Kitabı oku: «Osterläuten», sayfa 3

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8.

»André, ich muss noch wegen eines Kleiderschranks aus zweiter Hand in die Pödeldorfer Straße«, sagte Mia.

André hockte auf dem Gang, die Schultern hochgezogen, den Blick auf den Boden gerichtet.

»Schon gut, warte nicht auf mich. Das dauert sicher wieder ewig. Kennt man ja schon. Die werden mich in die Mangel nehmen. Mord. Da ist doch der Ehemann sofort unter Verdacht, stimmt’s?«

Mia blickte zu Kommissar Eyrich, der in der Tür zu seinem Büro lehnte und wartete, dass er mit Andrés Vernehmung loslegen konnte.

»Wir telefonieren, in Ordnung?«

»Klar.«

Sie ging den Gang hinunter. Fühlte sich wie in einem Albtraum, aus dem sie in Kürze aufwachen musste. Wie in den Nächten, in denen sie spürte: Ich träume doch, verdammt. Jetzt allerdings fehlte die Erleichterung, die sie sonst empfand, wenn sie aus dem Schlaf hochfuhr und feststellte: alles nur ein Traum.

Eyrich würde André grillen. Er würde umsichtig vorgehen, höflich, immerhin hatte André sich auf das Phantombild hin selbst bei der Polizei gemeldet. Doch schließlich würde er immer mehr Druck machen, denn André war nun einmal der Ehemann, und ein Großteil der Tötungsdelikte waren Beziehungstaten. Eyrich würde nach Details suchen, in denen man sich verheddern könnte, die dunklen Ecken der Erinnerung abtasten. Absurd nur, sich einzubilden, André könnte irgendjemandem den Kopf abhacken. Noch dazu seiner Frau!

Mia spürte Brechreiz in sich hochkommen. Welcher Mensch war überhaupt dazu imstande?

Sie musste das alles ausblenden, wenigstens für kurze Zeit. Irgendetwas Normales tun, und nicht an den Wald denken, an das Flatterband und an den Schädel. Der Schrank kam ihr da gerade recht.

Entschlossen stieg Mia auf ihr Rad und trat in die Pedale. Fünf Minuten später hielt sie vor der angegebenen Adresse in der Pödeldorfer Straße, einem mehrstöckigen Wohnhaus. Sie läutete bei »Obenhaus«. Tief drin im Haus hörte sie die Glocke schellen. Endlich riss jemand die Tür auf.

»Sorry, der Türöffner ist kaputt. Bist du Mia?«

»Die bin ich.«

»Lars. Du bist spät dran.«

Der Typ trug Cargohosen, ein ausgeleiertes Shirt und hielt seine blonden Locken mit einem bunten Stirnband zurück. Er mochte um die 30 sein, Typ Naturbursche.

Mein Gott, es geht um einen Schrank, dachte Mia. Nicht ums Überleben.

»Ging nicht anders. Tut mir leid.«

»Du hast Glück. Die anderen Interessenten haben abgesagt. Wegen der Maße. Die haben nicht gepasst.«

»Aha.«

Erzähl mir doch nichts. Du hast von Anfang an geblufft.

»Also komm mit.«

Mia folgte Lars durch einen engen Hausflur hinaus in einen Hinterhof.

»Im Hinterhaus liegt meine Werkstatt.«

Die typischen Bamberger Hinterhäuser, dachte Mia. Manche waren bessere Schuppen, andere zu Wohnhäusern ausgebaut. Man ahnte von der Straße aus oft nicht einmal, dass es diese Höfe gab, geschweige denn, was sich in ihnen verbarg.

Hier war es ein würfelförmiges Hinterhaus. Ein Schild, »Lars Obenhaus, Haushaltsauflösungen und Entrümpelungen«, war ein wenig schief auf das grün gestrichene Tor genagelt worden. Zum ersten Stock führte eine Außentreppe aus Holz. Auf der untersten Stufe hockte mit verschmitztem Grinsen ein aus Schrottteilen zusammengebastelter Osterhase. Hinter dem Gebäude ragte eine Birke auf und streichelte mit ihren zartgrünen Zweigen das Dach.

