Kitabı oku: «Phantombesuch», sayfa 6

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11

Die Beerdigung war wirklich schön gestaltet und unglaublich viele Menschen waren gekommen, um Manuel auf seinem allerletzten Weg zu begleiten. Elena kannte die meisten nicht. Verwandte, viele Bekannte und alte Freunde, die sie noch nie gesehen hatte, schüttelten ihre Hand. Manche Hand packte sie zwischendurch an ihrem Oberarm und drückte Mut machend zu. Elenas Familie stand um sie herum und sie hielt die meiste Zeit ihre beiden Kinder an der Hand. Die Tabletten, die Belinda ihr heute gegeben hatte, hüllten sie in einen flauschigen Wattebausch. Belinda stand auf der anderen Seite des Grabes neben ihren Schwiegereltern, aber sie suchte immer wieder Elenas Blick und nickte ihr ermutigend zu.

Die Rede des Pfarrers war sehr rührend. Ein paarmal erwähnte er, wie wichtig die beiden Kinder für Manuel waren. Über seine beruflichen Erfolge wurde viel erzählt, auch über die vielversprechenden Pläne, die er noch hatte. Auf sein großes, mitfühlendes Herz kam der Priester ebenfalls ausführlich zu sprechen. Ein großer Teil seiner Rede handelte von Manuels wichtiger Rolle als Sohn – der große Stolz seiner Eltern. Nur Elena wurde mit keinem Wort erwähnt. Bestimmt war diese Tatsache allen aufgefallen, aber keiner sagte etwas – auch niemand aus ihrer Familie. Wahrscheinlich hoffte jeder, dass Elena es nicht bemerkt hatte.

Elena war ganz in Gedanken versunken. Sie hoffte inständig auf ein nächstes Treffen. Sie hoffte so sehr, dass Manuel sie wieder besuchen würde, dass sie kaum auf die Vorgänge um sie herum achtete. Ob er seine Eltern auch besucht? Oder vielleicht sogar seine Kinder? Selina und Lois hätten mir sicher davon erzählt. Obwohl – bestimmt nicht, wenn er ihnen damit gedroht hatte, dass er dann nicht mehr kommen würde, davon war Elena überzeugt. Sie hatte inzwischen beschlossen, die Erscheinung nicht mehr zu bezweifeln. Ja, sie hatte Manuel ganz klar und deutlich gesehen. Daran glaubte sie unumstößlich. Sollte sie sich jemandem anvertrauen? Nur Julia, Irina oder Belinda kamen infrage – sonst niemand. Das war für Elena klar. Aber wenn sie überlegte, was sie selbst noch vor vierzehn Tagen über so eine Aussage gedacht oder gesagt hätte – nein, sie würden ihr nicht glauben. Sie würden die Erscheinung für Hirngespinste halten.

„Mami, Mami!“ Selina zog heftig an Elenas Hand. Sie musste wohl schon länger versucht haben, mit ihr zu sprechen.

Julia bückte sich zu Selina und fragte leise: „Mäuschen, was ist?“

„Warum redest du denn nicht mit mir?“

„Ich rede doch mit dir, mein Schatz.“

„Du hast gesagt, dass Papi im Himmel ist.“

„Ja, das ist er auch.“

„Aber Oma hat gesagt, dass er in der Kiste liegt. Dann kann er ja auch wieder herauskommen.“

„Ja, sein Körper ist tatsächlich in dem Sarg, aber –“, weiter kam Elena nicht.

„Hol Papi raus!“, schrie Lois plötzlich so laut, dass alle erschrocken in ihre Richtung schauten. In dem Moment fingen die Friedhofsangestellten an, den Sarg in das Grab herabzulassen.

Selina riss sich los, rannte zu einem der Männer und zog an seinem Mantel. „Aufhören, nicht in das Loch tun. Mach die Kiste auf. Mein Papa möchte wieder raus. Ich will ihn wiederhaben.“

Lois rannte zu seiner Schwester und schrie: „Papa ist nicht im Himmel. Papi ist in der Kiste!“

Alle waren von der Szene so erschüttert, dass es einen ganzen Moment dauerte, bis endlich jemand in der Lage war, zu reagieren. Julia schaffte es als Erste, zu den beiden zu laufen und sie schützend in den Arm zu nehmen. Sie flüsterte ihnen etwas ins Ohr, zog sie vom Grab weg und ging dann mit ihnen langsam in Richtung Friedhofsausgang. Julias Töchter, Sarah und Doreen, folgten den dreien weinend und schweigsam.

