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Kitabı oku: «Der Tee der drei alten Damen», sayfa 14

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»Wollen Sie nicht zur Sache kommen, Professor«, mahnte Isaak und blickte hernach O'Key an. Sie blinzelten sich unmerklich zu. Es war klar, daß der Professor irgendeinen Grund hatte, zu schwatzen, Zeit zu vertrödeln, es sah aus, als warte er auf etwas, das sich ereignen sollte.

»Ja, ja«, sagte Dominicé, »ich komme schon zur Sache. Whistler erklärte mir, er habe auf Umwegen erfahren, daß ich in einer schwierigen finanziellen Situation sei, und daß er gekommen sei, mir zu helfen. Merkwürdig, dachte ich, daß sich so viele Leute um meine Sanierung kümmern, aber das sagte ich nicht laut, sondern dachte es nur. Man soll Leute mit guten Absichten nicht vor den Kopf stoßen. Kurz und gut, Whistler bot mir zehntausend Franken an, es stehe noch mehr zu meiner Verfügung, wenn ich mehr brauchen sollte. Bedingungen habe er keine zu stellen, sagte er, aber eine Bitte habe er an mich. Was das denn für eine Bitte sei, wollte ich wissen. Da müsse er weiter ausholen. Whistler sei sein Pseudonym, sagte er, eigentlich sei er ein indischer Fürst, der aus seinem Lande vertrieben worden sei, weil man dort Petrol gefunden habe. Welcher ›man‹? wollte ich wissen, und ich fragte mich einen Augenblick, ob ich es mit einem Größenwahnsinnigen zu tun habe oder einem Hochstapler. Nun, beides konnte ich erst entscheiden, wenn ich das Geld in der Hand hatte. Ich wollte es gern annehmen, es war ungemütlich, von einem Schuft wie diesem Baranoff abzuhängen, und dieser Whistler schien entschieden sympathischer zu sein. Was aber, fragte ich ihn, was hatten diese Ölquellen mit meiner Sanierung zu tun? Das sei doch ganz einfach, sagte der indische Fürst, er habe erfahren, daß ich mit Crawley befreundet sei, dem Sekretär des Delegierten seines Staates, und man habe mich doch in der Machination gebraucht, um in die Entwürfe und diplomatischen Dokumente des Sir Bose Einblick zu gewinnen. Dazu hätte ich doch Crawley beschäftigen müssen. Er habe nur eine Bitte, sagte der Fürst, ich solle von der Kombination zurücktreten, Crawley womöglich aufklären, dieser junge Mann gefalle ihm, er scheine ein Gentleman zu sein, aber er wisse sicher nicht, zu welchen Machinationen er sich hergebe. Ich solle Crawley aufklären. Und das tat ich auch, später, einen Tag darauf. Übrigens mußte ich auf dem Crédit Lyonnais mir ein Konto eröffnen lassen, Whistler, oder wenn Sie lieber wollen, der Fürst, ließ mir zwölftausend Franken überweisen. Damit konnte ich Baranoff los werden – ja, los werden.« Der Professor schwieg.

»So hätten wir die Erklärung für zwei Vorkommnisse, die zu meiner Kenntnis gelangt sind. Am Abend von Crawleys Tode, also am 23. Juni, hat sich Crawley mit seinem Vorgesetzten gezankt und ist mit einer Mappe, die scheinbar wichtige Dokumente enthielt, zu Ihnen gekommen. Wissen Sie, Professor, wohin diese Mappe verschwunden ist?«

Dominicé saß wieder da, starr, die Augen auf seine gefalteten Hände gesenkt. Etwas, das sich nicht näher bezeichnen ließ, etwas in seiner Haltung wirkte unnatürlich und verkrampft.

