Kitabı oku: «»Ich bin Trainer, kein Diplomat!«», sayfa 2
3. KAPITEL
ÜBER MEISSEN NACH DRESDEN
ULLI THOMALE | Zwischendurch bin ich von Sörnewitz nach Meißen gewechselt. Zu Aufbau Meißen, das später in TSG Meißen umbenannt wurde. Aufbau war der beste Verein in Meißen, die Männer spielten in der Bezirksliga gegen Mannschaften wie Empor Wurzen. Im Nachhinein hat mir mal einer gesagt: „Mensch, was warst du für ein Topfußballer, wir haben immer auf dich geguckt.“
Das war mir gar nicht so bewusst als junger Kerl. Ich hab’ schon mal ’nen Hackentrick gemacht, wenn mich hinterher einer gefragt hat: „Wie hast du das gemacht?“, sagte ich: „Gar nicht.“ (LACHT)
Ich konnte auf dem Platz gut improvisieren. Ich wollte ein guter Fußballer werden, doch mein zweiter Berufswunsch lautete Koch. Meine Kochkenntnisse blieben leider bis heute kärglich.
Bei Aufbau führte ein hervorragenden Jugendleiter das Zepter, der Sportkamerad Erich Welz, er hatte einen Arm im Krieg verloren, der kannte nur Fußball. Ein wahnsinnig engagierter Mensch, lupenrein in seinem Lebenswandel. Seinerzeit fand regelmäßig der Fernwettkampf der Fußball-Jugend statt. Man musste im Kugelstoßerring jonglieren, ich hielt den Bezirksrekord im Jonglieren und den Bezirksrekord im Slalom mit Ball.
Welz hat uns richtig gut gefördert, er hat den Grundstein meiner fußballerischen Fähigkeiten gelegt. Ich bin mit dem Fahrrad von Sörnewitz die sechs Kilometer zum Sportplatz nach Meißen gefahren. Dort trainierten wir auf der sogenannten Jugendwiese, danach stieg ich wieder aufs Fahrrad und ab nach Hause. Gespielt habe ich mit der Männermannschaft später im Stadion Heiligengrund.
Mein Vater ist zu meinen Spielen gekommen, er konnte trotz seiner Kriegsbehinderung Fahrrad fahren, er hatte Spezialschuhe mit Schienen und einen Klumpfuß. Wenn ich spielte, radelte er zum Platz, hinten auf dem Gepäckträger schaukelte sein Stühlchen. Darauf hockte er sich, guckte die Spiele. Er hatte kaputte Nieren, und diese Anstrengungen gaben ihm wahrscheinlich den Rest. Mein Vater soll selbst ein sehr guter Fußballer gewesen sein.
In der Jugend wurde ich als Meißner Spieler in die Bezirks-Auswahlmannschaft berufen. Neben mir zwei weitere Meißner. Mit dem einen bin ich hin und wieder mal abends weggegangen. So zu ’ner Tanzveranstaltung unter dem Motto: Fuchs musst du sein, aber kein Blechfuchs.
Also nichts ausgeben für die Mädels. Alkohol haben wir keinen getrunken. Auch nicht geraucht. Vorbilder hatte ich keine. Von Fritz Walters Hackentricks wusste ich natürlich. Ich war eher interessiert an praktischen Dingen und guten Tricks, die ich mir abguckte und kopierte. Ich wollte nie Pelé werden. Ich war ich.
Ich hab immer geträumt, dass ein Trainer kommt und meinen besten Trick sieht: Hier steht die Mauer und hier ist der Ball. Ich komme im höchsten Tempo, fintiere über den Ball, drehe ab, der Ball wird von einem Mitspieler zu mir gespielt, ich netze ein.
