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II. Parteifähigkeit des Beschwerdeführers

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Der von jedem Vertragsstaat zu gewährleistende persönliche Schutzbereich der durch die EMRK verbürgten Menschenrechte erstreckt sich auf alle natürlichen oder juristischen Personen, nichtstaatlichen Organisationen (NGO)[49] oder Personenvereinigungen/-gruppen, die – wenigstens zum Zeitpunkt der behaupteten Verletzung – seiner Herrschaftsgewalt unterstehen, also nicht nur auf eigene Staatsangehörige sondern auch auf Ausländer und Staatenlose (Art. 1 EMRK). Der Gerichtshof kann daher von jeder Person (unabhängig vom Alter[50] oder ihrer Geschäftsfähigkeit[51]), die der Hoheitsgewalt des Staates unterliegt, gegen den sich die Beschwerde richtet, im Wege der Individualbeschwerde angerufen werden (Art. 34 EMRK).

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Einschränkungen des persönlichen Schutzgehaltes der EMRK ergeben sich allerdings mittelbar aus den einzelnen durch die Konvention garantierten Freiheitsrechten – soweit diese nur einen begrenzten Personenkreis schützen – sowie aus den Grundsätzen zur Beschwerdebefugnis (Rn. 116 ff). Ob auch der Nasciturus parteifähig ist, hängt davon ab, ob man ihn als Träger des Rechts auf Leben (Art. 2 EMRK) ansieht.[52] Die Parteifähigkeit endet mit dem Tod des Bf., wobei die Beschwerde aber von den Erben oder nahen Verwandten fortgesetzt werden kann, wenn insoweit ein berechtigtes Interesse besteht oder die Beschwerde allgemeine Bedeutung hat (s. noch Rn. 142 ff).[53]

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Auch Personengruppen sind parteifähig. Sie sind in der Regel nicht organisierte, meist gemeinsame Interessen verfolgende Gruppierungen ohne eigene Rechtsfähigkeit. Bei ihrer Parteifähigkeit geht es letztlich vielmehr um die Tatsache, dass eine Gruppe von Personen, die vom selben konventionswidrigen Sachverhalt betroffen sind, eine Sammelklage einreichen bzw. die Beschwerden bündeln kann.[54]

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Nichtstaatliche Organisationen und Personengruppen[55] können die Verletzung eines in der Konvention niedergelegten Rechtes geltend machen, wenn und solange[56] dieses Recht seinem Wesen nach auf sie anwendbar ist.[57] Nach dieser Maßgabe parteifähig sind juristische Personen des Privatrechts (Verein, AG, GmbH) und Personengesellschaften (OHG, KG), unabhängig von ihrer inneren Organisation oder ihrem Sitz.[58] Auch privatrechtlich organisierte Kirchen sind „nichtstaatliche Organisationen“.[59]

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Auf die Rechtsfähigkeit nach nationalem Recht kommt es nicht an;[60] selbst nach der Auflösung bleiben diese nichtstaatlichen Organisationen parteifähig,[61] da sonst die Vertragsstaaten die Beschwerdeberechtigung beeinflussen könnten.

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Nicht parteifähig sind dagegen alle staatlichen Stellen, Organisationen, (Gebiets-)Körperschaften, Anstalten, sonstige hoheitlich Tätige (Beliehene) sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, auch wenn sie in privatrechtlichen Organisations- und Handlungsformen agieren.[62] Entscheidendes Kriterium ist dabei, ob die in Frage stehende Organisation öffentliche Gewalt ausübt. Das sei insb. dann der Fall, wenn sie den Bedürfnissen der örtlichen Bevölkerung Rechnung tragen soll, die Mitglieder durch allgemeine Wahlen bestellt werden und sie sich aus dem allgemeinen Haushalt durch Zuweisungen finanziert. Bestimmte Befugnisse einer Organisation sprechen für ihren öffentlich-rechtlichen Charakter, etwa das Recht, Enteignungen vorzunehmen, Verordnungen zu erlassen oder Verstöße gegen Normen zu sanktionieren.[63]

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Ausnahmen bestehen für solche Einrichtungen, die dem Staat zwar organisatorisch zugeordnet sind, aber diesem in einem bestimmten grundrechtlich geschützten Bereich, dessen Verwirklichung sie dienen, wie Private gegenüber stehen, wie etwa Rundfunkanstalten, Kirchen oder Universitäten,[64] nicht aber dagegen Gemeinden.[65] Strafprozessual relevant kann diese Frage insbesondere bei der Durchsuchung von Räumlichkeiten (Redaktionen, Rundfunkanstalten) und der Beschlagnahme von Gegenständen werden.

Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › B. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde › III. Prozess-/Verfahrensfähigkeit des Beschwerdeführers

III. Prozess-/Verfahrensfähigkeit des Beschwerdeführers

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Weder die EMRK noch die Rules of Court stellen formal besondere Anforderungen an die Fähigkeit des Bf., selbst Verfahrenshandlungen vornehmen zu können. Minderjährige, psychisch Kranke bzw. unter Betreuung stehende Personen können sich daher entweder selbst oder mit Hilfe ihrer Eltern oder ihres Betreuers die Beschwerde führend an den Gerichtshof wenden bzw. sich durch einen Verfahrensbevollmächtigten vertreten lassen.[66] Es kommt insoweit auch nicht auf das Sorgerecht an.[67]

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Als Bf. im Beschwerdeformular (s.u.) sollte grundsätzlich immer die unmittelbar betroffene Person genannt werden. Nur unter ganz engen Voraussetzungen kann der Vertreter einer „nicht-prozessfähigen“ Person selbst als Bf. auftreten (Problem der unmittelbaren Betroffenheit (Rn. 125).

Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › B. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde › IV. Postulationsfähigkeit (Vertretung – locus standi)

IV. Postulationsfähigkeit (Vertretung – locus standi)

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Für das Verfahren vor dem EGMR besteht kein allgemeiner Anwaltszwang.[68] Parteifähige Personen oder Personengruppen können die Beschwerde daher selbst oder durch einen (gewählten) Vertreter (representative) einreichen, wobei es in diesem Stadium des Verfahrens keinerlei Vorgaben oder Einschränkungen hinsichtlich der als Vertreter in Betracht kommenden Personen gibt (Rule 36 Abs. 1).

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Im späteren Verfahren – d.h. nach der Zustellung der Beschwerde an den Vertragsstaat (Rule 54 Abs. 2 lit. b) bzw. in der mündlichen Verhandlung – ist die Vertretung des Bf. regelmäßig obligatorisch (Rule 36 Abs. 2 u. 3; vgl. Rn. 390.

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Die Vertretung ist gegenüber dem Gerichtshof (spätestens) in der offiziellen Beschwerdeschrift durch eine vom Bf. und vom Bevollmächtigten persönlich zu unterzeichnende Vollmacht oder Erklärung (power of attorney/authority to act)[69] anzuzeigen (Rule 45 Abs. 3). Kann diese nicht beigebracht werden (z.B. wegen der Inhaftierung des Bf.), so lässt der Gerichtshof die Beschwerde nur zu, wenn die als Vertreter auftretende Person den Vertretungswillen des Bf. plausibel darlegt. Regelmäßig zugelassen werden nahe Angehörige und Familienmitglieder.

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Hinweis

Im Falle einer wirksamen Vertretung führt die Kanzlei den Schriftverkehr ausschließlich mit dem Bevollmächtigten des Bf. (Rule 37 Abs. 1).

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Vertreter von juristischen Personen oder Personengruppen müssen dem Gerichtshof ebenfalls einen Nachweis über ihre Vertretungsbefugnis vorlegen.

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Ausnahmsweise kann auch eine nach nationalem Recht nicht vertretungsberechtigte bzw. nicht vom Bf. zu seiner Vertretung autorisierte Person vor dem Gerichtshof im Namen einer anderen Person auftreten, wenn ansonsten die Gefahr besteht, dass dem EGMR die Interessen dieser Person nicht zur Kenntnis gebracht werden und der Bf. einen Status (standing) – gemeint ist eine besondere persönliche oder sachliche Nähe – zur Geltendmachung dieser Interessen besitzt.[70]

Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › B. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde › V. Beschwerdebefugnis (Opfereigenschaft)

