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Kitabı oku: «Wachtmeister Studer», sayfa 4

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Noch einer, der nicht mehr mitmachen will

Der Speck war zäh und der Suurchabis schwamm in allzu viel Flüssigem. Die Gaststube war leer. Am Ausschank polierte die Kellnerin Weingläser. Es hatte endgültig aufgehört zu regnen, aber der Himmel war mit einer weißen Schicht überzogen, die blendete.

Studer spürte ein unangenehmes Beißen in der Nase: es war wohl ein Schnupfen, der sich meldete. Kein Wunder, wenn der Mai so kalt war. Er kostete den Kaffee. Der war ebenso dünn und lau wie derjenige seiner Frau, wenn sie nächtelang gelesen hatte. Studer schüttete den Kirsch in die Brühe, verlangte noch einen und begann dann die Gerzensteiner Nachrichten zu studieren. Seine Stimmung wurde langsam besser, er lehnte sich in die Ecke zurück und rollte mit den Schultern, bis sie bequem der Wand anlagen.

Da betrat ein junger Mann die Gaststube. Zuerst schnitt die Kellnerin mit einer brüsken Handbewegung einer männlichen Stimme das Wort ab, die in einer Ecke sanft über die Entschlüsse plätscherte, an denen der Nationalrat letzte Woche erkrankt war, dann sagte die Saaltochter:

»Grüeß di!« Es klang wie ein unterdrückter Freudenruf und Studer wurde aufmerksam, so wie jeder, auch der solideste Mann aufmerksam wird, wenn sich in seiner nächsten Nähe eine zarte Beziehung bemerkbar macht. »Becher Hell‘s!« sagte der junge Mann kurz. Es war eine deutliche Ablehnung.

»Ja, Armin«, sagte die Saaltochter geduldig, ein wenig vorwurfsvoll.

Armin? Studer sah sich den Burschen näher an. Dieser gehörte zu jener Sorte junger Männer, die über einen sehr reichlichen Haarwuchs verfügen, und diesen in Form von Dauerwellen über der Stirn aufschichten. Der blaue Kittel war in der Taille so eng geschnitten, daß er waagrechte Falten warf, die breiten hellen Hosen verdeckten die Absätze und schleiften fast am Boden nach.

Das Gesicht? Ja, es hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit einem andern Gesicht, das Studer heute morgen in einem grausam hellen Raum gesehen hatte. Das Gesicht des Burschen war magerer, glatter, der Schnurrbart fehlte, aber das Kinn war dasselbe: weich, leicht verfettet…

Die Glücksfälle mehrten sich. Es war sicher der Armin Witschi. Vielleicht erhielt man die Bestätigung.

Die Kellnerin hatte sich an den Burschen gedrängt. Der Armin ließ es sich gefallen.

— Ob er denn nicht den Laden hüten müsse? fragte sie.

— Die Schwester sei heimgekommen, sie habe frei heut nachmittag, brauche nicht nach Bern zu fahren. Übrigens, fuhr er fort, sei ihm alles verleidet. In das Lädeli komme ohnehin niemand mehr, er werde wohl bald auch hausieren müssen wie der Vater, und vielleicht… Die Pause, die folgte, sollte vielsagend sein.

»Nid, Armin!« sagte die Kellnerin. Sie mochte etwa dreißig Jahre alt sein, hatte müde Züge in einem nicht unschönen Gesicht.

—Auf keinen Fall dürfe er reisen, sagte sie; der Schlumpf sei nicht der einzige gewesen, es seien noch mehr beim alten Ellenberger, die zu allem fähig seien…

Sie merkte plötzlich, daß Studer zuhörte, und dämpfte die Stimme zu einem Flüstern. Der Armin trank einen Schluck aus seinem Glas. Er spreizte dabei den kleinen Finger ab.

