Kitabı oku: «Der Schuh»
Gabriela Bock
Impressum
Der Schuh
ISBN 978-3-947167-91-3
ePub Edition
V1.0 (03/2021)
© 2021 by Gabriela Bock
Abbildungsnachweise:
Umschlagfront (Hand) © dundanim | # 100506418 | depositphotos.com
Umschlagfront (Schuhe) © paulmhill | # 8862062 | depositphotos.com
Porträt der Autorin © Ania Schulz | as-fotografie.com
Porträt Innentitel © Gabriela Bock
Lektorat:
Sascha Exner
Verlag:
EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH
Obertorstr. 33 · 37115 Duderstadt · Deutschland
Fon: +49 (0)5527/8405-0 · Fax: +49 (0)5527/8405-21
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Dieses Buch ist ein Roman. Ähnlichkeiten mit verstorbenen oder lebenden Personen sind rein zufällig und von mir nicht beabsichtigt. Orte, Gebäude und Institutionen entstammen zum Teil meiner Fantasie.
Inhalt
Titelseite
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Das Spiel beginnt
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Kapitel 92
Kapitel 93
Kapitel 94
Epilog
Eine kleine Bitte
Über die Autorin
Mehr von Gabriela Bock
Prolog
Die Stunden kriechen dahin, während er wach im Bett liegt. »Jeder Zwölfjährige hat Geheimnisse.« Mutters Worte. Sie weiß nicht viel von ihm. Die Haustür, Schritte auf dem Flur. Er wünscht sich sehnlichst, die Schritte eines Nachts nicht mehr hören zu müssen. Genau wie die lange Stille und das Weinen seiner Mutter danach. In dieser Nacht durchbrechen Schreie das verzweifelte Weinen. Er will nicht mehr länger stillhalten. Das Messer liegt zwischen Matratze und Lattenrost. Ein Griff. Diesmal muss kein Kissen herhalten, kein Fußball. Er wird ihn kaltmachen. Noch kälter, als er ohnehin schon ist. Ein kalter zynischer Sadist weniger. Kissen schreien nicht, auch Fußbälle nicht, aber er. Er wird schreien. Wie lange hat er sich das schon vorgestellt. Er öffnet die Tür zum Elternschlafzimmer.
»Bitte Junge, geh wieder.«
Er blickt in die verweinten, weit geöffneten Augen seiner Mutter.
»Bitte, leg das Messer weg.«
Wie schön sie ist. Nackt sitzt sie im Bett und zittert.
»Hat er dich geschlagen?«
»Es geht dich überhaupt nichts an, du kleines armseliges Muttersöhnchen, du Sohn einer Abtrünnigen.«
Der Schlag trifft ihn hart. Auch sein Vater ist nackt. Er ist groß, kräftig. Der Junge versucht gar nicht, sich zu wehren, während sein Kopf an den Haaren nach hinten gezogen wird. Er hat das Messer an der Kehle.
»Manchmal denke ich schon daran, meine Brut samt der Mutter auszumerzen. Aber dann fällt mir ein, gerade mit dir, mein Sohn, habe ich noch viel vor. Vielleicht wird aus dir ja doch noch mal ein Mensch.«
»Bitte verschone den Jungen.«
»Ich sagte schon, halt dich da raus. Du hast hier gar nichts zu melden!«
Ein weiterer Schlag trifft ihn kaum noch. Es ist nicht so schlimm wie die psychischen Misshandlungen und die Schläge mit Worten.
»Hier, nimm das Messer mit, du kleiner Feigling. Das traust du dich ja doch nicht.«
Wenn er groß ist, wird er ihn töten. Er wird viele Waffen besitzen. Nur die bloße Vorstellung daran gibt ihm inneren Frieden.
Kapitel 1
Fasziniert von Musik und Stimmung durchquerte ich schwankend den Raum und ließ mich schließlich auf das breite, weiche Sofa fallen. Alles war gut … Mucke, Leute und Helgas Rotweinbowle, von der ich eindeutig zu viel getrunken hatte. Vielleicht hätte ich nicht auch noch an dem Joint ziehen sollen, der draußen auf dem zugigen Balkon rumgegangen war.
Aber egal, worüber machte ich mir eigentlich Gedanken? Auch wenn dies Pauls Geburtstagsparty war, gab es für mich allen Grund zu feiern. Erst vor einer Woche hatte ich mein Baby abgestillt und dabei eine – bis dahin unbekannte Schwermut – empfunden, die bis zu diesem Abend angehalten hatte.
