Kitabı oku: «Internationales Strafrecht», sayfa 6

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[60]

Vgl. aber auch: EGMR Scholer v. Deutschland, Urt. v. 18.12.2014, Nr. 14212/10 (keine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 [Tatprovokation] und Abs. 3 lit. d EMRK), EuGRZ 2015, 454 = NLMR 2014, 509.

[61]

Vgl. aus unionsrechtlicher Sicht (Diskriminierungsverbot, Art. 16 Abs. 2 GG) allgemein hierzu: Esser/Rübenstahl/Börger Der Schutz von Unionsbürgern in Deutschland vor einer Auslieferung an einen Nicht-EU-Staat – zugleich Anmerkung zu BVerfG Beschl. v. 17.2.2014 – 2 BvQ 4/14, NZWiSt 2014, 401. Einschränkend allerdings EuGH Urt. v. 6.9.2016, C-182/15 (Petruhhin), allerdings einen Vorrang eines EuHb durch den Herkunftsmitgliedstaat des Beschuldigten und einen hierfür erforderlichen Informationsaustausch befürwortend.

[62]

Hieran anknüpfend: OVG Lüneburg NVwZ-RR 2014, 552 = NdsRpfl 2014, 285 = NdsVBl 2014, 218 = NordÖR 2014, 346; zur Thematik auch (unter dem Aspekt der Anhörungsrüge): Esser NJW 2016, 604.

[63]

Die Regelung wird durch Rule 26 Abs. 3 für die Kammern und Rule 24 Abs. 4 für die Große Kammer dahingehend präzisiert, dass ausscheidende Richter weiter tätig bleiben, wenn sie an der Prüfung der Begründetheit der Beschwerde teilgenommen haben.

[64]

Der Präsident des Gerichtshofs kann die Zusammensetzung der Sektionen nur ausnahmsweise ändern (Rule 25 Abs. 4). Auf seinen Vorschlag kann das Plenum eine zusätzliche Sektion bilden (Rule 25 Abs. 5).

[65]

Für die Ausschüsse und den Einzelrichter gilt diese Regelung entsprechend (Rule 28 Abs. 5).

[66]

Schmaltz DRiZ 2010, 120.

[67]

IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 24, 5.

[68]

Im Falle einer offensichtlich unzulässigen Beschwerde kann dies auch ein nichtrichterlicher Berichterstatter sein, siehe dazu Rn. 305.

[69]

Wittinger NJW 2001, 1238, 1240; Schmaltz DRiZ 2010, 120 f.; IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 24, 1, 5.

[70]

IK-EMRK/Keller/Schmidtmadel Art. 24, 6.

Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › B. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde

B. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde

66

Zugang zum EGMR erhalten Verteidiger und Mandant über die sog. Individualbeschwerde (Art. 34 EMRK). Sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen prüft der EGMR von Amts wegen.[1]

67

Einwendungen gegen einzelne Zulässigkeitsvoraussetzungen muss der Vertragsstaat, gegen den sich die Beschwerde richtet, in seinen schriftlichen oder mündlichen Erklärungen zur Zulässigkeit der Beschwerde erheben (Rule 55). Nach diesem Zeitpunkt sind solche Einwendungen präkludiert, es sei denn, dass besondere Gründe (particular reasons)[2] für ihr verspätetes Vorbringen vorliegen (z.B. Eintritt neuer Tatsachen) und diese vom betroffenen Vertragsstaat unverzüglich (without delay) nach ihrem Entstehen vorgebracht werden.[3]

68

Der Gerichtshof selbst kann aber ohnehin jederzeit (on its own motion) eine Zulässigkeitsfrage (erneut) überprüfen, unabhängig davon, ob eine entsprechende Einwendung von dem betroffenen Vertragsstaat überhaupt oder verspätet erhoben wird.[4]

69

Dies gilt insbesondere für Umstände, die die Zuständigkeit des Gerichtshofs in Frage stellen. Da die Konvention selbst den Umfang der Zuständigkeit des EGMR festlegt und nicht die Parteien mit ihrem Vortrag im jeweiligen konkreten Fall, kann eine nicht erhobene Einwendung der Unvereinbarkeit der Beschwerde allein die Zuständigkeit des Gerichtshofs nicht begründen.[5]

70

Selbst frühere abweichende, bereits getroffene Entscheidungen über die Zulässigkeit einer Beschwerde stehen einer erneuten Überprüfung nicht entgegen.[6] Es gibt diesbezüglich – auch in Hinblick auf die Entstehung weiterer Verfahrenskosten (Anwaltsgebühren) – für den Beschwerdeführer keinerlei Vertrauensschutz.

Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › B. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde › I. Zuständigkeit des EGMR

I. Zuständigkeit des EGMR

71

Art. 35 Abs. 3 EMRK umschreibt – in Verbindung mit Art. 1 EMRK – die Zuständigkeit des Gerichtshofs. Eine Individualbeschwerde ist unzulässig, wenn sie mit der Konvention unvereinbar ist. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich eine Beschränkung der Zuständigkeit des Gerichtshofs sowohl in zeitlicher und örtlicher Hinsicht als auch in Hinblick auf die streitenden Parteien.

1. Sachliche Anwendbarkeit der EMRK (ratione materiae)

72

Bei der Zuständigkeit ratione materiae wird überprüft, ob das vom Bf geltend gemachte Recht im konkreten Einzelfall von der Konvention gewährleistet wird. Über dieses Zulässigkeitskriterium filtert der Gerichtshof solche Beschwerden heraus, deren Gegenstand ganz offensichtlich nicht in den sachlichen Schutzbereich einer Vorschrift der EMRK fällt.[7] Daneben werden auch spezielle Fragestellungen zum Schutzgehalt der EMRK geklärt.

73

Prüfungsmaßstab vor dem EGMR sind allein die Garantien der EMRK. Die Einhaltung anderer menschenrechtlicher Garantien, der allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts oder gar die abstrakte Vereinbarkeit einer nationalen Rechtslage mit den Vorgaben der EMRK kann der EGMR nicht überprüfen. Ebenso kann der Gerichtshof von Einzelpersonen nicht zur Klärung abstrakter Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung der Konvention angerufen werden (Rn. 21).

74

Hat der Staat, gegen den sich die Beschwerde richtet, ein Zusatzprotokoll nicht ratifiziert, so sind Beschwerden hinsichtlich der Verletzung der Rechte des Zusatzprotokolls unzulässig (Art. 35 Abs. 3 lit. a, Abs. 4 EMRK).[8] Hat der Staat anlässlich der Ratifizierung der EMRK oder eines Zusatzprotokolls einen materiellen Vorbehalt (reservation) hinsichtlich einzelner Garantien erklärt (Art. 57 EMRK), so kann der EGMR den jeweiligen Fall bzw. die durch ihn aufgeworfene menschenrechtliche Fragestellung nicht vor diesem Hintergrund prüfen.[9]

75

Den hinsichtlich Art. 7 Abs. 2 EMRK (Interpretation in den Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG) erklärten Vorbehalt hat Deutschland am 5.10.2001 zurückgenommen.[10]

2. Persönliche Unvereinbarkeit mit der EMRK (ratione personae)

76

Eine Unvereinbarkeit ratione personae liegt vor, wenn dem Bf. die Opfereigenschaft fehlt oder er nicht aktiv legitimiert (zur Parteifähigkeit des Bf. ab Rn. 101) oder der Beschwerdegegner nicht passiv legitimiert ist.[11]

77

Tauglicher Beschwerdegegenstand eines Verfahrens vor dem EGMR ist unter diesem Gesichtspunkt in erster Linie hoheitliches staatliches Handeln eines Vertragsstaats. Darunter fallen alle Handlungen staatlicher Behörden und Institutionen sowie Zustände, die durch staatliche Organe aller drei Gewalten verursacht worden sind oder dem betreffenden Vertragsstaat wenigstens zugerechnet werden können. Sowohl ein aktives Handeln als auch ein Unterlassen des Staates (Verstoß gegen eine Schutzpflicht) kommen hierbei als Anknüpfungspunkt in Betracht.

