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Kitabı oku: «Herd und Schwert», sayfa 7

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2. Kapitel

In der Bibliothek saß, über einem Buche, in dem er gewiss nicht gelesen hatte, Herr Iwolski.

Bei ihrem Kommen sprang er auf und eilte ihr entgegen.

»Beinahe hätte ich nicht kommen können, Timofei Simonowitsch,« sagte sie atemlos.

»Ich weiß. Ich war darauf gefasst. Wer konnte aber auch denken, dass er mir zu dieser Stunde begegnen würde! Ich hasse solche Unpünktlichkeiten beim Manne.«

Er lachte spöttisch aus, als er das sagte.

Der, von dem zwischen den beiden die Rede war, hatte sich in dem Zimmer, in dem Georginne ihn verlassen hatte, eine Zigarette angezündet.

Nichts besser, wenn man nervös ist, als so eine Zigarette.

Er ging einige Male im Zimmer auf und ab, trat auch ans Fenster und lehnte daran, ohne zu wissen, ob er hinaussah oder nicht.

Dann warf er die Zigarette fort und ging durch das Besuchszimmer durch zu der Tür, die von diesem in den Bibliotheksraum führte.

Er öffnete die Tür und es war ihm, als höre er Stimmen.

Leise, gedämpfte Stimmen, die miteinander sprachen.

Einen Augenblick lang stand er da, als könne er seinen Ohren nicht trauen.

Sein Ausdruck bekam etwas steinern Starres. Seine Blicke schienen durch die schwere Portière durchdringen zu wollen. Dann schob seine Hand den schweren Plüschvorhang zurück und er sah, wie Georginne sich, leise abwehrend, den Armen des Herrn von Iwolski entwand.

»Nicht … nicht …,« sagte sie.

In der Art ihrer Abwehr aber lag ein halbes Gewähren.

»Hat der dicke Athlet Ihnen etwas gesagt?« fragte Iwolski.

»Ich habe Sie schon einmal gebeten, Timofei Simonowitsch,« erwiderte Georginne, »von meinem Bräutigam nicht in solchen Worten zu reden. Denn wenn ich ihn schon hintergehe …«

Das hörte Paul Braczko noch seine Braut sagen, dann ließ er den Vorhang wieder fallen und schloss wieder die Tür. Er hatte genug gehört. Mehr brauchte er nicht…

Einen Augenblick lang stand Paul Braczko da wie ein Stier, dem man mit dem Hammer einen Schlag auf die Stirn versetzt hat.

Dann fuhr er sich mit der Hand über die Schläfen, als wolle er in sein Denken Zusammenhang bringen, und den Druck überwinden, der auf seinem Kopf, seinem Hirn lastete.

Er war totenblass, nur das Weiße in seinen Augen war blutunterlaufen und rot geworden, und seine Brust, seine mächtige, übermenschliche Brust, arbeitete und keuchte.

Jetzt zuckte er mit einem Mal auf, als steche ein schneidender Schmerz in ihn ein, gerade dort, wo das Herz war. Sein … Atem… stockte, und jetzt … jetzt lächelte er plötzlich.

Aber es war ein böses, gefährliches Lächeln.

»Also, euer dicker Athlet bin ich? Gut, gut, gebt nur Acht, dass der Athlet euch nicht seine Kraft zeigt.«

Und er straffte seine beiden Arme aus, ballte seine Fäuste zusammen und bog dann die Arme so nach innen, dass die Muskelballen sogar durch den Rock durch, wie Hügel zu sehen waren.

»So, so, sie hintergeht mich also… Hintergehen! Ein wunderbares Wort für vernichten, für töten, für um alle Hoffnungen des Lebens betrügen!«

Durch den Korridor musste sie ja wohl kommen? Es war das Beste, er machte mit der Sache gleich heute ein Ende. Und so trat denn auch er auf dem Korridor hinaus.

