Kitabı oku: «Die Grundlagen der Arithmetik», sayfa 8
Unendliche Anzahlen
§ 84. Den endlichen gegenüber stehen die unendlichen Anzahlen. Die Anzahl, welche dem Begriffe »endliche Anzahl« zukommt, ist eine unendliche. Bezeichnen wir sie etwa durch ∞₁! Wäre sie eine endliche, so könnte sie nicht auf sich selber in der natürlichen Zahlenreihe folgen. Man kann aber zeigen, dass ∞₁ das thut.
In der so erklärten unendlichen Anzahl ∞₁ liegt nichts irgendwie Geheimnissvolles oder Wunderbares. »Die Anzahl, welche dem Begriffe F zukommt, ist ∞₁« heisst nun nichts mehr und nichts weniger als: es giebt eine Beziehung, welche die unter den Begriff F fallenden Gegenstände den endlichen
§ 85. Vor Kurzem hat G. Cantor in einer bemerkenswerthen Schrift97 unendliche Anzahlen eingeführt. Ich stimme ihm durchaus in der Würdigung der Ansicht bei, welche überhaupt nur die endlichen Anzahlen als wirklich gelten lassen will. Sinnlich wahrnehmbar und räumlich sind weder diese noch die Brüche, noch die negativen, irrationalen und complexen Zahlen; und wenn man wirklich nennt, was auf die Sinne wirkt, oder was wenigstens Wirkungen hat, die Sinneswahrnehmungen zur nähern oder entferntern Folge haben können, so ist freilich keine dieser Zahlen wirklich. Aber wir brauchen auch solche Wahrnehmungen gar nicht als Beweisgründe für unsere Lehrsätze. Einen Namen oder ein Zeichen, das logisch einwurfsfrei eingeführt ist, können wir in unsern Untersuchungen ohne Scheu gebrauchen, und so ist unsere Anzahl ∞₁ so gerechtfertigt wie die Zwei oder die Drei.
Indem ich hierin, wie ich glaube, mit Cantor übereinstimme, weiche ich doch in der Benennung etwas von ihm ab. Meine Anzahl nennt er »Mächtigkeit,« während sein Begriff98 der Anzahl auf die Anordnung Bezug nimmt. Für endliche Anzahlen ergiebt sich freilich doch eine Unabhängigkeit von der Reihenfolge, dagegen nicht für unendlichgrosse. Nun enthält der Sprachgebrauch des Wortes »Anzahl« und der Frage »wieviele?« keine Hinweisung auf eine bestimmte Anordnung. Cantors Anzahl antwortet vielmehr auf die Frage: »das wievielste Glied in der Succession ist das Endglied?« Darum scheint mir meine Benennung besser mit dem Sprachgebrauche übereinzustimmen. Wenn man die Bedeutung eines Wortes erweitert, so wird man darauf zu achten haben, dass möglichst viele allgemeine Sätze ihre Geltung behalten und zumal so grundlegende, wie für die Anzahl die Unabhängigkeit von der Reihenfolge ist. Wir haben gar keine Erweiterung nöthig gehabt, weil unser Begriff der Anzahl sofort auch unendliche Zahlen umfasst.
§ 86. Um seine unendlichen Anzahlen zu gewinnen, führt Cantor den Beziehungsbegriff des Folgens in einer Succession ein, der von meinem »Folgen in einer Reihe« abweicht. Nach ihm würde z. B. eine Succession entstehen, wenn man die endlichen positiven ganzen Zahlen so anordnete, dass die unpaaren in ihrer natürlichen Reihenfolge für sich und ebenso die paaren unter sich auf einander folgten, ferner festgesetzt wäre, dass jede paare auf jede unpaare folgen solle. In dieser Succession würde z. B. 0 auf 13 folgen. Es wurde aber keine Zahl unmittelbar der 0 vorhergehen. Dies ist nun ein Fall, der in dem von mir definirten Folgen in der Reihe nicht vorkommen kann. Man kann streng beweisen, ohne ein Axiom der Anschauung zu benutzen, dass wenn y auf x in der φ-Reihe folgt, es einen Gegenstand giebt, der in dieser Reihe dem y unmittelbar vorhergeht. Mir scheinen nun genaue Definitionen des Folgens in der Succession und der cantorschen Anzahl noch zu fehlen. So beruft sich Cantor auf die etwas geheimnissvolle »innere Anschauung,« wo ein Beweis aus Definitionen anzustreben und wohl auch möglich wäre. Denn ich glaube vorauszusehen, wie sich jene Begriffe bestimmen liessen. Jedenfalls will ich durch diese Bemerkungen, deren Berechtigung und Fruchtbarkeit durchaus nicht angreifen. Im Gegentheil begrüsse ich in diesen Untersuchungen eine Erweiterung der Wissenschaft besonders deshalb, weil durch sie ein rein arithmetischer Weg zu höhern unendlichgrossen Anzahlen (Mächtigkeiten) gebahnt ist.