Elena sah ihnen hinterher und wäre am liebsten ebenfalls auf der Stelle gegangen. Aber trotz des Nebels in ihrem Kopf realisierte sie, dass sie diesem Drang nicht nachgeben durfte. Der Anstand erlaubte es nicht – sie musste durchhalten und sich vor allen Anwesenden anständig von Manuel verabschieden. Innerlich sehnte sie sich aber so sehr nach dem Moment, in dem sie endlich wieder auf ihrem Sofa sitzen und auf die Terrassentür starren konnte, um auf Manuel zu warten.

Plötzlich erreichte die eben geschehene Szene ihr Bewusstsein. Mit einem Schlag wurde ihr klar, dass ihre Kinder unfassbar litten und sie nicht in der Lage war, etwas dagegen zu tun. Sie lebte nur noch für den Augenblick, Manuel wiederzusehen. Sie war eine schlechte und egoistische Mutter. Dieser Gedanke tat so weh, dass sie laut aufschluchzen musste.

Jens, der gerade vor dem Grab Abschied genommen hatte, ging spontan zu Elena und umarmte sie. Dankbar lehnte Elena ihren Kopf an seine Schulter und blieb für eine Weile so stehen. Als sie den Kopf hob und versuchte, etwas durch den Tränenschleier zu erkennen, sah sie direkt in Renates Gesicht, die sie hasserfüllt anstarrte. Da wurde Elena bewusst, dass sie sich in den Augen ihrer Schwiegermutter an einen Mordverdächtigen gelehnt hatte. Auch Jens, der Elenas Blick gefolgt war, begriff sofort, dass diese Szene für Ärger sorgen würde. Er machte einen ruckartigen Schritt weg von Elena, was sie fast zu Fall gebracht hätte.

Irgendwann war es geschafft – alle Trauergäste hatten von Manuel Abschied genommen. Bis auf Elena, Belinda und die Schwiegereltern hatten sich alle vom Grab entfernt. Da zischte Renate: „Ich wusste es doch, dass sie mit dem noch was hat. Die hat es doch die ganze Zeit weiter mit dem getrieben. Bestimmt war sie froh, dass Manuel so viel und lange gearbeitet hat. So konnte sie den Versager wenigstens oft heimlich treffen und in Ruhe ihren Spaß mit ihm haben. Die war doch nur hinter Manuels Geld her. Ins gemachte Nest wollte sie sich setzen. Das haben die beiden Proleten doch von Anfang an so geplant. Umgebracht haben sie ihn. Aber das mit dem Erbe wird nichts – dafür sorge ich. Das schwöre ich hier am Grab meines Sohnes. Für die Kinder werden wir sorgen, vorausgesetzt der von uns angestrebte Vaterschaftstest beweist, dass die beiden überhaupt Manuels Kinder sind.“

Belinda nahm Renates Hand und streichelte sie. „Renate, sag doch so etwas nicht. Du bist gerade sehr aufgewühlt. Elena hat Manuel sehr geliebt – das kann ich mit absoluter Sicherheit behaupten. Und du weißt es auch.“

„Du musst diese Hure nicht in Schutz nehmen. Die Polizei wird schon Beweise finden. Dafür sorge ich höchstpersönlich. Hast du diese Blicke nicht gesehen, wie die sich angeschaut haben? Ich bin alt, aber nicht blind und schon gar nicht blöd!“

Belinda versuchte, Renate auf dem Weg zum Parkplatz zu beruhigen. Sie sprach so laut, dass Elena, die ein paar Meter hinter ihnen ganz alleine lief, ihre Bemühungen hören konnte.

Sie duzen sich jetzt, dachte Elena. Sie war Belinda zwar sehr dankbar, dass sie von ihr in Schutz genommen wurde. Gleichzeitig stellte sie aber auch erleichtert fest, dass die Beschuldigungen sie nicht sonderlich verletzten. Sie wollte jetzt nur noch zu ihren Kindern.

Sie saßen auf einer schattigen Bank neben dem Parkplatz, umrahmt von den Kindern ihrer Schwester. Selina hielt ein Buch in der Hand und die großen Mädchen redeten auf sie und Lois ein. Die Großen schienen den Kleinen ganz angestrengt und ernsthaft etwas zu erklären. Julia stand hinter der Bank, zeigte auch auf das Buch und sagte etwas. Als Julia Elena sah, ging sie ihr entgegen, ohne den Blick von ihr abzuwenden, und nahm sie fest in den Arm.