»Oh,« sagte Jons, der zufällig gerade vorbei kam, »wollen Sie schon fort?« und er beeilte sich, dem Bräutigam des jungen Fräuleins die Mütze vom Nagel und die Reitpeitsche zu geben.

»Ja, ich will fort. Der Johannes soll mir mit dem Wagen nachfahren. Ich werde ein Stückchen zu Fuß gehen.«

Eine Stunde später war Paul Braczko bei sich zu Hause.

»Wo werden Sie Abendbrot essen, Herr Paul?« fragte die alte Marianne, die den Kochlöffel als Zepter im Hause führte und damit natürlich auch das Regiment.

»Wo Sie wollen. Ich weiß überhaupt nicht, ob ich essen werde. Am besten wohl oben bei mir.«

Langsam stieg er die Treppen empor. Oben stieß er einen Seufzer aus und trat in sein Zimmer ein.

In seinem Schlafzimmer machte die Frieda, das bildhübsche Dienstmädel, gerade das Bett.

»Lassen Sie das sein, Frieda. Ich möchte allein sein.«

»Nur noch die Kissen, junger Herr, dann bin ich sowieso fertig.«

»Schön,« sagte er und stand da und wartete.

Als sie gegangen war, trat er vor den großen, langen Spiegel.

»Also, der ‘dicke Athlet’ gefällt dir nicht? Vielleicht hast du Recht. Ader diesen Laffen, diese geschniegelte, gemalte, gedrechselte Wachspuppe … die in den Auslagekasten eines Frisörgehilfen gehört, die … die mir vorzuziehen, das begreife ich nicht.«

Zweiunddreißig Jahre hatte er gewartet, ehe er sich wirklich verliebt, ehe er dieses sein Herz wirklich einem Weibe geschenkt hatte! Zweiunddreißig Jahr! Und jetzt hatte die … die … so mit ihm und seiner Liebe gespielt. Und wer war schuld? Er natürlich, dieser Iwolski, der die von Bergsche Gastfreundschaft derartig missbrauchte, um heimlich mit dem einen Mädel zu Iiebeln und ruhig zuzusehen, wie dieses sich mit einem anderen verlobte.

Aber warte du! Die Abrechnung kommt.

Sie aber? Ja, was mit ihr war, begriff er nicht; es war ihm einfach unfassbar, dass sie, gerade sie, die er für die Offenheit und die Wahrhaftigkeit selber gehalten hatte, ein solches Spiel mit ihm trieb…

In dem anderen Zimmer hatte die Frieda, die wiedergekommen war, indessen den Tisch gedeckt.

»Es ist angerichtet, junger Herr,« meldete sie.

»Gut, gut, ich komme schon.«

Tatsächlich kam er und setzte sich an den Tisch.

Die Frieda reichte ihm den Braten und die dampfenden Kartoffeln hin.

»Ich will nicht, geh’,« sagte er. »Hörst du denn nicht, dass du gehen sollst,« schrie er sie an.

»Mein Gott, ich gehe ja schon,« sagte sie und ging ganz erschrocken, um der alten Marianne unten ihr Leid zu klagen, denn so grob war der junge Herr noch nie zu ihr gewesen.

Paul Braczko saß da und schob die Teller weit fort. Er konnte nicht essen, aber trinken konnte er, trinken, immerzu trinken und einen und denselben Gedanken denken: Sie, Sie und immer nur Sie! Mein Gott, mein Gott, wie hatte er um sie geworben! Wie hatte er ihre Hände geküsst und ihre Augen und ihren Mund! Diese schönen, weichen, zarten, entzückenden Hände! Diese tiefen, schönen, schalkhaften und doch so seelenvoll dreinblickenden treuen, alles versprechenden Augen.

Treu?! Hahaha! Und er goss sich ein neues Glas von dem schweren Rotwein ein, und stürzte seinen Inhalt hinunter.

