Kitabı oku: «Ein Pfirsich ist ein Apfel mit Teppich drauf», sayfa 3

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2.1.5 Systemtheorie: Chaos und Struktur, die zwei Seiten einer Medaille


Noch einmal kurz zur Wiederholung: Moderne systemtheoretische Konzeptionen entwickelten sich zunächst in Biologie und Physiologie. Zum Durchbruch kamen diese Ideen nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Kybernetik, der Lehre von der Steuerung.

Wenn wir jetzt zur Chaostheorie kommen, lehnen Sie sich beim Lesen ruhig ein wenig zurück, und lassen Sie die Gedanken wirken.

Lange Zeit ging es zunächst um die Frage, wie in Systemen – plan- und auch steuerbar – Gleichgewicht entsteht. Doch im Laufe der Jahre zeigte sich, wie trügerisch diese Vorstellung der Plan- und Steuerbarkeit war. Neuere Erkenntnisse aus Chemie, Physik (Synergetik) und aus der Chaostheorie zeigten: Systeme können unter bestimmten Randbedingungen aus sich selbst heraus – selbstorganisiert – neue Strukturen entwickeln.

Halten Sie dies fest: Systeme – auch Individuen sind für sich betrachtet Systeme – können aus sich selbst heraus neue Strukturen, Lösungen finden. Wir werden diese Erkenntnis später im Buch an vielen Beispielen vertiefen und nutzen.

Dies gilt allerdings nur für nichttriviale Systeme. Mit Heinz von Foerster (vgl. etwa von Foerster u. Bröcker 2007, S 76) unterscheiden wir triviale und nichttriviale Systeme. Triviale Systeme sind solche, die bei gleichem Input stets den gleichen Output liefern (etwa ein Thermostat). Nichttriviale Systeme liefern, je nachdem, in welchem Zustand sie sich befinden, bei gleichem Input unterschiedliche Outputs.

In dieser Zeit, als die genannten neueren Erkenntnisse gewonnen wurden, wurde klar, dass man weniger auf die Herstellung von Gleichgewicht in Systemen und mehr auf die Veränderung in Systemen achten musste. Es wurde deutlich, wie sich nichttriviale Systeme – im Detail unvorhersehbar – von einem scheinbar stabilen Zustand in neue, oftmals überraschende Zustände entwickeln. Kurz zusammengefasst, lässt sich daraus folgern: Nichttriviale Systeme sind von außen nicht wirklich kontrollierbar. Sie sind wohl aber verstörbar und entwickeln dann oftmals – wiederum selbstorganisiert – neue Zustände, Lösungen.

Unterschiede, die einen Unterschied machen

Sie erleben täglich mit Ihrem Partner bzw. Ihrer Partnerin sehr anschaulich, wie unmöglich es ist, den anderen Ihren Wünschen und Vorstellungen entsprechend zu verändern. Zugleich zeigt sich auch: Wenn Sie sich im Verhalten ändern, führt dies häufig auch zu einer Veränderung im Verhalten Ihres Gegenübers. Dies ist sicher nicht immer so, denn wir stellen auch nicht jeden Morgen fest, wie unterschiedlich die Sonne aufgeht – und sie geht jeden Morgen auf eine andere Weise auf. Wenn Sie aber in Ihrem Verhalten einen Unterschied machen, der für Ihr Gegenüber bedeutsam ist, so wird dies nach aller Wahrscheinlichkeit eine Wirkung mit Neuigkeitswert erzielen.

Ob dies die Wirkung ist, die Sie wünschen, sei dahingestellt – dies ist die Würze, die wir doch meistens im Leben so lieben!

Kommen wir zurück zur Theorie: Der Osnabrücker Systemwissenschaftler und Professor für Psychologie Jürgen Kriz erläutert in seinem 1997 unter dem Titel Systemtheorie: Eine Einführung für Psychotherapeuten, Psychologen und Mediziner erschienenen Buch die Entstehung der Chaostheorie sehr anschaulich. Sie basiert auf einem Zufall. Anfang der 1960er Jahre saß am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) ein junger Meteorologe an seinem damals noch sehr langsamen Computer und versuchte, die Wetterentwicklung mithilfe eines mathematischen Modells vorherzusagen. Im Rahmen dieses Vorgehens musste er bei einem gegebenen Zustand beginnen und dann Schritt für Schritt die Wetterentwicklung berechnen lassen. Da diese sehr langwierig war, ging der junge Meteorologe, während die Berechnungen liefen, schon mal einen Kaffee trinken.

