Kitabı oku: «Comanchen Mond Band 2», sayfa 11
8. Kapitel
In dem Moment, in dem der Pawnee die in gebrochenem Englisch fluchende Stimme gehört hatte, wusste er, dass er mit seiner Vermutung richtig lag. Zugleich wurde ihm klar, dass das Anzünden der Zelte nur ein Ablenkungsmanöver sein konnte. Wer auch immer dort oben auf dem steinigen Berg gewesen war, hatte die Verwirrung genutzt, um von dort zu entkommen. Die beiden Soldaten, die hochgeklettert waren, hatten nur noch eine tote Frau vorgefunden. Ein boshaftes Lächeln huschte über sein von Pockennarben entstelltes Gesicht. Und diejenige, die dazu beigetragen hatte, die war noch hier. Eine Frau, dachte er und spuckte aus. Die Stimme war eindeutig die einer Frau gewesen – kein Krieger – leichtes Spiel also. Die am Flussufer hin und her huschenden Fackeln beobachtend, dachte er nach. Dort oben in der Höhle war nicht nur eine Frau gewesen. Nein, er würde das niemals glauben. Die hier unten hatte dafür gesorgt, dass der Rest entkommen konnte.
Der Pawnee ließ die allmählich verebbenden Rufe der Männer in sein Ohr – machte die Richtungen aus, in die sie unterwegs waren, und orientierte sich anders. Sie würde nicht dort sein – nicht, wo die Soldaten sie suchten. Entschlossen stieß er seinem Pferd die Fersen in die Seiten, lenkte es langsam hinunter zum Fluss und machte sich auf den Weg. Sein Instinkt würde ihn nicht täuschen.
Summer-Rain erreichte indessen wieder den Baum, schlängelte sich durch die Wurzeln hindurch und bedauerte zum ersten Mal, keinen Bogen bei sich zu haben. Ihre Waffen hatte sie bei ihrem Pony gelassen. Ein einziger Pfeil hätte gereicht, um den Pawnee zu erledigen. Soeben erschien er mit seinem Pferd oben auf einem kleinen, mit dichter Böschung überwachsenen Wall, der hier herunter bis ins Wasser führte. Sich der einzigen Waffe im Stiefel versichernd, war sie froh, wenigstens das Messer zu haben. Am diesseitigen Ufer brannten wieder überall Feuer.
Wo sollte sie hin? Auf der anderen Seite, wo der Canyon war, lag das Gelände im Dunkeln. Um dort hinüberzuschwimmen, würde sie zu lange brauchen, und das war wegen des Pawnee zu gefährlich. Hätte sie doch auf Großmutter gehört und besser Schwimmen und Tauchen gelernt. Bedauernd blickte sie über das dunkle Wasser.
Die Soldaten gaben jetzt anscheinend die Suche auf und zogen sich in ihre Zelte zurück. Die Streife, die das Lager umrundete, war verstärkt worden. Bis auf den Pawnee konnte sie keinen weiteren Mann am Ufer entdecken. Die Patrouille, die in einem Halbbogen das Lager umritt, kam dem Fluss nicht nahe, so viel wusste sie inzwischen. Bisher boten ihr die Wurzeln des in den Fluss hineinragenden Baumes genügend Schutz. Sie musste eben abwarten – irgendwann würde dieser Pawnee auch verschwinden. Doch der Indianerscout dachte gar nicht daran – im Gegenteil. Soeben lenkte er sein Pferd vorsichtig die Böschung abwärts zum Wasser. Summer-Rain stieß sich von den Wurzeln des Baumes ab und watete im Schatten der überhängenden Weiden, die das Ufer säumten, dort entlang weiter flussabwärts. Das Wasser war hier ziemlich flach. Sie konnte das Pferd hören; dann aber wurde das Ufer steiler, und der Pawnee ritt wieder hinauf.
Summer-Rain wartete, lauschte, dann duckte sie sich unter einen Überhang aus Gras und Erde. Der Mond kam hinter einer Wolke hervor. Das Wasser vor ihr glitzerte in seinem Schein. Fröstelnd schlang sie die Arme um sich. Noch tiefer in den Überhang hineingeduckt, horchte sie. Nur das Rauschen des Flusses war zu hören. Der Pawnee war noch da, sie konnte ihn spüren. Die Nacht hüllte alles in ein dunkles Grau. Nur das Stück vom Ufer bis zur Mitte des Flusses erhellte der Mond.