78

Beschwerden gegen das Verhalten natürlicher Einzelpersonen oder privater Organisationen sind nicht statthaft. Dass (auch) Private an einer eingriffsrelevanten Maßnahme beteiligt sind, schließt die staatliche Verantwortlichkeit für ihre Folgen aber dann nicht aus, wenn das private Handeln staatlich veranlasst ist oder gegenüber dem staatlichen Anteil oder Einfluss an der Gesamtsituation in den Hintergrund tritt.[12] Ohne eine solche staatliche Veranlassung oder Einflussnahme kann ein Handeln Privater nur dann Gegenstand einer Individualbeschwerde sein, wenn der Konventionsstaat, gegen den sich die Beschwerde richtet, eine (positive) Schutzpflicht zur Verhinderung des mit dem privaten Handeln verbundenen „Eingriffs“ in die Rechtssphäre des Bf. hat.[13]

79

Auch Rechtsakte der EU konnten bisher nicht unmittelbar Beschwerdegegenstand eines Verfahrens von dem EGMR sein, obwohl die Grundrechte, wie sie sich aus der EMRK und aus den allgemeinen Verfassungsüberlieferungen der EU-Mitgliedstaaten ergeben, gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV als allgemeine Grundsätze des Unionsrechts Bindungswirkung für die Union entfalten. Da die EU nicht Mitglied des Europarats ist und daher der EMRK nicht beitreten konnte (vgl. Art. 59 Abs. 1 EMRK a.F.),[14] ist sie bis zu einem, nach dem Inkrafttreten des 14. P-EMRK am 1.6.2010 jetzt möglichen Beitritt, nicht direkt an die EMRK, sondern an die durch die Rechtsprechung des EuGH – u.a. aus der (bis 2009 rechtlich formal unverbindlichen) EU-Charta der Grundrechte[15] – entwickelten Unionsgrundrechte gebunden.[16] Mit dem ablehnenden Gutachten des Plenums des EuGH aus dem Jahr 2014 scheint der Beitritt jedoch wieder in weite Ferne gerückt.[17]

80

Andererseits sind die Vertragsstaaten der EMRK für Handlungen verantwortlich, die sie in Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen oder im Zusammenhang mit solchen Verpflichtungen übernommen haben (Matthews).[18] Deshalb sind die EU-Mitgliedstaaten – als Mitglieder des Europarates und Unterzeichner der EMRK – (zusätzlich) unmittelbar an die Garantien der EMRK gebunden, unabhängig davon, ob sie nationales, EU-Recht oder sonstiges internationales Recht umsetzen oder anwenden. Die Umsetzung und Ausführung von Unionsrecht auf nationaler Ebene ist also über eine „mitgliedstaatliche Anknüpfung“ auch durch den EGMR überprüfbar.[19] Wie eng der EGMR diese Anknüpfung zukünftig interpretieren wird, lässt sich derzeit noch nicht abschließend beurteilen. Eine Analyse der bisher ergangenen Urteile des EGMR mit Unionsrechtsbezug lässt durchaus den Schluss zu, dass der EGMR den Vertragsstaaten unter bestimmten Voraussetzungen sogar ein konventionswidriges Handeln von Organen der Union (z.B. die Missachtung von Verfahrensgarantien durch den EuGH) zurechnet.[20]

81

Im Urteil Bosphorus hatte der EGMR allerdings noch eine gewisse Zurückhaltung an den Tag gelegt und betont, dass der Schutz der Menschenrechte durch das Unionsrecht in einer der EMRK entsprechenden Art und Weise gewährleistet sei (equivalent), solange nicht offensichtliche Mängel zu Tage träten (manifestly deficient).

