Kitabı oku: «Blind am Rande des Abgrundes», sayfa 4
5. Die Klugen und die Törichten
Die Mitgliederstärke im Deutschen Jungvolk und in den anderen Gliederungen der Hitlerjugend wuchs jetzt ständig. Uniformen begannen das Stadtbild zu prägen, weil immer häufiger umhermarschiert wurde. Dazu dienten auch die ins Leben gerufenen Feste und Feiern. Es gab jetzt genügend Anlässe, uns, - die „Zukunft der Nation“ -, allen Leuten vorzuführen. Noch hatte sich in mir nicht jener dumme Stolz eingestellt, Teil einer in militärischer Exaktheit funktionierenden Marschkolonne zu sein. Wir zogen hinter den phantasievoll gestalteten Fahnen und Wimpeln unserer Einheiten her, wobei wir unsere Landsknechts - und Fahrtenlieder sangen. Es waren aber auch schon einige neue Lieder hinzugekommen. Wir Küken vom Jungzug 4 hatten manchmal noch unsere Mühe damit, die zu kurzen Beine in den Marschtakt einzupassen, den die voranziehenden Landsknechts Trommler angaben.
Die Regierung rief bereits im Juni 1933 erstmalig zum „Fest der Jugend“ auf. Äußerer Anlass dazu wurde künftig die Sommersonnenwende am 24. Juni. Daran nahmen 1933 letztmalig auch die Scharnhorstjugend, die Turnerjugend und die Christliche Jugend teil bevor sie dann bald danach aufgelöst wurden. Wie stark bereits zu dieser Zeit versucht wurde, die Schulen in das Erziehungsprogramm der Hitlerjugend zu integrieren, zeigen einige Zitate aus der Altenburger Landeszeitung zu dieser Veranstaltung:
Sonnabend, 1. Juli 1933
Heute Fest der Jugend … Leiter und Vorsitzender der Veranstaltung ist Pg. Studienrat Otto, Träger der Veranstaltung ist die Hitlerjugend … Sie beginnt um 8 Uhr (Anm.: 20 Uhr) … Es treten an: Sämtliche Jugendverbände bis inkl. Schulen.
Montag, 3. Juli 1933
Glänzender Verlauf des Festes der Jugend … Das Sonnenwendfeuer auf der Kampfbahn … Auf der Hindenburgpromenade sammelte sich die Schuljugend, die von der Siegerverkündung auf der Kampfbahn zurückgekehrt war, die Hitlerjugend, Scharnhorst, Turnerjugend und Christliche Jugend, ferner die SA und der Stahlhelm zum Werbemarsch durch die Stadt. … Auf der Kampfbahn (Anm.: Sportstadion vor dem Herzog-Ernst-Wald) war unterdessen ein mächtiger Holzstoß aufgetürmt worden, um den herum sternförmig die am Umzug beteiligten Verbände Aufstellung nahmen. Ihre Zahl dürfte mit 4000 nicht zu hoch geschätzt sein. Dazu kommt die Riesenzahl der Zuschauer, die sich ringsherum angesammelt hatten. Mit dem Liede „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“ wurde die Feier eröffnet. Darauf wurde das Manifest der Gebietsführung Thüringen der Hitlerjugend verlesen, in dem es u.a. heißt: Die Form , in der sich die deutsche Jugend zusammengefunden hat zum Feuerfest, ist nicht die Form der Bünde und Grüppchen, sondern die Form der großen Volksgemeinschaft, wie sie die Staatsjugend des Deutschen Reiches erlebt, die mit vollstem Bewusstsein den Namen des Führers und Kanzlers führt ….Unter den Klängen des Liedes „Flamme empor!“ wurde dann der Holzstoß in Brand gesetzt, dessen heller Schein die Umgebung in ein zauberhaftes Bild verwandelte. Kreisleiter Panzer hielt eine Ansprache … Die Feuersprüche der Hitlerjugend, des Bundes Deutscher Mädchen, der Stahlhelm-Scharnhorstjugend, des Notwerkes der deutschen Jugend, der Christlichen Jugend und der Turnerjugend … Zum Schluss sprach die Hitlerjugend den Rütlischwur. Nach dem Liede „Wir treten zum Beten“ sprach Studienrat Otto, der Leiter des Festes der Jugend. Er führte aus, dass sich die Jugend selbst ehrt, wenn sie die gefallenen Brüder und Väter nicht vergisst …