Er kramte in seinen Hosentaschen. »Eigentlich habe ich was Hochgeistiges studiert, aber die praktische Arbeit macht mir mehr Spaß. Ich habe ganz schön viel zu tun, beinahe zu viel für einen Ein-Mann-Betrieb. Man möchte nicht glauben, wie viele Haushalte gerade aufgelöst werden.«

Mia nickte. Ihre Höflichkeit war lange genug antrainiert, um ein Gespräch aufrechtzuerhalten, das sie nicht interessierte. Sie wusste nicht einmal, ob sie den Schrank überhaupt noch wollte. Allenfalls, um sich darin zu verkriechen und unsichtbar zu werden. Für Hauptkommissar Eyrich vor allem. Ihr Magen krampfte sich beim Gedanken an neue polizeiliche Vernehmungen zusammen. Die Ermittlungen hatten sich damals festgefahren. Es würde wieder so sein. Wo sollte man schließlich elf Jahre nach Monikas Tod neue Zeugen oder Beweise auftreiben?

Die Sonne lugte durch die Wolken, schien ihr mitten ins Gesicht. Mit einem Mal merkte Mia, wie warm die Strahlen schon waren. Sie kniff die Augen zusammen, während Lars ein Vorhängeschloss löste und die Tür aufschob. Im Halbdunkel lagerten Möbel über Möbel. Der Raum war groß und nahm die komplette Fläche des Gebäudes ein. Lars betätigte einen Lichtschalter. Rechts an der Wand befanden sich Stühle in allen Formen und Macharten. Das Fenster an der Seitenwand war beinahe zugestellt. Es folgten im Uhrzeigersinn Tische, Sitzbänke, Bettgestelle. Und Schränke. Der Geruch nach Lack und Holzleim hing in der Luft. An der hinteren Wand befand sich eine Werkbank mit allerlei Werkzeug und Farbeimern. Daneben stand ein pinkfarbener Kühlschrank.

»Verkaufst du das alles?«

»Klar. Der weiße Kleiderschrank da, das ist der, für den du dich interessiert hast.«

Er deutete auf einen schmalen Schrank. Nur zwei Türen. Als er sie öffnete, flackerte die Lampe und erlosch. Es wurde dämmrig in dem vollgestellten Raum.

»Entschuldige.« Lars kramte eine Taschenlampe aus einer seiner vielen Hosentaschen. Der Lichtkegel fiel in den Schrank. Die linke Seite war in Fächer eingeteilt, rechts gab es eine Kleiderstange. »Gefällt er dir?«

Mia berührte das billige Furnier. Besser als nichts. Besser als die Umzugskartons, in denen ihre Klamotten seit Monaten lagerten. Und er würde garantiert in ihr winziges Schlafzimmer passen.

»25. Mehr ist er nicht wert.«

Lars lachte. »Komm, das Teil kostet neu an die 200 Euro. 30 muss ich schon dran verdienen.«

Mia zog die Augenbrauen hoch.

»Quatsch. Davon ziehe ich gleich mal 100 ab!«

»Nee, echt, ich verarsche dich nicht.« Lars knipste die Taschenlampe aus. »Bist du mit dem Auto da? Ich baue dir das Ding auseinander und helfe dir beim Verladen.«

Plötzlich begannen sich die Möbel um Mia zu drehen. Sie streckte die Arme aus und hielt sich an dem Schrank fest. Er wackelte.

»Ist alles okay mit dir?«

Verdammt noch mal, nein. Die haben den Schädel meiner besten Freundin im Wald gefunden, nach elf Jahren.

Lars reagierte sofort. Blitzschnell brachte er einen Stuhl.

»Setz dich erst mal. Bist du schwanger, oder was?«

»Spinnst du?« Sie ließ sich auf den Stuhl fallen.

Er hob die Hände. »Okay, tut mir leid. Ich dachte nur, wenn Frauen mit einem Mal schlecht wird, also …«

»Das wäre echt harmlos.« Es rutschte ihr einfach raus.

»Was?«

»Wenn mir wegen einer Schwangerschaft schlecht wäre.«

»Warum ist dir denn dann schlecht?«

Weil wieder alles von vorn beginnt. Weil ich aus dieser verdammten Geschichte nicht rauskomme. Weil ich nicht imstande war, Monika zu helfen. Weil ich gar nichts tun konnte. Und jetzt wieder nicht.

