Kitabı oku: «Buddhas Tausend Gesichter», sayfa 2
Vertrauen – Eingangstor für alle heilsamen Qualitäten
Vertrauen zählt zu den stärksten Kräften auf dem Weg. Vertrauen – nicht zu verwechseln mit blindem Glauben – gilt als ein Eingangstor für alle heilsamen Qualitäten. Vertrauen öffnet Herz und Geist, es macht uns berührbar und inspiriert uns, nicht nur intellektuell, sondern auch emotional, ja, noch tiefer gehend erreicht Vertrauen die Schichten unseres Unterbewusstseins! Vertrauen (saddha/shraddha) ist die erste der Fünf Spirituellen Fähigkeiten, die wir kultivieren müssen, um den Pfad zu betreten und ihn stetig weitergehen zu können. Es ist dieser Prozess des Vertrauens, des Sich-Öffnens, der Inspiration und Hingabe, der einen Fluss spiritueller Energie, einen Strom des Segens in uns zum Fließen bringt.
Oft erlebe ich, wie Teilnehmende, selbst wenn sie in Meditationsretreats angenehme Erfahrungen machen, unvermittelt wieder von der Praxis ablassen, während andere, selbst wenn sie mit großen Hindernissen konfrontiert sind, konsequent dabei bleiben, bis die Schwierigkeiten geklärt sind. Dieses Plus an Beständigkeit und Zielbewusstsein entsteht durch die Wirkung einer Kraft: der Kraft des Vertrauens.
Lama Tsoknyi Rinpoche illustriert die Funktionsweise dieses »Segensstroms« mit einem zeitgemäßen, sehr treffenden Bild: »Die Buddhas und Bodhisattvas stehen mit ihren Handys permanent in Verbindung zu uns. Das Problem ist, dass wir nicht rangehen, weil wir es gar nicht klingeln hören und – noch öfter – das Besetztzeichen ertönt: Wir sind zu beschäftigt, um die Verbindung zuzulassen.« Diese Verbindung können wir aufnehmen – durch Vertrauen!
In der buddhistischen Praxis sind Vertrauen und Hingabe unverzichtbar. Vertrauen in die Belehrungen, in die Methoden der Praxis und in die Lehrenden. Unter Letzteren kann der Buddha als der ursprüngliche Lehrer und Archetyp des Erwachens zu Weisheit und Mitgefühl verstanden werden – oder auch die eigenen Lehrer, Lehrerinnen, die Lamas, Sayadaws, Ajahns, Shifus oder Roshis – oder die gesamte Übertragungslinie großer Meister und Meisterinnen, von Buddha bis zu uns heute.
Der bekannte amerikanische spirituelle Lehrer Ram Dass wurde einmal gefragt, was für ihn beim Übermitteln der Lehre das Wichtigste sei. Er antwortete, es sei die in der eigenen Erfahrung wurzelnde Überzeugung und das daraus entstandene Vertrauen, das in den Schülern und Schülerinnen große Inspiration und Hingabe wecke.
Die tibetischen Praktiken der »Hingabe an die Lehrenden«, das sogenannte Guru-Yoga, betonen, diese Hingabe ermögliche den schnellsten und mühelosesten Zugang zu den Verwirklichungen. Sie öffne einen Kanal für Segensströme, die durch die Übertragungslinie der Meister und Meisterinnen in unseren Geist und unser Herz fließen. Hingabe sehen sie als das Herzstück der Methoden zur eigenen Verwirklichung.
Weises Vertrauen
Wir brauchen auf unserem Weg tiefes Vertrauen und Hingabe, aber natürlich brauchen wir auch Weisheit, eine Art von gesundem Menschenverstand, mit dem wir die Dinge unvoreingenommen und mit Scharfsinn überprüfen.