Ja, ja, die Augen und der Mund! Dieser heiße, rote, glühende, lachende Mund! Wie hatte sie schon gesagt? »Ich will nicht wie ein Küchenmädel überall geküsst werden!«

Aber in der Bibliothek, hinter dem Bücherschrank, von dem anderen, das ja! Dieser Hund! Dieser gemeine, russische Hund! In diesem Augenblick fiel sein Blick auf das Bild Georginnens, das rechts von ihm an der Wand hing und voll vom elektrischen Licht bestrahlt wurde.

Das liebliche Gesicht des entzückenden Mädchens schien auf ihn herab zu lächeln. Dieses Lächeln aber nahm ihm den Rest seiner Fassung.

»Nein …, nein …,« stammelte er, »du hast mich nicht … hintergangen … Du hast mir keine Lüge gesagt … Du hast nicht geleugnet dass du mit ihm gewesen bist. Du warst ganz gewiss nur bei ihm, um mit ihm zu brechen … Ich sah es ja selbst, du hast dich nicht küssen lassen …, auch nicht von mir!«

Und plötzlich schluchzte er laut auf, barg seinen Kopf in beide Hände und weinte und weinte. Es ist aber nicht gut, einen Braczko weinen zu sehen.

Am nächsten Tage ganz, ganz zeitig, ritt er zu Bergs hinüber.

»Du hast dich ja gestern auf Polnisch empfohlen,« sagte ihm Madeline die er schon draußen auf dem Hof antraf.

»Richtig, ja,« sagte er. »Seid mir nicht bös’, man weiß manchmal wirklich nicht, was man tut. Könnte ich nicht Georginne sprechen?«

»Ich glaube ja, obwohl ich sie heut’ selber noch nicht gesehen habe.«

»Vielleicht lässt du sie fragen?«

»Gewiss, Paul, gern. Willst du nicht indes deinen Fuchs einstellen?«

»Ich weiß nicht, ob es so lange dauern wird, aber wenn du meinst.«

Er überließ dem Stallknecht, dem Johann, das Pferd und schlug sich einige Mal ungeduldig mit seiner Reitgerte auf die hohen Schaftstiefel.

Dann sagte er: »Ich werde doch lieber drin auf sie warten,« und ging in das Haus.

Lange zu warten brauchte er nicht.

Sie trat sehr erstaunt, ihn zu dieser Stunde hier zu finden, bei ihm ein und sagte:

»Du hast mich zu sprechen gewünscht, was gibt es denn? Ist etwas los?«

»Ja,« sagte er. »Viel. Etwas, was, du kannst es dir vielleicht denken, über Leben und Tod entscheidet.«

»Über … Leben … und … Tod?« wiederholte sie wie mechanisch und wich unwillkürlich, sie wusste selbst nicht warum, vor ihm zurück.

Sie mochte wohl in seinem Blick etwas gesehen, aus seiner Haltung etwas entnommen und aus seiner Stimme etwas gehört haben, was, ihr eine, für sie vorläufig noch unerklärliche Furcht einflößte.

»Du scheinst mich nicht zu verstehen, du wirst mich aber sehr bald verstehen lernen,« sagte er.

»Ich liebe es nicht, auf dem Busch bloß herumzuklopfen, ich liebe auch das Lügen und Heucheln nicht, sondern ich habe es immer für die Richtschnur meines Lebens gehalten, – wie ja wir Ostpreußen alle, – gerade und offen in allem zu sein. Das andere überlasse ich Leuten vom Schlage wie … Aber wozu Namen und Beispiele nennen, wo du ja doch zweifellos ahnst oder weißt, worum es sich handelt, denn sonst …, begreife ich ja wirklich nicht die Angst, die du zeigst!«

»Ich habe keine Angst…,« stammelte sie, er jedoch unterbrach sie und machte eine Handbewegung dabei, die ihr andeutete, dass sie jetzt nicht zu reden habe.