„Elena, das geht so nicht. Deine Kinder leiden. Sie wissen nicht mehr, was sie glauben sollen. Deine Schwiegereltern haben sie ganz schön verunsichert. Ich weiß ja auch nicht, wie man so kleinen Kindern den Verlust ihres Papas erklärt, aber gar nichts zu sagen – außer dass er jetzt im Himmel ist –, ist sicher nicht die Lösung. Ich habe mich im Buchladen ausführlich beraten lassen und das Buch, das Selina in ihren Händen hält, ist anscheinend das beste, das es für ihr Alter momentan auf dem Markt gibt. Ich konnte mich damit nur noch nicht wirklich befassen, aber das, was ich bisher gelesen habe, ist sehr einfühlsam – es beantwortet viele Fragen ganz einfach und verständlich. Es tröstet sogar meine Großen und auch ich selbst habe beim Lesen eine Wohltat empfunden. Es ist noch tief gehender als das erste Buch.“

„Danke, Julia, vielen Dank. Ich bekomme wirklich gar nichts auf die Reihe – ich schaffe es nicht einmal, ein Buch für meine Kinder zu kaufen.“

„Die beiden Bücher, die ich besorgt habe, werden auch keineswegs ausreichen, Elena. Ihr müsst euch einer Therapie unterziehen. Bitte versprich mir, dass du das Thema ernsthaft in Angriff nehmen wirst. Nur weil du drei Absagen erhalten hast, kannst du dich jetzt nicht zurücklehnen und nichts mehr unternehmen.“

„Lass uns erst einmal diesen schrecklichen Tag hinter uns bringen.“

Belinda versuchte beim anschließenden Tränenbrot die Wogen wieder etwas zu glätten – niemand von den Trauergästen sollte etwas von den Diskrepanzen zwischen Elena und den Schwiegereltern bemerken. Unermüdlich hetzte sie zwischen den verfeindeten Parteien hin und her und war bemüht, für alle gleichermaßen da zu sein. Sie tat Elena richtig leid.

„Belinda, kümmere dich bitte um meine Schwiegereltern. Ich komme schon zurecht. Julia, ihre Familie, meine Eltern, Irina und Max sind ja auch noch da. Um die beiden Alten scheint sich sonst niemand zu kümmern. Mach dir nicht so einen Stress. Wir beide finden schon noch genug Zeit zum Reden.“

Belinda lächelte und streichelte Elena über die Wange „Wie gut, dass Manuel dich kennengelernt hat. Mit dir hat er einen richtigen Schatz gefunden. Meine Güte, stell dir vor, er wäre bei mir hängen geblieben! Er hätte so einen wunderbaren Menschen wie dich womöglich niemals getroffen. Und ich auch nicht. So traurig die Umstände auch sind, ich bin unheimlich froh und dankbar, dass ich dich kennengelernt habe, Elena. Du bist ein ganz besonderer Mensch. Kein Wunder, dass Manuel alle seine Pläne für dich umgeschmissen hat.“

„Hat er nicht, Belinda. Er hat nur kleine Lücken für mich – für uns – geschaffen. Seine Träume hat er unverändert weiterverfolgt und eisern auf seine Ziele hingearbeitet.“

„Ja, aber du warst so empfindsam und schlau genug, um es zuzulassen. Du hast ihm das Gefühl gegeben, dass euer Leben, so wie es gewesen ist, vollkommen in Ordnung war.“

„Ansonsten hätte ich ihn verloren. Alles andere wäre auch äußerst unfair von mir gewesen, denn er hat mich nie angelogen. Ich wusste, wie wichtig ihm sein Beruf war, und trotzdem hat er es immer geschafft, dass wir drei das Gefühl hatten, unglaublich wichtig für ihn zu sein.“

„Das seid ihr auch gewesen, Elena – da bin ich mir absolut sicher.“

Wie gerne hätte Elena Belinda von Manuels abendlichen Besuchen erzählt, aber sie hatte zu große Angst davor, von ihr für verrückt erklärt zu werden. Was hätte sie denn selbst gedacht, wenn jemand von den Besuchen eines Toten erzählt hätte?

Irgendwann – es kam Elena wie eine Ewigkeit vor – hatte sich dann auch der letzte Gast verabschiedet und sie durfte nach Hause gehen. Belinda wollte noch vorbeikommen, nachdem sie Renate und Ludwig heimgebracht hatte. Auch ihre Familie und Irina boten sich an, sie nach Hause zu begleiten und noch bei ihnen zu bleiben.

„Kommt doch noch mit zu uns“, bot Julia herzlich an.