»Die Mappe?« wiederholte der Professor. (Ah, dachte O'Key, jetzt weiß ich, was seine Haltung ausdrückt: ein Lauschen, ein verkrampftes Lauern, ob nicht bald die erwartete Unterbrechung kommt.) »Ich weiß nichts von einer Mappe«, sagte Dominicé und lehnte sich im Stuhl zurück. Er blickte von einem zum andern, lange blieb sein Blick auf Jakob und Natascha haften, die ziemlich eng nebeneinander saßen. O'Key war hellwach. Jetzt, dachte er, jetzt kommt es. Da fuhr auch schon Ronny unter dem Tisch hervor, sprang zum Fenster, legte die Vorderpfoten auf den Sims und bellte in die stille Nacht hinaus.

»Was hat der Hund?« fragte der Professor und machte Miene, aufzustehen.

»Bleiben Sie sitzen!« herrschte ihn O'Key an. Darauf stand er selber auf, ging zum Fenster, tätschelte Ronnys Kopf und beugte sich hinaus. Das Fenster ging auf einen seitlichen Teil des Gartens, die breite Autostraße war nur zu sehen, wenn man sich weit aus dem Fenster beugte und nach rechts blickte. Dann schimmerte sie wie ein breiter schwärzlicher Bach durch die eisernen Stäbe des Zaunes, die den Garten gegen außenhin abschlossen. Im Garten stand eine dichte Nacht, eine lautlose und schwüle, das Blätterdach einiger hoher Bäume ließ den Schimmer der Sterne nicht durch. O'Key sah nichts. Aber Ronny war nicht zu beruhigen, er bellte nicht mehr laut zwar, doch wuffte er unterdrückt und sein Fell sträubte sich, genau, wie es sich am Morgen gesträubt hatte, als vor Madges Fenster in Bel-Air die singende Stimme erklungen war.

»Such, Ronny, such!« feuerte O'Key den Hund an. Ronnys Körper zog sich zusammen, die Vorderbeine suchten einen Halt auf dem glatten Fensterbrett – und dann verschwand der Körper des Hundes.

Während O'Key lauschend am Fenster stehenblieb, gingen ihm viele Gedanken durch den Kopf. Er dachte an Madge. War ihr etwas zugestoßen? Oder war sie etwa im Garten, und hatte Ronny ihre Nähe bemerkt? Nein, dazu war der Hund zu aufgeregt gewesen. Was erwartete der Professor? O'Key schielte zu ihm hinüber, Dominicé hatte die Handballen auf die Tischplatte gestemmt, so, als wolle er aufspringen, aber merkwürdigerweise sah er nicht nach dem Fenster, sondern nach der Türe. Einen Augenblick überlegte O'Key, ob er nachsehen sollte, wer vor der Türe stand, dann gab er es auf, denn jetzt wurde es plötzlich im dunklen Garten lebendig. Ronny mußte irgend jemanden auf gestöbert haben, er bellte laut und verärgert, dann hörte O'Key eine Männerstimme laut fluchen. Der Advokat war neben ihn getreten.

»Was ist da draußen los?« fragte er. O'Key zuckte mit den Achseln. »He, André«, rief Isaak, »was ist los?« Die Stimme des Chauffeurs tönte aus der Tiefe des Gartens:

»Irgend jemand, der sich hier versteckt hat, der Hund hat ihn aufgestöbert. Merde…« rief er noch, dann war Stille, auch Ronny war nicht mehr zu hören.

»He, André!« rief der Advokat. Keine Antwort. Da durchstieß ein spitzes Wimmern des Hundes die Stille, es klang wie der verzweifelte Hilferuf eines kleinen Kindes.

»Schnell«, sagte O'Key, »wir müssen in den Garten. Sie, Maître, gehen mit den andern durch die Tür, ich springe hier hinaus. Sie bleiben wohl hier, Professor?«

»Ich bleibe hier«, sagte Dominicé und lehnte sich in seinen Stuhl zurück.

Als der Raum sich geleert hatte, stand Professor Dominicé langsam auf, schlich sich zur Tür und drehte das Licht ab. Dann schlürfte er zurück, geduckt.

