Kitabı oku: «Die Vampirschwestern – Vorsicht, bissiger Bruder!», sayfa 2

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Knofi-Rülps

Helene beugte sich über Franz, genau wie ihr Vater sich über seine Patienten in der Zahnarztpraxis. Sie steckte ihm entschlossen den Finger in den Mund, pulte einen Moment darin herum und holte schließlich eine Knoblauchzehe heraus. Ein gutes Stück davon fehlte.

„Er hat sie verschluckt! Er hat KNOBLAUCH gegessen! Er wird sterben!“, jammerte Silvania.

„Na, na, na. Von meinem Knoblauch ist noch niemand gestorben“, wandte Gemüse-Gisela ein. Sie hob die Knoblauchknolle auf, die Daka weggeworfen hatte.

„Sie verstehen nicht“, sagte Daka. „Er ist … er hat … eine Allergie. Eine Knoblauch-Allergie.“

„Was denn noch alles? Drei-Monats-Koliken, Knoblauch-Allergie …“, murmelte Gemüse-Gisela. „Hab ich noch nie gehört.“

„Tja, den Rote-Bete-Baby-Saft kannten sie ja auch nicht!“ Silvania ließ ihren Bruder keine Sekunde aus den Augen. „Was machen wir denn jetzt?“

Baby Franz sah seine Schwestern unschuldig an. Er wusste es auch nicht.

„Habt ihr kein Gegenmittel?“, fragte Helene. „Heimaterde, Schuhcreme, frische Nashornmilch oder so was?“

Baby Franz beobachtete die drei Mädchen aufmerksam, als diese überlegten. Offenbar hatten sie ein Problem. Plötzlich wurde sein blasses Gesicht knallrot. Auf der Stirn trat eine dunkelblaue Ader hervor. Franz zog die Augenbrauen zusammen. Offenbar hatte Baby Franz ein Problem. Dann knatterte es ungefähr zwanzigmal laut und kräftig. Problem gelöst.

„Puh!“ Silvania wedelte sich Luft zu. „Das stinkt ja schlimmer als Onkel Vlads dreihundert Jahre alte Socken.“

Helene trat einen Schritt zur Seite und tat so, als würde sie sich für Blumenkohlköpfe interessieren.

Franz’ Gesicht war wieder wunderbar blass, die blaue Ader verschwunden. Dann riss er den Mund auf wie ein kleiner Vogel, der darauf wartete, dass ihn jemand fütterte. Doch seine Schwestern reagierten nicht. Da sie scheinbar nicht die Hellsten waren, musste Franz selber in Aktion treten.

Bevor Daka reagieren konnte, bäumte Franz sich auf, schnappte sich eine weitere Knoblauchknolle aus dem Regal, umklammerte sie fest mit seinem Händchen und stopfte sie sich in den Mund.

„NEEEEIIINNN!“, riefen Silvania, Daka und Helene.

Franz bekam eine Zehe ab und schluckte sie hinunter. Dann riss er die Ärmchen hoch und schrie ebenfalls: „Jeeeeehhh!“

„Sieht mir nicht nach Knoblauch-Allergie aus, sondern nach Knoblauch-Sucht.“ Gemüse-Gisela hatte sich über die Theke gelehnt und musterte das zufrieden schmatzende Baby.

„Aber Franz! Du bist doch ein …“ Silvania beugte sich über ihren Bruder und flüsterte: „Halbvampir. Du kannst keinen Knoblauch futtern. Das ist gegen deine Natur.“

Franz blähte als Antwort die Bäckchen auf und machte: „Rülps.“

Sofort wichen Silvania und Daka zurück. Das Knofi-Bäuerchen stank dermaßen, dass sich die Vampirschwestern am liebsten aus dem Laden geflopst hätten. Doch erstens durften sie nicht flopsen (radikale Regel Nummer sechs). Und zweitens konnten sie ihren Bruder nicht alleine lassen. Keine Sekunde, wie ihnen erst soeben wieder klar geworden war.

„Er mag Knoblauch.“ Daka sah Franz fassungslos an.

Es knatterte abermals in der Windel und Franz gluckste vor Freude.

„Hört man“, sagte Helene. „Und riecht man.“

„Das ist dann eben seine menschliche Seite“, schlussfolgerte Silvania.

„Wollt ihr noch etwas Knoblauch mitnehmen? Nachdem ihr ihn schon verkostet habt“, warf Gemüse-Gisela ein.

„Bloß nicht!“ Daka klappte schnell das Sonnensegel nach unten und schob den Kinderwagen auf die Tür zu.