Aber, jetzt war es vorbei. Alles gut überstanden. Den Nervenkrieg mit Niclas’ Erzeuger, dem Arsch, der sich dann auch kurz vor der Geburt aus dem Staub gemacht hatte. Die Geburt … die erste Zeit mit dem Kleinen … die Schwangerschaft war toll gewesen. Ich war mir noch nie so schön vorgekommen wie während dieser Zeit. Meine langen schwarzen Kringellocken hatten geglänzt wie nie zuvor und mein sehr schmaler Körper hatte ein paar Rundungen bekommen. Eines Abends hatte Paul mich angesehen und gesagt: » Emi, ich sehe es genau, du leuchtest ja richtig von innen.« Paul, der Mann meiner besten Freundin Helga, süß und etwas verrückt. Er musste es wissen, er arbeitete im Weser-Krankenhaus als Assistenzarzt auf der Gynäkologie. Er hatte mich auch dazu überredet, demnächst eine Ausbildung zur Krankenschwester zu beginnen. Ich musste mein Leben ändern, schon wegen der Verantwortung, die ich für Niclas trug. An diesem Abend hatte ich ihn bei meinen Eltern geparkt. Sie sind großartige Menschen und die besten Großeltern, die es für Kinder geben kann. Obwohl ich mit ihm nur eine Etage über ihnen wohnte, hatte Niclas bei ihnen alles, sogar ein eigenes Zimmer mit Babybett, Wickelkommode und Ersatzklamotten. Überhaupt, meine armen Eltern. Was hatte ich ihnen in der Vergangenheit bloß alles zugemutet?
Es lag mir fern, plötzlich enthaltsam zu werden, aber ich musste an Niclas denken, der brauchte eine beständige Mutter und keine, die ewig von einer Beziehung in eine nächste, meist noch chaotischere, schlitterte.
Seit langem war mir kein Mann mehr zu nahe gekommen, auch nicht Niclas’ Erzeuger. Männer waren Feiglinge und bekamen anscheinend einen verstärkten Fluchtreflex bei dem Anblick von dicken Babybäuchen, Kinderwagen oder stillenden Frauen. Ich wiegte mich zu der Musik hin und her und summte dabei. Alles drehte sich, als ich die Augen schloss. Hat eine geile Stimme, diese Sängerin Melanie, dachte ich.
Als ich die Augen wieder öffnete, erblickte ich Robert Hagedorn, der auf dem flauschigen Teppich vor meinem Sofa saß. Ausgerechnet Robert, der auf dem Gymnasium mal zwei Klassen über mir gewesen war und ein schrecklich arroganter Schönling! Robert, der ein unglaublicher Kotzbrocken sein konnte, mit seiner besserwisserischen Art, mit der er sich damals erfolgreich die Mitschüler vom Hals gehalten hatte. Eigentlich mochte ich Sonderlinge wie ihn. Aber er! Er war einer von der Sorte gewesen, an dessen verschlossener Art man sich die Zähne ausbiss. Außer Paul natürlich, der jeden und alles verstand, hartnäckig war, und der ihn als so was wie einen Freund bezeichnete. Wie verdammt gut Robert aussah, ich konnte kaum wegsehen. Würde ich inzwischen lallen? Ich dürfte mich in kein Gespräch verwickeln lassen, schon gar nicht mit Robert, der mich wahrscheinlich gleich fragen würde, warum ich damals, nach drei Jahren, das Gymnasium abgebrochen hatte und heute noch ohne Beruf dasaß. Ich, Emilia Weber, die Rakete im Sturzflug.
Was hatte ich schon alles versemmelt? Erst hatte ich meinen Realschulabschluss mit Ach und Krach auf der Handelslehranstalt nachgeholt, und später, nach knapp einem halben Jahr Lehre als Bürokauffrau, einer schrecklichen Zeit, im wahrsten Sinne des Wortes das Weite gesucht. Der Versuch, eine Ausbildung als medizinische Bademeisterin durchzustehen, schlug bereits nach zwei Monaten fehl. Ich konnte mich absolut nicht mit dem Gedanken anfreunden, ein Leben lang mit einem Beruf auskommen zu müssen, den ich nicht voll und ganz liebte. Zwischendurch hatte ich mich mit meist mies bezahlten Jobs über Wasser gehalten. Aber damit war jetzt Schluss, ich freute sich schon darauf, demnächst diese Ausbildung beginnen zu können.
Robert kniete inzwischen neben dem Sofa und sah mich ständig an. Seine langen, blonden Haare fielen auf mein Gesicht, als er mich küsste.