3

Da wächst im Fensterrahmen eine Gestalt aus der Dunkelheit. Deutlich sind die Umrisse zu erkennen gegen die Nacht draußen, die heller scheint gegen die Schwärze des Zimmers. Ein Keuchen… Die Gestalt schwingt sich aufs Fensterbrett. Sie schwankt bedenklich, fällt schließlich ins Zimmer, bleibt liegen, murmelt.

Draußen bricht wilder Lärm los.

»André!« ruft die Stimme des Advokaten. Dann zuckt der Schein einer Taschenlampe über die Decke des Zimmers.

O'Keys Stimme ertönt: »Hierher! Hier liegt er!« Eine Pause. Wieder O'Keys Stimme: »Warum hat denn der Professor das Licht gelöscht? Jakob, laufen Sie schnell, zünden Sie das Licht wieder an.«

Eilige Schritte nähern sich, verstummen vor dem Fenster.

»Professor!« ruft eine Knabenstimme. Schweigen. Dann entfernen sich die Schritte wieder, nähern sich der Gangtür, nun steht Jakob in der Tür und fragt ängstlich:

»Warum haben Sie das Licht gelöscht, Professor?« Dann knipst der Schalter. Der Junge fährt zurück mit einem leisen Schrei. Nahe beim Fenster hat er einen Mann erblickt, der am Boden liegt und mit weitaufgerissenen Augen zur Decke starrt.

Aber Dominicé antwortet nicht. Das Schweigen unter dem grellen Schein der unverkleideten Deckenlampen ist schmerzhaft. Der Professor wackelt mit dem Kopf wie ein Uralter. Jakob springt ans Fenster: »Hier liegt ein Toter!« schreit er.

Das Schweigen des Zimmers scheint sich über den Garten auszubreiten. Dann rauschen Büsche. Irgendwo, auf der Straße wahrscheinlich, surrt ein Auto an, ein hoher Ton zuerst, der leiser und tiefer wird und in der Ferne verhallt.

»Damned!« hört man O'Keys Stimme. »Die Pneus an meinem Motorrad sind zerstochen.«

Schritte nähern sich der Zimmertür. Als erster betritt der Journalist das Zimmer, hinter ihm der Advokat. Nach einer Weile erscheint Natascha. Ihr dunkles Haar ist wirr und feucht, Schweißtropfen glänzen auf ihrer Stirne, an ihren Schläfen. Professor Dominicé steht mit verlegenem Gesicht neben dem Sterbenden und weiß nicht recht, was er mit sich anstellen soll.

»Jean!« sagt er. Da scheint der Sterbende zu merken, daß jemand zu ihm spricht. Alle sehen, daß er eine große Anstrengung macht, um etwas zu sagen, seine Lippen sind gespannt, einmal, zweimal erscheint die reichlich geschwollene Zunge zwischen den Zähnen. Und dann formt sich ein Laut, Mittelding zwischen Lallen und Sprechen:

»Vala…«, sagt der Sterbende, »Vala…«

Der Körper krümmt sich, das Atmen ist ein zischendes Geräusch, einige Zuckungen, und Dr. Thévenoz liegt reglos. Sein dünnes, blondes Haar, das sonst so tadellos gescheitelt war, steht wirr um den Kopf, und tiefe Furchen laufen von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln. Sonst sieht das Gesicht friedlich aus.

›Vielleicht‹, denkt Jakob, der Gymnasiast, hat der Läufer von Marathon so ausgesehen, als er ankam mit der Nachricht des Sieges und dann erschöpft starb. Nur läßt hier die Nachricht an Deutlichkeit zu wünschen übrig.