V. Schluss
§ 87. Ich hoffe in dieser Schrift wahrscheinlich gemacht zu haben, dass die arithmetischen Gesetze analytische Urtheile und folglich a priori sind. Demnach würde die Arithmetik nur eine weiter ausgebildete Logik, jeder arithmetische Satz ein logisches Gesetz, jedoch ein abgeleitetes sein. Die Anwendungen der Arithmetik zur Naturerklärung wären logische Bearbeitungen von beobachteten Thatsachen99; Rechnen wäre Schlussfolgern. Die Zahlgesetze werden nicht, wie Baumann100 meint, eine praktische Bewährung nöthig haben, um in der Aussenwelt anwendbar zu sein; denn in der Aussenwelt, der Gesammtheit des Räumlichen, giebt es keine Begriffe, keine Eigenschaften der Begriffe, keine Zahlen. Also sind die Zahlgesetze nicht eigentlich auf die äussern Dinge anwendbar: sie sind nicht Naturgesetze. Wohl aber sind sie anwendbar auf Urtheile, die von Dingen der Aussenwelt gelten: sie sind Gesetze der Naturgesetze. Sie behaupten nicht einen Zusammenhang zwischen Naturerscheinungen, sondern einen solchen zwischen Urtheilen; und zu diesen gehören auch die Naturgesetze.
§ 88. Kant101 hat den Werth der analytischen Urtheile offenbar – wohl in Folge einer zu engen Begriffsbestimmung – unterschätzt, obgleich ihm der hier benutzte weitere Begriff vorgeschwebt zu haben scheint102. Wenn man seine Definition zu Grunde legt, ist die Eintheilung in analytische und synthetische Urtheile nicht erschöpfend. Er denkt an den Fall des allgemein bejahenden Urtheils. Dann kann man von einem Subjectsbegriffe reden und fragen, ob der Prädicatsbegriff in ihm – zufolge der Definition – enthalten sei. Wie aber, wenn das Subject ein einzelner Gegenstand ist? wie, wenn es sich um ein Existentialurtheil handelt? Dann kann in diesem Sinne gar nicht von einem Subjectsbegriffe die Rede sein. Kant scheint den Begriff durch beigeordnete Merkmale bestimmt zu denken; das ist aber eine der am wenigsten fruchtbaren Begriffsbildungen. Wenn man die oben gegebenen Definitionen überblickt, so wird man kaum eine von der Art finden. Dasselbe gilt auch von den wirklich fruchtbaren Definitionen in der Mathematik z. B. der Stetigkeit einer Function. Wir haben da nicht eine Reihe beigeordneter Merkmale, sondern eine innigere, ich möchte sagen organischere Verbindung der Bestimmungen. Man kann sich den Unterschied durch ein geometrisches Bild anschaulich machen. Wenn man die Begriffe (oder ihre Umfänge) durch Bezirke einer Ebene darstellt, so entspricht dem durch beigeordnete Merkmale definirten Begriffe der Bezirk, welcher allen Bezirken der Merkmale gemeinsam ist; er wird durch Theile von deren Begrenzungen umschlossen. Bei einer solchen Definition handelt es sich also – im Bilde zu sprechen – darum, die schon gegebenen Linien in neuer Weise zur Abgrenzung eines Bezirks zu verwenden103. Aber dabei kommt nichts wesentlich Neues zum Vorschein. Die fruchtbareren Begriffsbestimmungen ziehen Grenzlinien, die noch gar nicht gegeben waren. Was sich aus ihnen schliessen lasse, ist nicht von vornherein zu übersehen; man holt dabei nicht einfach aus dem Kasten wieder heraus, was man hineingelegt hatte. Diese Folgerungen erweitern unsere Kenntnisse, und man sollte sie daher Kant zufolge für synthetisch halten; dennoch können sie rein logisch bewiesen werden und sind also analytisch. Sie sind in der That in den Definitionen enthalten, aber wie die Pflanze im Samen, nicht wie der Balken im Hause. Oft braucht man mehre Definitionen zum Beweise eines Satzes, der folglich in keiner einzelnen enthalten ist und doch aus allen zusammen rein logisch folgt.
