Kitabı oku: «Herd und Schwert», sayfa 6
Ein heißes, fliegendes Rot stieg, einem Signal gleich, in ihrem Gesicht auf, dann streckte sie ihm mit demselben Lächeln grüßend die Hände entgegen.
»Oh, Sie, Herr von Berg?« sagte sie. »Es ist eine Ewigkeit, dass wir uns nicht gesehen haben.«
»Doch wohl nur für mich, gnädiges Fräulein, nicht wahr?« sagte er. »Denn Sie werden mich wohl nicht vermisst haben?«
»Ich glaube, man vermisst seine Freunde immer.«
»Seine Freunde, ja,« wiederholte er. »Ich weiß aber nicht, Fräulein von Mertinat, ob Sie mir jemals den Vorzug gegönnt haben, mich zu Ihren Freunden zu rechnen.«
Sie sah ihn an. Mit einem leisen Augenaufschlag nur, ihm aber schien es, als ob dieser Blick tief in seiner Seele lesen wollte.
»Ich weiß nicht,« sagte sie, »warum Sie daran zweifeln. Ich habe Sie anfangs allerdings gehasst, wie man nur einen Feind hassen kann. Aber, was können Sie dafür, was andere an uns vielleicht verfehlt haben? Was uns wenigstens gelehrt worden ist, als Verfehlung, nein, mehr, als Verfolgung anzusehen. Sie selbst aber, haben ja doch an uns nur Gutes getan.«
»Oh, sagen Sie das nicht,« rief er. »Ich habe wahrhaftig nicht mehr, als bloß meine Pflicht getan.«
»Nein, nein, Pflichten, Herr von Berg, hatten Sie uns gegenüber keine. Das habe ich von allem Anfang an auch erkannt. Vielleicht allerdings nicht gezeigt. Aber ich habe doch manches, alles sogar, glauben Sie mir, Herr von Berg, als Freundlichkeiten empfunden, und habe Sie, widerwillig zwar, aber doch als Freund in mein Haus eintreten lassen.«
»Und jetzt…?« fragte er, sich und sie mit dieser Frage an ihr letztes Zusammensein und an sein Fortgehen erinnernd.
Wieder flog das Rot über ihre Wangen.
»Und jetzt, ist der Widerwille verschwunden,« sagte sie und reichte ihm lächelnd ihre Hand.
»Genügt Ihnen das?« fragte sie.
»Nein, Madeline,« rief er aus. »Sie wissen, dass mir das nicht genügen kann. Sie wissen, dass ich mehr von Ihnen verlange, weit mehr, Madeline Sie wissen, dass ich Sie liebe und … und wenn Sie mir mit Ihren Worten haben Hoffnung machen wollen, wenn Sie mir damit das Recht haben geben wollen, Ihnen von meiner Liebe zu sprechen…«
»Nie, nie, Herr von Berg, hat … das … in meiner … Absicht gelegen…,« stieß sie hervor. »Meine … Antwort …auf Ihre Frage bleibt immer dieselbe.«
»Immer … dieselbe …« wiederholte sie, die sich langsam und mühsam erhoben hatte und nun bleich und mit abwehrenden Händen vor ihm stand, wie zu sich selber.
»Wollen Sie damit sagen, Madeline, dass Sie mich nicht lieben? Dann sage ich Ihnen, dass Sie sich selber belügen. Denn ich weiß es, Madeline, ich weiß, dass Ihr Herz mir genauso gehört, wie Ihnen das meine.«
»Das … ist … nicht … wahr!« rief sie aus.
»Aber Madeline!« rief er und schlug die Hände ineinander, die er ihr entgegengestreckt hatte, als begreife er nicht, dass sie das immer noch sagen könne.
»Ist es denn möglich, dass Ihr Stolz immer noch die Stimme Ihres Herzens übertönt? Nein Madeline, diesmal weiche ich nicht, bis ich nicht mein Jawort erhalten habe.«
»Das werden Sie nie!« rief sie und die alte Empörung schien in ihr wieder zu erwachen.
Da lachte er auf wie einer, der das viel besser, wirklich besser weiß.