Silvania riss die Tür auf und schnappte gierig nach Luft.

„Auf Wiedersehen! Und viel Erfolg mit dem Rote-Bete-Saft.“ Helene winkte der Gemüseverkäuferin mit ihrer Einkaufstüte, bevor sie die Tür hinter sich schloss.

„Ein Halbvampir, der gerne Knoblauch isst“, murmelte Daka. „Wenn Papa das hört, wird ihm der Kopf brummen wie nach drei Loopings.“

„Dafür ist Franz sonst total vampirisch“, fand Silvania. „Er kann jetzt schon fliegen. Das haben wir erst viel später gelernt. Und seine Eckzähne kommen schon durch.“

Daka nickte neidisch.

„Passt bloß auf, dass er in der Krabbelgruppe kein anderes Baby beißt!“, riet Helene.

„Krabbelgruppe? Franz braucht eine Fluggruppe!“ Daka grinste. Sie stellte sich einen Raum voller lustig durch die Luft eiernder Babys vor. Dann wurde ihr Gesicht ernst. „Schade, dass Ludo gerade nicht mit uns babysitten kann. Ich meine … so wegen Hellsehen und so. Mit ihm wäre das eben nie passiert. Er könnte uns rechtzeitig Bescheid sagen, bevor Franz jemanden beißt, durch Gemüseläden flattert oder –“

„Knofi-Rülpser rauslässt“, sagte Silvania.

„Wie lange ist Ludo eigentlich weg?“, fragte Helene.

Ludo war mit seinem Russisch-Kurs nach St. Petersburg gefahren.

„Zwei Wochen.“ Daka seufzte.

Silvania schielte zu ihrer Schwester und lächelte vor sich hin.

Dunkle Vergangenheit

Sein Kopf brummte tatsächlich wie nach drei Loopings. Doch daran war kein Knoblauch schuld. Mihai Tepes hatte seit der Geburt seiner Tochter, verdammt, seines Sohnes, kaum noch ein Auge zubekommen. Egal, wie herrlich hell es draußen und wie bequem sein Sarg im Keller auch war. Egal, ob Tag oder Nacht, ob warm oder kalt, der Vater der Vampirschwestern fand keinen Schlaf.

Selbstverständlich erging es vielen Eltern mit einem zehn Monate alten Baby so. Doch das Baby im Haus der Familie Tepes hatte damit nichts zu tun. Das heißt, auf gewisse Weise schon. Mihai Tepes machte sich Sorgen um seinen Sohn. Sein Sohn, der niemals ein Sohn hätte sein dürfen.

Noch immer konnte es Mihai nicht fassen. Mehrmals am Tag, bei jedem Windelwechsel, sah er den nackten Tatsachen ins Auge. Dr. Chivu hatte recht gehabt. Die Sache war leider eindeutig. Spätestens als Franz ihn beim Wickeln in hohem Bogen anpullerte, als wollte er sich bei der Freiwilligen Feuerwehr bewerben, konnte es Mihai nicht mehr leugnen. Seine Tochter war ein Sohn.

Was Mihai Tepes nicht davon abhielt, ihn Olga zu nennen. Bis auf den kleinen Schönheitsfehler, dass Olga ein Junge war, war er einfach nur wundervoll, entzückend, zum Über-und-drüber-Verlieben, fand Mihai. Diese feinen Härchen an den Öhrchen! Diese lustigen, brabbelnden Geräusche! Diese glänzenden, unschuldigen Augen! Am liebsten hätte er seinen Olga stundenlang gekitzelt, geküsst und liebevoll gebissen.

Doch was viele Menschen nicht wissen: Auch Vampire müssen zur Arbeit gehen. Schließlich wollen sie sich ab und zu mal einen neuen Sarg und einen neuen, modischen Umhang leisten oder ihre Frauen mit einer Blutwursttorte erfreuen.

Mihai Tepes arbeitete am Institut für Rechtsmedizin in Bindburg. Freiwillig hatte er als einziger Angestellter die Nachtschichten übernommen. Nachts war Mihai grundsätzlich besser in Form. Und so kam er nicht in Versuchung, einen der gut durchbluteten Kollegen anzuknabbern. Außerdem konnte er sich unbemerkt am gut gefüllten Laborkühlschrank bedienen, in dem Blutproben aller Blutgruppen ordentlich beschriftet lagerten. Kurzum: Es war ein Traumjob!

Deshalb war Mihai normalerweise auch immer bestens gelaunt auf dem Weg ins Institut. Meist flog er über das nächtliche Bindburg hinweg und sang leise sein liebstes Heimatlied: Transsilvania, Rodna Inima moi.

