Kitabı oku: «Seewölfe Paket 35», sayfa 16
4.
Der große Schirm aus geflochtenen Palmblättern, mit langen Grasfransen an den Rändern, warf keinen brauchbaren Schatten mehr. Die Sonne stand in der vierten Stunde zwischen Mittag und Abend.
Ginjal Chand klatschte in die Hände und sagte: „Wir haben genug gesehen. Gehen wir ins Haus und denken darüber nach, was wir tun können.“
„Noch erkenne ich keinen Vorteil für dich, Herr“, antwortete der Schreiber Arun höflich. „Aber du wirst es mir sicherlich sagen.“
„Wenn es an der Zeit ist.“
Die Sonne blendete unter dem Rand des Schirms, die Hitze nahm wieder zu. Der Diener Sandhu hatte zwar die Bodenplatten mit Wasser bespritzt, nachdem er aus der Hafenbucht zurückgekehrt war, aber die Feuchtigkeit war längst vergangen, aufgezehrt von der Sonnenglut.
Die Neuigkeiten und Nachrichten, die Sandhu von der Bucht mitgebracht hatte, erforderten langes Nachdenken. Der Kaufmann warf einen langen Blick hinüber zum Tempel, der sich scharf gegen den westlichen Horizont abzeichnete.
Die Pilger, deren Gesang bis zur Sonnenterrasse herüber zu hören gewesen war, hatten den Kali-Tempel unter den Bäumen verlassen und befanden sich in der Siedlung. Wahrscheinlich schliefen sie, von ihren rhythmischen Tänzen erschöpft, oder sie erbettelten ein Essen von den Bewohnern.
Chand stieß in seinem Arbeitszimmer die Läden auf und sagte sich, daß kein Mensch je eine solche Menge Silber und Gold gesehen hatte – wenn wirklich jede Kiste einen Teil des Schatzes enthielt. Er gönnte nicht ein Körnchen davon den Fremden, den Portugiesen oder den Spaniern. Aber er konnte die Beute aus ihren Laderäumen auf keinen Fall mit Gewalt herausholen, und es fiel ihm auch keine List ein.
„Ich werde warten, was passiert“, meinte er und hörte vom Dorf das Trillern der Flöte. Praskat Nath, der Schlangenbeschwörer, unterhielt die Leute von den Booten mit seiner tanzenden Königskobra.
Bevor die Flut nicht auflief und das Wasser nicht stieg, würden sich die drei Schiffe nicht bewegen können.
Aber was taten die Männer?
Wieder richtete er seine Blicke zum Hafen. Die Decks der Karavelle und der Galeone waren voller Seeleute. Die Geschütze, feuerbereit und ausgerannt, richteten sich auf das lange, schlanke Schiff. Die Portugiesen und Spanier waren bewaffnet, die Männer spazierten an Deck herum, und neben den Geschützen schwelten Lunten.
Die Bevölkerung hatte sich verlaufen.
Einige Gruppen derjenigen Männer, die vom indischen Festland erschienen waren, hatten sich über die trockenen Teile im Südosten entfernt. Sie waren mit ihrer Beute unterwegs zur festen Küste der kleineren Insel. Ceylon war nicht weit, sie würden es erreichen, ohne von der Flut überrascht zu werden. Schade um das viele Gold und Silber, dachte er – wahrscheinlich waren die Kisten doch gefüllt, denn sonst würden die Gläubigen nicht diese schweißtreibenden Anstrengungen unternehmen.
„Buddha sagt, daß gestohlene Schätze ins Verderben führen“, murmelte er. „Haben die Engländer tatsächlich alles zusammengestohlen? Aus Tempeln? Auf ihrer Fahrt entlang der Küste?“
Die meisten Tempel befanden sich so weit von den Häfen entfernt, daß Seeleute sie erst gar nicht sahen. Oder aber sie waren wirklich Piraten und Tempelschänder.
„Buddha sagt auch, daß man wohltätig und freundlich zu Fremden sein muß“, sagte er und klatschte in die Hände.
Der Schreiber trat ein.
Der Kaufmann befahl: „Richte Sandhu, Rajpal und Nalini aus, sie sollen sich im Dorf umsehen und umhören. Auch die Fremden müssen sie belauschen. Sie sollen zurückkehren und mir berichten, wenn es dunkel geworden ist.“
„Ich schicke sie sofort aus dem Haus, Herr“, sagte der Schreiber.