»Sie bleiben also dabei,« rief er, »dass Sie mich nicht lieben? Dass Sie mich nie werden lieben können?«
»Ja,« wollte sie sagen, aber in diesem Augenblick kam ihr ein Zufall zu Hilfe, der ihr diese Lüge ersparte.
In nächster Nähe von ihnen fiel in diesem Augenblick ein Schuss.
Sie stieß einen Schrei plötzlichen Schreckens aus, und er war, alles andere vergessend, mit einem Satze im Walde. Durch Dick und Dünn brach er sich Bahn in der Richtung des Schusses. Dann sprang er, als suche er Deckung hinter dem Stamm einer mächtigen Eiche.
Der Wilddieb, der das geschossene Reh, nach allen Seiten hin ausspähend, hinter sich her schleifte, hatte das Brechen und Knacken der Äste und Zweige offenbar gehört. Er ließ die Hinterläufe des Tieres fallen und hob sein Gewehr schussbereit.
Er brauchte es nur anzubacken und dann wehe dem, der ihm vor dem Rohr stand. Aber es rührte sich nichts. Mit dem Finger am Abzug spähte er, selbst hinter einem Baume geschützt, in das Dickicht hinaus.
So standen die beiden Männer, von denen nur einer von dem anderen wusste, lautlos und regungslos eine Ewigkeit lang, denn wenn Minuten Ewigkeiten sein können, dann kann es eine Viertelstunde gewiss. Namentlich, wenn einer weiß, dass es um Leben und Tod, oder bestenfalls um die Freiheit geht.
Endlich aber schien der Wilddieb doch seiner Sache sicher zu sein. Das Reh ließ er zwar liegen, er selbst aber schlich vor. Nichts, gar nichts rührte sich. Da konnte er vielleicht doch seine Beute noch retten? Aber nein. Was unter solchen Umständen liegt, lieber liegen lassen. Lieber sich selbst aus der Unheimlichkeit wegbringen. Und so schlich er denn vorsichtig weiter.
»Halt! Gewehr weg!« scholl es ihm da plötzlich entgegen.
Mit einem Sprung war er wieder in Deckung.
»Mach’ keine Flausen, komm’ hinter deinem Baume hervor, hast du verstanden?«
Statt aller Antwort krachte ein Schuss, und in demselben Augenblicke, so dass Schuss und Schuss sich beinahe deckten, ein anderer. Und diesem Schusse, der nicht aus des Gutsherrn Büchse gekommen war, folgte ein wilder Schrei. Und ein dumpfer, vom Knacken der Unterholzzweige begleiteter Fall. Auf den Gutsherrn aber, dem ein Schuss den linken Arm getroffen hatte, stürzte ein schlanker junger Jägerbursch' zu.
Georginne.
»Um Gottes willen,« rief sie, »ist Ihre Wunde schwer?«
»Nein,« sagte er, seinen Schmerz gewaltsam verbeißend. »Ich … ich kann mir schon selber helfen … Sehen Sie … nach dem andern.«
Sie aber sah nur das Blut, das nur so aus seiner Wunde hervorquoll. Schnell streifte sie ihm den Rock- und Hemdärmel empor, und ihre Lippen fest zusammenbeißend, da sie den Anblick des Blutes nicht vertrug, machte sie ihm mit ihrem Taschentuch einen Verband. Da der aber nichts nützte, riss sie sich eine Schnur von ihrem Jagdrock, mit der sie den Arm oben, über der Wunde, fest unterband.
Er lächelte ihr zu, obwohl ihm mit einem Male ganz schwarz vor den Augen wurde und der Wald um ihn herum einen tollen Tanz, einem Hexenreigen gleich, zu tanzen begann. Die Schwäche, die ungeheure Schwäche infolge des Blutverlustes hatte ihn übermannt, und er wäre gefallen, wenn sie ihn nicht gestützt und gehalten hätte.