In den Anfängen meiner Praxis besuchte ich ein Meditationszentrum, in dem zwei Retreats in zwei unterschiedlichen buddhistischen Traditionen stattfanden. Beide Traditionen lehrten die Hingabe an den Meister, die Meisterin als wichtigen Verstärker für die eigene Praxis. Als die Teilnehmenden Gelegenheit hatten, den beiden Retreat-Leitern Fragen zu stellen, war ihre brennendste Frage die nach der Hingabe an die Lehrenden. Worauf der aus der einen Tradition stammende Lehrer betonte: »Wenn dein Meister sagt, Schwarz ist Weiß, dann ist Schwarz für dich Weiß!« Der zweite, einer anderen Tradition angehörende Lehrer unterstrich hingegen: »Leute, überprüft es besser selbst!«
In seiner berühmten Lehrrede an die Kalamer ermutigt der Buddha seine Zuhörerschaft, selbst herauszufinden, was für ihr Leben und ihre spirituelle Praxis wertvoll und hilfreich sei:
Aus diesem Grunde eben, Kalamer, haben wir es gesagt: Geht nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters. Wenn ihr aber, Kalamer, selbst erkennt: »Diese Dinge sind heilsam, sind untadelig, werden von Verständigen gepriesen, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl«, dann oh Kalamer, möget ihr sie euch zu eigen machen.3
Wir sind auf dem Weg zur Befreiung voll und ganz auf authentische Belehrungen und weise Unterstützung durch erfahrene und qualifizierte Lehrende angewiesen, wollen wir uns nicht auf endlosen Umwegen oder gar in Sackgassen wiederfinden. Dazu brauchen wir nicht nur irgendwelche guten Ratschläge, sondern die über Jahrhunderte erprobten Belehrungen von Menschen, die in einer ungebrochenen Übertragungslinie stehen.
Es gibt aber auch immer wieder Menschen, die – ohne in eine Übertragungslinie eingebunden zu sein – echte befreiende Erfahrungen gemacht haben. Sie können oft auch mit großer Überzeugungskraft ihre Erkenntnisse weitergeben. In der Regel genügt dies den Ansprüchen der Mehrzahl ihrer Schülerinnen und Schüler. Es besteht aber die Gefahr, dass die so Erleuchteten auf die von ihnen gemachten Erfahrungen beschränkt bleiben und den meist noch viel weiter führenden Weg nicht sehen, der in einer authentischen Übertragungslinie klar dargelegt würde – selbst von Lehrenden die weniger »erleuchtet« sind.
Die authentischen Belehrungen sollten wir mit wacher Hingabe aufnehmen, kontemplieren und in die Meditation und den Alltag integrieren. Andererseits müssen wir die Gesetzmäßigkeiten des Lebens und die Natur unseres Geistes aber auch selbst erforschen, um schließlich zu erkennen, was zu mehr Leiden führt und was befreiend ist. Beides ist also wichtig: Vertrauen und Weisheit.
Übertragungslinien
Die Dharma-Lehre beinhaltet im Wesentlichen achtsames Gewahrsein, gepaart mit einer inneren Haltung der liebevollen Gelassenheit; ein Gewahrsein, in dem wir mehr und mehr verweilen und das Erkenntnis und befreiende Weisheit ermöglicht. Zugleich sind es Qualitäten wie Güte, Mitfreude und Großzügigkeit, die uns zu einer Lebenshaltung der mitfühlenden Verbundenheit führen. Befreiende Weisheit und Großes Mitgefühl, das ist und bleibt die Essenz der Lehre des Buddha seit zweieinhalbtausend Jahren.