82

Davon wird aber wegen der wechselseitigen Beeinflussung der beiden Gerichtshöfe bei der Auslegung der Garantien der EMRK bzw. der Unionsgrundrechte durch den EuGH – die daraus resultiert, dass beide Gerichtshöfe auf die Rechtsprechung des jeweils anderen Bezug nehmen[21] – kaum je auszugehen sein. Der EuGH fügt die Unionsgrundrechte und rechtsstaatlich gebotenen Verfahrensgarantien – unter Berufung auf die EMRK und die Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten als Rechtserkenntnisquelle – als allgemeine Rechtsgrundsätze ins primäre Unionsrecht ein,[22] bzw. zieht die EMRK als Auslegungshilfe für die Charta der Grundrechte heran.

83

Daraus wird man folgern können, dass ein Staat (grundsätzlich) nicht dadurch gegen die Konvention verstößt, wenn er zwingende rechtliche Vorgaben des Unionsrechts in sein nationales Recht implementiert.[23] Besteht dagegen für die Mitgliedstaaten bei der Anwendung und Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben ein gewisser (Ermessens-)Spielraum, so nimmt der EGMR eine vollumfängliche Überprüfung der mitgliedstaatlichen Maßnahme am Maßstab der EMRK vor.[24] Die Vermutung der Übereinstimmung mit der Konvention besteht dem EGMR zufolge ebenso nicht, wo mitgliedstaatliche Gerichte es unterlassen, zur Klärung der Menschenrechtskonformität des Sekundärrechts den Fall dem EuGH vorzulegen; für diese Fälle besteht der Gerichtshof auf seiner Prüfungskompetenz.[25]

84

Auch außerhalb des Unionsrechts dürfen die Vertragsstaaten der EMRK durch den Abschluss internationaler Verträge und der damit verbundenen Übertragung von Hoheitsrechten keine konventionswidrigen Zustände schaffen. Ist allerdings ein Handeln staatlicher Stellen effektiv einer internationalen Organisation zuzurechnen (z.B. den UN), die selbst nicht Vertragspartei der EMRK sein kann, so ist eine Zuständigkeit des EGMR ratione personae zu verneinen.[26]

3. Zeitliche Anwendbarkeit der EMRK (ratione temporis)

85

Der Gerichtshof ist für die Untersuchung eines ihm vorgelegten Sachverhalts nur zuständig, wenn das den behaupteten Konventionsverstoß verursachende Ereignis (fact constitutive of the alleged interference) zu einer Zeit eingetreten ist, zu der die Konvention bzw. eines ihrer Zusatzprotokolle für den betroffenen Vertragsstaat bereits in Kraft getreten war.[27]

86

Stichtag für die Geltung der EMRK im (alten) Bundesgebiet ist der 3.9.1953 (1. ZP: 13.2.1957; 4. ZP: 1.6.1968; 6. ZP: 1.8.1989; 13. ZP: 1.2.2005. Für Deutschland noch nicht in Kraft getreten sind das 7. und 12. ZP (beide gezeichnet).[28]

87

Die Zuständigkeit des EGMR ergibt sich nicht daraus, dass der Bf. ein Verfahren wegen der in Frage stehenden Handlungen angestrengt hat, das bei Beitritt noch nicht erledigt ist bzw. erst danach eingeleitet wird.[29] Allerdings kann ein nationales Urteil selbst unter gewissen Umständen einen Verstoß gegen die Konvention darstellen, allerdings nur, wenn der Vorwurf darüber hinaus geht, dass die vor Inkrafttreten der EMRK erfolgten Eingriffe bestätigt oder gutgeheißen werden.[30] Die Ratifizierung der EMRK verpflichtet die Vertragsstaaten allerdings nicht, begangenes Unrecht bzw. einen Schaden wiedergutzumachen, der vor der Ratifizierung der Konvention eingetreten ist. Eine nach dem Inkrafttreten der Konvention ergehende Entscheidung eines nationalen Gerichts, die den eigentlichen Eingriff in ein Konventionsrecht (fact constitutive of the alleged interference) bestätigt, vermag die Prüfungskompetenz des Gerichtshofs nicht zu eröffnen.

