Kitabı oku: «»Ich bin Trainer, kein Diplomat!«», sayfa 3

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4. KAPITEL
NVA UND REGINE

Im Mai 67 wurde ich zur Nationalen Volksarmee eingezogen. Ich war 24 Jahre alt und als Fußballer auf dem Gipfel meiner Kunst. Das zählte alles nicht, wenn die Friedenswacht rief.

Kaserne Potsdam. Besser gesagt: Stahnsdorf. Ein Jahr vorher bekam ich das Angebot, zu einer Vorwärts-Mannschaft zu wechseln. Vorwärts hieß die Sportvereinigung der NVA. Wer dort spielen wollte, musste sich mindestens drei Jahre zur Volksarmee verpflichten. Das kam für mich nicht infrage. Ich mochte alles Militärische nicht, wegen der Geschichte meines Vaters. Weil ich mich weigerte, wollte man mir nun den Daumen zeigen. Als ich dem Wehrbezirkskommandeur mit meiner Ablehnung zur Vorwärts-Mannschaft zu wechseln, nach seinem Dafürhalten komisch kam, meinte der zu mir: „Sie werden sehen, was nach Ihrer Weigerung rauskommt.“

Mir wurde schnell klar, dass sie mich nun beizeiten zum Armeedienst einziehen würden.

Bei Studierenden wie mir war es eigentlich so: Entweder wurden sie bis zum dritten Studienjahr eingezogen, oder sie konnten zu Ende studieren. Normalerweise. Bei mir war’s anders. In drei Wochen, Ende Mai, hätte ich das dritte Studienjahr abgeschlossen. Nun konnte ich sechs oder sieben Prüfungen nicht mehr ablegen, weil die mich Anfang Mai einzogen. Eigentlich waren die Einberufungen Massentransporte. Ich kam allein an. Warum? Keine Ahnung.

Mot-Schützen-Regiment, dort hab ich die Grundausbildung absolviert. Nach diesen harten Wochen winkte mir endlich wieder das Glück. Es gab glücklicherweise ’ne Fußballmannschaft um die Ecke. Sie hieß Vorwärts Potsdam. Dort wurden alle guten Spieler zusammengezogen, die sie nicht länger als eineinhalb Jahre verpflichteten. Weil die Potsdamer Soldaten ordentlich abschneiden mussten. Für die Ehre der NVA im Speziellen und der Garnison Potsdam im Besonderen. Auch bei der NVA trieben sich genug Fußballverrückte rum.

Ich spielte also bei Vorwärts und wurde im späteren Verlauf Spielertrainer der Mannschaft. Das hat mir Vorteile gebracht. Nach der Grundausbildung machte ich noch ein großes Manöver mit und wurde in der Folge für ein Jahr diensthabender Platzwartsoldat.

Der Fußballplatz lag gleich neben der Kaserne. Nun hieß es, fröhlich Unkraut jäten, dem Maulwurf nachstellen, Rasen mähen, Rasen wässern. Wenn meine Mitsoldaten in gewichsten Stiefeln nebst Panzerbüchse und Tamtam aus der Kaserne marschierten, stand ich mit Wasserschlauch und Dreiecksbadehose unterm Regenbogen.

Ich war ein guter Fußballer, der Regimentskommandeur kannte mich bald persönlich. Hab nachmittags mit der Mannschaft trainiert, und am Wochenende sind wir zu Spielen gefahren. Ich erinnere mich an herrliche Erlebnisse. Wir sind zu unseren Meisterschaftsspielen mit dem Lkw gefahren. In Ausgangsuniform saßen wir hinten auf der Ladefläche. Wir hatten einen Offizier dabei, n’ ganz jungen Offizier, der bei uns mitspielte. Nach den Spielen haben wir regelmäßig einen gebügelt. Wir sind nie pünktlich in die Kaserne zurückgekehrt, jedes Mittel war uns recht, um der Kaserne zu entfliehen. Unser fußballspielender Offizier wurde regelmäßig verdonnert, hielt das aber von uns fern.

Ich hab in der Armeezeit so viel Alkohol getrunken wie vorher nicht und hinterher auch nicht. Weil du manchmal diesem ganzen Stumpfsinn entfliehen musstest, tat der Alkohol unfassbar gut.

Die Volksarmee riss mich aus dem Studium … bei der Armee musste ich katzbuckeln, konnte zwar Fußball spielen, aber nicht so hochklassig, wie ich es hätte können. Es hieß, die Zeit rumbringen. Aber manchmal hatte ich trotzdem die Schnauze einfach gestrichen voll. Depressionen quälten mich deswegen nie.