Einmal ergab es sich, dass der junge Mann die Zeit abkürzen wollte und Ergebnisse aus einer früheren, kürzeren Entwicklung diesmal nur auf drei Stellen Genauigkeit eingab – sein Computer rechnete in der Regel mit achtstelliger Genauigkeit (drei Stellen bedeuten eine Genauigkeit von 1:1000). Dies hätte aus Sicht des jungen Meteorologen für die Berechnung ausreichen müssen. Dennoch waren die Kurven (siehe Abb. 8) völlig anders als vorhergesehen.


Abb. 8: Divergierender Verlauf zweier Wetterentwicklungen bei fast identischen Ausgangsbedingungen; x-Achse: Zeit, y-Achse: eine Wettervariable, z. B. Windgeschwindigkeit (nach Kriz 1997)

Das Problem lag darin, dass mit letztlich sehr einfachen Gleichungen gerechnet wurde, aber sie waren nichtlinear und hatten einen sogenannten Rückkopplungsterm, was bedeutet: Die Entwicklung einer Größe wirkte sich immer irgendwie auf die Entwicklung einer zweiten Größe aus und umgekehrt. Wissenschaftlich war dieses Phänomen der Rückkopplung sicherlich keine neue Erkenntnis. Es war klar, dass Entwicklungen durch Rückkopplungen den Normalfall bilden. Gleichwohl war man bis dahin der Auffassung gewesen, man könne kleine Abweichungen eher vernachlässigen. Heute aber wissen wir, dass auch kleine Veränderungen große Auswirkungen haben können.

Schmetterlingseffekt

Dies ist unter anderem bekannt geworden als sogenannter Schmetterlingseffekt. Dieser besagt: Der Flügelschlag eines Schmetterlings in China kann darüber entscheiden, ob einen Monat später über dem Atlantik schönes Wetter herrscht oder ob sich ein Hurrikan zusammenbraut. Dies hört sich natürlich zunächst völlig übertrieben an, veranschulicht aber gut, dass es eine große Abhängigkeit solcher Entwicklungen schon von kleinsten Veränderungen, von winzigen Randbedingungen gibt.

Wir alle kennen diesen Effekt aber nicht nur aus der Physik, sondern auch aus zwischenmenschlichen Beziehungen. Wann immer eine Beziehung sehr unsicher ist, »kippelig«, wie man im Alltag zuweilen zu sagen pflegt, dann genügt oft ein kleiner Blick, eine kleine Geste, ein Wort, um den Auftakt oder das Ende einer Beziehung einzuläuten.

Wenn Sie in einer Stadt leben, dann kennen Sie wahrscheinlich das Gefühl, das einen beschleicht, wenn man abends im Dunkeln durch die Straßen geht. Zuweilen kommen Ihnen Passanten entgegen, die man besser nicht zu lange anschaut, oft scheint es am besten zu sein, man schaut irgendwo anders hin. Sie spüren dann womöglich intuitiv, dass Sie einer emotional instabilen Persönlichkeit begegnen, die selbst mit einem offensichtlich freundlich gemeinten Blick womöglich eine Provokation verbinden könnte. Darauf könnte dann das berühmte »Was guckste so?« folgen.

Auch kleine Kinder, gerade wenn sie sehr unsicher gebunden sind (siehe »Bindungstheorie«, 2.2.1) können mitunter höchst irritierbar sein. Sie können schon bei kleinsten Veränderungen in geregelten Abläufen oder durch kleinste Grenzsetzungen, die sie anscheinend als persönliche Herabwürdigung begreifen, außer sich geraten.

