Kitabı oku: «Ein Kuckuckskind», sayfa 3

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HASSO

Der große Bauernhof mit der beeindruckenden wunderschönen großen Villa, welche über eine breite Prinzessinnentreppe verfügte, wurde von der Leitung der LPG genutzt. Hier befand sich das Büro des Vorsitzenden dieses kleinen landwirtschaftlichen Betriebes, in dem meine Mutter putzen durfte. Diese LPG verfügte über ein paar Milchkühe, Pferde und etwas Land. Das Futter wurde also für die Tiere selbst angebaut, um sie versorgen zu können. Auch verschiedene Sorten Getreide und Zuckerrüben wurden bestellt. Aus diesem Getreide wurde nicht nur Mehl gemacht, die Braugerste war wichtig für des Bauern Lieblingsgetränk: das Bier. Aus den Rüben produzierte man neben der Silage als Winterfutter für die Rinder auch Zucker in den umliegenden Zuckerfabriken.

Manchmal nahm Mutti mich mit in das LPG-Büro und ich schaute ihr beim Saubermachen zu oder bewunderte die hohen Räume und wunderschönen geschnitzten Geländer oder Möbel, das Telefon. Oh, ich wollte so gern jemanden anrufen. Aber wie geht das? Der kleine Finger blieb beim Wählen in dieser schwer zu bewegenden Wählscheibe stecken. Es ging schwer. Wir kannten auch niemanden, der ein Telefon besitzt, sagte Mutti. Dann ruf ich die Polizei an, antwortete ich. Ups. Da hatte ich was gesagt! Schon gut, schon gut, dann lass ich es eben, dachte ich mir. Ich gab auf. Der Onkel von der LPG würde sowieso bestimmt schimpfen.

Die ursprünglichen Eigentümer waren enteignet und lebten im Westen. Jetzt residierte der Bauer in diesem Gebäude. Es wurde der Sitz des LPG-Vorstandes vom Typ 1 und später Typ 3. 1952 vereinten sich die Bauern in eine Gemeinschaft und brachten nur ihren Boden für die gemeinsame Bewirtschaftung ein. In der Weiterentwicklung sollten die vorhandenen Maschinen und Tiere in das Gemeingut gegeben werden. Anfangs freiwillig bis hin zur Zwangskollektivierung. Die LPG war ein rechtlich selbstständiger Betrieb. Deren Mitglieder erhielten leistungsbezogene Löhne und zum Jahresende eine Gewinnbeteiligung. Die staatliche Verteilungspolitik übte Druck auf die privaten Großbauern aus, sodass diese Vereinigung Proteste und Unfrieden hervorrief.

Und hier wohnten wir also – im Nebengelass des Gutshofes und es war unser Zuhause. Der Hofhund Hasso lag an einer langen Kette vor dem Hofeingang, auf dem Hof oder nahe seiner Hütte. Er war mein einziger Freund, der sich immer freute, mich zu sehen. Ich achtete darauf, dass er Wasser zu trinken bekam. Essen für ihn zu beschaffen, war nicht so schwer. Es blieb immer etwas übrig. Damals fraßen die Hunde noch alles, auch die Reste unserer Mahlzeiten. Es gab kein separates Hundefutter. Er wurde deshalb nicht eher blind oder fettleibig als die verwöhnten Tiere von heute.

Eigentlich war es die Aufgabe meiner älteren Geschwister, den Hund zu versorgen. Aber die vergaßen unseren Hasso, weil sie stets verabredet waren und mit den anderen Kindern am Bach oder im nahegelegenen Park herumtollten. Sie waren nicht schüchtern. Sondern dreist, frech und lustig. Deshalb scharrten sie stets Freunde um sich. Wenn ich mich auf Ursel oder Michi verlassen hätte, wäre das arme Tier verhungert. Also übernahm ich diese Aufgabe. Hasso wurde mein bester Freund. Ich baute auf dem Hof kleine Hürden. Wir spielten Zirkus. Hasso sprang für mich über die aufgebahrten Stöcke. Irgendwann kam mitten in unserem Spiel mein Bruder Michi um die Ecke und wollte sofort mitmachen. Es machte riesigen Spaß. Wir spielten Zirkus und waren glücklich. Es war ein schöner Nachmittag. Wir alberten und lachten. Als Dankeschön bekam Hasso frisches Wasser und ein Leberwurstbrot von mir.