Die monatelange Schlaflosigkeit hatte Mihai Tepes inzwischen aber so sehr geschwächt, dass an entspanntes Fliegen über eine so weite Strecke kaum zu denken war, geschweige denn an melodisches Singen. So übermüdet, wie er war, würde er womöglich abstürzen und mitten in einem deutschen Wohnzimmer vor dem Fernseher auf dem guten Teppich landen.

So kam es, dass Mihai Tepes sich in dieser Nacht zu Fuß auf den Weg ins rechtsmedizinische Institut machte. Natürlich hätte er auch den alten Dacia nehmen können. Da er aber nie schneller als 30 km/h fuhr und nicht sonderlich gut einparken konnte, ließ er das Auto lieber stehen. Vielleicht würde ihn die frische Nachtluft auch wieder etwas aufmuntern.

Der Vater der Vampirschwestern schloss die Haustür und ging kurz darauf mit schleppenden Schritten am Haus von Dirk van Kombast vorbei. Er würdigte es keines Blickes. Zwar war der Nachbar oft Grund zur Beunruhigung gewesen, doch in letzter Zeit hatte Mihai ganz andere Sorgen. Viel größere Sorgen. Eben solche Sorgen, die einem ausgewachsenen Vampir zehn Monate lang den Schlaf raubten.

Mihai drohte seine eigene Vergangenheit einzuholen. Und wenn man ein Vampir von 2679 Jahren war, hatte man jede Menge Vergangenheit.

Über den von Mihais Schwiegervater bei jeder Gelegenheit angebrachten Spruch „Früher war alles besser“ konnte Herr Tepes nur den Kopf schütteln. „Früher war alles finsterer“, murmelte er gedankenversunken vor sich hin, als er jetzt auf dem Weg ins Institut war.

Es war etwas unglaublich Finsteres, was sich aus Mihais Vergangenheit seit ein paar Monaten in sein Leben drängte und einen düsteren Schleier über jedes Lächeln seiner Tochter, Gumox!, seines Sohnes legte.

Mihai hatte niemandem davon erzählt. Weder seiner Frau noch seiner Mutter noch seinem Bruder. Noch nicht einmal seinen geliebten Rennzecken. Schwer wie zehn Särge lastete die dunkle Vergangenheit auf Mihais Schultern. Er spürte sie bei jedem Schritt, bei jedem Atemzug. Doch seine Familie durfte niemals davon erfahren. Eher würde Mihai sich in eine Badewanne voller Weihwasser legen und sich von oben bis unten mit Knoblauchseife einschmieren.

Herr Tepes bog gerade in einen Kiesweg, der eine Abkürzung war und zwischen zwei Gartengrundstücken zur Hauptstraße führte. Der Weg war nicht beleuchtet. Nur von der Hauptstraße aus fiel von den Straßenlaternen noch ein schwaches Licht auf den schmalen Pfad. Mihai Tepes hatte diese Abkürzung schon oft genommen. Als Vampir fürchtete er keine dunklen Gassen. Im Gegenteil, dort fühlte er sich besonders wohl. Doch als er jetzt einen Fuß nach dem anderen auf den knirschenden Kies setzte, bebten seine Nasenflügel vor böser Vorahnung. Und seine Nasenflügel irrten sich nie.

Mihai hatte gerade die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht und konnte bereits die Autos auf der Hauptstraße hören, als es rechts von ihm knackte. Im selben Moment trat eine Gestalt hinter einer Hecke hervor. Sie hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen. Alles, was man erkennen konnte, war der Umriss einer Nase.

Herr Tepes erstarrte. Statt wegzulaufen, oder noch besser, wegzufliegen, sah Mihai den Mann mit Entsetzen an. Viel war in der Dunkelheit und wegen des großen Huts nicht zu erkennen. Trotzdem wusste Mihai sofort, wen er vor sich hatte. Ein Schauder lief ihm über den Lakritzschnauzer und bis in die Eckzähne. Es war so weit. Sie hatte ihn eingeholt: seine dunkle Vergangenheit.

„Sie wissen, warum ich hier bin?“, fragte der Mann mit dem Schatten auf dem Gesicht. Seine Stimme klang wie ein altes, knarrendes Zahnrad.

Mihai rührte sich nicht.