»Ich fand dich schon immer anders als die anderen Mädchen. Du warst netter zu mir und nicht so puppenhaft und schrill. So was kann ich an weiblichen Wesen überhaupt nicht leiden«, sagte er zu mir.
»Ich fand dich früher saublöd«, rutschte es mir raus. Dabei wunderte ich mich, noch einigermaßen klar sprechen zu können.
»Und jetzt?«, fragte er.
Ich schlang die Arme um Roberts Hals und zog ihn neben mich aufs Sofa. Dann strich ich ihm die Haare aus dem Gesicht und streichelte ihn sanft. Dabei berührte ich sein Antlitz mit meinen Lippen.
»Weiß ich noch nicht, bis jetzt gut.«
»Dann finde es raus, heute noch.«
»Hey ihr!«
Paul stand neben uns.
»Helga und ich, wir stellen euch unser Schlafzimmer zur Verfügung. Wollt ihr?«
»Wollen wir?«, fragte Robert und ich nickte ihm zu.
Er zog mich vom Sofa hoch. Paul grinste und drückte Robert zwei Stecklaken in die Hand, die die Aufschrift des Krankenhauses trugen, in dem er arbeitete.
Im Schlafzimmer beobachtete ich Robert dabei, wie er fein säuberlich die Laken auf die Matratzen des Ehebettes zog. Er bestand darauf, das Licht im Zimmer an zu lassen, weil er genau sehen wollte, was er mit seinen großen, schmalen Händen anfasste. Obwohl ich das den Raum kannte, fand ich ihn in der Nacht besonders karg ausgestattet, nicht nur der Aufdruck auf den Stecklaken erinnerte mich an ein Krankenhauszimmer. Ich registrierte die weißen Wände, die weiße Bettwäsche und genoss den intensiven, kühlen Blick aus Roberts graublauen Augen. Wie er über meinen Körper glitt. Immer und immer wieder. Er bekam nicht genug davon.
»Meine Oberschenkel sind zu dick.«
»Oh nein.«
Robert drehte mich zum x-ten Mal in dieser Nacht auf den Bauch. Er fuhr mit der Hand über das große Muttermal zwischen meinen Schulterblättern.
»Es hat mich vorhin zuerst erschreckt und etwas gestört, aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt.«
»Gehörst du zu den Exorzisten, dass dich mein Hexenmal stört?«
Robert lachte. Es war so ein erotisches Lachen, mit einem kleinen Gluckser am Ende.
»Wer außer dem Leibhaftigen persönlich würde es lebend überstehen, die Nacht mit einer Hexe zu verbringen?«
»Oh Exzellenz.«
Auf allen vieren kroch ich im Bett umher und küsste die Innenflächen seiner Hände.
»Mit diesem Ding auf dem Rücken wirst du nie untertauchen können«, bemerkte Robert trocken.
Inzwischen war ich immer nüchterner und müder geworden. Draußen begann die Dunkelheit einem neuen Morgen zu weichen. Alle Lampen im Zimmer brannten noch. Robert kniete neben mir im Bett. Seine linke Faust war auf mich gerichtet, der Zeigefinger zeigte nach vorn, der Daumen nach oben. Es sah aus, als wenn er gleich auf mich schießen wollte. Es war eine Geste, die Robert schon zu Schulzeiten oft angewendet hatte. Jetzt fand ich es lustig.
»Bitte«, sagte er, »bitte ergib dich noch einmal.«
Danach schlief ich tief und fest.
Am Vormittag zauberte die Sonne etwas Farbe in das kahle, weiße Zimmer. Panik überkam mich. Es war nicht nur spät, sondern auch zwei Tage vor Ostern, und meine Eltern hatten nicht damit gerechnet, dass ich die ganze Nacht wegbleiben würde. Ich warf noch einmal einen Blick auf Roberts schönen Körper und auf sein markantes Gesicht.
Es würde das letzte Mal sein, dass ich ihn so sah, da machte ich mir nichts vor. Es sollte bestimmt eine Anspielung gewesen sein, dieses: »Ergib dich noch mal.« Eine Anspielung auf meine Passivität beim Sex. Ich war es nun mal, die sich dabei hinschmiss und die einen Mann brauchte, der diese Passivität auszunutzen verstand. Dabei liebte ich intensive Blicke, von denen Robert mir in dieser Nacht ganz viele geschenkt hatte. Vielleicht hätte es kuscheliger und dunkler sein können. Das Ganze hatte schon etwas von einer klinischen Operation gehabt. Entschlossen rüttelte ich Robert wach.