§ 89. Ich muss auch der Allgemeinheit der Behauptung Kants104 widersprechen: ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben werden. Die Null, die Eins sind Gegenstände, die uns nicht sinnlich gegeben werden können. Auch Diejenigen, welche die kleineren Zahlen für anschaulich halten, werden doch einräumen müssen, dass ihnen keine der Zahlen, die grösser als 1000 (10001000) sind, anschaulich gegeben werden können, und dass wir dennoch Mancherlei von ihnen wissen. Vielleicht hat Kant das Wort »Gegenstand« in etwas anderm Sinne gebraucht; aber dann fallen die Null, die Eins, unser ∞₁ ganz aus seiner Betrachtung heraus; denn Begriffe sind sie auch nicht, und auch von Begriffen verlangt Kant104, dass man ihnen den Gegenstand in der Anschauung beifüge.
Um nicht den Vorwurf einer kleinlichen Tadelsucht gegenüber einem Geiste auf mich zu laden, zu dem wir nur mit dankbarer Bewunderung aufblicken können, glaube ich auch die Uebereinstimmung hervorheben zu müssen, welche weit überwiegt. Um nur das hier zunächst Liegende zu berühren, sehe ich ein grosses Verdienst Kants darin, dass er die Unterscheidung von synthetischen und analytischen Urtheilen gemacht hat. Indem er die geometrischen Wahrheiten synthetisch und a priori nannte, hat er ihr wahres Wesen enthüllt. Und dies ist noch jetzt werth wiederholt zu werden, weil es noch oft verkannt wird. Wenn Kant sich hinsichtlich der Arithmetik geirrt hat, so thut das, glaube ich, seinem Verdienste keinen wesentlichen Eintrag. Ihm kam es darauf an, dass es synthetische Urtheile a priori giebt; ob sie nur in der Geometrie oder auch in der Arithmetik vorkommen, ist von geringerer Bedeutung.
§ 90. Ich erhebe nicht den Anspruch, die analytische Natur der arithmetischen Sätze mehr als wahrscheinlich gemacht zu haben, weil man immer noch zweifeln kann, ob ihr Beweis ganz aus rein logischen Gesetzen geführt werden könne, ob sich nicht irgendwo ein Beweisgrund andrer Art unvermerkt einmische. Dies Bedenken wird auch durch die Andeutungen nicht vollständig entkräftet, die ich für den Beweis einiger Sätze gegeben habe; es kann nur durch eine lückenlose Schlusskette gehoben werden, sodass kein Schritt geschieht, der nicht einer von wenigen als rein logisch anerkannten Schlussweisen gemäss ist. So ist bis jetzt kaum ein Beweis geführt worden, weil der Mathematiker zufrieden ist, wenn jeder Uebergang zu einem neuen Urtheile als richtig einleuchtet, ohne nach der Natur dieses Einleuchtens zu fragen, ob es logisch oder anschaulich sei. Ein solcher Fortschritt ist oft sehr zusammengesetzt und mehren einfachen Schlüssen gleichwerthig, neben welchen noch aus der Anschauung etwas einfliessen kann. Man geht sprungweise vor, und daraus entsteht die scheinbar überreiche Mannichfaltigkeit der Schlussweisen in der Mathematik; denn je grösser die Sprünge sind, desto vielfachere Combinationen aus einfachen Schlüssen und Anschauungsaxiomen können sie vertreten. Dennoch leuchtet uns ein solcher Uebergang oft unmittelbar ein, ohne dass uns die Zwischenstufen zum Bewusstsein kommen, und da er sich nicht als eine der anerkannten logischen Schlussweisen darstellt, sind wir sogleich bereit, dies Einleuchten für ein anschauliches und die erschlossene Wahrheit für eine synthetische zu halten, auch dann, wenn der Geltungsbereich offenbar über das Anschauliche hinausreicht.
Auf diesem Wege ist es nicht möglich, das auf Anschauung beruhende Synthetische von dem Analytischen rein zu scheiden. Es gelingt so auch nicht, die Axiome der Anschauung mit Sicherheit vollständig zusammenzustellen, sodass jeder mathematische Beweis allein aus diesen Axiomen nach den logischen Gesetzen geführt werden kann.
§ 91. Die Forderung ist also unabweisbar, alle Sprünge in der Schlussfolgerung zu vermeiden. Dass ihr so schwer zu genügen ist, liegt an der Langwierigkeit eines schrittweisen Vorgehens. Jeder nur etwas verwickeltere Beweis droht eine ungeheuerliche Länge anzunehmen. Dazu kommt, dass die übergrosse Mannichfaltigkeit der in der Sprache ausgeprägten logischen Formen es erschwert, einen Kreis von Schlussweisen abzugrenzen, der für alle Fälle genügt und leicht zu übersehen ist.
