Kitabı oku: «No such Future», sayfa 4

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Einlauf

Und genau das ist der Steilpass, der den dominanten exzentrischen Trendforschern die Möglichkeit gibt, sich ins Spiel der Werks-Mannschaft einzuwechseln. Aufgabe? Den Ball technisch gekonnt aufzunehmen. Den wirtschaftlichen, politischen, technologischen, sozialen, kulturellen und jeden anderen Wandel power(point)play-mäßig aufbereitet zu erklären und in künftiges Wert-Potenzial zu übersetzen. Das Ganze hübsch illustriert in Trendreportagen zu bugsieren. Und fürs BWL-gedopte Entscheider-Team per tödlichem Pass anschlussfähig zu machen, damit die Management-Player die butterweiche Vorlage aufnehmen und den Ball im Tor versenken können.

Die allseits bekannten Trendforscher laufen also auf: als »Kreativkräfte« und Zuspieler für »gute Gründe«. Ausgestattet mit dem Sieger-Gen, das dafür sorgt, stets die passenden Argumente dafür parat zu haben, warum die Auflösung des Festgeldkontos und die dadurch ermöglichten Investitionen in die Zukunft zu(m) Gewinn führen werden. Geschickt spielen sie den Ball den Unternehmens-Entscheidern in deren BWL-einstudierten Laufweg, so dass diese – an Aufsichtsrat und Kontrollgremien vorbei – durchstürmen können und zum freien Abschluss kommen. Denn: Sie liefern ja die »Beweise« dafür, dass und warum sich aus ihren Visionen künftig Profit erzielen lassen wird. Solch spezielle Zukunftsforscher sind also eminent wichtig19 – und in diesem No-look-Pass- System werden sie immer wichtiger!

»Wenn man Gelb hat und so reingeht, kann man nur wichtige Termine haben.«

JOHANNES B. KERNER

Den Trendreportage-Wölfen im Schafspelz der Zukunftsforschung gelingt es, im Akkord neue Optionen vorzuführen: (einigermaßen) konsistent – (einigermaßen) wahrscheinlich. Aber vor allem: (einigermaßen) BetriebsWirtschaftsLehrerisch vereinbar. Sie visionieren damit nicht nur »die« Zukunft, sondern erschaffen sich, wenn nur genügend Menschen an ihre Prognosen glauben und in der von ihnen vorgegebenen Richtung arbeiten, »ihre« Zukunft sogar selbst (Self Fulfilling Prophecy).

Zu schön, um wahr zu sein?

Zwei Teams – eine Vision

Das Duo infernale in Sachen Zukunft

Entscheider spielen Doppelpass ausschließlich mit denjenigen, die auf der gleichen Wellenlänge funken wie sie selbst. (Jeder Jeck tickt anders? Nee, nur in Kölle.) Und da Top-Unternehmer per definitionem optimistisch in die Zukunft blicken (sonst »unternehmen« sie ja nichts), wünschen sie sich Zukunftsforscher, die das Morgen genauso zuversichtlich beschreiben wie sie: »Machen wir mehr aus dem, was wir haben – und haben könnten!« So die Vision der beiden Traum-Truppen …

Die stets positive, stupend optimistische Sicht auf das Auf-uns-Zukommende einiger Zukunftsforscher ist also weder Verschwörung noch Manipulation geschuldet (Alt-Experten sprachen vom Priestertrug), sondern für die exzentrischen Trendforscher schlicht überlebensnotwendig: Der Markt für ihre Expertise ist – vorsichtig formuliert – überschaubar. Alle konkurrieren um eine Handvoll von Firmenlenkern, die nicht nur ein Interesse an Zukunft haben, sondern vor allem auch die notwendigen finanziellen Mittel, sich mit dem Morgen wertsteigernd zu beschäftigen. Nur denen müssen die Ergebnisse gefallen! Ganz gemäß der Alltagsweisheit: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler! Also nicht den Kleinen. Nicht dem Mittelstand. Nicht FamilienUnternehmen. Nicht jungen Innovatoren. Nicht den Medien. Nicht »der Gesellschaft«. Nicht … uns.