»Vala?…« wiederholt Isaak Rosène, der Advokat. »Vielleicht wollte er ›voilà‹ sagen;… und viel anderes ist in dieser Situation wirklich nicht zu sagen. Ja… voilà! Hier ist die Bescherung. Aber weiter führt es uns nicht, das sehen wir selbst… voilà… Um das mitzuteilen, hätte der arme Thévenoz nicht so weit zu laufen brauchen. Wie geht's dir, André? Was hat's gegeben?«

André stöhnt in einer Ecke, er ist noch nicht recht aufgewacht. Maman Angèle steht neben ihm und betupft seine Schläfen mit einem feuchten Tuch, das sie in Essig getaucht hat. Aber Ronny, der Airedale, ist schon wieder munter, er schnüffelt im Zimmer umher, bellt unterdrückt und gereizt, rennt von einem zum andern, schnüffelt an den Kleidern des Toten, fährt zurück mit gesträubtem Fell. Der Professor kniet noch immer neben dem Toten, und in die verhältnismäßige Stille hört man ihn sagen, still, konzentriert, sachlich:

»Behinderung des Sprechvermögens, scharlachgerötete, heiße, trockene Haut, Lähmung des Auerbachschen Plexus…«

»Auerbachscher Plexus…«, wiederholt O'Key gedankenvoll. Es ist das zweite Mal an diesem Abend, daß eine scheinbare Kleinigkeit plötzlich eine bedeutsame Wirklichkeit erhält. Da war zuerst etwas mit Wladimir Rosenstock, dem Assistenzarzt gewesen was doch?… Nun, es wird ihm schon einfallen… Und jetzt – wer hat schon einmal vom Auerbachschen Plexus gesprochen?… in einer ähnlichen Situation – ganz zu Anfang dieser verrückten Geschichte.

Aber der Auerbachsche Plexus taucht wieder unter, verschwindet. Denn plötzlich fällt O'Key mit grausamer Deutlichkeit die Tatsache ein, daß Madge Lemoyne noch immer nicht gekommen ist. Er geht ins Nebenzimmer, stellt eine Nummer ein. Eine verschlafene Stimme meldet sich.

»Verbinden Sie mich mit Fräulein Lemoyne«, sagt O'Key. Der Portier von Bel-Air brummt zuerst etwas, dann hört man das Knacken des Umschaltens. Nun summt es am anderen Ende der Leitung, summt regelmäßig, alle zehn Sekunden. O'Key zählt! Einmal, zweimal, dreimal… Beim sechsten Male, gerade als er ungeduldig werden will, ertönt wieder die schläfrige Stimme des Portiers: Fräulein Lemoyne sei nicht in ihrem Zimmer. Offenbar sei sie fortgefahren, sie habe heute ihren freien Nachmittag gehabt. Ob man etwas bestellen könne?

»Nein, danke«, sagt O'Key und hängt ein. Und sofort überfällt ihn die Frage, warum Madge ihm nichts mitgeteilt hat. Wohin ist sie gegangen? Nach der Geschichte mit Nydecker? Ist ihr etwas zugestoßen? Eine ganz unbekannte, eine verzweifelte Angst nimmt von O'Key Besitz, er kann nicht mehr ruhig bleiben, aber er weiß nicht, was er tun soll. Er macht sich Vorwürfe: faul ist er gewesen, er hätte vielleicht verhüten können, was heute abend geschehen ist, er hat sich nicht genug angestrengt! Und nun, dies Verschwinden zu allem andern! Das ist die Strafe! Ängstlich, als könne er noch etwas versäumen, verlangt er eine zweite Nummer, die berühmte Nummer, die ihm am Morgen des heutigen Tages von Herrn Martinet eingebläut worden ist… Aber auch hier tönt nur, immer in gleichen Zwischenräumen, das aufreizende Summen zurück. ›Natürlich‹, denkt O'Key, ›Herr Staatsrat Martinet ist bei seinem Pikett, gut, daß ich weiß, wo er zu finden ist. Wir werden hingehen und ihn ausholen. Herr Martinet muß sich aufknöpfen. Aber zuerst sollte ich wohl den Professor…‹ O'Key geht mit langen Schritten in den Speisesaal zurück. Aber sobald er durch die Türe getreten ist, merkt er, daß die Atmosphäre sich verändert hat.

