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Kitabı oku: «Der Waldläufer», sayfa 66

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77. Der Mann mit dem roten Taschentuch

Sechs Monate sind verflossen, seitdem die drei Jäger, ohne daß sie die Schätze des Val d‘Or einer Erinnerung gewürdigt hätten, in die Steppen von Texas gegangen waren, indem sie den Red River hinabfuhren. Die Regenzeit war der trockenen Jahreszeit gefolgt, und der Sommer kehrte wieder mit seiner glühenden Hitze, ohne daß man etwas von ihrem Schicksal oder von dem Erfolg der von Don Estévan de Arechiza befehligten Expedition wußte.

Diaz war tot und hatte die Kenntnis von dem wunderbaren Tal mit ins Grab genommen, und Gayferos war seinen drei Befreiern gefolgt. Was war aus diesen unerschrockenen Jägern geworden, die Mühseligkeiten, Entbehrungen und Gefahren gesucht hatten, statt reich und mächtig, wie sie es hätten sein können, in das zivilisierte Leben zurückzukehren? Hatte die Steppe diese drei edlen Männer verschlungen, wie es mit so vielen anderen schon der Fall gewesen war? Hatte Fabian gleich jenen Ordensbrüdern, die im Schweigen des Klosters Vergessenheit der Täuschungen dieser Welt suchen, in der erhabenen Einsamkeit diejenige vergessen, die ihn liebte und ihn immer noch erwartete, ohne daß er es wußte?

Das Folgende wird diese Fragen beantworten. An einem heißen Nachmittag verfolgten zwei bis an die Zähne bewaffnete Männer zu Pferd die einsame Straße, die von den Grenzen des Staates Sonora zum Presidio von Tubac führt. Ihr Anzug, die plumpe Ausrüstung ihrer Pferde und deren Schönheit boten zusammen einen auffallenden Gegensatz dar und schienen zwei untergeordnete Boten zu bezeichnen, die von irgendeinem reichen Grundeigentümer abgeschickt waren, um Nachrichten zu überbringen oder zu holen.

Der erste war vom Kopf bis zu den Füßen in Leder gekleidet wie die Vaqueros der großen Haciendas; der andere, schwarz und bärtig wie ein Mohr, obgleich weniger einfach gekleidet als sein Gefährte, schien doch nicht von viel höherem Rang zu sein. Während einer Reise von einigen Tagen – die weißen Häuser des Presidios blitzten schon aus der Ferne – hatten die beiden Reiter wahrscheinlich alle Gegenstände der Unterhaltung erschöpft, denn sie trabten schweigend nebeneinander her.

Die geringe Vegetation, mit der sich die Ebenen, die sie durchschritten, nach dem Regen des Winters geschmückt hatten, wurde abermals gelb unter den Strahlen der Sonne, und unter dem welken Gras zerriß der Boden vor dem glühenden Hauch des Südwinds. Das Laub der Bäume neigte sich durstig auf den glühenden Sand wie die Weiden an den Ufern der Flüsse.

Die beiden Reiter kamen an den Eingang des Presidios, als die Glocke der Kirche das Abendangelus läutete.

Tubac war damals noch ein Dorf mit zwei Querstraßen, mit Häusern, aus gestampfter Erde gebaut, die nur wenige Fenster auf der vorderen Seite besaßen, wie es an den Orten, die plötzlichen Einfällen der Indianer ausgesetzt sind, gewöhnlich der Fall ist. Starke Schutzgatter aus beweglichen Baumstämmen verteidigten die vier Zugänge zum Presidio. Ein Feldstück lag hinter jeder dieser starken Barrikaden auf seiner Lafette.

Ehe wir den eben Ankommenden in das Presidio folgen, müssen wir von einem Vorfall sprechen, der, so unbedeutend er auch in der Wirklichkeit war, doch darum nicht weniger mitten in einem einsamen Dorf wie Tubac die Bedeutung eines Ereignisses hatte. Seit vierzehn Tagen ungefähr hatte eine geheimnisvolle Person – und zwar dadurch geheimnisvoll, weil sie den Bewohnern des Presidios unbekannt war – häufige, aber kurze Besuche im Ort gemacht. Es war ein Mann von ungefähr vierzig Jahren, mager, trocken und nervig, dessen Antlitz von vielen Gefahren zeugte, denen er getrotzt hatte, dessen Zunge jedoch ebenso schweigsam wie sein Gesicht ausdrucksvoll war. Er antwortete wenig; dagegen aber fragte er viel und schien besonders gern erfahren zu wollen, was sich in der Hacienda del Venado zutrüge. Einige Bewohner des Presidios kannten den reichen Grundeigentümer wohl dem Ruf nach, aber wenige unter ihnen oder, um uns richtiger auszudrücken, niemand kannte Don Agustin Pena gründlich genug, um die Fragen des Unbekannten befriedigend zu beantworten.