Elena lehnte alle lieb gemeinten Angebote ab. „Ich bin sehr erschöpft. Ich werde den Kindern noch aus dem Buch vorlesen, anschließend eine von Belindas kleinen Wunderpillen einnehmen und dann werde ich schlafen – tief und fest schlafen. Und vor allem werde ich nichts mehr denken müssen. Das ist es, was ich mir jetzt am meisten wünsche. Ich muss das Karussell, da oben in meinem Kopf, irgendwie wieder zum Stehen bringen. Zumindest muss ich es schaffen, es etwas zu entschleunigen. Seid mir bitte nicht böse. Ich möchte nicht undankbar wirken. Ich weiß eure Fürsorge wirklich sehr zu schätzen. Ich weiß auch, dass es nicht selbstverständlich ist, in so extrem schwierigen Zeiten derartig liebe und besorgte Menschen an seiner Seite zu haben. Bitte, bitte seid mir nicht böse.“

Alle reagierten sehr verständnisvoll und Elena hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie gelogen hatte. Sie konnte es schlicht und einfach kaum abwarten, wieder auf dem Sofa zu sitzen und auf die Terrassentür zu starren.

Zu Hause angekommen, überlegte sie gemeinsam mit den Kindern, was sie essen sollten. Sie einigten sich auf Wurst- und Käsebrote. Beim Essen erzählten die Kinder ganz gelöst und voller Gottvertrauen, dass es Papa ganz bestimmt gut gehe und er immer – Tag und Nacht – bei ihnen sei. Sie könnten ihn eben nur nicht sehen. „Er wird für immer unser unsichtbarer Schutzengel sein, der auf uns ganz prima aufpassen wird“, sagte Selina mit einem zufriedenen Lächeln.

Es kullerten schon wieder Tränen über Elenas Wangen, obwohl sie so tapfer sein wollte – zumindest für die Kinder. Verdammt, ich lasse mich so gehen!

„Soll ich euch noch aus dem Buch vorlesen?“

„Ja, Mami, dann bist du bestimmt auch nicht mehr so traurig. Oma hat nicht recht – nur seine Hülle liegt in der Kiste. Aber die braucht er nicht mehr, weil er ein unsichtbarer Engel ist, Mami.“

Selina war so süß. Sie schaute gerade genauso angestrengt und konzentriert, wie Manuel Elena immer angeschaut hatte, wenn er versuchte, ihr etwas Kompliziertes aus seinem Forschungsauftrag zu erklären. Meist hatte sie nicht allzu viel von dem verstanden, was Manuel ihr erklärt hatte – so wie sie auch jetzt Selinas Erklärungen nicht verinnerlichen konnte. Engel … Wie gerne würde sie ebenfalls ganz naiv und kindlich an Engel glauben. Aber sie konnte es nicht. Sie war viel zu realistisch. Sie glaubte nur das, was sie mit ihren eigenen Augen sah. Ich mag auch keine Fantasiefilme oder unrealistische Bücher. Eigentlich hasse ich sie richtig, dachte Elena. Und doch warte ich nachher sehnsüchtig auf einen Geist! Das ist doch verrückt oder nicht?

Das Kuscheln und Vorlesen tat den Kindern gut. Elena hatte wieder Angst vor schwierigen Fragen, aber das Buch war wirklich so wunderbar geschrieben, dass quasi keine Frage offen blieb. In Gedanken bedankte sie sich bei Julia. Diese Hilfe hätte sie sich wirklich sofort holen müssen. Die Kinder waren so selig und zufrieden mit den gefühlvollen Erklärungen. Ihre kleinen Kinderseelen waren beruhigt und sie schliefen mit dem Gedanken, dass ihr Papi auch bei ihnen ist, ein.

„Gute Nacht, Papi“, sagte Lois.

„Gute Nacht, Papi, und schnarch nicht so“, kicherte Selina. „Ich habe dich so lieb!“