Das Wispern der Kellnerin wurde eifriger; Armin beteiligte sich am Gespräch nur mit einzelnen Worten. Aber die wenigen Worte, die er einwarf, hatten Gewicht — falsches Gewicht, hätte Studer am liebsten gesagt. Er zog seine Uhr. Es war halb drei. Er war müde, die Glieder taten ihm weh, das Gewisper ging ihm auf die Nerven. Vielleicht sollte er ein wenig spazieren gehen? Zum Ellenberger? Seine alten Bekannten dort besuchen, den Schreier, der jetzt Klavier spielte und den Buchegger mit der Baßgeige? Die Jazzkapelle genannt: ›The Convict Band!‹… Ein Humorist, dieser alte Ellenberger. Man wurde nicht klug aus ihm. Für seine Leute schien er gut zu sorgen…

Oder war es besser, die Frau zu besuchen, bei der Schlumpf gewohnt hatte?

Ein ödes Blatt, dieser Gerzensteiner Anzeiger. ›Erscheint zweimal wöchentlich mit Beilagen: Für die Frau, Palmblätter, Landwirtschaftliches.‹ Was hieß das ›Landwirtschaftliches‹! Aus einem unerfindlichen Grunde ärgerte dieses Wort den Wachtmeister Studer. Aber was war das?

»In letzter Stunde erfahren wir den traurigen Hinschied unseres wohlverdienten Mitbürgers W. Witschi, der in seinem 50. Altersjahre einer ruchlosen Bubenhand zum Opfer gefallen ist. Herr W. Witschi war bekannt als ein Muster von Treue und Pflichterfüllung, sein Andenken wird uns teuer bleiben, bis über das Grab hinaus, denn er war noch einer von jenen immer mehr aussterbenden Charaktern« —

Studer streichelte seinen Schnurrbart, die ›aussterbenden Charakter‹ gefielen ihm ausnehmend —, ›die nach alter Väter Sitte…‹ — Ja, ja, das kannte man. Studer übersprang ein paar Zeilen.

Aber plötzlich stockte er und las nicht weiter. Etwas hatte ihn gestört: wohl die plötzliche Stille — das Wispern hatte aufgehört. Studer äugte vorsichtig über den Rand der Zeitung. Das Klingen von Geldmünzen war zu hören. Die Kellnerin kramte in dem Ledersack, den sie unter der Schürze trug. Armin tat unbeteiligt und strich dann und wann mit lässiger Gebärde über seine wohlondulierten Haare. Die linke Hand trommelte auf dem Tisch.

Jetzt verschwand sie unter der Tischplatte. Wieviel Geld gibt sie ihm wohl? fragte sich Studer. Das Rascheln einer Banknote war zu hören.

»Ich möchte zahlen…«, sagte Studer laut. Die Kellnerin fuhr mit rotem Kopf in die Höhe, Armin blickte böse zu dem einsamen Gast hinüber, Studer gab den Blick zurück, der Bursche hielt ihn nicht lange aus, Studer nickte unmerklich. Innerlich formulierte er seine Beobachtung: »Nicht ganz sauber überm Nierenstück.«

»Ein Mittagessen macht…«, die Kellnerin begann die Rechnung herunterzuleiern, Studer schob einen Fünfliber hin, steckte das Usegeld achtlos in die Hosentasche.

»Zahlen, Berta!« rief der junge Mann drüben. Er schwenkte eine Zwanzigernote…

Wie nannte man in Frankreich die Bürschchen, die sich aushalten ließen? Es war der Name eines Fisches, Studer kam nicht gleich darauf…

Richtig! Maquereau!…

Dort, wo der Feldweg rechts von der Automobilstraße abzweigte, stand ein großes Schild:

Baumschulen und Rosenkulturen Gottlieb Ellenberger und ein Pfeil wies die Richtung. Studer verschob den Besuch auf später. Er bog lieber links ab, der Weg stieg ein wenig an, aber man kam gleich in den Wald — Nadelhölzer und ganz wenig Laubbäume… Tannenduft war gesund, besonders für Schnupfen, das hatte schon sein Vater behauptet. Im Vorbeigehen sah er sich den Randstein an, an den offenbar der alte Ellenberger am gestrigen Abend mit seinem Kopf geflogen war. Es war ein gewöhnlicher Randstein, kein Blut klebte daran, am besten, man ließ ihn rechts liegen und stieg das Waldweglein empor…