Jedermann in Tubac erinnerte sich der Expedition der Goldsucher, die vom Presidio aus vor sechs Monaten aufgebrochen waren, und einigen unbestimmten Antworten des Unbekannten nach vermutete man, daß er darüber mehr wisse, als er sagen wollte. Er war nach seiner Behauptung in den Steppen des Apachengebietes der Schar unter den Befehlen Don Estevans in einem sehr kritischen Augenblick begegnet, und er hatte einige Gründe, anzunehmen, daß sie mit den Indianern einen letzten, schrecklichen Kampf bestanden haben müßten, über dessen Erfolg er nichts Gutes prophezeite. Schließlich hatte er am vorhergehenden Tag gefragt, welchen Weg er einschlagen müsse, um sich zu Don Agustin zu begeben, und besonders hatte er anscheinend noch lebhafter zu erfahren gewünscht, ob Doña Rosarita noch unvermählt sei.

Dieser Mann trug stets auf seinem Kopf ein rotkariertes Taschentuch, dessen Falten bis zu seinen Augen herabhingen, und nach dieser Kopfbedeckung bezeichnete man ihn nur mit dem Namen »der Mann mit dem roten Taschentuch«.

Nachdem wir dies erzählt haben, kehren wir zu den beiden Reisenden zurück. Die zuletzt Angekommenen, deren Ankunft Aufsehen machte, ließen sich eines von den Fallgattern öffnen und ritten zu einem Haus im Presidio, auf dessen Schwelle ein Mensch saß, der seine Mußestunden mit der Gitarre in der Hand ausfüllte.

Einer von den Reitern wandte sich an ihn: »Santas tardes, Señor«, sagte er. »Wollt Ihr wohl zwei Fremde die Gastfreundschaft Eures Hauses für einen Tag und eine Nacht in Anspruch nehmen lassen?«

Der Gitarrenspieler stand höflich auf. »Steigt ab, meine Herren Kavaliere«, erwiderte er; »diese Wohnung ist so lange die eurige, als es euch gefallen wird, darin zu bleiben.«

Das ist die einfache Förmlichkeit der Gastfreundschaft, die noch jetzt in diesen Ländern gebräuchlich ist.

Die Reiter stiegen von den Pferden mitten unter den Müßiggängern, die neugierig herbeigekommen waren, um zwei Fremde zu betrachten, die im Presidio von Tubac stets eine seltene Erscheinung sind. Der Hausbesitzer half schweigend seinen Gästen beim Absatteln ihrer Pferde; aber die Neugierigen waren nicht so bescheiden und ermangelten nicht, eine Menge von Fragen an die beiden Personen zu richten.

»Es ist gut. Laßt uns zuerst für unsere Pferde sorgen und selbst ein wenig essen, dann wollen wir plaudern; mein Kamerad und ich sind gerade zu diesem Zweck hergekommen.«

Mit diesen Worten schnallte der bärtige Reiter seine riesigen Sporen ab, legte sie auf den Sattel seines Pferdes, den er ebenso wie die wollenen, bereits zusammengeschlagenen Decken unter den Säulengang des Hauses legte. Die Mahlzeit der beiden Fremden dauerte nicht lange; sie kehrten bald auf die Schwelle der Tür zurück und setzten sich neben ihren Wirt. Die Neugierigen hatten ihre Posten nicht verlassen.

»Ich bin um so mehr aufgelegt«, sagte der bärtige Reisende, »euch allen den Zweck unseres Besuchs im Presidio mitzuteilen, da wir von unserem Herrn hierher geschickt sind, um eure Fragen zu veranlassen. Ist es euch recht?«

»Vollkommen«, sagten mehrere Stimmen. »Und darf man zuerst wohl wissen, wer der Herr ist, von dem Ihr sprecht?« »Es ist Don Agustin Peña, von dem ihr gewiß schon habt reden hören.«

»Der Besitzer der unermeßlichen Hacienda del Venado; ein Mann, der mehrfacher Millionär ist – wer sollte ihn nicht kennen?« antwortete einer von den müßig Umherstehenden.

»Geradeso ist es. Dieser Reiter hier ist ein Vaquero, der mit der Besorgung des Viehs in der Hacienda beauftragt ist. Was mich anlangt – ich bin Haushofmeister und um die Herrschaft selbst beschäftigt. Hättet ihr wohl die Güte, mir etwas Feuer zu geben?« fuhr der bärtige Haushofmeister fort.