Die Luft anhaltend sah sie dort direkt vor sich auf dem Wasser einen Schatten: der Pawnee. Genau, wie sie ihn spüren konnte, musste es auch ihm ergehen. Sie sah, wie sich der Schatten leicht bewegte – er suchte das Ufer ab. Nun gut, sagte sie sich, soll er doch. Über ihr begann die Erde zu bröckeln. Geräuschlos glitt sie von dem Überhang weg, in schlammigen Sand hinein, seitlich in eine neue Deckung. Der Schatten über ihr bewegte sich flussaufwärts, entfernte sich, blieb stehen, glitt wieder zurück, verschwand.
Da sah sie seine Silhouette erneut auf dem Wasser. Durch leichte Wellen bewegt, zerriss er und entstand von Neuem. Ein kleiner Ast trieb flussabwärts, zerteilte die Ränder, schwamm weiter, den Schatten zurücklassend. Sie ließ ihn nicht aus den Augen. Lange verharrte der Pawnee schräg über ihr so. Dann schien es, als würde er sich endlich entfernen. Der Schatten war weg. Das Schnaufen des Pferdes deutete darauf hin, dass es zurückging. Zehn Herzschläge weiter stand es wieder still. Etwas hatte die Aufmerksamkeit seines Reiters erregt. Er sprang ab. Sie hörte, wie er auf dem Boden aufkam. Keine Mokassins, dachte sie wie nebenbei – Stiefel.
Er ging bis zum Uferrand, verharrte dort in der Hocke. Plötzlich rutschte er die Böschung abwärts.
In diesem Augenblick ließ sie sich bis zum Kinn ins Wasser hinein gleiten, mitten in einem Gewirr aus Wasserpflanzen. Der Pawnee war nur fünf Armlängen von ihr entfernt im Sand gelandet. Sie hörte, wie er seine Stiefel auszog. Geräuschlos griff sie nach einem dicken Ast, der von flussaufwärts direkt auf sie zukam, zog ihn heran und verbarg ihren Kopf dahinter. Sie sah, wie er ins Wasser watete, direkt auf sie zu. Sein Gesicht kam aus dem Schatten, den die Uferböschung warf, heraus, und sie konnte es sehen. Auf seine Stirn waren zwei weiße Striche gemalt, auch über der Nase, die Wangen und das Kinn. Kriegsfarbe, dachte sie. Kriegsfarbe im Kampf gegen Comanchen. An den freien Flächen bedeckten tiefe Pockennarben seine Haut wie Einschusslöcher.
Der Mond stand vor einem Teil des Himmels, der jetzt wolkenlos war, und schien auf seinen bis auf die Skalplocke glattrasierten Schädel. Das kantige, markante Gesicht mit den hervorstehenden Wangenknochen und der großen, gebogenen Nase bot sich ihr offen dar. Unter der wulstigen Stirnpartie fast verborgen, suchten schmale Augen die Wasseroberfläche ab. Als ob ihre Blicke ihn angezogen hätten, wandte er den Kopf jetzt direkt zu ihr. Vorsichtig glitt er weiter ins tiefere Wasser. Dann blieb er stehen. Aufmerksam suchte er erneut den Fluss vor sich ab. Sich umwendend und flussaufwärts dicht an ihr vorbeiwatend entfernte er sich von ihr.
Aufatmend ließ Summer-Rain den Ast los. Sobald er ihr den Rücken zudrehte, tauchte sie bis zum Mund unter und glitt zurück zum steilen Ufer. Bevor sie in der Dunkelheit unter überhängendem Gras, Wurzeln und feuchter Erde verschwand, verwischte sie die Spuren, die sie verursacht hatte, lautlos mit ihren Händen. Der Pawnee befand sich jetzt in der Mitte des Flusses, drehte sich schwimmend herum und betrachtete von dort aus das im Halbdunkel liegende Ufer, von dem er nur die Umrisse erkannte. Es war noch nicht vorbei. Das Wasser mit den Armen durchpflügend kam er wieder zurück. Seine Bewegungen waren schnell und kraftvoll. Er schwamm gut und hielt direkt auf die Stelle zu, die er kurz zuvor verlassen hatte.
Summer-Rain griff in ihren Stiefel und tastete nach dem Messer. Sich aufmerksam umblickend watete der Pawnee ans Ufer und weiter dort entlang. Vier Schritte von ihrem Versteck entfernt blieb er stehen.
Sie hielt den Atem an. Die Gestalt vor ihr war leicht nach vorn gebeugt. Im Halbdunkel suchte er nach Spuren. Summer-Rain war sicher, dass er nichts finden würde. Auf einmal drehte er sich zum Wasser zurück, horchte, die Hände auf die Knie gestützt. Auch er besaß ein Messer, wie sie sehen konnte. Es steckte hinten in seinem Gürtel, der die Uniformjacke zusammenhielt. Doch er hatte keinen Revolver.