Die Tür schloß sich hinter ihm. Chand, der die Lehren Buddhas hochschätzte und so gut wie möglich auch befolgte, freute sich darüber, daß Buddhas Zahn dem Räuber wieder abgenommen worden war. Der Weg zum Tempel des Zahns in Kandy war weit und gefährlich, und es würde sehr lange dauern, bis die Reliquien wieder an ihrem angestammten Platz sicher verwahrt war.
Aber Ginjal Chands Gerechtigkeitssinn sagte ihm, daß es nicht gerecht war, den Lehren des Weisen widersprach und, wie die letzten Stunden gezeigt hatten, ein Frevel war, fremden Seefahrern ihren Besitz zu rauben.
Im Augenblick wurde im Umkreis der Bucht nicht gekämpft, die Hitze des Nachmittags schien alle, Einheimische wie Fremde, erschöpft zu haben. Er zählte die Geschütze der Engländer und der anderen, verglich die Zahl und führte Gesten der Ratlosigkeit aus.
„Ich warte ab, was geschehen wird. So will es Buddha“, murmelte er und widmete sich wieder seinen Arbeiten.
„Wo haben sie das verdammte Gold versteckt, diese verrückten Kalianbeter?“ Clint Wingfield wischte den Schweiß von seiner Stirn und kratzte sich im Nacken. Ratlos zuckte er mit den Schultern. Die drei Seewölfe standen wieder vor der blumengeschmückten Kali, die rätselhaft und schweigend in die Ferne starrte.
„Wo würden wir die Kisten versteckt haben?“ rätselte Philip junior.
Wieder suchten die Zwillinge die Wände ab, stocherten mit den Messerklingen in den breiten Fugen und klopften gegen die Steine.
„Nichts!“
Clints Blicke glitten von den abgewinkelten Armen über den Körper der Göttin zu ihren überkreuzten Beinen, vom Sockel und den vielen abgefallenen, vertrockneten und faulenden Blütenblättern hinunter zum Boden. Plötzlich grinste der Moses und bückte sich.
Rechts vom Sockel waren die Blüten zur Seite geschoben, als ob die Pilger mit Händen und Füßen auf den glattgetretenen Steinen gescharrt hätten. Einen Atemzug später sah er, daß an einigen Stellen in den Fugen kein Schmutz und Staub oder festgetrockneter Lehm steckte. Er griff zu seinem Messer, kniete sich vor die Zehen der Göttin und schob die Schneide in einen Spalt.
„Ich glaube, ich hab etwas gefunden“, sagte er und versuchte, den Stein, doppelt so groß wie seine Hand, in die Höhe zu hebeln. Knirschend bewegte sich der Brocken, und schließlich konnte Clint seine Fingerkuppen in den Spalt zwängen.
„Tatsächlich.“ Hasard junior staunte und half mit seinem Messer nach. „Hier, faß an.“
Sie hoben den dicken Stein in die Höhe und sahen eine Schicht hellen Sand. Die unregelmäßigen, an der Oberfläche aber glatten und glänzenden Steine waren unterschiedlich groß und ließen sich jetzt leicht herausnehmen und hochheben. Alle drei packten mit an und hantierten immer hastiger. Schließlich waren ein Dutzend Bodenplatten auf einen Haufen geschichtet. Clint wühlte und scharrte im Sand.
„Ich hab’s!“ rief er unterdrückt. „Holz, Tampen. Und so schwer wie unsere Goldkisten.“
Sand rieselte an den Seiten eines viereckigen Gebildes nach unten. Clint schob seine Finger unter die Kiste, hob sie hoch und stellte sie auf den glatten Teil des Bodens.
„Du hast sie gefunden“, sagte Hasard halblaut und bewundernd und schlug ihm auf die Schulter. „Aber wir sollten nicht herumtrödeln.“
Die Kali-Anbeter hatten tatsächlich alle Kisten zu Füßen ihrer Göttin versteckt. Philip und Hasard halfen dem Moses, die schweren Kisten aus dem Sand zu heben und schichteten die Steine wieder so nebeneinander, daß sie einigermaßen gerade lagen. Zuvor waren Clint und Hasard nach draußen gelaufen und hatten Aststücke und ein paar Handvoll kleinere Steine zusammengetragen.
„Also“, sagte Philip und zerrte eine Kiste über die Schwelle, „vorher hat der Boden besser ausgesehen.“
„Das ist jetzt gleichgültig. Wir sollten die Kisten zum Schiff zurückbringen“, ächzte Clint und half Hasard, die zweite, schwerere Kiste ins Freie zu bringen.