Das hab’ ich geübt, auf der Straße, mit Steinen. Und damit bin ich dann so drüber und dann hab’ ich – pfffft! – den Stein final versenkt. Den Freistoßtrick hat nie irgendjemand in einem Spiel versucht. Aber ich hab’s hin und wieder getan, und es gelang sogar manchmal. (LACHT)
Oder Effetbälle am Gartentor üben. Hab mir einen Ball genommen und Effetschüsse geübt. Ich muss jetzt in das Tor rein. Ich konnte gut Ecken schießen. Zwecks Ballannahmeübung hab ich den Ball aufs Dach gezimmert, und wenn der Ball runterkam, dann hab ich den eben mal so mitgenommen, fintiert und rumms aufs Gartentor.
Als junger Kerl, mit achtzehn oder neunzehn, spielte ich in der 1. Mannschaft Meißens mein erstes Spiel: Vorn standen die Veteranen. Dann kam ’ne Weile nichts. Und ganz hinten stand ich. Wir spielten gegen das große Empor Wurzen. Thomale machte zwei Tore. Ich rückte sofort vor in den Bereich der Altgedienten. Ich war ein frecher Spieler, wurde von ihnen anerkannt, war der junge Kerl, der es draufhatte. Erste Saison: 27 Spiele und 13 Tore.
In Meißen stand das Hotel Hamburger Hof, in dem oben im Saal, im Restaurant, regelmäßig Tanzabende veranstaltet wurden. Im Saal hingen Bilder der Meißener Mannschaft. In der Mitte stand der Mittelstürmer Thomale. Man sah, dass ich der Jüngste war, so’n bissel der Shootingstar. Das hat mich mit Stolz erfüllt.
REGINE THOMALE | Als ich Ulli kennenlernte, war ich sechszehneinhalb. Ich besuchte mit meiner zehnten Klasse eine Winterfreizeit in Voigtsdorf im Erzgebirge. Ulli war mit seiner Abiturklasse dort. Ich machte mein Abitur und erlernte nebenbei den Beruf einer Zierpflanzengärtnerin. Wir haben uns in Voigtsdorf sehr lose befreundet, es war nichts Festes. Das mit uns hat sich erst mit der Zeit entwickelt, ich habe beizeiten verstanden, das ist ein junger Mann, für den steht Fußball an erster Stelle. Das hat er mir auch manchmal gesagt. Wenn ich mit sechszehneinhalb, siebzehn Tanzstunde nahm und Lust verspürte, am Wochenende irgendwo aufzuschlagen, da hatte der keine Zeit. (LACHT) Da bin ich eben anderweitig unterwegs gewesen.
Ich durfte zu Hause nicht sagen, dass ich einen Freund hab. Mein Vater war sehr konservativ, sehr streng. Er hat mir gesagt: „Bevor du’s Abitur nicht in der Tasche hast, kommt mir hier kein Kerl ins Haus.“
Ich wuchs im Tal der Ahnungslosen auf, so nannte man das Elbtal, weil es ohne Westfernsehen und Radio auskam. Für mich war die DDR der Kosmos und ringsum: Keine Ahnung, was da noch war. Ich wusste es nicht. Es wurde bei uns zu Hause auch nicht diskutiert.
Wenn meine Oma von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg erzählte, wurde sie von meinen Eltern in die Schranken verwiesen. Mit der Begründung: „Du bringst die Kinder in Konflikte.“ Damit wir in der Schule ordentlich marschieren konnten, in der Sache, die politisch in der DDR lief. Obwohl ich als Kind die Gängelei und den Pionierkram nicht so negativ empfunden hab. Ich hatte ein Halstuch der Pioniere, aber mit der Ideologie nix am Hut.
Ulli und ich hatten nicht sofort eine feste Beziehung, das hat sich im Lauf der Jahre langsam entwickelt, wir pflegten ein heimliches Verhältnis. Wir haben uns immer mal gesehen, zu Hause sagte ich, dass ich zum Sport gehe. Meine Mutti war eingeweiht.
Als ich mein Abitur in der Tasche hatte und gleichzeitig meine Ausbildung als Zierpflanzengärtnerin beendete, war der große Zeitpunkt gekommen. Ich durfte Ulli zu Hause vorstellen. (LACHT) Mein Vater war Fußballanhänger, und weil der Ulli in unserer Heimatstadt Meißen Fußball spielte, war die Sache dann gegessen und alles lief wesentlich entspannter.
