Kitabı oku: «Der Mann von Eisen», sayfa 11
21. Kapitel
Die Mutter war hinaufgegangen. Grete hatte Wolf über den Hof das Geleit gegeben. Jetzt kam sie zurück und trat in das Wohnzimmer … Es begann bereits zu schummern. Unschlüssig stand sie eine Weile vor der Tür zu den Gesellschaftszimmern.
»Ach was«, sagte sie laut, wie um sich selbst Mut zu machen, »es ist ja keiner von den Offizieren da … Ich muss doch mal sehen, wie sie da gehaust haben.«
Vorsichtig drückte sie die Tür auf und steckte den Kopf durch das Zimmer. Es war leer … Nun ging sie hinein und sah sich kopfschüttelnd um. Und das Kopfschütteln war begreiflich. Da lagen auf den Stühlen achtlos hingeworfene Kleidungsstücke … Auf dem Tische lagen Zigarren, Zigaretten, Handschuhe, Mützen, Kamm und Bürste und ein Revolver friedlich beieinander.
Das Zimmer schien schon tagelang nicht ausgefegt zu sein. Überall auf den Fensterbrettern und Möbeln, von denen die Russen die Überzüge entfernt hatten, lag fingerdicker Staub.
Durch die offene Tür ging sie ins Nebenzimmer, wo das Klavier offen stand … Eine Taste war niedergedrückt und stehen geblieben. Sie schob sie nach oben und griff einen Akkord. Dabei wandelte sie die Lust an, einen Tanz zu spielen … Obwohl ihre Kunst nicht groß und auch nur mühsam erworben war.
»Kinder«, sagte Frau Brettschneider oben, als die Töne erklangen, »die Russen scheinen wieder zurückgekehrt zu sein.«
»Ach wo«, erwiderte Hanna, »das kann nur Grete sein, die da spielt.«
»Das Mädel kommt uns ganz aus Rand und Band. Nun geht sie schon in die Russenzimmer.«
»Es ist doch keiner zu Hause.«
»Ich glaube, du möchtest am liebsten auch hinuntergehen und spielen.«
»Ja, Mutter«, erwiderte Hanna. »Ich fühle eine förmliche Sehnsucht nach dem Klavier … Es ist doch auch gar keine Gefahr dabei … Wenn die Russen zurückkommen, hören wir es doch.«
Sie stand auf und ging hinunter … Als sich die Tür zu den Gesellschaftszimmern öffnete, erschrak Grete ganz gewaltig … Ohne sich umzusehen, sprang sie auf, lief durch das dritte Zimmer und kletterte aus dem Fenster in den Garten.
Hanna ging langsam zum Klavier … Versonnen legte sie die Hände in den Schoß …Was hatten die letzten Tage sie an inneren Kämpfen gekostet … Ihr Stolz, ihre Einsicht hatten sich gegen ihr Herz wehren müssen. Ja, sie liebte den Grafen, der in der Uniform wie ein ritterlicher Held aussah. Und weshalb sollte sie ihn nicht lieben dürfen? Ihr Herz verstand es nur zu gut, ihn zu entschuldigen … Er hatte ihr nichts vorgelogen. Nur in einem Punkt hatte er nicht ganz die Wahrheit gesagt, weil er es nicht konnte, ohne sich in Gefahr zu bringen…
Sicherlich war er nicht aus freien Stücken nach Deutschland gekommen, um zu spionieren, sondern auf Befehl seiner Vorgesetzten … Jetzt stand er ihrem Vaterland als Feind gegenüber … Als ein· Feind, den man verachten musste. Aber machte er nicht davon eine Ausnahme? War er nicht ritterlich und edelmütig? Und wenn der Krieg zu Ende war und alles wieder ins alte Geleise kam?…
Dass er sie liebte, daran konnte sie doch nicht zweifeln … Seine beredten, feurigen Blicke, die sie oft genug nicht hatte vermeiden können, hatten es ihr doch zu deutlich gesagt.