„Wir haben eine Abmachung. Sie haben mir etwas versprochen. Oder haben Sie es etwa vergessen, nur weil es schon über hundert Jahre her ist?“

Mihai hatte nichts vergessen. Nicht das kleinste Detail der Abmachung. War es doch genau diese Abmachung, die ihn seit Monaten keinen Schlaf mehr finden ließ. Er wusste genau, was sein Gegenüber wollte. Und er wusste, dass er nichts unternehmen konnte, dass ihm all seine Vampirkräfte nichts nützten. Dieser Mann hatte ihn in der Hand. Mihai hatte einst geschworen, sich an die Abmachung zu halten. Jetzt war die Zeit gekommen: Er musste sein Versprechen einlösen. Doch das konnte er nicht. Es würde ihm das Herz zerreißen und auch das seiner Frau.

Deutlich war der Atem der dunklen Gestalt zu hören. Er rasselte und erinnerte an eine raue, einsame Winternacht. Eine Nacht, in der das Schicksal eines kleinen Vampirs besiegelt worden war. „Damals haben Sie mir Ihr Wort gegeben. Das Ehrenwort eines Vampirs.“

Mihai schluckte. Sein Hals war so eng, er hatte das Gefühl, er müsse ersticken. „Ich weiß. Ich halte mein Wort. Ähm … vielleicht könnten wir die Abmachung nur ein klein wenig abändern.“

„Ändern? Wieso?“

„Es kann ja sein, dass sich Ihre … Ihre Bedürfnisse in all den Jahren geändert haben. Vielleicht kann ich mein Versprechen mit etwas anderem einlösen. Geld zum Beispiel. Ein Weltrundflug. Oder ein schöner Eichensarg.“

„Ich brauche ganz sicher keinen Sarg. Unsere Vereinbarung ändert sich auch nach Hunderten von Jahren nicht. Und laut Abmachung gehört er mir: der erstgeborene Sohn. Ihr Sohn.“

Mihai schnappte nach Luft und suchte nach Worten. „Was ich verspreche, das halte ich auch“, brachte er schließlich heraus. „Also … würde ich zumindest gerne. Hätte ich denn einen Sohn. Aber leider, leider habe ich nur drei entzückende Töchter: unsere Zwillingsmädchen und der … ähm, die süße Olga.“

Der Atem rasselte noch lauter. „Sie wagen es, mich zu belügen?! Ich weiß genau, dass Sie einen Sohn haben. Und Sie wissen genau, dass er mir gehört!“

Mihai hob beschwichtigend die Hände. Seine Finger zitterten. Die Vergangenheit hatte ihn nicht nur eingeholt, man konnte sie offenbar auch nicht belügen. „Mein Sohn. Ja, natürlich. Er gehört Ihnen, keine Frage. Sie werden ihn bekommen. Nur … vielleicht … nicht jetzt gleich, nicht sofort, meine ich.“

„Sie hatten bereits zehn Monate Zeit.“

„Eben, da kommt es auf einen Tag früher oder später doch auch nicht an.“ Mihais Stimme klang viel zu hoch für seinen Geschmack.

„Sie wollen Aufschub?“

„Bitte, nur ein paar Tage. Ich muss mit meiner Frau reden.“ Oder lieber nicht, dachte Mihai.

Die dunkle Gestalt zögerte. „Na gut. Ein paar Tage kann ich noch warten. Aber wagen Sie es nicht, mich hinters Licht führen zu wollen. Es wäre sowieso sinnlos.“

„Ich weiß“, sagte Mihai leise, als die Gestalt mit dem Hut bereits wieder hinter die Hecke getreten und in der Dunkelheit verschwunden war.

Rakete im Parkverbot

Schule ist doof“, sagte Silvania.

Daka sah ihre Schwester erstaunt an. „Ich dachte, du magst Schule. In der Schule gibt es jede Menge Bücher und jede Menge Jungs – du musst dich doch da so wohlfühlen wie eine Wildsau in der Schlammpfütze.“

„Tu ich sonst ja auch. Aber wenn wir nicht in die Schule müssten, könnten wir den ganzen Tag mit Franz spielen.“

„Wenn der Rest von Franz genauso schnell wächst wie seine Eckzähne, kann er bald mit in die Schule. Das wäre cool!“

Die Vampirschwestern hatten sechs mäßig coole Unterrichtsstunden hinter sich gebracht und waren auf dem Heimweg. Gerade bogen sie in den Lindenweg ein.

Silvania schnaufte. „Wehe! Ich will, dass er ganz lange süß, niedlich und knuffig bleibt.“

„Bissig hast du noch vergessen.“

„Den Biss hat er von Papa. Das Süße und Niedliche hat er von mir.“ Silvania grinste.