»Lass’ das, lass’ das,« sagte er. »Es genügt ja ein Wort von mir, ein einziges, um dir klar zu machen, dass dein ganzes Doppelspiel von mir durchschaut ist.«

»Paul!« rief sie aus, und sah ihn, ihre Energie mit einem Male wiedergewinnend, mit flammenden Blicken an.

»Lass’ das, hab’ ich dich schon früher gebeten. Es nützt dir ja doch nichts, denn ich…«, und der Zorn erfasste ihn nun: »Ich war gestern dort!«

Er zeigte auf die Tür, die zum Bibliothekszimmer führte.

»Ja, dort, als du angeblich auf dein Zimmer gegangen, in Wahrheit aber mit dem andern beisammen warst. Mit dem andern,« schrie er in plötzlicher Berserkerwut aus. »Verstehst du, was das, heißt?«

»Ja …,« sagte sie und wich vor ihm zurück, wie um hinter dem Tische Deckung und Sicherheit zu suchen.

Er aber hatte gleich wieder seine scheinbare Ruhe wiedergefunden.

»Was ist da weiter zu tun? Was ist da weiter zu sagen?« rief er, »der dicke Athlet!«

»Hast du das auch gehört?!« rief sie erregt. »Kann ja abgeh’n,« setzte er aber, ohne auf sie zu hören, das Begonnene fort. »Wenn ich ihn hintergangen habe …! Hahahaha …, hintergangen! Gib du nur Acht, dass du nicht die Betrogene bist, denn glaube nicht, dass ich das so hinnehmen werde. Ich werde, das schwöre ich dir, die furchtbarste Rache nehmen, die es gibt. Weißt du vielleicht,« und er zerrte und suchte in seiner Tasche nach etwas, »was das ist?«

Sie schrie auf und streckte ihre Hände wie abwehrend gegen ihn vor, als könne sie das vor dem entsetzlichen Dinge, dem kleinen Bulldogg-Revolver schützen, der in seiner Hand blitzte.

»Siehst du, mit diesem Dinge da kann ich alles tun, was ich will. Dich niederschießen, ihn oder beide. Aber, hab’ keine Angst, ich tue keines von beiden, denn du liebst ihn doch, nicht wahr? Deinen Russen.«

»Nein,« sagte sie und sah ihn fest dabei an.

Er aber lachte.

»Lüg’ doch nicht. Du musst ihn ja lieben, sonst hätte die ganze Sache ja gar keinen Zweck. Ich weiß ja, ich denke mir ja, wie es ist. Lieben und Leben, nicht wahr, Georginne, sind zweierlei. Für die Liebe …, da wolltet ihr sorgen, das ist ja so leicht, wenn nur ich die Sorge fürs Leben übernahm! Ich war ja reich und er hat doch nichts! Ja, ja gib es doch zu, dass das nur allein der Grund war. Warum aber auch nicht? Zwischen uns, das siehst du ja doch, muss jetzt alles vorbei sein. Drum kauf’ dir doch deinen Liebsten. Ich…, siehst du, will dir ja gerne dabei behilflich sein. Ich selbst gebe dir das Geld dazu. Denn das weißt du ja nicht, dass ich dir am Tage unserer Verlobung mein ganzes Vermögen sichergestellt habe.«

Sie sah ihn fassungslos an und führte, wie erschreckt, ihre Hand nach dem Munde.

»Ich pflege nämlich meine Sachen nie halb zu machen,« fuhr er in seiner zynisch sarkastischen Weise fort, »und wenn ich zufällig nicht mehr wäre, dann könntest du ihm ja mit Leichtigkeit das zahlen, was er, um dich zu besitzen, verlangt.«

»Paul!« schrie sie auf, »was hast du vor, was willst du tun?!«

»Nichts,« sagte er. »Bleib’ du ganz ruhig stehen, wo du stehst, und falls du das Schießen am Ende nicht mehr verträgst, dann schließe einen Augenblick lang deine Augen.«

War es nun Suggestion, oder was war es? Sie schloss aber ihre Augen tatsächlich. Nur einen Augenblick lang, nur eine Sekunde lang, und dann sah sie, dass er die todbringende Waffe an die eigene Schläfe angelegt hatte.