»So … hier … hier setzen Sie sich her. Ganz, ganz ruhig, ich hole Hilfe von Hause.«
Tatsächlich lief sie auch fort, da fiel ihr der andere ein und der Schreck durchzuckte ihre Glieder. Wenn der noch schwerer verwundet war! Wenn sie ihn am Ende getötet hatte! Nein, das durfte nicht sein! Denn getroffen hatte sie ihn, das wusste sie, das hatte sie ganz deutlich gesehen, hatte auch einen entsetzlichen Aufschrei gehört. Sie hielt daher an und lief mit einem Male zu ihm zurück.
Da lag er.
Einer der russischen Arbeiter.
Ein kleiner roter Blutfleck stand auf seinem Rock. Die Hände waren geballt und die Augen starrten sie wie verglast an; aus dem Munde aber quoll dem Manne zähes, gleich gerinnendes Blut.
Um Himmels willen! Sie! Sie hatte einen Menschen getötet! Wie vom Entsetzen gejagt, stürzte sie, jagte sie förmlich davon, immer wie von dem furchtbaren Anblick des Toten verfolgt.
Mitten auf dem Weg kam ihr ihre Schwester, bleich, angstvoll, in fassungslosem Schrecken entgegen.
»Mein Gott, was … ist … gescheh’n?« stieß sie hervor, sie hatte die Schüsse und wohl auch den Schrei des Todes gehört.
»Ich … ich … habe … einen Menschen getötet!!«
Wie der Entsetzensruf einer angstgepeitschten Seele kam das heraus.
»Um … Himmels willen …, Kurt?!« rief die andere in Todesangst.
»Nein …, der …, der ist nur verwundet. Es ist nichts, nichts, aber … der andere ist tot.«
Und damit stürzte sie fort, um Hilfe, Hilfe zu suchen! Madeline aber wankte, sich an jedem Ast, jedem Strauch, jedem Baum festhaltend, dem Tatorte zu.
Da, an den Stamm einer Eiche gelehnt, fand sie ihn.
Bleich und mit geschlossenen Augen.
Mit dem Aufgebot all ihrer Kräfte schleppte sie sich bis zu ihm hin, dann brach sie zusammen.
Weinend, schluchzend sank sie über ihn hin.
»Kurt, Kurt, mein lieber, lieber Kurt!« rief sie ein über das andere Mal.
Und da … da schlug er die Augen auf.
Erstaunt sah er sich um; als er sie aber erkannte, da flog ein Lächeln voll Seligkeit über seine Züge.
Mit dem einen, heilen Arm zog er sie an sich und flüsterte:
»Also liebst du mich doch.«
Statt jeglicher Antwort drückte sie in plötzlicher, ununterdrückbarer Leidenschaftlichkeit ihre heißen, dürstenden Lippen auf seine kraftlosen, bleichen, und sie innig an sich haltend, flüsterte er zwischen Kuss und Kuss die Worte, die sie von ihm zum ersten Mal hörte und die er doch schon an ihrem Krankenbette zu ihr gesprochen hatte:
»Oh, du mein süßes Lieb!«
Und dann schwanden ihm die Sinne.
Zweiter Teil
1. Kapitel
Es gab keine glücklicheren Leute in ganz Ostpreußen, als die auf dem von Bergschen Gute.
Es waren aber auch liebe prächtige Menschen und von einer so herzgewinnenden Freundlichkeit und einer so reichen Gastlichkeit, dass selbst die, die durch diese Heirat des Herrn von Berg in ihren eigenen Hoffnungen enttäuscht worden waren, in das laute Lob der wundervollen Häuslichkeit und ruhigen, glücklichen Zufriedenheit einstimmten.
Namentlich die Strawischken. Denn nun, wo in der Mertinat eine prächtige Hausfrau auf dem Gutshofe waltete, war aus diesem auch endlich das geworden, was man sich von allem Anfange an davon versprochen hatte: der Brennpunkt des gesellschaftlichen Lebens der ganzen Nachbarschaft.
