Kitabı oku: «Seewölfe Paket 35», sayfa 25
9.
„Der Vorsprung schrumpft immer weiter zusammen“, erklärte der Mahaut den Zwillingen. „Die Spuren werden frischer. Wir werden noch vor Sonnenuntergang auf sie stoßen. Sie sind sehr langsam.“
Das wurde den anderen Arwenacks übersetzt.
Hasard fragte, ob es Ärger geben würde, aber da war sich der Mahaut nicht so ganz sicher.
„Wir werden alles versuchen, um Ärger zu vermeiden“, teilte er ihnen mit. „Aber manche von ihnen sind unberechenbar. Vielleicht gelingt es uns, sie zu überzeugen, denn das Heiligtum ist ihnen tausendmal wichtiger als alles Gold und Silber dieser Welt.“
Der Morgen hatte begonnen. Die Sonne schien schräg von Osten auf das Dickicht. Einmal hatte es kurz geregnet, und jetzt dampfte der Regenwald, und heißer Brodem stieg von unten auf.
Die Luft war zum Schneiden dick und ließ sich nur schwer atmen.
Dem Profos rann in seiner Sänfte der Schweiß über das Gesicht, immer wieder wischte er mit der Hand über sein Amboßkinn und fluchte verhalten.
„Und die schleppen das Zeug noch teilweise auf ihren Rücken“, erklärte er kopfschüttelnd. „Sag mal, macht dir denn diese Affenhitze überhaupt nichts aus, Batuti?“
Der Hüne von Neger zeigte sein schneeweißes Gebiß. Kein Schweißtropfen war auf seinem Gesicht oder dem Körper zu erkennen.
„Ich fühle mich wohl, Ed, sehr wohl. Fast wie zu Hause in Gambia.“
„Und ich fühle mich wie in der Hölle.“
Der ausdauernde Mann aus Gambia lachte auf seine gutturale Weise, die immer so ansteckend wirkte.
„Dort vorn liegt etwas“, sagte er nach einer Weile.
Der erste Mahaut hielt seinen Elefanten an. Das Tier schwenkte aufgeregt und unwillig den Rüssel von einer Seite zur anderen.
Neben einem Baum lag ein Leopard. Sein Unterleib war aufgeschlitzt, und der Boden mit Blut bedeckt.
Der Mahaut untersuchte ihn und schüttelte fassungslos den Kopf.
„Man hat ihm das Herz herausgerissen“, erklärte er. „Er ist noch nicht sehr lange tot.“
„Dann waren es sicher die heiligen Männer“, sagte Hasard, nachdem die Söhne übersetzt hatten.
„Nein, das tut kein heiliger Mann“, entgegnete der Mahaut. „Sie würden nicht mal einen Leoparden töten, wenn er sie angreift. Er ist ihnen ähnlich heilig wie die Krokodile.“
„Was kann es dann gewesen sein?“
Ein paar waren abgestiegen und untersuchten den Boden. Auch der Kadaver wurde hin und her gedreht. In den Gesichtern der Männer stand Ratlosigkeit.
„Wer weiß, ob die Männer überhaupt so heilig sind“, sagte Carberry. „Das sind doch verrückte Fanatiker.“
„Sie tun es nicht“, wiederholte der Mahaut stur.
Hasard erhielt auf seine Frage keine Antwort weil niemand eine wußte. Es stand nur fest, daß der Leopard durch ein scharfes Messer aufgeschlitzt worden war. Jemand hatte ihm dann das Herz herausgeschnitten. Nur der Zweck war nicht klar.
Die Mahauts tuschelten, tauschten besorgte Blicke und sprachen untereinander von Dämonen.
Als die Sonne den höchsten Punkt überschritten hatte und wie ein gedämpftes Flammenrad über dem Dschungel stand, tauchte eine größere Lichtung auf. Ein kleiner Fluß war zu sehen – und dann ein grausiges Bild, das sich ihnen in die Seele brannte.
Die Elefanten schienen es immer zuerst zu wittern, denn sie schnaubten unwillig, schlenkerten die Rüssel und wurden scheu. Der Leitbulle der Herde trompetete laut und anhaltend.
Etwas weiter rechts zur Mitte der Lichtung hin stand unübersehbar eine Stange im Boden, und auf die Stange war der Kopf eines Mannes gespießt.
Das Gesicht war wie zu einem grauenhaften Schrei verzogen, die Augen geschlossen, der Mund weit geöffnet.
Sie stiegen schaudernd ab und starrten auf die Stange.