Es war nie gut, sich auf einen Fall zu stürzen, wie eine hungrige Sau aufs Fressen. Und man konnte mit dem heutigen Tag zufrieden sein. Man hatte Bekanntschaften genug gemacht, man hatte Bilder gesammelt, eigentlich nicht anders als ein Fisel Schokoladebildli. Aber die Bilder waren schön:

Zuerst der Wendelin Witschi mit einer Alkoholkonzentration von 2,1 pro Mille, was nach Ansicht des italienischen Assistenten mit den kriminologischen Kenntnissen zu den Attributen einer ›Alkoholleiche‹ gehörte. Dann die Felicitas mit dem Loch im Strumpf und ihrem sonderbaren Benehmen dem Coiffeurgehilfen gegenüber. Hernach der Maquereau mit seiner Freundin, der Kellnerin.

Mein Gott, die Menschen waren überall gleich. In der Schweiz versteckten sie sich ein wenig, wenn sie über die Schnur hauen wollten, und solange es niemand merkte, schwiegen die Mitmenschen. Und der Wendelin Witschi, der im Gerichtsmedizinischen Institut konserviert wurde, war ein aussterbender Charakter.

Gut und recht.

Warum nicht? Solche Ausdrücke gehören zum Leben; die Leute, auf die sie angewandt werden, zotteln weiter, niemand regt sich über ihre kleineren oder größeren Sünden auf, wenn nicht…

Eben, wenn nicht irgend etwas Unvorhergesehenes passiert. Ein Mord zum Beispiel. Zu einem Mord gehört ein Schuldiger, wie der Anken aufs Brot. Sonst reklamieren die Leute. Und wenn dann der sogenannte Schuldige versucht, sich aufzuhängen und es kommt ein Fahnderwachtmeister dazu, der einen harten Gring hat, dann kann es geschehen, daß alle die kleinen Unregelmäßigkeiten, die im Leben jedes Menschen vorhanden sind, plötzlich wichtig werden; man arbeitet dann mit ihnen, wie ein Maurer mit Backsteinen — um ein Gebäude aufzurichten… Ein Gebäude? Sagen wir vorläufig: eine Wand…

Am Waldrand blieb Studer stehen, wischte sich die Stirne und schaute übers Land. Auf einer Telegraphenstange saß ein Mäusebussard und ruhte sich aus. Aber da kam eine Krähe und begann den stillen Vogel zu plagen. Der Bussard flog auf, die Krähe folgte ihm, und sie krahahte dazu mit einer unangenehm heiseren Stimme. Der Bussard schwieg. Er flog immer höher, immer höher, warf sich dem Wind entgegen und bewegte kaum die Flügel. Die Krähe folgte. Sie wollte ihren Krach haben, sie ließ nicht locker, immer wieder stieß sie gegen den stillen Vogel. Aber schließlich mußte sie es aufgeben. Der Bussard hatte eine Höhe erreicht, wo es der Krähe ungemütlich wurde. Krächzend ließ sie sich fallen. Der Bussard flog einen vollkommenen Kreis und Studer beneidete ihn. Hier unten entkam man den Krähen nicht so mühelos.

Er drang tiefer in den Wald ein. Und der Wald war sehr still…

Wie weit war der Wachtmeister gegangen? Über seinem Kopfe spielte ein kleiner Wind mit den Baumwipfeln. Es rauschte sanft.

Und dann wurde das kühle Rauschen plötzlich von einem anderen Geräusch unterbrochen. Zweige knackten, ein Stöhnen war zu hören — so als ob ein verwundetes Tier sich mühsam weiterschleppen würde… Hinter einem Gebüsch fand Studer einen Mann, der auf dem Bauch lag und wimmerte. Die Rückennaht seines Rockes war aufgerissen, das Haar zerrauft, die Schuhe waren kotig.

Der Mann hatte das Gesicht auf den Unterarm gelegt und weinte in die Erde hinein.