Blitzschnell stieß sie sich von der erdigen Wand ab, erreichte ihn mit zwei Sätzen und hatte schon ausgeholt, um ihm ihr Messer ins Genick zu rammen, als sie mühelos von ihm abgefangen wurde. Es war, als hätte er nur darauf gewartet. Kraftvoll hielt er ihr Handgelenk fest und bog es nach unten, bis ihr das Messer aus den Fingern glitt. Obwohl sie so dicht beieinander waren, konnten sie ihre Gesichter nicht sehen. Summer-Rain versuchte, ihn mit ihren Füßen zu Fall zu bringen. Vor Anstrengung keuchend, wehrte sie sich verzweifelt. Seine Muskeln in den Oberarmen spannten sich durch den Uniformstoff, während er ihr den Arm nach hinten verdrehte und sie so auf die Knie zwang.
Das Geräusch eines Messers, wenn man es aus der Scheide zieht, bewirkte, dass sie sich zur Seite warf. Sie gewann etwas Raum, spürte, wie der Druck auf ihr Handgelenk nachließ, doch schon war er über ihr, holte aus und stieß zu. Sie war schneller, rollte sich unter ihm hindurch und rammte ihm ihr Knie – so kräftig sie konnte – in den Schritt. Zwar konnte sie sein schmerzverzerrtes Gesicht nicht sehen, doch die Wirkung war unverkennbar. Zischend, mit vor Schmerz zusammengepressten Lippen, krümmte sich der Pawnee, das Messer noch in der Hand. Während er versuchte, sich wieder aufzuraffen, tastete sie in fliegender Hast nach ihrem Messer, konnte es aber nicht finden; stattdessen stießen ihre Finger gegen einen Stein. Ohne zu zögern krümmte sie ihre Finger darum, holte aus und schmetterte ihn dem halb aufgerichteten Pawnee mit voller Wucht gegen die Schläfe. Sie hatte ihn nicht genau sehen, aber spüren können. Mit einem dumpfen Geräusch brach sein Wangenknochen. Sie sprang auf, holte noch einmal aus, zielte genauer – denn nun sah sie ihn besser – und traf seinen blanken Schädel.
Wie ein gefällter Baum fiel der Pawnee neben ihr in den aufgewühlten Sand. Hastig suchte sie weiter nach ihrem Messer, dann gab sie es auf und erinnerte sich an seines. In diesem Augenblick kam der Pawnee wieder hoch. Bevor sie auch nur einen einzigen Gedanken verschwenden, auch nur ansatzweise darüber nachdenken konnte, hatte sie ihm das Messer schon aus der Hand gerissen und ihm in den Bauch gerammt. Der Pawnee krümmte sich, blickte zu ihr auf und das Letzte, was er trotz des Halbdunkels noch wahrnehmen konnte, waren hell schimmernde Augen über einem zusammengekniffenen Mund.
Summer-Rains Atem ging schwer, während sie sich eine Haarsträhne aus der Stirn wischte. Ein Mondstrahl hatte sich bis zu ihr verirrt. Der Mann vor ihr regte sich nicht mehr. Eine große Leere breitete sich in ihr aus. Sie empfand nicht einmal Triumph oder Bedauern – kein Mitleid, gar nichts. War einfach nur froh, noch am Leben zu sein. Langsam beruhigten sich ihr Herzschlag und ihr Atem. Sich die Hände nahe ans Gesicht haltend, starrte sie auf ihre zitternden Finger. Es ist vorbei, sagte sie in Gedanken und atmete gierig die kalte Nachtluft ein. So verharrte sie mit geschlossenen Augen einige Augenblicke. Doch sie konnte nicht ewig hierbleiben. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, als sie nach den Armen des Pawnee griff, um ihn zum Wasser zu ziehen. Auf das, was hier geschehen war, sollte keine Spur hindeuten, niemand sollte ihn finden – nicht die Soldaten, nicht seine eigenen Leute; die schon gar nicht. Tiefer ins Wasser hineingleitend zog sie ihn hinter sich her. Erst als sie kaum noch stehen konnte, stieß sie ihn zur Mitte in die sanfte Strömung. Zu spät fiel ihr ein, ihm sein Messer aus dem Bauch zu ziehen, suchte noch einmal im Sand nach ihrem eigenen, konnte es aber weiterhin nicht finden. Enttäuscht gab sie auf, denn sie musste von hier verschwinden. Was wäre, wenn die berittene Wache bis hierher kam? Vorsichtig, jede Deckung nutzend, kroch sie am Ufer entlang zurück. Der sicherste Weg führte noch immer drüben, auf der anderen Seite, durch den Canyon. Sie beschloss, sich zu verstecken und so lange zu warten, bis es gefahrlos für sie war, hinüberzuschwimmen. Erst musste das gesamte Lager fest schlafen.