Das sollten wir wiederholen.

DER TABAKBODEN

Jedes Jahr im Sommer kamen Frauen und fädelten auf unserem Hof die vielen Tabakblätter auf, die zuvor als Sonderkultur am Ortsrand auf zwei Hektar Land angebaut wurden. An unseren Hof grenzte der große Stall, der vor Jahren die Reitpferde des benachbarten Gutsherren beherbergte. Während meiner Kindheit wurde der Stall von meinem Vater genutzt, der hier ein großes Rind und ein paar Schweine unterbrachte. Die Hühner hatten ihren Stall und den Hühnergarten zur Giebelseite hinter dem Wohnhaus. Ursprünglich war das Haus, in welchem wir wohnten, auch Nebengelass, Unterkunft der Bediensteten oder Lagerraum und gehörte zu diesem großen Gutshof nebenan.

Über dem Stall befand sich ein riesiger Dachboden, der vermietet wurde. Hier wurden die aufgefädelten Tabakblätter zum Trocknen aufgehängt. Zur Saison saßen die Helferinnen auf dem großen Hof verteilt und spießten mit langen Drahtnadeln diese großen Blätter aneinander gereiht auf einen dicken Faden auf. Wie an einer Kette hingen diese Blätter dann einige Wochen zum Trocknen auf unserem Stallboden. Regelmäßig kam der Chef des Ganzen und prüfte die Belüftung und den Trockengrad des Tabaks.

Für mich war es eine Freude, dieser viele Besuch auf dem Hof. Viele nette Tanten, die ich beobachten und mit denen ich erzählen konnte. Sie fragten mich oft, wie es mir geht. Sie schienen sich für mich zu interessieren. Und es war lustig mit ihnen. Sie wussten so viel Spaßiges und erzählten Geschichten. Manchmal sangen sie bei der Arbeit. Wenn ich groß bin, mache ich das auch, nahm ich mir vor.

Als die Tabakblätter aufgehängt waren, kamen die Frauen nicht mehr. Ihre Arbeit war getan. Nun galt es nur zu warten, bis die Blätter trocken waren. Dazu kam Onkel S. allwöchentlich und prüfte den Reifeprozess. Wenn ich ihn kommen sah, kraxelte ich vorsichtig die alte kaputte Holztreppe zum Boden hinauf, um zu sehen, was er dort machte. Er zerrieb einen kleinen Teil des Blattes zwischen Zeigefinger und Daumen und roch daran. Ich durfte auch mal schnuppern. Puh. Ich fand, das stinkt. Der Onkel lachte. Wenn es zerbröselte wie altes trocken gebügeltes Papier, dann war es gut. Das erzählte er mir, weil ich es wissen wollte. Es ist schön, wenn die Erwachsenen so schlau sind und mir alles erklären.

Jedes Jahr im Sommer wiederholte sich diese Zeremonie.

Ich ging noch nicht zur Schule, da kam der Onkel wieder auf den Hof und ging auf den Boden. Anmelden brauchte er sich nicht. Der Hof stand stets jedermann offen. Alle konnten hier ein- und ausgehen.