Elena kam sich komplett verrückt vor, aber sie tat es doch. Sie zog ein schickes Kleid an und schminkte sich sorgfältig, bevor sie sich auf das Sofa setzte. „Du bist ganz eindeutig dabei durchzudrehen, Elena Schrader!“ Sie fokussierte die große Palme auf der Terrasse und beobachtete die leichten schwingenden Bewegungen der großen Blätter. „Das ist real – ich sehe die Palme. Ich sehe das Glockenspiel, das von der Terrassenüberdachung hängt. Ich sehe die wunderschöne, exklusive, sündhaft teure Stehlampe, die Manuel für mich gekauft hat, weil sie mir so wahnsinnig gut gefallen hat. Und ich sehe ganz klar und deutlich den Heizstrahler, den wir vor nicht allzu langer Zeit gemeinsam ausgesucht haben.“ Alle Gegenstände standen ganz real da – mit hundertprozentiger Sicherheit. Und dann trat Manuel in dieses friedliche Bild. Auch er war da – er war keine Einbildung, kein Hirngespinst. Er stand so klar und deutlich da, wie auch die Palme, das Glockenspiel, die Stehlampe und der Heizstrahler ganz eindeutig zu sehen waren. Manuel lächelte und winkte ganz zaghaft – die Bewegungen sahen fast wie in Zeitlupe aus. Er hatte die Schildkappe nicht mehr auf und Elena dachte daran, wie oft sie durch dieses volle, wunderbar weiche, immer gepflegte und gut riechende Haar gestreichelt oder ihr Gesicht darin verborgen hatte. Sie hatte es immer mit viel Liebe, Intensität und Dankbarkeit getan. Sie hatte solche Momente aufgesogen, so bewusst genossen, als ob sie es geahnt hätte, dass ihnen nicht viel Zeit bleiben würde. Ja, heute bin ich mir zu einhundert Prozent sicher, es unterschwellig dauerhaft gespürt zu haben, dass unsere überglückliche Beziehung nur sehr kurz andauern würde. Dieses ungute Gefühl hat mich konstant begleitet, auch wenn es mir meistens ganz gut gelungen ist, diese Ahnung immer wieder und wieder erfolgreich zu verdrängen. Wieso habe ich so empfunden?

Elena fixierte Manuel so intensiv, dass sie sich nicht einmal erlaubte zu blinzeln. Keinen Bruchteil, auch nicht den einer Sekunde, wollte sie von diesem Anblick verschwenden. Aber wie immer hob Manuel dann irgendwann die Hand, schickte ihr einen Kuss und gab das befürchtete Zeichen, sitzen zu bleiben. Dann verschwand er, den Blick auf sie gerichtet, ganz langsam wieder von der Bildfläche. Als er weg war, wich die ganze Anspannung aus ihrem Körper. Elena sackte in sich zusammen und weinte herzzerreißend. Was passiert hier? Werde ich verrückt? Das kann doch nicht sein, dass ich Manuel so klar und deutlich sehe. Egal, dachte Elena, Hauptsache, er kommt wieder – morgen und übermorgen und nächste Woche. Dann bin ich halt verrückt oder es gibt eben doch Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen wir Menschen nichts wissen – Geister eben, stellte Elena für sich selbst fest. Voller Überzeugung sagte sie laut: „Ein Geist ist mir lieber, als gar keinen Manuel mehr zu haben!“

12

Am Morgen nach der Beerdigung klingelte es an der Haustür, was Elena aus ihren Gedanken riss. Vor der Tür standen wieder die Beamten, die Manuels Fall bearbeiteten. „Dürfen wir bitte einen Moment hereinkommen? Wir hätten da noch ein paar Fragen.“

Elena musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass Manuel ihrer Meinung nach umgebracht wurde. Irgendjemand sollte seinem Leben ganz gezielt ein Ende gesetzt haben. Diese Tatsache hatte sie bisher immer wieder verdrängt. Sie glaubte immer noch an einen groben Ermittlungsfehler. Wer sollte Manuel schon umbringen wollen? Dieser Gedanke kam ihr so abwegig vor, dass sie ihn nicht zulassen wollte. Innerlich sträubte sich alles in ihr, über diese Möglichkeit nachzudenken. Wenn sich doch Gedanken über diese Variante seines Todes aufdrängten, verbot sie sich, weiter darüber nachzudenken.

„Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Ihrem Exfreund Jens Holder beschreiben?“

„Jens?“

„Ja, Frau Schrader. Es wurden gegen ihn und Sie Verdächtigungen ausgesprochen, denen wir selbstverständlich nachgehen müssen.“

„Meine Schwiegereltern, ich weiß. Und Sie glauben den Mist?“

„Haben Sie für unser Handeln bitte Verständnis, Frau Schrader. Wir möchten Ihnen nichts unterstellen und wir glauben auch nichts. Wir müssen prüfen. Wir müssen allen Verdachtsmomenten nachgehen – wir machen nur unsere Arbeit. Sicherlich liegt Ihnen auch etwas daran, den Mörder Ihres Mannes zu finden.“