Inzwischen befand sich Oberstleutnant Smith wieder vor seinem Zelt. Irgendwie irritierte es ihn, den Pawnee nicht in der Nähe zu sehen. Es musste für ihn doch eine große Genugtuung sein, seine Behauptung, was die Geräusche dort oben betraf, bestätigt zu wissen. Seltsam, fragte er sich jetzt – warum ist er nicht hier? Zumindest mit dem ersten Morgengrauen erwartete er ihn zu sehen. Bevor er sich weiter wundern konnte, kamen drei Mann der Patrouille zu Fuß aus dem Dunkel heraus in den Schein des neu entfachten Feuers vor seinem Zelt. Da es die abgelöste Streife war, machten sie nur kurz Meldung. Jetzt wollten sie wieder hinüber auf die andere Seite, zu ihren eigenen Leuten. Die Männer waren müde und nicht gerade gut auf Smith zu sprechen – hatte er doch darauf bestanden, dass auch seitens der Artillerie eine Wache zu stellen war. Sich erinnernd fanden sie die flache Stelle, an der sie den Fluss überqueren konnten.
Summer-Rain lag ganz in ihrer Nähe im dichten Schilf versteckt und erkannte zu ihrer Freude, wo die Furt entlangführte. Nachdem sie beobachtet hatte, wie die Männer das andere Ufer erreicht hatten, wartete sie ab, bis der Mond wieder hinter dichten Wolken verschwunden war. Dann folgte sie ihnen. Unbemerkt erreichte sie ein flach ansteigendes Ufer. Weiter oben entdeckte sie eine kleine Böschung und hielt darauf zu. Kurz bevor sie sie erreichte, kam der Mond wieder hinter den Wolken hervor. Sie wartete, bis er verschwunden war. Noch immer konnte man den Duft der Pferdeherde riechen, konnte im hellen Mondlicht die tiefen Abdrücke der unbeschlagenen Hufe erkennen. All das erschien ihr so unwirklich, so falsch, dass ihr beklommen zumute war.
Die Böschung erreichend suchte sie im hohen Gras Schutz. Dort lag sie eine Weile still, nur das Gelände vor sich im Auge. Der Canyon. Von hier aus konnte sie seine Umrisse erkennen – auch die Felsen, durch die der Fluss kam. Linker Hand, nur etwa sechs Schritt von ihr entfernt, stand ein Zelt. Sie sah Wagen stehen, einige weitere Zelte und die beiden Geschütze, deren Rohre jetzt kalt und gelangweilt über den Fluss hinüber zeigten. Ein weiterer Wagen war abgedeckt. Dort stand dieses Ding, das unentwegt Feuer spucken konnte. Sie erkannte das Gestell mit dem dicken Rohr, das sich durch die Plane abzeichnete.
Vor einem fast erloschenen Feuer, etwa fünfundzwanzig Schritte weiter, saß die abgelöste Wache, die kurz vor ihr über den Fluss gekommen war. Ihre Stimmen drangen bis zu ihr. Gerade entschloss sie sich, einen weiten Bogen um sie zu machen, da kamen weitere Männer vom Fluss herauf. Hastig kroch sie zurück und machte sich so klein wie möglich. Einer der Männer erhob sich und ging in ihre Richtung. Seine beiden Kameraden gesellten sich zu den drei Männern am Feuer und blieben dort.
„Verflucht, ihr habt meinen gesamten Whiskeyvorrat ausgesoffen“, hörte sie einen der Neuankömmlinge sagen. Bei diesen Worten flog eine leere Flasche durch die Luft. Scheppernd landete sie auf einem der Metallstäbe, mit denen das Zelt vor ihr am Boden festgehalten wurde. Die Flasche zerbrach.
„He, du machst das sofort weg – oder soll sich da jemand morgen Früh an den Scherben die Zehen aufreißen?“
Der Mann, der sie ausgetrunken hatte, fluchte und stand auf. „Bin doch schon unterwegs, Mann“, setzte sich der so Zurechtgewiesene reumütig in Bewegung.