Die Mahauts nahmen das wesentlich gelassener hin. Sie blickten ebenfalls den Kopf an und nickten sich zu.
Der Seewolf ging ein paar Schritte weiter, denn trotz der gräßlichen Mimik kam ihm das Gesicht irgendwie bekannt vor.
Der Profos und die anderen folgten ihm. Carberry stand schluckend vor der Stange und fühlte, wie sich sein Magen umdrehte.
Dieser Kopf schien ihn anbrüllen zu wollen in einem namenlosen und wilden Schrei.
Dann erkannte er zu seinem Entsetzen die Zeichnung auf dem Kopf. Dort hatte man die Haare abgesengt, aber die Tätowierung war noch klar und deutlich zu erkennen.
„Der Läusekerl, den wir von der Insel geholt haben“, sagte Carberry. „Malindi Rama.“
„Kein Zweifel, er ist es“, erwiderte Hasard tonlos. „Himmel, was mag hier vorgefallen sein? Das ist ja grauenhaft. Er scheint ebenfalls hinter dem Zahn hergewesen zu sein.“
Der Mahaut ließ es sich übersetzen und nickte dann, als sei das absolut verständlich.
„Er ist hinter den heiligen Männern hergeschlichen“, sagte er. „Und er war es auch, der den Leopard getötet hat. Er ist ein Teufel, und er hat seine Strafe verdient.“
„Er hat den Zahn stehlen wollen?“ fragte Hasard.
„Ja, zum zweitenmal, aber die heiligen Männer haben ihn dabei erwischt. So endet jeder Frevler, der die Gottheit beleidigt. Sie haben seinen Kopf zur Warnung und zur Schande abgeschnitten und auf diese Stange gesteckt. So wird er nie ins Nirwana eingehen, denn der Weg in die Seligkeit bleibt ihm für alle Zeiten versperrt. Sie müssen ihn heute nacht getötet haben.“
„Malindi Rama“, wiederholte Ferris leise. „Dem haben wir den ganzen Ärger zu verdanken. Der Kerl hat durch seinen dreisten Diebstahl eine Menge Leute auf dem Gewissen. Uns hat er jedenfalls nichts als Ärger bereitet, ohne ihn wären wir längst in Madras.“
„So ist es“, sagte Hasard. „Was aber haben sie mit seinem Körper getan?“
„Ihn weggeworfen wie einen Kadaver“, sagte der Mahaut. „Irgendwo in den Dschungel oder auch in den Fluß. Wenn Kopf und Körper getrennt werden, kann er niemals wiedergeboren werden und muß als ewig Verfluchter durch die große Leere wandern.“
Hasard wollte den Mahaut fragen, ob man den Kopf nicht begraben sollte, doch der Mahaut schien diese Frage zu ahnen.
„Keiner darf ihn berühren“, erklärte er. „Die Ameisen werden kommen und ihn bearbeiten, bis nur noch der blanke Schädel übrig ist. Und eines Tages wird er von der Stange fallen und im Waldboden vermodern, genau wie sein Körper.“
Sie stiegen wieder auf, aber das schaurige Bild ließ sich nicht aus ihrer Erinnerung verdrängen.
„Rauhe Sitten“, sagte der Profos. „Aber wir befinden uns eben auch in einem anderen Land, dessen Religion wir von unserem Standpunkt aus nicht richtig begreifen.“
„Du sagst es, Ed.“
Der Marsch ging weiter, bis zum späten Nachmittag. Da begann der Leitbulle wieder röhrend laut zu trompeten. Er hob den Rüssel und schwenkte ihn durch die Luft.
„Er wittert wieder etwas“, sagte Batuti.
„Kein Wunder bei der langen Nase“, meinte Carberry. „Wenn ich so einen Rüssel hätte, würde ich sogar die nächste Kneipe wittern.“
Aus der Ferne antwortete ein anderer Elefant.
„Sie sind vor uns“, sagte der Mahaut. „In einer halben Stunde treffen wir auf die heiligen Männer.“
„Na dann“, meinte Hasard. „Hoffentlich sind die Kerle einsichtig, sonst müssen wir uns das Gold mit Gewalt holen, und das möchte ich gern vermeiden. Es hat schon genug Tote deshalb gegeben.“
„Wir werden sie überzeugen“, versprach der Mahaut.
Hasard war da noch etwas skeptisch, wenn er an die religiösen Eiferer dachte, die völlig unberechenbar waren.
Dort, wo der Dschungel für eine Weile endete und Kampfer- und Zimtbäume wuchsen, stießen sie auf die Gruppe.