Einen Augenblick sah Studer ein anderes Bild: den Burschen Schlumpf, der die Augen in die Ellbogenbeuge gepreßt hatte…

Dann klopfte Studer dem Liegenden auf die Schulter und fragte:

»Was ist los?«

Der Mann drehte sich langsam auf den Rücken, blinzelte und schwieg. Studer erkannte den alten Cottereau, den Obergärtner beim Ellenberger…

Aber als Studer noch einmal fragte, was denn eigentlich passiert sei, begann das Gewimmer von neuem. Jetzt waren die Worte deutlich zu verstehen:

»Mein Gott! Mein Gott! Herjeses, ist das gut, daß endlich ein Mensch kommt. Verrecken könnt‘ man in dem Wald. O je, o je! ganz trümmelig ist mir, und so haben sie mich abgeschlagen!…«

Wer ihn denn abgeschlagen habe, wollte Studer wissen. Da hörte das Gejammer auf, das linke Auge blinzelte verschmitzt — das andere war blau unterlaufen und die geschwollene Haut verbarg es fast ganz — und mit ganz ruhiger Stimme sagte der Obergärtner Cottereau:

»Das tätet Ihr gern wissen, he? Aber von mir erfahrt Ihr nichts. Es war, vielleicht war es… Gar nichts war‘s! Eigentlich könntet Ihr mir aufhelfen und mich dann heimführen, bin ohnehin ganz naß, die Nacht im Wald… Sie haben mich zwar… Ja, der Meister wird auf mich warten, hat er große Sorge gehabt um mich?«

»Er hat Euch durchs Radio suchen lassen…«, sagte Studer — da hockte der Mann blitzschnell auf, aber eine Grimasse verzog sein Gesicht. Dann breitete sich ein Ausdruck von Stolz darüber aus:

»Durchs Radio?« fragte er. Darauf bewundernd: »Ja, der Ellenberger!… Wie geht‘s ihm, dem Meister? Ist er schwer verletzt worden?«

Studer schüttelte den Kopf und meinte streng, er werde ihn, den Cottereau, liegen lassen, wenn er nicht sagen wolle, wer ihn überfallen habe.

»Das könnt Ihr machen, wie Ihr wollt, Herr Fahnder«, sagte der kleine dicke Mann, zog einen Taschenspiegel hervor, einen Kamm und begann sich zu strählen.

»So, und jetzt könnt Ihr mich heimführen… Ihr seid ohnehin schuld, daß sie mich so abgeschwartet haben. Aber der Cottereau ist zäh, der sagt nichts, der weiß, was er seinem Meister schuldig ist…«

Und nach einem Schweigen:

»Man wird alt«, sagte der Kleine. »Man ist nicht mehr so rüstig wie früher. Schad, daß der Meister gestern nicht mitgekommen ist, der hätt‘ die Burschen anders traktiert!«

»Die Burschen?« fragte Studer. »Welche Burschen?«

»Hehe«, lachte Cottereau. »Das möchtet Ihr gern wissen, Wachtmeister. Aber ich sag nichts. Ich mach nicht mehr mit… Punkt… Schluß… Ich mach nicht mehr mit!« Und er schüttelte trotz der Schmerzen, die er offenbar verspürte, ganz energisch den Kopf.

Studer bückte sich. Cottereau legte seinen Arm um die Schultern des Wachtmeisters, richtete sich auf, stöhnend, und begann dann langsam zu gehen. Studer stützte ihn.

»Der Rücken!« klagte der Dicke. »Geschlagen haben sie! Und dazu immer gesagt: ›So!… ein Fahnder von der Stadt will sich in unsere Angelegenheiten mischen! Das ist nur‹, haben sie gesagt, ›eine kleine Probe, Cottereau. Damit du‘s Maul hältst. Verstanden? Wir haben unsern Landjäger. Wir brauchen keinen Tschucker von der Stadt!‹ Ja, das haben sie gesagt. Und von mir erfährt niemand nichts. Verstanden, Fahnder? Ich bin still. Ich schweige, ich schweige, wie das Grab…« Dann murmelte der alte Cottereau noch einiges, das nicht zu verstehen war…

Wenn Studer gedacht hatte, den ganzen Vorfall vom Ellenberger erklärt zu bekommen, so wurde er enttäuscht. Ellenberger saß auf einem Bänklein vor seinem Haus. Es war eine Art Villa, noch ziemlich neu, ein Schuppen stand hinterm Haus, die Fenster eines Treibhauses schimmerten. Der Ellenberger hatte um den Kopf einen dicken weißen Verband.