An jenem Tage erlebte ich erstmals eine Sonnwendfeier. Verstand ich die gehaltenen Reden auch nur bruchstückhaft, so imponierte mir umso mehr der riesige brennende Holzstoß, der die mir bekannten Lagerfeuer in seiner Flammengewalt um ein Vielfaches übertraf. Von da an erlebte ich viele solche archaische Riten mit Feuersprüchen und dem anschließenden Durchspringen der kleiner gewordenen Flammen. Solche Veranstaltungen machten nicht klüger aber gefügiger. Wir erlebten etwas und waren immer zur Stelle wenn man uns rief. Auch im Festumzug zum Erntedankfest marschierten die Hitlerjugend, das Jungvolk und der Bund Deutscher Mädel als zukunftweisende Werbeträger der neuen Machthaber fröhlich durch die Stadt.
Ständig war in Altenburg etwas los. Einen besonderen Eindruck hinterließen bei vielen Menschen die Altenburger National- und Heimatfestspiele, die in den Monaten Juni und Juli 1933 mit großem Aufwand durchgeführt wurden. Die Betonung der nationalen und regionalen Geschichte beim großen Festumzug mit all den vorbeiziehenden glänzend ausstaffierten Fürsten, Rittern und Trachten versetzten nicht nur uns Jungen in einen Zustand heller Begeisterung. Auf dem Schlosshof hatte man eine Freilichtbühne errichtet, um die Geschichte vom „Prinzenraub zu Altenburg“ aufzuführen. Das vor der prächtigen Kulisse des Schlosshofes von Schauspielern des hiesigen Landestheaters dargebotene Stück wurde in vielen Wiederholungen aufgeführt. Wir Kinder verfolgten das Geschehen voller Spannung und innerer Erregung. In den Schulpausen, zu Hause und auf der Straße gab es in diesen Tagen unter Jungen meines Alters nur ein Thema: Ritter, ihre Burgen und Waffen .Natürlich wurde intensiv über den Ritter Kunz von Kauffungen diskutiert. Wir hatten ihn während der Freilichtaufführung hoch zu Ross über den Hof des gleichen Schlosses reiten gesehen, aus dem er vierhundert Jahre zuvor die kurfürstlichen Prinzen geraubt hatte, um die Einhaltung eines vom sächsischen Kurfürsten gegebenen Versprechens zu erzwingen. Wer von uns schon Mitglied im Deutschen Jungvolk war, wusste, dass er als Altenburger zum Jungstamm „Kauffungen“ gehörte. Kein Wunder, wenn man da schon ein Wenig stolz darauf war, in der Tradition eines solchen Kämpen zu stehen. Mit einem so abgeklärten Satz wie: „Torheit und Stolz wachsen auf einem Holz“, sofern man ihn auf das Erwachen eines kindgemäßen Nationalstolzes überhaupt anwenden konnte, hätte uns in diesem Zusammenhang niemand beeindrucken können.
Am Festumzug waren auch die Handwerkerinnungen und viele örtliche Vereine beteiligt. Auch mein Vater nahm daran mit seinen Sportsfreunden vom Deutschen Schäferhundeverein teil, verkleidet als mittelalterlicher Jäger und mitsamt seinem Hund Alf. Für die historisch passende Einkleidung aller Mitwirkenden hatte das Altenburger Landestheater gesorgt.