„Hat jemand von euch seine Klamotten da hingeworfen?“ Der, der auf sie zukam, deutete direkt auf sie. „Ich glaub, da liegt was rum, was dort nicht hingehört. He, Leute …“ Jäh verstummt er.
Summer-Rain sprang auf. Geistesgegenwärtig versuchte der Mann, ihr den Weg zu verstellen. Sie rannte, wich ihm aus, rannte im Zickzack um ihr Leben. Plötzlich waren alle auf den Beinen. Sämtliche Soldaten der Artillerie befanden sich in heller Aufregung. Auch aus den höhergelegenen Zelten stürzten Soldaten ins Freie. Schüsse, in die Luft gefeuert, hallten durch die Nacht. Stimmen überschlugen sich, Fragen schwirrten durcheinander, Fackeln wurden in aller Eile angezündet. Keiner wusste, was eigentlich los war – bis klar wurde, dass hier eine Verfolgung stattfand.
Inzwischen tauchte der Captain von irgendwoher auf und übernahm mit lauter Stimme das Kommando. Er dirigierte die Männer in alle Richtungen, und um einen besseren Überblick zu bekommen, kletterte er kurzerhand auf einen der Wagen. Einige Männer wurden von ihm zum Fluss hinunter beordert, um demjenigen, hinter dem sie her waren, den Weg nach dort abzuschneiden. Noch wusste niemand, wer das sein konnte, doch allen war klar, dass das etwas mit dem Geschehen auf der anderen Seite zu tun haben musste.
Schon ging das Wort ‚Comanche‘ von Mund zu Mund und verwandelte die anfängliche Aufregung in hektisches Treiben. Der Captain kommandierte weitere Soldaten hinter die Wagen und drei, um den Eingang zum Canyon zu bewachen. Gewohnt, seinen Befehlen zu gehorchen, ging das schnell und reibungslos. Augenblicke später standen alle schussbereit auf ihren Posten und warteten. Der Captain – dieser kleine, untersetzte Mittfünfziger – schaute sich befriedigt um. Seine Leute spurten bereits beim ersten Wort.
Inzwischen hatte sich Summer-Rain hoffnungslos verrannt. Sie stand neben der herunterhängenden Plane eines der Wagen, die mit Munition beladen waren. Als sie sich bückte, um darunter hindurchzusehen, erschienen die Füße der Männer in ihrem Blickfeld, die vorn an der Deichsel Wache standen. Eng an den rauen Stoff der Plane gedrückt, versuchte sie, sich einen Überblick zu verschaffen. Der Mond und die Fackeln beleuchteten das gesamte Gelände. Sogar die Männer, die den Fluss bewachten, waren zu sehen. Eine Flucht nach dort oder durch den Canyon erschien ihr unmöglich. Tief Luft holend, sprintete sie los. Irgendwohin, nur außer Reichweite der Soldaten. Gewehre flogen hoch, Kimme und Korn folgten ihr, denn es war nicht schwer, sie im Blick zu behalten – zumal der Mond jetzt direkt über ihnen stand. Doch sie machte es ihnen nicht leicht. Sie warf sich auf den Boden, sprang wieder hoch, hechtete zur Seite, robbte unter einen anderen Wagen, kam wieder hervor, rannte weiter. Weil die Schüsse jetzt unkontrolliert durch die Gegend pfiffen, befahl der Captain, das zu beenden. Die Gefahr, die eigenen Leute zu treffen, war zu groß.
Summer-Rain lag hinter einem Wagenrad, als die Schüsse aufhörten. Zwanzig, fünfundzwanzig Schritte ihr schräg gegenüber, vom Schatten einiger hoher Bäume verdeckt, standen Pferde. Wenn sie es bis dorthin schaffte, hätte sie eine Chance. Diese Gedanken im Kopf, blickte sie sich um. Der nächste Schütze, den sie sehen konnte, stand hinter einem der Wagen. Sicher waren auch noch andere dort irgendwo im Schatten. Sie hatten ihre Positionen laufend verändert. Mit einem Pferd konnte sie es schaffen. Entschlossen wagte sie es. Summer-Rain lief. Der Captain, völlig entspannt den Revolver auf seinen linken Arm gestützt, um besser zielen zu können, drückte den Abzug durch. Sie rannte, wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt war. Der Schuss warf sie aus der Bahn, hatte sie aber wie bereits ein anderer kurz zuvor nur gestreift. Sie stolperte, fing sich wieder und hastete weiter.