»Ich vertrage den Lackgeruch nicht.«

Lars starrte sie an. »Ach so.« Er schien fast ein wenig enttäuscht. »Echt nicht?«

Mia krümmte sich zusammen. Sie musste einfach nach Hause, was essen, wenigstens eine Kleinigkeit, der viele Kaffee machte sie fertig. Und sie wollte ins Bett, sich verstecken, von niemandem mehr angesehen werden.

Würde die Polizei annehmen, dass sie etwas mit Monikas Verschwinden zu tun hatte?

Damals gab es die Unterstellung, sie hätte jemanden decken wollen. Der sich in Luft aufgelöst hatte. Doch wen hätte sie decken sollen? Man war allen möglichen Verdachtsmomenten nachgegangen, weil man nichts in der Hand hatte. Gar nichts.

»Ich hole dir ein Glas Wasser.« Lars setzte sich in Bewegung.

Sie sah ihm zu, wie er aus dem Kühlschrank eine Flasche Mineralwasser nahm. Er goss ein Glas voll und kam zu ihr zurück.

»Hier.«

»Danke.« Mia trank ein paar Schlucke. Das eiskalte Wasser tat unerwartet gut.

Sie betrachtete Lars näher. Zarte Lachfältchen krümmten sich um seine Augen. Grüne Augen, ungewöhnlich. Seine Hände, die immer noch die Flasche hielten, waren groß und schwielig mit schmutzigen Rändern unter den Fingernägeln.

»Was hast du studiert?«, fragte sie.

»Psychologie. Und du, was machst du?«

»Ich bin im Moment arbeitslos.«

»Mist. Aber du findest sicher was. Was bist du denn von Beruf?«

»Ich habe studiert.«

Er grinste. »Ist ja nicht ganz falsch.«

»Kunstgeschichte und Ethnologie.«

Sein Grinsen wurde breiter. »Ehrlich gesagt, das würde mich auch jucken. Alte Kirchenfresken restaurieren und so.«

»Ich kann den Schrank nicht nehmen. Ich bin mit dem Rad da. Ich habe kein Auto.«

»Pass mal auf.« Lars stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank. »Ich liefere dir den Schrank nach Hause und stelle ihn dir auf. Ist alles im Preis inbegriffen. Was meinst du?«

Mia nickte stumm.

9.

Sein Sohn hatte den Kontakt vor sechs Jahren abgebrochen. Damals war er 13. Jungs in der Pubertät, das war eine üble Sache, sogar, wenn die Familie intakt war. Bei Scheidungskindern wurde alles noch komplizierter. In seinem Fall kam hinzu, dass seine Ex, davon war er überzeugt, den Jungen gegen ihn aufhetzte, ihm den Kontakt mit dem Vater vergällte. Jakob hatte die Vater-Wochenenden boykottiert, und er, der Erzeuger dieses widerwilligen Kindes, hatte sich gefügt. War ja auch bequem gewesen.

Dennoch hatte es ihn gewurmt, so vollkommen abgeschrieben zu sein. Doch seit Jakob 18 geworden war, hatte sich dieser wieder für seinen Vater interessiert, und sie hatten sich einige Male getroffen. Nun gut, nicht allzu oft, vier Mal im vergangenen Jahr. Meist am Abend in einer Kneipe. Entweder in Bamberg oder auf dem Land, im Sommer auf einem der vielen Bierkeller, und einmal hatten sie sogar einen Spaziergang in der Fränkischen Schweiz gemacht und anschließend in Ebermannstadt in einem Lokal, das als Geheimtipp gehandelt wurde, gegessen. Seitdem machte er sich Hoffnungen, dass er im Lauf der Zeit mit seinem Sohn eine annähernd normale Beziehung pflegen könnte. Seit einigen Wochen fragte er sich, ob er Jakob erzählen sollte, dass er im Sommer ein Geschwisterchen bekäme. Noch zögerte er. Natürlich würde Jakob diese Neuigkeit brühwarm seiner Mutter weitererzählen. Die würde erneut durchdrehen vor Eifersucht. Wie er das alles satt hatte. Vielleicht war es besser, wenn er seinem Sohn nichts erzählte. Natürlich sprachen sich die Dinge herum, seine Ex würde früher oder später sowieso erfahren, dass er erneut Vater wurde. Bamberg war ein Nest, jeder kannte jeden. Zu gegebener Zeit erführe er wiederum von dem Gift, das die Frau, die er einst geheiratet hatte, in anderer Leute Ohren träufelte.