Von der Stimmung der Altenburger und den Eindrücken dieses Ereignisses mag die Wiedergabe eines Ausschnittes aus dem Bericht in der Altenburger Landeszeitung einen treffenderen Eindruck vermitteln als ich ihn aus meiner Erinnerung heute noch zu geben vermag:
Montag, 3. Juli 1933
Altenburger National- und Heimatfestspiele … Der Sonntag brachte den großen historischen Festumzug, ….Fanfarenbläser ritten dem Zug voraus; ein Reiter, der die Standarte des Kurfürsten trug, folgte. Stadtpfeifer, Musikanten in den schönen Trachten geleiteten den Wagen des kurfürstlichen Hofes durch die Stadt …. Ritter, Reisige, … die Gruppe der Köhler. Die Gruppen der Richter, der Geschworenen, der Nonnen und Mönche beschlossen den ersten Teil des Zuges. Der zweite brachte die Innungen in den alten Trachten … Fleischer, Schmiede, …Schneider, …Schuhmacher..die Bäckerinnung. Die Jäger kamen zu Fuß und zu Pferd und brachten ihre laut kläffende Meute mit. Die Falknerin saß zu Pferde … Der dritte Teil des Zuges brachte hinter den Spielleuten Kunz von Kauffungen und schließlich den Wagen, auf dem die Burg Kauffungen zu sehen war. Die Freunde und Verwandten des Kunz von Kauffungen saßen vor dem Tore ihrer Burg. Der Wagen hinterließ einen sehr guten Eindruck … Zum vierten Teil des Festzuges, der die Mitwirkenden des Festspieles „Deutschlands Erwachen 1813“ vorführte, ritt hinter den Kapellen Oberst Bauer …
Wie klug hätte wohl ein einfacher Bürger dieser Stadt sein müssen, um zu erkennen, dass auch hinter einem solch bunten und fröhlichen Heimatfest die nüchterne Berechnung politischer Machthaber an den Fäden zog. Die kritischen Stimmen waren damals wohl schon sehr leise geworden. Ich hörte sie nirgends. Vielleicht hatte die Mehrheit der Menschen einfach keine Lust mehr, sich ihre erwachenden Hoffnungen auf ein besseres Leben zerstören zu lassen. Jedenfalls billigten in der Volksabstimmung am 12. November 1933 95,1 % der Deutschen durch ihr „Ja“ die Politik der Nationalsozialisten. Von den 4,9 % klügeren Neinsagern las man manchmal negative oder warnende Berichte in der Zeitung wie beispielsweise diesen:
Donnerstag, 16. November 1933
Landesverräter im Gewand der „Bibelforscher“. Die verbotenen „Bibelforscher“ hatten anlässlich dieser Wahl unter den bedauernswerten Anhängern die Parole verbreitet, nicht an der Wahl teilzunehmen.
Noch wusste ich nicht, dass auch eine in unserer Straße ansässige Familie zu der genannten Glaubensgemeinschaft gehörte. Es war die Familie Rank, deren Sohn Wolfgang mit mir in die gleiche Schulklasse ging. Er war ein kräftiger aber sehr stiller Junge. Mit ihm hatte ich früher häufig gespielt. Dabei waren wir wie schon berichtet einmal Zeugen einer Prügelei von zwei Männern vor dem Eingang zu Ranks Grundstück. Wolfgang selbst war und blieb die Friedfertigkeit in Person. Ich sollte erst nach dem Zweiten Weltkrieg, nach meiner Heimkehr aus langer Gefangenschaft erfahren, dass ihn diese Friedfertigkeit und seine Glaubenshaltung im Reiche Adolf Hitlers das Leben gekostet hat. Man hatte ihn erschossen, weil er sich weigerte eine Waffe zu tragen. Bei Wahlen hielten sich seine Eltern von der Wahlurne fern. Ich erfuhr dies aus Bemerkungen meiner Eltern, die ich unbeabsichtigt mithörte. Auf der Straße hörte ich dazu schon eher herabsetzende Worte zum Thema „Bibelforscher“. Selbst die Kirche wollte von diesen Leuten nichts wissen. Eigenartigerweise machte es den Eindruck, als hätte es in der Öffentlichkeit zunächst keine Probleme zwischen Kirche und Nationalsozialismus gegeben. Das stimmte zwar nicht, scheint aber aus der folgenden Notiz in der Altenburger Landeszeitung hervorzugehen:
Dienstag, 21. November 1933
Gemeinsamer Kirchgang der NSDAP am Bußtag … Morgen, den 22. November, am Bußtage, findet in allen Kirchen vorm. 1/2 10 Uhr ein gemeinsamer Kirchgang der NSDAP statt, und zwar nehmen auf Anordnung der Kreisleitung die Formationen nach folgendem Plane an den einzelnen Gottesdiensten teil.