»Tschüss dann, ich geh jetzt«.
»Wieso haust du jetzt einfach so ab?«, fragte er verschlafen, sprang aus dem Bett, zog die Stecklaken ab, faltete sie ordentlich und legte sie zurück aufs Bett.
»Hast du mal im Krankenhaus gearbeitet?«, wollte ich wissen. Soweit mir bekannt war, studierte Robert im fünften Semester Jura.
»Guter Drill«, meinte er, »fällt mir schon gar nicht mehr auf.« Er hatte sich wieder hingelegt. »Komm bitte wieder ins Bett«, flehte er.
»Ich muss zurück zu meinem Kind, das ist bei meinen Eltern.«
Wie konnte einer wie Robert wissen, was in mir vorging?
»Weißt du, wie geil ich auf dich bin? Das Kind ist mit Sicherheit bei deinen Eltern gut aufgehoben«, sagte er, aber ich stand bereits angezogen in der Tür. »Bitte Emi, bitte beantworte mir noch eine Frage.« Robert setzte seinen alten Robert-Hagedorn-Blick auf, den ich noch vom Schulhof kannte. »Hat es dir schon mal jemand so besorgt?«
»Glaubst du, du warst mein erster Mann?«, schrie ich ihn an und knallte die Tür zu.
Die Todesfrage. Unglaublich. Er war auch nicht anders als die Anderen. Wie war ich? Ich, ich, ich! An was anderes konnten sie wohl nicht denken? Waren alle Männer gleich? Warum musste ich nur ständig auf solche Egozentriker stoßen?
Ich aß mit meiner Mutter zusammen zu Mittag, die den schlafenden Niclas anschließend auf einen Spaziergang mitnahm. Ich ging die Treppe hoch in die Wohnung über ihnen und fiel hundemüde und erschöpft in mein Bett. Diese Wohnung im Haus meiner Eltern zu besitzen, war, außer Niclas, das Beste, was mir je passieren konnte. Meine Eltern hatten das alte denkmalgeschützte Haus mit dem Laden im Erdgeschoss in der Fischpfortenstraße im Zentrum von Hameln erst vor drei Jahren gekauft, nachdem mein Vater sich aus dem gutbezahlten, aber unsicheren Job in der Wirtschaft mit einer Abfindung verabschiedet hatte. Mit diesem ›Kunst-, Trödel-, Briefmarkenladen‹ hatte er sich einen langersehnten Wunsch erfüllt. Das Haus war noch nicht fertig renoviert, aber es war schon jetzt urgemütlich darin. Wenn meine Eltern nicht zuhause waren, wurde es mir manchmal etwas unheimlich in dem alten Gemäuer. Dann war ich froh, dass Pan und Syrinx wachten, unsere Hunde, die ich vor zwei Jahren als Welpen angeschleppt hatte. Beides waren Mischlinge. In dem riesigen schwarzen Pan steckte mit Sicherheit ein Neufundländer, und meine Mutter hatte die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, als sie die großen Pfoten des Welpen bemerkte. Syrinx war ganz weiß und winzig, mit dem Temperament eines Terriers.
Mein Vater hatte sich die beiden wohlwollend angesehen, einen Kunstband vorgeholt, auf die Abbildung eines Gemäldes von Peter Paul Rubens und Jan Bruegel gezeigt, auf dem der Gott Pan die Nymphe Syrinx jagt, und gefragt, ob wir die Hunde so nennen wollen. Seiner Meinung nach könnte es nicht besser passen. Damit es keine erotische Jagd werden würde wie auf dem Bild, wurde die Hündin kastriert. Jetzt lag nachts Pan immer etwas träge neben meinem Bett, während Syrinx mal hier und mal da lag und bei jedem neuen Geräusch im Haus sofort zu bellen anfing.
Als ich erwachte, war es draußen schon dunkel. Mir war, als hätte ich die gesamten schlaflosen Nächte seit Niclas’ Geburt nachgeholt. Die Tür des Schlafzimmers stand offen, ich sah meine Eltern in der Küche sitzen. Mutter gab Niclas gerade das Fläschchen. Was für ein schönes Paar, dachte ich. Sie sahen beide noch so jung aus, als wäre Niclas ihr Baby. Oma und Opa, das passte wirklich nicht zu ihnen, und deshalb hatten wir uns auch geeinigt, genau wie ich es schon seit Jahren tat, sollte Niclas, wenn er erst mal sprechen konnte, auch Franziska und Konstantin zu ihnen sagen.