Eben diese Essenz und die Methoden, sie im eigenen Leben zu verwirklichen, haben zahllose Menschen in den verschiedensten Kulturkreisen über Jahrtausende praktiziert, verkörpert und weitergegeben. Ob in der indischen Antike, im tibetischen Mittelalter, im modernen China, in Japan oder im heutigen Westen – die äußere Form hat sich immer wieder gewandelt. Und die lebendige Essenz der Übertragungslinie wurde immer wieder neu entdeckt, verwirklicht und weitervermittelt. Was auf diese Weise weitergegeben wird, ist aber stets mehr als die Lehren und das Wissen: Es sind auch Inspiration, Vertrauen und Hingabe, die der gelebten Praxis und Verwirklichung entspringen. Es ist das Feuer der Begeisterung für die uns innewohnende Weisheit und Verbundenheit. Ich empfinde es als ein großes Privileg, als einen Glücksfall und eine tiefe Inspiration, Empfänger zu sein, Teil zu sein dieser befreienden Lehren und dieser segensreichen Energien, hier und heute.
Lebensläufe buddhistischer Erwachter
Um diese Übertragungslinien für uns lebendig werden zu lassen, ist es hilfreich, einzelne, außergewöhnliche Menschen aus diesen Linien oder Begründer neuer Äste und Zweige dieses großen Baumes kennenzulernen. In vielen asiatischen Traditionen ist dies ein wichtiger Aspekt der Belehrungen: Biografisches dieser Meister und Meisterinnen wird vermittelt, Geschichten über sie werden erzählt und markante Zitate vorgetragen. Diese Erzählungen und Legenden sind dabei auch stets ein Anlass, Dharma-Belehrungen darin einzuflechten. Genau dies ist auch mein Bestreben in diesem Buch.
Anders als in unserer westlichen Kultur, in der man von Biografien erwartet, dass sie spannend, persönlich und möglichst intim sind, enthalten diese Geschichten meist wenig genaue Lebensdaten oder Charakterschilderungen. Es sind vielmehr Legenden, die in ihrer archetypischen Darstellung auf unseren Geist, unser Herz und unsere Praxis bis hinein in unseren Alltag wirken, indem sie uns durch symbolische und urbildliche Begebenheiten berühren.4 Sind wir bereit, uns diesen Geschichten zu öffnen, können wir daraus großen Nutzen ziehen.
Auch wenn die meisten von uns nicht in Höhlen leben oder einen Großteil ihres Lebens im Kloster verbringen – die Leid schaffenden Emotionen wie Hass, Begehren oder Verblendung und die daraus entstehenden Probleme (Frustration, Einsamkeit, Suchtverhalten, Stress, Ängste, Sorgen, Depression) sind die Gleichen geblieben. Und auch der Weg, der aus diesem Leiden heraus zu Freiheit, Freude und Gelassenheit führt, ist heute genauso begehbar wie in alten Zeiten.
Die Menschen, deren Leben hier erzählt wird, kommen aus dem indischen, südostasiatischen und tibetischen buddhistischen Kulturkreis. Obwohl die meisten von ihnen in fernen Zeiten lebten, obwohl sie manchmal durch die Lüfte fliegen oder Dämonen begegnen, sind sie in ihrem Menschsein nicht so sehr anders als wir, im Gegenteil: Vieles verbindet uns mit ihnen. In diesem Sinne habe ich diese Sammlung außergewöhnlicher Lebensläufe, Geschichten und Zitate – eine Auslese aus der Fülle der überlieferten Legenden – zusammengestellt.