Ich wollte nach dem Abitur studieren und hatte in Leipzig einen Studienplatz für Deutsch und Geschichte im Lehramt. Eigentlich wollte ich immer auf’n Bau, Häuser und Fabriken für Menschen bauen. Das hat mich schon als kleines Kind fasziniert, alles, was mit Bau zu tun hatte. Wenn man in der DDR aber Architekt werden wollte, musste man ’ne Lehre auf dem Bau machen. Maurer mit Abitur.
„Das kommt nicht infrage. Du gehst nicht auf’n Bau!“, sagte mein Vater.
In der zehnten Klasse bin ich von Architektin auf Lehrerin umgeschwenkt: Na ja, wenn der dir das verbietet, dann kannst du das nicht machen. Du bist finanziell noch von deinen Eltern abhängig. Also gut.
Der Ulli und ich, wir haben gedacht: Och ja, kriegen wir hin. Für mich hatte das Studium Priorität vor allem. Meine Überlegung war: Am Wochenende bin ich bei ihm in Dresden, und da können wir uns sehen. Er spielte Fußball und absolvierte sein Fernstudium. Dann passierte etwas, was meine Einstellung zum Staat und meine Haltung grundsätzlich infrage stellte.
Vor Studienbeginn sind wir in die Sommerferien gegangen. Ich bekam einen Brief von der Uni in Leipzig, es gab damals kein Internet, und schnelles Telefonieren war auch nicht. Die Uni teilte mir lapidar mit, dass meine Studiengruppe für Deutsch und Geschichte aufgelöst wurde. Weil die jungen Männer ihren freiwilligen Dienst bei der NVA antraten. Aus diesem Grund würde ich der Seminargruppe „Staatsbürgerkunde/Geschichte“ zugeteilt.
Ich war völlig kopflos und von der Rolle. Ich wusste nicht weiter. Staatsbürgerkunde war für mich keine Option. Das war für mich kein Schulfach, das war Gelurxe. (LACHT) Man lernte nichts fürs Leben, nur politische Indoktrinierung.
Also hab ich mit meinen Eltern darüber gesprochen. Mein Vater: „Keine Ahnung, warum willst’n das nicht machen?“ „Ja. Weiß ich nicht, das mach ich nicht.“
Jetzt stand ich da. Was ich studieren wollte, ging plötzlich nicht. Und mit’m Ulli, der mit seinem Fußball intensiv beschäftigt war. Ich dachte: „Scheiße, Staatsbürgerkunde mach ich nicht. Ich bewerbe mich einfach an ’ner anderen Uni.“
Also hab ich mich in Halle beworben, für Deutsch und Geschichte. Ich wurde zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Bei der Hallenser Unikommission fragte man mich: „Wieso bewerben Sie sich denn hier in Halle? Sie haben doch einen Studienplatz in Leipzig?“
Ich hab das nicht geschnallt. Die wussten also, dass ich einen Studienplatz in Leipzig für Staatsbürgerkunde/Geschichte hatte. Ein Gespräch fand gar nicht statt: „Sie fahren nach Hause, das ist unlauter, was Sie hier machen, Sie haben einen Studienplatz und bewerben sich nochmal.“
Es war Mitte August. Ich hatte keinen Studienplatz. Ich musste irgendwas machen. Ich sah keine Chance, irgendwo zu studieren. Ich musst eine Arbeit finden. Ich war neunzehn.
In meiner Verzweiflung hätte ich als Gärtnerin arbeiten können, ich hatte ja einen Facharbeiterbrief. Aber das war eine viel zu schwere Arbeit für mich.