Eine Wagendeichsel stoppte sie wie mit einem Hammerschlag. Sie ging zu Boden, weitere Schüsse fielen. Zwei streiften sie wieder nur, ritzten diesmal nicht einmal ihre Haut, doch eine weitere Kugel traf ihren rechten Oberarm. Verzweifelt versuchte sie, wieder auf die Beine zu kommen. Da standen bereits Soldaten über ihr und droschen mit Gewehrkolben auf sie ein. Nur das Eingreifen des Captains verhinderte, dass sie nicht sofort totgeschlagen wurde. Wütende Stimmen schrien Verwünschungen, aufgebrachte Männer wollten ihren sofortigen Tod. In all dem Tumult behielt der Captain die Oberhand. Hier zeigte sich wieder einmal, wie fest er seine Mannschaft im Griff hatte. Langsam wich die allgemeine Mordlust einer nüchternen Überlegung.
„Wir bringen …“ Er stutzte und beugte sich über das Bündel Mensch, das da vor ihm am Boden lag. Womit hatten sie es hier zu tun? Verwundert runzelte er die Stirn. Konnte er seinen Augen trauen? Unwillig wandte er sich an seine Männer. Egal, dachte er verwundert und sprach es laut aus: „Der Gefangene ist kein Krieger!“ Dabei stieß er Summer-Rain mit dem Fuß in den Rücken, um sie zur Seite zu rollen. „Jetzt führen sogar schon Squaws gegen uns Krieg.“
Einige der Männer lachten ungläubig. Andere betrachteten das zusammengekrümmte Bündel Mensch genauer.
„Bringt sie zu Oberstleutnant Smith“, befahl der Captain mit harter Stimme. „Er soll entscheiden, was mit ihr geschehen soll. Los, Charles, Ihr seid mir dafür verantwortlich, dass sie heil drüben bei ihm ankommt!“
Ein älterer, graubärtiger Mann, den er angesprochen hatte, steckte seinen gezogenen Revolver nur zögernd zurück in das Holster. „Mach ich, Captain“, sagte er – mit listigem Blick auf seine Kameraden.
„Aber, um es mal auf den Punkt zu bringen, haben wir uns mit dieser Aktion hier nicht eine Extraportion Rum verdient? Die Kavallerie hat es ja ganz offensichtlich nicht geschafft, so ein Luder wie die da einzufangen. Das sollte man einem Mann wie diesem Klugscheißer Smith mal klarmachen. Wette, die hat auch die Zelte dort drüben angezündet.“ Bestätigung heischend blickte er sich um.
Einige seiner Kameraden nickten. Seit jeher herrschte eine gewisse Rivalität zwischen den beiden Waffengattungen.
Über das zerfurchte Gesicht des Captains glitt ein Lächeln. „Aber übertreibt es nicht, Charlie, wenn Ihr ihm das auf die Nase reibt. Ihr wisst, die Kavalleristen sind eitle Säcke. Von uns halten sie nicht viel, obwohl wir ihnen schon so manches Mal den Arsch gerettet haben.“ Er konnte ja nicht wissen, dass Oberstleutnant Smith früher bei der Artillerie gedient hatte.
Charles nickte – diese Worte hörte er gerne. Rücksichtslos zerrte er Summer-Rain hoch, ohne auf die Schusswunde zu achten, die ein Loch in ihr Lederkleid gerissen hatte und stark blutete. „Hol mal jemand ein paar Stricke her“, forderte er die Umstehenden auf.
Wenig später hatten sie ihr bereits ungeachtet der Verletzungen die Arme grob auf den Rücken gebogen und gefesselt. Ein Comanche – Frau oder Mann – war für viele von ihnen nur ein Wesen, das nichts in ihrer Welt zu suchen hatte.
Die Streifschüsse hatten ihre Leggins aufgerissen, aber nicht viel Schaden angerichtet. Dagegen steckte in ihrem rechten Oberarm eine Kugel. Durch die auf sie eingeprasselten Gewehrkolben und groben Hände war sie zusätzlich verletzt worden. Die gleichen groben Hände stießen sie nun vor sich her, Stiefel traten nach ihrem Körper. Jemand holte ein Pferd, warf Charles ein Lasso zu, das der ihr um den Oberkörper zurrte und anschließend am Sattelknauf befestigte. Er selber hievte sich auf den Rücken des Pferdes, winkte zwei Männer herbei, die ihn begleiten sollten – es machte mehr her, wenn er nicht alleine kam – und so setzten sie sich zum Fluss hin in Bewegung. Befriedigte Blicke der umstehenden Artilleristen folgten ihnen.