Um diese Uebelstände zu vermindern, habe ich meine Begriffsschrift erdacht. Sie soll grössere Kürze und Uebersichtlichkeit des Ausdrucks erzielen und sich in wenigen festen Formen nach Art einer Rechnung bewegen, sodass kein Uebergang gestattet wird, der nicht den ein für alle Mal aufgestellten Regeln gemäss ist105. Es kann sich dann kein Beweisgrund unbemerkt einschleichen. Ich habe so, ohne der Anschauung ein Axiom zu entlehnen, einen Satz bewiesen106, den man beim ersten Blick für einen synthetischen halten möchte, welchen ich hier so aussprechen will:
Wenn die Beziehung jedes Gliedes einer Reihe zum nächstfolgenden eindeutig ist, und wenn m und y in dieser Reihe auf x folgen, so geht y dem m in dieser Reihe vorher oder fällt mit ihm zusammen oder folgt auf m.
Aus diesem Beweise kann man ersehen, dass Sätze, welche unsere Kenntnisse erweitern, analytische Urtheile enthalten können107.
Andere Zahlen
§ 92. Wir haben unsere Betrachtung bisher auf die Anzahlen beschränkt. Werfen wir nun noch einen Blick auf die andern Zahlengattungen und versuchen wir für dies weitere Feld nutzbar zu machen, was wir auf dem engern erkannt haben!
Um den Sinn der Frage nach der Möglichkeit einer gewissen Zahl klar zu machen, sagt Hankel108:
»Ein Ding, eine Substanz, die selbständig ausserhalb des denkenden Subjects und der sie veranlassenden Objecte existirte, ein selbständiges Princip, wie etwa bei den Pythagoräern, ist die Zahl heute nicht mehr. Die Frage von der Existenz kann daher nur auf das denkende Subject oder die gedachten Objecte, deren Beziehungen die Zahlen darstellen, bezogen werden. Als unmöglich gilt dem Mathematiker streng genommen nur das, was logisch unmöglich ist, d. h. sich selbst widerspricht. Dass in diesem Sinne unmögliche Zahlen nicht zugelassen werden können, bedarf keines Beweises. Sind aber die betreffenden Zahlen logisch möglich, ihr Begriff klar und bestimmt definirt und also ohne Widerspruch, so kann jene Frage nur darauf hinauskommen, ob es im Gebiete des Realen oder des in der Anschauung Wirklichen, des Actuellen ein Substrat derselben, ob es Objecte gebe, an welchen die Zahlen, also die intellectuellen Beziehungen der bestimmten Art zur Erscheinung kommen«.
§ 93. Bei dem ersten Satze kann man zweifeln, ob nach Hankel die Zahlen in dem denkenden Subjecte oder in den sie veranlassenden Objecten oder in beiden existiren. Im räumlichen Sinne sind sie jedenfalls weder innerhalb noch ausserhalb weder des Subjects noch eines Objects. Wohl aber sind sie in dem Sinne ausserhalb des Subjects, dass sie nicht subjectiv sind. Während jeder nur seinen Schmerz, seine Lust, seinen Hunger fühlen, seine Ton- und Farbenempfindungen haben kann, können die Zahlen gemeinsame Gegenstände für Viele sein, und zwar sind sie für Alle genau dieselben, nicht nur mehr oder minder ähnliche innere Zustände von Verschiedenen. Wenn Hankel die Frage von der Existenz auf das denkende Subject beziehen will, so scheint er sie damit zu einer psychologischen zu machen, was sie in keiner Weise ist. Die Mathematik beschäftigt sich nicht mit der Natur unserer Seele, und wie irgendwelche psychologische Fragen beantwortet werden, muss für sie völlig gleichgiltig sein.