Ich schlich, wie er, durch die Reihen des Tabaks. Fachmännisch prüfte Onkel S. den Reifeprozess. Es ihm nachzutun, darauf verzichtete ich. Meine Freude darüber war groß, dass er da war. Er nahm sich Zeit für mich. Nach getaner Arbeit setzte er sich auf die Holztreppe und hob mich auf seinen Schoß. Es war angenehm, in seiner Nähe zu sein. Er fragte, was ich in der letzten Woche getan habe, wie es mir geht und er erzählte auch von sich. Ich musste lange überlegen, bis ich antworten konnte, wie ich meine Zeit verbrachte. Auf so viel Interesse war ich nicht vorbereitet. Wir erzählten wie ein paar alte Freunde. Er streichelte mir über den Rücken. Das tat gut. Mit der Zeit wanderte die Hand über den Bauch und meine kleine Brust. Das war komisch. Warum tut er das?, fragte ich mich, dachte dann aber, er war wohl in Gedanken. Mit der anderen Hand fingerte er an meinem Schlüpfer, war dann an und in meiner Scheide. Was macht er nur? ICH WILL DAS NICHT! Das ist doch nicht schön, was er da macht! Onkel? Ich sah ihn an, er sah mich nicht. ER schaute ins Leere! Langsam wollte ich von seinen Beinen rutschen, aber er hielt mich fest. »Onkel, Onkel, ich will gehen!«, rief ich. Nichts! Ich rief lauter. Er rieb weiter. Was tut er nur? Ich bekam Angst. Löste mich energisch aus der Umklammerung, richtete meinen Schlüpfer und lief davon. Fast wäre ich die kaputte Holtreppe hinuntergestürzt. Was sollte ich machen? Nur weg von ihm. Was war das? Mein Herz raste. Ich hatte Angst. Ich war verwirrt. Das war nicht der Onkel S., wie ich ihn kannte. Was war passiert? Er sah so anders aus. Wo waren die weichen und freundlichen Gesichtszüge, die ich so an ihm mochte? Warum war er so verändert? Was hat er gemacht? Warum hat er mich nicht gehört? Was war passiert? Oder habe ich etwas falsch gemacht? Ich bekam wieder Angst. Was sollte ich tun? Ich war verzweifelt. Warum war niemand da, der mir hilft? Warum fing mich keiner auf? Ich wollte mich waschen.

Ich stand auf dem Hof und wusste nicht, wohin ich gehen sollte. Nach einer Weile entschied ich mich, ins Haus zu gehen. Ich ging auf die Toilette. Das war der einzige Ort, wo ich sicher war, allein zu sein. Ich weinte.

Zu diesem Onkel gehe ich nicht mehr!

Ein paar Tage später kam er wieder auf den Hof. Mit Schokolade. Ich lief rein zu meiner Mutti. Verwundert fragte sie: »Was machst du hier? Draußen ist Onkel S. Hast du ihn nicht gesehen? Du bist doch immer gern bei ihm.«

»NEIN!«, schrie ich. »Ich geh nicht zu ihm.« Nach der nervenden Fragerei meiner Mutter erzählte ich ihr, was geschehen war. Damit war das Thema vom Tisch. Ich dachte, dass sie mir Antworten geben könnte auf die vielen Fragen. Vielleicht würde sich alles auflösen, vielleicht hatte ich etwas falsch verstanden, vielleicht alles nur geträumt und er könnte wieder der liebe Onkel sein. Aber wir sprachen nie wieder über das Geschehene. Es wurde still.

Im nächsten Jahr kamen die Tabakfrauen nicht mehr. Im darauffolgenden und allen weiteren auch nicht. Irgendwann fragte ich meinen Vater, wo der Onkel S. sei, wann die Tanten wieder Tabak auffädeln. Da schnodderte er mich mit seiner Alkoholfahne an: »Sie kommen gar nicht mehr. Du bist doch schuld, dass er nicht mehr kommt. Und das Geld fehlt uns auch.«

Wie bitte? Ich verstand es nicht und wurde sehr traurig.

Ja, das Geld war immer knapp. Mutti borgte sich etwas, und als bei der LPG Zahltag war, wurden die offenen Beträge beglichen. Dann war ihr Geld aber wieder fast alle. Nur in den ersten Jahre, nachdem Onkel S. nicht mehr kam, gab es immer mal etwas Neues, sogar eine Kleinigkeit für die Kinder. Wo kam plötzlich das Geld her?

Später schien jedoch die Quelle zu versiegen. S. ließ sich offensichtlich nicht mehr erpressen.