Sie hob die Hände und schlug einen Akkord an … Was wollte sie spielen? Etwas Träumerisches, Weiches, das hatte er immer so gern gehört … Sie schloss die Augen, während sie spielte. Ihr war’s, als wenn er ihr wieder wie sonst gegenüberstand, an den Türpfosten gelehnt, wo ihr Blick, wenn er sich hob, dem seinen begegnen musste.
Das Stück war zu Ende … Langsam legte sie die Hände in den Schoß und sah auf.
Ein Zittern lief durch ihre Gestalt … Täuschten sie ihre Sinne? Oder stand er da wirklich? …
Sie erhob sich mit einem leisen Schrei … Das Herz pochte ihr zum Zerspringen.
Jetzt sagte er leise:
»Ich danke Ihnen! Gnädiges Fräulein haben also noch nicht vergessen, was ich gern höre.«
Er trat auf sie zu, ergriff ihre Hand und führte sie an die Lippen. Dabei strömte ihr ein widerlicher Geruch entgegen von Schnaps und Bier und Zigarrendunst … Schaudernd entzog sie ihm ihre Hand und trat einen Schritt zurück … Sie fühlte es, sie hörte es an seinem hässlichen Lachen, dass er nicht ganz nüchtern war.
»Oh, gnädiges Fräulein, sind Sie grausam gegen mich … Oder flöße ich Ihnen als Feind Ihres Vaterlandes so großen Abscheu ein?«
»Nein, nicht im Geringsten, Herr Graf … Sie gestatten, dass ich mich zurückziehe… Wir sehen uns wohl beim Abendessen wieder?«
Sie nahm all-ihren Mut zusammen und begann rückwärts vor ihm nach der Tür zu gehen.
»Sie wollen mir schon das Glück rauben, Sie einige Minuten allein zu sprechen? Bitte bleiben Sie! Ich bitte dringend«, rief er mit gehobener Stimme, in der schon etwas Drohendes lag. »Ich will die Gelegenheit benutzen, Ihnen zu beteuern, dass ich nie aufgehört habe, an Sie zu denken, und mir ein Glück auszumalen, das der Krieg nicht zerstören, nur unterbrechen kann.«
»Ich verstehe Sie nicht, Herr Graf.«
»Dann muss ich mich noch deutlicher aussprechen, gnädiges Fräulein … Ich verehre Sie, ich liebe Sie.«
»Herr Graf!«
»Wollen Sie mich nicht anhören, wollen Sie mir keine Antwort geben?«
»Sie haben ja keine Antwort von mir verlangt!«
»Nun denn, dann verlange ich sie … Wir werden bald hier fortziehen, es stehen große Kämpfe bevor … Wenn ich falle, werde ich sterben mit Ihrem Namen auf den Lippen … Aber nicht ohne die Gewissheit, dass ich Ihre Liebe besitze.«
Er war in zwei Schritten bei ihr und griff nach ihrer Hand.
»Herr Graf, ich bitte Sie nochmals, lassen Sie mich gehen!«
»Nicht ohne Ihre Antwort … Nicht ohne ein Zeichen Ihrer Liebe! Hanna«, rief er in ausbrechender Leidenschaft aus, »weshalb verweigern Sie mir, was mir Ihr Herz geben will?!«
»Mein Herz, Herr Graf? Mein Herz will Ihnen gar nichts geben.«
»Dann werde ich mir nehmen, was mir gehört, … mit dem Recht des Siegers.«
Mit ausgebreiteten Armen trat er auf sie zu und wollte sie umfassen … Sie stieß seine Hand zurück und sprang nach der Tür, aber er war schneller als sie … Mit ein paar Sätzen schnitt er ihr den Weg zur Tür ab … Sie hörte ihn laut atmen … Sein Gesicht war rot. Schnell trat sie hinter den Tisch.