Weil mein Vater kurz vorher verstorben war, weil meine Mutter Staublunge hatte und Hilfe brauchte, hab ich an den Staatsrat geschrieben. Das hat nix gebracht.

Ich bin mit meiner Mentalität überall gut zurechtgekommen. Ich hab mich arrangiert. Aber dieser Stumpfsinn! Acht Mann auf dem Zimmer. Von ’nem Fleischer bis zum Opernsänger waren alle vorm Kommiss gleich unmündig. Ein Offizier pfeift vor der Tür. Einer aus dem Zimmer muss vor die Tür und in strammer Haltung rufen: „Zimmer 8!“ Der Offizier brüllt: „Das und das anziehen und Teil 1 und da und Teil 2 dort!“

Der Soldat geht ins Zimmer und brüllt: „Das und das anziehen, und Teil 1 und da und Teil 2 dort.“

Du musst dich anziehen und den gewünschten Unfug erledigen. Dieses Nicht-über-dich-selber-Verfügen, das ist mir immer schwergefallen, aber ich hab nicht aufgemuckt. Damit zog man den Kürzeren. Meine Karriere versauen wollte ich nicht.

Ich hab’se verarscht. Hin und wieder mal. Als ich zum Beispiel draußen als Platzwart jeden Tag Unkraut jätete, hab ich mich an den Kompaniechef gewandt und gesagt: „Ich komme mit der Unkrautvernichtung nicht voran, das ist so viel Unkraut hier, ich brauch ein paar fleißige Hände.“

Sofort hat der Kompaniechef mir einen Zug Soldaten geschickt. Das hab ich immer wieder getan: „Dort ist sauber zu machen und da und da …“ Und die Soldaten haben Unkraut gezupft und schön saubergemacht. Das war ihnen Labsal, weil sie nicht in der Kaserne waren und sich in ihren Pausen auf meinem feinen Rasen ausstrecken konnten, während die Vöglein sangen und die Sonne ihnen auf die Nase schien. Ich hab mich selbstverständlich hin und wieder ein wenig gesonnt, vielleicht n’ Bierchen zwischendurch getrunken. (LACHT)

Ich war offiziell in einer Arbeitskompanie, ich konnte nicht studieren, es war nichts zu machen. Am Anfang war ich darüber böse. Wenn ich nach Hause wollte, brauchte ich einen Urlaubsschein. Den ersten Urlaub bekam man nach der Grundausbildung. Das wurde streng kontrolliert.

Du hattest nie Ruhe. Weder vor fiesen Offizieren noch vor den eigenen Kameraden. Als sozialer Mensch kam ich damit klar.

Den einen oder anderen mussten wir disziplinieren. Wir hatten einen dabei, der kam aus Köpenick, och’n Fußballer, der hat in meiner Mannschaft gespielt. Kameradenregel war, wenn einer n’ Paket bekommt, dann teilen wir das unter allen auf. Der Köpenicker ging manchmal an seinen Spind und hat sich heimlich von ’ner Wurst was abgeschnitten. Und das haben wir gesehen und ihn getadelt. Als das nicht half, haben wir ihn in seinen Wurstspind gesperrt und Tee von oben in den Spind gegossen.

Ich hatte viele gute Kumpels, und mit dem Spieß ein gutes Verhältnis zu haben, konnte auch nie schaden. Wenn mein Urlaubsschein erst abends galt, war ich dank des nachsichtigen Spießes längst zu Hause in Meißen.

68, Prager Frühling. Ich hatte Angst, weil das Gerücht umging, wir müssten länger dienen. Ich war immer überzeugt, solange es die zwei Lager gibt, kommt es zu keinem großen Krieg. Ob NATO oder Warschauer Pakt, das wäre für niemanden gut ausgegangen.

In diesen Tagen sind wir in voller Montur rumgelaufen. Voll munitioniert, wir durften uns nicht ausziehen. Radioverbot, allgemeine Infos nur von Offizieren.

Ich lag auf dem Bett und schlummerte. Wenn ein Offizier reinkam, hieß es: „Achtung, auf!“ und neben dem Bett stehen. Ich war fertig, hab geschlafen. Hauptmann L. hat mich mit dem Stiefel getreten. Ich erschrak und brüllte ihn an, was das solle. Er ist raus, verschwunden.

Für mich hatte es ein Nachspiel. Als ich kurz darauf nach Hause wollte und L. Dienst hatte, sagte er: „Zeigen Sie mir mal Ihre Kragenbinde. Die ist nicht sauber.“ Obwohl die sauber war. „Tun’se mal ’ne andere rein. Dann kommse wieder.“ Als ich mit der gleichen Kragenbinde wiederkam, prüft er, ob ich lange Unterhosen anhatte. Zuletzt den Haarschnitt: „Die Haare sind zu lang.“ Er zeigte mir auf hundsgemeine Art, wer der Herr im Hause war.