Einen wilden, wahnsinnigen Schrei ausstoßend, war sie mit einem Satze bei ihm und schlug ihm gerade in dem Augenblick die Waffe zur Seite, in dem der Schuss krachte.

Die Kugel flog irgendwo in die Wand, und der Kalk rieselte knisternd über die Tapete hinab.

Paul Braczko stand, die Waffe immer noch in seiner Hand, wie ein aus einem schweren Traume Erwachender da.

Vom Nebenzimmer stürzte Madeline, vom Korridor der alte, unvermeidliche Jons herbei.

Georginne aber, die wie außer sich war, rief:

»Kommt doch, kommt! Ich bitte euch, kommt alle! Ruft auch den Kurt, und ruft auch Malvine: Malvine vor allem, damit dieser Narr, sieht, was er beinahe getan hat!«

»Beruhige dich doch, Kind. Was ist denn geschehen? Was hattet ihr denn miteinander?«

»Nichts, gar nichts. Ich sage kein Wort, ehe nicht dein Mann und Malvine da sind. Ihr, ihr sollt meine Richter sein, zwischen mir und dem da.«

»Gehen Sie, Jons. Suchen Sie den Herrn zu finden und sagen Sie ihm, er möge herkommen und Fräulein Malvine sagen Sie’s auch. Ich verlasse mich aber darauf, Jons, dass Sie von dem, was hier vorgegangen ist, keine Silbe gegen andere verlauten lassen.«

»Da können sich gnädige Frau wohl verlassen,« sagte der Diener und ging.

Madeline sah ratlos auf die beiden hin, von denen der eine in einen Stuhl gesunken war und, sein Gesicht in beide Hände vergrabend, seinen Schmerz gewaltsam zurückzudrängen und zu verbeißen suchte, während die andere bleich und mit keuchendem Atem dastand und keinen Blick von ihm verwandte.

Madeline, die früher schon den Versuch gemacht hatte, aus ihrer Schwester eine Erklärung herauszubekommen, trat jetzt zu dem fassungslosen Paul Braczko hin.

»Komm’, Paul,« sagte sie und strich ihm mit ihrer Hand über das Haar, »sage d u mir, was es war. Es wird ja so furchtbar nicht sein.«

Da hob er sein Haupt und sah sie mit seinen schmerzdurchfluteten Augen an, in denen die Tränen kämpften. Als aber sein Blick mit einem Male auch die andere traf, die, die er so wahnsinnig liebte, da war es mit dem Kämpfen vorbei.

Das Kind in ihm, das Kind in diesem riesigen Körper eines ‘dicken Athleten’ siegte, und schluchzend hielt er die Tröstende fest, seinen Kopf wie ein Hilfloser an sie anschmiegend und lehnend.

Bei diesem Anblicke schmolz aber auch das Starre Georginnens hinweg. Halb gegen ihren Willen und halb von diesem gedrängt, machte auch sie einen Schritt auf Paul Braczko zu und:

»Du dummer, guter, guter Paul,« sagte sie und fuhr ihm auch mit ihrer Hand durch sein Haar.

Da – weinte er noch leiser.

»Na, wo brennt’s denn?« fragte in diesem Augenblicke Herr von Berg, der, von Malvine gefolgt, eintrat.

»Nanu, was ist denn hier los?« fragte er dann ganz erstaunt, als er die ihm unerklärliche Gruppe erblickte.