4

Es waren zwei Männer mehr im Saal. Und die Anwesenheit dieser beiden Männer mußte die Veränderung der Stimmung hervorgerufen haben. Den einen der beiden kannte O'Key, und er wollte freudig, mit ausgestreckter Hand, auf ihn zugehen. Aber das Verhalten des zweiten Mannes hinderte ihn an der Ausführung dieses Vorsatzes. Denn der zweite Mann sah merkwürdig aus, merkwürdig und einschüchternd.

Er saß neben dem Professor, dieser Mann, lässig zurückgelehnt, eine brennende Zigarette zwischen Daumen und Ringfinger, und er ähnelte einem Schauspieler, der einen Gentlemaneinbrecher mimen will. Er trug Abendkleidung, sein Frack saß, wie sonst nur im Kino ein Frack sitzt, die seidenen Socken, die Lackschuhe, das Hemd, die weiße Krawatte, alle seine Kleidungsstücke wären mit einem Ausrufungszeichen zu versehen gewesen. Sonderbar war, daß diese Eleganz durchaus nicht geckenhaft wirkte, sondern selbstverständlich hoheitsvoll. Als O'Key vor ihn trat, erhob sich dieser Mann, legte die Zigarette ab, stützte sich leicht auf die Lehne des Stuhles – ›wie eine Majestät, die eine Audienz erteilt‹, dachte O'Key und verbeugte sich tief.

»Hoheit«, sagte Sir Boses Kammerdiener Charles, »Hoheit, darf ich Ihnen einen Kollegen und treuen Freund vorstellen, Simpson Cyrill O'Key, Ire, Reporter und…«

»Ich weiß«, sagte die Hoheit, »ein tüchtiger Mann, der seinem Lande allerhand Dienste erwiesen hat, aber sich nun in einer unangenehmen Situation befindet. Nicht wahr?«

»Jawohl, Hoheit«, sagte O'Key. »In einer dummen Situation.«

Der Maharaja von Jam Nagar setzte sich, rauchte schweigend, dann zupfte er an der Bügelfalte seines rechten Hosenbeins. Hierauf blickte er auf und sagte.

»Nehmen Sie Platz, Herr O'Key.« Es klang, wie wenn Kaiser Franz Joseph selig einem kleinen Leutnant bedeutet hätte: ›Stehns kommod!‹

O'Key setzte sich. Alles kam ihm verworren und unklar vor, er gab seiner Müdigkeit die Schuld, versuchte sich aufzurappeln, beugte sich zum alten Colonel und raunte ihm zu:

»Glänzend sieht er aus, Ihr Fürst, ganz wie Sie behauptet haben: Krishnamurti, der Heiland der Theosophen, mit einem kleinen Schuß Arsène Lupin, sympathisch, entschieden, und gar nicht farbig. Er ist ja weiß, wie sie und ich.«

»Schweig, Simp«, zischte Charles böse. »Hör lieber zu. Er ist der einzige, der euch aus dieser verzweifelten Situation retten kann.« O'Key wagte es, diese Behauptung zu bezweifeln.

»Es ist natürlich unmöglich«, sagte der Maharaja, »daß der Tote in diesem Hause bleibt. Er ist gekommen, um eine Botschaft zu bestellen, aber der Tod war schneller. Für Sie, verehrter Meister, wäre es gefährlich und peinlich zugleich, wenn die Polizei Ihre Anwesenheit in diesem Hause, auf dem Schauplatz eines Mordes, feststellen müßte. Darum schlage ich vor, den Toten in mein Auto zu schaffen und die Leiche irgendwo vor der Stadt, an einem einsamen Orte, abzulegen. Wir können es dann getrost der offiziellen Polizei überlassen, dieses neuerliche Verbrechen aufzuklären. Vielleicht ist einer der Anwesenden so freundlich, mir bei diesem Geschäft zu assistieren. Ich selber berühre nicht gerne Leichen, meine Religion hat in dieser Beziehung ziemlich scharfe Vorschriften. Ich bin zwar ziemlich vorurteilslos geworden, aber immerhin…«