Wie weit ins Land hinein in Ostpreußen die Nachbarschaft aber geht, und was alles zu dieser gehört und gerechnet wird, oder sich, wenn’s darauf ankommt, selbst dazu rechnet, das weiß jeder, der das liebe Ostpreußen kennt. Gerade durch diese Geselligkeit, die sich da entwickelt und einen, für dort neuen, künstlerisch durchgeistigten Charakter angenommen hatte, ergaben sich ja tausend Gelegenheiten, das junge Volk zusammenzubringen, und was sich daraus für Möglichkeiten entwickeln konnten, das war gar nicht vorauszusehen.
In jedem Falle war eines gewiss, dass ein Paar sich schon gefunden hatte und das war die Malvine, das prächtige Mädel, und der russische Gutsherr von drüben, der Bogdan von Roth, der aber ein ebenso guter Deutscher war, wie die deutschen Balten fast alle.
Freilich schien die Sache schon vorher im Gange gewesen zu sein, wenigstens deuteten alle Anzeichen darauf hin, und es war nur ein Wunder, dass die Verlobung nicht längst gefeiert worden war.
Dann machte der junge Braczko, der, seit er die Erbschaft nach seiner Tante gemacht hatte, mehr Butter auf seinem Brot hatte, als der alte, wie man spaßhaft sagte, auf seinem Kopfe, denn der alte Braczko war, das wusste jeder, ein zwar durchtriebener, aber durchaus ehrlicher Kerl, der es nur faustdick hinter den Ohren hatte und den jungen Kerlen bei den Weibsleuten noch arg ins Gehege kam…
Der junge Braczko also machte der dritten Mertinat, der Georginne, auf Tod und Leben den Hof und richtig, eines schönen Tages knallten die Pfropfen des französischen Knallkümmels, – wie der Braczko den Champagner nie anders nannte, – dass es nur so eine Lust war, denn die Verlobung der Georginne mit dem jungen Braczko wurde gefeiert, wie man sie nur in Ostpreußen und besonders in Litauen zu feiern versteht.
Die Georginne war freilich ein Staatsmädel geworden. Keine Spur mehr von dem Racker. Damit war es, wie’s schien, mit dem furchtbaren Abenteuer im Walde vorbei.
Aber gerade der Ernst stand ihr sehr gut und passte zu dem ein klein wenig sentimental und romantisch angehauchten jungen Braczko sehr gut. Dem sah man das von außen allerdings nicht an, ebenso wenig, wie man ihm den Dichter ansah, der er doch war. Ein Riese von einem Burschen. Groß, stämmig, breit. Mit Muskeln wie ein Athlet und einem Kopfe, aus dem zwei blaue Kinderaugen zu sehen schienen. Und gerade diese Augen, die waren es, die die ganze Sentimentalität und Dichterei auf dem Gewissen hatten.
»Von seinem Vater hat er die nicht,« sagte der alte Braczko und ließ seine schwarzen Augen, in denen die Lebenslust immer noch sprühte, schalkhaft funkeln, »und wer daran schuld ist, das kann ich nicht wissen.«
Aber er wusste es doch ganz genau, dass es ein Erbteil von Pauls Mutter war, die nun fast eben· so lange tot war, als der Paul Braczko alt.
In jedem Falle war der Bräutigam rasend verliebt in seine Braut, und auch Georginne hatte allen Grund, es zu sein, obwohl sie’s nicht zeigte, obwohl sie es tatsächlich war. Denn sie war merkwürdig zurückhaltend geworden, sie, die doch früher den Deuwel im Leibe gehabt hatte.
»Aber, das kommt schon wieder,« lachte Paul. »Wenn wir erst verheiratet sind…«
Dass am Verlobungstage auch die Roths wieder herüber gekommen waren und die weite Fahrt nicht gescheut hatten, war selbstverständlich. Und diesmal, wo sie wieder länger zu bleiben die Absicht hatten, hatten sie auch wieder den Russen, den Herrn von Iwolski mitgebracht, der noch immer die Sekretärstelle bei ihnen innehatte.
Unter den vielen Gästen, die sich in dem Hause eingefunden hatten, befand sich diesmal auch der Herr von Mazat aus Didszullen, mit seiner jungen Frau, derselbe, bei dem seinerzeit die Roths einmal vom Bergschen Gute aus zu Besuch gewesen waren.
