Kitabı oku: «Seewölfe Paket 35», sayfa 15
3.
Clinton Wingfield lehnte gegen die harte Rinde des Baumstammes und saß auf einer niedrigen Ziegelmauer. Hier, im Schatten der großen, leise raschelnden Blätter, war der auflandige Wind kühler als am Ufer oder am Hafen. In den Ästen lärmten Vögel und die schnatternden Affen. Der Tempel war uralt. Die Mauern, an vielen Stellen von den langen Kotspuren der Vögel weiß verätzt, verströmten einen stechenden Geruch, der in den Nasen biß.
Clint richtete seine grauen Augen auf die Reihe der Inder, die sich – wie ein Zug fleißiger Ameisen – von der Schebecke über den Steg, den breiten Pfad, hinüber zu den beiden Schiffen und hinauf zur Siedlung bewegten.
Schätzungsweise fünfzig Leute. Einige schleppten kleinere Kisten und Ballen auf den Schultern, andere trugen größere Teile der Goldladung zu zweien. Die Anzahl der Portugiesen und Spanier mit Pistolen und Musketen war angewachsen. Mindestens ein Dutzend standen auch an Deck der Schebecke.
„Schaut genau hin“, sagte er halblaut und zappelte vor Aufregung. „Sie schaffen alles weg.“
Hasard junior legte Clint den Arm um die Schultern und versuchte ihn zu beruhigen.
„Schlimm wird’s nur, wenn sie die Kisten aufbrechen und den Inhalt auseinanderreißen und verteilen.“
„Die Dons und Portus“, meinte Philip, „werden die Kisten in die Kapitänskammern schaffen, Beute, verstehst du? Wird im Logbuch vermerkt. Da bleibt das Silber zusammengepackt.“
„Und das Gold auch“, sagte Hasard.
Zahllose Fliegen summten zwischen den Mauern. Ihre Körper glänzten wie seltenes Metall oder winzige Edelsteine, als sie zwischen dem Schatten der Blätter durch die fast senkrechten Sonnenstrahlen summten und zuckten. An den Stämmen und den Mauern hingen Geckos und schnellten, so schnell, daß die Bewegungen unsichtbar waren, ihre Zungen nach den Fliegen. Hoch über dem Tempel schrien ein paar Möwen.
In einer Nische, deren Wand sorgfältig verputzt und frisch gekalkt war, thronte auf einem schwarzen Steinsockel die Schwarze Kali, die Göttin mit den vielen Armen. Es war eine fünf Fuß große Statue, aus Holz geschnitzt und lackiert.
Sie blickte mit lüsternem, aber keineswegs heiterem Gesichtsausdruck in die Ferne, über Mannar hinweg und in Richtung auf Ceylon und schien ebenso alles zu sehen wie die drei Seewölfe, die schweigend versuchten, die Vorgänge richtig zu deuten.
„Also, Freunde“, fing Jung Hasard nach einer Weile an, „ich weiß nicht, ob ich recht habe. Aber auch Dan ist der gleichen Meinung. Es gibt bestimmt ein paar von den Leuten, die an den Zahn glauben, Buddha verehren und auch diesem Schuft Malindi glauben. Also sind sie überzeugt, daß wir tatsächlich Gold aus Tempeln gestohlen haben. Was werden sie also tun?“
„Wenn sie wirklich die Götter verehren“, Clint warf einen langen Blick auf die Göttin, an deren Armen Blütenkränze verdorrten, „bringen sie das Gold zu den Tempeln zurück. Vielleicht nicht zu allen, denn sie wissen ja nicht, wo wir das Zeug angeblich geklaut haben.“
Hasard junior zog sein Messer und fing an, es an der Kante des Felsblockes zu schleifen.
„Genau das meine ich“, sagte er zufrieden. „Auch in diesem Fall brauchen wir das Geld praktisch nur noch einzusammeln.“
Sein Bruder kratzte sich an der Tätowierung auf der Schulter und stieß ein verächtliches Gelächter aus.
