund- und Oberflächenwasser. Das ist die Geburtsstunde der unzähligen Seen, die vom Ural über das Norddeutsch-Polnische Tiefland bis zu den Britischen Inseln das ehemalige Vereisungsgebiet nachzeichnen und die natürliche eiszeitliche Seenformation kennzeichnen.
Die Inlandeise stießen unterschiedlich weit nach Süden vor – das der Elstereiszeit, der ältesten im östlichen Deutschland, bis Erfurt, Zwickau und über Zittau hinaus, das der Saaleeiszeit bis Zeitz und Görlitz und jenes der Weichseleiszeit bis zur Linie der Städte Brandenburg und Guben. Die glazialen Sedimente und morphologischen Hinterlassenschaften (Glazialseen, Endmoränen) dieser drei großen Vereisungsperioden lagen im nördlichen Mitteleuropa parallel zu den einzelnen Vereisungsgrenzen. Im südlichen Raum war entsprechend die elstereiszeitliche, nach Norden zu die saaleeiszeitliche und schließlich ganz im Norden die weichseleiszeitliche Moränenplatte mit ihrer jeweiligen natürlichen Seenformation entwickelt. Die von Saale- und Elstereiszeit hinterlassenen Seen sind weitgehend verschüttet und morphologisch ausgelöscht. Dagegen sind die weichseleiszeitlichen Hinterlassenschaften in weithin frischer, bewegter Moränenlandschaft in einigen Tausenden noch überliefert.
Die Rinnen- und Beckenseen der Elstereiszeit waren die flächenmäßig größten und tiefsten. Sie bestanden teilweise über 50000 Jahre und erloschen wohl überwiegend vor etwa 200000 Jahren. Die letzten dieser ersten Seengeneration wurden vom Inlandeis der zweiten großen skandinavischen Inlandeisinvasion, der der Saaleeiszeit, ausgelöscht; darunter Seen mit Ausmaßen von weit über 1000 km² Fläche. So erreichte der bis 200 m tiefe Elbglazialsee zwischen Riesa, Dessau und Jüterbog mit Ausläufern bis Berlin eine Größe von rund 5000 km² und damit fast das zehnfache Ausmaß des Bodensees (Ansgar Müller 1988). Im Vergleich dazu nimmt der vor ca. 15000 Jahren gebildete, weichseleiszeitliche größte Glazialsee Mecklenburgs, die Müritz, eine Fläche von nur 117 km² ein.
In der saaleeiszeitlichen Vereisungsperiode entstand die bis südlich von Leipzig reichende zweite Seengeneration Norddeutschlands, doch ist diese nur ein schwacher Abglanz der vorangegangenen. Während der mehrfachen Eisrandschwankung bildeten sich in der Leipziger Bucht vor allem flache Grundmoränenseen, einer bei Magdeborn südöstlich von Leipzig, von dem der Tagebau Espenhain bis 5 m mächtige Sedimente erschloss. Aus der endgültigen Eiszerfallsphase sind nur fünf kleinere Seen bzw. größere Weiher bekannt, doch haben mit Sicherheit weitere existiert. Von einigen wissen wir, dass sie sich über die gesamte folgende Warmzeit, die Eemwarmzeit, bis in die letzte Kaltzeit, die Weichseleiszeit, erhielten, d. h. über einen Zeitraum von über 10000 Jahren, vermutlich 20000 bis 30000 Jahren. Das liefert einen guten Hinweis auf die zu erwartende Lebensdauer der Bergbauseen außerhalb der Täler. Nach Mammut und Wollhaarigem Nashorn weideten in der Nähe der Seen Waldelefant, Mercksches Nashorn, Edelhirsch, Elch, Ur und Wisent, jagten Braunbär, Luchs und Löwe, um danach wieder einer Kältesteppen angepassten Fauna Platz zu machen. Während im Norden am Ende der Weichseleiszeit die Landschaft noch einmal eine durchgreifende Auffrischung erfuhr und die dritte Seengeneration, das natürliche Seenparadies Mecklenburgs und des nördlichen Brandenburgs, entstand, endete mit der »Erblindung« der am Ende der Saalevereisung gebildeten Seen die letzte Periode der Naturseen im Süden des Norddeutschen Tieflandes einschließlich der Leipziger Bucht.