Hasard schätzte sie nach einem kurzen Blick auf insgesamt vierzig Männer.
Die Fanatiker blieben mit ihren beiden Elefanten stehen. Die anderen Kerle setzten ihre schweren Lasten ab. Sie waren mit Krummdolchen bewaffnet, die sie in ihren Lendenschurzen trugen.
„Wir werden verhandeln“, sagte der Mahaut. „Und wenn sie nicht einsichtig sind, lassen wir die Elefanten auf sie los. So hat es mein Herr befohlen, und so werden wir es halten.“
„Zuerst verhandeln“, sagte der Seewolf. „Weist auf den Sultan von Golkonda hin, auf Ischwar Singh und den großen Akbar, für den das Gold bestimmt ist.“
Die Fanatiker waren mißtrauisch, als sich ihnen die Männer näherten. Ihre Finger lagen wie gekrümmte Klauen um die Krummdolche.
Der Mahaut ließ die Elefanten ganz langsam auf sie zutraben. Die Kerle wichen nur zögernd zurück, gleich darauf flogen unverständliche Wortfetzen durch die Luft.
„Sieht ganz so aus, als würde es gleich losgehen“, meinte Ferris. „Ein paar von diesen Gesichtern habe ich noch in Erinnerung, besonders den alten Kerl mit dem Bart.“
Die Seewölfe stiegen ab. Sie trugen ihre Pistolen, aber noch bestand kein Grund zum Eingreifen.
Fünf Mahauts waren jetzt bei den Kerlen und redeten anfangs ruhig, dann immer hitziger auf sie ein.
„Versteht ihr etwas?“ fragte Hasard seine Söhne.
„Nur, daß da ein paar Namen gefallen sind“, antwortete Philip. „Jene, die du genannt hast, Dad.“
„Hoffentlich zeigen sie Wirkung.“
Es sah nicht so aus. Die Kerle schrien sich gegenseitig mit hochroten Köpfen an und palaverten wild drauflos.
„Verdammt, wenn man sie nur verstehen könnte“, sagte der Profos. „Aber man steht wie ein Idiot daneben und kapiert kein Wort.“
Die Mahauts deuteten auf die Ballen und Kisten. Etliche von ihnen hingen noch bei den Elefanten.
Der Alte mit dem Bartgestrüpp, der Malindi Rama getötet hatte, benahm sich am verrücktesten. Seine dürren Hände fuhren durch die Luft und seine Stimme wurde immer schriller bei dem Wortgefecht. Er schien nicht einsichtig zu sein und begann mit heiserer Stimme zu kreischen.
Das Gesicht des Mahaut lief dunkelrot an. Abrupt wandte er sich an Hasards Söhne, die wieder übersetzen mußten.
„Er sagt, wir hätten es nur auf den Zahn abgesehen, und davon läßt er sich nicht abbringen.“
„Den Zahn kann er sich sonstwohin stecken!“ brüllte Hasard, der plötzlich in Wut geriet. „Der interessiert uns absolut nicht. Wir wollen lediglich das Gold.“
Die Kerle schwiegen entsetzt und starrten den Seewolf an. So eine Donnerstimme, die den ganzen Dschungel erfüllte, hatten sie noch nie gehört. Dagegen war selbst das Organ des Profosen Edwin Carberry ein sanftes Zwitschern.
Völlig verdattert starrten sie den Seewolf an.
Der Mahaut redete wieder auf sie ein. Auch zwei andere versuchten es noch einmal geduldig.
Doch der Alte war stur. Er griff sogar nach seinem Dolch und begann damit herumzufuchteln.
Einer der Mahauts hatte jetzt genug. Er steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus.
Was dann geschah, erschreckte selbst die Seewölfe.
Der Leitbulle hob plötzlich den massigen Schädel und stieß ein wütendes Trompeten aus.
Übergangslos setzte sich die Elefantenherde in Bewegung und trabte auf die Gruppe Fanatiker zu.
Sie walzten den Dschungel platt, als sich ihre gewaltigen Leiber in Bewegung setzten, und sie trompeteten so laut, daß es den Arwenacks in den Ohren schmerzte.
Diese Sprache schienen sie endlich zu verstehen, die Sprache der Gewalt, das Trampeln der Elefanten.
Der Alte flitzte wie ein Affe in den Dschungel. Er schrie aus Leibeskräften, hielt aber den Lederbeutel eng an sich gepreßt und schlug sich wie ein junger Sprinter in die Büsche.