»So«, sagte er trocken, »habt Ihr den Cottereau gefunden? Dank Euch, Wachtmeister. Ihr seid ja ein richtiger ›Deus ex machina‹.« — Und er lachte schleppend, als er Studers erstauntes Gesicht sah.

»Warum habt Ihr denn den Radio alarmiert?« fragte Studer endlich neugierig.

»Das werdet Ihr später schon verstehen«, sagte der alte Ellenberger und strich sich über seinen weißen Turban. »Vielleicht hab ich Euch damit einen Dienst geleistet …«

»Dienst?« Studer wurde ärgerlich. »Der Cottereau schweigt sich aus. Und Ihr habt ja auch nichts gesagt. Wer hat Euch angefallen, wer Euern Obergärtner verschleppt?«

»Wachtmeister«, sagte Ellenberger, und er machte ein sehr ernstes Gesicht. »Es gibt Äpfel und Äpfel. Solche, die könnt Ihr vom Baum essen, sie sind reif, und andere, die müßt Ihr einkellern, die werden erst im Horner gut, oder im Märzen… Abwarten, Wachtmeister, bis der Apfel reif wird. Geduld haben. Verstanden?«

Und mit dieser Auskunft mußte sich Studer zufrieden geben. Nicht einmal mit dem Schreier und dem Buchegger konnte er die Bekanntschaft erneuern. Sie arbeiteten noch, hieß es.

Eine Baumschule sei kein Staatsbetrieb, sagte der Ellenberger bissig. Am Samstagnachmittag werde hier geschafft…

Zimmer zu vermieten

Schlumpf hatte dem Wachtmeister erzählt, er habe bei einem Ehepaar gewohnt, das in der Bahnhofstraße ein Korbereigeschäft betrieben habe. Hofmann hätten die Leute geheißen.

Das Haus war nicht schwer zu finden. Auf dem Trottoir, vor dem Laden, standen geflochtene Blumenständer, die sich nach einem Salon und der obligaten Palme zu sehnen schienen. Studer trat ein, eine Klingel schrillte gedämpft in einem hinteren Zimmer und dann betrat eine Frau den Laden. Sie trug eine blaugestreifte Ärmelschürze, ihre Haare waren grau und ordentlich frisiert. Sie fragte, was der Herr wolle, und ihre Höflichkeit wirkte angelernt.

Er komme, sagte Studer, um über den Schlumpf Erwin, der ja hier gewohnt habe, Auskunft einzuziehen. Wachtmeister Studer von der Kantonspolizei. Man habe ihn mit der Verfolgung des Falles betraut, und er hätte gern etwas über den Burschen erfahren.

Die Frau nickte, ihr Gesicht wurde traurig.

Das sei eine heillose Geschichte, meinte sie. Der Wachtmeister möge doch eintreten, sie sei allein, ihr Mann sei hausieren gegangen, ob der Wachtmeister nicht ein wenig in die Küche kommen wolle, sie habe gerade Kaffee gemacht, er könne auch eine Tasse trinken, wenn er wolle.

Ganz ungeniert.

Auf Kaffee hatte Studer gerade Lust…

Und er bereute es nicht, denn der Kaffee war gut, keine laue Brühe wie im ›Bären‹. Die Küche war klein, weiß, sehr sauber. Nur der Stuhl, auf dem Studer Platz genommen hatte, war ein wenig zu schmal…

Studer begann vorsichtig zu fragen.

— Ob der Schlumpf pünktlich gezahlt habe? — O ja, jeden Monat, am letzten, wenn er Zahltag gehabt hätte, sei er gekommen und habe 25 Franken auf den Tisch gelegt. — Und sei am Abend immer daheim geblieben? — Das erste Jahr schon, aber seit färn sei er am Abend oft spät zurückgekommen. — Aha, meinte Studer, eine Liebschaft?