Das »Konzept« der »fehlenden Frustrationstoleranz« – Ein Plädoyer für einen ausgewogenen Blick auf irritierbare Geschöpfe

Wir möchten Sie einladen, sich dieses Konzept einmal aus einer anderen Sicht anzuschauen. In all den Jahren unserer pädagogischen und psychologischen Arbeit hat es uns auf vielen Ebenen in der konkreten Arbeit mit Kindern und Familien begleitet. Die Idee hinter diesem Konzept ist, dass es Kindern, die Schwierigkeiten machen – in Kindergärten, Schulen etc. – an einer Toleranz gegenüber Frustrationen fehle. Die aus unserer Sicht sehr mittelschichtorientierte Vorstellung hierbei ist wohl, solche Kinder hätten nicht gelernt, Grenzen zu akzeptieren, sie seien verwöhnt und daher unfähig, mit normalen Frustrationen des Alltags umzugehen.

Nun mag es sein, auch wenn man dies im Einzelfall sicher anders betrachten kann, dass es solche Kinder wirklich gibt: Kinder, die in einem Umfeld aufwachsen, welches ihnen alle Wünsche erfüllt, sodass sie nicht lernen, sich bei frustrierenden Erlebnissen adäquat zu verhalten.

Was aber aus unserer Sicht völlig inakzeptabel ist: Wir verwenden dieses Konzept auch für solche Kinder – wir erleben sie in unserer täglichen Arbeit immer wieder und immer mehr! –, deren »Frustfass« bis zum Rand gefüllt ist. In solchen Fällen ist es äußerst bedenklich, von fehlender Toleranz zu sprechen. Das Leben dieser Kinder ist so gefüllt mit Frustrationen, dass für jede weitere die Bewältigungsfähigkeit ausgeschöpft ist. Diese Kinder haben auf dauernde Frustrationen eben noch nicht mit Resignation geantwortet, sie haben noch genug Leben und Kraft in sich, um sich gegen permanente Zurückweisungen, das permanente Erleben von Wertlosigkeit und Perspektivlosigkeit aufzulehnen. Sicher agieren diese Kinder sehr, sehr häufig auf eine für ihre Umwelt nicht angemessene, weil von außen kaum zu verstehende Art und Weise. Aber sie tun es nicht, weil sie gegenüber Frustrationen zu wenig tolerant wären. Frustrationen haben sie täglich genug, zu viele. Sicher gibt es auch Kinder, die Frustrationen einfach hinnehmen, wenn sie etwa Zurückweisungen erleben. Sie haben das Glück, sozusagen in ein Frustrationsfass schauen zu können, wo sie ganz unten das Aufplatschen hören. Sie können dabei in Toleranz auf eine eigene Geschichte voller Bestätigung und Liebe zurückgreifen.

Womöglich sollte man dieses Konzept der angeblich fehlenden Frustrationstoleranz einfach so begreifen, dass es mehr über die Betrachter aussagt als über die Beobachteten. So gesehen, könnte es hilfreich sein, Kurse für Fachkräfte anzubieten, die ihre Toleranz im Umgang mit Kindern erhöhen, die keine Toleranz mehr für die Nackenschläge des Alltags übrig haben.

2.1.6 Strukturierung und Entstehung von Ordnung durch positive Rückkopplung – Theorien dynamischer Systeme

Bei der Beschäftigung mit der Frage nach der Entstehung von Struktur aus scheinbar chaotischen Zuständen ist eine der wesentlichen Antworten, dass es auf die Randbedingungen ankommt. (Dies wird später im Rahmen der Darstellung der Synergetik sicher noch deutlicher.)


Es gibt allerdings mehrere theoretische Ansätze, die das Entstehen von Ordnung gut und schlüssig erklären. Wir haben beschlossen, uns bei der Darstellung auf die Theorie der Synergetik zu konzentrieren. Sie ist uns vertraut und auch sehr sympathisch, doch sind weitere Ansätze nicht weniger wichtig. Da ist zum einen die Theorie der »dissipativen Strukturen« des Chemikers Ilya Prigogine, einem in Russland geborenen späteren Belgier. Für seine Arbeiten zu diesem Thema erhielt er 1977 den Nobelpreis für Chemie. Er beschrieb in seiner Theorie, wie aus dem Chaos sich bewegender einzelner Teile eine geordnete, gebildete Struktur entsteht (Nicolis a. Prigogine 1977). Immer ist hierbei die Zuführung von Energie aus der Umwelt notwendige Voraussetzung. Solche Strukturen bilden offene Systeme, die im energetischen Austausch mit ihrer Umgebung stehen. Da jegliches Leben als dissipatives System beschrieben werden kann, ist es nicht sehr erstaunlich, dass es Prigogines späteres Grundanliegen war, eine Verbindung von Natur- und Geisteswissenschaft herzustellen – zu ihrer wechselseitigen Befruchtung.