Diese Menschen können Vorbild für uns sein:
Wir begegnen Siddhartha Gautama, wie er mutig und unbeirrt auf seinem Weg zum vollständigen Erwachen voranschreitet und weise und mitfühlend in den darauffolgenden Jahrzehnten seines Lebens agiert. Wir lernen die Hauptschüler des Buddha kennen: Sariputta, den gelehrten Weisen, und Mogallana, den tiefgründigen Mystiker. Wir begegnen Mahakassapa, dem strengen Asketen, und Ananda, dem liebenswürdigen und selbstlosen Diener Buddhas. Wir vernehmen von Pajapati, der mutigen und entschlossenen Anführerin der Frauen, die Nonnen werden wollen, von Khema, der schönen Weisen, und wir hören, wie Uppalavanna, die Erniedrigte, und Ambapali, die Kurtisane, vollständige Befreiung erlangen. Wir erfahren von den gelehrten Meistern des großen Mitgefühls: Asanga, Shantideva und Atisha. Wir begegnen Mandarava und Yeshe Tsogyal, den faszinierenden Prinzessinnen-Dakinis5, und der kühnen, furchtlosen Ma-chig Labdrön. Wir können uns inspirieren lassen von der Radikalität, mit der Meister wie Patrul Rinpoche oder Ajahn Mun die Praxis in ihr Leben umsetzen. Und wir hören von Je Tsongkhapa, dem einflussreichen Gelehrten und Erneuerer, und von dem hochgebildeten Geshe Rabten, dem weisen Mönch und gütigen Vater. Und wir begegnen dem indischen Meister Munindra, welcher die Erkenntnis-Meditation den Menschen aus dem Westen nahe bringt.
Doch was ist es, das diese Menschen bewegte, aus ihrem gewohnten, nicht selten wohlbehüteten Alltag auszubrechen, auf allen Komfort zu verzichten und außergewöhnliche Risiken und Herausforderungen auf sich zu nehmen? Es ist die drängende Frage nach dem Sinn dieses Daseins, eines vergänglichen, oftmals ungerechten, oft auch leidvollen Lebens. Und es ist – viel mehr noch – die tiefe Ahnung, dass eine ganz andere Art von Sein möglich ist: ein Leben in innerer Verbundenheit, in Freiheit und Glück. Ein Leben, wie es jedem und jeder von uns, ohne Ausnahme, möglich ist, das aber erst verwirklicht oder wiederentdeckt werden muss.
Warum aber habe ich Lebensläufe aus so vielen verschiedenen Traditionen gewählt? Geht es in dieser spirituellen Praxis denn nicht darum, Vertrauen in die eigene Übertragungslinie, die Quelle des eigenen Weges zu kultivieren? Studiert man ausschließlich die eigene Tradition, besteht eine Gefahr, die vielen meist noch nicht einmal bewusst ist: Die anderen Übertragungslinien und Traditionen werden nicht selten als weniger gut, oft auch als minderwertig oder gar irrig angesehen. Damit entsteht die leider auch im Buddhismus verbreitete Neigung zum Sektierertum. Durch die Auswahl an Lebensgeschichten und Legenden aus verschiedenen buddhistischen Traditionen möchte ich dieser bedauernswerten Tendenz etwas entgegenwirken. Allerdings enthält dieses Buch keine Geschichten aus dem Kulturkreis Ostasiens, was nicht an meiner mangelnden Wertschätzung liegt, sondern an meinen beschränkten Kenntnissen von diesen Traditionen. Das biographische Material, das uns aus den ersten zwei Jahrtausenden buddhistischer Geschichte zur Verfügung steht, ist oft recht spärlich. Ich wollte aber Menschen – Männer wie Frauen – aus den verschiedenen Epochen des Buddhismus vorstellen, um deutlich zu machen, auf welch reiches Erbe wir heute zurückblicken können: auf eine lange Kette von Menschen, die den Dharma (die Lehre) durch ihre eigene Praxis zum Leben erweckt und weitervermittelt haben.
Was heißt erwacht oder erleuchtet?
»Erleuchtung« oder »Erwachen« ist in spirituellen Kreisen ein vieldeutig verwendeter, schillernder Begriff, und gar manche bezeichnen sich heute öffentlich als erleuchtet. Dort, wo dann aber das Verhalten des oder der »Erleuchteten« nicht gerade Heiligkeit vermuten lässt, wird oft suggeriert, Erleuchtung bedeute, eine unbegrenzte innere Freiheit erlangt zu haben, die außerhalb der ethischen Normen Normalsterblicher liege und damit von verantwortlichem oder vorbildlichem Verhalten entbunden sei. Eine beträchtliche Anzahl ansonsten kritischer Menschen bewundern heute solche Auslegungen.
