Kitabı oku: «Wachtmeister Studer», sayfa 7
Aeschbacher blickte böse auf.
– Ellenberger solle so gut sein und die Klappe halten, es gebe sonst Durchzug, meinte er gehässig. – Dann solle der Herr Gemeindepräsident seine Vorschläge machen, wenn er mit dem Studer unter vier Augen sei. Wenn er sie so öffentlich mache, so sei es nur recht und billig, wenn auch er seine Meinung sage.
Studer mischte die Karten.
Am Tisch nebenan war Armin Witschi aufgestanden, hatte die Kellnerin um die Taille gefasst und zog die sich Sträubende zum Tanzboden. Auch der Coiffeurgehilfe mit den roten Lippen war aufgestanden, hatte Sonjas Arm genommen. Sonja schien nicht gern mitzugehen …
Studer starrte auf die beiden Paare, wie sie auf dem erhöhten Podium eng aneinandergeschmiegt tanzten. Sonja hatte ihre Hand gegen die Schulter des Coiffeurgehilfen gestemmt, um ein wenig Abstand zu halten. Die Musik spielte, und Schreier sang den Refrain mit:
»Grüezi, Grüezi, so sagt man in der Schweiz.
»Allez! allez!« sagte Aeschbacher ungeduldig, »Spiel geben!« Aber auch er drehte sich um und beobachtete die Tanzenden.
»Ja, ja, die Sonja«, er nickte. »Ein gutes Meitschi!«
– Der Aeschbacher müsse das ja besser wissen als andere, meinte Ellenberger leise, dann ließ er wieder ein dröhnendes Lachen hören, das so gar nicht zu seinem mageren Körper passte …
In der Tür, die vom Haus in den Garten führte, erschien die Wirtin, sah sich suchend um, entdeckte den Tisch der drei und kam auf ihn zu.
»Herr Gemeindepräsident«, sagte sie mit der Stimme des jodelnden Gritli Wenger, »Ihr werdet am Telefon verlangt.«
So, sagte Aeschbacher. Vielleicht erhalte er Nachricht von seinem verschwundenen Auto.
Studer wurde aufmerksam.
– Wann denn das Auto fortgekommen sei? erkundigte er sich. – Gestern Abend, war die Antwort. Er habe es hier vor dem ›Bären‹ stehen lassen, aber wie er dann um Mitternacht habe heimwollen, sei es fort gewesen. Er habe vergessen, es abzuschließen.
Studer fluchte innerlich. Nicht einmal auf den Murmann war Verlass. Warum hatte der Landjäger ihm das nicht erzählt?
– Er komme gleich wieder zurück, sagte Aeschbacher und ging mit der Wirtin. Seinen dicken Bauch trug er vor sich her wie ein Hausierer das Brett, auf dem er seine Waren ausgelegt hat.
Der alte Ellenberger war plötzlich wieder der sehr vornehme Freund des Residenten, er redete sein gepflegtes Französisch und gab Studer zu verstehen, er müsse sich vor dem Gemeindepräsidenten in Acht nehmen.
Studer erwiderte, er habe gemeint, der Aeschbacher sei dümmer als ein zweitägiges Kalb?
Das sei nur eine Redensart gewesen, meinte Ellenberger und ließ die Karten in einer Kaskade auf den Tisch sprühen. Er sei nicht dumm, der Aeschbacher, oh nein … Es würde ihn, Ellenberger, gar nicht wundern, wenn auch der Diebstahl des Autos nichts weiter sei als ein Trick. Da kam aber der Gemeindepräsident schon zurück. Ein unangenehm höhnisches Lächeln zog seinen Katerschnurrbart schief.
»In Thun haben sie den Mann erwischt«, sagte er. »Ich muss es holen gehen. Aber Ihr sollt ans Telefon kommen, Wachtmeister, der Untersuchungsrichter will mit Euch reden …«
»Heut? Am Sonntag?«
»Ja … Dann könnt Ihr heut Abend nach Bern zurückfahren. Der Fall ist erledigt …«
»Hä?« sagte der alte Ellenberger.
Aber Aeschbacher drückte seinen breitrandigen Filzhut auf den Kopf, grüßte: »Lebet wohl!« und verließ den Garten.