2.1.7 Strukturierung und Entstehung von Ordnung durch negative Rückkopplung – Theorien selbstreferenzieller Systeme

Auch das Modell der Autopoiese, (griech. autos = selbst, poiein = machen), welches von den beiden chilenischen Biologen Umberto Maturana und Francisco Varela formuliert wurde, beschreibt sehr anschaulich, wie solche gebildeten Strukturen ihrerseits auch wieder auf die Elemente zurückwirken, ja, selbst Elemente produzieren. Dies bedeutet, ihnen gelang es zu beschreiben, wie das Einzelne das Ganze formt und das Ganze wiederum zurückwirkt auf die Ausformung und das Entstehen einzelner Teile.

Familie organisiert sich autopoietisch

Die Formen von Familie sind ein gutes Beispiel für die Autopoiesetheorie von Maturana und Varela. Familien sind in ihrer Form nicht so oder so gut oder richtig, auch sind sie nicht die Keimzelle der Gesellschaft, aus der sich dann unsere Gesellschaft so oder so formt, sondern sie sind ebenso Teil des Systems, wirken in ihren diversen Ausprägungen auf die Gesellschaft, wie auch die Gesellschaft als Ganzes auf die Formen von Familie wirkt und mit neuen Anforderungen auch die Wahrscheinlichkeit des Entstehens neuer Formen begünstigt. (Vgl. dazu auch Ochs u. Orban 2008.)

Das Ganze ist mehr oder etwas anderes als die Summe seiner Teile. Diese Aussage ist sicherlich vielen von Ihnen schon einmal begegnet. Sie besagt schlicht und einfach, dass man allein anhand der einzelnen Teile nicht wirklich die daraus entstehende Ganzheit erklären kann. Bei der Entstehung des Ganzen spielen auch Faktoren wie z. B. Randbedingungen eine wichtige Rolle, denn sie wirken auf die Beziehung zwischen den Elementen.

Ein kurzes praktisches Beispiel:

Sie und Ihr Image

Unserer Erfahrung nach werden sich die einzelnen Mitarbeiterinnen im Kindergarten als Team jeweils anders präsentieren, je nachdem, was von außen auf sie einwirkt. Haben Sie das Glück, in einer relativ wohlwollenden Gemeinde Ihre Arbeit zu tun, in der die Bedeutung von früher Förderung und Entwicklung wertgeschätzt wird? Oder haben Sie es womöglich mit einer Verwaltung oder einem Träger zu tun, der permanent über die hohen Personalkosten für die »Kindergärtnerinnen« stöhnt? Je nachdem, wie dieser Energiezufluss von den Teammitgliedern empfunden wird, werden sie sich auch nach außen, ihren Kundinnen und auch ihren Kooperationspartnern gegenüber, verhalten. Natürlich kann man sich auch bei enormem Druck von außen als Antwort ein erhöhtes Zusammenhalten, eine Fokussierung auf noch bessere Arbeit vorstellen. Die Regel ist dies mit Sicherheit nicht. Häufiger erleben wir leider Fachkräfte, die aufhören, sich mit ihrer Arbeit, mit dem Sinn ihrer Arbeit grundlegend zu identifizieren.