Hier wurde der Vortrag ihrer Hoheit unterbrochen. Natascha erhob sich von ihrem Platze und erklärte (ihre Augen glänzten während sie sprach und ihr Blick kam nicht los vom Gesichte des Maharajas) sie komme als einzige in Betracht, der Advokat schalte von vornherein aus, O'Key komme nicht in Frage, da er es seinem Freunde, dem Kommissar Pillevuit schuldig sei, reine Hände zu bewahren. Und sonst? Sie sehe niemanden als sich selbst; sie sei frei, diese Angelegenheit scheine ja unpolitisch zu sein, also dürfe sie handeln, wie sie es für gut finde. Sie sei bereit.

»Und wenn sie nun den Maharaja mit ›Towaritsch‹ anredet!« flüsterte der alte Colonel besorgt. O'Key beruhigte ihn.

»Sie wird das nicht tun«, sagte er, »denn wahrscheinlich werden sich die beiden der französischen Sprache bedienen und in dieser Sprache hat die gute Natascha die Auswahl zwischen zwei Worten: ›Citoyen‹ oder ›Camarade‹. Und ich glaube nicht, daß der Fürst etwas dagegen hat, der ›Camarade‹ einer hübschen Frau zu sein.«

»Mach keine Witze, Simp«, sagte streng der Mann, der Kammerdiener war und Colonel.

Die Situation klärte sich. Jakob, der Gymnasiast, hatte zuerst gegen das Mitgehen Nataschas energischen Protest eingelegt. Ihm gefiel der verklärte Blick nicht, mit dem seine Freundin den Fürsten ansah. Aber da sich Natascha nicht umstimmen ließ, da der Fürst äußerte: »Es wird mir ein Vergnügen sein…« war weiter nichts zu erinnern.

»Und das alles«, sagte der junge Fürst, »all diese Verwicklungen, all diese Morde haben nur einen Grund: Meine Petroleumquellen. Am liebsten ließe ich sie verschütten. Aber nicht einmal das kann ich tun, ich bin machtlos.«

»Verzeihung, Hoheit«, sagte O'Key, »es steckt noch eine andere Geschichte dahinter. Es ist vielleicht reiner Zufall, daß zwei grundverschiedene Angelegenheiten sich hier in Genf gekreuzt haben…« Er schwieg und dachte: ›Ich red einen bösen Kohl zusammen: Angelegenheiten, die sich kreuzen!‹ –

»Ah, da fällt mir etwas ein«, sagte der Maharaja von Jam Nagar. »Kennt einer der Anwesenden eine Dame, sie heißt, warten Sie einmal…« er kramte in seiner Hosentasche, zog eine zerknitterte Karte hervor und buchstabierte: »sie heißt Sorel… ja, Sorel, und sie ladet mich zum Tee ein…«

»Oh«, rief Natascha, »gehen Sie nicht, gehen Sie nicht!«

»Zum Tee…« sagte der Professor verträumt, »ich würde Ihnen raten, zu gehen. Wenn Sie achtgeben, wird Ihnen nichts geschehen…«

»Alte Damen, die Tee trinken…« nickte O'Key. »Und wo findet dieser Tee statt, Hoheit?«

»Das ist ja das Merkwürdige«, sagte der Maharaja. »Die Dame Sorel gibt keine Adresse an… oder warten Sie, doch da auf dem Kuvert steht der Absender: A. Sorel, Rue Verdaine 12.«

»Dann können Sie ruhig gehen, Camarade«, sagte Natascha, »ich werde Sie zu schützen wissen.« Nataschas Stimme war unnötig pathetisch. O'Key lachte leise in sich hinein. »Sehen Sie, Colonel«, flüsterte er. »Sie hat ihn nur Camarade genannt.« Dann empfahl sich O'Key. André, der Chauffeur, begleitete ihn. Er versprach, die Pneus am Motorrad in Ordnung zu bringen.