Frau Hofmann lächelte. Es war ein freundliches, mütterliches Lächeln. Studer freute sich im stillen über die Frau. Sie nickte.

— Aber das Mädchen sei nie zum Schlumpf ins Zimmer gekommen? — Nie, nein. Solche Sachen wolle sie nicht haben. Nicht daß sie etwas daran finde, aber in einem Dorf!… Der Wachtmeister werde verstehen…

Studer verstand. Es war an ihm zu nicken, und er nickte überzeugt. Er saß da in seiner Lieblingshaltung, die Schenkel gespreizt, die Unterarme auf den Schenkeln und die Hände gefaltet. Sein magerer Kopf war gesenkt.

— Das Mädchen sei auch nie gekommen, um den Schlumpf abzuholen? — Nein… Das heißt, wohl einmal… am Mittwochabend…

»Um welche Zeit?«

»Um halb sieben. Der Schlumpf ist gerade von der Arbeit zurückgekommen, hat sich im Zimmer gewaschen… Er war gerade am Waschen, da ist das Meitschi in den Laden gekommen, ganz blaß war sie, aber das hat mich weiter nicht gewundert, weil doch ihr Vater ermordet aufgefunden worden war… Sie hat gesagt, sie müsse den Schlumpf sprechen und ob ich ihn rufen wolle. Er ist dann gekommen, ich hab‘ die beiden in der Küche allein gelassen, aber sie haben kaum eine Minute miteinander gesprochen. Dann ist das Meitschi wieder fortgegangen. Und der Schlumpf ist erst nach Mitternacht heimgekommen…«

»Das war am Mittwoch, also am Abend nach der Entdeckung des Mordes, nicht wahr?«

»Ja, Herr Wachtmeister. Ich hab schlecht geschlafen in der Nacht, um vier Uhr hab ich den Schlumpf gehört, wie er auf den Socken die Treppe hinuntergeschlichen ist. Um sieben Uhr ist dann schon der Murmann gekommen und hat den Schlumpf verhaften wollen. Aber da war der Erwin schon fort…«

Der Erwin… Der Name klang zärtlich im Mund der grauen Frau. Zwei Jahre hatte der Erwin also bei den gleichen Leuten gewohnt, er mußte sich gut aufgeführt haben, sonst hätten sie ihn wohl nicht so lange behalten…

»Und habt Ihr sein Vorleben gekannt?«

»Ach, Wachtmeister«, sagte Frau Hofmann. »Er hat Unglück gehabt, der Erwin. Mein Vater hat immer gesagt: ›Richtet nicht, auf daß Ihr nicht gerichtet werdet‹. Nein, nein, ich geh‘ nicht zu den Stündelern, aber Ihr wißt ja, Wachtmeister, wie es manchmal gehen kann. Der Erwin hat uns in der zweiten Woche alles erzählt, von seinen Einbrüchen und von Thorberg und von der Zwangserziehungsanstalt… Einmal hat ihn seine Mutter besucht… Eine gute Frau… Der Erwin hat viel von seiner Mutter gehalten… Habt Ihr die Mutter gesehen?«

Studer nickte. Er hörte die alte, ruhige Stimme, die fragte: »Aber er darf noch z‘Morgen nehmen?«

Über der Küchentür schrillte die Klingel. Es sei wohl jemand im Laden, meinte die Frau, stand auf, füllte vorsorglich Studers Tasse — mit Zucker und Milch solle er sich nur bedienen, meinte sie —, und dann ging sie ihre Kunden bedienen.

Studer trank die Tasse in kleinen Schlücken leer, zog die Uhr: es war bald sechs. Er hatte noch Zeit.