Er hörte nun auf zu sprechen, um zuerst seine Zigarre aus Maisstroh anzuzünden.

Dann fuhr er fort: »Vor sechs oder sieben Monaten ist von hier eine Expedition zur Suche von Goldstaub aufgebrochen. Diese Expedition wurde befehligt von einem gewissen … Wartet doch, ich habe ihn bei so vielen Namen nennen hören, daß ich nicht einen einzigen davon habe behalten können.«

»Don Estévan de Arechiza«, erwiderte einer von den Mitsprechenden; »ein Spanier, wie deren nicht viele in diese Gegenden gekommen sind, und der, seinem stolzen Blick und seiner ehrfurchtgebietenden Haltung nach zu urteilen, sein ganzes Leben hindurch befohlen hatte.«

»Don Estévan de Arechiza! Ganz recht«, sagte der Haushofmeister. »Und außerdem war er noch freigebig wie ein Spieler, der die Bank gesprengt hat. Aber ich komme auf die Expedition zurück! Aus wie vielen Männern bestand sie etwa?«

»Mehr als achtzig sind von hier aufgebrochen.«

»Mehr als hundert!« sagte ein anderer dienstwilliger Zuhörer.

»Ihr irrt Euch; es waren nicht ganz hundert!« unterbrach ihn ein dritter.

»Damit ist Don Agustin, meinem Herrn, nur wenig gedient. Das wesentliche ist, zu erfahren, wie viele davon zurückgekehrt sind.«

Darüber gab es auch zwei verschiedene Ansichten.

»Nicht ein einziger!« sagte eine Stimme.

»Ach, ein einziger«, erwiderte eine andere Stimme.

Der Haushofmeister rieb sich die Hände mit zufriedener Miene. »Gut«, sagte er; »denn um die Wahrheit zu sagen, das ist einer mehr, als wir zu glauben wagten, wenn nämlich dieser Señor, der behauptet, daß nicht alle Goldsucher tot sind, recht hat – wie ich hoffe.«

»Glaubt Ihr denn etwa«, sagte einer von denen, die anderer Meinung waren, um seine Ansicht zu unterstützen, »daß der Mann mit dem roten Taschentuch keiner von denen ist, die wir vor sechs Monaten haben aufbrechen sehen? Ich möchte es aufs Kreuz und aufs Evangelium beschwören!«

»Nicht doch!« erwiderte der andere. »Dieser Mann hat mit seinem Fuß vor diesem Tag niemals das Presidio betreten.«

»Jedenfalls«, unterbrach sie ein dritter, »ist der Mann mit dem roten Taschentuch dabei interessiert, die Abgesandten Don Agustin Peñas wohl zu beachten, da er sich so oft nach ihm erkundigt hat. Der Unbekannte wird sich gegen diese Reiter ohne Zweifel deutlicher erklären als gegen uns.«

»Das ist vortrefflich!« erwiderte der Haushofmeister. »Ihr werdet es wohl wissen, und ich kann es Euch, ohne unbescheiden zu sein, sagen, daß Don Agustin Peña, den Gott erhalten möge, der vertraute Freund von Señor Arechiza war und daß er seit sechs Monaten keine Nachrichten von ihm erhalten hat – was sehr natürlich sein würde, wenn er von den Indianern mit den anderen niedergemacht worden ist. Nun erwartet er jedoch seine Rückkehr, um seine Tochter Doña Rosarita, eine schöne, liebenswürdige junge Person, mit dem Senator Don Vicente Tragaduros zu vermählen.

Die Monate sind verflossen, und da die Hacienda nicht an der Heerstraße von Arizpe nach Tubac liegt und wir niemand über diese bedauernswerte Expedition fragen konnten, so hat mich endlich mein Herr abgesandt, um Nachrichten im Presidio zu erfahren. Wenn er die Gewißheit hat, daß Don Estévan nicht wieder zurückkehren kann – da die jungen Mädchen nicht immer Senatoren tief in den Steppen finden, und da die Senatoren nicht immer, sooft sie wollen, eine Mitgift von einer Million Piastern erhalten …«

»Caramba! Das ist eine schöne Summe!«

»Ganz recht«, erwiderte der Haushofmeister. »Die beabsichtigte Vermählung wird zur gegenseitigen Zufriedenheit beider Teile stattfinden. Das ist der Grund, warum wir nach Tubac kommen. Wenn ihr mir also denjenigen herbringen könnt, der nach Eurer Meinung der einzige Überlebende von der Expedition ist, so werden wir vielleicht von ihm erfahren, was uns alle zu wissen interessiert.«

Die Unterhaltung war bei diesem Punkt angelangt, als in einiger Entfernung von dem Haus, wo sie stattfand, ein Mann mit gesenktem Haupt vorüberging.