Bei der allgemeinen Vorstellerei sagte Herr von Berg, als die Reihe an den Sekretär kam:
»Herr von Iwolski kennen Sie ja, da brauche ich Sie ja nicht erst miteinander bekannt zu machen?«
Zu Herrn von Bergs namenlosem Staunen erwiderte aber Herr von Mazat:
»Bisher hatte ich leider noch nicht das Vergnügen,« und dabei schüttelte er dem Russen die Hand.
»Aber, wie ist denn das möglich?« rief Herr von Berg und wandte sich an die Roths.
»War denn Herr von Iwolski damals nicht mit euch in Didszullen? Er war doch, soviel ich weiß, mit euch fortgefahren und kam ja doch auch mit euch wieder zurück.«
»Oh,« sagten die Roths, »das war nur ein Zufall. Herr von Iwolski war ja doch hier. Er gab uns nur ein kurzes Stück Weg das Geleit, und auf dem Rückwege nahmen wir ihn von der Landstraße auf.«
Wer in dem Augenblicke die Georginne beobachtet hätte, die ganz in der Nähe stand, der hätte gesehen, dass ihr die jähe Röte ins Gesicht geschossen war, ja, er hätte sogar gesehen, wie Herr von Iwolski mit ihr einen seltsamen, man möchte sagen, betroffenen Blick tauschte. Herrn von Berg aber fiel plötzlich jener Abend ein, an dem er das Gefühl gehabt hatte, als ob jemand ihm bei seinem Gang durch den Wald folge, und an dem er so deutlich das Gehen der Türen gehört hatte.
Merkwürdig.
Aber er hatte jetzt natürlich keine Zeit und vielleicht auch gar keinen Grund, der Sache noch nachzugehen.
Wer nun der Meinung wäre, dass es mit den beiden Paaren, die sich gefunden hatten oder nahe daran waren, sich zu finden, sein Bewenden hatte, der irrte sich sehr.
Auch die Stunde der Strawischker hatte geschlagen! Die Lene nämlich, die dritte von den sechs, ein dralles, molliges Mädel, das das Herz ebenso wie das Mundwerk auf dem rechten Fleck hatte, war dem Nikolai von Roth als etwas aufgefallen, was sich zweifellos gut auch auf baltischen Boden verpflanzen ließ und dem gesunden Deutschtum da drüben sicherlich einen kräftigen Zuwachs verschaffen konnte. Und wenn ihr auch die ‚lustige Witwe‘ und die ‚Dollarprinzessin‘ und der ‚fidele Bauer‘ weit besser zusagten, als die schönste Sonate von Bruch oder Bruckner, so waren doch ihr froher Sinn, ihre Kerngesundheit und ihr munteres Wesen ein nicht zu verachtendes Äquivalent dafür.
Freilich fanden die älteren zwei, dass die Lene ein klein wenig zurückhaltender hätte sein und ihnen den Vortritt hätte überlassen müssen, dafür aber waren die beiden Jüngeren todfroh, dass der Bann endlich gebrochen war und wenigstens eine dem Schicksal entrann, als alte Jungfer zu sterben.
Bei der lauten, lustigen Stimmung, die an dem Verlobungstage herrschte, hätte wohl niemand geglaubt, – am wenigsten aber Paul Braczko – wie nahe schon die Tragödie war.
Nicht die Welttragödie, die kurze Zeit später begann und so viel unendliches Unheil, aber auch so viel Ruhm über Ostpreußen brachte, sondern die kleine Schicksalstragödie, die sich zwischen Paul Braczko, seiner Braut und dem Russen, dem Herrn von Iwolski abspielte, und die doch auch in die sich unheimlich vorbereitenden Ereignisse mit hineingriff.
Paul Braczko war sonst immer gewohnt, zu einer bestimmten Stunde zum Besuche seiner Braut nach dem Bergschen Gutshof zu kommen. Diesmal aber ritt ihn der Teufel, eher zu kommen. Ganze zwei Stunden eher, und als er nach Georginne fragte, da hieß es, sie sei leider nicht da. Sie habe sich die ‘Stella’ satteln lassen und sei ausgeritten, irgendwohin in den Wald.