Was nun das oben genannte Wunder betrifft, ist die kausal nicht zusammenhängende Tatsache, dass etwa 10000 Jahre nach Beendigung des großen nordeuropäischen Vereisungsphänomens mit seinen drei natürlichen Seenformationen der Mensch mit technischen Geräten, die mechanisch vielfach genauso arbeiten wie das Gletschereis, beginnt, die Braunkohlenmeile von Schlesien bis zum Harz auszubeuten. Zunächst wird die Braunkohle im Tiefbau, und später in viele Quadratkilometer großen Tagebauen gewonnen. Da aus diesen Tagebauen durch den Abbau der Kohle und des damit verbundenen Massendefizits jeweils rund ein Drittel des ursprünglichen Volumens als Hohlräume zurückblieb, mussten sich diese »Löcher« nach Beendigung der Grundwasserhaltung mit Wasser füllen, in der Regel bis zur mittleren Grundwasseroberfläche bzw. bis zur Höhe der mittleren Flusswasserspiegel, wie sie vor dem Eingriff des Menschen existiert hatten. So folgt dem Eingriff des Kohleabbaus zwangsläufig die Entstehung einer Seenlandschaft, die völlig analog zur rein natürlichen, vereisungsbedingten Landschaft der Vorzeit mit ihren Glazialseen ist. Der Mensch ist zum geologischen Faktor aufgestiegen. Damit war und ist die vierte Seengeneration in Folge geboren. Diese von Menschenhand geschaffene neue Seenlandschaft schließt sich zeitlich wie auch geografisch an ihre drei natürlich gebildeten eiszeitlichen Seenformationen an. Als jüngste, noch in Entstehung begriffene Seen des Mitteldeutschen Braunkohlebergbaugebietes liegen sie geografisch im südlichen Überlappungsbereich der Maximalausdehnung der Inlandeise der Elster- und Saaleeiszeit und deutlich außerhalb derjenigen der Weichselvereisung. Im Bergbaurevier der Niederlausitz, das die südlichste Randzone des weichselglazialen Inlandeises tangiert, werden sich daher in der gleichen Region »Kunstseen« (Helenesee) entwickeln können neben Naturseen (Scharmützelsee- oder Schwielowsee), die vielleicht in 100 Jahren ohne Sedimentuntersuchungen des Seegrundes verwechselt werden können. So umsäumt diese jüngste, vierte Seenformation ihre drei eiszeitlichen Vorgänger und erweitert im übertragenen Sinne damit die Norddeutsche Seenplatte nach Süden. Es sei hier noch ein spezieller Gedanke des Geologen und Bergmanns angeführt. In den 1950er Jahren erschienen im östlichen Deutschland erstmalig großmaßstäbliche Karten der gewinnbaren Braunkohlenflöze mit Eintragungen der Abbaugebiete des Braunkohlenabbaus für die nächsten 50 bis 100 Jahre. Damit ergab sich für den Eingeweihten bereits ein plastisches Bild der künftigen Seenlandschaft zwischen Harz und Neiße, und der Kenner der Hydrogeologie konnte sich auch schon Vorstellungen machen über die Ausdehnungen der Seen, die zukünftigen Wasserspiegelhöhen und über die eventuelle künftige Nutzung der Wasserflächen.
Seesedimente der ersten, ältesten, natürlichen eiszeitlichen Seengeneration (Bänderton, oben) und der vierten, jüngsten, künstlichen, menschgemachten Seengeneration (Seesediment aus Tagebausee, unten) mit im Sediment und seinen zentimeterstarken Schichtwechseln gespeicherten Informationen zur Historie und Entwicklung der jeweiligen Seen.
Braunkohlentagebau
Mancher Mann ist dreimal in Afrika gewesen und hat doch weniger gesehen als ein heller Kopf in diesem Krater.