»Nichts,« sagte Georginne, »ich möchte nur, dass ihr mit anhört, was ich dem da, was ich Paul Braczko zu sagen habe. Bitte, setzt euch, denn die Sache kann vielleicht länger dauern.«

»Siehst du, Paul,« sagte sie, »ich habe dich wirklich, als ich mich mit dir verlobte, hintergangen. Ich hätte dir freimütig sagen sollen, dass ich mich, als dummes, unreifes Mädel, tatsächlich in einen andern, in Herrn von Iwolski, vergafft hatte. Was so eine dumme Backfischliebe ist, das wisst ihr ja. Damals schon, und das war zu der Zeit, wo die beiden Häuser Berg und Mertinat, noch in so grimmiger Feindschaft lebten, also lange, bevor du, lieber Paul, daran dachtest, dich in mich zu verlieben, lange, ehe er mit Roths zu uns herkam, hatte sich mir Herr von Iwolski genähert, der unten im Dorfe gewohnt hatte. Mir machte die Sache natürlich viel Spaß, und welchem Mädel von knapp siebzehn Jahren hätte sie’s nicht gemacht? So trafen wir uns denn fast jeden Tag und zu jeder erdenklichen Stunde im Walde. Mir schien die Sache ganz ungemein romantisch und schön. Der Wald, dieser Wald, der sowieso so viel Zauber und so viel Anziehungskraft für mich hatte, hatte einen neuen, geheimnisvollen Reiz für mich gewonnen: er war der Zeuge meiner ersten, so überaus romantischen und geheimnisvollen Liebe geworden! Hörst du wohl, Paul?«

Paul Braczko saß da, den Arm auf die Lehne des Stuhles und den Kopf in die Hand gestützt. Man konnte wirklich nicht wissen, ob er hörte, oder ob das, was Georginne erzählte, nur wie ein unverstandenes Rauschen an ihm vorüberging. Jetzt aber nickte er, ohne die Stütze seines Kopfes aufzugeben und seufzte tief auf.

»Natürlich,« fuhr Georginne in ihrer Beichte fort, »weihte ich ihn in alle unsere Verhältnisse ein. Damals empfand ich diese – sei mir nicht böse, Madeline – noch wie ein Unrecht, das an uns begangen wurde. Und wie ich diesem Unrecht von jeher zu begegnen gesucht hatte, das wisst ihr ja. Er erfuhr es auch. Ich selbst sagte es ihm ja, und er bestärkte mich in meinen Ansichten und gab mir sogar den Rat, mich doch nicht auf die paar Fasanen und Hasen zu beschränken, sondern, was ja viel, viel mehr Freude mache, auch einmal Rehwild zu schießen, ja sogar, denn das ärgere und fuchse die Förster am meisten, hier und da mal auch eine Ricke.«

»Donnerwetter!« fuhr der Gutsherr auf.

Georginne aber lächelte ihm zu: »Du kannst ganz ruhig sein, Schwager Kurt, getan hab’ ich das nie; auch als Wilderer blieb ich, trotz allem, wenigstens vom Jägerstandpunkte aus, ein ganz anständiger Kerl.«

»Auf unseren Streifzügen durch den Wald, zu denen sich unsere Stelldicheine gestalteten, fragte er mich immer viel über unsere Heimat aus. Über die ganze Gegend, über alle Bewohner, und als ich ihn eines Tages lachend fragte, wie es denn eigentlich komme, dass er für unser schönes, liebes Land so viel Sinn und so viel Interesse habe, da gestand er mir, dass es nicht nur deshalb so erklärlich sei, weil es m ein e Heimat sei, sondern weil auch seine Mutter eine Ostpreußin und gerade aus dieser Gegend gewesen sei.«

Man merkte an der Bewegung das Staunen Madelinens und ihres Mannes.

Selbst Braczko sah von seiner Hand auf, verfiel aber dann gleich wieder in seine alte Apathie.

Malvine aber nickte, wie eine, die das alles schon wusste und ihrer Schwester bestätigen konnte.