Wenn du ein Jahr dabei bist, wirst du EK. Entlassungskandidat im NVA-Jargon. Und EKs können sich etwas mehr erlauben als Frischlinge. Hauptmann L. wohnte in der Nähe der Kaserne. Er ist mit anderen Offizieren manchmal abends in die Kneipe. Einmal hatten wir gemeinsam Ausgang. Ich schaute genau, wohin er seine Offiziersmütze hing. Hab mir die Mütze geholt. Die Mütze hatte so’n Drahtring, den hab ich rausgemacht. Nun sah die Mütze aus wie ’ne labberige Thälmann-Mütze. Nach einem abschließenden Bad draußen in einer Pfütze hab ich sie heimlich wieder an ihren Platz gehangen. Die Rache des kleinen Soldaten.

Alkohol gab’s innerhalb des Objekts nicht. Silvester und Weihnachten waren wir natürlich geschickt. Wir haben die Wache ausbaldowert, der Mensch ist ja findig.

Zum Glück hatten wir ein Kino in der Garnison. Und die haben ganz gute Filme gebracht. Wenn das Licht ausging, rief einer der EKs, der Entlassungskandidaten:

„EKs, wo seid ihr?!“

Dann schrie das ganze Kino: „Hiiiiieer!!“

Er: „EKs, was wollt ihr?!“

Die Korona antwortete: „Bier!“

Er: „Warum denn keine Brause?!“

Wir voll Inbrunst: „Wir wollen nach Hause!!“

Das war laut, das kannst du dir nicht vorstellen. Der Offizier vom Dienst brüllte: „Licht an! Alles raus!“ Das durfte eben nicht sein. Strammstehen, warten. Wieder rein.

Als das Licht ausging, rief abermals ein EK: „EKs, wo seid ihr?!“

Das ging manchmal bis zu drei Mal. Und dann immer wieder:

„EKs, wo seid ihr?!“

„Hiiiiieer!“

Wir haben uns jeden Scheißfilm dort angeguckt, weil wir nichts anderes hatten. Wir sind durch den Fußball rausgekommen oder zum Trainieren, aber innerhalb der Kaserne bot nur das Kino Abwechslung.

Vorwärts spielte in der Bezirksliga, dritte Spielklasse. Die Zuschauer waren zumeist Soldaten, Soldatenfrauen, Soldatenkinder. Stahnsdorf war Armeegebiet. Später hat mich wieder einer liebgewonnen, der Herr lebte in Babelsberg, er war unser Betreuer bei Vorwärts Potsdam. Er hatte von Fußball keine Ahnung, war von Hause aus Offizier. Nun Offizier a. D. Er hat mich das eine oder andere Wochenende mit in seine Wohnung nach Babelsberg genommen. Ich liebäugelte kurz nach der Armee damit, eventuell bei Motor Babelsberg zu spielen, die war’n damals ’ne ganz gute Mannschaft in der 2. Liga.

Ein Soldat aus meiner Kompanie kam nicht gut mit den Zuständen in der Kaserne klar. Er ist nach seinem Urlaub nicht in der Kaserne erschienen. Das nannte man beim Militär unerlaubte Entfernung. Und wenn drei Mal unerlaubte Entfernung passierte, kam man vor das Militärgericht. Als er verurteilt wurde, mussten wir zur allgemeinen Abschreckung der Verhandlung beiwohnen. Er wurde zu mehreren Monaten Militärhaft verurteilt. Ich habe seine Rückkehr erlebt, er wurde gezwungen, in irgendeiner Tongrube seine Strafe abarbeiten. Diese Zeit musste er zu allem Übel auch noch nachdienen.

An machen Nachmittagen hatten wir Politunterricht. In unserer Kompanie gab’s zwei mit Abitur, den Opernsänger und mich. Damit will ich nicht sagen, dass wir nu klüger waren als die anderen.

Eine Sache, worüber wir uns echt Gedanken machten, war das Problem des ersten Schusses. Wenn es ernst wird, und du musst ins Unbekannte ausrücken. Am Ende ist es ein ernstes Problem für denjenigen, der drüben in West-Berlin liegt, und den, der bei Potsdam liegt. Wer schießt nun zuerst? Vielleicht hast du einen Freund, mit dem du richtig gut zurechtkommst. Wartest du, bis sie den abgeknallt haben, und schießt dann? Oder schießt du als Erster und tust dem auf der anderen Seite etwas an? Das waren ernsthafte Fragen, natürlich wollten unsere Offiziere, dass wir als Erste schossen, obwohl die NVA doch eine Verteidigungsarmee sein wollte. Diese Diskussion hat mich tief berührt. Ich meine, wer will schon Menschen erschießen?