„Hast du Papa heute Morgen gesehen?“

„Furchtbar. Sah aus wie ein im Schnellwaschgang geschleuderter Zombie.“

„Ein Vampir, der wie ein Zombie aussieht – krasser geht’s nicht“, fand Daka.

„Seine Arbeit im Institut muss voll stressig sein.“

„Gumox. Er schläft nicht gut, hat er doch gesagt.“

Hätte Daka gewusst, wie recht sie damit hatte! Ihr Vater schlief nicht nur schlecht, momentan schlief er gar nicht. Mihai Tepes lag seit Stunden in seinem Sarg wach, trommelte mit den Fingern auf das Eichenholz und dachte nur an eins: Wie konnte er seinen erstgeborenen Sohn retten? Wie konnte er seine dunkle Vergangenheit ungeschehen machen? Gab es überhaupt irgendeinen Ausweg aus dieser furchtbaren Situation? Herr Tepes wälzte sich von einer Sargseite auf die andere. Er zog sich alle zehn Minuten am Lakritzschneckenschnauzer. Zur Anregung seines Verstandes genehmigte er sich einen Karpovka am frühen Nachmittag. Doch ihm wollte keine Lösung einfallen.

„Wenn du mich fragst, fehlt ihm nicht nur Schlaf, sondern noch irgendwas hier oben.“ Silvania tippte sich an die Stirn. „Sein Sohn ist seit zehn Monaten auf der Welt und er nennt ihn immer noch Olga! Snips tschem Breszu bratscho!“ Das war eine vampwanische Redensart und bedeutete so viel wie „Verrückt wie ein dicker Presssack“. Keiner wusste mehr so genau, was das Verrückte an einem dicken Presssack war. Aber irgendetwas völlig Verrücktes musste ein Presssack mal in Transsilvanien angestellt haben, wenn sich die Redensart so lange gehalten hatte.

„Total snips! Hast du den Strampler gesehen, den er vorgestern angeschleppt hat? Rosa mit glitzernden Schleifchen und Spitzenrüschchen am Popo.“ Daka machte Geräusche, als wäre ihr eine Schmeißfliege im Hals stecken geblieben. „Hätten sie mir so etwas angezogen, hätte ich es sofort mit Blutbrei vollgekotzt.“

„Hä? Was ist das denn?!“ Silvania blieb stehen.

„Na, diese rote Matsche, die wir als Babys in Bistrien immer gefüttert bekommen haben. Blutwurst, Hühnerpudding und Haferschleim mit lauwarmem Frischblut zusammengepampt.“

„Nein, ich meine das silberne Dings da.“

Daka folgte dem Blick ihrer Schwester. Vor dem Haus von Dirk van Kombast stand ein Wohnwagen. Allerdings war er so groß wie zwei Wohnwagen. Die Fenster waren voll verspiegelt und glänzten auf der silbernen Karosse wie riesige Facettenaugen. Auf dem Dach reckten sich mehrere Antennen, Metallfedern und Drähte gen Himmel. Die Räder waren so groß wie die eines Lastwagens, die Außenspiegel wie Kuchenbleche. Der Kühlergrill erinnerte an den aufgerissenen Rachen eines Hais. Vom Dach bis zum Heck verliefen zwei glänzende Streben, die wie Flossen aussahen und an deren spitzen Enden rote Lampen prangten.

„Sieht aus wie eine Rakete auf Rädern“, sagte Daka.

„Okay. Also entweder sind Außerirdische im Lindenweg gelandet oder das Teil da ist Dirk van Kombasts neuer Dienstwagen.“

„Keins von beiden.“ Daka deutete mit dem Kopf auf den Nachbarn. „Benimmt sich zwar manchmal wie ein Außerirdischer, ist aber ein ganz normaler, okay, halbwegs normaler Mensch.“

Dirk van Kombast stampfte um den silbernen Wohnwagen herum. Seine goldenen Locken wippten. Seine Wangen schimmerten rot, passend zu seinem Polohemd. „Hier ist PARKVERBOT! Sie stehen mitten vor meinem Grundstück! Das ist eine mutwillige Verletzung der Privatsphäre!“

Der silberne Wohnwagen schwieg. Erst als Dirk van Kombast kräftig an die Fahrertür klopfte, regte sich etwas. Das abgedunkelte Fahrerfenster des Wohnwagens surrte leise ein Stück nach unten. „Verzeihung, aber ich habe gar kein Parkverbotsschild gesehen“, drang eine ruhige Stimme heraus.