DER KINDERGARTEN

Jeden Tag musste ich in diesen doofen Kindergarten. Hier waren die Kinder ab drei Jahre bis zur Einschulung untergebracht. Zwar kann man hier auch lernen, das gefiel mir, aber ich musste meist alleine spielen. Einmal kam ein Mädchen und sagte: »Wir können ja hier Freunde sein, aber nicht draußen.« Ihre Mama wollte nicht, dass sie sich mit mir abgibt. Und ich wollte nicht, dass sie mich verleugnet und blieb somit allein unter den Kindern. Auch die Erzieherinnen fand ich doof. Keine war so freundlich wie Tante Ille. Die besser Situierten wurden immer freundlicher behandelt als die anderen. Ich war Luft.

Ein bis zwei Mal am Tag gingen wir im Ort spazieren. Meist sichere Wege, die kaum befahren wurden. Obwohl, die Verkehrsdichte war damals nicht groß. Gelegentlich fuhr ein Traktor vorbei, mal ein Trabbi, dann passierte wieder eine ganze Weile gar nichts.

So kam es, dass wir über Feldwege liefen, um müde zu werden. Als wir in die Einrichtung zurückkehrten, gab es Mittagessen und anschließend den unbeliebten Mittagsschlaf. Erst kamen wir nicht zur Ruhe, die Kleinen tuschelten miteinander und neckten sich. Wer ermahnt wurde, war ich. Nun gut. Das kannte ich nicht anders. Obwohl ich eher ruhig und introvertiert war, klappte es immer, wenn ich mich gegen Neckereien gewehrt habe, dass ich aufgerufen wurde. Ich kam mir so schäbig vor und unfair behandelt, denn ich war nicht der Störenfried. Nun gut, es wurden auch andere Kinder ermahnt. Aber für mich war es immer wie ein Stich in die Brust. Eine große Ungerechtigkeit war hier spürbar. Als es still wurde und auch ich endlich einschlafen wollte, wurden wir wieder geweckt. Klasse. So eine blöde Übung. Unausgeschlafen war ich natürlich schlecht gelaunt. Ich hasste diesen Kindergarten.

Eines Tages entdeckte ich unterwegs bei einem Spaziergang mit der Gruppe große stehende Mauerteile, die kreuz und quer am Feldrand standen. Wenn ich weg bin, würde mich keiner vermissen, dachte ich. Dann müssen mich die Tanten nicht ständig anmeckern und sie können sich mit ihren Lieblingen befassen. In mir reifte der Gedanke: Ich haue ab. An dem Tag gab es noch ein kleines Mädchen, das unglücklich war. Das war genau das Kind, was mich als ihre heimliche Freundin vereinnahmen wollte. Ich fragte sie, ob sie mitkäme. Sie stimmte sofort zu. Wir schlichen uns am Nachmittag aus dem Kindergarten. Die anderen spielten draußen mit dem Ball, einem Springseil oder Puppenwagen oder mit Autos. Die Aufpasser standen zusammen und tratschten. Die Gelegenheit war günstig. Uns nahm niemand wahr. Wir zwängten uns durch den kaputten Zaun und liefen in Richtung Straße. Geschafft. Der Plan ging auf. Niemand hatte etwas bemerkt. An der Straße machten wir vorbildlich halt, wie wir es gelernt hatten und schauten nach links und rechts, ehe wir die große Straße überquerten. Nichts passiert! Puh … Der Weg schien weit. Da hinten standen die Mauern. Da konnte man sich gut verstecken. Es waren L-Elemente, die man zum Bau von Silos nutzte. Sie waren aufgestellt wie ein Labyrinth. Da gingen wir hinein.

Wir schlängelten uns durch das Labyrinth. Es machte Spaß, so lange wir uns sahen und hörten. Wir lachten und fanden es toll. Dann hockten wir uns hin und warteten. Wir wollten nicht mehr zurück. Nie wieder Kindergarten, nie wieder nach Hause, schworen wir uns.