Was aber, wenn der exklusive zahlungskräftige Kundenstamm für Zukunftsforschung wegbricht? Dann ist – rubbel die Katz – Schicht im Schacht. Und die Zukunft der Zunft? Vergangenheit! Daran ändern auch seriöse öffentlich-rechtliche Institute und wissenschaftliche Akteure wie Fraunhofer-Einrichtungen, Max-Planck-Gesellschaften, Organisationen für Technikfolgeabschätzung oder das Statistische Bundesamt nichts.

»Ich wage mal eine Prognose: Es könnte so oder so ausgehen.«

RON ATKINSON

Affirmation also! Die Bestätigung der finanzkräftigen Entscheider und ihrer Visionen ist für den populär-exzentrischen Teil der Disziplin unabdingbar.

Und wie geht so was?

Ein typisches Zukunftsbild dieser Machart schauen wir uns jetzt einmal sehr genau in Slow Motion an.

Zukunftsforschung und Trendreportagen

Marktchancen und Perspektiven, die anschlussfähig sind an das Zahlen-Daten-Fakten-Denkmodell und zudem vereinbar mit den Visionen der jeweils entscheidenden Entscheider: Darum gehts. In fast allen Fällen bedienen sich diejenigen, die in Medien, Quatsch-Schauen (Talk-Shows) und auf unzähligen Zukunftskongressen als Protagonisten der Branche präsentiert werden, eines Tricks: Sie schalten um! Wir ahnten es – auf exzentrische Trendreportagen.

In diesem Unterkapitel erfahren Sie,

∎ wie Trendreportagen argumentativ »funktionieren«,

∎ wie die Zunft ihre Spielgemeinschaft absichert

∎ und wie einige Konsequenzen dieses abgekarteten Spiels aussehen.

Wie interpretiert die Trendreportage das Denkmodell Zahlen, Daten, Fakten? Wie baut sie es in ihre Zukunftsperspektiven ein? Und welche (Heils-)Angebote bietet sie ihren dynamisch-flexiblen Abnehmern?

Die Kreative Klasse: Musterbeispiel für die Funktionsweise von populärer Trendforschung

Um das zu zeigen, beleuchten wir einen »Trend« genauer. Eine Trendreportage, die einen bemerkenswerten Siegeszug in vielen westlichen Ländern hinter sich hat: den Aufstieg der Kreativen Klasse.

Der Begriff tauchte schon 1997 in Großbritannien auf und wurde vom Strategieteam des »Spezial-Demokraten«, dem »New Socialdemocrat« Tony Blair, missbraucht für eine angeblich »soziale« Politik, die den außer Rand und Band gestellten Markt »begleiten« sollte. Aufbereitet und zu einer Trendzielgruppe verdichtet wurde die Kreative Klasse allerdings erst vom amerikanischen (Stadt-)Soziologen und Ökonomen Richard Florida.

Wirtschaft »Kreativ«

Das Buch von Richard Florida »The Rise of the Creative Class« erschien 2002 in den USA. Eine deutsche Version gibt es bis heute nicht. Der Popularität der Thesen hierzulande hat das allerdings nicht geschadet. Der Autor ist Dozent an der University of Toronto, lehrt an einer Business School und berät Politiker, Kommunal- sowie Regionalverwaltungen.

»Ich mache keine Versprechungen. Ich verspreche Resultate!«

JOE ROYLE, Manager u. a. bei Manchester City und Everton

Der von ihm ausgemachte Trend kreist um die kreative Leistung von Menschen. Diese sei der wichtigste Faktor für Standortprosperität und Wirtschaftswachstum im 21. Jahrhundert. Das Fantastische daran: Jede und jeder besitzt dieses kreative Potenzial! Gut – das meinte auch schon Joseph Beuys. Aber Richard Florida entfaltet diese Überzeugung speziell mit Blick auf ihre ökonomischen Konsequenzen. Das Potenzial eines jeden zu heben und wirtschaftlich nutzbar zu machen, sei die Überlebensfrage und strategische Aufgabe der »Wissensgesellschaft«. Neue Arbeitsformen, erhöhte Flexibilität, flache Hierarchien und die hohe Partizipation der Angestellten ließen das zur Notwendigkeit werden.