Ich bewarb mich in einem Kinderhort und wurde angenommen, ohne Ausbildung. Ich hab ein Jahr im Kinderhort gearbeitet und dort eine Gruppe Kinder aus der dritten Klasse betreut. Das hat mir Spaß gemacht. Nach einem Jahr habe ich mich wieder in Leipzig um einen Studienplatz Deutsch/Geschichte beworben, dummerweise war das nur an wenigen Unis möglich. Leipzig antwortete, ich gelte jetzt nicht mehr als Abiturientin, sondern als berufstätig. Sie könnten mich für einen Studienplatz nicht zulassen.
Ich verstand die Welt nicht. Der letzte Ausweg für ein Studium in DDR hieß Unterstufenlehrerin, heute sagt man Grundschullehrerin. Fachschulstudium. Ich hatte die Hoffnung, Ach ja, dann mach ich erst mal das, ich werde schon irgendwie weiterkommen. Ich arbeitete am Tag, abends war ich müde. Ulli und mir blieben die Wochenenden nach dem Fußball. Ich bin dann zu ihm nach Dresden gefahren. Unsere gemeinsame Zeit war knapp bemessen. Eigentlich wussten wir voneinander wenig. Ulli: Fußball, Fußball, Fußball. Das war immer wichtig, er war als Spieler sehr, sehr ehrgeizig.
Mein Fachschulstudium in Nossen hätte ich am ersten Tag fast wieder hingeschmissen. Das Studium begann mit einem mehrwöchigen Einsatz in der Kartoffelernte in Mecklenburg. Alle Studenten mussten hin. Studieren stellte ich mir anders vor. Nachdem wir wieder zu Hause waren, kam der nächste Hammer: ein Lager für vormilitärische Ausbildung. Ich wollte das nicht.
Mein Vater sagte: „Das musste dir jetzt überlegen. Das ist deine letzte Chance. Wenn du das jetzt auch hinschmeißt, da sitzt du da. Und die lassen dich nicht studieren.“
Also hab ich wie alle anderen Studenten das Lager für vormilitärische Ausbildung absolviert. Dieser ganze ideologische Mist, in ein Ohr rein und zum anderen Ohr wieder raus. Endlich begann das Studium. Es war methodisch das Beste, was ich jemals lernte. Sie hatten richtig gute Leute für die Fächer Erstlesemethodik, Erst-Mathe-Methodik. Man kann einer ersten Klasse nicht Lesen, Schreiben, Rechnen und Mathe vermitteln, wenn man das nicht gelernt hat, selbst wenn man selbst gut in Rechtschreibung und in Mathe ist.
ULLI THOMALE | Irgendwann fand ein Hallen-Turnier in Dresden statt. Dort wurde die SC Einheit Dresden auf mich aufmerksam. Einheit war der Nachfolgeverein des Dresdner SC, des Dresdner Sportclubs 1898 e. V.
Der DSC war ein traditionsreicher Sportverein, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfolgreich war und 1943 sowie 1944 die deutsche Fußballmeisterschaft gewann. Der DSC ist nach 1945 zur SC Einheit Dresden mutiert, weil in der SBZ und der DDR alle Sportvereine als ehemalige nationalsozialistische Organisationen verboten wurden.
Im DSC waren diverse Sportarten integriert, Rudern, Kegeln, Eiskunstlauf, Wasserspringen, Leichtathletik, Skilauf. 1950 wechselte ein Großteil der Fußballmannschaft auf Initiative von Helmut Schön zu Hertha BSC nach West-Berlin oder zur TSG 78 nach Heidelberg. Der Rest der Mannschaft schloss sich der SG Mickten an, die im gleichen Jahr in BSG Sachsenverlag, danach in BSG Rotation und schließlich 1954 in SC Einheit Dresden umbenannt wurde. 1966 gab’s den Fußball-Beschluss des DFV, als der DDRFußball von oben neu organisiert wurde und besonders geförderte Schwerpunktvereine gegründet worden sind. So wurde aus dem SC Einheit Dresden der Fußball ausgegliedert, und der Fußballverein hieß fortan FSV Lok Dresen.