»Er,« fuhr diese fort, »nannte mir auch den Namen seiner Mutter, und später entdeckten wir erst, nicht wahr Malvine, dass diese Kathinka Makunisch die Braut gewesen war, die einst ein Russe einem Burschen entführt hatte, der … Grundmoser hieß.«

»Wie sagtest du?!« rief Herr von Berg, durch die Erzählung auf das Höchste erregt.

»Der Grundmoser hieß und, wie ihr wisst, den Schmerz bis auf den heutigen Tag nicht verwunden hat. Ich fühlte mich durch das alles erst recht in die wunderbarste Romantik verstrickt, tatsächlich aber waren es ganz andere Stricke, die mich banden. Er verlangte Nachrichten, Auskundschaftungen von mir, die mir umso seltsamer schienen, als sie für ihn persönlich gar keinen Wert haben konnten. Garnisonverhältnisse, Namen von Offizieren, alles Mögliche, was ich in unserer Weltabgeschiedenheit gar nicht wissen konnte, nicht wahr? was zu erfahren er mich aber zwingen wollte. Ja, zwingen,« rief sie aus, und das helle Rot der Empörung trat bei dem Gedanken noch jetzt in ihre Wangen.

»Weiter, weiter,« drängte Herr von Berg.

Paul Braczko hatte seine Hand längst von der Stuhllehne sinken gelassen und sah jetzt, wie aus einer anderen Welt, zu dem Mädchen hinüber.

»Er hatte mich ja in seiner Hand, er drohte mir ja mit der Anzeige wegen Wilderns. Er malte mir es aus, wie reizend es wäre, wenn ich in die Koza7 käme …«

»Der Schuft! Der Schuft!« rief Herr von Berg aus und stand auf und ging empört und erregt in dem Raume auf und ab, um, als Georginne weiter fortfuhr, dicht vor ihr stehen zu bleiben.

»Natürlich genügte ihm dieser Zwang nicht. Die Macht, die er durch meine jagdlichen Verfehlungen über mich gewonnen hatte, war ihm zu wenig, er wollte mich ganz in seiner Gewalt haben und … weiß Gott, was in meiner Todesangst noch aus mir geworden wäre, wenn du mich nicht gerettet hättest.«

Sie sah und zeigte dabei auf Berg.

»Ich?« rief dieser erstaunt und machte eine Bewegung, als verstehe er wirklich nicht, wie er dazu komme.

»Ja, du, durch deine Verurteilung nach Königsberg. Dadurch und dadurch allein wurde ich gerettet. Verstehst du wohl, Paul: gerettet!«

»Alles andere,« fuhr sie fort, »ist schnell erzählt. Ich gab mich dazu her, jetzt, wo er wieder hier war und wo ich nichts mehr zu fürchten hatte, wo mein Wildfrevel gesühnt war, nicht wahr, Schwager, das war er doch? – ihn in meine Hand zu bekommen, und zwar dadurch, dass ich die Komödie der Liebe weiter mit ihm spielte. Und ich muss sie sehr gut gespielt haben,« sagte sie, und in den Ton ihrer Stimme kam eine plötzliche Bitterkeit, »denn nicht nur er ließ sich täuschen und gab mir langsam, fast ohne es selber zu wissen, alle Fäden seines schändlichen Treibens in die Hand. Eines Treibens, das ich jetzt erst verstehe, denn was wusste ich denn damals, dass gute Freunde, wie wir und wie Russland es sind, trotzdem gegeneinander spionieren? Nein, ich spielte so gut, dass auch ein anderer sich täuschen ließ. Du, Paul. Nein, nein, sage nichts, ich bitte dich, um Gottes Willen, sage kein Wort, denn der Schein war ja gegen mich. Dass du aber, du Paul, nach dem Schein über mich urteilen konntest, das werde ich dir nie vergessen…«

»Oh!« rief er aus, »verzeih’ mir doch, verzeih’,« und er sank vor ihr in die Knie und barg seinen Kopf in ihren Schoß und umklammerte sie und hielt sie und presste sie mit seinen starken, starken Armen an sich.