§ 94. Auch dass dem Mathematiker nur, was sich selbst widerspricht, als unmöglich gelte, muss beanstandet werden. Ein Begriff ist zulässig, auch wenn seine Merkmale einen Widerspruch enthalten; man darf nur nicht voraussetzen, dass etwas unter ihn falle. Aber daraus, dass der Begriff keinen Widerspruch enthält, kann noch nicht geschlossen werden, dass etwas unter ihn falle. Wie soll man übrigens beweisen, dass ein Begriff keinen Widerspruch enthalte? Auf der Hand liegt das keineswegs immer; daraus, dass man keinen Widerspruch sieht, folgt nicht, dass keiner da ist, und die Bestimmtheit der Definition leistet keine Gewähr dafür. Hankel beweist109, dass ein höheres begrenztes complexes Zahlensystem als das gemeine, das allen Gesetzen der Addition und Multiplication unterworfen wäre, einen Widerspruch enthält. Das muss eben bewiesen werden; man sieht es nicht sogleich. Bevor dies geschehen, könnte immerhin jemand unter Benutzung eines solchen Zahlensystems zu wunderbaren Ergebnissen gelangen, deren Begründung nicht schlechter wäre, als die, welche Hankel110 von den Determinantensätzen mittels der alternirenden Zahlen giebt; denn wer bürgt dafür, dass nicht auch in deren Begriffe ein versteckter Widerspruch enthalten ist? Und selbst, wenn man einen solchen allgemein für beliebig viele alternirende Einheiten ausschliessen könnte, würde immer noch nicht folgen, dass es solche Einheiten gebe. Und grade dies brauchen wir. Nehmen wir als Beispiel den 18. Satz des 1. Buches von Euklids Elementen:
In jedem Dreiecke liegt der grössern Seite der grössere Winkel gegenüber.
Um das zu beweisen, trägt Euklid auf der grössern Seite AC ein Stück AD gleich der kleinern Seite AB ab und beruft sich dabei auf eine frühere Construction. Der Beweis würde in sich zusammenfallen, wenn es einen solchen Punkt nicht gäbe, und es genügt nicht, dass man in dem Begriffe »Punkt auf AC, dessen Entfernung von A gleich B ist« keinen Widerspruch entdeckt. Es wird nun B mit D verbunden. Auch dass es eine solche Gerade giebt, ist ein Satz, auf den sich der Beweis stützt.
§ 95. Streng kann die Widerspruchslosigkeit eines Begriffes wohl nur durch den Nachweis dargelegt werden, dass etwas unter ihn falle. Das Umgekehrte würde ein Fehler sein. In diesen verfällt Hankel, wenn er in Bezug auf die Gleichung x + b = c sagt111:
»Es liegt auf der Hand, dass es, wenn b > c ist, keine Zahl x in der Reihe 1, 2, 3, … giebt, welche die betreffende Aufgabe löst: die Subtraction ist dann unmöglich. Nichts hindert uns jedoch, dass wir in diesem Falle die Differenz (c − b) als ein Zeichen ansehen, welches die Aufgabe löst, und mit welchem genau so zu operiren ist, als wenn es eine numerische Zahl aus der Reihe 1, 2, 3, … wäre.«
Uns hindert allerdings etwas (2 − 3), ohne Weiteres als Zeichen anzusehen, welches die Aufgabe löst; denn ein leeres Zeichen löst eben die Aufgabe nicht; ohne einen Inhalt ist es nur Tinte oder Druckerschwärze auf Papier, hat als solche physikalische Eigenschaften, aber nicht die, um 3 vermehrt 2 zu geben. Es wäre eigentlich gar kein Zeichen, und sein Gebrauch als solches wäre ein logischer Fehler. Auch in dem Falle, wo c > b, ist nicht das Zeichen (»c − b«) die Lösung der Aufgabe, sondern dessen Inhalt.
§ 96. Ebensogut könnte man sagen: unter den bisher bekannten Zahlen giebt es keine, welche die beiden Gleichungen
x + 1 = 2 und x + 2 = 1
zugleich befriedigt; aber nichts hindert uns ein Zeichen einzuführen, das die Aufgabe löst. Man wird sagen: die Aufgabe enthält ja einen Widerspruch. Freilich, wenn man als Lösung eine reelle oder gemeine complexe Zahl verlangt; aber erweitern wir doch unser Zahlsystem, schaffen wir doch Zahlen, die den Anforderungen genügen! Warten wir ab, ob uns jemand einen Widerspruch nachweist! Wer kann wissen, was bei diesen neuen Zahlen möglich ist? Die Eindeutigkeit der Subtraction werden wir dann freilich nicht aufrecht erhalten können; aber wir müssen ja auch die Eindeutigkeit des Wurzelziehens aufgeben, wenn wir die negativen Zahlen einführen wollen; durch die complexen Zahlen wird das Logarithmiren vieldeutig.
Schaffen wir auch Zahlen, welche divergirende Reihen zu summiren gestatten! Nein! auch der Mathematiker kann nicht beliebig etwas schaffen, so wenig wie der Geograph; auch er kann nur entdecken, was da ist, und es benennen.