V. Beschwerdebefugnis (Opfereigenschaft)

1. Selbstbetroffenheit

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Die als Bf. auftretende parteifähige natürliche Person, nichtstaatliche Organisation oder Personengruppe muss geltend machen, selbst durch das Handeln oder Unterlassen eines Konventionsstaates in einem durch die EMRK oder ihren Zusatzprotokollen anerkannten Recht verletzt zu sein (Art. 34 Satz 1 EMRK), also direktes Opfer einer Konventionsverletzung zu sein. Auf den Eintritt eines konkreten materiellen oder immateriellen Schadens kommt es dabei ebenso wenig an wie auf eine spezielle Adressatenstellung des Bf. Entscheidend ist allein seine Betroffenheit durch die Maßnahme.

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Auch eine als Bf. auftretende Vereinigung muss die Verletzung eigener Rechte behaupten. Die Geltendmachung der Verletzung von Rechten ihrer Mitglieder genügt daher grundsätzlich nicht. Die einzelnen Mitglieder müssen in diesem Fall selbst Beschwerde vor dem Gerichtshof einlegen.[71] Eine Ausnahme stellen Kirchen dar (siehe schon Rn. 104). Bei Maßnahmen gegen ein Wirtschaftsunternehmen können Miteigentümer bzw. Gesellschafter Opfer sein, wenn sie in ihren Vermögensverhältnissen unmittelbar beeinträchtigt sind.[72] Bei juristischen Personen sind in der Regel nur diese selbst beschwert und nicht ihre Teilhaber (Aktionäre).[73] Eine natürliche Person kann darüber hinaus behaupten, selbst Opfer eines Konventionsverstoßes zu sein, wenn sich das betreffende nationale Verfahren (nur) gegen eine Vereinigung gerichtet hat, deren Zweck und Aufgabe es war, die Interessen der unmittelbar hinter ihr stehenden Mitglieder zu vertreten.[74] Davon zu unterscheiden ist das Auftreten einer Gruppe oder Vereinigung als Vertreter eines in eigenen Rechten betroffenen Bf., das grundsätzlich möglich ist.

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Ausgeschlossen ist die Geltendmachung fremder Rechte im eigenen Namen (Prozessstandschaft; Verbandsklage) und solcher Rechte, die lediglich der Allgemeinheit oder einer nicht abgrenzbaren Personenmehrheit zugeordnet sind (actio popularis).[75] Die Konvention sieht insbesondere keine Popularklage zur Auslegung der in ihr garantierten Rechte vor und sie gibt dem Bf. auch nicht das Recht, sich über eine Vorschrift des staatlichen Rechts zu beschweren, nur weil er meint, dass sie gegen die Konvention verstoße, ohne dass er direkt von den Wirkungen der Vorschrift betroffen ist.[76]

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Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Bf. Opfer der behaupteten Verletzung ist; in diesem Fall ist die Beschwerde auch dann zulässig, wenn es dem Bf. (auch) darum geht, ein strukturelles Problem, von dem auch andere Personen betroffen sind, zu lösen.[77]

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Ferner lässt es der EGMR zu, dass bei geradezu extremen Umständen eine Nichtregierungsorganisation (NGO) faktisch als Betreuer bzw. Vormund eines Verstorbenen handelt und z.B. eine Individualbeschwerde wegen des Todes einer völlig hilflosen Person einlegt, der auch in einem Heim keinerlei wirkliche Hilfe zuteilwurde.[78] Auch hierbei soll es sich nicht um eine Popularklage handeln.

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Auf eine Selbstbetroffenheit der als Bf. auftretenden Person verzichtet der EGMR, wenn die Beschwerde Verstöße gegen das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK) oder das Verbot der Folter und erniedrigenden/unmenschlichen Behandlung oder Strafe (Art. 3 EMRK) betrifft. In dieser Konstellation kann ein naher Angehöriger der getöteten Person im eigenen Namen die Beschwerde einlegen und die Verletzung der (fremden) Rechte des von einer staatlichen Maßnahme Betroffenen geltend machen,[79] weil diese Rechte sonst nie wirksam durchgesetzt werden könnten.