Oh, dachte Elena genervt, wenn ihr wüsstet, wie wenig Gedanken ich mir darüber gemacht habe. Manuel ist tot, er ist weg – für immer. Unwiderruflich, endgültig aus meinem Leben verschwunden. Nichts und niemand könnte ihn mir lebendig zurückbringen. Er wird mich nie mehr in seine starken Arme nehmen, sein weicher Mund wird mich nie wieder küssen, ich werde nie wieder die Wärme seines Körpers neben mir im Bett spüren. Er wird nie wieder mit unseren Kindern durch den Garten toben und wir werden nie wieder ein gutes Gespräch miteinander führen. Das ist mein Problem – das verursacht mir einen so tiefen, stechenden Schmerz, dass ich vollauf damit beschäftigt bin, diesen auszuhalten. Warum und wie der Unfall passiert ist, das ist für mich momentan nicht entscheidend oder wichtig, weil das Ergebnis nichts an der furchtbaren Tatsache ändern würde. Er ist tot und ich muss weiterleben – ohne ihn. Ich muss es einfach tun – wegen unserer Kinder! Mit diesen Gedanken habe ich verzweifelt versucht, den Schmerz zu beherrschen und mich nicht völlig der Verzweiflung hinzugeben – was ich zugegebenermaßen nur zu gerne getan hätte. Vielleicht wird eines Tages die Frage nach dem Täter an Wichtigkeit gewinnen. Das kann gut sein – im Moment aber ist mein Gehirn völlig ausgelastet mit Trauer, Verantwortungsgefühl für die Kinder und der abendlichen Erscheinung. Ich hatte mir der Kinder wegen Mühe gegeben, zu akzeptieren, dass Manuel tot ist – dann sehe ich ihn plötzlich leibhaftig vor meinen Augen. Er bewegt sich, er lächelt und er gibt mir Zeichen. Das ist doch unmöglich, denn Manuel lag grau, starr und leblos auf einem Edelstahltisch in der Gerichtsmedizin. Ich habe ihn angefasst und er war eiskalt – durch seine Adern ist kein Blut mehr geflossen. Ich habe ihn sehr lange angeschaut in der Hoffnung, dass er zucken oder sonst irgendein kleines Lebenszeichen von sich geben würde. Aber es passierte nichts – er war einfach tot. Der Mann auf dem Tisch war tot und er war ohne jeglichen Zweifel mein Manuel. Wie konnte er also auf unserer Terrasse stehen? Das ist doch verrückt oder nicht? Wie soll man da einen klaren Gedanken fassen können und darüber nachdenken, wer ihn getötet haben könnte?

„Natürlich möchte ich wissen, wer meinen Mann getötet hat. Auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass es auf dieser Welt einen Menschen gibt, der Manuel nicht wertschätzte oder zumindest mochte.“

„Frau Schrader, ich muss mich leider wiederholen – kein Mensch auf dieser Welt hat nur Bewunderer und Freunde.“

„Sie glauben mir nicht? Sie kannten Manuel eben nicht. Er war ein Engel auf Erden. Er war ein ganz besonderer Mensch. Da können Sie fragen, wen Sie wollen. Er war ein genialer Chef, ein traumhafter Ehemann und Vater, ein vorbildlicher Sohn, ein Arzt mit Leib und Seele, ein hilfsbereiter und fröhlicher Freund und vor allem ein herzensguter Mensch – eine Rarität in der heutigen Welt. Eine absolute Ausnahme. Ich habe aus Manuels Mund niemals böse oder gar hasserfüllte Worte gehört. Er hatte unglaublich viel Verständnis für Menschen und ihre Probleme. Wenn jemand Mist gebaut hat, hat er immer nach Entschuldigungen und Erklärungen gesucht, warum derjenige so gehandelt haben könnte. Vorurteile fällen oder Menschen verurteilen – das gab es bei ihm nicht. Seine Sozialkompetenz war fantastisch. Sicher denken Sie jetzt, dass ich maßlos übertreibe – kann ich gut verstehen, weil es einen solchen Menschen schließlich nicht wirklich geben kann, richtig? Aber ich schwöre Ihnen beim Leben meiner Kinder – so war er, mein Manuel. Er hat Menschen geliebt – diese Menschenliebe und der feste, unerschütterliche Glaube an das Gute haben ihn angetrieben, haben ihm Kraft gegeben. Er war ein vorbildlicher Mensch.“