1966 beendete ich meine Lehre, begann ein Fernstudium und wechselte nach Dresden zu Einheit. Sie spielten 2. Liga, waren aber von 1954 bis 1962 in der DDR-Oberliga und wollten wieder in die höchste Spielklasse aufsteigen.
Ich war so helle, dass ich gesagt habe: „Ich mache die Aufnahmeprüfung an der DHfK.“ Es gab eine Außenstelle in Dresden. Die Prüfung habe ich bestanden und wurde Sportstudent. Mir wurde nichts geschenkt. Ich wurde als Leistungssportler gefördert, trotzdem war es ein harter Weg zum Diplom-Sportlehrer.
Trainiert habe ich bei Einheit jeden Tag, ich war ein Profi mit wenig Geld. Es gab für mich in der Woche einen Studientag, den Dienstag. Am Dienstag trainierte ich nicht. Ich büffelte in der DHfK-Außenstelle in Dresden, Pieschener Allee. Das war nicht einfach, weil der Übergabe von der Schule zum selbstständigen Wissenserwerb in einem Fernstudium erstmal gemeistert werden will.
In Dresden habe ich mein erstes Geld als Fußballspieler verdient, musste aber halbtags arbeiten, in der Entwicklungsabteilung für Spielzeugwaren in Dresden. Sie haben mir Aufgaben gegeben, aber ich war nicht derjenige, der die Produkte vom Band geschoben hat, ich wurde durchgeschleift, hab bissel mitgemacht. Wir haben zum Beispiel große Spieluhren aus Plastik entworfen oder ein Unterseeboot, das konnteste programmieren.
Der Direktor hat bereits ein bisschen mit dem Kapitalismus geschmust, ist zu internationalen Messen gefahren. Dort hat der geguckt, was es an Neuigkeiten gibt, und wir mussten das nachbauen. Ähnlich wie das heute die Chinesen sehr effektiv tun.
Mittags bin ich zum Training gegangen. Der Direktor schaute sich sofort an, was ich beim Fußball draufhabe. Ich glaube, es war mein erstes Spiel für Dresden. Ich schoss ein oder zwei Tore gegen Motor Schott Jena. Am nächsten Tag hat mich der Direktor in der Früh hochbestellt: „Kleiner! Komm’ mal hoch! Ab jetzt kriegst du ’ne Gehaltserhöhung! Außerdem kannst du jetzt immer schon um elf gehen.“ So’n Fußballverrückter war das.
Mir war’s ein Herzensbedürfnis, von meinem ersten Geld in Dresden meinem Vater ein neues Fahrrad zu schenken.
Er hatte eine alte Mühle, mit der er sich quälte. Und ich hab dem ein neues Fahrrad gekauft. Das war für mich eine ungeheure Freude. Er ist dann leider im Krankenhaus schnell verstorben. Ich wusste, dass er stirbt, und hab ihn jeden Tag besucht. Er lag auf der Intensivstation, und der Arzt hat gesagt: „Er wird’s nicht schaffen.“
Da hab’ ich erstmal richtig registriert, was der verdient hat. Oder nicht verdient hat. Und die lächerliche Rente für seine hundertprozentige Schwerbehinderung. Ich hab mich aufgeregt, das hat sich mir eingeprägt. Für mich war das auch ein Vermächtnis gegenüber meinem Vater, als Fußballer beziehungsweise im späteren Leben etwas zu leisten. Weil er so ein Typ war, ein Kämpfer, trotz seiner schweren Kriegsverletzungen. Ich wollte es der Welt zeigen. Auch weil mein Vater wegen des Krieges keine Chance hatte, sich zu verwirklichen, der Krieg hat ihn fertiggemacht. Bis zum Schluss liebte er mich, interessierte sich für mein Tun und förderte mich.
Eine Schwester ist bei der Mutter geblieben. Meine Mutter erlitt einen Schlaganfall, meine Schwester hat sie drei Jahre gepflegt und dessen ungeachtet als Lehrerin gearbeitet. Sie ist jetzt siebenundsiebzig. Wir telefonieren jede Woche. Sie kriegt von mir jede Unterstützung, die ich leisten kann.