Pros und Cons

Ob dieser »Megatrend« richtig oder falsch ist, sei dahingestellt. Richard Floridas Position ist einerseits frenetisch gefeiert worden. Etwa von denen, die sofort einen epochalen Wandel der Arbeitswelt ausriefen: Schließlich verdienten Agenturen, Akteure der Kommunikations- und Medienbranche oder wissensvermittelnde Dienstleister doch heute schon ihr Geld mit kreativen und konzeptionellen Tätigkeiten. (In Deutschland stünde dafür die Digitale Bohème20 – sesshaft vornehmlich in Berlin …)

Andererseits hagelte es Kritik. Vor allem von empirischen Sozialforschern. Die schöne neue Welt der Freepreneure habe eine ganze Menge unschöner Seiten: Was sei denn das für eine Große-Freiheit-Nr. 7, wenn die Mehrzahl der Hyper-Kreativen zum sogenannten Prekariat gehörten – mit unsicheren Arbeits- und Einkommensverhältnissen? Sich als Ich-AGs durchschlügen – ohne soziales Netz, bei hoher Konkurrenz und erheblichem Armutsrisiko?21

Die Wahrheit liegt bekanntlich, rehhagelisch gesprochen, »aufm Platz«. Auf welchem, soll uns hier nicht weiter interessieren. Richard Floridas Bestseller verdient vielmehr deshalb Beachtung, weil er verdeutlicht, wie so etwas »funzt«: Trendreportage – mit eindeutiger Schieflage …

Fallrückzieher

Genaueres über die Kreativen? Erfährt man in dieser Trendreportage nicht. Weder soziodemographische Essentials (Alter, Einkommen, Bildung und so weiter) noch einschlägige Besonderheiten. Außer: Dass sie irrwitzig kreativ sind.

Das Besondere an den Kreativen

Diese unkonventionellen Köpfe, Visionäre und Querdenker leben in einer eigenen Sphäre des Grübelns und Arbeitens. Sie produzieren Dinge, die das Dasein einfach besser machen. Genau deshalb sind sie eine Bereicherung für die Gesellschaft: Durch ihre Vorstellungskraft und Inspiration geben sie Orientierung in einer sich rasant verändernden Welt – und Anstöße für lukrative Projekte. Diese Möglichmacher, Hindernisabbauer, Durchsetzungshelfer, Zweifelzerstreuer und Risikoeingeher stehen durchweg für die positiven Qualitäten des Wandels. Sie haben es geschafft, Eigenschaften der nicht immer angenehmen neuen Arbeitswelt, wie Beschleunigung, Zwang zur Originalität, Anpassung, hohe Mobilität, Effizienzorientierung und so weiter, umzumünzen, zu nutzen, etwas daraus zu machen. Und zwar etwas wirtschaftlich Verwertbares.

»Die gerne beschworene Wissensgesellschaft ist nur dann wirtschaftlich erfolgreich, wenn das im Überfluss vorhandene Wissen in Geschäftsideen umgewandelt und ökonomisch genutzt wird. Nur mit Innovationen, die genau diese Kreativität hervorbringt, mit dem Schaffen von neuen Produkten, neuen Verfahren, neuen Märkten und Organisationsformen werden wir einen Weg aus der Krise finden und einen neuen Aufschwung erleben. […] meines Erachtens ist […] die wesentliche Frage, wie man Menschen dazu bringt, ihre Talente zu entwickeln und sie ökonomisch zu nutzen.«22

»Sie können ruhig etwas lauter nicken!«

UDO LATTEK

Aber auch Kreativitionisten brauchen offensichtlich einen Schubs23, um ihre Talente »richtig«, das heißt wirtschaftlich nutzbar zu entfalten. Dann aber bringen diese Pioniere-Nach-Vorn uns alle voran. Richard Florida betreibt also ein sehr spezielles Erwartungsmanagement: Er will den Menschen fürsorglich in den verlängerten Rücken treten24, damit sie – in Freiheit – ihr kreatives Potenzial auch abrufen. Im Sinne der individuell-gemeinschaftlichen Maxime: »Jeder (kreativ) für sich – und Gott für alle!«