Von seinem erhöhten Platz aus blickte Charles auf die zusammengesunkene, verletzte Summer-Rain hinunter, die er am Seil hinter sich her schleifte. Sie wusste, dass es vorbei war. Ohne Rücksicht auf ihre Verletzungen, als hätten sie ein Stück Vieh am Seil, durchquerten die Männer mit ihr den Fluss.
Summer-Rain, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, strauchelte, wurde von dem Seil durch das Wasser geschleift, bevor es ihr gelang, sich wieder aufzurichten. Nicht nur die Schusswunde machte ihr zu schaffen, auch die Schläge mit den Gewehrkolben und die Tritte der Männer hatten sichtbare Spuren hinterlassen. Ihr Gesicht begann bereits anzuschwellen, und das Seil um ihren Körper schnürte ihr zusätzlich die Luft ab. Unablässig, völlig unnötig, zerrte Charles daran, so dass sie immer wieder unterging. Dann, einem plötzlichen Einfall folgend, lenkte er sein Pferd schräg über den Fluss ins tiefere Wasser.
Nur weil seine beiden Begleiter, die zu Fuß waren, ihn deshalb laut beschimpften, machte er wieder kehrt. Summer-Rain, am Ende ihrer Kräfte, ließ sich das letzte Stück einfach durch das Wasser ziehen. Es war ihr völlig klar, dass ihr niemand zu Hilfe kommen würde. Nur eines hoffte sie erreicht zu haben: Ihre Lieben mussten in Sicherheit sein – sie mussten es einfach. Der Gedanke, aufzugeben, kam ihr. Ertrinken war nicht der schlechteste Tod, doch ihrer unwürdig. Ihr Stolz war noch immer ungebrochen. So wollte sie nicht sterben, schon gar nicht, wenn die Soldaten ihr dabei zusahen. Immerhin lebte sie noch.
Das Mondlicht glitzerte auf den leichten Wellen, die hier an der Furt das flache Ufer überschwemmten. Nach Luft schnappend richtete sie sich auf. Weil das Blut wegen der Stricke um ihren Oberkörper nicht mehr richtig zirkulieren konnte, spürte sie die Schusswunde in ihrem Oberarm nicht; das war das einzig Gute. Die beiden sie begleitenden Männer waren bis über die Schenkel durchnässt und froren. Summer-Rain stolperte das Ufer hinauf – frierend, zitternd, wehrlos den Männern ausgeliefert. Vor ihr breitete sich die Ebene im Mondlicht bis zu den Hügeln hin aus. Zwischen den Zelten brannten spärliche Feuer. Nachdem die ersten Soldaten sie gesichtet hatten, verbreitete sich die Nachricht von einem Gefangenen schnell. Reiter kamen ihnen entgegen, denen Charles aufgeregt erklärte, was los war. Sofort bildete sich eine Menge, die sie bis zum Zelt des Kommandanten eskortierte. Charles‘ Begleiter hatten anscheinend die Nasse voll und setzten sich ab, kurz nachdem sie das Ufer erreicht hatten. Nur auf ihre eigene Bequemlichkeit bedacht, da sie sowieso mit der Kavallerie nichts am Hut hatten, machten sie, dass sie wieder zu ihren eigenen Leuten kamen.
Das gesamte Lager der Kavallerie war inzwischen zum Leben erwacht. Verschlafene Männer krochen aus ihren Zelten, umringten Charles und seine Gefangene. Er präsentierte sie ihnen regelrecht, stieß sie vorwärts, wollte, dass sie schneller ging. Summer-Rain fiel stolpernd auf die Knie; das Seil war so straff, das sie kaum Atem bekam. Luftholend starrte sie auf das Holz, das Männer herbeigeschafft hatten, um ein Feuer vor ihr anzuzünden. Alle wollten sie sehen. Die auflodernden Flammen zuckten über sie hinweg, beleuchteten ihre nassen, schmutzigen Sachen, warfen Schatten auf ihre bloßen Füße. Erst jetzt merkte sie, dass sie John Blacks wunderbare Stiefel verloren hatte. Völlig irritiert blickte sie an sich hinunter. Jemand griff nach ihr, sie hörte lautes Lachen, als grobe Hände sie betatschten und ihr die Leggins herunterrissen.