»Herr Graf, ich bitte Sie, geben Sie mir den Weg frei!«
»Oh nein, mein Täubchen … Widerspenstige muss man zähmen … Gespielt haben Sie mit mir, wie Sie mit allen Männern gespielt haben! Nur ich lasse mir das nicht gefallen.«
Er griff über den Tisch hinüber, um sie zu fassen.
Da fiel ihr Blick auf den Revolver, der auf dem Tisch lag … Sie griff blitzschnell zu und erhob ihn drohend.
»Das ist kein Spielzeug«, lachte er brutal, »das muss ich Ihnen wegnehmen.«
Während er die Hand nach der Waffe ausstreckte, schloss sie die Augen und drückte ab … Der Schuss krachte.
»Ah, verdammt«, stieß er aus, und griff mit der Hand nach seinem linken Arm … Er war plötzlich ganz nüchtern geworden … Mit ganz veränderter Stimme sagte er leise:
»Gehen Sie fort, gehen Sie schnell fort, Fräulein Hanna, dort hinaus, nicht hier!«
Langsam ließ Hanna die Hand sinken und die Waffe fallen … Wie im Traum ging sie rückwärts aus dem Zimmer am Klavier vorbei. … Jetzt erst packte sie die Angst, eine sinnlose Angst … Wie ein gehetztes Reh lief sie durch das dritte Zimmer, das in das Gartenzimmer führte, riss die Tür auf und stürmte davon in den Garten.
»Was ist da los?« rief Grete, die oben bei einem Buch saß, als der Schuss fiel. »Da hat die Hanna womöglich mit dem Revolver gepatscht, der auf dem Tisch lag.«
Wie ein Wirbelwind stürmte sie die Treppe hinunter durch das Wohnzimmer in den sogenannten kleinen Saal … Es war schon so dunkel geworden, dass sie den Soldaten, der auf dem Stuhl am Tisch saß, nicht gleich erkennen konnte … Einen Augenblick zögerte sie, dann trat sie mutig näher:
»Ah, Herr Graf! Wo ist Hanna?«
»Ihr Fräulein Schwester ist nicht hier!«
»Was ist Ihnen, sie halten sich ja so den Arm? … Kann ich Ihnen helfen? … Wer hat Sie geschossen?«
»Kind, fragen Sie jetzt nicht so viel. Ich bin am Arm verletzt.«
»Soll ich Ihnen Wasser holen?«
»Nein, danke … Ich glaube, da kommen schon meine Dragoner … Wollen Sie mir eine Ordonnanz hereinrufen?«
Grete lief hinaus und fasste den ersten besten Soldaten, der eben abgestiegen war, am Arm.
»Du sollst zum Rittmeister ins Zimmer kommen.«
Dann ging sie ins Haus und nach oben … Verwundert sah sie sich im Zimmer um.
»Wo ist Hanna?«
»Das möchten wir dich fragen«, erwiderte die Mutter aufspringend. »War sie nicht unten? Sie muss unten gewesen sein, denn wir haben sie doch spielen gehört … Und nachher fiel der Schuss…«
»Denkt euch, Tolpiga ist verwundet, am linken Arm.«
»Um Gottes willen!« rief die Mutter, »da ist etwas nicht in Ordnung … Wo kann nur die Hanna geblieben sein?«
»Mutter, ich glaube zu wissen, was dort unten vorgegangen ist«, sagte Grete ganz ernst… »Der Graf ist allein nach Hause gekommen und hat die Hanna am Klavier getroffen.«
»Ach, schwatz’ doch nicht dummes Zeug. Die Hanna hatte doch lange aufgehört zu spielen, als die Russen ankamen.«
»Ja, aber der Graf ist vorher allein gekommen … Ich gehe runter und frage ihn.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, stieg sie die Treppe hinunter … Durch die offene Tür sah sie, dass der Graf von· einem Unteroffizier am Arm verbunden wurde.
Sie trat auf die Schwelle.