2.1.8 Selbstorganisation

Wir wollen uns nun im Folgenden weiter mit der Frage nach der Selbstorganisation beschäftigen und dem – wie der Gestaltpsychologe Wolfgang Metzger es 1954 formulierte – Problem der Ordnung (vgl. Kriz 1997). Aus der damaligen Sicht interessierten vor allem die Entstehung dynamischer Ganzheiten und ihre Selbstordnungstendenzen. Vom heutigen Stand der Theorie her kann man Selbstorganisation als das wirklich universelle kreative Prinzip in der Natur bezeichnen. Evolution ist – so verstanden – demnach die Summe aus Selbstorganisation, Variation (Fluktuation) und Selektion. Dies müssen wir nun deutlicher und ausführlicher erläutern: Als Evolution bezeichnet man den stufenweisen Prozess des Aufbaus immer komplexerer Strukturen. Bezogen darauf, ist die erste Annahme, dass einzelne Elemente unter gewissen Randbedingungen praktisch aus sich selbst heraus neue Gebilde, neue Gestalten formen.

Diese Gebilde können, je nach den auf die einzelnen Elemente einwirkenden Faktoren, sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Sie bilden also unterschiedliche Varianten, Fluktuationen (ein Beispiel dafür kennen Sie alle: Es gibt helle und dunkle Haut bei Menschen), und diese treffen nun auf eine Umwelt, in der sie sich (als Gesamtheit, auch als Population) behaupten müssen.

Aber nur die Merkmale (Varianten), die langfristig – evolutionär gedacht! – stabil sind, werden auf lange Sicht erhalten bleiben und ihre Gene von einer Generation an die nächste weitergeben können. Sie müssen also in ihrer Population dem natürlichen Selektionsdruck ihrer Umwelten standhalten, um dauerhaft zu existieren.

Solche dynamischen Strukturgebungen, um die es uns hier geht, kennen wir alle vielfach auch aus der unbelebten Natur. Setzen Sie sich einmal an einem schönen Sommertag an einen See, beobachten Sie die unterschiedlichsten Wellen. Lehnen Sie sich dann gedankenverloren zurück, blicken in den Himmel, und beobachten Sie die verschiedenen Wolkenformen – und wie sich dann am Nachmittag am Horizont große Wolkentürme aufbauen, die ein kräftiges Sommergewitter verheißen.

Solch spontanen Ordnungsbildungen, die selbstorganisiert auf der Basis unspezifischer Randbedingungen ablaufen, werden aus unserer Sicht sehr gut durch die Theorie der Synergetik erläutert. Deshalb möchten wir denjenigen, die gerne etwas tiefer einsteigen wollen, diese Theorie im Folgenden vorstellen. Für die anderen gilt: Sie können diesen Teil gerne überspringen und zum nächsten Abschnitt oder einem anderen wechseln. Schauen Sie sich allenfalls noch einmal die Abbildung 9 an – sie spricht weitestgehend für sich selbst.

2.1.9 Synergetik – Eine Theorie dynamischer Systeme

Wie der Name schon sagt, ist die Syn-ergetik die Lehre vom Zusammenwirken. Die von Hermann Haken 1981 und 1983 vorgestellte Theorie (vgl. Haken 1995; Haken u. Schiepek 2006) ist eine umfassende systemtheoretische Konzeption. Sie entstand Anfang der 1970er Jahre zunächst als Theorie des Lasers. Allerdings wurde schnell deutlich, wie gut die damals gefundenen Erkenntnisse sich auf verschiedenste Formen von Systemen, die sich aus vielen Komponenten oder Subsystemen zusammensetzen, übertragen ließen. Synergetik beschäftigt sich hauptsächlich mit der Analyse des Zusammenspiels, des sogenannten kooperativen Verhaltens im Sinne einer Selbstorganisation, wie es zum Beispiel anhand der Bénard-Instabilität sehr schön erläutert werden kann.

Hierbei handelt es sich um ein sehr altes Experiment, das bereits 1906 von dem französischen Physiker Henri Bénard durchgeführt wurde: In eine flache Glasschale wird eine Flüssigkeit, zum Beispiel Silikonöl, gefüllt. Von der Unterseite der Glasschale her wird Wärme zugeführt. In der Flüssigkeit bilden sich daraufhin verschiedenste Muster, wie z. B. Wabenmuster, aus.

Das im Folgenden beschriebene Experiment ist etwas für besonders interessierte Personen – auch diese sollten es zumindest zweimal lesen!