In der Mehrzahl der buddhistischen Traditionen jedoch wird Erwachen seit jeher recht genau definiert: Echte befreiende Erkenntnis muss von den Fesseln der Täuschung, aber auch von Leid schaffenden Emotionen befreien. Wenn diese trotzdem im Verhalten von Erleuchteten wahrnehmbar sind, heißt das nicht unbedingt, dass sie keine echten Erfahrungen des Erwachens gemacht hätten und kompetent darüber berichten könnten. Aber der Weg zur vollständigen Befreiung ist weit. Erst wenn alle Geistesgifte wie Verlangen, Ablehnung, Verblendung und deren Auswirkungen völlig aus dem Wesen eines Menschen verschwunden sind, kann man wirklich von vollständigem Erwachen sprechen. Solche Menschen sind selten, sie sind Heilige und können für uns eine kostbare Quelle der Inspiration sein.
Zwischen Verklärung und Skepsis – wie wir auf Heilige reagieren
Die meisten Legenden und Geschichten in diesem Buch haben, wie schon erwähnt, symbolischen und archetypischen Charakter. Die Protagonisten leisten Übermenschliches, vollbringen Wundertaten und verwirklichen höchste menschliche Ideale. Solche Erzählweisen wollen uns unsere Möglichkeiten vorbildhaft spiegeln. Bei uns können solche Legenden allerdings auch ganz andere Reaktionen hervorrufen – von leichtgläubiger Begeisterung bis hin zu skeptischer Ablehnung.
Wer den gesunden Menschenverstand und die Vernunft hinter sich lässt, sei es aufgrund der Sehnsucht nach romantischer Verklärung, sei es aufgrund des Wunsches, sich einem Kreis von Auserwählten zugehörig zu fühlen, befindet sich auf spirituellem Glatteis. Wer sich aber, gefangen in rein rationalem Denken, vor den grenzenlosen Möglichkeiten unseres Geistes verschließt, bringt sich selbst um den Reichtum und die Tiefe echter spiritueller Praxis.
Wir sollten uns auch nicht verleiten lassen, solche Vorbilder zu trivialisieren und unser Augenmerk darauf zu richten, dass auch sie Fehler hatten. Vielmehr können wir den Schritt wagen, durch sie auch unsere eigenen schönen und heilsamen Qualitäten zu entdecken, sie anzuerkennen und uns daran zu erfreuen.
In diesem Sinn will dieses Buch all die wunderbaren, uns innewohnenden Fähigkeiten feiern und uns aufrufen, diese Fähigkeiten zu stärken und zum Blühen zu bringen.
DAS LEBEN DES BUDDHA – DHARMA HEUTE
So wie das Wasser des Meeres nur einen Geschmack hat –
den Geschmack von Salz,
so hat die Lehre des Erwachten nur einen Geschmack –
den Geschmack der Befreiung.6
(BUDDHA)
Leben und Wirken des Siddhartha Gautama7 – des vollständig Erwachten, des Buddha – sind auch für uns heute Lebende noch von außerordentlichem Wert und Interesse, zeigen sie doch, wie ein Mensch aus eigener Kraft Befreiung erlangt, das Wesen des menschlichen Herzens und Geistes zutiefst verstanden hat und fähig gewesen ist, anderen durch Belehrungen und geschickte Mittel einen gangbaren Weg zu dieser inneren Freiheit aufzuzeigen. In diesem Sinne sind sein Leben und seine Lehren bis heute von tiefer Bedeutung und von großer Inspirationskraft.