Die Sonne senkte sich langsam. Es wurde ungemütlich. Niemand war da, der nach uns suchte. Wir bedauerten uns gegenseitig. Hatte denn niemand bemerkt, dass wir weg sind? Ein Zeitgefühl hatten wir nicht wirklich. Die Kindergärtnerin dachte vielleicht, wir sind zu Hause und unsere Mütter dachten, wir sind im Kindergarten? Darum vermisste uns wohl keiner ...

Warum kam denn keiner? WIR bekamen Angst und hatten Sehnsucht nach unserer Mama. Rienchen wollte gehen. Ich hielt sie davon ab, sie konnte doch nicht alleine nach Hause gehen. Wenn etwas passiert, dann wäre ich schuld. Schließlich war es meine Idee gewesen, hierher zu laufen. Ich müsste sie bringen, aber würde ich das auch schaffen? Und wenn sie dann doch kämen, um uns abzuholen, denn wären wir weg. Oder wir könnten unterwegs auf die Polizei treffen und würden verhaftet. Nein, das wollte ich nicht.

Plötzlich erschien mir der Ort so riesengroß. Den Weg zu ihrem Heim kannte ich nicht. Wir würden uns verlaufen. Nein, wir mussten hier ausharren.

Plötzlich hörten wir Stimmen. Weit weg, aber sie riefen unsere Namen. Endlich. Sie suchten uns doch!

Nach dem kurzen Moment der Freude kam die erschreckende Erkenntnis: Es würde Ärger geben! »Pst«, machte ich schnell. Wir sollten besser still sein, sonst gibt es Dampf. Also, meldeten wir uns nicht.

Die Stimmen kamen näher. Wir blieben still. Wir mussten dann sogar ein wenig lachen. Wir hatten unser Geheimnis und hielten uns versteckt. Die Rufe entfernten sich. Jetzt mussten wir etwas tun, wenn wir die Nacht nicht hier verbringen wollten. Es war nicht gerade schön und schon gar nicht gemütlich. Es wurde kalt. Leise begann Rienchen zu antworten und wurde langsam lauter. Das war in Ordnung. Ich wollte ja auch nach Hause, war nur zu stolz, kleinbeizugeben.

»Hier, hier sind wir.«

Langsam krochen wir aus unserem Versteck hervor. Die restlichen Kinder, die noch nicht abgeholt waren, rannten freudig auf uns zu. Sogar die Kindergärtnerin schien sich zu freuen. Komisch. Aber einen Vortrag über die Gefahren mussten wir über uns ergehen lassen. Das war im Ergebnis nicht schlimm. Das Abenteuer hatte für mich etwas Gutes.

Ich hatte nun eine Freundin!

Im Sommer erhielt ich die erste Einladung zu einem Kindergeburtstag.

MEIN HASSO

Die große Unzufriedenheit hielt Einzug. Es war nicht mehr zu leugnen, es gab in unserer Familie nur Zank und Streit. Mutti stritt mit Papa. Papa schimpfte mit den Großen, die Großen pöbelten die Kleinen an – und ich war mittendrin. Der Wunsch zu verreisen wuchs. Nur wohin? Alle paar Jahre fuhren wir dann mit der Eisenbahn in die Kreisstadt, von dort mit der nächsten Bahn in die Bezirkshauptstadt und nach nochmaligem Umsteigen bis Schwerin. Ab hier ging es mit dem Bus weiter in das kleine Dorf mit den Straßen aus Sand zu meiner Oma. Meine Mama nahm nie alle Kinder mit. Das war zu anstrengend und zu teuer. Das Vieh und Papa mussten außerdem versorgt werden, denn er wollte nicht mit. Ohne Mama zu Hause konnte er sich getrost weiter austoben. Also durften Ursel, Michi und ich mit zu meiner Oma. Ich freute mich so. Endlich weg von diesem Chaos, weg von den Demütigungen. Endlich Ruhe.

Meine Geschwister fanden dort schnell Kontakt zu den heimischen Kindern. Ich blieb lieber bei meiner Mama oder bei Onkel Willi. Onkel Willi war der Schwager meiner Oma. Er war uralt und riesengroß. Ein liebenswerter Mann. Er hatte immer einen Marsriegel im Schrank. Den mussten wir allerdings untereinander teilen. Aber der schmeckte lecker. Solche Schokolade gab es bei uns zu Hause nicht.