„Na so was. Und Sie meinen, das gibt Ihnen gleich das Recht, ihren aufgebrezelten Straßendampfer direkt vor meinem Grundstück zu parken?“ Dirk van Kombast stellte sich vor der Fahrertür auf die Zehenspitzen und reckte den Kopf Richtung Fensterspalt. „Nein, hier gibt es kein Parkverbotsschild. Aber DORT drüben am Zaun steht MEIN Namensschild. Dirk van Kombast! Und wo Dirk van Kombast drin wohnt, da darf auch nur Dirk van Kombast davor parken!“

„Ach“, kam es aus dem Wohnmobil.

„Was heißt hier Ach? Entschuldigung, das wäre angebrachter! Sie versperren mir ja die ganze Sicht mit ihrem Land-U-Boot!“ Dirk van Kombast stemmte die Hände in die Hüften.

„Das tut mir leid. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Natürlich werde ich Ihnen nicht länger den sagenhaften Ausblick auf diese aufregende Sackgasse versperren. Ich bin gleich weg.“ Der Fahrer des Wohnwagens ließ den Motor an. Dann tuckerte er ein paar Meter weiter und blieb vor dem Haus von Simona Zicklein stehen.

Dirk van Kombast nickte zufrieden, machte kehrt und verschwand im Haus. Freie Sicht für freie Bürger – er hatte, was er wollte.

Silvania und Daka warteten einen Moment. Doch nichts tat sich. Weder öffnete sich die Fahrertür, noch fuhr der Wohnwagen weiter. Der Motor verstummte schließlich. Zögernd gingen die Schwestern auf das befremdliche Fahrzeug zu. Wie ein herausgeputzter, schlafender Elefant stand der Wohnwagen in der Nachmittagssonne. Direkt unter dem Fahrerfenster war ein weißes Schild angebracht, auf dem mit schwarzen Buchstaben stand:


Dr. Tinkturo Mörser

Reparaturen, Restaurierung, Instandsetzung

jeder Art, Zeit und Form

„Eine rollende Werkstatt“, schlussfolgerte Daka.

„Und ein Doktor. Vielleicht kann dieser Dr. Mörser das Gehirn von Papa wieder instand setzen.“ Silvania kicherte, als hätte sie selbst Probleme mit dem Gehirn.

„Ihr habt einen Auftrag für mich?“, fragte jemand im Wohnwagen. Das Fahrerfenster war einen Spalt geöffnet.

Dr. Mörser

Dr. Tinkturo Mörser hatte mit der Aufschrift auf der Fahrertür seines Wohnwagens nicht zu viel versprochen. Er konnte tatsächlich alles reparieren. Innerhalb von 24 Stunden sprachen sich sein ausgezeichneter Service und seine Fachkenntnis in nahezu allen Häusern der Wohnsiedlung herum.

Ole Hormsen, der Besitzer vom Kiosk vorne an der Ecke vom Lindenweg, brachte sein erstes Handy von 1988 zur Reparatur. Es sah aus wie ein Knochen, wog mindestens ein Kilo und war mehr Waffe als Kommunikationsgerät. Dr. Mörser schraubte es auseinander, erkannte auf den ersten Blick das Problem, löste es mit zwei geschickten Handgriffen und überreichte Ole Hormsen keine fünf Minuten später sein funktionierendes Handy. Ole Hormsen strahlte wie vom Weihnachtsmann geküsst. Mit dem Handy würde er bei der nächsten 80er-Jahre-Party der King of Retro sein.

Hildegard Schaumburg, die Besitzerin der Bindburger Moccastube, schleppte einen Leierkasten von 1750 zu Dr. Mörser. Er war ein Erbstück ihres Urgroßvaters, der den hölzernen Leierkasten wiederum von seinem Urgroßvater geerbt hatte. Sowohl die eisernen Räder als auch das kunstvoll verzierte Gehäuse waren nach all den Jahren noch gut in Schuss, aber irgendetwas stimmte mit dem Pfeifenwerk nicht mehr. Außerdem war die Kurbel verbogen, seit ein Gast der Moccastube aus Versehen seine schwere Einkaufstasche daran gehängt hatte. Dr. Tinkturo Mörser schaffte, was bisher keinem Handwerker gelungen war: Er brachte den Leierkasten binnen einer Stunde wieder zum Klingen. Und Hildegard Schaumburg zum Juchzen vor Freude. Beseelt schob sie den Leierkasten zurück in ihr Café, nicht ohne dem Doktor zuvor lebenslang kostenlosen Kaffeegenuss in der Moccastube zu garantieren.