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Diese Rechtsprechung ist allerdings nicht auf andere Konventionsrechte übertragbar.[80] Verstirbt eine Person nach Abschluss des gegen sie geführten Strafverfahrens, aber vor Einlegung einer Beschwerde beim EGMR, so kann ein naher Angehöriger mangels Selbstbetroffenheit (not personally affected) nicht die mangelnde Fairness des (gegen seinen Sohn geführten) Strafverfahrens rügen (Art. 6 Abs. 1 EMRK).[81]

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Wenn aber eine solche Ausnahme vom Erfordernis der Selbstbetroffenheit eingreift, muss die im Beschwerdeformular als Bf. (applicant) genannte Person diejenige sein, die von einer staatlichen Maßnahme unmittelbar und in eigener Person betroffen ist (directly affected by the measure complained of). Die das Verfahren betreibende Person sollte als ihr Vertreter (representative) auftreten.

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Davon zu unterscheiden ist eine (unmittelbare) Mitbetroffenheit oder indirekte Betroffenheit von Personen, die nicht der eigentliche Adressat einer staatlichen Maßnahme sind, zumindest durch deren Folgen aber in ihrer eigenen Person betroffen werden (z.B. Tod, Misshandlung, Unauffindbarkeit eines nahen Angehörigen).[82] Diese Personen machen letztlich eine eigene Beschwer geltend und können sich daher im eigenen Namen an den Gerichtshof wenden, wenn die Folgen der Maßnahme eine gewisse Schwere aufweisen und die von ihr betroffenen Personen ein anerkennenswertes Interesse an der Überprüfung der Maßnahme durch den EGMR plausibel darlegen (siehe auch zum Wegfall der Opfereigenschaft, Rn. 132).

2. Unmittelbare Betroffenheit

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Das Erfordernis einer unmittelbaren Betroffenheit in einem von der Konvention geschützten Recht soll die Ausschöpfung des nationalen Rechtsschutzes sicherstellen. Regelmäßig kann sich der Bf. nur gegen einen auf seine Person konkretisierten staatlichen Vollzugsakt einer gesetzlichen Regelung wenden, dessen Vollziehung seinerseits aber für eine unmittelbare Beschwer nicht erforderlich ist.[83]

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Nur ausnahmsweise kann der Bf. direkt gegen ein Gesetz vorgehen, nämlich wenn es ein unmittelbar wirksames Verbot oder Gebot enthält (self-executing) und den staatlichen Stellen bei der Ausführung keinerlei Ermessensspielraum belässt, so dass der Bf. faktisch bereits durch die reine Rechtslage beschwert ist. In diesem Fall muss der Bf. aber hinreichend und überzeugend darlegen, dass er von der gesetzlichen Regelung individuell betroffen ist bzw. werden wird.[84] Die Darlegung der unmittelbaren Betroffenheit erscheint insbesondere möglich bei den Bf. betreffenden Statusregelungen[85] oder bei Regelungen, die in sein Recht auf private Lebensgestaltung bereits unmittelbar eingreifen, so dass ihm nicht zugemutet werden kann, vor einer Beschwerde gegen die Regelung zu verstoßen und erst ein innerstaatliches Verfahren, etwa ein Strafverfahren, hinzunehmen.

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Erfordert der Schutz eines Konventionsrechts, dass der Staat entsprechende Gesetze erlässt, kann derjenige, der dadurch in seinen Rechten konkret beeinträchtigt ist, sich auch gegen eine in der Untätigkeit liegende Verletzung der staatlichen Schutzpflicht mit der Beschwerde wenden.[86]

3. Gegenwärtige Betroffenheit (Wegfall der Opfereigenschaft)

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Der Bf. muss behaupten, durch den Beschwerdegegenstand gegenwärtig – d.h. schon und noch – während des gesamten Verfahrens in einem eigenen, ihm durch die Konvention oder eines ihrer Zusatzprotokolle garantierten Recht verletzt zu sein. Dass ein Gesetz nur vorläufige Auswirkungen hat, ist unerheblich.[87] Ist die zunächst vorhandene Opfereigenschaft nachträglich entfallen, so verwirft der Gerichtshof die Beschwerde als offensichtlich unbegründet.[88]