„Das stellst du dir wohl so vor wie Muschelsammeln am Strand, wie?“ fragte er.
Hasard schüttelte den Kopf. „Nein. Bestimmt nicht. Ich sage nur laut, was ich denke.“
„Was wir alle hoffen“, schloß Clint und fuhr mit allen Fingern durch sein blondes Haar, das wieder in wilden Wirbeln vom Kopf abstand. Salzkristalle fielen in seine Brauen, und er mußte blinzeln.
„Abwarten. Sie fangen gerade damit an“, sagte Philip.
Wieder richteten sie ihre Blicke auf die Vorgänge am Hafen. Hin und wieder versuchten sie, mehr Einzelheiten im Osten zu erkennen, drüben, am Rand der großen Insel Ceylon. Aber sie konnten nur die breite Fläche des Ebbestreifens und die breiten Kanäle sehen, die bei Flut das Fahrwasser zwischen Mannar-Insel und den jenseitigen Ufern bildeten. Erst nach Einbruch der Dunkelheit würde die Flut wieder aufgelaufen sein und ein wenig später ihren höchsten Stand erreicht haben.
Ein tückisches, gefährliches Seegebiet. Noch gefährlicher als das kaum überwindliche Stück zwischen der Pamban-Insel und Mannar. Aber diese Schwierigkeiten hatte nicht nur die Crew der Schebecke, sondern jedes einzelne Schiff bis hinunter zu größeren Ruderbooten. Soviel immerhin hatte Dan von den Fischern und den religiösen Fanatikern erfahren können.
Etwa eine Stunde später hatte sich aus dem Zug der Goldräuber eine Gruppe abgesondert.
Es waren etwa zwei Dutzend. So genau konnten die drei Beobachter im Tempel die Gestalten unterscheiden und zählen. Etwa ein halbes Dutzend kleinere Ballen und Kisten hatten sie im Sand des Pfades abgestellt. Sie schienen miteinander zu beraten.
Philip junior versuchte, seine Ungeduld zu unterdrücken. Er hatte die eine oder andere verrückte Vermutung, aber er beherrschte sich und beobachtete weiter.
Als er es vor Spannung nicht mehr aushielt, stand er auf und erklärte: „Ich sehe mich hier mal um. Es kann sein, daß wir uns lange verstecken müssen. Ihr bleibt hier, ja?“
„Wir rühren uns nicht vom Fleck“, entgegnete Hasard.
Die lastende, feuchtheiße Hitze des späten Mittags lag über der Landschaft und schien alle Bewegungen zu lähmen. Der Seewind raschelte mit den Blättern und brachte den salzig-modrigen Geruch mit. Alle Geräusche, die aus der Siedlung und dem Hafen bis hierher drangen, waren gedämpft und unwirklich.
Das Zirpen und Sirren der Zikaden wurde in kurzen Abständen ohrenbetäubend laut. Ein Affe warf eine angebissene Frucht nach den Eindringlingen und schnatterte, bevor er sich wieder in einen anderen Baum flüchtete. Die Zeit schien viel langsamer als sonst zu vergehen, aber auch der Umstand, daß es nichts zu tun gab, daß sich Hunger und Durst meldeten, ließ die Jungen unruhig werden.
Aber sie zwangen sich dazu, ruhig zu warten. Zuviel stand auf dem Spiel. Sie hatten den besten Platz, und hoffentlich vermißte sie niemand. Dad wußte, daß sie geflüchtet waren, aber nicht, wie sie sich versteckten.
Philips Schritte vermischten sich mit den wenigen Geräuschen rund um den Tempel der blutigen Kali.
Die Seitenlänge des Gemäuers betrug ungefähr fünfzehn Yards. Der Tempel samt den Baumriesen war ohne jeden Zweifel uralt. Vor vielen Jahren war er prächtig und farbenfroh herausgeputzt worden. Philip setzte vorsichtig Schritt vor Schritt und blieb immer wieder stehen, um zu sichern und mehr Einzelheiten zu erkennen.