Bartholomäikirche: Amtswalter, SS-Sturm Streubel und SA-Reserve.
Brüderkirche: Übrige SS, SS-Motorsturm, SA und Stahlhelm.
Agneskirche: Nachrichtensturm, Hitlerjugend, Jungvolk und BDM.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, ob ich an einem solchen Gottesdienst teilnahm. Unsere Gemeindekirche war außerdem die im genannten Aufruf nicht erwähnte kleine Katharinenkirche des Ortsteiles Rasephas.
Rückschauend auf jene Jahre denke ich, dass es mehr sensible und gleichermaßen auch kluge Leute in unserm Land gegeben hat als es das Wahlergebnis vom 12. November 1933 ausdrückt. Vielleicht waren sie nur zu feige, dieser Mischung aus politischer Ungereimtheit und rigoros agierender Dummheit der neuen Machthaber durch ihre Neinstimme entgegenzutreten. Für mich ist es kein Trost, damals zu den törichten Kindern gehört zu haben, denen man die Gnade der späten Geburt gewähren darf. Dazu hat meine Generation einen zu hohen Preis für die Mitwirkung bei der Aufführung des Dramas vom Dritten Reich zahlen müssen.
Ich bin allerdings auch nicht bereit, mich für meine Kindheit zu entschuldigen, nur weil sie zufällig in die Jahre von Hitlers Regierungszeit fiel. Die Welt der Kinder ist immer eine andere als die Gleichzeitige der Erwachsenen. Auch die Unsere war, so wie wir sie damals sehen konnten, schön, bunt und voller Erlebnisse. Wir wurden hart gemacht im Ertragen von Strapazen. Man machte uns stolz und opferbereit für die Gemeinschaft. Das alles entsprach Idealen, die wir zu bejahen lernten. Wir fragten ja nicht danach, woher sie kamen. Meine Erziehung im Elternhaus verhinderte zu meinem Glück, dass ich Härte und Hass gegenüber anderen Menschen oder Gruppen entwickeln lernte. Auch die Schule bahnte bei mir Interessen und Neigungen an, die trotz aller Dominanz der NS-Politik in den Lehrplänen nicht in das zweckorientierte Erziehungsprogramm der Hitlerjugend passten. So ließ die dreifache Aufteilung meiner Zeit zwischen Elternhaus, Schule und Hitlerjugend noch genug Spielraum dafür, eine glückliche Kindheit zu haben.