Im Laufe der Zeiten ist das Leben des Buddha von seinen Anhängern zum Mythos umgestaltet worden, er wurde fast zum Gottmenschen gemacht. In Asien beten Millionen Menschen zum Buddha, dafür, dass die Geschäfte gut gehen oder dass man nach dem Tod in einem Himmel wiedergeboren werden möge. Umgekehrt gibt es heute Bestrebungen, die Figur des Buddha von allen Mythen zu befreien und ihn als realen Menschen in einer realen Welt mit all ihren Zwängen und Dilemmas verstehbar zu machen. Beide Betrachtungsweisen beinhalten sowohl nachvollziehbare Beweggründe als auch sinnvolle Absichten und Ziele. Beide wollen die Religion und die religiöse Praxis den jeweiligen kulturellen Gegebenheiten und Bedürfnissen der Menschen anpassen.
Wir werden nie genau wissen können, wer der Buddha wirklich gewesen ist und wie seine unmittelbare Umwelt und sein Leben tatsächlich ausgesehen haben. Trotzdem, oder gerade deshalb, möchte ich im Folgenden einige Legenden über ihn und sein Leben erzählen und sie für uns heute mit Bedeutung zu füllen versuchen. Mir geht es dabei nicht darum, herauszufinden, wer er wirklich gewesen ist, auch nicht um eine Darstellung des Buddha als »Religionsgründer«. Der Buddha hat sich nicht als »Buddhist« verstanden. Im Wesentlichen geht es darum, dass er praktisch anwendbare Mittel zur inneren Befreiung aufgezeigt hat, die – mit den erforderlichen Anpassungen an unsere Kultur – auch heute noch sehr wirkungsvoll sind und für jene, die sie konsequent anwenden, zu außerordentlich tiefer innerer Transformation und Freiheit führen können.
Siddhartha Gautama, der Erwachte
Meine Befreiung ist unerschütterlich.8
(BUDDHA)
Die Tatsachen des Lebens
Siddhartha Gautama wächst in Kapilavatthu, der Hauptstadt der Sakya, im Palast seines Vaters, des Königs Suddhodana, heran. Weil ein Astrologe prophezeit hat, der Prinz werde entweder ein Herrscher oder ein Heiliger werden, tut der König alles, um letzteres zu verhindern. Er umgibt seinen Sohn mit Luxus und Komfort und allen nur erdenklichen materiellen Dingen, lässt ihn in Sicherheit und Annehmlichkeit aufwachsen. Er will alles tun, um seinem Sohn eine unbeschwerte Kindheit und Jugend zuteil werden zu lassen und das bedeutet auch, dass er ihn um jeden Preis davor bewahren will, den harten Tatsachen des Lebens ins Auge sehen zu müssen – sich also mit Vergänglichkeit, Alter und Tod auseinandersetzen zu müssen. So lebt Prinz Siddhartha beschützt und umhegt, beschränkt auf ein Leben hinter den Mauern des Palastes, ohne von den Härten des Lebens berührt und herausgefordert zu werden.
Viele Parallelen lassen sich hier zu unserem eigenen Leben finden. Unter einer behüteten Kindheit wird vielfach verstanden, Kindern auf jeden Fall die Begegnung mit Leidvollem zu ersparen. Doch auch als Erwachsene leben wir in dieser Gesellschaft wie unter einer Glasglocke: Wir leben in Sicherheit, meist recht komfortabel und haben mehr als genug von dem, was wir brauchen. Gleichzeitig wird das Leiden ausgegrenzt und verdeckt. Geistig Behinderte und psychisch Kranke werden in psychiatrischen Kliniken und Heimen untergebracht. Obdachlose werden vielfach von bestimmten öffentlichen Plätzen und aus den städtischen Zentren vertrieben. Alte, gebrechliche Menschen leben einsam in ihren Wohnungen, versorgt von ambulanten Pflegediensten, oder in zum Teil sehr abgelegenen Alters- oder Pflegeheimen. Die Toten werden schnell wegtransportiert, in eine spezielle Umgebung, wo sie zurechtgemacht und geschminkt werden, als ginge es zu einer Party. Ich war zwanzig, als ich zum ersten Mal einen toten Menschen sah; es war meine Großmutter, die man im Sarg, hinter einer Glaswand, aufgebahrt hatte. Das war damals für mich die einzige Gelegenheit, dem Tod ins Auge zu blicken. Wir grenzen den Tod und möglichst alles Leidvolle aus, verdrängen diese Tatsachen des Lebens und tun am liebsten so, als gäbe es das alles nicht.