Leider verging die Zeit viel zu schnell bei meiner Oma. In der großen Stadt Schwerin gab es viele schöne Häuser und ein traumhaftes Schloss. Wie in einem Märchen. Wir besuchten dort weitere Verwandte. Höflich grüßte ich alle Passanten, die an uns vorbeigingen. Auf einmal kam eine ältere Dame zurück und fragte mich: »Kennen wir uns?« Ich war erschrocken. »Nein.« Meine Mutti kam dazu und fragte mich gleich: »WAS HAST DU GEMACHT?« Sie klang böse. »Nur gegrüßt«, antwortete ich schnell. Da fing sie an zu lachen. Es war schön, meine Mama wieder lachen zu sehen. Dann erklärte sie: »In der Stadt grüßt man nur Menschen, die man kennt.« Ach so! Deshalb sind sie so unfreundlich, dachte ich.

Die Fahrt im Zug war spannend. So viele fremde Menschen. Große Häuser rauschten an uns vorbei. Oder rauschten wir an ihnen vorbei? Egal. Das Wasser beeindruckte mich schon als Kind. Tolle Boote waren zu sehen. Das war alles neu für mich. Wenn ich groß bin, wollte ich Matrose werden. Unterwegs spielten wir sogar gemeinsam Memory. So hätte es immer bleiben können.

Als wir wieder nach Hause kamen, wartete unser Vater schon auf uns. Er schien nüchtern zu sein und sich zu freuen. Sogar ein paar Blumen standen auf dem Tisch. Flieder. Was war geschehen? Wir Kinder tummelten uns und ließen die Erwachsenen allein. Bei meinen Eltern war wieder alles gut. Scheinbare Harmonie.

Eines Tages musste Mutti plötzlich ins Krankenhaus und ich wusste nicht, warum. Ich machte mir große Sorgen. Doch alle lachten mich aus. Wie konnte man nur so vergnügt sein, wenn meine Mama krank war? Nach einer Woche war sie wieder daheim. In ihrem Kissen auf dem Arm hielt sie ein Baby. Torben.

Aha, darum haben sie gelacht. Endlich wurde ich mal aufgeklärt. »Du kannst immer mit ihm spielen«, hieß es dann. Haha. Der lag nur rum und schrie, entweder weil er Hunger hatte oder stank. Ganz große Klasse. Es wurde also wieder nichts aus dem Spielen. Ich war inzwischen fünf Jahre alt und begann, wie früher meine Geschwister, nun ebenfalls das Weite zu suchen, wenn der Kinderwagen mit dem Baby kam. So lief das also.

Wir waren jetzt drei Jungen und drei Mädchen.

Und auch meine Verantwortung wuchs. Ich sollte den Kinderwagen schütteln, wenn der kleine Mann schrie. Und er schrie oft. Am Anfang hat es noch Spaß gemacht. Aber dann … Ich wollte weg.

Die Eltern zankten. Die Kinder zankten. Ich wurde zunehmend zur Zielscheibe. Das tat weh. Meine Oma väterlicherseits hieß nicht alle gleich freundlich willkommen. Mich ignorierte sie oder fragte provokant: »Was willst du denn hier? Du gehörst nicht dazu!« Hm, warum nicht? Mein Opa schimpfte dann mit ihr und rief sie zur Ordnung. Er war ein liebenswerter, warmherziger Mann. Leider hatte er wenig Zeit. Ich hatte auch den Eindruck, dass er oft zurücksteckte, um keinen Ärger mit seiner garstigen Frau zu bekommen. Er arbeitete sehr viel, wahrscheinlich, um ihr aus dem Weg zu gehen. Er versorgte mehrere Schweineställe der LPG im Ort. Manchmal besuchte ich ihn im Schweinestall, doch dort stank es erbärmlich, da blieb mir sofort die Luft weg. »Wonach stinkt das hier so? Hier sollen Tiere und auch Menschen leben können?«, fragte ich.