Die Frage bei der Bénard-Instabilität lautet, wie es möglich ist, dass in einer Flüssigkeit durch solch eine unspezifische Beeinflussung wie Wärmezufuhr derartige Muster entstehen.

Auf der mikroskopischen Ebene (also auf der Ebene der einzelnen Teile) beginnen die einzelnen Flüssigkeitsmoleküle, indem sie die zugefügte Energie aufnehmen, herumzuzappeln. Dies führt dazu, dass die einzelnen Moleküle nun mehr Raum benötigen. Die zunächst erwärmten unteren Schichten der Flüssigkeit dehnen sich aus. Volumenmäßig sind nun dadurch in den unteren Schichten weniger einzelne Moleküle vorhanden als in den oberen Schichten, die ja noch kühler sind. Die Flüssigkeit als Ganze nimmt nun einen instabilen Zustand ein. Die oberen, noch kühleren und damit schwereren Flüssigkeitsmoleküle streben in der Folge nach unten, die warmen, leichten nach oben. Zugleich ergeben sich aus dem Herumzappeln der Moleküle stärkere Zufallsbewegungen, die Fluktuationen (Variationen) nehmen zu. Je höher nun die Temperaturdifferenz zwischen oben und unten wird, umso mehr sogenannter Fluktuationen entstehen. Dieser Zustand wird kritisch, größere Flüssigkeitsbewegungen sind die Folge. Diejenige Flüssigkeitsbewegung, die am ehesten geeignet ist, die Wärme zu transportieren, gewinnt die Oberhand, immer weitere Moleküle werden in die Bewegung mit einbezogen, es entsteht ein immer stabileres, gegen Störungen von innen wie außen resistentes Bewegungsmuster.

Zwei Begriffe sollten wir für das Folgende erklären. Man nennt es Emergenz, wenn aus einem zuvor unstrukturierten Chaos Struktur entsteht. Wenn allerdings das System bereits von einem emergierten, relativ stabilen Zustand in einen neuen übergeht, wird dies als Phasenübergang bezeichnet.

Interessant ist nun für unseren humanwissenschaftlichen, also sich mit Menschen beschäftigenden Bereich, zu erkennen, welche Faktoren beteiligt sind, wenn aus einzelnen »Molekülen« durch die Zuführung von Energie solche stabilen Muster emergieren. Zudem ist es spannend, wie aus bereits bestehenden Strukturen neue Muster hervorgehen. Wir können der synergetischen Theorie entnehmen, dass auf einer Makroebene, der Ebene der Muster, sogenannte Ordner entstehen, die den einzelnen Elementen im System praktisch ihren »Willen« aufzwingen. In der physikalischen Theorie der Synergetik wurde dazu von Haken der Begriff der Versklavung benutzt – dieser ist sicher für den Bereich menschlichen Verhaltens eher wenig geeignet. Gleichwohl macht er sehr drastisch deutlich, wie stark die auf Makroebene entstehende Ordnung das Verhalten und die Relationen zwischen den einzelnen Elementen auf der Mikroebene bestimmt. Sie werden praktisch zum Konsens gezwungen. Der Prozess wird daher auch als Konsensualisierungsprozess bezeichnet.

Bezogen auf menschliche Gemeinschaften, kann man dieses Prinzip relativ leicht erklären, wie auch Abbildung 9 für einen Kindergarten anschaulich macht (wir haben diese Abbildung weitestgehend aus dem Buch Synergetik in der Psychologie übernommen und haben sie an die Umwelt eines Kindergartens angepasst).

Die Regeln, Werte und Normen in einer Gesellschaft, in einer Gruppe oder in einer Institution gelten, weil sie akzeptiert sind. Sie bestimmen in stabilen Zeiten damit weitestgehend – im Konsens – das Verhalten der Mitglieder innerhalb der Gruppe. Nun ist es vorstellbar, dass von außen neue Energie zugeführt wird, in Form von neuen Anforderungen, neuen Erwartungen, gesetzlichen Regelungen, die die einzelnen Mitglieder der Organisation unruhig werden lassen. Sie beginnen, sprichwörtlich, ein wenig herumzuzappeln – die in Teams so bekannte Thermik entsteht. Viele beginnen, sich zu fragen: Gelten denn nun die bestehenden Werte, Normen und Regeln noch, ergeben sie so noch Sinn?