Prinz Siddhartha findet eine ähnliche Situation vor, doch gibt er sich damit nicht zufrieden. Er will wissen, wie das Leben wirklich ist, was Täuschung ist und was Wirklichkeit – und ob diesem unerklärlichen Dasein nicht doch ein tieferer Sinn innewohnt. Ähnlich geht es auch manchen von uns: Irgendwie reicht uns der materielle Wohlstand nicht, auch nicht die Sicherheit und das Behütetsein. Wir wollen mehr über das Dasein wissen, wir wollen das Leben, wollen uns selbst tiefer verstehen.
Prinz Siddhartha will die Welt, die Wirklichkeit, sehen und erkunden und das Gefängnis des Palastes verlassen. Schließlich ist sein Vater dazu bereit, dies zuzulassen, und eine Rundfahrt durch die Stadt wird für den Prinzen organisiert. Der König befiehlt jedoch, dass zuerst die Häuser neu gestrichen und die Straßen gereinigt werden sollten. Vor allem aber müssten alle Alten und Kranken aus dem Stadtbild entfernt werden. Es soll also eine Szenerie geschaffen werden, die unserer Lebenswirklichkeit nicht unähnlich ist. Als der Prinz dann in seiner Kutsche durch die hübsch hergerichtete Stadt fährt, hat er aber vier Begegnungen mit für ihn aufrüttelnden Botschaften und klaren Hinweise, dass es im Leben mehr zu erforschen gibt, als das, was man isst und trinkt und wie man sein Geld mehrt und sich vergnügt.
Bei der ersten Rundfahrt begegnet Prinz Siddhartha einem kranken Menschen; er sieht ein leidendes und gequältes Wesen, das unter großen Schmerzen leidet. Auf seine Frage: »Was ist denn das?«, sagt Chanda, sein Freund und Kutscher: »Dies ist ein kranker Mensch.« Auf Siddharthas Drängen erklärt er weiter: »Krankheit ist etwas, das uns allen widerfährt. Es liegt in der Natur des Körpers, dass er krank wird und dass er Schmerz und Leiden erfährt.« Dies berührt den Prinzen sehr.
Auf seiner zweiten Ausfahrt begegnet er einem alten, gebrechlichen Menschen, der gebeugt und kraftlos seines Weges geht. Auch dieser Anblick verstört den Prinzen, und sein Freund erklärt ihm: »Das ist ein Mensch, der alt geworden ist, dessen Sinne ihre Kraft verloren haben, dessen Energie versiegt und dessen Körper schwach geworden ist und zerfällt. Jedem von uns wird es genauso ergehen.«
Bei seiner dritten Rundfahrt durch die Stadt sieht Siddhartha einen Leichnam. Auch einen Toten hat er noch nie zuvor gesehen. Auf seine Frage erklärt ihm Chanda: »Das ist ein Toter. Jeder von uns wird ohne Ausnahme sterben.« In Indien werden die Toten von ihren Verwandten auf der Bahre durch die Straße getragen. Dabei singen und rezitieren sie laut den Namen Gottes. Und jedermann sieht: Da ist wieder jemand gestorben. Auch bei uns wird gestorben. Aber dies geschieht mehrheitlich im Verborgenen. Und so können wir uns vor der Auseinandersetzung mit dieser Wirklichkeit des Lebens immer wieder herumdrücken, spüren aber vielleicht zumindest unterschwellig oft ein Gefühl der Unruhe und Angst, die uns darauf verweist, dass es da etwas gibt, was wir uns nicht anschauen mögen, was aber dadurch nicht einfach verschwindet.