»Ammoniak, Kind. Das ist Ammoniak«, sagte Opa. »Den produzieren die Schweine selbst. Deshalb muss ich sie auch regelmäßig ausmisten.«

Aha. Also kein so guter Ort, sich zu begegnen. Man stinkt dann selbst wie ein Schwein und hat wieder keine Freunde. Also entschied ich, nicht mehr dorthin zu gehen. Somit sah ich ihn leider seltener.

Zu Weihnachten verteilte Oma Berta die Weihnachtsgeschenke. Es war Tradition, dass wir gemeinsam zu den Großeltern rübergingen. Sie wohnten nur etwa 300 Meter entfernt von uns. Dann gab es für jedes Enkelkind das Gleiche. Sie verteilte großmütig an alle Kinder. Ich kam zuletzt dran. Nicht ohne, dass sie bemerkte: »Eigentlich müsste ich dir nichts geben, du bist nicht meine Enkelin.« Ich bekam keine Luft. Riss mich aber zusammen, nahm das Geschenk an und blieb wie versteinert stehen. Pause! Berta verließ die Stube mit den Worten: »Ihr könnt hier noch ein wenig spielen. Aber macht keine Unordnung und nichts kaputt!«

Mein Bruder Michi sagte: »Das meinte sie nicht so.« Aber wie, bitte schön, sollte ich das verstehen? Warum sagte sie so etwas? Das war gemein …

Tränen schossen mir in die Augen. Ich legte das Geschenk auf den Rauchtisch und ging allein nach Hause. Ich wollte nicht, dass Michi mich heulen sah. Er lief mir aber hinterher und wollte mich trösten. Damit machte er es immer schlimmer. »Geh weg«, zickte ich ihn an. Er ging zurück. Mein Trost war unser Hund Hasso. Leider war es zu kalt, sonst wäre ich in seine Hütte gekrochen und hätte mich bei ihm versteckt. Er machte keine Unterschiede. Wer zu ihm gut war, zu dem war er auch gut. Er drückte sanft seinen Kopf gegen meine Beine und ließ sich kraulen. Ich hatte hier nun keine Oma mehr. Umso mehr freute ich mich, wenn wir mal wieder nach Mecklenburg-Vorpommern fuhren. Leider war das sehr selten, dafür reichte das Geld nicht. Aber Tränen hatte ich keine mehr.

Michi ging inzwischen auch zur Schule, ich musste gegenüber in den Kindergarten. Ich vermisste meine Tante Ille. Die Kinder hier mieden mich. Die Eltern, nein, die Muttis wollten den Umgang mit mir nicht. »Die ganze Bagage bleibt besser draußen«, sagten sie. Damit waren ich und meine Geschwister gemeint. Ich war als Kind zudem mollig. Eine tolle Angriffsfläche, im wahrsten Sinne des Wortes. Hänseleien blieben nicht aus. »Fettkloß!«, »Moppel!«, sagten sie. Kinder sind das Spiegelbild der Eltern. Sie waren sehr verletzend.

Heimlich entwickelte sich eine tiefere Freundschaft zu dem Mädchen Rienchen. Aber auch ihre Mutter durfte nicht wissen, dass wir so oft zusammen spielten. Wir entwickelten gemeinsame Interessen und nutzten immer öfter gemeinsam das Spielzeug aus dem Kindergarten. Nach unserem gemeinsamen Ausflug in das Labyrinth hatte sie erst recht Umgangsverbot mit mir. So blieb es unser Geheimnis – dachten wir. Sie kam manchmal mit auf unseren Hof und spielte mit Hasso und mir. Für ein paar Minuten. Bis ihre Schwester um die Ecke kam, um sie aus der Kindereinrichtung abzuholen. Der Kindergarten befand sich gegenüber von unserem Hofeingang. Eine kleine unbefahrene Straße trennte diese Einrichtung von unserem riesigen Hofeingang. Zum Feierabend schlossen die Frauen den Kindergarten ab und wir warteten davor, bis alle abgeholt waren. Dann gingen wir schnell auf unseren Hof. Die tratschenden Kindergärtnerinnen hatten uns im Blick. Ein paar Minuten für mich, auf unserem Hof, zu dem das riesige Tor immer offenstand und er deshalb gut einsehbar war. Rienchen kam zu mir nach Hause, bis auf den Hof. Das reichte mir fürs Erste. Ihre Schwester sagte dann mit einem Augenzwinkern: »Ich sag nix.« Allerdings erzählten die Betreuerinnen ihrer Mutter, welchen Umgang das Kind pflegte. So bekam Rienchen deswegen Schimpfe zu Hause. Sie richtete sich auf und verteidigte mich. Das machte mich sehr glücklich und stolz. Sie wurde meine beste Freundin.