An diesem Irrthum krankt die formale Theorie der Brüche, der negativen, der complexen Zahlen112. Man stellt die Forderung, dass die bekannten Rechnungsregeln für die neu einzuführenden Zahlen möglichst erhalten bleiben, und leitet daraus allgemeine Eigenschaften und Beziehungen ab. Stösst man nirgends auf einen Widerspruch, so hält man die Einführung der neuen Zahlen für gerechtfertigt, als ob ein Widerspruch nicht dennoch irgendwo versteckt sein könnte, und als ob Widerspruchslosigkeit schon Existenz wäre.
§ 97. Dass dieser Fehler so leicht begangen wird, liegt wohl an einer mangelhaften Unterscheidung der Begriffe von den Gegenständen. Nichts hindert uns, den Begriff »Quadratwurzel aus -1« zu gebrauchen; aber wir sind nicht ohne Weiteres berechtigt, den bestimmten Artikel davor zu setzen und den Ausdruck »die Quadratwurzel aus -1« als einen sinnvollen anzusehen. Wir können unter der Voraussetzung, dass i² = -1 sei, die Formel beweisen, durch welche der Sinus eines Vielfachen des Winkels α durch Sinus und Cosinus von α selbst ausgedrückt wird; aber wir dürfen nicht vergessen, dass der Satz dann die Bedingung i² = -1 mit sich führt, welche wir nicht ohne Weiteres weglassen dürfen. Gäbe es gar nichts, dessen Quadrat -1 wäre, so brauchte die Gleichung kraft unseres Beweises nicht richtig zu sein113, weil die Bedingung i² = -1 niemals erfüllt wäre, von der ihre Geltung abhängig erscheint. Es wäre so, als ob wir in einem geometrischen Beweise eine Hilfslinie benutzt hätten, die gar nicht gezogen werden kann.
§ 98. Hankel114 führt zwei Arten von Operationen ein, die er lytische und thetische nennt, und die er durch gewisse Eigenschaften bestimmt, welche diese Operationen haben sollen. Dagegen ist nichts zu sagen, so lange man nur nicht voraussetzt, dass es solche Operationen und Gegenstände giebt, welche deren Ergebnisse sein können115. Später116 bezeichnet er eine thetische, vollkommen eindeutige, associative Operation durch (a + b) und die entsprechende ebenfalls vollkommen eindeutige lytische durch (a − b). Eine solche Operation? welche? eine beliebige? dann ist dies keine Definition von (a + b); und wenn es nun keine giebt? Wenn das Wort »Addition« noch keine Bedeutung hätte, wäre es logisch zulässig zu sagen: eine solche Operation wollen wir eine Addition nennen; aber man darf nicht sagen: eine solche Operation soll die Addition heissen und durch (a + b) bezeichnet werden, bevor es feststeht, dass es eine und nur eine einzige giebt. Man darf nicht auf der einen Seite einer Definitionsgleichung den unbestimmten und auf der andern den bestimmten Artikel gebrauchen. Dann sagt Hankel ohne Weiteres: »der Modul der Operation«, ohne bewiesen zu haben, dass es einen und nur einen giebt.
§ 99. Kurz diese rein formale Theorie ist unzureichend. Das Werthvolle an ihr ist nur dies. Man beweist, dass wenn Operationen gewisse Eigenschaften wie die Associativität und die Commutativität haben, gewisse Sätze von ihnen gelten. Man zeigt nun, dass die Addition und Multiplication, welche man schon kennt, diese Eigenschaften haben, und kann nun sofort jene Sätze von ihnen aussprechen, ohne den Beweis in jedem einzelnen Falle weitläufig zu wiederholen. Erst durch diese Anwendung auf anderweitig gegebene Operationen, gelangt man zu den bekannten Sätzen der Arithmetik. Keineswegs darf man aber glauben die Addition und die Multiplication auf diesem Wege einführen zu können. Man giebt nur eine Anleitung für die Definitionen, nicht diese selbst. Man sagt: der Name »Addition« soll nur einer thetischen, vollkommen eindeutigen, associativen Operation gegeben werden, womit diejenige, welche nun so heissen soll, noch gar nicht angegeben ist. Danach stände nichts im Wege, die Multiplication Addition zu nennen und durch (a + b) zu bezeichnen, und niemand könnte mit Bestimmtheit sagen, ob 2 + 3 5 oder 6 wäre.