Die anderen rasten ebenfalls auseinander, und die Arwenacks brachten sich mit wilden Sprüngen hinter dickeren Baumstämmen in Sicherheit.
Tonnenschwere Leiber rannten mit einem erstaunlichen Tempo den flüchtenden Fanatikern nach.
Hasard wandte sich ab, als er sah, daß einer der zornigen Elefanten durch ein Gebüsch walzte, einen brüllenden Kerl mit dem Rüssel umschlang und ihn voller Wut gegen einen Baum schmetterte.
„Verfluchtes Gold“, sagte er. „Nichts als Ärger hat es uns gebracht. Ich bin froh, wenn wir endlich in Madras sind.“
Zwei weitere grelle Pfiffe ertönten.
Die Elefanten waren gut abgerichtet. Sie gehorchten den Mahauts, blieben stehen und trotteten langsam zurück. Auch die beiden anderen Elefanten der Fanatiker kehrten rüsselschwingend zurück, nachdem sie ein Stück in den Dschungel gelaufen waren.
Der Platz war plötzlich wie leergefegt. Bis auf den einen Inder, der tot neben dem Baum lag, war niemand mehr zu Sehen.
„Sie werden nicht mehr zurückkehren“, sagte der Mahaut mit rollenden Augen. „Ihre Angst vor den Elefanten ist zu groß. Sie haben den Zahn und werden ihn nach Ana bringen. Wir können alles aufladen und dann zurückkehren.“
Hasard war unsagbar erleichtert.
Sie ruhten sich noch ein wenig aus, bevor sie Kisten und Ballen wieder aufluden.
„Stimmt alles überein?“ fragte der Mahaut.
Der Seewolf hatte längst nachgezählt.
„Ja, es stimmt alles“, sagte er. „Nichts fehlt.“
Eine Stunde später begaben sie sich auf den Rückweg durch den Regenwald.
Am anderen Tag gegen Abend trafen sie wieder in Mannar ein, wo sie sich bei dem Kaufmann bedankten.
Die für den Sultan von Golkonda bestimmten Schätze wurden an Bord gebracht und verstaut.
An diesem Abend waren sie Gäste des Kaufmanns in seinem großen Haus, und es gab eine Abschiedsfeier, die sich bis spät in die Nacht hinzog. In der Frühe des nächsten Tages segelten sie weiter durch die Palkstraße auf nordnordöstlichem Kurs, ihrem eigentlichen Ziel Madras entgegen.
Hasard hoffte nur, daß damit alle Zwischenfälle erledigt waren, aber noch hatten sie ihr Ziel nicht erreicht …
ENDE

1.
Zitternd und schweißgebadet schreckte ich hoch. Das dumpfe Wummern der Kanonen und das Ächzen und Stöhnen hämmerte mein Herz gegen die Rippen, in den Schläfen pochte das Blut, mein Atem ging kurz und keuchend.
Der ersten Regung nachgebend, sprang ich auf, um mich über Bord zu stürzen, denn die See erschien mir in dem Moment weitaus freundlicher als die vom Feuer heimgesuchten Decks, doch eine eiserne Faust hielt mich zurück. Jemand redete beschwörend auf mich ein. Er sagte Dinge, die ich nicht verstand, aber immerhin begriff ich, daß die Wirklichkeit anders aussah.
Ich hatte schlecht geträumt. Die Schreie, die ich zu hören glaubte und die mich aufgeschreckt hatten, waren meine eigenen gewesen.
Wahrscheinlich würde ich nie vergessen können …
„He, Clint, träumst du immer noch?“ Der Mann mit dem mächtigen grauen Bartgestrüpp, der sich über mich gebeugt hatte, umfaßte meine Schultern und schüttelte mich. Mein Versuch einer Gegenwehr fiel kläglich aus. Ich stammelte wirres Zeug von Feuer an Bord, Spaniern und schweren Breitseiten.
„Wenn Clinton ein paar Jahre älter wäre und ich nicht genau wüßte, daß er keinen Tropfen Rum angefaßt hat, würde ich behaupten, er hat mächtig einen geladen.“ Ein zweiter Mann schob sich in mein Blickfeld, ein kräftiger blonder Riese, zweifellos ein harter Kämpfer, doch seine hellen Augen strahlten Ruhe und Gelassenheit aus.