»Halt«, sagte einer der dienstfertigen Zuhörer und zeigte mit dem Finger auf den in Rede stehenden Mann; »da geht gerade Euer einziger Überlebender.«

»In der Tat; das ist ein Mann, dessen Haltung sehr geheimnisvoll ist. Seit einigen Tagen tut er weiter nichts als von einem Ort zum anderen zu gehen, ohne jemand Zweck und Beweggrund seiner Gänge anzuvertrauen. Wenn es Euch recht ist, so wollen wir ihn rufen. Heda, Freund!« rief einer von den Neugierigen. »Kommt her; hier ist ein Kavalier, der Euch zu sehen und zu sprechen wünscht.«

Der geheimnisvolle Fremde näherte sich.

»Señor Kavalier«, sagte der Haushofmeister höflich zu ihm, »nicht eitle Neugier treibt mich an, Euch zu befragen, sondern die Sorge, die meinem Herrn, der mich hersendet, das Verschwinden eines Freundes einflößt, dessen Tod er beweinen zu müssen fürchtet. Was wißt Ihr von Don Estévan de Arechiza?«

»Gar vieles. Doch wenn es Euch gefällig ist – wie heißt der Herr, von dem Ihr sprecht?«

»Don Agustin Peña, Eigentümer der Hacienda del Venado.«

Das Gesicht des Unbekannten verriet einen Blitz der Freude. »Ich werde Don Agustin«, sagte er, »alle Auskunft geben, die er wünschen wird. Wie viele Tagesmärsche ist die Hacienda von hier entfernt?«

»Drei Tagereisen, aber mit einem guten Pferd.«

»Ich habe ein ausgezeichnetes; und wenn Ihr bis morgen abend auf mich warten könnt, so werde ich Euch begleiten und Don Agustin persönlich alle Einzelheiten erzählen.«

»Abgemacht«, antwortete der Haushofmeister.

»Ganz prächtig«, sagte der Mann mit dem roten Taschentuch eifrig. »Also morgen um diese Stunde; dann werden wir auch in der Kühle der Nacht reisen.«

Er entfernte sich, während der Haushofmeister ausrief: »Caramba! Ich muß gestehen, daß man nicht gefälliger sein kann als dieser Kavalier mit dem roten Taschentuch!«

Dieses Übereinkommen befriedigte aber die Neugierigen nicht; sie mußten sich jedoch schon damit zufriedengeben, denn sie sahen, wie der Mann mit dem Taschentuch wieder vorüberritt und sich rasch in nördlicher Richtung entfernte. —

Der Unbekannte hielt sein Wort. Am folgenden, zur Abreise bestimmten Tag war er zum Abendangelus wie am Abend vorher zurückgekommen.

Die beiden Diener Don Agustins nahmen Abschied von ihrem Wirt und versicherten ihn der zuvorkommendsten Aufnahme, wenn seine Geschäfte ihn jemals zur Hacienda del Venado führen sollten. Der Ärmste in diesen noch im ursprünglichen Zustand befindlichen Gegenden würde erröten, eine andere Belohnung für seine Gastfreundschaft anzunehmen als einen aufrichtigen Dank und das Versprechen, ebenfalls auf eine gleiche Gastfreundschaft rechnen zu können.

Die drei Reiter entfernten sich nun in scharfem Trab. Das Pferd des Unbekannten stand in keinem Punkt an Kraft und Feinheit denen nach, die die beiden Diener Don Agustins ritten.

Der Weg wurde schnell zurückgelegt, und am Morgen des dritten Tages bemerkten die Reisenden schon undeutlich in der Ferne den Turm der Hacienda del Venado. Kurze Zeit darauf stiegen sie im Hof ab. Obgleich dies zu der Stunde geschah, wo die aufgehende Sonne ihre ersten, erfreuenden Strahlen herabsendet, so lag doch etwas wie ein Anstrich von Trauer über dem Gebäude und seiner Umgebung, die das Morgenlicht nicht gänzlich zerstreuen konnte. Man hätte sagen können, daß die Schwermut der Herrschaft sich aus dem Innern auch über das Äußere verbreitete.

Der Kummer verzehrte Doña Rosarita. Unruhe nagte an dem Hacendero, der sie zugrunde gehen sah.