»Herr Graf, die Mutter lässt Sie bitten, uns zu sagen, wo Hanna geblieben ist!«
»Ist sie nicht bei Ihnen?«
»Nein, Herr Graf, wir ängstigen uns deswegen.«
»Sie wird in den Garten gegangen sein, Luft schöpfen … Gehen Sie mal ’raus, Fräulein Gretchen, und rufen Sie … Ich möchte es aber auch wissen, wenn Sie Ihre Schwester gefunden haben.«
Grete lief durch den Garten … Sie lief bis in den Park und rief Hannas Namen … Sie blieb stehen und rief so laut sie konnte:
»Hanna, du sollst zurückkommen, hat der Graf gesagt.«
Weinend kam sie zurück.
»Sie ist nicht im Garten, oder sie hat sich versteckt und gibt keine Antwort.«
Tolpiga zog gerade seine Uniform an … Jetzt kam auch die Mutter die Treppe herunter.
»Herr Graf, was ist vorgefallen? Wo ist meine Tochter? Wissen Sie nicht, wo meine Tochter ist?«
»Nein, gnädige Frau, Ihr Fräulein Tochter hat mich aus Unachtsamkeit am Arm verletzt … Eine unbedeutende Hautwunde … Im ersten Schreck ist sie fortgegangen … Ich vermute in den Garten.«
Hochaufgerichtet musterte ihn Frau Brettschneider mit einem verächtlichen Blick.
»Ich glaube zu wissen, was hier vorgefallen ist … Sie sind gegen meine Tochter ungezogen geworden, und sie hat sich wehren müssen … schade, dass der Schuss nicht besser getroffen hat!«
»Gnädige Frau, ich will zugeben, dass ich mich in dem Irrtum befunden habe, von Ihrem Fräulein Tochter geliebt zu werden … Und ich hatte ein Recht, es anzunehmen.«
»Das ist eine Ausrede, die Ihr Betragen noch viel verächtlicher erscheinen lässt. Sie haben ein schutzloses Mädchen beleidigt, dessen Zuneigung Sie zu besitzen glaubten.«
»Ich bin wohl etwas zu stürmisch gewesen, aber…«
»Die beste Antwort ist doch die Tatsache, dass meine Tochter sich gegen Sie hat verteidigen müssen … Ich mache Sie für die Folgen verantwortlich…«
Wie zu sich selbst sprechend, fügte sie hinzu:
»Ich fürchte, dass Hanna sich das Lebens genommen hat.«
22. Kapitel
Wie ein Wilder war Tolpiga hinausgestürmt. Er schrie einige Befehle über den Hof … Dann lief er mit den Dragonern, die um das Haus herum in den Garten eilten … Wie eine Schützenkette gingen die Soldaten durch den Park und den Garten … Kein Strauch, kein Gebüsch blieb ununtersucht. Man hörte Tolpiga rufen:
»Gnädiges Fräulein, Ihre Frau Mutter ängstigt sich um Sie, geben Sie doch Antwort, wenn Sie mich hören.«
Eine halbe Stunde später sahen die Damen aus ihren Fenstern ihn mit Soldaten, die lange Stangen und Laternen trugen, wieder in den Park gehen.
Grete, die sich mitten unter den Russen befand, brachte die Nachricht, dass die Dragoner den Teich abgesucht hätten … Bis an die Brust waren sie Mann bei Mann ins Wasser hineingegangen, und die kleine, tiefe Stelle am Überfall hätten sie mit den Stangen so genau durchsucht, dass sie eine ertrunkene Maus hätten finden müssen.
»Nein, Mutter, ängstige dich nicht. Hanna wird doch nicht solche Dummheiten machen … Die sitzt jetzt wahrscheinlich vergnügt in Dalkowen bei Tante Mathilde und Christel.«
Nach einer. Weile stand sie auf.