Anonymus
Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Trieb …
Dieses geflügelte Schillerwort aus seiner Braut von Messina könnte das Motto des Braunkohlenbergbaues mit seinen umwälzenden Eingriffen in die Erde zumindest für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sein. Kriegs- und Nachkriegsjahre: Trümmer und Hunger, nicht nur leiblicher, auch Hunger nach Energie, ohne die aller Wiederaufbauwille zum Scheitern verurteilt wäre. Der Osten des Landes ist von der Hauptlebensader abgeschnitten, der Steinkohle. Doch der Schöpfer hat es weit vorausblickend vor 20 bis 50 Millionen Jahren offenbar gut mit dieser Region und den später dort siedelnden Menschen gemeint. Von der Neiße bis zum Harz eine zusammenhängende kohleführende Erdformation! Vielfach zwei bis drei abbauwürdige von insgesamt mehr als 20 mit Namen belegten Flözen übereinander. Das Leipziger Tiefland von Altenburg und Zeitz im Süden bis unter die Stelle, wo sich später die Stadt Leipzig entwickelt, im Norden, ein einziger großer Kohlepott, das Weißelsterbecken. Was für ein Geschenk, wieviele Länder dieser Erde würden sich glücklich preisen, nur einen Bruchteil des heute noch verborgenen Schatzes mit Tonnen in Milliardendimension zu besitzen. Aber nur in Märchen und Sagen liegen die Schätze spatenstichtief in der Erde oder in Mauerritzen. Die wirklichen Schätze der Erde können nur mit Mühe und Sachverstand ausfindig und mit noch größerem Aufwand gehoben und nutzbar gemacht werden. Sie gleichen Konserven oder hartschaligen Früchten. Ihr Inhalt ist von einem Mantel umgeben, der geöffnet werden muss. In der aus Lockersedimenten bestehenden obersten Erdkruste sind es gegen Wind und Regen, Flüsse und Gletscher schützende Schichten aus Lehmen, Kiesen und Tonen. Vor allem bei Massenrohstoffen wie Braunkohle müssen sie abgedeckt werden. Landschaftszerstörung ist der Gewinnung damit innewohnend. Nur dem wattgeizenden und mit dem Rad zum Dienst fahrenden Konsumenten darf dies ein Ärgernis sein, dem anderen, ist er kein Heuchler, höchstens ein notwendiges Übel, das er beklagt, ja beweint.
Jahrzehntelanges Gerangel um Abbaugrenzen am Südrand der Großstadt Leipzig: Liegt die Kohle unter dicht bebautem Gebiet, sind Interessenkonflikte selbst in der »klassenlosen Gesellschaft« vorprogrammiert. Unter Markkleeberg 12 bis 20 m, unter Probstheida 12 bis 15 m, unter dem Augustusplatz mitten in der Großstadt Leipzig 13 m Kohle! Sollen die Tagebaue bis zum Schleußiger Weg, hier noch 10 m Kohle, bis Probstheida vorrücken? Soll das Klinikgelände von Dösen überbaggert werden? Das waren Fragen der 1950er und 1960er Jahre. Man einigte sich. Die Abbaufront bleibt am Südrand von Störmthal, Güldengossa und Markkleeberg-Ost stehen. Von hier sollte sie über Zöbigker, mittig durch den Elsterstausee bis Knautnaundorf verlaufen. Die in den 1970er Jahren in ein künstliches Bett gezwungene Weiße Elster wird zur Westgrenze. Kein geologisches Optimum! Ein Kompromiss aller an einer funktionierenden Städteregion interessierten Behörden. Keine Volksabstimmung. Doch die Elsteraue westlich von Markkleeberg, nördlich der Ortschaft Cospuden, wenig bebaut, weitflächig bedeckt mit einer parkartigen Auenwaldformation, darunter uralten Eichen, nicht weniger reizvoll als die weit gerühmte Parklandschaft der Themse bei Kew und Windsor oder der Elbe bei Wörlitz, ist dem Bergbau eine Verlockung. Schon in den Fünfzigerjahren hatten die Geologen abbauwürdige Kohle bis zum Schleußiger Weg festgestellt. In den Siebzigerjahren wird das östliche Gebiet der Weißelsteraue zwischen dem Gut Cospuden und der Bahnstrecke Markkleeberg – Kleinzschocher als eines der Filetstücke des Kohlereviers erkannt. Zwei Flöze, das untere 2 bis 8 m, das obere 8 bis 12 m mächtig, übereinander zusammen durchschnittlich 12 bis 16 m Kohle unter 25 bis 30 m Deckgebirge. Ein Verhältnis von Abraum zu Kohle von 2,5 bis 3 :1, im Mittel 2,6 :1, ein Ausnahmefall im »Leipziger Kohlepott«. Das durchschnittliche Verhältnis in der Region liegt bei 4:1, z. T. bei 5 bis 7:1, z. B. auf großen Flächen östlich von Markkleeberg. In der Aue haben Saale und Weiße Elster in den letzten 350000 Jahren dem Menschen die künftige Abraumarbeit fast zur Hälfte abgenommen: Rund 25 bis 35 m Deckgebirge der Kohle sind von Flüssen abgetragen worden.