Doch jetzt hatte er andere Sorgen.

Ihm brummte der Kopf. Draußen brach der Frühling los. Die Hecke trug weiße Häubchen. Schlehen und Weißdorn explodierten förmlich, und aus der Wiese spitzten Krokusse. Nur der Wald oberhalb des Hangs wirkte weiterhin winterlich und abweisend. Der Wald. Der Wald. Mein Gott.

Er rieb sich das Gesicht. Damit würde er leben müssen. Und wie er gedachte zu leben! Und zwar nicht im Knast. Sondern mit Nadja und dem kleinen Hosenscheißer, der in ein paar Monaten zur Welt käme und im dann blühenden Garten in einer Wiege schliefe. So stellte er sich das vor. Und vorher hatte er Nadja ein gemütliches Osterfest versprochen, zu Hause, sie war ja schon so unbeweglich mit dem dicken Bauch. Trotzdem schmückte sie eifrig Haus und Garten. All diese Osterhasen und Eier und sonstiges Zeug lagen ihm nicht so, aber Nadja hatte Spaß dran.

Jetzt jedoch musste er herausfinden, ob seine Ex Bescheid wusste. Dazu blieb ihm Jakob als einziger Informant. Er würde sich mit dem Jungen treffen. Die ehemaligen Freunde hatte er seit Jahren nicht mehr gesehen, hatte die Beziehungen lange vor der Sache mit Monika auf Eis gelegt.

Es war besser so.

10.

»Okay, wo soll’s hingehen?«

Lars hatte ruckzuck den Schrank in seine Einzelteile zerlegt und diese mitsamt Mias Fahrrad in seinem Lieferwagen verstaut. Nun sprang er energiegeladen hinters Steuer. Mia stieg auf den Beifahrersitz.

»Moosstraße.«

»Ist nicht dein Ernst. Kann man da wohnen?«

»Gewerbe-Mischgebiet.« Sie hatte sich die Gegend nicht ausgesucht. Nicht freiwillig. Wohnen in Bamberg war teuer geworden, und sie konnte sich nichts leisten, was näher an der Innenstadt lag. In den letzten Monaten hatte sie jedoch die Vorzüge dieser Lage schätzen gelernt. Es gab ein Café mit Konditorei ein paar Meter die Straße runter. Manchmal frühstückte sie da. In der Nähe lag ein Biomarkt. Am Wochenende herrschte Ruhe, Touristen waren in interessanteren Stadtteilen unterwegs. Und es war auf alle Fälle besser, in einer eigenen Wohnung zu wohnen, als bei den Eltern unterzukriechen.

Lars legte den Gang ein. Der Motor zickte, bevor er ansprang.

»Man merkt, dass Osterferien sind, finde ich. Weniger Verkehr als sonst.« Lars schaltete das Radio ein. BR-Klassik. Violinenklänge. »Tschaikowsky. Ich wette, das ist Tschaikowsky.«

Mia schielte auf das Radiodisplay.

»Stimmt. Bist du Klassikfreund?«

»Ich habe sogar ein Abo bei den Symphonikern. Hättest du nicht gedacht, was?« Er summte ein paar Takte mit. »Klassik habe ich schon immer geliebt. Meine Oma hatte ein Album mit Schellackplatten. Klassische Musik. Aufnahmen, die sie als Jugendliche gesammelt hatte. Als ich ungefähr 14 Jahre alt war, habe ich das entdeckt und bin in eine neue Welt eingetaucht.«

»Ungewöhnlich für einen Jungen in der Pubertät.«

»Wahrscheinlich habe ich sie deshalb ohne Drogen überstanden. Die Musik war meine Droge. Vor allem die Russen. Tschaikowsky. Rachmaninow. Das zweite Klavierkonzert von ihm hat mich umgehauen.«