Paul Braczkos Gesicht verfinsterte sich, als er diesen Bescheid von Madeline erhielt.
»Ausgeritten?« fragte er, »allein?«
»Natürlich allein, du dummer Junge,« hatte der Gutsherr lachend gesagt. »Mit wem soll sie denn reiten?«
»Mit mir,« sagte er. »Ich hatte sie ausdrücklich gebeten, mit mir einmal auszureiten. Sie hätte keine Lust dazu, sagte sie mir darauf. Na, aber wenn sie einmal Lust bekäme, dann solle sie es mir sagen. Es sei ja so leicht durchs Telefon, und nun ist sie doch ausgeritten und hat mir nichts davon gesagt.«
»Ja, was ist da zu machen,« sagte Kurt von Berg und zuckte dabei mit den Achseln, »die Weiber, du weißt ja, sind alle ganz unberechenbar.«
»Darf ich mir nicht ein Pferd von dir satteln lassen? Vielleicht finde ich sie.«
»Aber selbstverständlich! Mit Vergnügen.«
Und er gab Auftrag, dem Braczko den ‘Ganymed’ zu satteln, der sehr gut und sehr ruhig ging und das schwere Gewicht Braczkos am besten vertragen konnte.
Eine halbe Stunde später war Georginne da.
Sie sah prachtvoll aus in dem langen, ihre schöne Gestalt wundervoll umschließenden Reitkleid.
»Weißt du, dass Paul dich sucht?«
»Nanu, was will er denn?« fragte sie.
»Hatte er dich nicht gebeten, wenn du einmal ausreitest, es ihn wissen zu lassen?«
»Allerdings. Man hat aber doch nicht immer Lust zu diesen Süßholzraspeleien. Es ist gerade genug, wenn man sich den ganzen Abend dazu hergeben muss.«
»Das musst du ja gar nicht. Wenn du ihn nicht magst, kannst du es ihm ja sagen.«
»Ach Gott, mögen! Mögen! Wer sagt denn, dass ich ihn nicht mag, aber diese ewige Knutscherei und Küsserei fällt einem doch auf die Nerven.«
»Ich finde, ein Bräutigam kann nie zärtlich genug sein,« sagte Malvine, die an der Art ihrer Schwester keinen Gefallen finden konnte.
»Man kann doch auch auf andere Art seine Zärtlichkeit zeigen, denk’ ich,« erwiderte Georginne, die ihren nervösen Tag zu haben schien, sichtlich gereizt.
»Zum Beispiel gerade dadurch,« fuhr sie fort, »dass man auf die Empfindungen seiner Braut größere Rücksicht nimmt. Im Übrigen bin ich heute gar nicht aufgelegt, mich zu streiten. Ich habe Kopfweh, rein zum Zerspringen, und werde wohl am besten tun, wenn ich mich hinlege.«
»Du wirst doch wohl warten, bis Braczko zurückkommt,« sagte die Schwester.
»Er hätte ja hier bleiben können, und auf mich warten.«
Und damit ging sie.
Sie kam aber doch wieder herab, nachdem sie sich umgekleidet hatte.
Ihre Stimmung war aber um keine Spur heller, im Gegenteil. Und als er kam, da war sein Empfang alles andere eher, als zärtlich.
Auch Paul schien nicht in besonders rosiger Laune, trotzdem tat er sich Gewalt an und begrüßte sie in seiner gewohnt liebevollen Art, seinem Kusse aber wich sie aus.
»Ich habe dich gesucht,« sagte er. »Du bist aber wohl gerade von der entgegengesetzten Seite gekommen.«
»Wahrscheinlich,« sagte sie, »sonst hätten wir uns wohl sicher getroffen. Ich glaube aber kaum, dass es dir Freude gemacht hätte, denn ich bin heute durchaus nicht in der Laune, die dir erwünscht ist.«
»Nein,« sagte er. »Du hast Recht. Es hätte mir keine Freude gemacht.«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Wie meinst du das?« fragte sie.