Der Untersuchungsrichter war wirklich am Telefon.
Seine ersten Worte waren:
»Der Schlumpf hat also gestanden, Wachtmeister …«
»Gestanden?« brüllte Studer ins Telefon. Er begann richtig wild zu werden. Es kam auch wirklich zu viel zusammen: Der Traum der vorigen Nacht, der Revolver, die leeren Hülsen in der Vase auf dem Klavier, das Angebot des Gemeindepräsidenten, die Spannung zwischen Ellenberger und Aeschbacher, Sonja Witschi, besonders die Sonja, die mit dem Coiffeurlehrling tanzte – und dann, vor allem, die Antwort des Landjägers Murmann auf die Frage, ob er den Schlumpf für schuldig halte: ›Chabis‹, hatte der Murmann gesagt … und nun flötete der Untersuchungsrichter ins Telefon:
»Der Schlumpf hat also gestanden, Wachtmeister …«
»Wann?« fragte Studer böse zurück.
»Heute nach dem Mittagessen, um halb eins, wenn Sie die genaue Zeit interessiert …« Auch noch Ironie! Das war zu viel für den Wachtmeister Studer!
»Gut«, er sprach ganz leise. Ich werde morgen früh nach Thun kommen, Herr Untersuchungsrichter.«
»Halten Sie das für opportun?« fragte die Stimme.
Das Wort ›opportun‹ schlug dem Fass den Boden aus. Konnte der Mann nicht deutsch sprechen? Konnte er nicht sagen, wenigstens, ob man es für ›gegeben erachte‹? Nein, ausgerechnet ›opportun‹!
»Ja«, krächzte Studer, »sogar für notwendig!«
Räuspern am andern Ende des Drahtes.
»Ich meinte nur«, sagte der Untersuchungsrichter versöhnlich. »Nämlich, ich habe auch mit dem Herrn Staatsanwalt gesprochen, und der meinte auch, eine weitere Untersuchung des Falles erübrige sich. Wir wollten Ihre Abberufung veranlassen …«
Weiter kam der Untersuchungsrichter nicht.
»Bitte«, Studer sprach sein schönstes Hochdeutsch. »Das können Sie ruhig tun. Ich würde Ihnen aber dennoch raten, sich in der Fachliteratur über Geständnisse zu orientieren. Es gibt nämlich diverse Geständnisse … Übrigens können Sie mich abberufen lassen, wenn es Ihnen Freude macht. Ich habe nämlich daran gedacht, Ferien zu nehmen. Und Gerzenstein gefällt mir ausnehmend. Die Luft ist so gesund … Vielleicht lass ich meine Frau nachkommen. Wann haben Sie den Autodieb erwischt?«
»Hämhäm«, sagte der Untersuchungsrichter. »Den Autodieb? Heut Morgen hat ihn ein Polizist angehalten. Ein Vorbestrafter …«
»Hat er mit Schlumpf gesprochen?«
»Ja … doch … ich glaube. Wir haben ihn in die gleiche Zelle gelegt …«
»Was Sie nicht sagen! Also auf Wiedersehen, Herr Untersuchungsrichter! Auf morgen! Ich bringe vielleicht noch einen wichtigen Zeugen mit …« Und Studer hängte den Hörer in die Gabel.
Es tanzte niemand mehr. Die Tische waren alle besetzt. Die Kellnerin lief mit Tellern herum, auf denen schlanke Emmentaler-, feiste, fetttropfende Kümmelwürste oder mattschimmernde Cervelats lagen. Vielbegehrt waren die Gläser mit dem hellgelben Senf. Wein erschien auf den Tischen, Flaschenwein. Armin Witschi hatte eine Flasche Neuenburger bestellt. Sonja nippte nur an ihrem Glas. Sie sah verschüchtert und ängstlich aus.
Die drei Mann der ›Convict Band‹ in ihren scharfgelben Uniformen – und aus den kurzen Ärmeln kamen die Arme hervor, sehnig und braun – auch die Gesichter waren braun gegerbt – saßen um einen Tisch, den man ganz nahe an des alten Ellenbergers Tisch gerückt hatte. Aber Ellenberger thronte allein und steif auf seinem Platz – vor den Burschen standen zwei Flaschen Wein und eine große Platte Schinken.