„Nein. Nicht zum Schiff. Dort würden sie es zuerst suchen“, erklärte Hasard.
„Wer wird suchen?“ fragte Clint.
In großer Eile hatten sie die schweren Kisten auf den Pfad geschleppt, auf dem sie abwärts geschlichen waren, als sie sich vor den Pilgern versteckten.
„Die Pilger. Oder die Leute aus dem Dorf. Ich weiß es auch nicht“, erwiderte Hasard und hob die kleinste Kiste auf die Schulter. „Jedenfalls verstecken wir das Gold nicht auf dem Schiff.“
„Verdammt schwer“, meinte Clint. „He, pack an, Philip.“
Sie liefen hin und her, immer nur ein paar Schritte und schleppten die Kisten und die in Leder und Stoff eingeschlagenen Bündel in mehreren Etappen aus dem Bereich des Tempels, zwischen den Bäumen zum Rand des Hügels und im langen Schatten der Baumkronen auf den Pfad, den sie selbst durch Gras und Ranken getreten hatten. Die Kisten waren höllisch schwer und schienen schwerer zu werden, je länger die drei Seewölfe ihren erbeuteten Tempelschatz abwärts wuchteten.
„Hoffentlich sieht uns niemand“, sagte Hasard und war sicher, daß mindestens ein Behälter geöffnet und wieder zusammengeschnürt worden war. Er schätzte, daß die frommen Männer nichts vom Gold genommen und sich nur vergewissert hatten, daß sie wirklich eine wertvolle Opfergabe in den Händen hatten.
„Ich kann niemanden sehen“, erwiderte sein Bruder, der nach allen Seiten sicherte. „Die kleinen braunen Kerle haben sich in den Schatten verholt. Oder sie sind beim Essenkochen.“
„Jetzt sind wir wirklich echte Tempelräuber geworden“, sagte Clint und zerrte die Kiste über das staubige Gras. Sie verschwanden wieder in dem Graben, schlichen durch die Büsche und eilten dann geduckt zu zweit, jeweils eine Kiste schleppend, bis zum Waldrand und ebenso schnell wieder zurück.
„Wir vergraben es am Strand“, entschied Hasard, als sie keuchend und schwitzend zwischen den Palmenstämmen standen und einigermaßen sicher waren, einen Teil des unersetzlichen Goldschatzes gerettet zu haben. „Wir merken uns einen bestimmten Baum und vergraben die Kisten im Sand. Klar?“
„Einverstanden. Und dann verstecken wir uns wieder beim Tempel. Dort wird uns niemand suchen.“
„Auch gut“, antwortete Hasard seinem Bruder. „Los. Ein schönes, tiefes Loch.“
Die drei Seewölfe scharrten mit den Händen zwischen drei Palmenstämmen, sieben Schritte von einem bizarren Stück kreideweißen Treibholzes entfernt, eine Grube. Der Sand rieselte immer wieder in den Mittelpunkt des trichterförmigen Loches zurück. Drei oder vier Fuß tief kratzten sie den feuchten Sand auseinander, dann stellten sie die drei Kisten hinein und schaufelten und schoben den Sand darüber. Einige Minuten später gab es nur noch unverdächtige Spuren, und die auflaufende Flut würde die Oberfläche des Verstecks glätten.
„So!“ sagte Hasard mit Nachdruck. „Der Tag war doch nicht ganz verloren.“
Sie brauchten jetzt nicht mehr zu hasten. Langsam setzten sie sich in Marsch und bewegten sich auf ihren eigenen Spuren durch den Wald zurück, auf die Büsche und die Gräben des Hügels zu.
„Es ist noch nicht dunkel genug“, sagte Clint nach weiteren zwanzig Schritten bergauf.
„Zu was ist es noch nicht dunkel genug?“ fragte Hasard.
„Um irgendwo einen Happen Essen zu klauen. Oder willst du zur Schebecke und warten, was der Kutscher brät?“ erkundigte sich der Moses.
„Noch nicht“, murmelte Philip. „Vielleicht finden wir im Dorf etwas, das uns weiterhilft.“
„Vielleicht“, Hasard hob die Schultern.
Sie erreichten ungesehen, wie sie glaubten, den Tempel im Schatten der Bäume, tappten entlang der muffigen Mauern und setzten sich schweigend nebeneinander auf eine geborstene Steinschwelle.