88

Auch die Vollstreckung eines vor dem Beitritt zur Konvention ergangenen Urteils eröffnet nicht den Anwendungsbereich der Konvention, sofern nicht in diesem Vorgehen eine sich (täglich) neu ereignende Konventionsverletzung zu sehen ist.[31]

89

Wird eine staatliche Maßnahme allerdings erst nach bzw. durch den Abschluss eines gerichtlichen Verfahrens endgültig (i.S.v. wirksam, definitive act), kann das letztinstanzliche Urteil ebenfalls einen – in zeitlicher Hinsicht – selbstständigen Eingriff in das von der Konvention geschützte Recht darstellen. Ein verfassungsgerichtliches Überprüfungsverfahren bleibt aber außer Betracht, wenn die fachgerichtliche Entscheidung in Rechtskraft ergangen ist (auch wenn das Verfahren zum gemäß Art. 35 Abs. 1 EMRK zu erschöpfenden nationalen Rechtsschutz gehört).[32]

90

Die Zuständigkeit ratione temporis wird vom EGMR zudem insofern „weich“ interpretiert, als er bereits mehrfach auf das „Fortdauern“ eines vor dem Inkrafttreten der Konvention eingetretenen Ereignisses und seiner Folgen abgestellt und so die zeitliche Anwendbarkeit der Konvention auf den gerügten Sachverhalt insgesamt bejaht hat.[33] Dies kommt allerdings nur bei einem – und sei es nur im Hinblick auf die Folgen – fortwährenden bzw. dauerhaften Eingriff in die Rechte des Betroffenen (continuing situation), nicht aber bei einem zeitlich abgeschlossenen, momentanen Eingriff (single instantaneous act) in Betracht, dessen Wirkungen nur fortdauern, wie etwa der Eigentumsentzug bei einer vollzogenen Enteignung.[34] In der durch einen vor dem Beitritt erfolgten Eingriff geschaffenen Rechtslage wird keine neue Konventionsverletzung gesehen. Kommen dagegen nach dem Inkrafttreten einer Konventionsverbürgung neue, auch ihrerseits selbst konventionswidrige Handlungen hinzu, sind diese an der Konvention zu messen.[35]

91

Dauert eine Konventionsverletzung nach dem Inkrafttreten von EMRK oder ZP in dem betreffenden Staat noch an, erstreckt sich die Überprüfung des Gerichtshofs nur auf die nach diesem Zeitpunkt liegenden Vorgänge.[36]

92

Bei Ausscheiden eines Staates aus der Konvention (Kündigung) fallen nur die Vorgänge, die vor dem Wirksamwerden des Ausscheidens liegen, unter den Schutzbereich der Konvention (Art. 58 Abs. 2 EMRK).

4. Örtliche Anwendbarkeit der EMRK (ratione loci)

93

Die örtliche Anwendbarkeit der Konvention ist wichtig für die Bestimmung des richtigen Beschwerdegegners. Gemäß Art. 1 EMRK sichert jeder Vertragsstaat allen seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die im Ersten Abschnitt der Konvention (Art. 2-18 EMRK) genannten Rechte und Freiheiten zu. Daher können sich alle Personen, auch Ausländer und Staatenlose, die sich auf dem Territorium eines Vertragsstaates befinden, diesem Staat gegenüber auf die Einhaltung der EMRK berufen.[37]

94

Nach den Regeln des internationalen Völkerrechts ist ein Staat unter bestimmten Voraussetzungen außerdem auch für die extraterritoriale Ausübung von Hoheitsgewalt (jurisdiction) i.S.v. Art. 1 EMRK verantwortlich.[38] Zwar findet eine solche extraterritoriale Hoheitsgewalt eines Staates ihre völkerrechtlichen Grenzen in den souveränen Hoheitsrechten der anderen Staaten. Sie kann jedoch auch und gerade bei völkerrechtswidrigem Handeln staatlicher Organe im Ausland in Betracht kommen.[39]