Trotz der schrecklichen Lage, in der sich die Tochter Don Agustins vor sechs Monaten am Tag des Kampfes an der Red Fork befunden hatte, hatte sie doch da die Überzeugung gewonnen, daß Fabian noch lebe. Am Morgen hatte sie seine Stimme erkannt; einige Stunden später hatte sie mit dem wunderbaren Instinkt der Frauen, als sie in den Armen Rayon-Brûlants über das Schlachtfeld getragen wurde, Fabian unter dem Schutz der Streitaxt eines Unbekannten kämpfen sehen. Warum war Tiburcio, wie sie ihn immer noch nannte, nicht zur Hacienda zurückgekehrt? Weil er tot war oder sie nicht liebte; und aus dieser Alternative entstand der tiefe Gram Rosaritas.

Eine andere Unruhe für den Hacendero war der Mangel an jeder Nachricht über den Herzog von Armada; dann mischte sich in diese Unruhe auch etwas Ungeduld. Die verabredete Vermählung seiner Tochter mit dem Senator war das Werk Don Estévans. Tragaduros drang auf Vollziehung der Hochzeit. Don Agustin sprach darüber mit Rosarita; aber nur Tränen waren die Antwort, und der Vater wartete noch.

Indessen entschloß sich Peña doch nach sechs Monaten, dem ein Ende zu machen und zum Presidio zu schicken, um Nachrichten über die von dem spanischen Señor befehligte Expedition einzuziehen. Es war die letzte Frist, um die die arme Rosarita gebeten hatte.

Der Senator war auf einige Tage verreist, und der Hacendero war schon lange aufgestanden, als der Haushofmeister ihn von der Ankunft eines Fremden, der seine Ungewißheit beseitigen könnte, benachrichtigte. Er gab den Befehl, ihn in den dem Leser schon bekannten Saal zu führen. Doña Rosarita wurde gerufen und fand sich bald bei ihrem Vater ein.

Einige Augenblicke nachher stellte sich der Unbekannte vor. Ein großer Filzhut, den er beim Eintritt mit der Hand berührte, ohne ihn abzunehmen, beschattete sein Gesicht, auf dem man zahlreiche bestandene Gefahren ablesen konnte. Unter der breiten Krempe seines Hutes hing ein Taschentuch von roter Baumwolle so tief auf seine Stirn, daß es seine Augenbrauen ganz bedeckte.

Der Fremde betrachtete neugierig die Tochter Don Agustins.

78. Die Erzählung

Der Kopf von Doña Rosarita war in eine seidene Schärpe gehüllt, unter der die langen Flechten ihrer schwarzen Haare über den Busen herabfielen. Ihr Gesicht trug die Spuren eines langen, geheimen Leidens. Als sie sich setzte, flog über ihr blasses Gesicht ein Schein von ängstlicher Unruhe. Sie schien das Herankommen des Augenblicks zu fürchten, in dem sie nicht mehr von der Vergangenheit träumen durfte, sondern eine Zukunft annehmen mußte, in die sie nicht hineinzublicken wagte.

Als der Fremde ebenfalls Platz genommen hatte, sagte der Hacendero: »Großen Dank, mein Freund, daß Ihr hergekommen seid, mir Nachrichten zu überbringen – obgleich ich ahne, daß sie sehr traurig sein müssen. Aber wir müssen alles erfahren. Der Wille Gottes sei gepriesen!«

»Sie sind in der Tat traurig; aber es ist, wie Ihr sagtet, von Bedeutung« – der Unbekannte schien sich, seine Worte betonend, besonders an Doña Rosarita zu wenden —, »daß ich Euch nichts verhehle. Ich habe gar vieles in der Steppe gesehen, und sie verbirgt vielleicht nicht so viele Geheimnisse, als man zu glauben geneigt sein könnte.«

Das junge Mädchen erbebte unmerklich und heftete einen klaren, tiefen Blick auf den Mann mit dem roten Taschentuch. »Sprecht, mein Freund«, sagte Rosarita mit klangvoller Stimme; »wir werden Mut haben, alles zu hören.«

»Was wißt Ihr von Don Estévan?« begann der Hacendero wieder.

»Er ist tot, Señor Kavalier.«

Don Agustin stieß einen schmerzlichen Seufzer aus und stützte seinen Kopf in seine Hände.

»Wer hat ihn getötet?« fragte er.