„Er segelt gegen die Spanier“, sagte der Bärtige und hörte endlich auf, mich durchzuwalken. „Dabei schreit er wie am Spieß.“
„Das sind die üblichen Alpdrücke“, erwiderte der andere. „Irgendwann hatte die jeder von uns, der eine eher, der andere eben später.“
Das Gespräch flutete an mir vorbei wie Brecher an einem Molenkopf. Erst allmählich wurden mir beide Gesichter vertrauter. Ich begriff, daß die letzte Fahrt der „Seawind“ vor eineinhalb Jahren im Feuer der Spanier geendet war und ich mittlerweile zu den Korsaren des Seewolfs gehörte, wenn auch als jüngstes Mitglied und damit Moses seiner Crew.
Aber schon die Tatsache, unter dem Kommando von Philip Hasard Killigrew zu segeln, war eine unsagbare Ehre für mich. Den Tag, an dem ich auf der „Respectable“ einfach über Bord sprang und mich den Arwenacks anschloß, werde ich mein Leben lang nicht vergessen.
„Alles wieder in Ordnung, Junge?“ fragte der Graubärtige, der frühere Schmied von Arwenack und darüber hinaus ein ausgezeichneter Langbogenschütze. Sein Blick drückte Besorgnis aus, und das hatte ich auf den Schiffen, auf denen ich zuvor gewesen war, nie erlebt. Dort war ein Schiffsjunge der letzte Dreck, gerade gut genug, um an ihm allen Ärger auszulassen.
„Ich habe schlecht geträumt, Sir, Mister Shane“, erwiderte ich. „Nichts von Bedeutung.“
„Geschrien hast du wie am Spieß“, sagte der Blonde. Er hieß Stenmark und war Schwede. „Blaß bist du außerdem, als wäre dir der leibhaftige Gottseibeiuns über den Weg gelaufen.“
Ich atmete tief ein und hielt die Luft an, um wieder Farbe zu kriegen. Nach einer Weile atmete ich prustend aus.
„Alles halb so schlimm, Mister Stenmark“, versicherte ich.
Er grinste. „Jetzt bist du rot wie ein frisch gerupfter Puter, Clint. Schade, daß du dich nicht sehen kannst.“
„Der Junge braucht frische Luft und Bewegung“, sagte Big Old Shane. „Kein Wunder, daß er bei dem Mief unter Deck schwermütig wird.“
So schlecht fand ich die Luft im Vorschiff der Schebecke zwar nicht, und verglichen mit dem Gestank auf der „Respectable“ waren selbst die Ausdünstungen in der Büge noch der reinste Wohlgeruch, aber Mister Shane verfolgte wohl eine Absicht, wenn er so redete. Prompt nahm er mich am Arm und führte mich nach oben.
„Der Morgen graut bereits“, sagte er, „und eine Mütze voll Schlaf hast du ohnehin erwischt, Mister Wingfield.“
Wahrscheinlich um mich aufzumuntern, nannte er mich „Mister“. Vor ihm hatte das noch niemand getan. Wozu auch? Ein zwölfjähriges Bürschchen, blond, mit Haarwirbeln, Stupsnase und grauen Augen verdiente keinen Respekt. In dem Alter war man gerade gut genug für das Prügeldasein eines Pulveraffen und Läufers.
Aber irgendwann, das hatte ich mir während der Zeit auf der „Respectable“ geschworen, würde ich aller Welt beweisen, daß ein Clinton Wingfield mehr konnte – „Kapitän Wingfield“ klang gut, „Admiral Wingfield“ noch besser, und ein „Sir“ vor dem Namen war sicher erstrebenswert. Wer ohne Adelstitel geboren wurde, mußte ihn sich eben erkämpfen.
„Hörst du überhaupt zu?“ fragte Shane plötzlich. Ich hatte ihn zwar reden hören, konnte seine Worte aber nicht wiedergeben. Selbst wenn er mir zwanzig Stockhiebe versetzt hätte, ich wußte es nicht.
„Natürlich, Mister Shane“, log ich.
Er schaute mich an und schüttelte den Kopf. „Den Eindruck hatte ich nicht, mein Junge. Aber dann los, auf was wartest du noch?“
„Äh, Sir, ich …“
Nimm deinen Mut zusammen! dachte ich. Den Kopf wird er dir schon nicht abreißen.
In dem Moment sagte der graubärtige Riese: „Genügend Farbe findest du in der Vorpiek, den Bootsmannsstuhl kannst du allein abfieren. Und wo die Achterdecksverschanzung ist, weißt du.“
„Aye, aye, Sir!“ Ich war ihm dankbar für die Hilfestellung, und dementsprechend beeilte ich mich, meine Verpflichtungen zu erfüllen.