Sie musterten die Karavelle und die Galeone, sahen die ersten großen Wellen der Brandung, schauten hinüber zu dem auffälligen Haus, zu den ärmlichen Schuppen am Hafen und zur ceylonesischen Uferlinie – und plötzlich sagte der Moses: „Ein Schiff! Mit Kurs auf Mannar.“
Er streckte den Arm aus und deutete zu einem Dreimaster. Rumpf und Rahsegel lagen im Sonnenlicht und wurden so grell beleuchtet, daß nicht mehr oder Einzelheiten zu erkennen waren. Im Augenblick sah es wirklich so aus, als wolle das Schiff – es war eine Galeone – die Stelle anlaufen, an der die Schebecke angelegt hatte. Die Entfernung betrug drei Seemeilen oder etwas weniger.
Voller Verblüffung sagte Hasard junior: „Noch so eine spanische Galeone. Die Dons erscheinen zu spät. Das Gold ist weg.“
„Kann auch ein verdammter Portu sein“, meinte Clint.
„Auch das.“
Vom höchsten Punkt der Gegend sahen sie mehr als die Seewölfe und die Crews der anderen Schiffe. Sandbänke, einzelne Landzungen und Gebüsch verhinderten die Sicht.
„Wenn er nicht bald beidreht, rammt er seinen Kiel in den Schlamm“, sagte nach einer Viertelstunde der Moses.
„Geschieht ihm ganz recht“, antwortete Hasard.
Auch die bewaffneten Portugiesen und Spanier auf dem Steg und entlang der Steuerbordseite der Schebecke wurden von der Sonne geblendet, wenn sie in die Richtung blickten, in der die Galeone segelte. Die Galeone kreuzte im Westen vor Mannar-Island, ging über den anderen Bug und stampfte in der Brandung.
Hasard sagte nachdenklich: „Der Kapitän kennt das Fahrwasser. Ich denke, sie suchen eine Bucht, um den Anker fallen zu lassen.“
„Stimmt“, erklärte sein Bruder. „Den schönen, abwechslungsreichen Hafen von Mannar steuert er nicht an.“
„Er versucht, nach Süden zu gehen“, sagte Clint schließlich. „Wahrscheinlich will er in einer besseren Bucht als in dieser hier die Nacht abwarten.“
„So würde ich auch verfahren“, sagte Philip.
Die ersten auslaufenden Wellen leckten über den Schlick. Die Brandungswogen waren höher und brachen sich gischtend. Die Sonne brannte auf die Segel und den weißen Stander mit dem roten Kreuz darin.
Hasard lachte, schlug sich auf die Schenkel und sagte voller Freude: „Wenn ich nicht halb blind bin – das ist ein Niederländer.“
Ein Windstoß ließ die Segel killen und bewegte die Flagge. Farben und Formen schienen durcheinanderzuwirbeln. Hasard senkte den Kopf und überlegte, ob er wirklich eine holländische Flagge gesehen hatte, und was die Ankunft des Schiffes zu bedeuten hatte.
Ein Vorteil oder ein Nachteil – ein weiterer Nachteil – für die Seewölfe?
Bisher war er ziemlich sicher gewesen, was er zu tun hatte. Jetzt breitete sich in seinen Gedanken eine lähmende Ratlosigkeit aus. Während er verzweifelt nachdachte und nach einem besonders guten Einfall suchte, entfernte sich die Galeone und steuerte eine Bucht an, deren Ausdehnung für die drei Seewölfe nicht genau zu erkennen war. Mannar war einwandfrei nicht das Ziel dieses Schiffes.
Schließlich wußte Hasard junior, was sie unternehmen mußten. Leise beriet er sich mit dem Bruder und Clint. Je länger sie über ihren Plan sprachen, desto sicherer waren sie, daß er auch durchzuführen war.
Philip Hasard Killigrew hockte im Schatten, den das Schanzkleid warf, auf der Back. Er hielt den Kopf in beide Hände gestützt, seine Augen waren dunkel von verhaltener Wut. Am meisten störte ihn die Gewißheit, daß er vorläufig zum Warten gezwungen worden war. Erst während des höchsten Standes der Flut konnte die Schebecke um neunzig Grad gedreht werden oder freikommen. Dann erst würde Al Conroys Culverinen den Portus und Dons die gebührende Antwort auf die beispiellose Frechheit geben können.