95

Bei militärischen Aktionen auf dem Territorium eines anderen Staates nimmt der EGMR eine Verantwortlichkeit des militärisch handelnden Staates und die Jurisdiktion i.S.v. Art. 1 EMRK an, wenn dessen Organe (Streitkräfte) eine effektive Kontrolle über das fremde Hoheitsgebiet ausüben.[40] Sind an dem militärischen Vorgehen mehrere Staaten beteiligt, muss der Bf. die einzelnen Verantwortlichkeiten, d.h. die Rolle und Arbeits-/Machtverteilung der einzelnen Staaten sowie die Kommandostrukturen beschreiben, insbesondere wenn an dem Militäreinsatz nicht an die Grundsätze der EMRK gebundene Staaten, wie z.B. die USA, beteiligt sind.[41]

96

Zurechenbares extraterritoriales Handeln kann auch eine diplomatische oder konsularische Tätigkeit betreffen oder an Bord eines Flugzeugs oder Schiffes geschehen, das unter diesem Staat registriert ist.[42]

97

Aus Sicht der Strafverteidigung stellt sich das Problem extraterritorialen Handelns insbesondere bei der internationalen Rechtshilfe, wenn es konkret um die Frage geht, ob wegen einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme im Ausland gegen den ersuchenden oder den ersuchten Staat Beschwerde zu erheben ist. Beschwerdegegner ist hier grundsätzlich der ersuchte (handelnde) Vollstreckungsstaat. Nur unter bestimmten Voraussetzungen kommt zusätzlich auch der ersuchende Staat als Beschwerdegegner in Betracht.[43]

98

Die BR Deutschland ist daher für sämtliche Rechtshilfemaßnahmen verantwortlich, die sich durch ihre Organe oder durch ausländische Amtsträger – mit ihrer Duldung – auf ihrem Territorium ereignen. Umgekehrt lässt sich aber hinsichtlich einer im Ausland für deutsche Stellen geleisteten Rechtshilfe eine Verantwortlichkeit Deutschlands nicht schon allein mit der Veranlassung der Maßnahme durch die Stellung eines Rechtshilfeersuchens im Inland begründen.[44] Eine Verantwortlichkeit für Rechtshilfemaßnahmen im Ausland ist nur dann anzunehmen, wenn die Maßnahme vom deutschen Territorium aus effektiv kontrolliert wird. Daher lässt sich etwa im Falle einer grenzüberschreitenden Zeugeneinvernahme (per Video- oder Telefonkonferenz), Nacheile oder Telefonüberwachung sowie beim Einsatz gemeinsamer Ermittlungsgruppen durchaus von einer extraterritorial ausgeübten deutschen Hoheitsgewalt sprechen.[45]

99

Unabhängig von der Frage einer staatlichen Verantwortlichkeit für die Rechtshilfehandlung im Ausland ist (regelmäßig) in dem Ersuchen um Rechtshilfe die Erhebung einer strafrechtlichen Anklage im ersuchenden Staat zu sehen, so dass dem Beschuldigten (jedenfalls) dort ab diesem Zeitpunkt die Beschuldigtenrechte des Art. 6 EMRK zu gewähren sind.[46]

100

Nicht um einen Fall extraterritorialer Hoheitsgewalt handelt es sich bei der Auslieferung bzw. Ausweisung von Tatverdächtigen bzw. Straftätern. Hier überprüft der EGMR zwar die dem Betroffenen im Ausland drohenden Folgen bzw. das zu erwartende Strafverfahren am Maßstab der Behandlungsverbote (Art. 3 EMRK) und der Verfahrensfairness (Art. 6 EMRK). Um die Verantwortlichkeit des ausliefernden bzw. abschiebenden Staates feststellen zu können (Art. 1 EMRK), knüpft er dabei aber an die Handlung an, die sich auf dessen Territorium vollzieht.[47] Der die Auslieferung bzw. Ausweisung ersuchende Staat ist wiederum nur für die auf seinem Territorium stattfindenden staatlichen Maßnahmen verantwortlich; eine im Ausland aufgrund eines Auslieferungsersuchens erfolgte Freiheitsentziehung ist dem ersuchenden Staat daher grds. nicht zurechenbar.[48]

Teil 1 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte › B. Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Individualbeschwerde › II. Parteifähigkeit des Beschwerdeführers

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