Kreativität ist immer und überall

Damit das auch klappt, wird das Verständnis von »Kreativität« maximal entgrenzt. Es geht nicht mehr nur um die Tätigkeiten von Künstlern, Architekten und Designern, sondern genauso um die Praktiken von Internet-Jobbern, Städtebau-Planern und Unternehmensberatern. Demzufolge ist die Liste der Branchen und Organisationen, die sich auf die Kreative Klasse einschießen, entsprechend lang und, wo sich die Kreativlinge austoben, beziehungsweise ausbeutbar einbringen dürfen, beachtlich:

∎ Universitäten, Agenturen, Lifestyle- und Medienunternehmen, Tourismusorganisationen oder Exportfirmen wollen mit den Kreativen zu Wachstumsmotoren werden und präsentieren sich als Brutstätten für Ideenproduzenten.

∎ Städte und Kommunen wetteifern darum, für Kreative attraktiv zu sein, profilieren dementsprechend ihr Gemeinde- und Stadt-Marketing und versuchen, sich zu Marken zu entwickeln. (Inoffizieller Benchmark in Deutschland: Arm, aber sexy!)

∎ Management- und Personalentwicklungs-Leitlinien werden umgearbeitet, um die »Normalisierung« von Kreativität zu fördern.

∎ Das Kreativitätsvokabular spiegelt sich schon seit Langem in den Ausschreibungen der Stellenmärkte, die teilweise ganz neue Berufsbilder entwerfen.

∎ Diverse Schul-, Bildungsprogramme und Uni-Studiengänge versuchen sich an der Förderung von Kreativität.

Stellt sich nur die Frage, was nicht als kreative Tätigkeit angesehen werden sollte. Zwischen Arbeit, Kunst und Wirtschaft verschwimmen die Unterschiede. Und der Unternehmer? Mutiert vom Entrepreneur über den Freepreneur zum Culturepreneur, der finanzwirtschaftliche Disziplin mit der freiheitlichen Kunst des kreativ-kulturellen Denkens verbindet.25

Problemzonen-Behandlung

Spielverderber

Zentrales Hindernis des Ganzen ist allerdings (wie immer) der starrsinnige Mensch. Um dessen Ertüchtigung geht es. Der Einzelne habe sich zunächst einmal zu beherrschen (das entlastet schon mal Umfeld und Sozialsysteme). Über Sinnstiftungs- und Orientierungskompetenz sollte er auch verfügen. Sein kreativer Geist muss belebend über uns kommen, inspirierend wirken! Gemäß den Maximen: New! Change! Be Different! Yes: We can! Ein Über-sich-Hinauswachsen durch Spiel und Spaß, das sich in nicht näher bestimmten Mechanismen, Anreizen und Möglichkeiten entfaltet.26

»Ich wäre überrascht, wenn das Spiel bis zum Ende dauert.«

Ian St. John, schottischer Nationalspieler

Hört sich das nicht toll an? Wie aber sieht es konkret aus – das Aufbau-Training für uns Einzelne, das uns den richtigen »Schubs« gibt?

Auto-Programmierung und Selbstsuggestion!

Die Vertreter der Trendreportagen bedienen sich nämlich einiger immer wiederkehrender einprägsamer Mantras. Damit wollen sie bei jedem Einzelnen positive Vibrations erzeugen – durch den steten Bezug auf Freiheit (liberal), Selbstbestimmung (liberal-liberal) und ökonomischen Erfolg (liberal-liberal-neo-liberal). Motto: »Vor uns die goldenen Jahre!« Und, so viel Kreativität muss sein: Das alles mit ständig neu gedrechselten Worthülsen und hippen Formeln wie Rückkehr der Konsumenten-Macht. Freeconomy. Statusfaction. Sozialer Reichtum. Schwarmintelligenz. Flow-Control. Karmakapitalismus. Sie merken schon: Dieser Dreh ist ausbaufähig.