6. Die Tore in die Zukunft
Die Sommerferien 1934 verbrachte ich ausnahmsweise einmal nicht in meinem geliebten Auerbach, sondern bei meinen Großeltern väterlicherseits in Stendal. Dort lebten auch die Geschwister meines Vaters, Tante Gertrud, Tante Martchen und Onkel Otto. Es war recht abwechslungsreich für mich denn Onkel Ottos Söhne waren in einem zu mir passenden Alter. Der Älteste, ebenfalls mit dem Namen Otto getauft, war nur einen Monat nach mir geboren. Mein 10. Geburtstag fiel in die Zeit jenes Ferienaufenthaltes, weshalb an diesem Tage eine große Familienfeier stattfand. Ich bekam sehr viele Geschenke von Onkel und Tanten, darunter auch ein reichhaltiges Sortiment an sogenannten Elastolin-Soldaten. Sie waren seit einiger Zeit ein von Jungen begehrtes Spielzeug. In den Schaufenstern der Spielwarenläden baute man damals mit diesen ca. 6 Zentimeter großen Figuren ganze Kriegsschauplätze auf, um die Kinder anzulocken. Ich war überwältigt denn meine Geburtstage erlebte ich sonst nur im Kreis der Kleinfamilie. Von meinen Großeltern bekam ich eine vollständige Jungvolkuniform geschenkt. Bis dahin ging ich noch immer mit einem weißen, statt einem braunen Hemd zum Dienst. Nun bekam ich sogar das Koppelzeug noch dazu. Großvater war sichtlich stolz auf mich und es musste die Uniform gleich anprobiert werden. Ein Fototermin war auch schon im Vorgarten seines Einfamilienhauses arrangiert. Das Bild zeigt das Geburtstagskind jedoch mit einem Gesicht, das nicht zu den vielen Geburtstagsgeschenken passte, weil es immer dann bockte wenn es sich in eine beachtenswerte Positur setzen sollte. Das war schon Ostern 1931 in Altenburg beim Einschulungsfoto mit Zuckertüte so gewesen. Dieser Auftritt trübte nur für Minuten mein Wohlbehagen. Mein Großvater, der Typ eines korrekten preußischen Bürgers, war Werkmeister bei der Deutschen Reichsbahn. Er hatte unter dem Kaiser gedient und war als Unteroffizier ausgemustert worden. Ich vermute, dass für ihn die tägliche Pflichterfüllung und die Treue zum Vaterland zu den wichtigsten Kriterien bei der Beurteilung eines Menschen zählten. In diesem Sommer war ich sicher der Favorit unter seinen Enkeln weil ich als Erster bereit war, im Jungvolk eine vaterländische Pflicht zu erfüllen. Ich hatte mächtigen Respekt vor diesem Manne, an dessen Haltung man auch äußerlich sah, dass er eine längere Zeit beim Militär zugebracht hatte.
Wieder in Altenburg eingetroffen, konnte ich endlich in einer richtigen Jungvolkuniform zum Dienst gehen. Die Meisten von uns hatten inzwischen schon ein Braunhemd und es wurden ständig mehr, die sich der Hitlerjugend anschlossen. Es bestand ein erheblicher Mangel an Heimen für unsere Zusammenkünfte, weshalb unserem Fähnlein die Räume der ehemaligen Wache im Altenburger Schlosshof zugewiesen wurden. Wir saßen dort an rohgezimmerten Tischen, auf denen mangels elektrischer Beleuchtung mehrere Kerzen brannten. Unter den dunklen Deckengewölben des Gemäuers flackerten Licht und Schatten hin und her, ein passendes Umfeld für unsere aufgewühlte Phantasie, während wir Hardchens Geschichtenlesungen mit glänzenden Augen folgten… Trotz aller Primitivität war das unser schönstes Heim in all den Jahren.
Anfang 1934 zählte die Hitlerjugend schon weit über vier Millionen Mitglieder und sie wuchs anscheinend unaufhaltsam weiter. Die Staatsführung hatte sie bereits fest im Griff und nutzte das Potential an diesen willigen und hingebungsbereiten jungen Idealisten skrupellos aus. Hierzu sei wieder ein Zitat aus der Altenburger Landeszeitung angeführt:
Sonnabend / Sonntag , 10. / 11. Februar 1934
HJ im braunen Kleid. Es ist der Stolz eines jeden deutschen Jungen und eines jeden deutschen Mädels, ihr angehören zu dürfen. Diese Jugend leistet freudig Verzicht auf jegliche Nebensächlichkeiten und Vorteile des Lebens, leistet Verzicht auf manche Jugendfreuden, mit denen Geschlechter vor uns gesegnet waren, da sie sich, erfüllt von der Idee ihres Führers diesem mit Leib und Leben verschworen und sich schon früh zu einem harten Weg des Opferns und Dienens bekannt hat … Sie kennt und will nichts anderes kennen, als Dienst am Volk. Hierin liegt ihre Ehre, das nur ist der Inhalt ihres Lebens.