Abb. 9: Selbstorganisation in psychischen und sozialen Systemen (nach Haken u. Schiepek 2006)

Solche Phasen sind von Unruhe geprägt. Mitunter ist dies sicher auch eine positive Unruhe, die das Gefühl vermittelt, sich in einem – positiven – Aufbruch zu befinden.

Immer aber gibt es in solchen Phasenübergängen eine gewisse Unsicherheit in Bezug darauf, welche Regeln nun gelten – sie währt so lange, bis neue verabredet oder gesetzt werden. Diese führen, wenn sie formuliert und akzeptiert sind, durch den nun wiedergefundenen Konsens erneut zu relativ stabilen und vorhersagbaren Verhaltensweisen der Systemmitglieder.

Die Kindertagesstätte Villa Kunterbunt ist eine kleine Einrichtung, die vor sechs Jahren per Eigeninitiative in dem kleinen Ort Hirschenburg gegründet wurde. Sie hatte sich damals zum Ziel gesetzt, eine wichtige Versorgungslücke, nämlich die Betreuung kleiner Kinder unter drei Jahren, zu schließen. Hintergrund war, dass auch in diesem kleinen Ort immer mehr Frauen arbeiten mussten und es schlicht an Betreuungsmöglichkeiten fehlte. Da die Frau, die die Idee entwickelte, zufälligerweise Erzieherin und mit dem Ortsbürgermeister verheiratet war, wurde aus der Idee ein konkretes Projekt, das seitdem von einem Elternverein getragen wird.

2006 nun wurde die damalige Initiatorin und Leiterin der Einrichtung erneut schwanger und musste ihre Leitung abgeben. Eine junge Kollegin mit einer Ausbildung in Kleinstkindpädagogik übernahm. Und die Schwierigkeiten schienen nicht enden zu wollen. Die Rahmenbedingungen veränderten sich just zu dieser Zeit. Tagesmütter sprossen überall ringsum aus dem Boden, neue Kinderkrippen wurden in der nahe gelegen Kleinstadt eröffnet, der Druck wurde immer größer, und die eigentliche Chefin – die Gründungsmutter – war außer Dienst.

Manche Eltern vermissten sie und fanden immer wieder neue Kritik an der jungen Nachfolgerin. Die Unruhe wollte nicht weichen – bis die Kolleginnen sich mit ihrer ehemaligen Leitung und dem Trägerverein hinsetzten und ein Leitbild entwickelten. Nun, ein Jahr später, hat sich das Team wieder stabilisiert, die Gründungsmutter wird immer wieder um Rat gefragt, hilft auch aus, wenn nötig. Nichtsdestoweniger sind die Rahmenbedingungen schwierig und erfordern viel, viel Tatkraft.

Dennoch: Die schwierige Phase des Übergangs ist überstanden, und neue Stabilität ist gewachsen.

Für uns Autoren ist besonders faszinierend, dass uns diese ursprünglich für einen völlig anderen Bereich entwickelte Theorie der Synergetik viele schlüssige und nützliche Erklärungen dafür bietet, wie in menschlichen Gesellschaften, in Institutionen, in lebenden Systemen selbstorganisiert Musterbildungen, sprich Verhalten, Kulturen etc., entstehen. Wir erhalten durch sie wichtige Hinweise für die Organisation unserer Arbeitsabläufe wie auch für die pädagogische Arbeit mit Kindern und ihren Familien.

Entscheidend ist dabei, dass die Theorie sehr gut erklärt, wie unter gleichen Randbedingungen sehr viele verschiedene Strukturen und Muster entstehen können. Schon geringfügige Unterschiede können verschiedene Ganzheiten zur Folge haben. Wie diese Muster sich in ihren jeweiligen Umwelten behaupten, hängt davon ab, ob sie sich gegen den Selektionsdruck durchsetzen können und langfristig stabil sind.

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