»Ich werde Brinkmann nach Dalkowen ’rüberschicken, damit er uns Nachricht bringt.«
Der alte Inspektor saß vor dem Schreibtisch, um alles sorgfältig einzutragen, was er den Russen am Tage hatte liefern müssen, oder was sie ohne zu fragen genommen hatten, als Grete bei ihm eintrat … Sie stellte sich neben ihn und legte ihm den Arm um die Schulter:
»Ohm Brinkmann, weißt du schon, dass Hanna verschwunden ist?«
»Ja, ich habe es schon gehört, Gretchen.«
»Weißt du, was ich meine? Sie ist nach Dalkowen gelaufen … Das ist doch die einzige Möglichkeit. Möchtest du nicht ‘rübergehen und nachfragen?«
»Ja, das kann ich, das werde ich gleich tun.«
Seine alte Hühnerhündin Diana stand auf, als er die Mütze aufsetzte.
»Ohm Brinkmann!« rief Grete. »Jetzt hab’ ich’s. Jetzt finden wir Hanna, wo sie sich auch verkrochen hat … Die Diana wird sie suchen … Wart’ mal einen Augenblick am Wohnhaus auf mich.«
Als Brinkmann, mit einer Laterne ausgerüstet, am Hause erschien, stand Grete schon da. Sie hatte ein paar Hausschuhe von Hanna in der Hand und ließ die Hündin daran Witterung nehmen.
»So, nun komm … Diana, du sollst die Hanna suchen.«
Schweifwedelnd sprang die Hündin voraus … Ab und zu war die Fährte durch die vielen Tritte der Dragoner zerstört, aber immer wieder fand die Hündin sie heraus … Langsam, sich öfter nach ihrem Herrn umsehend, ging die Hündin voraus. Durch den Park, den schmalen Wiesenweg entlang.
»Ohm Brinkmann, glaubst du nun, dass Hanna hier gegangen ist?«
»Ja, darüber kann gar kein Zweifel sein.«
»Na, dann geh’ du weiter nach Dalkowen, ich lauf’ zurück, um der Mutter und Hedwig die freudige Nachricht zu bringen.«
»Alles in Ordnung«, rief sie, ins Zimmer tretend. »Die Diana hat schon festgestellt, dass Hanna durch den Park nach Dalkowen weitergegangen ist.«
Sie lachte laut auf.
»Wie pflegt doch der Vater zu sagen? Der Mensch kann so dumm sein, wie er will, er muss sich bloß zu helfen wissen.«
Unter Tränen lächelnd, zog die Mutter den kleinen Kobold an sich und küsste sie.
»Ist das auch sicher?«
»Ganz sicher, Mutter. Die Hündin hat von Hannas Hausschuhen Witterung genommen, und wenn ich sie ihr wieder mal hinhielt, nieste sie und ging weiter .... Brinkmann wird in einer halben Stunde zurück sein und Nachricht bringen.« …
Christel stand allein in der Küche am Herd, als die Tür sich leise öffnete … Hanna trat ein. Mit angstvollen Augen, zum Umsinken erschöpft.
»Um Gottes willen, Schwester, was ist dir?«
»Frag’ nicht, Christel … Kannst du mich, ohne dass es einer merkt, in dein Zimmer führen, wo ich mich ausruhen und etwas erholen kann?«
»Gewiss, das kann ich… Komm’.«
Sie führte Hanna auf der Nebentreppe zum ersten Stock empor.
Hanna sah sich ängstlich im Zimmer um.
»Bin ich hier auch sicher vor den Russen, wenn sie mich suchen kommen?«
»Weshalb hast du es nicht gleich gesagt? Komm’, ich will es auf meine Kappe nehmen und dich in unser Versteck führen.«
Diesmal führte sie ihre Schwester von der Küche noch eine Treppe tiefer in den Wirtschaftskeller … Den Schlüssel, der die Verbindungstür zu den anderen Kellerräumen abschloss, trug sie am Gürtel.
»So, hier bist du ganz sicher …Hier findet dich kein Russe«, sagte sie zu Hanna, als sie Licht gemacht hatte.