Einst gab es einen drei Fuß hohen Fries aus schwarzem Gestein, der sich vermutlich um alle Außenmauern herumgezogen hatte. Jetzt fehlten große Stücke daraus, aber auf dem moosüberwucherten, von Nebenwurzeln auseinandergesprengten Rest tummelten sich menschliche Gestalten und Fabelwesen.
Ein elefantenköpfiger Götze streckte seine Gliedmaßen nach langbeinigen und vollbrüstigen Frauen aus, die zu tanzen schienen oder Musikinstrumente in den Händen hielten. Es war so vieles vom salzigen Wind abgenagt und überwuchert, daß man eine gehörige Portion Phantasie brauchte, um sich die Szenen richtig vorzustellen.
„Die Schwarze Kali“, murmelte Philip, als er über ausgebleichte Knochen stolperte, die unter seinen Sohlen zersplitterten, „sie scheint Hunger gehabt zu haben.“
Er duckte sich unter einem Vorhang aus Lianen, deren Schlingen den Baumstamm zu erwürgen drohten. Die Knochen, die zwischen den Wurzeln lagen, schienen nicht von Menschen zu stammen. Philip tastete sich an der Mauer entlang und betrat durch einen halb zusammengebrochenen Bogen einen Seitenraum des Tempels.
Die Steinplatten des Bodens, uralt und tief ausgetreten, wirkten überraschend sauber. Vor kurzer Zeit war der Tempel besucht worden, auch die Blumenkränze der Kali-Statue bewiesen, daß die blutige Göttin ständig verehrt wurde. Dieser Raum war kürzlich ausgefegt und gereinigt worden.
Das scheinen Leute zu sein, die nicht nur an Buddha glauben, dachte Philip und musterte die leeren Nischen und die abblätternde Farbe an den Wänden. Der Raum strahlte eine düstere, gefährliche Stimmung aus, als ob die vielarmige Göttin in ihrem Zorn den Besuchern schaden könne. Zehn Schritte weiter, hinter einer schwarzen Mauer, stieß Philip auf einen schaurigen Fund.
„Also doch! Die blutige Kali“, murmelte er und erinnerte sich an den Ausruf der Hindufischer.
Er blickte in eine Kammer, die etwa zehn Fuß in der Breite und Länge maß. Bis zur Decke, zweimal so hoch wie er mit ausgestrecktem Arm erreichen konnte, waren auf steinernen Regalen Totenschädel aufgereiht. Unter der Decke schienen sie schwarz und grau vom Alter und Schmutz zu sein, aber in Augenhöhe sah er eine Reihe Schädel, die noch nicht sehr lange in diesem Gemäuer lagen. Die leeren Augenhöhlen starrten ihn an. Er ging rückwärts in den Schatten hinaus und schüttelte sich.
Die Kammer wies nach Norden. Philip spürte plötzlich einen eiskalten Luftzug. Die Haare auf seinen Armen stellten sich auf. Er unterdrückte den Schrecken und sagte sich, daß die grinsenden Totenschädel vielleicht von solchen Menschen stammten, die eines natürlichen Todes gestorben waren. Von Menschenopfern zu Ehren der schwarzen Göttin hatten die Seewölfe nichts erfahren, das sich nachprüfen ließ.
Vorbei an einigen Haufen aus Abfall und Steinbrocken, die ihm noch einmal bewiesen, daß sich die Bewohner von Mannar um den Kali-Tempel kümmerten, kehrte er von der anderen Seite wieder zurück zu Hasard und Clint.
„Ein ungemütlicher Platz, Freunde“, sagte er und berichtete, was er entdeckt hatte.
Sie hörten schweigend zu, und Hasard deutete auf die Gruppe, die sich um ein paar Dutzend Schritte vom Hafen entfernt hatte und wieder angehalten hatte. Die Leute gestikulierten, und einige zeigten immer wieder zum Hügel.