Später kläffte Syrinx, als die Türglocke läutete. Robert Hagedorn stand mit einem Blumenstrauß vor der Tür.
»Besuch für dich, Emi!«, rief Franziska.
Ich war hastig aus dem Bett gesprungen und in Hemd und Unterhose auf den Flur gerannt.
»Es tut mir leid, wegen der blöden Frage heute Morgen. Vergiss es bitte«, stammelte Robert.
Der sonst eher verschlossene Robert verstand sich auf Anhieb gut mit Konstantin, mit dem er noch am selben Abend in dem Laden im Erdgeschoss verschwand. Mein Vater war völlig von den Socken, dass es jemanden gab, der noch viel mehr über Kunst wusste, als er selbst. Aber so war Robert. Wenn ihn etwas interessierte, wollte er am liebsten alles darüber wissen. Franziska fand Robert gutaussehend, besonders geschmackvoll gekleidet. Und er hätte Benehmen, was auch nicht mehr selbstverständlich wäre in der heutigen Zeit.
Am Abend darauf besuchten wir alle gemeinsam das Osterfeuer. Treffpunkt war wie immer ›dort, wo die Wege sich kreuzen‹. Mit dem selbst gemachten Eierlikör von Helga hielt ich mich absichtlich zurück. Im Schein des Feuers fand ich Robert noch schöner. Später wiederholte sich das Ritual von neulich. Wieder genoss ich Roberts intensiven Blick, nur das Licht war wärmer. Ich registrierte die dunkelroten Wände meiner eigenen Wohnung, das blaue Bettzeug auf dem dunklen Dielenboden, den Mond, der durch das gardinenlose Fenster schien und den langgliedrigen Körper von Robert. Morgens schrie Niclas nach mir und wollte sein Fläschchen. Nachdem ich ihn aus dem Himmelbett genommen hatte, gab ich ihn Robert auf den Arm. Der schaukelte den Kleinen hin und her und wirkte schier verzweifelt, als das Geschrei immer lauter wurde.
In den darauffolgenden Wochen kam Robert immer vorbei, wenn er Zeit fand. Egal, ob Robert Tintenfische flambierte oder Spaghetti kochte, ob er ein Frühstücksei mit einem Hieb durchschlug oder mit seinen Händen über meinen Körper glitt, was er tat, das zelebrierte er irgendwie. Nach etwas Gelungenem streckte er meist die linke Faust vor, den Zeigefinger nach vorne gerichtet und den Daumen nach oben. Es hätte ein ›Peng‹ gefehlt, aber er sagte nichts, sondern setzte seinen kühlen, etwas überheblichen Robert-Hagedorn-Blick auf.
In finanziell rosigeren Zeiten hatte ich mal einen gebrauchten Käfer erstanden. Als ich das Auto gesehen hatte, musste ich es einfach haben, auch ohne einen Führerschein zu besitzen. Seitdem stand es die ganze Zeit bei Freunden im Schuppen rum. Jetzt fuhr Robert uns damit in der Gegend umher. Meist nahm er die Kiste einfach mit. Mir war es egal, wo er damit hinfuhr. Beim Kinderarzt hatten sie uns drei für eine nette kleine Familie gehalten, aber ich wusste es besser. Robert hatte mir unmissverständlich klargemacht, dass so was wie Familie für ihn nicht in Frage käme. Er wäre gerade dabei, sich von den überholten, verkrusteten Strukturen seines Elternhauses zu befreien. Mit dieser ehrlichen Aussage konnte ich etwas anfangen. Ich liebte Direktheit, auch wenn sie wehtat, und hasste verlogenes Getue und Gequatsche, genoss Roberts intensiven Blick beim Sex, die Tatsache, dass er einen Führerschein besaß, seine gelegentliche Kritik an meiner Person, besonders wenn es darum ging, dass er mich für völlig unpolitisch hielt, und fand es gut, dass er mir Distanz gewährte und nicht zu sehr in mein Leben eindrang. Trotzdem gab er mir viel und kümmerte sich ab und zu liebevoll um Niclas.
Manchmal empfand ich eine starke Verbundenheit oder gar Liebe für Robert. Ich glaubte sogar, dass er meine Gefühle erwiderte. Dann hatte Robert einen Blick drauf, der wie eine Aufforderung auf mich wirkte, auf die Straße laufen zu müssen, um irgendetwas anzuzünden. Ständig fragte ich mich, was hinter Roberts Brandstifterblick für Gedanken steckten. So nah kam ich ihm zu der Zeit aber nicht, dass ich das erfuhr.