Er spazierte in der kleinen Küche umher, die Hände auf dem Rücken verschränkt, dachte an nichts und schüttelte nur von Zeit zu Zeit den Kopf, wenn ihn irgendein Gedanke belästigen wollte. Zweimal, dreimal kam er an dem weißen Küchenschaft vorbei, ohne ihn richtig zu sehen, bis er sich, bei einer brüsken Kehrtwendung, schmerzhaft an einer Ecke stieß. Nun betrachtete er erst das Möbel, aufmerksam und mißbilligend. Es war ein weißer Küchenschaft, unten breit, mit Holztüren; auf diesem breiten unteren Teil erhob sich ein schmäleres Gestell mit Glasfenstern. Ein Stapel Teller, daneben Tassen und Gläser, einige Bratenschüsseln. Auf dem obersten Brett lagen alte Zeitungen, ordentlich aufgeschichtet und neben ihnen, durcheinander, altes Packpapier. Die Türen waren nur angelehnt. Studer starrte auf den unordentlichen Stoß Packpapier. Und da er sich langweilte, nahm er das Packpapier heraus — er packte es fest mit beiden Händen, damit nicht irgendein kleineres Blatt zu Boden flatterte —, legte den Stoß auf den Tisch und begann es sorgfältig zusammenzulegen.

Als er das fünfte Blatt hochhob (noch später erinnerte er sich an die Farbe dieses Papiers, es war blaues Papier, wie man es zum Einwickeln von Zuckerhüten braucht), sah er etwas Schwarzes liegen.

Studer stützte die Fäuste auf den Tisch und besah mit schiefgeneigtem Kopf das schwarze Ding. Kein Zweifel: eine Browningpistole, Kaliber 6,5, eine zierliche Waffe. Aber was hatte dieser Browning in der Küche der Frau Hofmann zu suchen? Wie war er unter dieses Papier gerutscht? Hatte der Schlumpf… ? Eine böse Geschichte. Wenn der Untersuchungsrichter in Thun von diesem Fund erfuhr…

Studer schwankte. Vielleicht waren Fingerabdrücke auf dem Kolben zu finden, obwohl der Kolben gerippt war und die Abdrücke sicher nicht so klar waren, daß man etwas mit ihnen würde beweisen können…

Wieder schrillte die Klingel über der Küchentür kurz auf. Die Kunden hatten wohl den Laden verlassen. Frau Hofmann würde gleich zurückkommen.

»Ah bah«, sagte Studer laut, nahm das zierliche schwarze Ding — und ganz kurz sah er das Loch, das dies Ding gemacht hatte, die Einschußöffnung drei Finger etwa vom rechten Ohr im Hinterkopf des Wendelin Witschi — dann steckte Studer die Pistole in seine hintere Hosentasche…

Die Küchentür ging auf. Frau Hofmann kam nicht allein zurück. Sonja Witschi begleitete sie.

Er habe ein wenig Ordnung machen wollen zum Dank für den Kaffee, sagte Studer, aber das sei ja nicht mehr nötig. Er nahm den Stoß Packpapier, warf ihn auf das obere Brett des Küchenschaftes und setzte sich wieder. Er schien das Mädchen gar nicht zu beachten.

»Im Dorf wissen sie schon, daß Ihr die Untersuchung führt, Herr Wachtmeister, und da hat die Sonja mit Euch reden wollen«, sagte Frau Hofmann. Und zu dem Mädchen gewandt: — Es solle abhocken, Kaffee sei noch da…

Studer sah das Mädchen an. Das kleine Gesicht mit der spitzen Nase und den Sommersprossen an den Schläfen war bleich und sah verstört aus. Und immer wichen die Augen Studers Blick aus. Diese Augen blickten furchtsam in der Küche umher, wanderten vom Tisch, auf dem das Packpapier gelegen hatte, zum Schaft, in dem der Stapel nun lag. Die Lippen preßten sich aufeinander.

Am liebsten wäre Studer aufgestanden, hätte dem Mädchen die Haare gestreichelt und es beruhigt, wie man einen zitternden Hund beruhigt. Aber das ging nicht. Vielleicht wußte das Mädchen etwas von der versteckten Pistole? Hatte der Schlumpf die Waffe versteckt und am Abend vor seiner Flucht dem Mädchen erzählt, wo sie lag? Warum war dann Sonja nicht früher gekommen, um sie beiseite zu schaffen? Fragen, viele Fragen!… Studer seufzte.