Studer schritt durch die Reihen der Vespernden, flüchtig bemerkte er, dass Armin Witschi ein höhnisches Lächeln aufgesetzt hatte – Sonja hatte die Wange gegen ihren Handrücken gelegt und starrte ins Leere, ihr Glas war noch voll, unberührt lag die saftschwitzende Kümmelwurst auf ihrem Teller.
Und der Wachtmeister nahm wieder neben dem alten Ellenberger Platz. ›The Convict Band‹ trank einmütig dem Wachtmeister zu. Ein leeres Glas stand plötzlich vor ihm – da erhob sich der Schreier, hielt die Flasche in der Hand und füllte das Glas …
»In fünf Minuten vor der Post, Wachtmeister«, flüsterte der Bursche. »Ich muss Euch etwas zeigen …«
Studer schielte auf Ellenberger, der nichts gehört zu haben schien, nickte Schreier unmerklich zu – was hatte das wieder zu bedeuten? Was wusste der Bursche? – stieß mit den dreien an, dem Buchegger, einem hagern Menschen mit einem unregelmäßigen Gesicht und schaufelförmigen Zähnen, dem Bertel, dessen Familienname er vergessen hatte, aber an den er sich dunkel erinnerte – hatte er den Burschen auch einmal geschnappt? Jetzt spielte er Bassgeige und hatte sich rangiert, scheinbar …
Laut sagte der Wachtmeister:
»Ich trinke auf das Wohl der Musik!« und leerte sein Glas. Ein dummes Sprichwort fiel ihm ein: »Wein auf Bier, das rat ich dir, Bier auf Wein, das lasse sein …« Er wurde die Worte nicht los, sagte sie laut, pflichtschuldigst lachten die drei, aber als das Lachen verklungen war, verkündigte Studer leise:
»Der Schlumpf hat gestanden!«
Es war merkwürdig, die Reaktion der vier am Tisch zu beobachten. Der alte Ellenberger räusperte sich und sagte ebenso leise:
»Vous n’y comprendrez jamais rien, commissaire…« (er werde nie etwas von der Sache verstehen …)
Der Bertel fuhr auf, er sah aus wie ein schlaues Äffchen – und schmetterte einen Fluch hervor, in dem viel vom Heiland und von Millionen Sternen die Rede war.
Buchegger, der magere Bär, sagte nur ein Wort:
»Idiot!«
Schreier aber fuhr sich durch das lange schwarze Haar, wandte das Gesicht ein wenig zur Seite, so dass die drei, die am andern Tisch, in etwa zwei Meter Entfernung, saßen, es deutlich verstehen mussten:
»So, so, hat der Schlumpfli gestanden!« und deutete dem Wachtmeister mit einem leisen Ruck des Kopfes an, er möge die Sonja, ihren Bruder und den Coiffeurlehrling beobachten.
Und wirklich war die Wirkung auf diesen Tisch noch merkwürdiger.
Sonja fuhr zusammen, ihre Hand ballte sich zur Faust, sie setzte sich gerade und starrte ihren Bruder hasserfüllt an. Sie fragte ihn leise etwas. Armin zuckte mit den Schultern. Der Coiffeurgehilfe Gerber war blass geworden, seine ohnehin käsige Gesichtsfarbe wurde grünlich, er tätschelte beruhigend Sonjas Arm, so, als wolle er andeuten, das Meitschi möge sich nicht aufregen, wenn der Schlumpf verloren sei, so sei er immerhin noch da … Dann wurde Sonjas Ausdruck ängstlich, sie wollte aufstehen, ihr Bruder und Gerber zogen sie auf den Stuhl zurück, drückten ihr das Glas in die Hand. Sonja trank. Sie zog ihr Schnupftuch aus der Handtasche, wischte sich die Augen, blickte in Studers Richtung – ihre Blicke begegneten sich, Studer hob leicht die Hand in einer beschwichtigenden Gebärde – da lächelte Sonja plötzlich voll Vertrauen, und Studer wusste, dass er auf die Hilfe des Mädchens irgendeinmal würde zählen können.