Obschon man den Prinzen im Palast von den harten Tatsachen des Lebens abgeschirmt hat, wird er wohl schon eine Ahnung davon gehabt haben, dass es über diese Lebenswirklichkeit hinaus noch etwas anderes gibt – das ausgesperrte Leidvolle. Aber es hat der Konfrontation, der aktiven Auseinandersetzung mit diesen Gegebenheiten des Daseins bedurft; sie sind die Voraussetzung dafür gewesen, dass er dann zu wirklichkeitsnaher Klarheit und Verbundenheit zu gelangen vermag und die innere Haltung des Verdrängens und der Entfremdung ernsthaft verändern kann.
Ein viertes Mal macht der Prinz eine Fahrt durch die Stadt und er sieht einen Asketen, einen Wandermönch, der große Ruhe, Gelassenheit und Heiterkeit ausstrahlt. Auf Siddharthas Nachfrage hin erklärt ihm Chanda: »Dies ist ein Mönch, einer, der aus der Gesellschaft ausgestiegen ist, um den Weg des Heils zu gehen, um das eigene Herz zu befreien.« Da beginnt der Prinz zu verstehen, dass es Menschen gibt, die sich ernsthaft den Fragen des Lebens stellen; Menschen, die wirklich suchen: nach einem Weg zur Erkenntnis, nach einem Weg zu mehr Verbundenheit und Ganzheit. Und diese Erfahrung wirkt so nachhaltig auf ihn, dass er beschließt, den Palast zu verlassen und ein Leben als Suchender zu beginnen. So zieht er in die Hauslosigkeit, um als Asket und Bettelmönch lebend nach einem tieferen Sinn des Lebens, nach einem Weg zur inneren Befreiung zu suchen. Dies ist ein erster, tiefgreifender Bruch mit den Gewohnheiten und Werten seines bisherigen Lebens.
Auch hier lassen sich Parallelen zu unserem Leben finden. In den meisten Fällen mag unsere Entscheidung nicht gar so radikal aussehen wie die von Siddhartha Gautama. Nur wenige entschließen sich, alles aufzugeben, vielleicht nach Asien zu gehen, sich den Kopf kahl zu scheren, strenge Regeln auf sich zu nehmen und in einem Kloster oder Ashram zu leben.
Eher ist es vielfach so, dass wir uns innerlich neu zu orientieren und uns von Belanglosem zu lösen beginnen. Vielleicht beschließen wir, unseren Geist zu erforschen und besuchen ein Meditationszentrum, eine Stätte der Einkehr, ein Kloster auf Zeit. Wir suchen Stille, Klarheit. Wir möchten unseren Geist, unser Herz erforschen. Wir sind auch bereit, einiges loszulassen an Komfort und lieben Gewohnheiten. Diese Art des Innehaltens, der Abkehr von der Welt ist nötig, um sich selbst begegnen zu können. Obschon dies oft nicht leicht fällt und wir versucht sein mögen, noch ein bisschen Außenwelt ins Retreat hinüberzuretten, gilt doch: Retreat heißt Rückzug. Rückzug aus der Geschäftigkeit, aus der endlosen Zerstreuung durch die zahllosen, scheinbar notwendigen und doch unnötigen Dinge des Lebens, Rückzug auf das Wesentliche. Auch hier ist der zukünftige Buddha ein großes Beispiel für uns. Stellen wir uns vor, er wäre in die Hauslosigkeit gezogen, hätte aber seine Diener mitgenommen, seine Kutsche für unterwegs und Geld, um sich Dinge kaufen zu können. Wir wären wohl etwas weniger beeindruckt und inspiriert von seinem Lebensweg. Wie schwer fällt es dagegen heute manchen von uns, während eines Retreats auch nur auf das Mobiltelefon zu verzichten.