Wenn zu dieser Zeit solche Ausführungen auch noch zum Teil die Wunschvorstellungen der Mächtigen widerspiegelten, so trafen sie doch in ihrer Tendenz durchaus auf die Gesinnungsentwicklung dieser Jugend mehr und mehr zu. Eines vertrug die Partei Hitlers überhaupt nicht, kritische Intelligenz. Da man der Massenbegeisterung so große Wertschätzung entgegenbrachte, ohne intelligente Menschen aber keinen Staat erhalten konnte, suchte man den Fanatismus besonders unter der noch unkritischen Jugend fest zu installieren. Im Mai 1934 hatte in Altenburg ein großes Treffen des Deutschen Jungvolks stattgefunden, an dem 3000 Pimpfe teilnahmen. Hier konnte man dazu sehr deutliche Worte hören und anschließend mit der Altenburger Landeszeitung schwarz auf weiß ins Haus geliefert bekommen:
Montag, 28. Mai 1934
Kundgebung des Jungvolks …Jungbannführer Rudolf Brauer begrüßte die Erschienenen … Gebietsführer Blum sagte in der folgenden Ansprache: „Diese 6 Millionen Jungen müssen gegen das Feige und Schleimige kämpfen, das die Jugend nicht versteht. Manches mag bei uns noch mangelhaft und falsch sein, eines aber hat die Jugend: Einen Fanatismus und eine Begeisterung, die von keinem kalten Guss mehr gelöscht werden kann …Wir wollen in dieser Zeit als Brücke von gestern zu morgen der Sauerstoff sein. Diese Bewegung wird alle Meckerer und Kritikaster vernichten. … Eines nur kann dieser junge Staat nicht vertragen, die Eiseskälte des nüchternen Verstandes, des Intellekts. Nicht diese soll das kommende Zeitalter beherrschen, sondern die Begeisterung, die seelische Bereitschaft zu Opfer und Tat … Die Jungens haben in ihren jungen Jahren schon eine Pflicht zu tun, der Dienst wird ihr ganzes Leben über andauern. Die Pflicht ist überall und immer zu erfüllen …“
Es ist heute kaum vorstellbar, mit welcher Deutlichkeit bei derartigen Veranstaltungen der Jugend die Ungeheuerlichkeiten vor Augen gestellt wurden, die sie in der Zukunft erwarten würde. Vermutlich war es auch der Mehrzahl der Zeitgenossen nicht denkbar, dass alles so ernst gemeint sein konnte, was hier mit äußerster Kälte angekündigt wurde. Dazu sei aus dem obigen Zeitungsbericht noch ein Ausschnitt über die in einer Morgenfeier vorgenommene Fahnenweihe vorgestellt. Dabei führte der Gebietsführer der Thüringer HJ folgendes aus:
Wenn nun heute eure Fahnen geweiht werden sollen, so denkt daran, dass der Tag, an dem diese Fahnen nicht mehr über euch wehen, nicht kommen darf. Ihr sollt euch um sie scharen, und sie soll euch voranwehen. Wenn euer Fahnenträger jetzt die Fahne entrollt, so weihe ich sie dem Reichsjugendführer Baldur von Schirach, in dem wir die Verkörperung des jungen kämpfenden Menschen sehen. Ihr Fahnenträger aber merkt es euch: „Wenn ich vorangehe, folgt mir, wenn ich zurückgehe, tötet mich, wenn ich falle, rächt mich.“
Am ersten August 1934 gab der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Unterricht die Einführung des Staatsjugendtages bekannt. Diese Einrichtung sorgte in der Folge zunehmend dafür, dass es kaum noch eine Möglichkeit für eventuelle Zweifler gab, aus den einmal in Gang gesetzten Marschkolonnen der Hitlerjugend auszuscheren. Das Tor in die Zukunft war das Kasernentor. Was dahinter noch verborgen lag, ahnte keiner von uns. Im genannten Abkommen heißt es:
Für die Erziehung der Schuljugend im nationalsozialistischen Staate sind Schule, Reichsjugendführung (HJ - Bewegung) und Elternhaus nebeneinander berufen ….