Sir Hasard Killigrew und seine Crew waren eine verschworene Gemeinschaft, in deren Nähe ich mich wohl fühlte. Seit rund sechs Wochen befand ich mich auf der Schebecke und hatte mich – soweit ich das selbst beurteilen konnte – gut eingelebt.
Die Strahlen der aufgehenden Sonne färbten die östliche Kimm, als ich mich, mit Farbkübel und Pinsel bewaffnet, beim Wachgänger auf dem Achterdeck meldete. Mit Roger Brighton, dem Takelmeister, verband mich von Anfang an ein besonderes Verhältnis – wie auch mit den vier anderen Arwenacks, die ebenfalls zum Dienst auf die „Respectable“ gepreßt worden waren.
Unwillkürlich versteifte sich meine Haltung.
„Clint Wingfield meldet sich für Arbeit außenbords!“
Erst als der Takelmeister belustigt die Brauen hochzog, entsann ich mich, daß derlei militärisches Gehabe auf der Schebecke verpönt war. Aber so ist das eben. Wenn man alles besonders gut hinkriegen will, dann zäumt man das Pferd beim Schwanz auf.
„Ein neuer Anstrich schadet bestimmt nicht“, sagte der Takelmeister. „Das Schanzkleid ist an gut einem Dutzend Stellen ausgebessert.“
Er half mir, das Brett des Bootsmannsstuhls in die beiden Stroppen einzuhängen und abzufieren. Bei ruhiger See war die Arbeit ein Kinderspiel, und ich hatte schon Schlimmeres erlebt.
Vor einer mäßigen Brise aus leicht wechselnden südlichen Richtungen segelte die Schebecke unter Vollzeug auf Nordkurs. Der Himmel war von tiefem Blau, das Meer ebenfalls, eine sanfte Dünung strebte dem Festland entgegen.
Gestern hatten wir die Palkstraße hinter uns gelassen. Zur Zeit befanden wir uns ungefähr auf der Höhe von Nagapattinam, jedoch außer Sichtweite der Küste. Ich schätzte die Entfernung auf etwa fünfzehn bis zwanzig Seemeilen.
Zufällig hatte ich aufgeschnappt, daß die Hafenstadt Karikal, nur wenig nördlich von Nagapattinam gelegen, unter portugiesischer Herrschaft stand. Dan O’Flynn schien das aus den Karten herausgelesen zu haben. Es wunderte mich nicht, daß der Seewolf jede neuerliche Feindberührung vermeiden und statt dessen möglichst schnell Madras anlaufen wollte, um unsere wertvolle Ladung zu löschen. In Mannar auf Ceylon hatten wir wieder mal erfahren, daß wir nicht umsichtig genug sein konnten. Dabei scheuten die Arwenacks gewiß keine Auseinandersetzungen, gleichgültig, ob sie mit Fäusten oder mit Schiffsgeschützen ausgetragen wurden.
Soviel ich inzwischen wußte, hatte Philip Hasard Killigrew dem Maharadscha von Bombay sein Wort gegeben, eine Fracht von insgesamt elf Tonnen Gold und Silber sicher dem indischen Mogulkaiser Akbar zu überstellen. Der Sultan von Golkonda würde die Ladung in Madras übernehmen und weiterleiten, die Gegenleistung des Maharadschas bestand in Handelskonzessionen für die englische Krone.
Schon früh am Morgen brannte die Sonne heiß vom nahezu wolkenlosen Himmel herab. Obwohl ich nur ein leichtes Leinenhemd und eine unterhalb der Knie abgeschnittene Hose trug, schwitzte ich.
Ich begann am Steuerbordschanzkleid mit der Arbeit und fierte mich langsam weiter ab. Gegen neun Uhr erhielten die Stückpforten des Hauptdecks einen neuen Anstrich. Die See war inzwischen noch ruhiger geworden und lag fast spiegelglatt vor uns.
„Segel Steuerbord voraus!“ hallte Dan O’Flynns Ausruf über Deck. Er stand in der Tonne am Großmast und hielt Ausguck. „Es ist eine Galeone auf Parallelkurs!“
Mir schossen Tränen in die Augen, als ich in die angegebene Richtung spähte, denn die Sonne blendete. Flüchtig fragte ich mich, wie der Navigator in dem Gleißen und Flimmern überhaupt etwas erkennen konnte.
„Das sind Portugiesen“, hörte ich den Seewolf sagen. Er stand gemeinsam mit Don Juan de Alcazar auf der Höhe des Besanmastes.