Armin Schenkel, der mit seiner Frau und Sohn Linus gegenüber von Familie Tepes wohnte, vertraute dem erfahrenen Doktor die zerbrochene Pfeife seiner Urgroßmutter an. Noch nie hatte er es gewagt, die Pfeife aus der Hand zu geben. Als Dr. Mörser die Pfeife reparierte, blieb er zur Sicherheit im Wohnwagen dabei. Dr. Mörser hantierte mit Kleber, Schleifpapier und Schraubstock. Armin Schenkel hatte kaum genug Zeit, sich in der Werkstatt umzusehen, da drückte ihm der Doktor die reparierte Pfeife in die Hand.

Die beste Kundin aber war Simona Zicklein. Mehrmals am Tag, soweit es ihre Arbeitszeit zuließ, klopfte sie an der Tür des silbernen Wohnwagens, der vor ihrem Haus parkte. Sie schleppte einen alten Gegenstand nach dem anderen zu Dr. Mörser. Was nicht nur daran lag, dass Frau Zicklein so viel kaputtes Gerümpel hatte. Es hatte auch nicht bloß damit etwas zu tun, dass die alleinerziehende Mutter den kürzesten Weg zu Dr. Mörser hatte. Woran genau es lag? Das wussten wahrscheinlich nur Frau Zicklein und Dr. Mörser selbst.

Dr. Tinkturo Mörser jedenfalls freute sich immer sehr, seine beste Kundin zu sehen. Wie seltsam die Gegenstände auch waren, die Simona Zicklein zum Wohnwagen brachte: eine Trockenhaube, eine Wimpernzange, ein Badewannenvulkan oder auch eine winkende, goldene Katze, die das Winken verlernt hatte.

Doch auch als Silvania und Daka jetzt zum zweiten Mal vor seiner mobilen Werkstatt standen, hieß Dr. Mörser sie herzlich willkommen. Obwohl das Geschäft brummte und Frau Zicklein erst am Morgen einen kaputten, normalerweise blinkenden Weihnachtsmann und einen Stöckelschuh mit abgebrochenem Stöckel vorbeigebracht hatte, schickte er seine Besucher nicht weg. Als hätte er unendlich viel Zeit im Leben.

„Ihr zwei seid es wieder.“ Dr. Mörser öffnete lächelnd die Wohnwagentür. „Was ist? Traut ihr euch heute in meine bescheidene Werkstatt?“

Dieses Mal zögerten die Vampirschwestern nicht. Gestern noch war ihnen der Mann, der mit pomadigen, dunkelbraunen Haaren und blauem Kittel aus dem Wohnmobil gestiegen war, nicht ganz geheuer gewesen. Er kam ihnen vor wie aus einer anderen Welt, einer anderen Zeit, von einem unbekannten Ort. Heute schon hatten Silvania und Daka das Gefühl, der silberne Wohnwagen würde zum Lindenweg gehören wie der Kiosk von Ole Hormsen. Die Leute gingen bei Dr. Mörser ein und aus, als wäre er ein langjähriger, allseits beliebter Anwohner. Alle sahen es als glücklichen Zufall an, dass dieser begnadete Reparateur mit seiner rollenden Werkstatt ausgerechnet bei ihnen im Wohngebiet haltmachte. Die Vampirschwestern hatten schon von mehreren Seiten von seiner kleinen, aber beeindruckenden Werkstatt gehört. Jetzt wollten sie das Innere des Wohnwagens mit eigenen Augen sehen. Bereitwillig nahmen sie die Einladung daher an.

„Hereinspaziert!“ Dr. Mörser breitete die Arme aus.

„Das ist ja riesig hier drin!“ Silvania kam der Wohnwagen von innen noch größer vor.

„Ich kann euch alles zeigen, wenn ihr wollt. Das hier ist die Werkstatt.“ Dr. Mörser deutete um sich. Es gab eine Werkbank mit Schraubstock, auf der mehrere Schrauben, Muttern und Einzelteile einer alten Küchenmaschine lagen. An der Wand reihten sich die seltsamsten Werkzeuge. Die Regale waren voller Ersatzteile verschiedenster Form und Funktion. Ganz oben auf den Regalen stapelten sich Bücher, deren Seiten vergilbt waren und sich rollten wie der Käse auf Dakas Frühstücksstulle, die sie gerne mal drei Tage in der Schultasche vergaß.

„Hier geht’s ins Labor.“ Dr. Mörser schob die Vampirschwestern in den nächsten Raum. Er war weiß und wirkte etwas aufgeräumter als die Werkstatt. In der Mitte stand ein Tisch aus Metall. Darauf befanden sich Reagenzgläser, Bunsenbrenner, verschiedene Schalen und Töpfe, Zangen, Löffel und Pipetten. Auch hier waren die Regale bis oben gefüllt.