Absetzer 1113, im Tagebau Cospuden im Einsatz. 1995.
Die 20 m hohe und 2,2 m starke Napoleoneiche am Nordrand des Tagebaues Zwenkau – am 17. März 1981 gefallen.
Absetzer 1113 aus dem Tagebau Cospuden, gesprengt im Mai 1999.
Das Dröhnen der nahenden Maschinen des Tagebaues und die Detonationen beim Sprengen der Findlinge begleiten 1980 eines der letzten Picknicke am Fuße der fast 250 Jahre alten Napoleoneiche wenige Monate vor ihrer Fällung.
Die Freilegung der Erdschichten in den Tagebauen über mehrere hundert Quadratkilometer große Flächen und der neugierige Blick in den geologischen Schichtenstapel eröffneten dem Erdwissenschaftler einen Blick in die ihm politisch verschlossene Welt. 50 Millionen Jahre Landschaftsentwicklung und Klimageschichte Mitteleuropas lagen zu seinen Füßen. In der Stille wurden die in den Erdschichten überlieferte Pflanzen- und Tierwelt, die Strukturen und Hinterlassenschaften des Klimas der Vergangenheit studiert. Detaillierte Bilder des natürlichen Wandels der mitteldeutschen Landschaft seit 50 Millionen Jahren, einschließlich des erstmaligen Auftretens des Menschen entstanden. Sie beinhalten alle Facetten der heutigen Klimabereiche unserer Erde und reichen vom Landschaftsbild der Tropen Floridas über das der Wattlandschaft der Nordsee Schleswig-Holsteins und der Haffküste der Ostsee bis hin zur Taiga Sibiriens und der Gletscherbedeckung Grönlands.
Blick in den Schlund des Tagebaues Schleenhain mit im Vordergrund angeschnittenen Baumstämmen in Flusssedimenten der Braunkohlenzeit, im Hintergrund die aus bis zu vier Flözen bestehende mächtige Kohleabfolge, bedeckt von marinen und eiszeitlichen Ablagerungen. 1995.
Tabula rasa oder die Verlorenen Orte
Die Erinnerung ist das einzige Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können.
Jean Paul
Die Schattenseiten des Übertagebergbaues waren über Jahrzehnte tabuisiert. Auf den Punkt gebracht wurden sie in einem kleinen Beitrag über Braunkohlenbergbau und Umweltprobleme, der erst in den Nachwendejahren erscheinen konnte: Die bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts zurückreichende Gewinnung der Braunkohle erfolgt heute nur noch in Tagebauen. Bei der Förderung solcher Massenrohstoffe wie der Braunkohle ist diese Methode zwar die wirtschaftlich effektivste – auch was den Grad der Lagerstättennutzung der Kohle betrifft –, doch – unabhängig von emotionalen oder rationalen Wertungen – zugleich das radikalste Verfahren der Landschaftszerstörung. Anders ausgedrückt, sie ist die Ultima ratio des Bergmanns, die mit der Natur Tabula rasa macht. Der hinter uns liegende Eingriff ist auf Jahrmillionen irreversibel und besitzt damit eine geologische Dimension. Der Förderbrückenbetrieb ist wohl das ökonomisch effektivste Verfahren der Abraumgewinnung und -beförderung, technisch jedoch das kompromissloseste und unflexibelste. In Gang gesetzt, gleicht die Methode einem unentrinnbaren zerstörerischen Naturereignis.