Die wenigen Seewölfe, die sich an Deck befanden, wurden von fast dreißig Kerlen bewacht und bedroht. Die Dons und Portus trugen Helme und Halbrüstungen, schußbereite Musketen, doppelläufige Pistolen, Degen und schwere Säbel. Daß unter Deck mindestens die doppelte Anzahl feuerbereiter Schußwaffen bereitgehalten wurde, wußten die Bewacher nicht.
Die Drehbassen waren in die Waffenlast verbracht worden. Die Schebecke bot, notgedrungen, einen überaus friedlichen Eindruck, der noch dadurch verstärkt wurde, daß der Essensgeruch von der Kombüse her in der Nachmittagshitze träge entlang des Rumpfes zog.
„Mir ist auch nichts eingefallen“, versuchte Ben Brighton den Kapitän zu beruhigen. „Deine Söhne und der Moses sind an Land. Du weißt, daß sie für jede Überraschung gut sind.“
Sie sprachen leise miteinander, während Dan O’Flynn auf der Kuhl an seinen Karten und Berichtigungen zeichnete und schrieb.
„Auch für böse Überraschungen“, antwortete Hasard und fuhr in unterdrückter Erregung mit den Fingern durch sein dichtes Haar. „Das Gold ist weg. Bis auf ein paar Lederbeutel in meiner Kammer, die sie nicht gefunden haben. Ich bin sicher, daß wir es mit vier verschiedenen Gruppen zu tun haben.“
„Mit den räuberischen Kerlen von der Iberischen Halbinsel in erster Linie“, stimmte Ben Brighton zu.
„Und mit gläubigen, götterverehrenden Indern und Ceylonesen“, fuhr Hasard fort. „Sie werden das Gold des Padischah ihren Götzen zurückgeben.“
„Und dort klauen es andere“, sagte Ben und stieß ein kurzes Lachen aus. „Im Ernst, Sir: beim Rest handelt es sich um goldgierige, erschreckend arme Rübenschweine.“
„Portus, Dons, Arme und Fanatiker. Eine feine Mischung“, murmelte der Seewolf. „Von den Portus und den Dons können wir mit viel Glück den Schatz wieder zurückholen.“
„Nach einer Seeschlacht, die in diesem lausigen Hafen stattfindet?“ Der Erste drückte in einem Satz die gesamte Tragweite des Mißgeschicks aus. „Jedenfalls hat es viele blaue Flecke, zerbrochene Knochen und Messerwunden gegeben. Aber keinen Toten.“
„Noch nicht. Die Fanatiker scheinen spurlos verschwunden zu sein.“ Ben hatte es aufgegeben, mit dem Spektiv nach den Gruppen zu peilen, die sich schnell zerstreut hatten.
Hasard antwortete: „Ein Teil ist in Richtung des Dorfes abgehauen. Die anderen sind nach Ceylon hinübergewatet.“
„Ischwar Singhs Schatz. Elf Tonnen“, fuhr der Seewolf nach einer Weile fort. „Sein Vertrauen hat ihm und uns nicht viel genutzt. Ich habe nicht die windigsten Vorstellungen darüber, wie wir diese Menge wieder finden und zusammenbringen. Dieser Malindi! Wenn ich den in meinen Fingern hätte …“
„… dann würde ich dir dabei helfen.“ Der Erste schloß seine Finger zur Faust und hob sie. Das ohnmächtige Warten zerrte ebenso an seinem Stolz wie der Ärger darüber, daß sich so kurz vor dem Ziel ein scheinbar harmloser Zwischenfall zu einem solchen Desaster entwickelt hatte.
„Unter Deck gärt es“, sagte er. „Da glimmt eine lange Lunte, dicht am Pulver. Die Arwenacks zittern vor Wut. Sogar Plymmie knurrt ununterbrochen.“
„Kann ich gut verstehen.“ Der Seewolf nickte und blickte hinüber zu den Wachen am Steg.
Zwar zielten die Mündungen der Waffen nicht mehr auf einzelne Seewölfe, aber die Seeleute wirkten nicht im mindesten müde oder schläfrig. Die Gefahr war nicht geringer geworden, wie es jetzt aussah, würden die Portus und die Dons ihre Schiffe nachts keinesfalls unbewacht lassen. Im Gegenteil: sie mußten damit rechnen, daß El Lobo de mar blitzschnell und gnadenlos wieder zupackte.