»Ich weiß es nicht; aber er ist tot!«

»Und Pedro Diaz, dieser Mann mit uneigennützigem Herzen?«

»Tot wie Don Estévan.«

»Und seine Freunde Cuchillo, Oroche, Baraja?«

»Tot wie Pedro Diaz! Alle tot, ausgenommen … Aber wenn es Euch gefällig ist, Señor, so werde ich etwas weiter zurückgehen. Habe ich Euch nicht gesagt, daß Ihr alles erfahren müßtet?«

»Wir hören, mein Freund!«

»Ich will Euch keine Erzählung geben«, begann der Fremde, »von den Gefahren jeder Art, von den Kämpfen, die wir seit dem Augenblick unseres Aufbruchs zu bestehen hatten. Unter einem Chef, der uns ein grenzenloses Vertrauen einflößte, nahmen wir fröhlich unseren Anteil davon auf uns.«

»Armer Don Estévan!« murmelte der Hacendero.

»Beim letzten Nachtlager, das ich noch mit erreichte, hatte sich das Gerücht im Lager verbreitet, daß wir dicht bei einem unermeßlichen Goldlager wären. Unser Führer Cuchillo war verschwunden; seit zwei Tagen war er abwesend. Gott wollte mich ohne Zweifel retten, denn er flößte Don Estévan den Gedanken ein, mir den Befehl zu geben, in der Umgebung des Lagers Nachforschungen anzustellen.

Ich gehorchte trotz der Gefahren dieses Auftrags und machte mich daran, die Spuren unseres Führers zu suchen. Nach einiger Zeit war ich glücklich genug, sie wiederzufinden. Ich folgte ihnen, als ich plötzlich in der Ferne eine Abteilung Apachen auf der Büffeljagd entdeckte. Ich warf so rasch wie möglich mein Pferd herum; aber wildes Geheul brach auf allen Seiten aus und bewies mir, daß ich entdeckt sei.«

Der Fremde, in dem der Leser ohne Zweifel schon Gayferos, den skalpierten Gambusino, wiedererkannt hat, hielt einen Augenblick inne, als ob ihn die schrecklichen Erinnerungen überwältigten; dann erzählte er die Art und Weise, wie er von den Indianern gefangengenommen worden war; seine Angst bei dem Gedanken an die Qualen, die sie über ihn verhängen würden; den verzweifelten Kampf, den er gegen sie in einem Wettlauf mit nackten Füßen zu bestehen hatte, und die schrecklichen Leiden, die ihm dieser verursachte.

»Einer von ihnen«, sagte er, »holte mich ein; ein Schlag warf mich zu Boden, und ich fühlte, wie die scharfe Spitze eines Messers einen feurigen Kreis um mein Haupt zog. Ich hörte einen Büchsenschuß knallen. Eine Kugel pfiff an meinen Ohren vorüber, und ich verlor vollständig das Bewußtsein. Ich weiß nicht, wie viele Minuten so vorübergingen. Abermalige Büchsenschüsse ließen mich die Augen wieder aufschlagen, aber das Blut, das über mein Gesicht strömte, machte mich blind; ich fuhr mit der Hand nach meinem glühenden und zugleich eisigen Kopf – mein Schädel war nackt. Der Indianer hatte mein Kopfhaar mit der Haut des Schädels abgerissen. Das ist der Grund, Señor Kavalier, warum ich Tag und Nacht dieses Taschentuch auf dem Kopf trage.«

Kalter Schweiß bedeckte während dieser Erzählung das Gesicht des Gambusinos. Die beiden Zuhörer schauderten vor Schrecken und Entsetzen.

Nach einem Augenblick tiefen Schweigens fuhr der Erzähler fort: »Ich hätte vielleicht Euch und mir die Erzählung so trauriger Einzelheiten ersparen sollen.«

Gayferos wiederholte nun seinen Zuhörern, was wir schon wissen: nämlich die unerwartete Hilfe, die ihm die drei auf das Eiland geflüchteten Jäger leisteten. Es war bei dem Augenblick, wo ihn der Kanadier in Gegenwart der Indianer auf die Insel trug, als diese heldenmütige Tat dem Mund Don Agustins einen Ausruf der Bewunderung entriß.

»Aber es waren doch wohl ihrer zwanzig auf dieser Insel oder diesem Fluß?« unterbrach er ihn.

»Wenn ich den Riesen, der mich in seinen Armen trug, dazuzähle, waren es drei«, erwiderte der Erzähler.