§ 100. Wenn wir diese rein formale Betrachtungsweise aufgeben, so kann sich aus dem Umstande, dass gleichzeitig mit der Einführung von neuen Zahlen die Bedeutung der Wörter »Summe« und »Product« erweitert wird, ein Weg darzubieten scheinen. Man nimmt einen Gegenstand, etwa den Mond, und erklärt: der Mond mit sich selbst multiplicirt sei -1. Dann haben wir in dem Monde eine Quadratwurzel aus -1. Diese Erklärung scheint gestattet, weil aus der bisherigen Bedeutung der Multiplication der Sinn eines Solchen Products noch gar nicht hervorgeht und also bei der Erweiterung dieser Bedeutung beliebig festgesetzt werden kann. Aber wir brauchen auch die Producte einer reellen Zahl mit der Quadratwurzel aus -1. Wählen wir deshalb lieber den Zeitraum einer Secunde zu einer Quadratwurzel aus -1 und bezeichnen ihn durch i! Dann werden wir unter 3 i den Zeitraum von 3 Secunden verstehen u. s. w.117 Welchen Gegenstand werden wir dann etwa durch 2 + 3i bezeichnen? Welche Bedeutung würde dem Pluszeichen in diesem Falle zu geben sein? Nun das muss allgemein festgesetzt werden, was freilich nicht leicht sein wird. Doch nehmen wir einmal an, dass wir allen Zeichen von der Form a + bi einen Sinn gesichert hätten, und zwar einen solchen, dass die bekannten Additionssätze gelten! Dann müssten wir ferner festsetzen, dass allgemein
(a + bi) (c + di) = ac − bd + i (ad + bc)
sein solle, wodurch wir die Multiplication weiter bestimmen würden.
§ 101. Nun könnten wir die Formel für cos (nα) beweisen, wenn wir wüssten, dass aus der Gleichheit complexer Zahlen die Gleichheit der reellen Theile folgt. Das müsste aus dem Sinne von a + bi hervorgehn, den wir hier als vorhanden angenommen haben. Der Beweis würde nur für den Sinn der complexen Zahlen, ihrer Summen und Producte gelten, den wir festgesetzt haben. Da nun für ganzes reelles n und reelles α i gar nicht mehr in der Gleichung vorkommt, so ist man versucht zu schliessen: also ist es ganz gleichgiltig, ob i eine Secunde, ein Millimeter oder was sonst bedeutet, wenn nur unsere Additions- und Multiplicationssätze gelten; auf die allein kommt es an; um das Uebrige brauchen wir uns nicht zu kümmern. Vielleicht kann man die Bedeutung von a + bi, von Summe und Product in verschiedener Weise so festsetzen, dass jene Sätze bestehen bleiben; aber es ist nicht gleichgiltig, ob man überhaupt einen solchen Sinn für diese Ausdrücke finden kann.
§ 102. Man thut oft so, als ob die blosse Forderung schon ihre Erfüllung wäre. Man fordert, dass die Subtraction118, die Division, die Radicirung immer ausführbar seien, und glaubt damit genug gethan zu haben. Warum fordert man nicht auch, dass durch beliebige drei Punkte eine Gerade gezogen werde? Warum fordert man nicht, dass für ein dreidimensionales complexes Zahlensystem sämmtliche Additions- und Multiplicationssätze gelten wie für ein reelles? Weil diese Forderung einen Widerspruch enthält. Ei so beweise man denn erst, dass jene andern Forderungen keinen Widerspruch enthalten! Ehe man das gethan hat, ist alle vielerstrebte Strenge nichts als eitel Schein und Dunst.
In einem geometrischen Lehrsatze kommt die zum Beweise etwa gezogene Hilfslinie nicht vor. Vielleicht sind mehre möglich z. B., wenn man einen Punkt willkührlich wählen kann. Aber wie entbehrlich auch jede einzelne sein mag, so hängt doch die Beweiskraft daran, dass man eine Linie von der verlangten Beschaffenheit ziehen könne. Die blosse Forderung genügt nicht. So ist es auch in unserm Falle für die Beweiskraft nicht gleichgiltig, ob »a + bi« einen Sinn hat oder blosse Druckerschwärze ist. Es reicht dazu nicht hin, zu verlangen, es solle einen Sinn haben, oder zu sagen, der Sinn sei die Summe von a und bi, wenn man nicht vorher erklärt hat, was »Summe« in diesem Falle bedeutet, und wenn man den Gebrauch des bestimmten Artikels nicht gerechtfertigt hat.