»Ich werd’ wahrscheinlich den Schlumpf fallen lassen …«, sagte Studer laut, stand auf, grüßte in der Runde und verließ mit großen Schritten den Garten.
Nach fünf Minuten holte ihn Schreier ein. Er hatte seine Uniform abgelegt und trug einen einfachen Anzug.
Witschis Schießstand
Ich kenn’ den Schlumpf gut«, sagte Schreier und passte seinen Schritt dem des Wachtmeisters an. »Und ich hab’ ihm von Anfang an gesagt, wie er zum Ellenberger gekommen ist: ›Pass auf‹, hab’ ich ihm gesagt, ›nur keine Weibergeschichten, das kommt immer schlecht heraus. Eine Kellnerin, das macht nichts. Aber nur kein Meitschi vom Dorf.‹ Hab’ ich nicht recht, Wachtmeister?«
Studer brummte, seufzte. Die Vorbestraften hatten es nicht leicht, wenn sie wieder draußen Arbeit gefunden hatten. Es brauchte sie nur einer wieder zu erkennen, ihnen »Zuchthäusler« nachzurufen – was sollten sie dann machen? Klagen? Man brauchte ja nicht einmal das Wort zu brauchen, das Wort, das als ärgste Beleidigung galt, einfach durch das Verhalten zu ihnen konnte man die Verachtung zeigen, die man für sie empfand. Im Grunde waren es ja meistens gar keine schlechten Teufel … Wie Studer damals den Schreier arretiert hatte, mit was war der Bursche beschäftigt? Er half der Frau, bei der er wohnte, Bohnen rüsten. Na, ja … »Was willst du mir zeigen?« fragte Studer.
»Das werdet Ihr sehen, Wachtmeister. Der Witschi hat nämlich Selbstmord begangen …«
Wieder diese Behauptung! Murmann war der gleichen Meinung … Selbstmord! … Aber Herrgott noch einmal! Der Witschi hatte doch nicht hexen können! …
Er hatte wohl lange Arme gehabt, der Witschi. Aber angenommen, er hätte den Revolver hinter das rechte Ohr halten und den Schuss in dieser Stellung abgeben können, dann blieb dennoch eine unerklärliche Tatsache: der Mangel an Pulverspuren. Eine leichtere Ladung? Unwahrscheinlich. Wie dann? Angenommen, der Witschi hätte die Courage gehabt – dann war jemand nach dem Selbstmord gekommen, um den Browning zu holen. Den Browning, der dann unter dem Packpapier in der Küche der Frau Hofmann versteckt worden war. Von wem? Wer hatte den Revolver geholt? Eine abgekartete Sache?
»Wie bist du auf den Gedanken gekommen, dass der Witschi sich selbst erschossen hat?«
»Das will ich Euch gerade zeigen …«
Auf der Straße heulten Autos. Motorräder knatterten gehässig. Man spürte den Sonntag. Verlassen sahen die Häuser aus, aber sie waren nicht stumm, nicht einmal heute. Ein Krächzen hier, ein Summen dort, manchmal ein Melodiefetzen … Die Lautsprecher Gerzensteins spielten mit den atmosphärischen Störungen, es war niemand da, der sie beaufsichtigte … So trieben sie Schabernack, für sich allein, um die Langeweile des einsamen Nachmittags zu würzen … In der Woche gab es so viel zu tun für sie. Sie sangen, sie spielten, sie sprachen. Professoren, Bundesräte, Pfarrer, Psychologen – gehorsam blökten die Lautsprecher die Worte nach, die irgendein bedeutender Herr von seinem Manuskripte ablas – und die Worte drangen in die Ohren der Gerzensteiner, durchweichten die Köpfe … Sie wirkten wie ein Landregen auf Moorland … Die Lautsprecher waren die Beherrscher Gerzensteins. Redete nicht selbst der Gemeindepräsident Aeschbacher mit der Stimme eines Ansagers? …
Da war endlich Witschis Haus. Auch hier krächzte es durch die geschlossenen Läden, so laut, dass Studer zuerst meinte, es sei eine Gesellschaft in einem der Zimmer versammelt … Aber es war eben doch nur einer der einsamen Lautsprecher, der sich die Zeit vertrieb …
Alpenruh
in blauer Farbe, die abzubröckeln begann.
Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein …
Warum wirkte der Spruch auf Studer wie ein Hohn? Glück? Waren die Witschis wirklich einmal glücklich gewesen? Er sah den Witschi Wendelin in Hemdsärmeln die Zeitung lesen, aufstehen, den losen Trieb eines Spalierbaumes anbinden … Die Ladenklingel schrillte … Gespräche über Politik …
Und jetzt lag Witschi in einem kaltweißen Raum mit einem Schuss hinter dem rechten Ohr …
Studer schüttelte sich. Schreier sagte:
»Kommt nur mit, Wachtmeister!« und ging voran durch den Garten, auf den alten, verfallenen Schuppen zu, dessen Dachstützen eingeknickt waren … Die Tür fehlte, an ihrer Stelle gähnte ein schwarzes Loch.
Aber im Schuppen war es nicht einmal so dunkel. Einige Dachziegel fehlten. Das spärliche Licht, das durch die Löcher drang, vermischte sich mit der Finsternis zu einer grauen Dämmerung …
Zerbrochene Spaten, ein verbogener Rechen, leere Kisten, Holzwolle, Persilkartons, Packpapier … Winzige, glänzende Staubteilchen tanzten in den Lichtbalken, die vom Dach zum Boden reichten.
»Und?« fragte Studer. Er musste husten. Die Luft im Schuppen legte sich ihm auf die Lungen.
Schreier war an einen Stapel Kisten getreten, er räumte ihn vorsichtig beiseite, zog schließlich eine Tür hervor, die Tür des Schuppens offenbar, an der noch die rostigen Angeln hingen.
»Habt Ihr eine Taschenlampe?« fragte der Bursche.
»Ja.«
»Zündet einmal«, verlangte Schreier.
Studer ließ den Lichtkegel über die Tür streichen. Er pfiff ganz leise zwischen den Zähnen.
Zwei, vier, sechs, zehn – fünfzehn Einschüsse. Über die Mitte der Türe verteilt. Sie saßen alle in einem Rechteck, das etwa sechzig Zentimeter hoch und vierzig Zentimeter breit war. Und das Rechteck, in dem die Schüsse saßen, war ein heller Fleck in der sonst altersschwarzen Tür. Studer beugte sich tiefer. Richtig, das Rechteck war gehobelt worden. Man sah noch die Spuren des Hobels …
Aber das Merkwürdigste an diesen Einschüssen war Folgendes:
Die ersten Einschüsse, links oben im Rechteck, zeigten deutlich an ihren kreisförmigen Rändern Verbrennungsspuren.
»Deflagrationsspuren!« sagte Studer leise.
Es waren fünf Löcher, die solche Spuren trugen. Beim sechsten Loch waren die Spuren geringer, sie nahmen ab, je weiter unten im Rechteck die Einschüsse saßen. Die letzten drei Einschüsse hatten saubere Ränder, das Holz um sie herum war weiß …
Die Tür war dick. Alle Kugeln steckten im Holz. Studer nahm den dünnen Bleistift aus seinem Notizbuch und begann die Tiefe der Löcher zu messen. Die Lampe hatte er Schreier in die Hand gedrückt. Er maß verschiedene Male, er gab sich Mühe, er presste den Daumennagel fest auf den Bleistift, um so genau als möglich – auf den Bruchteil eines Millimeters – den Unterschied festzustellen, der vielleicht in der Tiefe der Löcher bestand. Alle fünfzehn Löcher waren gleich tief. Also waren auch die letzten Schüsse, deren Ränder sauber geblieben waren, aus der gleichen Entfernung abgegeben worden wie die ersten. Warum aber hatten nur die ersten verbrannte Ränder?
»Warum haben nur die ersten Löcher Pulverspuren?« fragte Studer laut.
Schreier kicherte. Es war ein unangenehmes Geräusch. Es erinnerte Studer an Zuchthaus, dieses Kichern. Es klang so verdrückt.
»Red’ schon, wenn du etwas weißt«, schnauzte er.