„Frau Schrader, es ist völlig normal, dass man einen geliebten Verstorbenen durch eine rosarote Brille sieht. Aber sicher hatte Ihr Mann auch Fehler und hat sich ganz gewiss nicht immer korrekt verhalten. Fehler machen wir alle. Wir alle verletzen andere Menschen, auch wenn wir es manches Mal gar nicht bemerken und es das andere Mal vielleicht sogar mit voller Absicht tun.“

„Klar, das ist so bei einem ganz normalen Menschen, von dem Sie sprechen. Manuel war kein normaler Mensch – glauben Sie mir doch bitte. Es ist keine rosarote Brille, durch die ich schaue. Ich habe mich fast täglich gefragt, warum ich so ein Glück habe, dass dieser besondere Mann ausgerechnet mich liebt. Ich habe selber sehr lange nach einem Defizit bei ihm gesucht. Ich habe mir eingeredet, dass er mir sein wahres Gesicht eines Tages auf sehr unangenehme Art und Weise schon noch zeigen würde. Ich muss Sie enttäuschen, denn ich kann Ihnen nur glaubhaft versichern, dass es diesen Tag nie gegeben hat.“

„Können Sie sich vorstellen, dass irgendjemand speziell Ihnen das Glück mit Ihrem Mann nicht gegönnt hat? Dass eigentlich Sie, Frau Schrader, mit dem Tod Ihres Gatten verletzt und bestraft werden sollten? Vielleicht waren es Neid und Eifersucht. Fällt Ihnen jemand ein, dem Sie so eine Tat zutrauen würden?“

„Ich könnte Ihnen unendlich viele Frauen nennen, die in Manuel verliebt waren – ganz offensichtlich in ihn verliebt waren und es auch nicht verheimlicht haben. Krankenschwestern, Ärztinnen, Kolleginnen aus der Forschung, Patientinnen, ja sogar meine Schwester hätte vermutlich ihren Mann für Manuel verlassen. Soll ich eine Liste erstellen?“, fragte Elena ironisch.

„Nein, Frau Schrader. Könnten Sie uns aber noch unsere allererste Frage beantworten? Wie ist Ihre Beziehung aktuell zu Ihrem Exfreund?“

„Ich habe gar keine Beziehung zu Jens. Ja, so kann man es sagen. Der letzte Berührungspunkt war ein ziemlich unangenehmes Zusammentreffen vor Jahren in einer Bar. Jens hat Manuel sturzbetrunken von der Seite angepöbelt. Am Tag darauf hat Jens bei uns angerufen, um sich zu entschuldigen. Gestern zur Beerdigung habe ich ihn das erste Mal wiedergesehen. Ich weiß nicht, wo er inzwischen wohnt, was er beruflich macht, ob er eine feste Beziehung führt – keine Ahnung. Ich war sehr überrascht, als ich ihn unter den Trauergästen entdeckt habe. Aber es waren sowieso viele Menschen da, von deren Anwesenheit ich sehr überrascht und berührt war. Menschen aus meiner Schulzeit, Jugendzeit, aus meinen früheren Vereinen, die Manuel alle nicht kannten und zu denen ich auch schon lange keinen Kontakt mehr hatte. Aber so eine Beerdigung ist wohl immer ein Anlass, sich an alte Weggefährten zu erinnern.“

Die Beamten verabschiedeten sich und Elena konnte nicht sagen, ob sie weiterhin zu den Verdächtigen gehörte oder nicht.

Als Elena am Mittag die Kinder vom Kindergarten abholte, hatte sie plötzlich eine Idee. Sie überraschte die beiden mit einem Vorschlag: „Wollen wir heute Mittag in Papis Lieblingspizzeria gehen? Habt ihr Lust auf eine Pommes-Pizza?“

„Ja“, jubelten die beiden und sprangen an Elena wie zwei kleine Kängurus hoch.

Sie setzten sich in die „Geheimecke“, wie Manuel sie nannte, weil sie dort immer so gut wie ungesehen und ungestört sitzen konnten. Es war nämlich sehr oft unangenehm gewesen, mit Manuel auswärts essen zu gehen. Irgendjemand kannte ihn fast immer. Daher nahmen sie oft weitere Wege auf sich, um in Ruhe speisen zu können. Bedient wurden sie wie immer vom Chef persönlich, der fröhlich nach dem Papa fragte. Bevor Elena etwas sagen konnte, antwortete Lois: „Der Papa ist schon da, du siehst ihn nur nicht.“

„Er ist jetzt nämlich ein Engel“, ergänzte Selina noch stolz.