§ 103. Gegen die von uns versuchte Festsetzung des Sinnes von »i« lässt sich freilich Manches einwenden. Wir bringen dadurch etwas ganz Fremdartiges, die Zeit, in die Arithmetik. Die Secunde steht in gar keiner innern Beziehung zu den reellen Zahlen. Die Sätze, welche mittels der complexen Zahlen bewiesen werden, würden Urtheile a posteriori oder doch synthetische sein, wenn es keine andere Art des Beweises gäbe, oder wenn man für i keinen andern Sinn finden könnte. Zunächst muss jedenfalls der Versuch gemacht werden, alle Sätze der Arithmetik als analytische nachzuweisen.
Wenn Kossak119 in Bezug auf die complexe Zahl sagt:
»Sie ist die zusammengesetzte Vorstellung von verschiedenartigen Gruppen unter einander gleicher Elemente120«, so scheint er damit die Einmischung von Fremdartigem vermieden zu haben; aber er scheint es auch nur infolge der Unbestimmtheit des Ausdrucks. Man erhält gar keine Antwort darauf, was 1 + i eigentlich bedeute: die Vorstellung eines Apfels und einer Birne oder die von Zahnweh und Podagra? Beide zugleich kann es doch nicht bedeuten, weil dann 1 + i nicht immer gleich 1 + i wäre. Man wird sagen: das kommt auf die besondere Festsetzung an. Nun, dann haben wir auch in Kossak's Satze noch gar keine Definition der complexen Zahl, sondern nur eine allgemeine Anleitung dazu. Wir brauchen aber mehr; wir müssen bestimmt wissen, was »i« bedeutet, und wenn wir nun jener Anleitung folgend sagen wollten: die Vorstellung einer Birne, so würden wir wieder etwas Fremdartiges in die Arithmetik einführen.
Das, was man die geometrische Darstellung complexer Zahlen zu nennen pflegt, hat wenigstens den Vorzug vor den bisher betrachteten Versuchen, dass dabei 1 und i nicht ganz ohne Zusammenhang und ungleichartig erscheinen sondern dass die Strecke, welche man als Darstellung von i betrachtet, in einer gesetzmässigen Beziehung zu der Strecke steht, durch welche 1 dargestellt wird. Uebrigens ist es genau genommen nicht richtig, dass hierbei 1 eine gewisse Strecke, i eine zu ihr senkrechte von gleicher Länge bedeute, sondern »1« bedeutet überall dasselbe. Eine complexe Zahl giebt hier an, wie die Strecke, welche als ihre Darstellung gilt, aus einer gegebenen Strecke (Einheitsstrecke) durch Vervielfältigung, Theilung und Drehung121 hervorgeht. Aber auch hiernach erscheint jeder Lehrsatz, dessen Beweis sich auf die Existenz einer complexen Zahl stützen muss, von der geometrischen Anschauung abhängig und also synthetisch.
§ 104. Wodurch sollen uns denn nun die Brüche, die Irrationalzahlen und die complexen Zahlen gegeben werden? Wenn wir die Anschauung zu Hilfe nehmen, so führen wir etwas Fremdartiges in die Arithmetik ein; wenn wir aber nur den Begriff einer solchen Zahl durch Merkmale bestimmen, wenn wir nur verlangen, dass die Zahl gewisse Eigenschaften habe, so bürgt nichts dafür, dass auch etwas unter den Begriff falle und unsern Anforderungen entspreche, und doch müssen sich grade hierauf Beweise stützen.
Nun, wie ist es denn bei der Anzahl? Dürfen wir wirklich von 1000 (10001000) nicht reden, bevor uns nicht soviele Gegenstände in der Anschauung gegeben sind? Ist es so lange ein leeres Zeichen? Nein! es hat einen ganz bestimmten Sinn, obwohl es psychologisch schon in Anbetracht der Kürze unseres Lebens unmöglich ist, uns soviele Gegenstände vor das Bewusstsein zu führen122; aber trotzdem ist 1000 (10001000) ein Gegenstand, dessen Eigenschaften wir erkennen können, obgleich er nicht anschaulich ist. Man überzeugt sich davon, indem man bei der Einführung des Zeichens an für die Potenz zeigt, dass immer eine und nur eine positive ganze Zahl dadurch ausgedrückt wird, wenn a und n positive ganze Zahlen sind. Wie dies geschehen kann, würde hier zu weit führen, im Einzelnen darzulegen. Die Weise, wie wir im § 74 die Null, in § 77 die Eins, in § 84 die unendliche Anzahl ∞₁ erklärt haben, und die Andeutung des Beweises, dass auf jede endliche Anzahl in der natürlichen Zahlenreihe eine Anzahl unmittelbar folgt (§§ 82 u. 83), werden den Weg im Allgemeinen erkennen lassen.