Wieder gab es Streit im Haus. Ich spielte mit Klammern und Knöpfen auf dem Flur. Auch das Ohren-zu-Halten half nicht. Das war nicht zu ertragen. Warum kann man sich nicht in Ruhe unterhalten, wenn es Probleme gibt? Ich zitterte, konnte mich nicht bewegen. Die Angst war groß, dass es wieder eskaliert und Papa handgreiflich wird. Sollte ich meiner Mama nicht zur Hilfe kommen? Was sollte ich nur machen? Mich hatte er noch nie geschlagen. Würde er es diesmal tun? Ich hatte Angst. Irgendetwas musste geschehen. Wenn ich groß bin, hau ich ab. Aber wer hilft dann MUTTI?

Nein, ich wollte das nicht. Dieser ständige Lärm. Warum verließ sie ihn nicht? Ich werde sie nachher fragen, wenn ich sie tröste. Erwachsen sein ist doof. Ich muss hier raus. Mein Weg führte direkt zu Hasso. Ich kroch in seine Hütte und fand Schutz vor der lauten Welt da draußen. Während ich dort hockte und Hasso streichelte, überlegte ich, wie ich ihm etwas Gutes tun könnte, vielleicht diese Hütte auskleiden, sie bunt, weich, einfach schöner machen. Meiner Traurigkeit folgte die Einsamkeit. Nein, einsam war ich nicht wirklich. Ich hatte meinen Hund Hasso. Schade, dass er nicht sprechen kann. Ich würde das Leben so gern verstehen. Mit ihm weggehen. Aber wohin? Ich wusste es nicht. Und wir brauchten etwas zu essen und zu trinken. Das konnte nicht funktionieren. Ansonsten wäre Abhauen meine Option. Ich dachte weiter drüber nach.

Michi war im Stall, die Schweine ausmisten. Er sah mich in die Hütte kriechen. Mein Bruder zeigte mir, dass es wichtig ist, wieder rauszukommen. Dieser Ort war für den Rückzug doch nicht so gut geeignet. Er war schmutzig und unsicher. Die Mauer war bröckelig und instabil. Auch der Hund könne mal beißen. Das konnte und wollte ich nicht glauben, aber ich kam wieder heraus. Als ich nach Material fragte für die Hundehütte, wurde ich ausgelacht. Dann bekam ich die Antwort, wir haben nichts. Sind selbst nicht richtig eingerichtet, da fällt auch nichts für eine Hundehütte ab.

SCHADE!

Wenn ich groß bin, werde ich Tierpfleger in einem Zoo. Alle Tiere sollen es bei mir gut haben und ein schönes Heim bekommen.

Als ich ins Haus ging, war der Streit beendet. Zuwendung bekam ich nicht von meiner Mutter. Sie selbst wollte auch keine Streicheleinheiten von mir. Sie hatte keine Zeit, wie immer. Heute weiß ich, dass sie mich schützen wollte. Wie Mütter so sind, meinen sie, dass sie ihre Kinder täuschen können. Doch leider ist dem nicht so. Ein Kind spürt, wenn ein Mensch, den es kennt, traurig ist. Mütter der Erde, stoßt eure Kinder nicht weg! Sie verstehen es nicht. Beide brauchen Trost und Zuwendung, die Mutter und das Kind. Bei uns hat das nicht funktioniert.

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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
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9783956836718
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