a) Potentielle Opfer

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Für (zukünftige) potentielle Opfer besteht ein Beschwerderecht nur ausnahmsweise. Begründet erst ein zukünftiges staatliches Handeln oder Unterlassen den Eintritt des Konventionsverstoßes, so ist bereits von der gegenwärtigen Opfereigenschaft und Betroffenheit einer Person auszugehen, wenn dieser das Abwarten der konkreten Rechtsverletzung als Folge des Vollzugs der staatlichen (angeordneten) Maßnahme nicht zugemutet werden kann, z.B. in Fällen der Ausweisung bzw. Auslieferung. In den besonderen Fällen einer Ausweisung von Ausländern hat der Gerichtshof allerdings durchweg entschieden, dass ein Bf. nicht geltend machen kann, er sei „Opfer“ einer Ausweisungsentscheidung, wenn sie nicht vollziehbar ist.[89] Genauso ist eine Beschwerde mangels gegenwärtiger Beschwer unzulässig, wenn eine Ausweisungsanordnung unbefristet ausgesetzt wurde oder auf andere Weise ihre rechtliche Wirkung verloren hat, auch in den Fällen, in denen der Vollzug einer behördlichen Abschiebungsentscheidung vor den zuständigen Gerichten angefochten werden konnte.[90]

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(Potentielles) Opfer einer Konventionsverletzung ist eine Person auch dann, wenn sie die konkret gegen sie gerichtete staatliche Maßnahme nicht nachweisen kann (z.B. verdeckte Ermittlungen ohne anschließende Benachrichtigung; geheimdienstliche Tätigkeit). In diesem Fall muss der Bf. die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Konventionsverstoßes in seiner Person lediglich plausibel geltend machen. Die Äußerung eines bloßen Verdachtes oder reine Mutmaßungen genügen nicht.[91]

131

Der Bf. wird nicht mit seinem Vorbringen gehört, das angegriffene staatliche Handeln führe (auch) zur Verletzung der Konventionsrechte Dritter; vielmehr stuft der EGMR eine auf der behaupteten Verletzung der Rechte anderer beruhende Beschwerde als unzulässig ein.[92] Besonders deutlich wurde dies im Fall Gillberg, in dem der Bf. für die Nichtbefolgung nationaler Gerichtsentscheidungen sanktioniert wurde und vor dem EGMR vergebens vortrug, die Befolgung dieser Gerichtsentscheidungen hätte zur Verletzung anderer Personen (Probanden psychologischer Studien) in ihren Rechten aus Art. 8 EMRK (auf Nichtpreisgabe medizinischer Daten u.ä.) geführt.[93]

b) Wegfall der Opfereigenschaft

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Die Konventionsverletzung muss den Bf. in irgendeiner Form auch noch nach Einlegung der Beschwerde beschweren. Ein (bleibender) Schaden braucht ihm zwar nicht erwachsen zu sein.[94] Durch eine Wiedergutmachung des eingetretenen Konventionsverstoßes auf nationaler Ebene kann die Beschwer (gemeint ist die von Art. 34 EMRK geforderte Opfereigenschaft) aber nachträglich wieder entfallen, so dass die Beschwerde unzulässig ist/wird.

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Jedoch beseitigt nicht jede staatliche Entscheidung bzw. Maßnahme zugunsten des Bf. automatisch dessen Verletzung in einem Konventionsrecht. Insbesondere beseitigt die Erledigung der staatlichen Maßnahme durch ihren Vollzug nicht unbedingt die sog. Opfereigenschaft des Betroffenen, auch wenn in Zukunft keine erneute gleichartige Beeinträchtigung zu erwarten ist. Die Annahme einer angemessenen staatlichen finanziellen Entschädigung als Ausgleich für einen eingetretenen materiellen oder immateriellen Schaden führt nur dann zum Wegfall der Opfereigenschaft des Betroffenen, wenn mit dieser finanziellen Zuwendung zugleich ein staatliches Eingeständnis des Konventionsverstoßes verbunden ist.[95]