1. Der Sonntag der Jugend gehört grundsätzlich dem Elternhaus und der Familie.
2. Für die Erziehungsarbeit der Reichsjugendführung (HJ-Bewegung) wird den ihr unterstellten Schülern der Sonnabend als schulfreier Tag eingeräumt (Staatsjugendtag). Daneben steht der Reichsjugendführung (HJ - Bewegung) der Mittwochabend als Heimabend zur Verfügung …
In ihrer Ausgabe Nr. 186 bringt dazu die Altenburger Landeszeitung einige bemerkenswerte Erläuterungen:
Der Mittwochnachmittag dient der weltanschaulichen Schulung, der Sonnabend der körperlichen Ertüchtigung der Jugend … Vier Gebiete werden besonders gepflegt: Allgemeine Leibesübungen, Geländesport, Schwimmen und Luftgewehrschießen. Jugend erzieht sich selbst zu gesteigerter Leistung, zu neuem, stärkeren Einsatz …
Die Militarisierung im ganzen Lande nahm einen raschen Fortgang und trotzdem war für uns Jungen alles noch wie ein emotionsgeladenes Spiel. Im September 1934 erlebten wir auf dem Markt eine Brandbombenvorführung. Einige Tage danach, in der Nacht vom 22. zum 23. September folgte für die Altenburger eine große Luftschutzübung mit Verdunkelung in der Nacht. Es gab viele Veranstaltungen, in denen über und zur Jugend Reden gehalten wurden.
Offenbar gab es unter den Eltern manche Bedenken und Ängstlichkeiten bezüglich der Jugendpolitik. Hitler hatte auch in der Augustwahl 1934 5% weniger Ja-Stimmen erhalten als im November 1933. Mag sein, dass unter den Erwachsenen allmählich einige Ängste aufkamen hinsichtlich der Zukunft. So sprach am 14. November 1934 der Reichsstatthalter Sauckel über den Reichssender Leipzig zur Jugend. Diese Rede war den Machthabern anscheinend so wichtig, dass man zuvor in der Altenburger Landeszeitung die folgende Notiz erscheinen ließ:
Mittwoch, 11. November 1934
Die Abteilung R (Rundfunk) der HJ Gebietsführung Thüringen gibt durch die Gebietspressestelle bekannt: „Wir weisen nochmals darauf hin, dass alle HJ-Einheiten(HJ, DJ und BDM) am Mittwoch, dem 14. November von 20.10 Uhr bis 20.30 Uhr die Rede des Reichsstatthalters Sauckel über den Reichssender Leipzig abzuhören haben.“
Bemerkenswert ist die Art und Weise, in der diese Forderung an die Jugend herangetragen wird. Sie ist an den Befehlston schon gewöhnt. Einige Tage später erscheint in der Altenburger Landeszeitung die Wiedergabe einer Rede, die offensichtlich an die Adresse der Eltern gerichtet ist:
Freitag, 16. November 1934
Fragen deutscher Jugenderziehung. Reichsminister Dr. Rust nimmt zu den dringendsten Fragen Stellung … Grundsätzlich sei es ihm immer bewusst gewesen, dass sofort nach der Machtergreifung die Umstellung der gesamten Erziehung auf den Gemeinschaftsgedanken erfolgen musste. In der Gemeinschaft musste durch körperlichen Einsatz bis zum Äußersten der neue Vollmensch gebildet werden, und das gelte besonders, wenn man eine Führerschicht schaffen wolle, sonst bekäme man eine Intelligenz, die dann fortliefe wie 1918 wenn die größten Aufgaben zu leisten seien .. .Der blasse , mit philologischen Kenntnissen überlastete Schülertyp solle verschwinden, um einem vollwertigen Menschen Platz zu machen. Abschließend wendete sich der Minister gegen die im Auslande manchmal vorkommende Umdeutung der neuen Erziehung als einer Erziehung zum Krieg. Die Jugend hänge am Wort des Führers, und der Führer wolle nichts anderes als den Frieden in Ehren, aber nicht den Krieg.
Feier meines 10. Geburtstages im Hause meiner Großeltern in Stendal Foto: 1934