Mia musste zugeben, dass dieser Mann in seinen Cargohosen sie neugierig machte. »Wieso?«

»Das ging mir wahnsinnig tief. Ist heute noch so. Die Musik trägt einfach immer. Wie eine Arznei ohne Nebenwirkungen.« Er lachte. »Ist das hier die Moosstraße?«

»Ja, fahr einfach noch 100 Meter weiter und halte vor dem Haus mit den gelben Fensterläden an.«

»Klar doch. Hier?«

»Hm.«

Er hielt und drehte den Zündschlüssel. Die Musik brach ab.

»Schade«, murmelte Mia.

»Wenn du willst, überspiele ich dir mal was. Wobei ich ja am liebsten Platten höre. Vinyl. Auf meinem guten alten Dual-Plattenspieler.«

»Ich habe mir sagen lassen, Vinyl wäre wieder im Kommen, vor allem bei den echten Musikliebhabern.«

»Es war nie aus der Mode, genau genommen.« Lars sprang aus dem Wagen. »Welche Etage?«

»Erste.« Mia drückte die Haustür auf.

»Nimm die Bretter.« Lars drückte ihr einen Stapel Einlegeböden in die Arme.

Mia stieg die Treppen nach oben, stellte die Bretter ab und steckte den Schlüssel ins Schloss. In der Wohnung roch es muffig. Rasch stieß sie die Fenster im Wohnzimmer auf.

Ein paar Minuten später hatte Lars alles andere nach oben geschleppt.

»Wo soll der Schrank hin?«

Sie führte ihn ins Schlafzimmer. »An die linke Wand .«

»Räum doch zuerst mal die Kartons beiseite.« Er machte sich an seinem Werkzeugkasten zu schaffen.

Ich muss ihm mehr bezahlen, dachte Mia, während sie die Umzugskisten an die andere Wand schob. Er ist jetzt schon eine Stunde lang mit mir zugange. Und mit dem Schrank natürlich. Sie musste unwillkürlich grinsen. Es tat gut, eine Weile nicht an den Schädel zu denken. Aber gerade jetzt drängte sich das ganze Elend wieder in ihre Gedanken. Ob André noch bei der Polizei war? Jetzt rief sie ihn lieber nicht an, für den Fall, dass Eyrich noch nicht mit ihm fertig war.

»Willst du was trinken?«, fragte Mia.

»Ehrlich gesagt schon: Hast du ein Bier?«

»Habe ich.« Sie ging in die Küche. Nur eine winzige Nische, in der kaum zwei Personen nebeneinander stehen konnten. Aber ihre Küche. Mit zwei Flaschen kam sie zurück.

»Danke.« Er nahm einen tiefen Zug. »Schön kalt. Seit wann wohnst du hier?«

Die Hinterwand des Schranks stand bereits.

»Ein paar Monate.«

»Wo hast du denn studiert?«

»In München und Florenz.«

»Nein, echt?«

»Wirklich!« Mia lachte. »Wo sonst sollte man Kunstgeschichte studieren? Wenigstens zwei Semester Italien mussten sein.«

Lars betrachtete ihr Gesicht einen Moment. Es kam ihr vor, als gefiele ihm, was er sah. Er lächelte. »Nee, da hast du echt recht.« Er stellte die Flasche ab. »Ich mache mal weiter.«

Im Nu hatte er das Möbelstück montiert. Mia reichte ihm die Einlegeböden zu. Fast tat es ihr leid, dass sie so schnell fertig waren.

»Warum bist du nicht in Italien geblieben? Da gibt es bestimmt eine Menge Arbeit für Kunsthistoriker.«

»Dort ist auch nicht alles Gold, was glänzt.« Mia würde ihm nicht sagen, dass sie im Hinblick auf einen Job nie richtig in die Gänge gekommen war. Sie hätte mehr tun können: Kontakte ausnutzen, sich breiter bewerben.

Hätte, hätte, Fahrradkette.

»Kann ich mir vorstellen.« Er griff wieder zum Bier.

Mias Handy klingelte. André.