Wir haben in der Anfangszeit häufig Schießübungen absolviert, ich war sogar Scharfschütze. Später war ich SMGSchütze auf so ’nem Panzerspähwagen der Mot-Schützen. Die anderen Soldaten saßen im Fahrzeug, ich hockte oben am MG.

Wacheschieben musste ich hin und wieder, bis der Platzwartjob rief. Man durfte den Gurt des Stahlhelms beim Wacheschieben nicht schließen. Der Feind hätte uns andernfalls am Helm gepackt und den Hals umgedreht. Uns wurde erzählt, dass bei der Bewachung eines Munitionslagers zwei Soldaten so getötet worden sind.

Als die NVA-Zeit endete, hab’ ich mir beim FSV Lok Dresden zwei Studientage genommen. Nach der Armee bekam ich einen Lernschub und vergaß meine angeborene Faulheit. Ich habe in den nächsten zwei Jahren alles aufgeholt und das Studium 1969 abgeschlossen.

Man ist mir seitens der DHfK entgegengekommen. Ich musste zum Beispiel Diskuswerfen. Oder Stabhochspringen. Damit ich was von der Technik kapierte. Im Internat war eine Diskuswerferin, die hat mir das gezeigt. Hab daraufhin die Note 1,5 bekommen. Die Technik hab ich sehr gut beherrscht. Die DHfK war sehr kooperativ, mir wurde auch mal eine Trainingseinheit individuell abgenommen: „Passen Sie auf, Herr Thomale, bis nächste Woche möchten wir das und das abschließen. Dann üben Sie und lesen ein paar Texte.“

Man kann nicht alles beherrschen. Aber du musst wissen, wie es methodisch geht, worauf’s ankommt. Wir haben Biomechanik gehabt, wir waren im Winterlager. Ich bin sechsundzwanzig Meter weit von einer Sprungschanze gesprungen. Ein vorgegriffener Witz: 1990 wollte der DFB mir die westdeutschen Fußballlehrer gleichstellen. Sie waren zumeist sogenannte verdiente Profis, die ein halbes Jahr in Köln studierten, wohlwollend formuliert.

Ernährungslehre war seinerzeit nicht vorhanden. Vorne im Steyer-Stadion gab’s ein Restaurant. Dort konnten wir frühs, mittags und abends essen. Fleisch, Kartoffeln, verkochtes Gemüse. Wir sind auch mal auf den Bahnhof Dresden-Neustadt und haben in der Mitropa gegessen. Ernährungsvorgaben gab’s für die Spieler nicht.

Bücher hab ich im Lauf meines Lebens wenige gelesen, nur gewisse Fachliteratur. Ich war ein visueller Typ, der viel geschaut und dabei gelernt hat. Als ich in Leipzig Trainer wurde, gab’s den Herbert J., der ist mit der DDR-Volleyball-Mannschaft Weltmeister geworden. Er war am Wissenschaftlichen Zentrum in Leipzig. Der las und besaß Weltliteratur. Von ihm hab ich mir ein paar Sprüche zu eigen gemacht.

Eric Heiden war ein amerikanischer Eisschnellläufer, der alles in Grund und Boden lief. Von ihm stammen die Sätze: „Laufe, bis du nicht mehr laufen kannst. Und dann lauf weiter.“

Es geht unheimlich viel über den Willen. Ich hab später oft Endkampf-Eigenschaften trainieren lassen.

Meine Frau Regine kenn ich seit der Berufsschule. Ich war mit der Klasse im Winterlager. Und sie war mit ihrer Abiturklasse dort. Sie war sechzehn und ich neunzehn. Wir haben uns kennengelernt, und so hat sich das entwickelt. Ist lange gegangen, ehe wir richtig zugeschlagen haben. Ich ging nach Dresden, und sie ging nach Nossen, um Pädagogik zu studieren. Eine Art Fernbeziehung, erst mal Geplänkel. Ich wusste glücklicherweise, wo sie in Meißen wohnte, wo sich ihr Zimmerchen befand. Und ich konnte ganz gut pfeifen, ohne dass ich die Finger brauchte. Dann hab ich gepfiffen, und Regine wusste Bescheid: Aha! Unten steht Ulli. So haben wir uns verabredet. Die Mutter hat es irgendwann mitbekommen, der Vater nicht.