»Bei Gott, dann sind es tapfere Männer! Doch fahrt fort!«

Der Gambusino erzählte weiter: »Die Gefährten dessen, der mich auf seinen Armen getragen hatte, waren ein anderer Mann, fast von seinem Alter – das heißt fünfundvierzig bis fünfzig Jahre —, und dann ein junger Mann mit bleichem, aber stolzem Gesicht, mit funkelndem Auge und süßem Lächeln. Bei Gott, ein schöner junger Mann, Señorita, den ein Vater stolz seinen Sohn nennen würde; ein Mann, der eine Frau glücklich und stolz machen würde, wenn sie ihn zu ihren Füßen sähe. In einem kurzen, ruhigen Augenblick, den meine schrecklichen Schmerzen mir vergönnten, konnte ich meine Befreier nach ihren Namen und ihrem Stand fragen. Aber ich konnte nichts von ihnen erfahren, als daß sie Otternjäger wären und zu ihrem Vergnügen die Steppe durchstreiften. Das war nicht recht wahrscheinlich; doch machte ich keine Bemerkung darüber.«

Doña Rosarita konnte einen Seufzer nicht ganz unterdrücken; vielleicht erwartete sie einen Namen.

Gayferos fuhr in der Erzählung der Einzelheiten fort, die der Leser schon kennt. Als er bei der Entführung Fabians von Mediana angelangt war, vermied er es aus einem Gefühl des Anstands für das junge Mädchen, von Main-Rouge und Sang-Mêlé u sprechen. »Ja, Señorita«, rief er aus, »der arme junge Mann wurde von den Indianern gefangengenommen, und sein martervoller Tod sollte den Tod der Ihrigen sühnen.«

An dieser Stelle der Erzählung hatten sich die Wangen Rosaritas mit einer tödlichen Blässe bedeckt.

»Nun, und dieser junge Mann«, unterbrach ihn der Hacendero, den diese traurige Entwicklung beinahe ebensosehr wie seine Tochter aufregte; »was ist aus ihm geworden?«

Rosarita, deren Stimme bei der Erzählung des Gambusinos erloschen war, vergalt mit einem zärtlichen, dankbaren Blick die Sorge, die ihr Vater für diesen jungen Mann zeigte, für den sie sich so lebhaft interessierte.

Gayferos verbarg einen Blick der Freude und enthielt sich immer noch mit demselben Zartgefühl auch der geringsten Anspielung auf den blutigen Kampf im Tal der Red Fork. Er fuhr dann fort: »Drei Tage und drei Nächte vergingen in schrecklicher Angst, die nur von einem schwachen Hoffnungsschimmer gemindert wurde. Endlich am Morgen des vierten Tages konnten wir unversehens über die blutdürstigen Räuber herfallen, und nach einem erbitterten Kampf konnte der riesenhafte Krieger denjenigen frisch und gesund wieder befreien und an sein Herz drücken, den er seinen vielgeliebten Sohn nannte.«

»Gott sei Dank!« rief der Hacendero mit einem tiefen Seufzer aus.

Rosarita sagte nichts; aber die an die Stelle ihrer Blässe getretene belebtere Gesichtsfarbe war Zeugnis genug von ihrer Freude. Ihre Lippen waren wieder ruhig geworden und lächelten beim Schluß der Erzählung des Gambusinos.

Wir müssen einen Augenblick Gayferos‘ Erzählung unterbrechen, um noch zu erwähnen, daß der Angriff Bois-Rosé und seiner Schar an den Ufern des Roten Flusses so ungestüm gewesen und die Flucht Don Agustins mit seiner Tochter so eilig erfolgt war, daß beide zwar die Einzelheiten des Kampfes, aber durchaus nicht die Namen derer wußten, die sich dort ausgezeichnet hatten. Allerdings hatte Rosarita Fabian im Kampf an der Seite Bois-Rosé gesehen, aber ohne zu wissen, wie der Jäger hieß; ohne zu wissen, daß Fabian der Gefangene der Piraten der Prärien gewesen war. Doch weckten gewisse übereinstimmende Punkte die Hoffnung des jungen Mädchens.

»Fahrt fort!« sagte der Hacendero. »Aber in dieser Erzählung, die einen Mann lebhaft interessiert, der selbst vor sechs Monaten Gefangener der Indianer war, suche ich vergebens die einzelnen Umstände, die den Tod des armen Don Estévan veranlaßten.«

»Ich kenne sie nicht«, fuhr Gayferos fort, »und kann Euch nur die Worte des jüngsten unter den drei Jägern wiederholen, den ich eines Tages darüber befragte. ›Er ist tot‹, sagte er zu mir mit ernstem Ton. ›Ihr selbst seid der letzte Rest einer größeren Expedition. Wenn Ihr nach Hause zurückgekehrt sein werdet – denn‹, fügte er seufzend hinzu, ›Ihr habt vielleicht jemand dort, der schmerzlich die Tage Eurer Abwesenheit zählt —, so wird man tausend Fragen über das Schicksal Eures Chefs und Eurer Führer an Euch richten. Antwortet darauf: Die Führer sind in der Erfüllung ihrer Pflicht getötet worden. Was Euren Chef anbelangt, so hatte ihn die Gerechtigkeit Gottes verdammt, und das Gottesurteil ist in der Steppe vollzogen worden. Don Estévan de Arechiza wird nie mehr zu seinen Freunden zurückkehren.‹

»Armer Don Estévan!« rief der Hacendero aus.