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Die Beschwerde ist bzw. wird aber regelmäßig unzulässig, wenn die Beschwer durch die Wiedergutmachung innerstaatlich bereits vollständig behoben ist. Voraussetzung für einen Wegfall der Verletzteneigenschaft ist bei einer nicht mehr reparablen Konventionsverletzung neben der vollständigen Aufhebung sämtlicher mit dem Konventionsverstoß verbundenen Nachteile (appropriate redress for the breach) ein eindeutiges staatliches Eingeständnis des vom Bf. geltend gemachten Konventionsverstoßes (acknowledge in a sufficiently clear way). Letzteres kann als ausdrückliche Erklärung (admission of liability) – öffentlich bzw. individuell gegenüber dem Bf. – bzw. konkludent, der Sache nach (in substance) erfolgen.[96] Nicht ausreichend sind dagegen allgemeine staatliche Maßnahmen (general measures) zur Vermeidung vergleichbarer Konventionsverstöße in der Zukunft.[97]

135

Welche innerstaatlichen Abhilfemaßnahmen im Einzelnen die individuelle Beschwer beseitigen, hängt im Übrigen nicht zuletzt von der Art des verletzten Konventionsrechts und der (spezifischen) Wirkung der staatlichen Maßnahme ab, die den Verstoß beenden oder ihn ausgleichen soll.

136

Für eine Wiedergutmachung für Verletzungen von Art. 3 EMRK (Folter/unmenschliche Behandlung/Haftbedingungen) verlangt der EGMR zum einen, dass effektive und sorgfältige Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts durchgeführt werden, die auch geeignet sind, die für den Konventionsverstoß Verantwortlichen einer strafrechtlichen Verurteilung und angemessenen Bestrafung zuzuführen. Darüber hinaus ist eine finanzielle Entschädigung zu zahlen, sofern dies erforderlich ist; zumindest muss aber die effektive Möglichkeit (Zugänglichkeit und angemessene Dauer des Verfahrens) bestehen, eine solche Entschädigung für die Folgen einer im Widerspruch zu Art. 3 EMRK stehenden Behandlung zu erlangen.[98]

137

Bei einer Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK kann eine Wiedergutmachung erfordern, dass Ermittlungen sowie ein Strafverfahren durchgeführt werden; ersatzweise kann die Wiedergutmachung auch darin bestehen, dass der Betroffene die Möglichkeit hat, ein Zivilverfahren zu betreiben.[99]

138

Ein (rechtskräftiger) Freispruch führt hinsichtlich der Verletzung einer prozessualen Garantie des Art. 6 EMRK[100] regelmäßig zum Wegfall der Opfereigenschaft des Angeklagten, ebenso die nachträgliche Überprüfung und Aufhebung eines konventionswidrigen Strafurteils (ggf. mit Ansetzung einer Neuverhandlung der Sache unter Einhaltung der Konvention)[101], nicht aber die Aufhebung eines Urteils und die Löschung der Verurteilung im Vorstrafenregister, wenn der Vertragsstaat den Konventionsverstoß in keiner Weise offiziell eingestanden hat.[102]

139

Durch die Herabsetzung einer Strafe wegen einer überlangen Verfahrensdauer verliert der Verurteilte seinen Status als Opfer (unangemessene Verfahrensdauer, Art. 6 Abs. 1 EMRK) i.S.d. Art. 34 EMRK, wenn die nationalen Stellen (erstens) die Unangemessenheit der Verfahrensdauer anerkennen und (zweitens) diesen Konventionsverstoß durch eine ausdrückliche, messbare und vor allem angemessene Strafmilderung bzw. durch eine Verfahrenseinstellung kompensieren.[103] Auch in Bezug auf eine überlange Verfahrensdauer kann die Gewährung einer angemessenen Entschädigung zum Wegfall der Opfereigenschaft führen.[104]

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Diese Grundsätze gelten auch für die Wiedergutmachung einer unangemessen langen Dauer einer Untersuchungshaft (Art. 5 Abs. 3 EMRK). Voraussetzung für den Wegfall der Opfereigenschaft ist auch hier, dass in dem das Verfahren abschließenden Urteil dargelegt wird, in welchem Umfang diese Feststellung eine messbare Minderung der verhängten Strafe des Bf. mit sich gebracht hat.[105]

141

Bei einem bereits abgeschlossenen Konventionsverstoß sollten bereits in der Beschwerdeschrift Ausführungen zum Fortbestehen der Verletzung bzw. zum Nichteintritt einer staatlichen Heilung/Wiedergutmachung des Verstoßes erfolgen.