Der Spanier erwiderte: „Vermutlich haben sie uns noch nicht entdeckt. Ihr Ziel dürfte Karikal sein.“
„Entfernung acht bis neun Meilen!“ meldete Dan O’Flynn. Augenblicke später fügte er hinzu: „Das Schiff dreht ab, ich sehe es kaum noch.“
Ich widmete mich wieder meiner Arbeit. Die Farbe trocknete sofort auf den Planken. Drei Yards über mir führten der Seewolf und Señor Alcazar ihre Unterhaltung weiter. Sie sprachen über die Portugiesen, über das Gold des Maharadschas und schließlich auch über das Wetter.
Die Luft war mittlerweile zum Schneiden, im Südosten aufziehende Düsternis verhieß ein nahendes Gewitter, und tatsächlich war bald darauf ein fernes Grollen zu vernehmen.
Nach einer Weile wurde das Geräusch lauter. Aber das war kein Donnern, sondern eher ein dumpfes, anhaltendes Rumoren, das von überallher zu erklingen schien, sogar aus dem Wasser. Die Schwingungen übertrugen sich auf den Bootsmannsstuhl und ließen ihn ohne mein Zutun gegen den Schiffsrumpf stoßen, ja sogar die Schebecke zitterte plötzlich. Auf dem Wasser bildeten sich konzentrische Wellen, als hätte jemand einen Stein hineingeworfen. Aber das war natürlich Unsinn, denn ein solcher Stein hätte riesig sein müssen.
Ich hörte einige Arwenacks diskutieren. Sie sprachen von einem verheerenden Gewitter, das sich hinter der Kimm austobte. Schwül genug war es ja.
Während der Wind böig auffrischte, schleppte ich meinen zweiten Farbkübel an Deck. Vorübergehend entstand Schaum auf den Wellen, doch das Meer blieb weiterhin ungewöhnlich ruhig.
Die Gewitterwolke stand nahezu unverändert in Südost. Ich war überzeugt davon, daß sich dort über dem Indischen Ozean ein verheerendes Unwetter zusammenbraute.
Niemand warnte mich davor, das monotone Streichen außenbords fortzusetzen. Aber schließlich konnte keiner der Männer wissen, was das dumpfe Rumoren wirklich bedeutete, das wenig später abermals anhob.
Diesmal drang das Grollen aus der Tiefe des Meeres herauf. Die Dünung brach schlagartig zusammen und wich kabbeliger See.
Auf dem schwankenden Bootsmannsstuhl hatte ich Mühe, den Farbkübel festzuhalten. Fasziniert und entsetzt zugleich, starrte ich nach achtern, unfähig zu begreifen, was sich in Gedankenschnelle abspielte.
Wenige Meilen hinter der Schebecke schäumte und brodelte die See von einem Augenblick zum anderen – wie in einem Kochtopf, in dem das Wasser zu sieden beginnt. Oder noch besser: wie die Fontänen, die schlecht gezielte Kanonenkugeln aus der See stanzen.
Eine unheimliche Wasserwand baute sich auf – gigantisch, furchterregend, tödlich.
Turmhoch wuchs die Mauer hoch, das Grollen steigerte sich zum infernalischen Lärm.
Ich hörte den Seewolf Befehle brüllen, aber ich war unfähig, aufzuentern. Ich konnte den Blick nicht von der riesigen Welle lösen, die sich schäumend und tosend heranwälzte.
Der Kaventsmann war mächtig genug, um selbst ein Schiff wie die Schebecke zu zerschmettern.
„Clinton!“ Jemand brüllte aus Leibeskräften meinen Namen. Vielleicht war es der Profos, möglicherweise aber auch Mister Shane. Mehr verstand ich nicht.
Die Riesenwelle löste in mir ähnliche Empfindungen aus wie der starre Blick einer Schlange beim Kaninchen, das sich danach bereitwillig verschlingen läßt. Ich hatte von solchen extremen Einzelseen gehört, ihr Auftreten jedoch stets in das Reich überschäumender Phantasie verwiesen. Schließlich gab es viele Seeleute, die nur dann glücklich waren, wenn sie den Schiffsjungen gehörig Angst einjagen konnten.
Auf der Schebecke wurde Ruder gelegt. Die Arwenacks versuchten, dem Kaventsmann auszuweichen. Ich registrierte das aber nur am Rande.
Das dumpfe Grollen schien nicht mehr enden zu wollen. Selbst die Luft zitterte. Das Zentrum des Seebebens – der Begriff entstand ohne mein Zutun in meinen Gedanken – lag offenbar nur wenige Meilen hinter uns. Falls sich jetzt ein feuerspeiender Schlund auftat, war es um die Schebecke ohnehin geschehen.