»Und Ihr habt die Namen dieser so liebreichen, so edelmütigen und so tapferen Männer nicht erfahren können?« fragte Rosarita.

»Nicht für den Augenblick«, erwiderte Gayferos. »Nur kam es mir sonderbar vor, daß der jüngste unter den drei Jägern zu mir von Don Estévan, Diaz, Oroche und Baraja gesprochen hatte, als kenne er sie genau.«

Ein ängstliches Beben überlief unmerklich den Körper Rosaritas; ihr Busen hob sich, ihre Wangen wurden purpurrot, dann wurden sie wieder bleich wie die Blume der Datura; aber ihr Mund blieb stumm.

»Ich beendige nun meine Erzählung«, fuhr Gayferos fort. »Nachdem wir den Sohn des tapferen Kriegers den Apachen entrissen hatten, wandten wir uns zu den Prärien von Texas.

Ich will nicht von allen Gefahren erzählen, in denen wir Ottern- und Biberjäger während der sechs Monate eines herumstreifenden Lebens, das auch seinen Reiz hat, geschwebt sind. Es war aber einer unter uns, der diese abenteuerliche Lebensweise nicht ebenso angenehm fand als wir drei. Das war der schon erwähnte junge Mann.

Als ich ihn zum erstenmal sah, war mir der schwermütige Ausdruck von Ergebung in seinem Gesicht aufgefallen; später jedoch schien seine Ergebung abzunehmen und seine Schwermut größer zu werden. Vergebens ergriff der alte Jäger, den ich für seinen Vater hielt – ich weiß jetzt, daß er es nicht ist —, jede Gelegenheit, ihn die Pracht der großen Wälder, in denen wir lebten, die ehrfurchtgebietenden Szenerien der Steppe, den Reiz der Gefahren, denen wir trotzten, bewundern zu lassen; nur in der Gefahr vergaß der junge Mann seine Schwermut. Er rief sie herbei und schien sie eifrig zu suchen, wie es derjenige tut, dem die Last des Lebens beschwerlich zu werden anfängt.

In ruhigen Augenblicken zeigte er eine düstere Stimmung, und ich sagte oft zu dem alten Krieger: »Die Einöde ist nur für das reife Alter da; die Jugend liebt das Geräusch und den Anblick ihresgleichen; laßt uns zu den Ansiedlungen zurückkehren!«

Und der Riese seufzte, ohne mir zu antworten.

Nach und nach wurde die Stirn der beiden Jäger, die den jungen Mann wie ihren Sohn liebten, auch düsterer. In einer Nacht, wo der junge Mann und ich erwachten, erinnerte ich ihn an einen Namen, den seine Lippen vor sechs Monaten im Schlaf ausgesprochen hatten; ich erfuhr nun die Ursache seines Kummers, der sein Leben langsam untergrub. Er liebte, und die Einöde hatte eine Erinnerung nur lebendiger geweckt, die er vergeblich auszulöschen gehofft hatte. Ja, der arme junge Mann liebte, und zwar unglücklich – ohne Gegenliebe.«

Der Erzähler schwieg einen Augenblick und beobachtete mit forschenden Augen die Haltung seiner Zuhörer; besonders die Doña Rosaritas, auf die er es hauptsächlich mit der Erzählung aller Umstände, die vorzüglich dazu geeignet sind, die Fibern des Herzens einer Frau erbeben zu lassen, abgesehen zu haben schien.

Krieger und Jäger zugleich, suchte der Hacendero das Vergnügen nicht zu verbergen, das er über die Geschichte dieser Unbekannten empfand.

Rosarita suchte unter einer scheinbaren Kälte den Reiz zu verbergen, den sie bei diesem Roman empfand, der Herz und Sinn zugleich in Anspruch nahm und dessen rührendste Seiten der Gambusino ihr sorgfältig aufschlug. Das Feuer ihrer großen schwarzen Augen, die Farbe ihrer Wange straften jedoch ihre Anstrengungen Lügen. »Ach«, rief Don Agustin, »wenn diese drei tapferen Unbekannten unter dem Befehl des armen Don Estévan gestanden hätten, so wäre das Schicksal der Expedition ohne Zweifel ein ganz anderes gewesen.«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
1180 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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