»Entschuldige, da muss ich ran.«

»Klar.«

»Hallo, André? Wie geht’s dir, ist alles in Ordnung?«

Sie verließ das Schlafzimmer, wo Lars nun mit einem Lappen über die Einlegeböden fuhr und die Türen auf Leichtgängigkeit testete.

»Verdammt, Mia, ich halte das nicht aus.«

»Hat er dich in die Mangel genommen?«

»Ich gelte denen nach wie vor als Verdächtiger Nummer eins.«

Mia konnte Andrés Verzweiflung deutlich hören.

»Das ist Unsinn. André, du hast ein bombensicheres Alibi.«

»Vielleicht habe ich einen Killer angeheuert.«

»Das ist doch nicht dein Ernst.«

»Meiner nicht.«

Mia ging ins Wohnzimmer, setzte sich an ihren Schreibtisch. Dort lag die zweite Zeichnung von Monika. Die mit Haaren, die ganz eindeutig Monika war.

»Sie haben nicht den geringsten Hinweis dafür«, versuchte sie, André zu beruhigen.

»Bisher nicht. Sie haben auch sonst nichts. Wo, bitte, soll Eyrich neue Zeugen hernehmen? Neue Beweise? Da ist nichts zu holen. Bloß: Irgendjemand hat Monika ermordet. Elf Jahre sind ins Land gegangen. Ich muss mich damit abfinden, dass ich nie erfahren werde, was wirklich passiert ist.« Er holte tief Luft. »Das werde ich nicht mehr los, Mia. Ich komme nicht klar. Alles bricht wieder auf.«

Mir geht es genauso, dachte Mia müde. Mit dem Zeigefinger fuhr sie über die feinen Linien von Monikas Gesicht. Die Stupsnase, das spitzbübische Lächeln, die Ohrhänger.

»Sollen wir uns treffen? Ich komme zu dir.«

»Sei mir nicht böse, Mia. Ich muss eine Runde schlafen. Habe die halbe Nacht wach gelegen. Ich bin hundemüde.«

»Wo bist du jetzt? Bist du inzwischen zu Hause?« Sie merkte selbst, wie kontrollierend sie sich ihm gegenüber verhielt.

»Ich stehe vor der Polizeidirektion.«

»Wir könnten uns in der Nähe treffen. Auf eine Pizza?«

»Nicht jetzt.«

»Du wirst doch nicht trinken, André?«

Er legte auf.

»Shit.« Mia ließ das Smartphone sinken.

»Dein Freund?« Lars lehnte in der Tür, die Bierflasche lässig in der Hand.

Wütend starrte sie ihn an. Was ging ihn das an?

»Entschuldige. Ich wollte nur sagen, ich bin fertig.«

»Danke. Was bin ich dir schuldig?« Die Frage fühlte sich falsch an. Eben noch hatte Mia seine Gesellschaft genossen, nun war sie sie leid.

»Gib mir 25 für den Schrank. Er steht wie eine Eins. Ich habe ein bisschen was untergelegt. Der Boden ist nicht ganz gerade.«

Mia nahm wortlos ihren Geldbeutel aus der Tasche.

»Das war nicht mein Freund«, sagte sie leise.

»Schon okay, es geht mich nichts an. Du hast keinen Freund.«

Sie sah auf, drei Zehner in der Hand. »Wie kommst du …«

»Du lebst allein, und es ist niemand da, der dir mit einem Schrank helfen könnte. Außerdem wirkst du einsam.«

Mia stieß ein ärgerliches Lachen aus.

Er hob die Hände in einer defensiven Geste. »Sorry. Ich …«

»Kennst du diese Frau?« Mia hielt ihm die Zeichnung von Monika hin.

Neugierig griff er danach. »Nie gesehen. Wer ist sie?«

»Monika Böhme. Sie ist vor elf Jahren spurlos verschwunden. Vor Kurzem haben Waldarbeiter ihren Schädel in der Nähe des Ellertals gefunden.«

»Du nimmst mich auf den Arm.«

»Leider nicht.« Mia legte die Hand auf ihren Magen. Der Krampf ebbte ab, bevor er richtig begonnen hatte. »Sie ist ermordet worden.«

Lars schluckte. »Wer ist sie? Deine Schwester?« Er legte das Blatt auf den Schreibtisch.