„Es sieht so aus, als wollten sie sich zum Tempel bewegen“, sagte Hasard junior und beugte sich vor. „Du hast nichts Trinkbares gefunden, Phil?“
Philip schüttelte den Kopf.
„Nicht mal eine Quelle. Du hast recht – die wollen hierher.“
„Mit dem Gold“, pflichtete Clint bei. „Ich kann’s nicht glauben. Wollen sie es der Kali opfern?“
„In diesem Land ist fast alles möglich“, meinte Hasard.
Sie warteten weiter und versuchten zu erraten, was die Männer wirklich vorhatten. Noch immer war die Schebecke umlagert. Die ersten Ceylonesen hatten mit ihrer Beute inzwischen das Dorf erreicht und verschwanden zwischen den Häusern.
Über die Planken, die zu den Decks der Karavelle und der Galeone führten, schleppten Crewmitglieder die schweren Kisten aus den Laderäumen der Schebecke. Zwei lange, unregelmäßige Ketten winziger Gestalten bewegten sich hin und her.
Ein paar Atemzüge später fluchte Hasard und fragte in ungläubigem Tonfall: „Ich glaube, ich sehe nicht mehr richtig. Die Dons zwingen unsere Crew, die Kisten selbst zu schleppen. Was seht, ihr?“
Sie bemühten sich, die Vorgänge an Deck und am Steg genau zu erkennen. In der Menge der Gestalten, die sich unaufhörlich hin und her schoben und vom Steg an Deck enterten und umgekehrt, sahen die Jungen zwar die größeren Körper der Seewölfe, aber erst dann, als Carberry am Ende des Steges auftauchte, eine Kiste auf der Schulter, waren sie sicher.
„Das wird unseren Profos freuen“, bemerkte Clint. „Für die Dons oder die Portus schuften.“
„Sie werden sich nicht mal anständig bedanken“, sagte Philip junior. „Seine Stimmung möchte ich nicht miterleben müssen.“
Kurz darauf hatten sie die Gewißheit. Nicht nur Carberry, sondern einige andere der Seewölfe-Crew mußten selbst mit anpacken und Teile des Goldschatzes schleppen.
„Kein guter Tag für die Seewölfe“, sagte Philip schließlich.
„Er ist noch nicht vorbei“, entgegnete der Bruder warnend. „Da kann noch viel mehr passieren.“
Zehn Minuten lang passierte aber nichts Ungewöhnliches mehr. Dann aber hatten sich die Leute geeinigt. Sie hoben die schweren Beutestücke auf, bildeten eine unregelmäßige Prozession und stapften auf dem breiten Pfad, der sich durch einige kümmerliche Felder wand, auf den Hügel zu. Die Zwillinge und Clint sahen die Männer bald so deutlich, daß sie absolut sicher waren: es handelte sich um jene Inder aus den Booten, von denen die Arwenacks als „fanatische Verrückte“ gesprochen hatten.
Die meisten waren mager, fast dürr, trugen lange und ungepflegte Bärte, hatten sich mit Asche und Farbe beschmiert, und die Lumpen, in die sie sich kleideten, waren zerschlissen, schmutzig und stanken. Mit heiseren Stimmen krächzten sie Lieder. Einige trugen klirrende Ketten aus Metall und Steinen, aber jeder von ihnen hatte an einer langen Schnur eine Holzschale um den Hals.
Diese Gruppe unterschied sich wohl noch in einem Punkt von den übrigen Begleitern der letzten Etappe. Sie betrachteten sich als wahre Gläubige, und wenn sie wirklich das Gold zum Kali-Tempel brachten, handelten sie nicht aus Habgier. Sie brachten den Schatz, so meinten sie, wieder dorthin, wo er geraubt worden war.
Die drei jungen Seewölfe dachten darüber nach, was sie sahen und was sich vor ihren Augen anbahnte. Sie gelangten gleichzeitig zu einem Ergebnis und redeten gleichzeitig los.