Nun kam Sonja auf ihn zu, sie schien ihn als denjenigen wiederzuerkennen, der im Zug die Bemerkung über Felicitas Rose gemacht hatte, denn sie wurde rot, als sie Studer die Hand gab. Aber vielleicht hatte die Röte auch eine andere Ursache. Die friedliche Atmosphäre, die vorher in der Küche geherrscht hatte, war gestört. Es war eine Spannung da, die nicht nur von der Verlegenheit (oder war es Angst?) der kleinen Sonja Witschi erzeugt wurde — nein, Studer schien es, als habe sich auch die Haltung Frau Hofmanns verändert.

Das Schweigen, das über der kleinen Küche lag, wurde nur vom Ticken der Uhr unterbrochen, einer weißen Porzellanuhr mit blauen Ziffern. Und während dieses Schweigens wurde Studers optimistische Stimmung zernagt und langsam wuchs eine lähmende Mutlosigkeit in ihm. Vielleicht trug zum Wachsen dieser Mutlosigkeit auch das ungewohnte Gewicht bei, das in seiner hinteren Hosentasche lastete.

— Es seien wohl noch andere Kunden dagewesen, meinte Studer plötzlich. — Nein, keine Kunden… Frau Hofmann schüttelte den Kopf. Zwei Herren seien dagewesen… — Zwei Herren? Wie sie geheißen hätten? — Der Gemeindepräsident und der Lehrer Schwomm. — Was die Herren denn gewollt hätten?

Frau Hofmann schwieg verstockt. Studer blickte auf Sonja Witschi, die er bei sich Felicitas nannte. Aber das Mädchen zuckte nur die Achseln.

— Ob sie mit den beiden Herren gekommen sei? fragte Studer das Mädchen.— Es habe die beiden geholt, als es den Wachtmeister habe in den Laden gehen sehen.

Studer stand auf, kratzte sich die Stirne — das wurde ja immer komplizierter… Aus Frau Hofmann war wohl nichts mehr zu holen… Aber vielleicht aus dem Mädchen?…

»Adieu, Frau Hofmann«, sagte Studer freundlich. »Und du, komm einmal mit. Wir wollen noch ein wenig zusammen reden…«

Es hatte keinen Sinn, sich Schlumpfs Zimmer anzusehen. Das war sicher geputzt und gefegt worden und die Sachen, die Schlumpf gehört hatten, waren verpackt und lagen irgendwo…

Als Studer aus dem Hause trat, wußte er, daß er mit dieser Ansicht recht hatte. Am grünen Laden eines Fensters im oberen Stock baumelte ein weißes Kartonstück.

Darauf stand in ungeschickter Schrift geschrieben:

›Zimmer zu vermieten.‹

Der Wachtmeister wandte sich noch einmal an Frau Hofmann, zeigte auf die Ankündigung und fragte, ob sich schon Mieter gemeldet hätten.

Frau Hofmann nickte.

— Wer denn?

Frau Hofmann zögerte mit der Antwort, doch schien ihr die Frage nicht gefährlich. Und sie sagte:

»Der Lehrer Schwomm hätt‘ das Zimmer gern gehabt für einen Verwandten, der einen Monat zu ihm kommen will. Dann ist der Gerber vorbeigekommen, der ist beim Coiffeur als Gehilfe… ja, das wären alle.«

»Und Ihr habt die beiden in die Küche geführt und ihnen Kaffee angeboten?«

Frau Hofmann wurde rot, sie rieb sich verlegen die Hände: »Wenn man den ganzen Tag allein ist, wißt Ihr…«

Studer nickte, lüpfte den Hut und ging mit langen Schritten davon. An seiner Seite trippelte Sonja Witschi. Ihre Absätze klapperten auf dem Asphalt. Aber sie hatte die Strümpfe gewechselt. Wenigstens war über der Ferse des rechten Schuhes kein Loch mehr zu sehen…

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
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