»Wieso denkst du das?«

»Also, nicht, dass ihr euch ähnlich seht …«

»Aber?«

»Da ist so ein Ausdruck. In deinem Gesicht. Und in ihrem hier auch. Was Hintergründiges. Schwer zu greifen. Ich kenne dich ja erst seit ein paar Stunden.«

»Monika war meine Freundin. Die beste, die ich je hatte. Als sie starb, war sie 34. Verflucht jung, oder?« Mia blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten. »André, der eben angerufen hat … er ist ihr Mann. War ihr Mann. Die beiden haben sich wirklich geliebt. Ein Traumpaar. Die Polizei sagt, es sei nicht mehr nachzuvollziehen, ob der Schädel nach ihrem Tod vom Körper getrennt oder ob sie sozusagen geköpft wurde.«

»Ach du Scheiße!« Lars setzte sich aufs Sofa.

»Kann man wohl sagen.«

»André ist damals zusammengebrochen. Er hat zu trinken angefangen, sein Restaurant aufgegeben.«

Ihr Handy gab Laut. Sie ignorierte die Nachricht.

»Zum Glück kam er weg vom Alkohol. Ich habe Angst, dass er rückfällig wird. Die Polizei hat keine neue Spur. Die haben mich heute wieder befragt. Sie meinen, die beste Chance, Monikas Mörder zu finden, wäre, neue Zeugen aufzutreiben. Leute, an die man seinerzeit nicht gedacht hat. Bloß, woher nehmen und nicht stehlen?«

Lars zog das bunte Stirnband herunter und band damit seine Locken zu einem Pferdeschwanz zusammen.

»Man müsste ein Detail finden. In der Persönlichkeit des Opfers.«

»Was meinst du damit?«

»Irgendeine Variable, etwas Individuelles, das dieses Opfer von allen anderen Menschen unterscheidet.«

Mia verstand nicht ganz, worauf er hinauswollte, aber seine Worte gaben ihr das Gefühl, dass von irgendwo frische Luft herbeiströmte.

»Eine Kleinigkeit, die bei den Ermittlungen bisher niemandem ins Auge fiel oder nicht bekannt war. Nein, warte: Diese Kleinigkeit war bekannt, sie lag wahrscheinlich sogar offen vor den Augen aller da, und gerade deshalb hat sie niemand beachtet.«

»Was sollte das sein?«

Lars strich sich über die Stirn. »Jeder Kriminalfall weist etwas Einzigartiges auf. Schwer zu präzisieren, wenn man gar keine Anhaltspunkte hat. Oft handelt es sich um einen speziellen Charakterzug des Opfers, der schließlich zu einer Eskalation führt.«

»Eskalation?«

»Wenn ein Mord geschieht, brennen alle Sicherungen durch.«

Mia lehnte sich zurück. »Müsste man, um das zu beurteilen, nicht die Persönlichkeit des Mörders kennen?«

»Das wäre natürlich einfach. Aber da uns das nicht möglich ist, müssen wir uns auf die Wesenszüge des Opfers konzentrieren.«

Ein individuelles Charaktermerkmal des Opfers. Mia schüttelte den Kopf. »Ich stehe da wie der Ochs vorm Scheunentor. Mir fällt absolut nichts ein.«

»In der Theorie klingt es immer einfacher, als es in der Praxis ist. Um ehrlich zu sein, ich habe nur ein Semester lang ein Seminar in Operativer Fallanalyse belegt.« Er legte den Kopf schief. »Du willst ihn finden, oder?«

»Wen?«

»Den Mörder.«

Sie verschränkte die Arme. »Wie soll ich den Mörder finden? Nach so vielen Jahren! Wenn die Polizei es nicht geschafft hat …«

»Sie war deine Freundin. Du kanntest sie besser als die Ermittler.«

Womit er recht hatte.

»Deswegen bist du diejenige, die den entscheidenden Hinweis liefern kann.«

Vielleicht lag er richtig. Mia nickte langsam.

»Ich glaube, da ist was Wahres dran.«

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25 mayıs 2021
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