»Du darfst es aber niemand sagen, dass ich hier bin«, bat Hanna, »weder Wolf noch Tante.«
»Was hast du denn so Schweres verbrochen, dass du dich vor den Russen verstecken musst?«
»Ich habe auf Tolpiga geschossen … Frage mich nicht weiter.«
»Ich brauche dich nicht zu fragen, Schwester, ich kann mir alles denken … Du hast mit dem Feuer gespielt und dir die Finger daran verbrannt .... Ich habe mit dir darüber nicht zu rechten.«
Sie ging zur Tür.
»Sobald ich etwas erfahre, bringe ich dir Nachricht.«
Wolf war noch einmal auf den Hof hinausgegangen … Er war der Überzeugung, dass die Russen abgezogen waren. Das sagte er auch der Mutter, die allein im Wohnzimmer bei der Lampe saß.
»Dann müssten aber unsere Truppen schon in der Nähe sein … Wenigstens eine Patrouille müsste doch hier durchkommen.«
»Da ist sie wohl schon«, rief Wolf und ging zur Tür, vor der eben ein Reiter anhielt und abstieg.
»Herr Graf!,« rief er dem Eintretenden entgegen.
»Ja, ich bin’s … Sie meinten wohl schon, wir sind abgezogen? Oh nein, Herr Stutterheim, soweit sind wir noch nicht. Es war bloß blinder Lärm in Bialla …«
»Wo bleibt denn Ihr Leutnant mit seinem Zug?«
»Den habe ich in Andreaswalde behalten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass in der Nacht ein Zusammenstoß mit Ihren Truppen erfolgt.«
Er sah sich im Zimmer um.
»Ich vermutete, Fräulein Hanna hier zu finden.«
»Da sind Sie im Irrtum, Herr Graf … Soviel ich weiß, ist Fräulein Hanna gar nicht hier gewesen … Oder weißt du etwas davon, Mutter?«
»Nein, Hanna ist nicht hier gewesen … Vielleicht eine Ausrede, Herr Graf, um nicht am Essen teilzunehmen?«
»Nein, nein, gnädige Frau, das ist keine Ausrede … Fräulein Hanna ist gegen Abend in den Park gegangen und nicht wiedergekehrt … Sie kann nur hier in Dalkowen sein.«
»Davon würde ich unter allen Umständen etwas wissen … Wir haben auch keinen Grund, es Ihnen zu verheimlichen«, erwiderte Frau Stutterheim und erhob sich. »Vielleicht ist ihr etwas zugestoßen? Oder sie hat sich erschreckt und ist ohnmächtig geworden.«
»Nein, gnädige Frau, ich habe schon mit meinen Leuten den ganzen Park von Andreaswalde abgesucht.«
»Dann müssen wir auch unsern Park absuchen.«
Sie nickte Wolf zu, der schon eine Mütze geholt hatte.
Tolpiga verabschiedete sich und ging mit hinaus … Vergeblich wurde der Dalkower Park von den Gutsleuten mit Laternen abgesucht … Dann schwang sich Tolpiga auf sein Pferd und ritt mit kurzem Dank davon…
Beim Abendessen herrschte in Dalkowen eine merkwürdig gedrückte Stimmung. Wolf war mit der Mutter übereingekommen, Christel von Hannas Verschwinden nichts zu sagen, um sie nicht unnötig zu beunruhigen.
Aber auch Christel war merkwürdig schweigsam, so dass Wolf auf die Vermutung kam, sie wüsste es schon.
Gleich nach dem Essen sagte Christel Gute Nacht.
Sie wollte bloß noch in der Küche für morgen herausgeben und sich dann hinlegen. Sie habe etwas Kopfschmerzen … Sie kam eben aus der Speisekammer, als Brinkmann den Kopf zur Küchentür hereinsteckte.