Geheiratet haben wir, als ich in Dresden war … beziehungsweise während meiner Armeezeit, weil ich für die Hochzeit drei Tage freibekam. Die Mannschaft des FSV Lok kam vorbei, wir feierten bei den Eltern meiner Frau. Wir hatten Platten voll belegter Brote, und als die Fußballer verschwanden, waren diese Platten leer. Als ich in Dresden lebte, wurde unsere Beziehung fester. Übernachtung hab ich geregelt. Das wurde in der Unterkunft nicht gern gesehen, aber der Mensch findet immer einen Weg. Der Internatsleiter war gleichzeitig unser Zeugwart, er hat nie groß Theater veranstaltet. Einmal kontrollierte er, also hab ich Regine im Bett versteckt, herrlich.

Meine Frau hat Handball gespielt. Bei Chemie Meißen. Regine ist recht sportlich.

Als ich noch in Meißen kickte, hat Regine in unmittelbarer Nähe gewohnt. Und der Vater war praktischerweise Anhänger von Meißen. Die Mutter wusste über unseren Kontakte Bescheid, den Vater haben sie so’n bissel im Unklaren gelassen, er war etwas streng: „Bevor du dein Abitur nicht hast, kommt mir kein Kerl ins Haus!“

Er wusste von nichts, obwohl wir schon lange gemeinsam unterwegs waren. Als er endlich mitbekam, wer ihr Freund war, nämlich der Mittelstürmer seiner heiß geliebten TSG Meißen, kannte seine Freude kein Ende.

Regine studierte und arbeite zuerst als Unterstufenlehrerin. Später hat sie an der Humboldt-Universität in Berlin ein Fernstudium absolviert, Spezialgebiet Arbeit mit geistig Behinderten. Sie hat bis 1990 zwanzig Jahre als Lehrerin gearbeitet. Nach der Wende musste sie, damit sie verbeamtet wurde, ein Referendariat machen. Sie hat es mit Auszeichnung absolviert. Die zwanzig Jahre zählten nicht.

DAS KENNENLERNEN

FRANK Regine, wann habt ihr euch kennengelernt?

REGINE 64. Tanzabend.

ULLI Getanzt haben wir auch! Im Winterlager. War so’n kleiner Tanzabend.

REGINE Winterfreizeit. Wir waren mit unserer Klasse dort.

ULLI Das war früher so üblich, dass man da mal ’ne Woche irgendwohin gefahren ist.

BEIDE Von der Schule organisiert.

ULLI Das war in Voigtsdorf.

REGINE Ich ging in die 10. Klasse, und du warst 13. Klasse. Viel Schnee!

ULLI Das war im Winter.

FRANK Da habt ihr euch kennengelernt – und sofort verliebt? REGINE Neeein!

ULLI Na, das ging noch ’ne Weile hin und her. Aber irgendwie hat sie mich gereizt, sie hatte Charme, sah gut aus und war klug.

REGINE Ich wurde ja streng erzogen. Mein Vater hatte da ’ne Hand drauf. Ich konnte mich nicht einfach mit Jungs verabreden.

FRANK Ulli hat’s genauso erzählt; ich wollte nur gucken, ob ihr schwindelt. FDJ habt ihr alles mitgemacht?

ULLI Alles. DSF, FDJ

5. KAPITEL
DRESDEN, RIESA, HALLE

ULLI THOMALE | Dynamo Dresden wandte sich irgendwann an die Funktionäre des FSV Lok Dresden, weil Dynamo-Trainer Walter Fritzsch mich wollte. Fritzsch hatte gesagt: „Den brauch ich.“

Und wenn er diese Worte aussprach, begannen die Rädchen zu arbeiten. Dynamo war inzwischen sehr beliebt in Dresden, zu uns kamen ein paar tausend, zu Dynamo zehntausende. Da hat keiner gesagt, Dynamo ist Stasi oder Volkspolizei. Das hab ich nie begriffen. Mich hat’s ein bisschen erstaunt, weil eigentlich hätte der Lieblingsclub der Dresdner der SC Einheit Dresden sein müssen. Dynamo ist nach dem Krieg entstanden. Über die VP, die hießen eine Weile VP Dresden, kamen eigentlich aus Leipzig beziehungsweise Berlin, die Entstehung von Dynamo Dresden ist eine ganz merkwürdige Geschichte. Gut, die Dresdner liebten freiwillig Dynamo, einen Polizeiverein, war nun mal so.

Jedenfalls wollte Walter Fritzsch mich 1969 haben und hat sich an die Funktionäre gewandt, die sollten das mit mir klären. Ich und ein Torhüter sollten rüber, im Rahmen eines Ringtauschs. Die Spieler wurden als Letzte gefragt. Über Wechsel entschieden Funktionäre.