»Ich bin ja nicht sicher, Wachtmeister«, sagte Schreier. »Aber Ihr wisst es doch auch: Wenn man vor die Mündung ein Blatt Papier hält und dann abdrückt, so bleiben alle Pulverteilchen an dem Papier haften und …«
Studer wurde böse:
»Und du bildest dir ein, der Witschi hat vor die Mündung ein Zeitungsblatt gehalten, mit der linken Hand, und dann den Schuss abgegeben? Mach mir das einmal vor …«
Schreier schüttelte den Kopf. Er zog etwas aus der Tasche, ließ das Licht darauf fallen. Es war ein rotes Kartonviereck. ›Riz La Croix‹ stand darauf zu lesen. Der Umschlag eines Heftchens Zigarettenpapiers.
»Das hab’ ich hier im Schuppen gefunden«, sagte Schreier bescheiden. »Damals, wie ich hier gestöbert hab’. Am Tag nach der Verhaftung vom Schlumpf. Ja.«
»Und?« fragte Studer.
»Es rollt keiner in der Familie seine Zigaretten selbst. Der alte Witschi hat Stumpen geraucht, in der letzten Zeit Pfeife. Der Armin raucht englische Zigaretten, dieselben, die sie im Laden führen. Also …«
»Also?« fragte Studer. Der Schreier begann ihn zu interessieren.
»Ich hab’ mir die Sache so vorgestellt: Der alte Witschi hat ein paar Zigarettenblättli genommen und sie, zusammengeknüllt, vorne in den Lauf gestoßen. Er hat ausprobieren müssen, wie viele es braucht, um saubere Einschussöffnungen zu bekommen. Darum hat er so oft geschossen. Bis es gegangen ist …«
»Einleuchtend«, sagte Studer. »Kompliziert, aber nicht unmöglich.«
Er drehte gedankenvoll den roten Pappdeckel zwischen den Fingern. Ein dünnes weißes Blättchen haftete noch daran. Studer riss es ab, hielt es zwischen den Fingern, zündete es mit einem Streichholz an und ließ es auf seiner Handfläche verbrennen. Es gab eine kurze, sehr helle Flamme. Auf die Asche ließ Studer den Lichtkegel der Lampe fallen. Ein winziger schwarzer Rest. Und doch, angenommen, Witschi hatte ein paar Blättli gebraucht, so war die Asche sicher nicht ganz verschwunden. Spuren davon mussten in der Wunde zu finden sein. Aber der Assistent im Gerichtsmedizinischen hatte von nichts Derartigem gesprochen. Und Studer war sicher, dass die Untersuchung gründlich geführt worden war … Man musste dem Italiener noch einmal anläuten, schade, dass heute Sonntag war …
»Das hast du gut gemacht, Schreier, ich wär’ nie auf den Gedanken gekommen. Aber ob wir damit ein Geschworenengericht überzeugen können? Und dann der Browning? Der ist doch nicht neben der Leiche gelegen … Wer hat den aufgelesen? Fortgebracht?«
»Der Schlumpf natürlich«, sagte Schreier. »Aber wollen wir nicht weitergehen, Wachtmeister? Die Alte« – Schreier meinte Frau Witschi – »kann jeden Moment heimkommen. Von vier bis fünf schließt sie ihren Kiosk. Sogar am Sonntag, und es ist schon fünf Minuten über vier …«
»Versorg’ noch die Tür«, sagte er. Und Schreier nahm die Türe, lehnte sie an die Wand, schichtete Kisten, Schachteln davor auf …
»Wenn sie nur nicht verbrannt wird«, seufzte Studer. »Dann haben wir keinen Beweis mehr … Beweis? … Schöner Beweis!«
Sie verließen den Schuppen, gingen durch den Garten, blieben einen Augenblick in der Gartentür stehen und sahen zum Hause zurück. Als sie auf die Straße treten wollten, versperrte eine magere, schwarze Gestalt den Weg.
»Hat der Herr mich gesucht? Oder was hat er sonst zu suchen? Auf meinem Grundstück? Der Herr Wachtmeister!«
Nach jeder Frage stieg die Stimme ein wenig höher …