Hasard sagte nach einigem Nachdenken: „Wir warten erst mal auf die Jungen. Sie wissen wahrscheinlich was an Land vorgefallen ist.“
„Wie ich deine Söhne kenne, warten sie die Nacht ab“, erwiderte der Erste. „Wir werden also noch eine Weile ausharren müssen.“
Die ersten Wellen der auflaufenden Flut zischten schäumend über Schlick und Sand. Die Sonne näherte sich südlich einer aufflammenden Wolkenwand dem westlichen Horizont. Fast ohne die Flügel zu bewegen, segelte eine Schar Marabus über die Bucht. In den Mangroven jenseits des Palmenwaldes trompeteten Kraniche oder andere Vögel, deren Namen die Seewölfe nicht kannten.
Die Stille und die Bewegungslosigkeit, die sich dann ausbreiteten, waren nicht echt. Es war tatsächlich so, als brenne eine Lunte ab, die in ein Pulverfaß führte.
5.
Hasard junior holte tief Luft und spannte seine Muskeln. Dann hob er den Zeigefinger und sagte: „Es gibt genügend Verstecke für uns. Du schleichst dich jetzt dorthin, Clint. Du weißt, um was es geht?“
Er zeigte zu dem ersten Haus des Dorfes, westlich des Tempelhügels und zwei Kabellängen von dem Ziegelbau neben der Weggabelung entfernt. Dort stieg hinter einer braunen Lehmmauer eine dünne Rauchsäule schräg in die Luft.
„Ich weiß“, erwiderte der Moses und nickte ernsthaft. „Aber ich stürme dann zu euch. Seid ihr auch fertig?“
„Keine Sorge“, entgegnete Philip und zog das Messer. „Wir sind dann auch soweit.“
„In Ordnung.“
Der Moses schnürte wie ein Fuchs nach links den Hügel abwärts, schlug einen Bogen um die mächtigen Wurzeln und verschwand hinter dem halb mannshohen Gras und den Disteln.
Hasard und Philip sprangen auf, zerrten Aststücke aus dem Gras, warfen sie neben dem Stück einer zerbrochenen Säule in den Sand, rafften trockene Blätter zusammen und schnitten Zweige von den Büschen. Sie mußten ein Dutzend Schritte nach rechts laufen und schichteten, damit nicht die Baumkronen angegriffen wurden, einen ständig wachsenden Stoß aus dürren und feuchtem Holz schräg am Hügelhang auf.
„Also“, sagte Philip junior keuchend, „wenn uns jetzt niemand sieht, dann sind die Mannar-Leute allesamt blind.“
„Jetzt spielt es auch keine große Rolle mehr“, entgegnete der Bruder. „Hoffentlich ist Clint bald wieder hier.“
Sie schnitten mit den Messern trockenes Gras in Büscheln ab und warfen es auf den Haufen. Hasard fand einen schenkeldicken Ast, halb vermodert und knochentrocken. Er zerrte ihn den Hang aufwärts und wuchtete ihn zwischen die anderen Bestandteile des halb mannshohen Haufens.
Hasard unterbrach seine Schufterei kurz und schirmte die Augen mit der flachen Hand ab. Er blickte nach Südosten und glaubte zu erkennen, daß die Galeone hinter der. Landzunge ankerte oder kurz davor stand, den Anker fallen zu lassen.
„Wenn sie uns so deutlich sehen wie wir sie“, sagte er schwitzend, „dann war unser Plan nicht schlecht. Weiter.“
Sie fanden, ehe Clinton wieder heranhastete und keuchend einen dicken, rotglimmenden Knüppel schwang, noch genügend Holz, das schon solange herumgelegen hatte, daß es sie keine Mühe kostete, es in armlange Stücke zu brechen.
„Hast du einen erschlagen müssen wegen der Fackel?“ fragte Philip mit breitem Grinsen.
Der Moses schüttelte lachend den Kopf und brachte stoßweise hervor, zwischen den einzelnen Worten nach Luft schnappend: „Hab gewartet. Bis keiner da war. Vielleicht haben sie mich gesehen. Von achtern.“
Er kniete sich vor den Stapel, blies auf die Glut und schob das Ende zwischen die raschelnden Blätter. Sie begannen zu schwelen, und als Hasard aus vollen Lungen hineinblies, züngelten die ersten winzigen Flammen. Sekunden später ringelten sich Rauchfäden in die Höhe, die Flammen fingen zu prasseln an. Clint sprang zurück, als sich dunkler Qualm entwickelte.
„Brennt!“ sagte er zufrieden.