»Was ich dir nie vergessen werde,« wiederholte sie, »ebenso wenig, wie ich je vergessen werde, dass du für mich hast sterben wollen.«

Er sah, als hätte er falsch gehört, wie verstört zu ihr empor. Als er aber den Ausdruck der Liebe in ihren Augen sah, da schrie er laut auf und sprang empor und fasste sie, wie noch nie eines Mannes Arm sie gehalten hatte.

Dann plötzlich aber ließ er sie los und lief hinaus.

»Paul! Paul!« riefen die andern und eilten Ihm nach. »Wo willst du hin?«

»Umbringen will ich den Schuft!« rief er, »und ihm danken, dass er mir deine Liebe wiedergegeben hat.«

Sie hatten Mühe, ihn von seiner Absicht zurückzuhalten und ihn, teils mit Gewalt, teils durch zureden, ins Zimmer zurück zu lotsen.

Er sah aber absolut nicht ein, warum er mit dem Schuft nicht auch ein Wörtchen reden sollte, und zwar gerade jetzt, wo er so viel Wut und so viel Glück im Herzen hatte. Aber schließlich bekehrte er sich doch zu der- Ansicht, dass es im Interesse des Vaterlandes, das da in erster Reihe ins Treffen kam, tatsächlich besser sei, den sauberen Herrn ganz in die Hand zu bekommen, während es vom persönlichen Standpunkte aus allerdings ein Vergnügen gewesen wäre, ihm einen kleinen Begriff davon beizubringen, was eine ostpreußische Faust für einen Eindruck auf eine russische Kehle machen könne.

Im Verlaufe des weiteren Familienrates wurde somit beschlossen, sich, so gut es ging, den Anschein zu geben, als wisse man von nichts; man wollte dafür aber dem Landrat einen Wink geben, wie es mit dem russischen Besucher stand.

Nur, wie man sich Roths gegenüber verhalten sollte, das wusste man nicht, darüber musste man sich erst schlüssig werden, denn, dass die Roths von der Rolle nichts wussten, die ihr Sekretär da gespielt hatte, dafür konnte man seine Hände ins Feuer legen.

Aber der Paul! Der Paul Braczko mit seinem Temperamente und seiner Wut war eine Gefahr, und darum musste er sich, so schwer’s ihm auch ankam, eine kleine Verbannung gefallen lassen, denn er verdarb sicherlich alles, der ‘dicke Athlet’.

Als so eine vollständige Einigung erzielt worden war, konnte man an das Tagewerk, oder die Erledigung dessen gehen, was einem am meisten auf dem Herzen lag. Was das aber speziell bei Paul Braczko war, das braucht wohl nicht erst gesagt zu werden, zumal Georginne sich bereit erklärte, ihm auf seinem ‘Spazierritt nach Hause’ das Geleite zu geben.

Bevor sie aber ging, trat sie noch zu ihrer Schwester Malvine.

»Mein armes Schwesterchen du,« sagte sie und umschlang sie voll Zärtlichkeit. »Du bist das einzige, wirkliche Opfer von der ganzen Sache.«

»Wieso?« fragte Kurt von Berg, der den Ausruf gehört hatte, erstaunt.

»Weil das für sie der Grund ist, dass sie sich mit Bogdan noch immer nicht verloben wollte. Sie will keine Russin werden. Selbst nicht als Frau des Mannes, den sie liebt, und selbst nicht als Frau eines Russen, der seinem Stamm und seinem Herzen nach ein so guter Deutscher ist, wie Bogdan.«

»Das kann ich ihr nachfühlen,« sagte Paul Braczko, der eigentlich seit heute erst die Russen hasste…

7."Koza": Litauisch-polnisch für Gefängnis.

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04 aralık 2019
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