5

Die Nacht war dunstig. Der Mond beschäftigte sich mit der Auswahl eines Schleiers, aber keine Wolke schien passen zu wollen. So gab er es auf und strahlte weiter, mit nacktem Angesicht. Sehr ruhig war der See, wie tot. O'Key führte seine Armbanduhr dicht an die Augen: es war halb zwölf. Eilig schritt er auf der asphaltierten Straße der Stadt zu.

Über die Avenue de la Grenade gelangte er auf die Route de Chêne. Er kam an einem kleinen Hotel vorüber, blieb stehen, das Hotel kannte er. Ein Fenster war erleuchtet.

»Agent Zweiundsiebzig leidet an Schlaflosigkeit«, murmelte O'Key. »Wenn er wüßte, daß seine Mitarbeiterin mit dem Maharaja konspiriert und… halt!« – ihm fiel der Blick ein, Nataschas verklärter Blick, der sich nicht von des Fürsten Gesicht lösen konnte, »ja, halt! Welch wunderbare Schlagzeile: ›Kommunistische Agentin verliebt sich in indischen Fürsten!‹ Ach«, seufzte er, »wir werden noch eine Zeitlang warten müssen, bis wir wieder Schlagzeilen erfinden dürfen!«

O'Key war stehen geblieben, er beobachtete das erleuchtete Fenster. Vielleicht wußte Baranoff etwas über Madges Verschwinden. Er beschloß, den Feind besuchen zu gehen. Aber da fiel ihm ein Auto auf, das mit gelöschten Scheinwerfern an der nächsten Ecke stand. Er ging auf den Wagen zu, betrachtete ihn: ein ganz gewöhnlicher Citroen, leer, verlassen. O'Key versuchte die Türe zu öffnen, sie war verschlossen. »Soviel ich weiß, ist hier kein Parkplatz«, murmelte er. Er blickte wieder zum erleuchteten Fenster empor. Da zeichnete sich hinter der weißen Gardine die Silhouette eines Oberkörpers ab. Mager, schmal, eingesunkener Brustkasten. O'Key pfiff durch die Zähne. Ihm fiel die Szene vom Nachmittag ein. Bevor der junge Mann mit der Mappe in das wartende Auto gesprungen war, hatte sich seine Gestalt einen Augenblick im Profil ganz scharf gegen die weiße Häuserwand auf der andern Seite der Straße abgehoben. Und dieses Profil hatte viel Ähnlichkeit mit dem Profil, das dort oben am Fenster stand. Was hatte das zu bedeuten? Jane Pochos Sohn bei Baranoff? Der Sohn der Hexe mit der Münze und dem Fliegengesumm zusammen mit dem Agenten von Hammer und Sichel? O'Key verbarg sich in einem dunklen Toreingang und wartete. Das Licht hinter dem Fenster erlosch. Einige Minuten vergingen, dann öffnete sich vorsichtig die Türe des Hotels, ein Schatten glitt auf die Straße, blieb reglos stehen. Der Schatten schien auf etwas zu warten. Und richtig… näherten sich da nicht Schritte?

Aus der Seitengasse, an deren Ecke das Auto wartend stand, kam eine Gestalt. Unter der Laterne, die dem Hotel am nächsten stand, blieb sie stehen und war deutlich zu erkennen: die Gesichtsfarbe war die jener alten Herren, die den Winter hindurch in St. Moritz oder Davos Curling gespielt haben – und O'Key, verwundert erkannte er Sir Avindranath Erik Bose, Baronet des Königreiches Großbritannien, den bevollmächtigten Delegierten eines kleinen indischen Randstaates an der Völkerbundkonferenz in Genf.