„Die bringen unser Gold hierher, zu uns“, sagte Jung Hasard.
Philip rief unterdrückt: „Zu Kali bringen sie’s. Wir verstecken uns …“
„… und warten, bis sie weg sind“, ergänzte der Moses. „Los, klettern wir in die Bäume.“
Hasard hob die Arme und sagte: „Da oben verraten uns die Affen. Wir müssen dort hinüber. Da gibt’s genügend gute Verstecke.“
Er zeigte zu der Seite des Hügels, über die sie zum Tempel hinaufgeklettert waren. Als hätten die umherspringenden Affen gehört, was Hasard gesagt hatte, vollführten sie plötzlich einen höllischen Lärm und verfolgten einen schwarzhaarigen Kerl kreischend ein paarmal rund um das Dach des Tempels. Ein Regen aus Blättern, Rindenstücken und angebissenen Früchten prasselte nach unten. Die Pilger, die an der Spitze der Prozession marschierten, fingen wieder mit einem ihrer leiernden Gesänge an.
„Los“, sagte Philip junior. „Wir hauen ab.“
„Denkt daran“, mahnte sein Bruder. „Sie dürfen uns auf keinen Fall sehen.“
„Schon klar“, flüsterte Clint.
Sie schlichen geduckt nach rechts, krochen zwischen den Luftwurzeln der Würgefeigen und hinter den wulstigen Stämmen zur Nordwestseite des Hügels und blickten sich wachsam um, ehe sie aus dem Halbdunkel unter dem dichten Laubdach hervortraten.
Die Ankunft der Schebecke schien alle Einwohner zur Hafenbucht gelockt zu haben, denn nicht mal die Ziegen und Schafe wurden, wie meistens von Kindern oder Halbwüchsigen, über die Wiese getrieben. Jetzt fraßen sie in den Feldern die frischen Triebe.
Sie liefen, tief geduckt, hinter den Büschen durch einen Graben, entlang kleiner Felsstücke und eines Mauerrestes, wieder durch kratzende Ranken in einem überwucherten Graben, und schließlich befanden sie sich in einer Gruppe raschelnder Maulbeerbüsche.
„Von hier ist es nur ein Sprung bis zum Strand“, murmelte Hasard und schob die Äste auseinander. „Wir werden nicht genau sehen, was die Götzendiener im Tempel treiben.“
„Wenn sie das Gold verstecken, finden wir’s bestimmt“, flüsterte der Moses.
„Sie werden es wohl vor die Füße der Göttin stapeln“, sagte Hasard junior. „Ruhe jetzt.“
Inzwischen summten und sangen alle Teilnehmer des Pilgerzuges so laut, daß sie die Gespräche der Jungen gar nicht hören konnten. Die ersten erreichten die ausgetretenen Stufen, die von Wurzeln zerbrochen im Hang steckten. Hin und wieder glaubten die drei Seewölfe, den Namen der blutigen Göttin herauszuhören. Die Sonne brannte auf ihre Köpfe, Schultern und Rücken, zahllose Mücken summten zwischen den Blättern und stachen erbarmungslos auf die Seewölfe ein. Die Jungen wagten nicht, die Quälgeister zu vertreiben oder nach ihnen zu schlagen.
Clint flüsterte scharf: „Vier Kisten. Sieht so aus, als ob es die kleinsten wären.“
„Sei still. Sehe ich selbst“, zischte Hasard.
Die Pilger verschwanden hinter den Bäumen. Kurz darauf klangen ihre heiseren Stimmen noch schauerlicher. Sie hatten den größten Raum des Tempels betreten. Jetzt endlich schlugen die drei Jungen wie wild nach den Stechmücken.
„Das Fest wird eine Weile dauern“, sagte Philip und wischte seine Hände an der Hose ab. „Hoffentlich brauchen sie nicht die ganze Nacht dazu.“
„Du glaubst doch nicht wirklich, daß wir heute in unseren Kojen pennen“, fragte sein Bruder.