Aber ich sollte und wollte zu Dynamo. Doch meine FSV-Lok-Funktionäre blockierten den Wechsel. Die mochten mich nicht abgeben. Als ich das erfuhr, wollte ich den Verein unbedingt verlassen. So bin ich 1970 kurz darauf zu Stahl Riesa in die Oberliga gewechselt, in die höchste Spielklasse der DDR. Ich wurde nicht delegiert, ich meldete mich in Dresden ordnungsgemäß ab und in Riesa ordnungsgemäß an.

Bei Stahl Riesa absolvierte ich im rechten Mittelfeld beziehungsweise vorn rechts leider nur 14 Spiele. Ich hab ein Tor daheim erzielt, Flugkopfball gegen Vorwärts Frankfurt.

In Riesa wurde ich als Diplomsportlehrer für Massensport eingestellt und habe Kindern am Abend Sportunterricht gegeben. Eine verschleppte Gelbsucht machte mir wahrscheinlich zu schaffen, die ich mir bei der NVA zugezogen hatte.

Ich sah mich noch als Spieler, ich wurde zu einer Reha geschickt. Es wurde nicht besser, ich hab noch gespielt und nicht schlecht. Als ein Riesaer Arzt bei mir eine residuale chronische Hepatitis feststellte, war meine Spielerkarriere beendet.

Dieser Internist einer Riesaer Poliklinik meinte nach einer durchgeführten Leberbiopsie mit dem Befund in der Hand: „Herr Thomale, wenn Sie alt werden wollen, dann hören sie mit Leistungssport auf.“

Als ich mit aufhören musste, war ich sechsundzwanzig, im besten Fußballeralter. Das war eine sehr bittere Entscheidung.

Ich hab in Riesa im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks an einer Tribüne mitgebaut und mich so im Stadion verewigt. Leider hatten wir schlechte Trainingsmöglichkeiten. Wir sind häufig mit einem Robur-Kleinbus durch die Landschaft getuckert, um bei kleineren Vereinen einen Platz am Rand der Stadt zu finden, sehr amateurhaft, trotz Oberligazugehörigkeit. Auf einem holperigen Hartplatz haben wir manche Athletikeinheit absolviert.

Mein Grundgehalt betrug in Riesa 900 DDR-Mark. Wenn man im Leistungssport als Trainer gearbeitet hat, waren diese 900 Mark das Grundgehalt. Als Spieler bekam man in Riesa 1970 weniger.

Dann haben sich die Ereignisse überschlagen. Der Riesa-Trainer Karli Schäffner hatte mich nach meiner Diagnose in den Trainerstab eingebaut, ich war fürs Warmmachen zuständig und fürs Erste damit nicht unzufrieden. Zu dem Zeitpunkt war mir klarer als je zuvor, dass ich nur Fußballtrainer werden wollte. Regine und ich bekamen 1971 in Riesa unseren ersten Sohn Michael. Wir haben in Riesa endlich gemeinsam gewohnt, Stahl Riesa hatte uns die erste eigene Wohnung besorgt.

Plötzlich wandte sich der Hallesche FC Chemie an mich. Der damalige Clubvorsitzende Hans Schmidt des Halleschen FC war ein feiner Mensch. Er hat mich nach Halle zum Nachwuchs gelotst. Ein Trainer ging für’n halbes Jahr zur Armee, und der Posten des Oberliga-Junioren-Trainers war frei. Der HFC war ein Fußballclub, Stahl Riesa eine kleine Betriebssportgemeinschaft. Ich überlegte keine Zehntelsekunde und sagte zu.

Der Job in Halle war eine berufliche Verbesserung, bedeutete aber auch die Trennung von der Familie. Ich bekam anfangs neben dem Club-Sekretariat eine kleine Wohnung in Halle, später hab ich mit einem Kollegen eine Kleinstwohnung in Halle-Neustadt bezogen.

Arbeits-Alltag: Montag bis Freitag Spieler trainiert. Ganz früh hatte ich eine KJS-Klasse. Anderthalb Stunden später die nächste KJS-Klasse. Dann bin ich zu Fuß oder mit der Bahn zum Clubgelände. Mittagessen. Am Nachmittag wieder die beiden KJS-Klassen. Danach kamen die Lehrlinge, also Spieler, die wegen ihrer schulischen Leistungen nicht auf der KJS waren. Die hab ich auch trainiert. Dann ab in mein Schlafobjekt. Am nächsten Tag ging wieder von vorn los.

Nur am Freitag zum Abschlusstraining hatte ich die Lehrlinge und die Jungs von der KJS zum gemeinsamen Training. An den anderen Tagen immer nachmittags den größten Teil der gesamten Mannschaft. Trotzdem sind aus einigen Lehrlingen gestandene Oberligaspieler geworden. Samstag fanden Punkt- und Pokalspiele statt. Häufig als Vorspiel vor den Oberligabegegnungen. Das war eine gute Idee. Weil die Jungs vor Zuschauern spielten und die Oberliga-Trainer teilweise zusahen. Leider nur bei schönstem Wetter, um den Platz zu schonen. Diese Vorspiele wurden auf einen Nebenplatz verlegt, sobald ein Tropfen Regen fiel.