In Dresden wohnte ich im Internat Pieschener Allee. Neben mir lebten dort diverse Sportler. Das Internat war eigentlich eine Baracke mit ordentlich eingeräumten Zimmern. Heizung, ja. Toilette auf dem Gang. Zwei Mann in einem Zimmer.
Wir hatten viele Fans, weil die Leute in Dresden in uns den Nachfolger des beliebten Dresdner SC sahen. Etliche Ältere, Verrückte, aus der uralten Garde vor 1945. Die gern mal mit Geschenken ankamen, heute Bananen, einem Stück Butter. (LACHT) Der DSC war zu DDR-Zeiten offiziell verpönt, weil die Mannschaft fast komplett in den Westen abgehauen war.
Den Verein Volkspolizei Dresden gab es auch schon, daraus wurde später Dynamo Dresden, der Verein der Sicherheitskräfte. Dynamo besaß damals bereits die Sportschule, bei Volkspolizei/Dynamo wurde immer ein sehr guter technischer Fußball gespielt. Die Bezirksleitung der SED-Partei war Dynamo-lastig. Wir wurden auch mal von der Bezirksleitung eingeladen, aber das hauptsächliche Interesse galt Dynamo. Sie spielten in der 1. Liga, wir in der 2. Dynamo Dresden wurde das Lieblingskind der Dresdner. Alle Kraft für Dynamo! Um das zu festigen, wurde unser Spieler Eduard Geyer von Einheit zu Dynamo delegiert.
Wir hatten einen sehr patenten Mannschaftsleiter, einen Rechtsanwalt, er hat mich gemocht. Als mein Vater starb, sind die Leute von Einheit zur Beisetzung gekommen. Das hat mir geholfen. Ich dachte, ich kann nicht einfach so zu einem anderen Verein verschwinden. Und bin geblieben. Wir wollten eigentlich aufsteigen.
Unser Trainer war vor meiner Zeit mit dem SC Einheit FDGB-Pokal-Sieger geworden. Ein sehr guter Ausbilder, aber kein guter Coach, kein Psychologe, trotzdem ein akribischer, fleißiger Mensch. Du musst aber manchmal im Fußball dem einen oder anderen eins auf die Fresse hauen, streng symbolisch formuliert. Ich überspitze. Aber um die Mannschaft nach vorn zu bringen, musst du zuweilen Tacheles reden. Du kannst nicht immer alle lieb haben. Wenn es nicht lief, meinte unser Trainer: „… aber wir haben doch alles gemacht …“
Der hat uns sogar unterschreiben lassen, was wir im Spiel für Aufgaben zu erfüllen hatten. Es schien durchdacht. Ich hab als Trainer auch Verschiedenes probiert, ich bin sicher der emotionale Typ, bei mir ist auch mal ein böses Wort gefallen, und mancher meinte hinter vorgehaltener Hand: „Der Thomale ist verbissen.“
Ich glaube, dass ich das Coachen später ganz gut beherrscht habe. Man muss ein gewisses Schauspieltalent haben, um zwischen hartem Hund und Pferdeflüsterer hin und her switchen zu können.
Ein Trainer hat Wissen. Er muss analysieren können. Aber ein Coach, der muss seine Fußballphilosophie in eine Mannschaft einbringen können.
Ein Beispiel. Otto Rehhagel ist für mich ein besserer Coach als Trainer. Der hatte die Gabe – und das verstehe ich unter coachen –, aus den Menschen, aus den Spielern von der emotionalen Seite alles rauszuholen. Dass die zusammenhalten, dass sie für ihn Gas geben. Ein perfekter Trainer trainiert ordentlich, der weiß, was er zu tun hat, er analysiert und kann gut coachen. Nehmen wir jetzt mal den Klopp. Das ist wahrscheinlich im Moment der beste Mann auf dem Trainerstuhl. Klopp ist die Inkarnation des Erfolgs.