Giovanni schaute Elena mit großen, geschockten Augen an und sie nickte mit dicken Tränen in den Augen. Giovanni machte einen Schritt auf sie zu, überlegte es sich dann aber in letzter Sekunde doch anders. „Warum?“, fragte er schlicht.

„Autounfall“, antwortete Elena leise.

„Es tut mir leid“, erklärte Giovanni jetzt ebenfalls mit Tränen in den Augen. Manuel und er hatten immer viel Spaß miteinander gehabt. Die beiden konnten so albern sein, was für die Kinder immer besonders lustig gewesen war. Oft lachten sie noch auf dem ganzen Heimweg. „Pommes-Pizza?“, fragte Giovanni mit belegter Stimme.

„Na klar, was sonst?“, versuchte Elena die Stimmung wieder zu heben. Die Pommes-Pizza war eine Erfindung von Manuel und Giovanni, um den Kindern eine besondere Freude zu machen, weil sie sich oft nicht zwischen Pizza und Pommes entscheiden konnten. Inzwischen stand die Kreation sogar auf der Speisekarte und war der absolute Renner bei den Kindern. Sogar viele Jugendliche wählten diese eigenartige Variante.

Giovanni machte sich auf den Weg und Elena beobachtete, wie er ungläubig den Kopf schüttelte und sich eine Träne aus dem Gesicht wischte.

„Nein, ich glaube nicht, dass sie ernsthaft verdächtigt wird.“ Pause. „Das weiß ich auch – Gefängnis wäre ganz blöd. Dann wird aus unseren Plänen nichts. Das ist mir schon klar.“ Pause. „Ja, ich weiß. Sie müssen am Ende alle weg sein. Auch die Kinder!“ Pause. „Ja, verdammt, ich bin ja nicht blöd“, keifte die bekannte Stimme.

Elena schaute um den Sichtschutz herum und sah Belinda mit hochrotem Kopf und ihrem Handy am Ohr dasitzen. Als Belinda Elena sah, ließ sie die Hand mit dem Handy so ruckartig auf den Tisch sinken, dass es einen richtigen Knall gab. Belindas Kopf wurde in Bruchteilen von Sekunden noch roter – so tiefrot, wie Elena es noch bei keinem Menschen erlebt hatte. Belindas Hände zitterten dermaßen, dass Elena es mit der Angst zu tun bekam. Sie schob sich auf den Stuhl neben Belinda und legte den Arm um sie. „Mein Gott, dein ganzer Körper bebt ja, als ob du gleich kollabieren würdest. Was ist los, Belinda? Hast du so schlechte Nachrichten bekommen?“

„Ich, ich …“ Belinda schaffte es nicht, einen ordentlichen Satz zu formulieren. Sie sah entsetzt auf ihr Handy, dann in Elenas Gesicht und wieder auf das Handy auf dem Tisch. Voller Panik beendete sie das Gespräch, indem sie auf das rote Hörersymbol drückte, und bedeckte blitzschnell das Display mit ihren beiden zitternden und nass geschwitzten Händen. Ihren Blick hatte sie starr auf die Pfeffermühle gerichtet.

Elena wartete ein paar Minuten geduldig und unschlüssig, was sie tun sollte. Dann sagte sie sanft: „Jetzt beruhig dich erst einmal. Komm, setz dich zu uns.“ Sie nahm Belindas Handtasche, ihre Jacke und ihr Tuch und transportierte alles an den Tisch hinter dem Sichtschutz, wo die Kinder mit aufgerissenen Augen saßen. „Du machst den Kindern Angst, Belinda. Reiß dich jetzt bitte zusammen. Komm, wenn du Feierabend hast, zu uns und wir reden über alles. Es wird schon nicht so schlimm sein. Du weißt, es gibt für alles eine Lösung, würde Manuel jetzt sicherlich sagen.“

Gegen siebzehn Uhr tauchte Belinda sichtlich beruhigt bei Elena auf. Sie schien sich wieder im Griff zu haben, nachdem sie noch während des ganzen Essens völlig unkonzentriert und fahrig gewesen war. Sie hatte zweimal ein Glas umgeworfen und das Brotkörbchen auf den Boden befördert. Gegessen hatte sie auch nur wie ein Spatz. Sonderbar – sehr, sehr sonderbar. Es musste schon ein riesiges Problem sein, das sie bedrückte, weil Belinda ansonsten ein richtiger Genießer und auch nicht so schnell aus der Ruhe zu bringen war.

„Also los, spuck es aus! Was hat dich so durcheinandergebracht? Polizei? Alle weg! Auch die Kinder! Pläne?“

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