Der Sprung von der Jugend- zur Männer-Mannschaft war schwer. Ein normaler Prozess. Wir haben von einer Pyramide gesprochen. Du darfst dich auf den Weg zur Pyramidenspitze nicht verletzen. Oder Überlastungserscheinungen haben. Du musst fleißig trainieren und den Freuden der Jugend abschwören.

Aus welchem jungen Mann mal ein toller Spieler wird, ist nicht einfach feststellbar. Wir haben gegrübelt: Wird das einer oder nicht?

Es wurden im Nachwuchs Altersbestimmungen durchgeführt, wo man die Handwurzelknochen untersuchte, um festzustellen, der ist in seinem Wachstum hinterher, kann aber noch werden. Es sind viele Fehler gemacht worden. In allen Vereinen. Gute Spieler fielen durchs Raster, weil sie kleine Schönheitsfehler hatten. Heiko Scholz zum Beispiel. Er war in Dresden an der Kinder- und Jugendsportschule. Aber weil er so’n Hänfling war, man in ihm kein Potenzial erkannte, wurde er nicht entsprechend gefördert. Scholz ist später richtig durchgestartet, weil er an sich geglaubt hat und niemals aufgab. Viele junge Spieler hatten diesen Ehrgeiz und Willen nicht.

Trainer im Nachwuchs waren in der DDR oft erpicht, mit ihren Mannschaften gut abzuschneiden, darum setzten sie lieber die Großen und Kräftigen ein.

Den guten Fußballer, vielleicht etwas klein, den ließen sie unbeachtet liegen. Das war nicht gut. Weil jeder Kleine die großen Kerle in zwei Monaten spielerisch überholen konnte.

Ich hatte ’n paar richtig gute Fußballer in Halle. Bei denen es mich wunderte, dass sie es nicht in die OberligaMannschaft schafften. Die letzte Stufe der Pyramide, das erkannte ich bei meiner nächsten Station in Jena, ist die schwierigste. Dort scheiden sich die Geister. Aufkommende Sexualität, Wochenendvergnügen, das Erwachsenwerden. Wenn der Spieler nicht erkennt: Was ist mein Hauptjob? Wo will ich vorwärtskommen? Wenn er alles mitnehmen will, mit den Mädels – ich will ausgehen, ich will vielleicht rauchen und Alkohol trinken. Ist nicht unnormal, dass jeder sich ausprobiert. Aber so verplemperten sich viele gute Fußballer. Ich habe oft zu den Jungs gesagt: „Ihr habt nicht so viele Jahre als Fußballspieler. Versucht das Optimale rauszuholen.“

Man soll fröhlich sein oder ein Mädel haben, aber alles in Maßen. Das Schlimmste ist, wenn du mit fünfunddreißig vorm Fernseher hockst, und dann spielt in der Flimmerkiste einer, der einst mit dir auf gleicher Stufe stand, es aber begriffen hat. Und du: „Ahh … das hätt’ ich doch auch …“ Ich war ein halbes Jahr in Halle, bis der eigentliche Trainer von der NVA zurückkam. Ich wär’ gern geblieben, weil mir’s dort gefallen hat. Es waren meine ersten Schritte als Fußballtrainer, die ich mit energischem Schwung absolvierte. Ich spürte, der Fußball wartete auf mich, bald würde sich ein neues Fenster öffnen.

REGINE THOMALE | Ein Jahr bevor ich mit dem Studium fertig wurde, heirateten wir. Weil seinerzeit die meisten Junglehrer nach Mecklenburg-Vorpommern versetzt wurden. Das wollten wir vermeiden. Wir sagten uns, heiraten tun wir sowieso irgendwann, also heiraten wir jetzt und gut. Ich musste als eine der wenigen Junglehrerinnen nicht nach Mecklenburg-Vorpommern und bekam eine Stelle in meiner Heimatstadt Meißen angeboten.

Man bot uns ’ne Wohnung an: ein Zimmer in der zweiten Etage, das andere Zimmer in der ersten Etage. Und ’n Waschbecken mit kaltem Wasser war auf dem Gang. (LACHT) Und da haben wir gedacht: „Scheiße, also das ist ja … ‚romantisch‘ …“ Das wollen wir eigentlich nicht. Bis dahin hatten wir keine gemeinsame Wohnung.