Sie wichen vor der Hitze und den prasselnden Flammen drei Schritte zurück. Philip und Hasard hatten große Äste voller frischer, saftiger Blätter in den Händen und warteten, bis das Feuer hochloderte und sicher brannte. Als sie fast gleichzeitig die Blätter in die Flammen hielten, änderte sich die Farbe des Rauches.
Aus hellem Grau wurde fettes Schwarz. Eine große, runde Wolke brodelte hoch und stieg vor den Kronen der Bäume schräg nach Osten.
Die Zwillinge zogen ihre knackenden Äste zurück. Die Blätter schmorten. Clint hatte begriffen und hetzte hinüber zu den Büschen. Er kehrte, als Hasard und Philip den zweiten schwarzen Rauchball erzeugten, mit einem Arm voller grüner Zweige zurück.
„Hoffentlich sieht der Holländer unsere Zeichen“, stieß der Moses hervor.
Hasard nickte. Ihm war viel wichtiger, daß der Kapitän der Galeone die Zeichen richtig deutete. Aber durch welches Signal konnte er dem Niederländer mitteilen, daß Gold gestohlen und Spanier wie Portugiesen die Gegner eines Engländers waren, ganz zu schweigen von allen anderen Schwierigkeiten? Der nächste dunkle Rauchball entfaltete sich über den Baumkronen. Die Sonne brannte noch immer grell, und die Flammen waren kaum zu erkennen.
Aber der dunkle Rauch, der nur langsam davontrieb, war überaus deutlich zu sehen.
Die Seeleute auf der Karavelle schienen die Rauchzeichen gesehen und erkannt zu haben, daß die Engländer dahinterstecken mußten.
Während die nächsten frischen Äste verbrannten, begannen die Wachen auf dem Steg zu brüllen. Zwei Musketenträger knieten auf die Planken nieder und zielten.
Auch im Dorf wurden die Ceylonesen aufmerksam. Zwischen den Häuserwänden tauchten die ersten braunen Gestalten auf.
„Weiter! Bis es nicht mehr geht. Wir rennen wieder zum Strand“, entschied Hasard.
Der erste Musketenschuß heulte zirpend durch die Luft. Dann drang schwach der peitschende Krach der Explosion an die Ohren der drei Seewölfe. Wieder flogen einige Arme voll frischer Zweige in die Flammen.
Die Vorderfront des Tempels und die Bäume verschwanden im dicken Rauch. Ein grauer Schleier zog den Hang abwärts und stieß mit lautlosen Zungen in die Richtung auf Mannar vor.
„Die feuern auf uns, die Kerle“, sagte Philip in einem Tonfall, als wäre er darüber verwundert.
„Würde ich nicht anders halten“, murmelte sein Bruder.
Die Inder hasteten heran. Die zweite Kugel fetzte durch die Baumkrone und ließ zerrissene Blätter regnen. Wieder ertönte das scharfe Krachen.
Das Sonnenlicht ließ die dunklen Rauchschwaden deutlich vor dem hellen Himmel hervortreten. Die letzte schwarze Wolke stieg aus den heruntergebrannten Resten des gewaltigen Feuers hoch, als die drei Seewölfe um die Feuerstelle herumliefen und den Hang hinunterstürmten, wieder auf ihren eigenen Spuren.
„Mehr konnten wir nicht zeigen!“ rief Clint. „Verdammt viel Rauch!“
„Gut so“, sagte Hasard und hastete durch die schmale Gasse im Bambus. „Im Palmenwald scharf nach rechts, Leute.“
„Verstanden.“
Sie liefen, duckten sich, sprangen über Gräben und wateten durch einen breiten Streifen Morast. Dann waren sie zwischen den knarrenden Stämmen der Palmen und schlugen einen Haken.
„Warum nicht zum Schiff?“ wollte Clint nach drei Dutzend Schritten wissen.
„Weil dort die Portus mit Musketen stehen und genau auf uns warten. So blöde, daß sie uns für Singhalesen halten, sind die leider nicht.“
„Du hast recht. Wir schwimmen vielleicht nachts zum Schiff zurück“, sagte Philip.
Sie sparten ihre Luft für die Versuche, ungesehen durch den Palmenwald, an dem breiten Streifen Mangroven vorbei und am Rand weiterer Felder vor den Indern zu fliehen. Die Portugiesen rührten sich nicht vom Steg weg, und die drei Seewölfe hatten auch niemanden gesehen, der über die Laufplanke stürmte und sie zu verfolgen begann. Der faulige Geruch eines überfluteten Reisfeldes blieb hinter ihnen zurück, der Rand eines dschungelartigen Waldes rückte näher.