Jäh wurde das Schiff nach Backbord gedrückt, danach neigte es sich ebenso rasend schnell zur anderen Seite. Der Bootsmannsstuhl pendelte frei über dem Wasser, ich verlor den Farbkübel, dessen Inhalt ich teilweise über mich ergoß, ließ den Pinsel fallen und klammerte mich an den Tauen fest.
Während die Schebecke von den Randwirbeln eines trichterförmigen Sogs gebeutelt wurde, der sich gurgelnd und schmatzend wie ein Tor zur Hölle öffnete, donnerte unaufhaltsam von achtern die gut zehn Yards hohe Wasserwand heran, schäumend und tosend und alles unter sich begrabend wie eine gewaltige Lawine.
Was mir an jenem verhängnisvollen Morgen im Oktober 1599 wie eine kleine Ewigkeit anmutete, währte in Wirklichkeit nur wenige Minuten. Ich empfand mehr Angst und Entsetzen als jemals zuvor. Heute sehe ich das alles mit anderen Augen und würde sicher auch anders reagieren, doch kann ich es mir keineswegs verübeln, daß ich mich hilfesuchend an ein Tau klammerte, statt aufzuentern, solange das noch möglich war.
Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel und gleich darauf, als die Riesenwelle weder abdrehte noch in sich zusammensank, ein zweites.
Mir erschien es, als wachse die See bis in den Himmel. Sie riß ein gigantisches, geiferndes Maul auf, um die Schebecke zu verschlingen. Schaum und Gischt erweckten tatsächlich den Eindruck riesiger Fangzähne, die sich alles zerstörend in die Planken des Schiffes bohren würden.
Viel zu langsam liefen die Arwenacks nach Backbord ab. Der Strudel unter dem Heck weitete sich aus und war erfüllt von lichtloser Schwärze, die meinen Blick wie magisch anzog.
Spring! hämmerte es verhängnisvoll in meinem Kopf. Laß dich einfach fallen! Nur in der Tiefe ist Sicherheit.
Schon hing ich nur mehr mit einem Arm am Stropp, der Bootsmannsstuhl neigte sich gefährlich weit über, als wolle er sich aufbäumen und mich abschütteln. Wild pochte das Herz gegen meine Rippen, ich spürte Übelkeit, die mir alles gleichgültig erscheinen ließ, und war mir dennoch irgendwie bewußt, daß ich dem nicht nachgeben durfte.
Heute glaube ich, daß ich trotz aller widersprüchlichen Empfindungen aus Leibeskräften schrie – bis der Kaventsmann die Schebecke einholte und wie ein welkes Blatt im Herbstwind herumwarf. Gischt und Schaum und gleich darauf eine erstickende Wasserflut schlugen über mir zusammen.
Ich verlor den Halt, krachte gegen die Planken des Schiffsrumpfs, schluckte Wasser, als mir der stechende Schmerz schier die Besinnung raubte, und hatte das Gefühl, rasend schnell in eine endlose Tiefe zu stürzen.
Das Salzwasser brannte in meinen Augen, in Mund und Nase. Wie durch einen dichter werdenden Schleier hindurch sah ich etwas Großes, Dunkles vorüberhuschen. Das mußte die Schebecke gewesen sein. Ich wurde abgetrieben, von der Woge mitgerissen, aber trotz aller Gleichgültigkeit, die mich umfing, wollte ich weiterleben. Ich durfte nicht aufgeben, nicht nach allem, was ich in den vergangenen Jahren schon durchgestanden hatte.
Das Gesicht meines Vaters – bärtig, wie ich es in Erinnerung bewahrt hatte – erschien vor meinem inneren Auge.
„Clinton“, glaubte ich, ihn sagen zu hören, „leben heißt immerfort kämpfen. Trotzdem darfst du nie müde werden, diesen Kampf durchzustehen, denn wer einmal resigniert, geht sang- und klanglos unter.“
Nie hatte ich den tieferen Sinn, der in seinen Worten verborgen lag, so deutlich verstanden.
Die Luft wurde mir knapp. Mit Armen und Beinen rudernd, kämpfte ich gegen den Sog an, der mich in die Tiefe zerrte. Und ich überwand den Zwang, einfach einzuatmen.
„Du schaffst es, Clinton Wingfield – laß dich nicht unterkriegen.“
Wo war oben, wo unten? Ich hatte jede Orientierung verloren und wußte nur, daß mich eine gigantische Flutwelle gefangen hielt, die der fernen Küste entgegenstrebte.