Sie warf sich auf den Boden, doch das nützte nichts. Auf dem Bauch landend, konnte sie nichts weiter tun, als sich zusammenzukrümmen. Im nächsten Moment blinzelte sie gegen das grelle Feuer einer Fackel, die jemand ihr dicht vor das Gesicht hielt. Gerade konnte sie noch dem Tritt ausweichen, den einer der Männer mit seinem Stiefel nach ihrem Kopf machte. Beim zweiten Versuch traf er ihre Wange. Blut spritzte, die Männer lachten. Standen in einem dichten Kreis um sie und das Feuer, laut johlend und wild durcheinanderredend. Einige spuckten vor ihr aus, manche sie direkt an. Andere zerrten an ihren Haaren – ja, versuchten sogar, sie im bloßen Schritt zu berühren, den ihr Lederkleid kaum noch verdeckte. Niemand dieser angeblich zivilisierten Männer machte sich die Mühe, einzugreifen. Sie konnte nichts dagegen tun.
Die Menschenansammlung nahm langsam bedrohliche Züge an. Charles, der sich jetzt etwas abseits hielt, spann die Geschichte ihrer Ergreifung zu seinen Gunsten aus. Zum Schluss gab er seine Forderung nach einer Extraration Rum für sich und seine Kameraden kund. Seit einige der Zelte gebrannt hatten war die Nacht bereits weit fortgeschritten und ihr Whiskeykonsum hier auf dieser Seite des Flusses ebenfalls. Endlich öffnete sich das große Zelt des Kommandanten, und Oberstleutnant Smith kam heraus. Er musste bereits fest geschlafen haben, denn er sah ziemlich zerknautscht aus. Wahrscheinlich hatte er Mühe gehabt, aufzuwachen. Auch er musste sich dem Whiskey hingegeben haben – seinen Frust damit ertränkt. Seinen Adjutanten zu sich winkend, der eifrig hinter ihm herkam, bahnte er sich mit ihm zusammen einen Weg durch die Meute. Die Männer, die jetzt erkannten, wer da erschien, machten bereitwillig Platz. Summer-Rain hob den Kopf, versuchte, etwas zu erkennen. Ein Auge schwoll bereits zu. Ihr Blick, vom Blut verschleiert, war trüb und alles in dichten Nebel gehüllt. Schwer atmend erhob sie sich halb auf die Knie, da trat ihr jemand in den Rücken. Sie kippte nach vorn, trotz des sie abschnürenden Seils jetzt die Schusswunde spürend. Ein unterdrückter Schrei quälte sich von ihren Lippen. Als Nächstes landete ein Gewehrkolben hart auf ihrem Kopf. Sie fiel der Länge nach hin und in eine gnädige Ohnmacht.
Smith betrachtete sie eine Weile, sich dabei die schon weit gesponnene Geschichte ihrer Ergreifung anhörend. Also kein Krieger. Eine Frau – nein, verbesserte er sich, eine sehr junge Frau, beinahe noch ein Kind. Fünfzehn Jahre? Sechzehn höchstens. Der grimmige Ausdruck in seinem Gesicht veränderte sich nicht. Vereinzelt ertönten bereits Stimmen, die forderten: Hängen wir sie auf. Doch das konnte er nicht tun. Immerhin war sie eine Gefangene, die man vorweisen konnte. War er nicht ein Mann von Ehre? Ein West-Point-Absolvent? So etwas brachte er nicht fertig. Indianer im Kampf umzubringen, ja. Auch Frauen, auch Kinder. In der Hitze des Gefechts kam es nicht darauf an, wen man tötete. Irgendwie sahen sie ja alle gleich aus, hatte man ihm gesagt. Nur jetzt, nachdem alles vorbei war und mit vom Alkohol umnebeltem Kopf, diesen Befehl aussprechen, das konnte er nicht. Ein Schauer lief ihm vom Nacken aus über den Rücken. Trotz der Wärme des Feuers vor ihm fröstelte es ihn. Der Anblick eines _ Gehängten, den er in seiner Jugend einmal baumeln gesehen hatte, spukte ihm noch immer im Kopf herum. Nein, sagte er sich noch einmal, als die Stimmen um ihn herum lauter wurden – nein.
„Fesselt ihr auch noch die Beine“, sagte er zu einem der Männer. „Bindet sie an der Eiche an, die dort bei der Senke steht; vorerst soll sie dort bleiben.“
Die, die sich bereits mit einem Strick bereitgemacht hatten, starrten ihn entgeistert an. Andere fragten sich, was das sollte, und hätten ebenfalls am liebsten kurzen Prozess gemacht. Da war eine Comanche – worauf, zum Teufel, warteten sie noch? Erschießen wäre noch schneller gegangen. Doch Smith ließ sich nicht auf Zwischenrufe ein, tat sie mit einer abschätzigen Handbewegung ab. Er war ihr Kommandeur und eine offene Revolte gegen ihn wagte keiner. Allmählich verebbte der laut hervorgebrachte Protest.
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