Mit der Überbaggerung einer Kulturlandschaft in großem Ausmaß wird in Mitteleuropa die Devastierung von Ortschaften, Einzelhöfen und -gewerken zum nahezu schicksalhaften Zwang. Im Bereich des Tagebaues Espenhain wurden allein 14 Gemeinden und Ortsteile überbaggert, deren Wurzeln bis ins frühe Mittelalter (8. –11. Jahrhundert) zurückreichen. Im gesamten Gebiet des südlichen Mitteldeutschen Seenlandes betrifft dies im Zeitraum 1928 bis 2006 ca. 100 Orte mit insgesamt rund 33300 Einwohnern, von denen Rusendorf (1928 bis 1932) als erster und Heuersdorf (1995–2008) als zur Zeit jüngster der von der Landkarte verschwundenen Orte gelten (Jahreszahl – Beginn der Devastierung; Angaben in Klammer – Zahl der Einwohner; T – Teilabriss):
1928: | Rusendorf (150 Einwohner) |
1929: | Gaumnitz (328) |
1935: | Deuben (Siedlung) |
1941: | Witznitz (861) |
1944: | Petsa (350) |
1948: | Pirkau T (342) |
1950: | Zechau-Leesen T (1310), Ruppersdorf (210) |
1951: | Bergisdorf (280); Rötha-Geschwitz (545) |
1952: | Neukieritzsch T (190); Blumroda (560); Ruppersdorf-Bosengröba |
1953: | Zeschwitz (403) |
1954: | Streckau (700); Wuitz (644) |
1955: | Thräna T (20); Sabissa (338); Rüben (289); Stöhna (792) |
Durch den Bergbau verschwundene Orte im Gebiet des südlichen Mitteldeutschen Seenlandes.
Blumroda, Mitte d. 20. Jahrhunderts.
Droßdorf, um 1915.
Eythra, Ende der 1970er Jahre.
Bosengröba, um 1925.
Witznitz, um 1930.
Zehmen, 1926.
1956: | Großdeuben-West T (530); Großdeuben-Ost T (360) |
1957: | Zehmen (580); Ramsdorf-Loschützmühle (20); Görnitz-Hartmannsdorf (230); Mutschau (1033) |
1959: | Schnauderhainichen T (110) |
1960: | Regis-Breitingen T (40); Kleinhermsdorf/Nehmitz T (75) |
1961: | Altdeutzen T (370); Görnitz (320) |
1962: | Trachenau (450); Treppendorf (120) |
1963: | Kötzschwitz (17); Elstertrebnitz T (110); Stöntzsch (750); Pegau T (114); Köttichau (759) |
1964: | Gaschwitz T (767); Schleenhain (270); Borna-Ost T (134); Borna-Abtei; Heuersdorf-Großhermsdorf T; |
1965: | Pödelwitz-Leipen (82) |
1967: | Sestewitz T (203); Crostewitz/Cröbern (1750); Gestewitz T (277); Döbris (615); Domsen T (30) |
1968: | Hain-Kreudnitz (175); Kleinzössen (82) |
1969: | Hain-Guthegröba; Hain (350) |
1971: | Prödel/Zöbigker T (339); Zwenkau-Ziegelei Kinne T (20) |
1973: | Zwenkau-Nord I/II T (166); Cospuden (36) |
1974: | Markkleeberg-Göselsiedlung T (60); Markkleeberg-Ost T (256); Zwenkau-Weiße Mark T (24) |
1975: | Berndorf T (40); Zwenkau-Hartmannsdorf T (80) |
1976: | Vorwerk Auenhain (19); Piegel (67); |
1977: | Raßnitz T (50); Magdeborn (3200) mit Gruna, Kötzschwitz, Göltzschen T |
1978: | Zöbigker T (18) |
1980: | Bösdorf (1115); Steingrimma (178); Queisau (187) |
1981: | Zschagast (35); Droßdorf (300) |
1982: | Peres (146) |
1983: | Neukäferhain (50); Eythra (2100); Dobergast (285) |
1984: | Rödgen T (125) |
1985: | Methewitz-Käferhain (74); Lauer (25) |
1986: | Markkleeberg-Ziegelei (25); Markkleeberg-Gautzsch; Oellschütz T (5) |
1987: | Dreiskau-Muckern T (350) |
1988: | Bockwitz (130); Langenhain T (50) |
1989: | Böhlen T (10); Lippendorf T (40); Breunsdorf (450) |
1994: | Draschwitz-Zechenhaus (15); Schwerzau (38) |
1995–1998: | Großgrimma mit Grunau, Bösau, Mödnitz, Deumen, Domsen (850) |
1995–2008: | Heuersdorf (310) |
2012–2018: | Pödelwitz (130) |
Tagebau Schleenhain bei Deutzen mit Freilegung und Gewinnung des Thüringer Hauptflözes. Scheinbar unaufhaltsam verschlingt der Kohletagebau über Jahrhunderte gewachsene Kulturlandschaft. Obgleich angesichts dieses Bildes nicht vorstellbar, keimt mit ihrer Vernichtung doch zugleich der Samen eines Neuanfangs. 2012.