Ihre Schritte wurden langsamer. Jetzt spürten sie Hunger und Durst mehr als in den Stunden zuvor. Um ihre vergrabene Beute sorgten sie sich nicht, noch nicht. Schließlich gingen sie mit stolpernden Schritten weiter und entfernten sich vom anderen Ende des Dorfes.
Die Ceylonesen, die von Mannar zum Tempel gelaufen waren, steckten noch immer im Rauch, der sich in die Senke geschoben und einen nebelartigen Vorhang dicht über dem Boden gebildet hatte. Von hier aus waren nicht mal die Mastspitzen zu sehen.
„So“, sagte Hasard nachdrücklich. „Jetzt sehen wir uns das Dorf mal genauer an.“
„Und wenn uns die Dörfler entdecken und jagen?“ fragte der Moses.
„So schnell erwischen uns die Landratten nicht“, erklärte Philip. „Wir müssen nur vorsichtig sein.“
Sie fanden einen Feldweg, der zwischen den Weiden und Gärten auf das Dorf zuführte. Schlangen raschelten durch das Gras, zwei Schildkröten schoben sich träge quer über den Fußpfad. Fliegenschwärme flogen auf und summten um die Köpfe der drei Seewölfe, die auf das westliche Ende des Dorfes zuhielten. In einem Tümpel standen Wasserbüffel bis zum Bauch im Schlamm und beäugten träge die Fremden.
„Da steht das Abendessen“, murmelte Hasard. „Steaks für die ganze Crew.“
Philip lachte auf.
„Mit dem Gold, das wir nicht mehr haben, könnten wir alle Herden Indiens kaufen“, meinte er und watete durch einen winzigen, halb schlammigen, halb ausgetrockneten Bach.
Obstbäume, niedrige Büsche, ein paar Zäune, etliche Mäuerchen und eine winzige Brücke über das Rinnsal zeigten den drei Seewölfen, daß sie sich menschlichen Behausungen näherten. Rauch hing in der Luft, es roch nach Vieh und fremdartigen Gewürzen. Leise Stimmen waren zwischen den Mauern von Höfen und Häusern zu hören, irgendwo blies ein Ceylonese auf einer Flöte. Geduckt schlichen die Seewölfe näher und hoben die Köpfe über den Rand einer Mauer.
„Merkwürdig“, sagte Philip und schaute in einen menschenleeren Hof. „Eigentlich sollte doch jemand arbeiten. Die Felder sind leer, und hier ist auch keiner.“
Hasard sicherte seinen Stand auf einem wackligen Stapel flacher Ziegelsteine und versuchte, die Ausdehnung der Siedlung abzuschätzen.
„Sie sind in den Häusern, denke ich“, meinte er. „Und dort drüben sehe ich Leute auf ihren Feldern.“
„Wahrscheinlich zählen sie Silberstücke und Gold“, bemerkte der Moses.
Sie gingen langsam weiter, spähten um eine Ecke und erkannten, daß sie tatsächlich das Ende eines großen Dorfes erreicht hatten. Hinter dem breiten Streifen der Weiden und Felder sahen sie den Waldrand.
Vor ihnen lag eine unregelmäßige Fläche, voller Löcher und Sand, eine Art Dorfstraße oder Dorfplatz. Auf den ersten Blick waren mehr als drei Dutzend Häuser zu zählen, deren Fronten oder Hofeingänge dem Platz zugewandt waren.
Vor jedem Eingang standen oder saßen Dutzende von schmalschultrigen, braunhäutigen Menschen und palaverten. Über den Ereignissen rund um die Bucht schienen sie alles andere vergessen zu haben.
„Friedliche Leute“, murmelte Hasard, nachdem er sich unter den Palmenwedeln und im langen Schatten der Häuser umgesehen hatte.
Solche Siedlungen, größer oder kleiner, hatten sie zur Genüge kennengelernt. Hier schien auch niemand etwas vom Schwarzen Tod gehört zu haben. Nackte Kinder spielten im Staub, balgten sich mit Hunden und ärgerten die Äffchen, die auf den Mauern hockten und sich gegenseitig lausten.
„Jedenfalls prügeln sie sich nicht um das Gold des Padischah“, erklärte sein Bruder und zuckte zusammen, als schräg hinter ihnen ein Ceylonese auftauchte und winkte.