»Ich bin so glücklich wie ich nur sein kann. Ich war aber auch schon mal glücklicher.«

UDO EHIOGU, FC Middlesborough

Durchgehend schließen die Verkünder dieser Trendreportagen ökonomischen Bedarf mit Sehnsüchten und Sinnsuche kurz. Mittels höchst fantasievoller Verheißungen. »Sag: Ich bin gut!« (Wahlweise auch: frei, mächtig, status-beglückt …)

Und, was sich absurd anhören mag, aber stimmt: Die exzentrischen Trendforscher haben mit ihrem sakralen Sendungsbewusstsein und ihren positiven Suggestionen durchaus Erfolg! Zumindest bei ihrer Klientel (und nur die zählt beziehungsweise zahlt für derlei). Denn die Performance der Trendreporter als Event- oder Lifestyle-Happening ist für Verantwortungsträger oder Wirtschaftslenker immer auch persönlich erhebend und Ausgleich für einen getriebenen Entscheideralltag. Die Trendreportagen-Szene bietet nicht zu unterschätzende Status-Effekte: Man nimmt teil als einer der Ersten! An einer faszinierenden Ära. Man gehört zu den wenigen Auserwählten, die Zutritt haben zu solchen die Zukunft aufschließenden Einsichten. (Dass das nicht allzu viele sein werden, garantieren allein schon die Kongressgebühren und Auftragskosten dieser Trend-Gurus.)

Zukunft aus dem schwarzen Block – Happiness is a warm gun

Matthias Horx gab immer schon freimütig Auskunft über den Geist seiner Zukunft.27 Er folge der »positiven Psychologie« (von Martin Seligman) und möchte seine Jüngerschaft zu Beautiful Minds heranbilden. Diese strebten nach Selbstveränderung, Empowerment und Integration, wollten aus ihren Konsumhandlungen »verändert zurückkommen«: sich »nicht nur gut fühlen, sondern auch richtiger handeln«. Sie suchten nach Vervollkommnung. Entscheidungsdesign und Sozial-Engineering stünden dafür, dass optimale Schlüsse gezogen würden und die Gesellschaft vorankomme. Moderne zielorientierte Managementtechniken leiteten die Politik an, sanft paternalistisch.

»Schöner denken« – so denn auch der Slogan, der dem Gegenwartsdrama des falschen Denkens Paroli bieten soll. Insgesamt also eine verheißungsvolle Mentalitätslage, die Horx da »lebendig nach vorne reflektiert«.28 Ganz wie Meister Yoda, der ja auch schon Luke Skywalker warnte: »Vor der dunklen Seite (des Denkens) hüten du dich sollst!«

Solche esoterischen Prophetien machen deutlich, warum für viele Unternehmer derlei bestenfalls zur Selbsterbauung taugt.

»Einige haben von einem recht guten Spiel gesprochen. Da frage ich mich, ob ich zum Augen- oder zum Ohrenarzt muss.«

ANDREAS MÖLLER

Branchen-Kodex

Damit nun aber niemand auf die Idee kommt, des Trendreporters neue Kleider zu bemäkeln, gilt in der Zunft ein Branchen-Kodex. Stillschweigend, aber effektiv. Auf dessen Grundlage das Spielfeld mitunter beinhart verteidigt wird.

Die Mechanismen im Einzelnen:

∎ Radikaler Ausschluss von Spielverderbern.

Akteure, die nicht für mannschaftsdienliches Verhalten, sondern für unkonventionelle Attacken bekannt sind, müssen nicht lange auf die Rote Karte warten – sie werden erst gar nicht auf den Platz gelassen. Das betrifft alle Spieler der Vereine FC Zaudern, VfB Zweifel oder VfL Nestbeschmutzung.29

∎ Konsequent zirkuläre Spielweise.

Beim Konstruieren von Trends geht es zu wie ehedem beim Schalker Kreisel: Der Ball wird so in der Runde gespielt, dass keine Möglichkeit besteht reinzugrätschen. Kritikaster kommen immer zu spät. Der Trend bestätigt sich selbst und die Zukunft kommt da raus, wo sie angestoßen wurde. Logik-Experten nennen so etwas Zirkelschluss.