Görnitz, um 1960.
Heuersdorf, um 1925.
Für die Einwohner bedeutete die Umsiedlung nicht nur einen schmerzhaften materiellen, sondern auch immateriellen Verlust: neben der Trennung von Haus und Hof, Friedhof und Kirche, von der Landschaft, von Verwandten und Freunden die als unverwindbare Ruptur empfundene Verabschiedung von ländlicher Kultur, jahrhundertelanger dörflicher und vielfach sogar familiärer ortsgebundener Tradition und Geschichte. Für manchen kam die Aussiedlung auch im Häuslichen einer Verwerfung gleich, dem Neubeginn in einer anderen Welt: der Plattenbausiedlung in oder am Rande der Großstadt. Auch dieser Dimension des Bergbaues sollte bei aller historisch gegebenen Unabwendbarkeit der Wanderer, Angler, Segler oder Badende gedenken, wenn er sich heute oder künftig der dauerhaften positiven Folge der großen Bergbaukampagne des 20. Jahrhunderts erfreut. Wie das sagenumwobene Vineta gewissermaßen »ertrunken« sind unmittelbar südlich der Großstadt Leipzig die Ortschaften (oder Teile davon) Magdeborn, die mit über 3200 Einwohnern größte überbaggerte Gemeinde (mit Gruna, Kötzschwitz und Göltzschen), sowie Rödgen im Störmthaler See, der südliche Zipfel von Markkleeberg-Ost im Markkleeberger See und der zu Markkleeberg gehörende, schon 1216 erwähnte Ortsteil Cospuden und das Gut Lauer im Cospudener See. Wie der künftige Zwenkauer See – analog dem Cospudener See – ebenso »Eythraer See« heißen könnte, so auch der Störmthaler See in Erinnerung an das geschichtsträchtige »medeburu« und die einstige Großgemeinde »Magdeborner See«. Eine schwimmende Kirche auf dem Störmthaler See mit einem Turm, der dem der Kirche von Magdeborn nachgebildet ist, erinnert nun symbolisch an die dem Bergbau zum Opfer gefallenen Ortschaften mit ihren Kulturgütern. Diesen »Verlorenen Orten« ist seit Jahren eine ständige Ausstellung in der Kirchenruine Wachau gewidmet. Zahlreiche Gedenksteine mit Inschriften zur historischen Entwicklung der vom Kohlebergbau verschluckten Orte, häufig angebracht auf nordischen Findlingen oder Tertiärquarziten, die den Tagebauen der Umgebung entstammen, finden sich auch im südlichsten Gebiet des Mitteldeutschen Seenlandes. Beispielgebend sind die Erinnerungsteine an die verlorenen Ortschaften Gaumnitz (Tagebau »Emma« bei Theißen), Stöntzsch (Tagebau Profen-Nord), Hain und Kreudnitz (Tagebau Witznitz II). Neben symbolischen Plätzen der Erinnerung an die vom Bergbau überbaggerten Orte gibt es nur wenige, von denen ursprüngliche Gebäude erhalten geblieben sind. Zu ihnen zählt die jüngste, endgültig durch den fortschreitenden Tagebau Vereinigtes Schleenhain gefallene Ortschaft Heuersdorf. Im Jahr 2007 erfolgte in einer technologisch aufwendigen und spektakulären Aktion die Umsetzung der Heuersdorfer Emmaus-Kirche über 8 km nach Borna.
Bergisdorf, 1930er Jahre.
Zöpen, um 1920.
Magdeborn, um 1920.
Breunsdorf, um 1960.