»Ganz so, wie ich gesagt habe, Georginne,« antwortete er. »Ich bin nämlich einem andern begegnet.«
»Ah! Und – wem? – Wenn man fragen darf?«
»Dem Rothschen Sekretär, dem Herrn von Iwolski.«
»So?«
Er sah sie mit einem festen, forschenden, aber gleichzeitig eine tiefe Trauer verratenden Blick an.
»Ja,« wiederholte er, »dem Russen, dem Herrn von Iwolski.«
»Ich weiß nicht, wie du das sagst,« sagte sie. »Tust du ihm vielleicht gar die Ehre an, eifersüchtig auf ihn zu sein?«
»Ja, Georginne,« gab er ihr wieder zur Antwort, »aber diese Ehre, wie du es nennst, tu’ ich dir an, ich glaube nämlich nicht, dass es eine Liebe ohne Eifersucht gibt.«
»Eifersucht, Trautester, ist Zweifel, und ich wüsste nicht, seit wann es ehrenvoll ist, bezweifelt zu werden.«
Er gab keine Antwort. Er sah finster vor sich hin und man sah es ihm an, dass er mit sich kämpfte und litt.
Plötzlich trat er vor sie hin.
»Georginne,« sagte er, »sag’ mir die Wahrheit, ich bitte dich, warst du – mit ihm zusammen?«
Sie trommelte mit ihren Fingern nervös auf die Tischplatte und sah ihn von oben bis unten an. Dann stand sie auf.
»Es gibt Fragen,« sagte sie, »die man nicht beantworten kann, ohne dass man sich vor sich selber etwas vergibt. Drum ist es besser, ich sage gute Nacht, Paul. Nein, nein, du bist nicht schuld, ich habe früher schon der Madeline gesagt, dass mir nicht wohl ist. Adieu.«
Paul Braczko vertrat ihr den Weg.
»So lass’ ich dich nicht gehen,« sagte er. »Wir sind noch nie im Bösen voneinander geschieden, wir dürfen’s auch heute nicht. Wenn ich dir wehe getan habe, Georginne, wenn ich dich beleidigt habe, so tut es mir leid, aber sag’ selbst…«
»Ich sage gar nichts, lieber Paul,« unterbrach sie jedoch seine Verantwortung. »Ich möchte nur, dass du mich gehen lässt.«
»Bitte,« sagte er, und öffnete ihr hinausweisend die Tür; als sie aber die Schwelle überschritt, rief er: »Georginne!«
Ein solcher Schmerz klang aus dem Ausruf, dass sie sich umwandte.
»Ja?« fragte sie und sah seine bittenden, flehenden, guten, traurigen Kinderaugen.
»Gibst du mir, wenn du schon gehst, nicht wenigstens einen Kuss!«
»Nein, danke,« sagte sie.
»Nein?!«
»Nein. Ich habe das Geküsse nicht gern. Überall, drin, draußen, auf dem Korridor, auf den Treppen, gerade so … gerade so, als ob ich … als ob ich ein … Küchenmädel wäre.«
»Oh!« rief er aus, »das war deine Ansicht nicht immer.«
»N… n… nein. … Aber heut’.«
Da ließ er sie gehen.
»Ich hoffe,« sagte er beinahe tonlos und sichtlich nach Fassung ringend, »dass es, dir morgen besser gehen wird.«
Während sie nun vollends hinausschritt, drehte er sich um und trat in in das Zimmer zurück.
Im Nebenzimmer aber saßen Herr und Frau von Berg, und auch Malvine und lauschten, – ob sie sich’s eingestanden, oder auch nicht, – auf die Vorgänge im anderen Zimmer…
Georginne ging einen halben Treppenabsatz hinauf. Sobald sie aber hörte, dass die Tür des Zimmers, in dem sie gewesen waren, sich schloss, flog sie die Treppen wieder hinunter, eilte über den Korridor hinweg, bis zu der Tür des Bibliothekszimmers, blieb hier einen Augenblick lang wie zögernd atemlos stehen und trat dann schnell, und sich überall umsehend, ein.