„Weiß ich nicht“, brummelte Philip.
Die Göttin war von rund zwei Dutzend singender und tanzender Anbeter umgeben. Die Zwillinge und Clint hörten nur das Klatschen der nackten Füße und den hohltönenden Gesang. Die alten und jungen Männer zwischen den Mauern vollführten einen Lärm, der so laut war, daß die drei Jungen im Versteck befürchteten, die Dörfler würden bald in Scharen erscheinen, um sich das Theater anzuschauen.
„Sie schreien und springen herum“, bemerkte Clint laut und respektlos. „Die werden in der Nacht ganz schön müde sein.“
„Ja und heiser auch“, murmelte Hasard junior.
Sie warteten und schlugen fluchend weitere Mücken tot. Es dauerte mindestens eine Stunde, bis der Gesang leiser wurde und schließlich aufhörte. Mit glücklichen Gesichtern und lachend traten die Pilger nacheinander aus dem Tempel, stiegen die Treppenstufen hinunter und drehten sich ab und zu um. Sie winkten fröhlich zum Tempel zurück und waren schweißüberströmt. Die Farben und die Aschestreifen auf ihren Gesichtern und Oberkörpern waren verschmiert, breite Bäche aus Sehweiß rannen über die braune Haut.
„Das Gold haben sie nicht dabei“, sagte Philip junior leise. „Recht so, ihr Tänzer.“
Zur Sicherheit warteten sie hoch länger als eine Viertelstunde, nachdem der letzte Pilger den Tempel verlassen hatte und den Hügel hinuntergetappt war. Irrwischen stand die Sonne eine Handbreite über den Palmenwipfeln. Über dem Meer erhob sich eine helle Wolkenwand. Die Kette aus Indern und Seewölfen, die von der Schebecke bis zur Siedlung reichte, gelangte zum Stillstand. Offensichtlich waren sämtliche Laderäume geleichtert worden.
Hasard junior schob sich als erster aus den Büschen heraus und streifte die zerquetschten Reste der Mücken von seinen Oberarmen.
„Die Kisten haben sie nicht mitgenommen“, stellte er fest. „Also müssen sie irgendwo im Tempel sein. Sehen wir nach.“
Clint robbte zwischen den untersten Zweigen hervor und war ebenso zerstochen wie seine Kameraden.
„Das hätte ich nicht geglaubt“, meinte der Moses kopfschüttelnd. „Ich wäre an ihrer Stelle mit dem Gold abgehauen. Ganz weit weg.“
„Du bist auch kein tanzender, halb verhungerter Inder oder Ceylonese“, entgegnete Philip und kletterte, jede Deckung ausnutzend, hinter seinem Bruder her.
Sie schwangen sich, die Hände an den Lianen, auf den Pfad entlang der Mauer, liefen zum Eingang und horchten auf Geräusche. Der große Raum im Tempel war leer, Kali hatte ein paar Blumen mehr in ihren sternförmig auseinandergereckten Armen.
Die drei jungen Seewölfe schauten hinter die Statue, in die leeren Mauernischen, neben den Sockel, auf dem die Figur der Göttin stand. Der Tempelraum war leer.
„Wo ist das Gold?“ fragte sich Clinton laut. Er legte den Kopf in den Nacken und blickte in das runde Gewölbe hinauf. Von den Kisten gab es ebenso wenige Spuren wie von ihrem Inhalt. Die Seewölfe und der Moses blickten einander voller Verblüffung an.
Dann sagte Philip: „Vielleicht haben sie es woanders versteckt. Zwischen den Totenschädeln oder irgendwo draußen. Vergraben kann man vier Kisten auch.“
Einer ging nach rechts, die beiden anderen nach links, und dann fingen sie rund um den Tempel, entlang der Mauern und zwischen den Wurzeln zu suchen an. Aber auch nach einer weiteren halben Stunde hatten sie weder die Kisten gefunden noch ein Zeichen dafür, daß sie vergraben worden waren.