„Dagegen ist unser Chemieraum so aufregend wie eine Gefängniszelle.“ Daka hielt ihre Nase über ein Reagenzglas mit dunkelblauer Flüssigkeit.

„Finger weg! Und Nasen auch“, sagte Dr. Mörser ernst. Er öffnete eine weitere Tür. „Und hier hinten ist der Raum für die Nachtruhe.“

Silvania und Daka warfen kurz einen Blick in den vollkommen dunklen Raum, in dem nicht viel mehr als ein antik wirkendes Bett und ein alter Koffer standen.

„Zum Schluss unseres kleinen Rundgangs zeige ich euch noch das Herz meines Heims, sozusagen.“ Dr. Mörser führte die Mädchen in die Fahrerkabine. Auf den ersten Blick sah alles aus wie in einem normalen Auto. Es gab ein Lenkrad, zwei Sitze, eine Handbremse, einen Rückspiegel, Pedalen für Gas, Kupplung und Bremse.

„Was sind denn das alles für Knöpfe und Hebel?“ Daka deutete auf das Armaturenbrett. Es sah aus, als könnte man eine ganze Flugstaffel von Raumschiffen damit steuern und nicht einen einzigen Wohnwagen.

„Das ist die Schaltzentrale“, sagte Dr. Mörser und wuchs dabei mindestens drei Zentimeter. „Wie ihr schon gemerkt habt, ist mein Wohnwagen kein gewöhnlicher Wohnwagen. Er ist Werkstatt, Labor und Schlafstätte in einem. Er ist mein Leben, mein Ein und Alles. Und deshalb muss ich ihn gut schützen. Leider gibt es nicht nur gute Menschen auf dieser Welt. Mit der Schaltzentrale kann ich Kameras und andere Sicherheitseinrichtungen bedienen. Ich würde sagen: Dieser Wohnwagen ist der sicherste Ort der Welt! Weder Hitze noch Kälte noch irgendein Bohrer richten etwas gegen ihn aus.“

„Verstehe. Also mobile Werkstatt und fahrbare Festung in einem“, sagte Daka.

„Und Sie tingeln im Wohnwagen durchs ganze Land? Wo ist denn Ihr Zuhause? Ich meine, Ihr richtiges Zuhause“, fragte Silvania, während sie Dr. Mörser zurück in die Werkstatt folgten.

„Ich reise nicht nur durchs ganze Land, sondern durch die ganze Welt. Und auf der ganzen Welt bin ich auch zu Hause.“

„Aber jeder kommt doch irgendwoher. Jeder ist doch irgendwo aufgewachsen“, sagte Silvania.

„Haben Sie nicht manchmal Sehnsucht nach Ihrer Familie?“, fragte Daka.

Das Lächeln verschwand aus Dr. Mörsers Gesicht. Das Grübchen auf seinem Kinn, das aussah, als hätte er sich dort mit einem Bleistift gepikt, zog sich noch weiter nach innen. „Ich habe keine Familie. Wo ich aufgewachsen bin, war ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr. Das ist nicht mehr wichtig. Dort wäre niemand mehr, den ich besuchen könnte.“ Mit einer schnellen Bewegung griff Tinkturo Mörser nach der Mütze des Weihnachtsmanns, der in Einzelteilen auf der Werkbank lag. „Dann mache ich mich mal wieder an die Arbeit. Das gute Stück muss in einer Stunde fertig sein, damit Simona … also, ich meine, Frau Zicklein, ihren Weihnachtsmann wieder abholen kann. Wenn ihr wollt, könnt ihr zusehen.“

„Danke, aber wir müssen nach Hause“, sagte Silvania.

„Wir wohnen hier in der Straße. Wenn Sie mal rauswollen aus Ihrem Wohnwagen und wir Ihnen die Gegend zeigen sollen …“, begann Daka.

Doch Dr. Mörser winkte mit der Weihnachtsmannmütze in der Hand ab. „Das ist nett von euch, aber ich hab so viel zu tun. Ihr seht ja. Außerdem hab ich’s nicht so mit Sehenswürdigkeiten und Stadtrundfahrten. Ich sage immer, die Leute der Gegend kommen zu mir. Und wie lernt man eine Gegend besser kennen als durch seine Bewohner?“

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18+
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23 ekim 2024
Hacim:
143 s. 6 illüstrasyon
ISBN:
9783732004492
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