»Ach Christel, es ist gut, dass ich dich allein treffe. Ist vielleicht Fräulein Hanna hier?«
»Ja, sie ist hier und in Sicherheit.«
»Na, Gott sei Dank! Nun wird uns allen ein Stein vom Herzen fallen…«
»Sagen Sie es der Mutter, aber sprechen Sie zu keinem anderen darüber.«
»Wenn ich nicht soll, denn nicht. Also gute Nacht, Christel, ich muss schnell zurück.«
Eine Weile stand Christel unschlüssig vor der Kellertür und überlegte. Sollte sie jetzt noch zu Hanna hinuntergehen? Entweder schlief sie schon und hatte alle Sorgen und allen Kummer vergessen, dann war es unrecht, sie zu wecken. Und wenn sie nicht schlief, würde sie erzählen und sich aufregen. Dazu war auch noch morgen Zeit … Sie drehte sich um und ging die Nebentreppen zu ihrem Zimmer hinauf. Wolf hatte noch ein paar Stunden bei seiner Mutter gesessen und alles Mögliche mit ihr besprochen.
Über die Verluste in der Wirtschaft. Über den bevorstehenden Abzug der Russen, den er als ganz sicher annahm. Dann würde man durch die deutschen Truppen doch wieder Nachrichten von dem Kriege bekommen … Es war, als wollte er sich selbst von dem Gedanken an Hanna ablenken. Aber dann gab er sich einen Ruck und sagte ganz unvermittelt:
»Was denkst du von Hannas Verschwinden?«
»Ich glaube noch nicht recht daran, mein Junge. Ich vermute, das ist ein Racheakt gegen Tolpiga, der allem Anschein nach gelungen ist. Denn der Herr Graf schien ja sehr besorgt und bekümmert zu sein … Hanna wird wahrscheinlich ganz vergnügt in ihrem Bett liegen.«
Wolf schüttelte den Kopf und stand auf, um im Zimmer auf und ab zu gehen. Es war, als wenn ihn eine innere Unruhe trieb.
»Du kannst Recht haben, Mutter. Ich meine, sonst wäre Tante Adele wohl selbst gekommen oder hätte Brinkmann hergeschickt. Aber andererseits kann ich mir nicht denken, dass ihre Mutter sich zu einer solchen Komödie hergeben wird.«
Frau Stutterheim lächelte.
»Weißt du, was ich meine? Das wird ein Spitzbubenstreich der Grete gegen Tolpiga sein. Die kriegt so was fertig!«
»Nein, Mutter, da steckt mehr dahinter … Ich habe die Angst, dass sich zwischen Tolpiga und Hanna etwas abgespielt hat … Er hat uns etwas verschwiegen … Ich habe es ihm wohl angemerkt … Er war aufgeregt und nahm so plötzlich Abschied, als scheute er sich vor einer Frage.«
Frau Stutterheim sah ab und zu auf. In ihrem Blick lag die ehrliche Sorge eines treuen Mutterherzens … Endlich sagte sie leise:
»Mein armer Junge, hast du noch immer keine Ruhe gefunden? Ich dachte, du hättest es schon überwunden … Hat dir dein Stolz nicht dabei geholfen?«
Wolf blieb vor ihr stehen.
»Ja, Mutter, aber die Wunde schmerzt noch immer … Sie war vielleicht schon etwas vernarbt, aber noch nicht ganz. Wenn ich denken muss, dass Hanna… Mutter«, unterbrach er sich. »Sie wird sich doch nichts angetan haben?«
»Aber mein. Junge, plag’ dich doch nicht mit solchen Gedanken! Dazu halte ich die Hanna nicht für fähig.«
»Schätzt du sie wirklich so hoch ein?«
»Nein, mein Sohn, ich meinte das Gegenteil … Ich traue ihr solch einen Entschluss nicht zu.«
»Aber wenn…«
»Nein, mein Sohn, von dem Thema habe ich wirklich für heute genug … hol’ die Karten, wir wollen noch eine Zankpatience miteinander legen, und wehe dir, wenn du nicht aufpasst.«