Jürgen „Klinsi“ Klinsmann hingegen ist nur ein guter Coach! Der hat 2006 vor der WM in Deutschland gesagt: „Wir wollen Weltmeister werden!“ Ich dachte: „Spinnt der?“
Ne! Der hat lange in Amerika gearbeitet und dort gesehen, auf welche Art und Weise die den Leuten einreden, wie gut die sind.
Wir waren mit unserer Dresdner Mannschaft immer vorne dabei, sind aber nie aufgestiegen. Trotzdem kamen ein paar tausend Zuschauer. Als Einheit spielten wir in Rot-Weiß, als wir FSV Lok Dresden wurden, änderten sich die Farben in Schwarz-Rot und Schwarz-Weiß. Das hat uns gefallen, weil es in der DDR ungewöhnliche Farben waren. Ich spielte meist vorn in der Mitte oder vorn rechts und schoss in 76 Spielen 13 Tore.
Wir wollten uns ursprünglich 1. FC Lok Dresden nennen. Das durften wir aber nicht, weil es bereits den 1. FC Lok Leipzig gab. Als Lok Leipzig mal in der 2. Liga gegen uns spielte, sie waren abgestiegen, hat man uns geraten, das Spiel zu verlieren. Von höherer Stelle ist uns das angetragen worden. Ich war in der Blüte meines fußballerischen Schaffens und darüber sehr erschüttert.
Peter Gießner, später mein Vorsitzender bei Lok Leipzig, spielte damals für Lok Leipzig. Und ich beim FSV Lok Dresden. Es gibt ein Foto, da siehst du uns im Zweikampf. Gießner, der große Kerl, ich springe gegen seinen Körper.
Als wir in FSV Lok Dresden umbenannt wurden, kriegten wir alle eine Anstellung beim Reichsbahnausbesserungswerk Dresden-Friedrichstadt. Ich wurde Diesellok-Schlosser. Ich hab’ eine Diesellok nie von innen gesehen, aber damit das Kind einen Namen hatte, ich mein Geld bekam, wurde das so geregelt.
Ich mochte Kabinettstückchen. Gerade hier in Dresden, wenn dann der Trainer zu mir gesagt hat: „Spiel einfach“, sollte heißen, unterlasse irgendwelche Tricks, hab ich das nicht gemacht. Weil, dafür hab’ ich ja ein bissel gelebt, eben nicht einfach zu spielen.
Einmal gegen Erfurt, mein Gegenspieler war ganz früher sogar mal ein Nationalspieler. Ich war’n ganz junger Kerl in Dresden, und der hat bei Erfurt linken Verteidiger gespielt. Gegen den hab’ ich mal so’n Hackentrick gemacht. Über ihn drüber. Als Antwort hat er mich Maß genommen und als ich mich wieder aufrappelte grunzte er: „Na, Kleiner, haste dir weh getan?“ So war das früher üblich. (LACHT) Ich musste nach einer Weile nicht mehr irgendwo arbeiten. Dienstag war mein Studientag, da habe ich aus eigenem Interesse an der Berufsschule des Reichsbahnausbesserungswerks nachmittags dem Sportlehrer assistiert. Dort turnten auch sechzehnjährige Mädchen. Na, das war gefährlich. Jedenfalls hab’ ich schon so’n bissel ins Trainersein reingerochen.
Kurz darauf musste ich im Rahmen des Studiums ein Praktikum erledigen und abermals Mädchen einer Schulklasse ’ne Stunde im Geräteturnen geben. Ich konnte denen alle Übungen vorturnen, mich konnte man überall hinstellen. Bodenturnen, Stufenbarren, her damit! Musst schon ein bissel wissen, wie es methodisch geht. Das waren wertvolle Erfahrungen, auch als ich dem Sportlehrer aushalf. Ich war immer neugierig: „Wie macht der das?“
Obwohl für mich immer klar war, dass ich Fußballtrainer werden wollte. Ich studierte insgesamt sechs Jahre.