Der Kodex am Beispiel

Beispiel Kreative Klasse: Wer versucht nachzufragen, wie denn um alles in der Welt ganz Deutschland durch eine Handvoll digitaler Berliner Nerds zum Kreativsein angeschubst werden soll, dem wird entgegengehalten, dass laut Trendvoraussetzung eben jeder schöpferisch sei und somit flächendeckender Einfallsreichtum überhaupt kein Problem darstelle! Wenn alle kreativ sind, sind alle »Ent-Äußerungen« per se ideenreiche Handlungen. Wenn alle Tätigkeiten fantasievolle Akte sind, sind alle, die »irgendwas« machen, Kreative. Gut: Wer lebt, atmet. Handelt also irgendwie. Weshalb gilt: Das Kreative ist immer und überall. Und wer jetzt noch einzuwenden wagt, dass – ähnlich wie bei den Yetis – eigentlich noch nie ein konkretes Beispiel für die Kreative Klasse gesichtet worden sei, dem wird mit entwaffnender Chuzpe entgegengehalten: »Doch! Wir, die Verkünder der Trendreportage!« Und wer wollte da widersprechen?

∎ Anderen das eigene Spiel aufzwingen.

Vertreter der Trendreportage heißen in angelsächsischen Spielberichten Humpty Dumpty; in deutschen Goggelmoggel. Sie »wissen« oder besser: Sie bestimmen, was WAS ist.30

Beispiel Kreative Klasse: Kreativität ist – laut Trendreportierenden – im Grunde alles! Auch was Freiheit, Sinn und Erfolg bedeutet, wird entsprechend »eingerichtet«: Die Kreativen sind frei, wenn sie den »Schubs« bekommen haben. Aber eigentlich ist in der schönen neuen Wirtschaftswelt sowieso alles und jeder frei. Zwar können Konsumenten nur wählen, was sie nicht kaufen oder welchem Angebot sie sich verweigern wollen. Aber im marktradikal-(neo)liberalen Licht der Trendreporter ist jeder seines eigenen – freien – Erfolges Schmied.

Alle sind also dabei: Sowohl bei der Trendreportage als auch bei der Kreativen Klasse. Oder sind beide womöglich das Gleiche?

Wenn aber alle aufm Platz sind, kann es auch keine miesepetrigen Bankdrücker mehr geben, die das Trendspiel abwertend von außerhalb des Rasens kommentieren. Sieger, Loser, Aufstiegswillige und Frustrierte werden gleichermaßen angesprochen. Richard Floridas Zielgruppe scheint auf den ersten Blick nur aus Entscheidern, VIPs und dergleichen zu bestehen – gehobene Mittel- und Oberschicht also. Und selbstverständlich nehmen genau diese Gruppen die Trendreportagen durchaus wohlwollend zur Kenntnis: Sie bekommen die Zukunfts-Manifeste ja schließlich auf den Leib geschrieben! Doch deren Strahlkraft geht weit über diese Schicht hinaus.

»Das Tor kann er sich zu Hause übers Wohnzimmer hängen!«

JÖRG DAHLMANN

Die Erzählung über den Aufstieg der Kreativen Klasse erfüllt alle Kriterien eines klassischen Entwicklungsromans. Egal, wie mies die Gegenwart für die Protagonisten auch sein mag: Jeder kann einen Reifeprozess durchleben. Dazu muss die Person nur ihre Erlebnisse und Erfahrungen reflektieren – in einer wirtschaftlich produktiven Weise.

Gutmenschentum 2.0

Die, die oben sind, fühlen sich gebauchpinselt. Erfreut hören sie: »Wie und warum wir wurden, was wir sind.« Und die anderen? Träumen weiterhin das Märchen vom Tellerwäscher zum Slumdog Millionaire. Und das Allerbeste an diesem Urmythos: Die Elite nimmt als Status-Effekt aus dieser Story mit, dass sie als Trägerin und Haupt-Lobbyistin dieses Weltbildes für die unteren Schichten »etwas Gutes« tut! Die wiederum sehen Chancen, irgendwann tatsächlich mal dort oben anzukommen: Denn Kreativität, der Stoff, aus dem hier und jetzt, aber mehr noch morgen, die Welt gemacht wird, ist praktischerweise weder an Ort, Zeit noch an sonstige Bedingtheiten gebunden. Soziale Durchlässigkeit gilt also in jede Richtung – auch nach unten: Das Kreative durchdringt und übersteigt die gemeine Wirklichkeit und soll doch ganz realen persönlichen Erfolg bewirken können. Märchenhaft.

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