Dann bekam Ulli ein Angebot von Stahl Riesa, einem Oberligisten. Es wurde nicht diskutiert, wir gingen nach Riesa. Für mich war das auch klar. Gehen wir nach Riesa, vielleicht funktioniert das mit der Wohnung besser. Ullis Trägerbetrieb, das Stahlwerk Riesa, hat uns eine Neubauwohnung in der Platte organisiert. Die war schön für mich, ich war inzwischen dreiundzwanzig. Neubauwohnung, vierte Etage, aber Zentralheizung, warmes Wasser und so.

Stahl Riesa hat mir gleichzeitig eine Stelle organisiert. Lehrerstellen gab’s in der DDR eigentlich immer, weil viele Lehrer am Schulalltag scheiterten und den Abflug machten, um in der Partei die Karriereleiter zu erklimmen.

Wenn es politisch gewollt war, fand sich immer eine freie Stelle beziehungsweise wurde freigeräumt. Ich wusste nicht, dass für mich, damit der Ulli in Riesa Fußball spielen konnte, eine Stelle freigeräumt wurde. Es wurde eine Kollegin, die eine Klasse geführt hatte, zur Seite gedrängt, damit ich diese Stelle kriegte. Entsprechend sauer waren die Kollegen auf mich, als ich kam.

In der DDR gab es Spezialschulen, in denen ab der 3. Klasse Russischunterricht vermittelt wurde, für ausgewählte Schüler. Man hat gesagt: Der Kultursamen der Republik, also die Besten von überall, die kriegen so’n Platz, weil sie die frohe Zukunft des Landes sind. Diese sehr guten Schüler hatten nebenbei Russischunterricht. Meine erste Schule war so ’ne Schule. Es gab dort aber auch normale Klassen, ohne Extrarussisch. Die Schüler in diesen normalen Klassen würden heute als Schüler einer Brennpunktschule bezeichnet werden.

Die Riesaer Stahlöfen kochten vierundzwanzig Stunden am Tag Stahl. Im Stahlwerk Riesa arbeiteten viele Angestellte in der rollenden Schicht. Das bedeutete, eine Woche Frühschicht, nächste Woche Mittagsschicht, dann Spätschicht, dann Nachtschicht. So haben die meisten dort geschafft.

Oft arbeiteten beide Eltern in der rollenden Schicht, und manche Kinder wurden sich selbst überlassen, waren den ganzen Tag in irgendwelcher Betreuung. So ’ne Klasse hatte ich, heute würde man mein erstes Jahr dort Referendariat nennen. Ich war etwas überfordert von den sozialen Problemen, die mich neben dem Unterricht beschäftigten. Mir fehlten die Erfahrung und der Rückhalt in der Lehrerschaft. Die Schule war politisch klar auf DDR-Kurs, der Schulleiter hat mich drangsaliert: „Na, Frau Thomale, zeigen’se mal her, was Sie heute vorbereitet haben.“

Wenn du jeden Tag fünf Stunden unterrichtest, musst du die Vorbereitungen kürzen, sonst wirst du überhaupt nicht fertig und sitzt die ganze Nacht am Schreibtisch. Der Schulleiter hat mir nicht geholfen, sondern immer nur moniert, dass alles Mist sei, was ich machte. Dass ich keine Ahnung habe, obwohl ich meinen Abschluss mit „sehr gut“ gemacht hatte. Dass ich eine Fehlbesetzung sei. Nach einem Jahr Bewährungsprobe wurde an deiner jeweiligen Schule entschieden, ob du als Lehrer geeignet warst oder nicht.

Der Schulleiter hat sich angekündigt, er wollte eine Stunde überprüfen, ich hatte ’ne dritte Klasse, wir behandelten die Nationalhymne der DDR. Das war im Lehrplan vorgesehen. Und in der DDR-Nationalhymne gab es die Passage: Deutschland einig Vaterland.

An meiner Behandlung dieser Passage hat der sich aufgezogen und mich fertiggemacht. Ich hab nicht sonderlich herausgestrichen, was Deutschland einig Vaterland in der aktuellen politischen Gemengelage bedeutet. Dass es die deutsche Einheit nach DDR-Lesart nie geben wird. Ich hab diese Einig-Vaterland-Problematik untern Tisch fallen lassen und hab mich an den anderen Sachen langgehangelt. Der Schulleiter wollte mir daraufhin meine praktische Anerkennung als Lehrer verweigern, das war furchtbar. Es endete damit, dass ich mir beim Rat des Kreises Hilfe holen musste. Dort arbeitet eine Person, die Junglehrer unterstützte. Dieser Mensch ist mir dankenswerterweise beigesprungen, und ich bekam meine Anerkennung.

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
251 s. 3 illüstrasyon
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9783963115950
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