Der Schatten, der so lange bewegungslos gestanden hatte, löste sich von der Mauer des Hotels ab, kam mit schnellen Schritten näher, blieb vor Sir Bose stehen, streckte ihm ein gelbes Kuvert hin. Und wieder mußte O'Key feststellen, daß er die Silhouette am Fenster richtig erkannt hatte. Es war wirklich der gleiche, unheimlich magere Mensch, der ihm am Nachmittag mit der Mappe zuvorgekommen war.

Nun flüsterten die beiden miteinander. O'Key gab sich Mühe, zu verstehen, was da verhandelt wurde. Zuerst verstand er nichts. Dann hörte er Sir Bose leise lachen, und der Junge stimmte in das Lachen mit einem heiseren Gekrächz ein. »Die Mappe ist bei ihm geblieben, mit den anderen Dokumenten«, hörte er nun den Jungen sagen. »Nur das hier hab ich mitgenommen. Übrigens, Baranoff schläft jetzt.« –

»Haha«, lachte Seine Exzellenz, »dann wollen wir den Kommissar aus dem Schlaf klingeln. Das hast du gut gemacht, mein Junge. Komm, wir wollen zu deiner Mutter.«

»Ja«, sagte der Junge in eigentümlichem Singsang. »Wir wollen zur Mutter. Der Meister wartet, der Meister wartet, der Meister, der Herr mit dem hölzernen Gesicht.«

»Nein, nein.« Sir Erics Stimme war laut und abwehrend, »mit dem Meister will ich nichts zu tun haben. Das geht mich nichts an. Wie lange bleibt deine Mutter bei ihm?«

»Sie kommt bald«, wieder der leise Singsang. »Ich werde sie holen gehen.«

»Gut«, sagte Sir Bose, und man merkte es ihm an, daß er sich unbehaglich fühlte, »dann werd ich in eurer Wohnung auf euch warten. Weißt du übrigens, was der Professor macht?«

»Der Professor? Der Professor hat sich versteckt. Der Professor hat Angst vor den Fliegen, hat Angst vor dem Gesumm. Der Professor kommt nicht mehr. Aber«, die Stimme wurde triumphierend, »aber der andere…«, der Junge zeigte zum Fenster des Hotels hinauf, »der andere bekommt seine Strafe. Er hat mich geprügelt, einmal, wissen Sie? Er bekommt seine Strafe, nicht wahr? Zwei haben mich beleidigt und geprügelt, der eine hat sterben müssen, der andere muß ins Gefängnis, nicht wahr? Mich darf man nicht anrühren, nicht wahr?«

Sir Bose schien zu frösteln. Er schüttelte sich. Der Junge ging ihm offenbar auf die Nerven.

»Leb wohl«, sagte Sir Bose kurz, nickte, ohne dem Jungen die Hand zu reichen, riß die Tür des Wagens auf, stieg ein und fuhr ab. O'Key zögerte. Sollte er dem Jungen folgen? Er trat aus dem dunklen Torweg, der Junge sah ihn, sein Gesicht verzerrte sich vor Angst, er machte kehrt und lief in langen Sätzen davon. O'Key schüttelte den Kopf. »Papa Martinet ist mir augenblicklich wichtiger«, murmelte er. »Eigentlich könnte ich heute abend eine Sammlung von Schlagzeilen anlegen. Wie klänge das: ›Angloindischer Diplomat und Hexensohn. Begegnung um Mitternacht.‹ Schön, nicht? Ich möchte nur gern wissen, ob Baranoff sich wirklich hat einseifen lassen…« Er ging weiter und da war er auch schon vor der Brasserie angelangt, wo er am Morgen den interessanten Andeutungen des Herrn Staatsrates gelauscht hatte. O'Key trat ein.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
300 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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